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Dreizehntes Kapitel.

Die Glocken schallen, die Trompete ruft,
Doch antwortet die Schönste nicht von Allen –
Von Herrn und Damen sind die Hallen voll,
Doch muß die Lieblichste verborgen bleiben.
Was hattest Du für Augen, stolzer Prinz,
Die bei dem Glanze jener Meteore
Den bessern Sinn verloren, der den Stern
Dem Glühwurm vorzog, das bescheidene
Erröthen des Verdienstes höf'scher Frechheit?

Der Glaspantoffel.

Die unglückliche Gräfin von Leicester war von ihrer Kindheit an von Allen, die sie umgaben, mit ebenso unbegrenzter als unverständiger Nachsicht behandelt worden. Die natürliche Milde ihres Charakters hatte sie bewahrt, übermüthig und übelgelaunt zu werden; doch die Laune, vermöge welcher sie den schönen und einschmeichelnden Leicester Tressilian vorzog, von dessen hohem Ehrgefühl und unveränderlicher Zuneigung sie selber eine so feste Meinung hegte, – jener unglückliche Irrthum, welcher das Glück ihres Lebens zerstörte, hatte seinen Ursprung in der unverständigen Güte, welche ihrer Kindheit die schmerzliche aber nothwendige Lehre der Unterwürfigkeit und Selbstbeherrschung erspart hatte. Aus derselben Nachsicht folgte, daß sie nur gewöhnt war, ihre Wünsche auszusprechen und Andern die Erfüllung zu überlassen; und so war sie in der wichtigsten Periode ihres Lebens auf gleiche Weise von der Geistesgegenwart und der Fähigkeit verlassen, für sich selber einen vernünftigen oder klugen Plan für ihre Handlungsweise zu entwerfen.

Diese Schwierigkeiten drängten sich der unglücklichen Dame an dem Morgen, welcher die Crisis ihres Schicksals zu sein schien, mit großer Gewalt auf. Alle andere Rücksichten übersehend, hatte sie nur gewünscht, in Kenilworth zu sein, und sich ihrem Gemahle zu nähern; nun aber, da sie in der Nähe Beider war, erhoben sich tausend Bedenklichkeiten, und quälten sie mit verdoppelten Zweifeln und Besorgnissen, wovon einige wirklich, andere eingebildet, und alle bei einer gleich hoffnungslosen und von Hülfe und Rath verlassenen Lage übertrieben waren.

Nach einer schlaflosen Nacht war die Dame am Morgen so schwach, daß sie nicht im Stande war, Wayland zu folgen, als er sie in aller Frühe zur Fortsetzung ihrer Reise aufforderte. Der treue Führer wurde sehr bekümmert wegen der Dame, sowie auch seinetwegen etwas unruhig, und war eben im Begriff allein nach Kenilworth zu gehen, in der Hoffnung, Tressilian zu entdecken, und ihm die Annäherung der Dame mitzutheilen, als er etwa um neun Uhr Vormittags zu ihr gerufen wurde. Er fand sie angekleidet, und bereit, ihre Reise fortzusetzen, doch zeigte sich eine Blässe in ihrem Gesichte, die ihn wegen ihrer Gesundheit besorgt machte. Sie sprach ihren Wunsch aus, die Pferde sogleich vorzuführen, und widerstand mit Ungeduld der Bitte ihrers Führers, vor ihrer Abreise einige Erfrischungen zu sich zu nehmen.

»Ich habe ein Glas Wasser getrunken,« sagte sie, »der Elende, welcher zur Hinrichtung geschleppt wird, bedarf keiner andern Stärkung, und was für ihn hinreicht, muß auch mir genug sein – thut, was ich Euch befehle.« Wayland zögerte noch immer. »Was wollt Ihr noch?« setzte sie hinzu – »habe ich nicht deutlich gesprochen?«

»Ja, gnädige Frau,« antwortete Wayland; »aber darf ich fragen, welches Euer weiterer Vorsatz ist? – Ich wünsche es nur zu wissen, damit ich mich nach Euern Wünschen richten kann. Das ganze Land ist in Bewegung und strömt nach dem Schlosse Kenilworth zu. Es würde schwer sein, dorthin zu kommen, selbst wenn wir die nöthigen Pässe hätten. – Unbekannt und ohne Beschützer könnte uns ein Unglück begegnen. – Ihre Herrlichkeit wird mir verzeihen, wenn ich meine Ansicht so offen ausspreche. – Wäre es nicht besser, wir suchten die Schauspieler wieder aufzufinden, und vereinigten uns mit ihnen?« – Die Gräfin schüttelte den Kopf, und ihr Führer setzte hinzu: »dann weiß ich nur noch ein anderes Mittel.«

»So sprich es aus,« sagte die Gräfin, der es vielleicht nicht unangenehm war, daß er ihr Rath anbot, da sie sich schämte, ihn darum zu befragen; »ich halte Dich für treu – welchen Rath wolltest Du mir geben?«

»Daß ich Herrn Tressilian die Nachricht bringen dürfte, daß Ihr an diesem Orte seid. Ich bin gewiß, daß er sogleich mit einigen von Lord Sussex' Begleitern zu Pferde steigen und für Eure persönliche Sicherheit sorgen würde.«

»Und mir gebt Ihr den Rath, mich unter den Schutz jenes Sussex zu begeben, des unwürdigen Nebenbuhlers des edlen Leicesters?« rief die Gräfin. Als sie dann sah, mit welchem Erstaunen Wayland sie anstarrte, und ihr Interesse an Leicester zu deutlich ausgesprochen zu haben fürchtete, setzte sie hinzu: »An Tressilian darf ich mich auch nicht wenden – nennt ihm meinen unglücklichen Namen nicht; es würde nur mein Mißgeschick verdoppeln und ihn in Gefahren verwickeln, aus denen er sich nicht würde befreien können.« Sie schwieg; doch als sie bemerkte, daß Wayland fortfuhr, sie mit dem ängstlichen und ungewissen Blicke anzusehen, worin der Zweifel zu liegen schien, ob sie auch wirklich bei gehörigem Verstande sei, nahm sie eine gesetzte Miene an und fügte hinzu: »Führe Du mich nur nach dem Schlosse Kenilworth, guter Mann, da ist Deine Aufgabe zu Ende und ich werde selber überlegen, was dann weiter zu thun ist. Du bist mir treu gewesen – hier ist Etwas, was Dich reichlich dafür belohnen wird.«

Sie bot dem Künstler einen Ring an, welcher einen kostbaren Stein enthielt.

Wayland blickte denselben an, zögerte einen Augenblick und gab ihn dann zurück. »Nicht, als ob ich zu stolz wäre, Eure Güte anzunehmen, gnädige Frau,« sagte er; »denn ich bin ein armer Kerl und, weiß Gott, oft genöthigt gewesen, von schwerer Arbeit zu leben. Und doch, mein alter Meister, der Hufschmied, pflegte zu seinen Kunden zu sagen: ohne Heilung kein Lohn. Wir sind noch nicht im Schlosse Kenilworth, und es ist Zeit genug, Euren Führer zu entlassen, wenn Ihr, wie man zu sagen pflegt, Eure Stiefel auszieht. Ich hoffe zu Gott, daß Euer Gnaden einer schicklichen Aufnahme, wenn Ihr ankommt, eben so gewiß sei, wie Ihr Euch meines Bemühens versichert halten könnt, Euch wohlbehalten dorthin zu führen. Ich gehe die Pferde zu holen; inzwischen laßt Euch von Eurem demüthigen Arzte und Führer noch einmal bitten, einige Nahrung zu Euch zu nehmen.«

»Ich will es – ich will es,« sagte die Dame hastig. »Geht, geht augenblicklich! – Es ist vergebens, mich kühn zu stellen,« sagte sie, als er das Zimmer verließ; »selbst dieser arme Kerl durchschaut meine Verstellung und kommt meiner Furcht auf den Grund.«

Dann versuchte sie dem Rathe ihres Führers zu folgen, und etwas Speise zu sich zu nehmen, war aber genöthigt davon abzustehen, denn das Bemühen, auch nur einen einzigen Bissen hinunterzubringen, verursachte ihr so große Beschwerde, daß sie beinahe daran erstickt wäre. Einen Augenblick später zeigten sich die Pferde vor dem Fenster – die Dame stieg auf und fand in der frischen Luft und der Bewegung die Stärkung, welche dieselben oft unter ähnlichen Umständen gewähren.

Es war ein Glück für den Zweck der Gräfin, daß Schmied Wayland, dessen früheres Wanderleben ihn fast mit ganz England bekannt gemacht hatte, alle Hauptstraßen und Nebenwege in der schönen Grafschaft Warwick kannte; denn so groß war die Volksmenge, die von allen Richtungen auf Kenilworth zuströmte, um den Einzug der Königin in jene glänzende Wohnung ihres ersten Günstlings mit anzusehen, daß die Hauptstraßen im eigentlichsten Sinne gesperrt waren, so daß sie nur auf Nebenwegen ihre Reise fortsetzen konnten.

Das Gedränge und die Verwirrung trugen indeß einen heitern Charakter an sich. Alle kamen, um zu sehen und sich zu freuen, und Alle lachten über unbedeutende Vorfälle, die sie zu anderer Zeit vielleicht zum Aerger gereizt hätten. Die Musikanten spielten zuweilen auf ihren Instrumenten – die Bänkelsänger summten für sich ihre Lieder – die Possenreißer sprangen halb wahnsinnig hin und her und schwangen ihre Narrenkappen – die Moriskentänzer klingelten mit ihren Schellen – die Bauern pfiffen und stießen ein Freudengeschrei aus – die Männer lachten laut und die Mädchen kicherten, während mancher plumpe Scherz gleich einem Weberschiff von einer Gesellschaft zur andern flog und von der entgegengesetzten Seite des Weges beantwortet wurde.

Es gibt keine ärgere Qual für ein niedergeschlagenes Gemüth, als in eine Scene lärmender Fröhlichkeit versetzt zu sein, die nur Mißtöne zu den Gefühlen desselben bildet. Der Gräfin von Leicester aber leistete der Lärm und Tumult dieser tollen Scene den traurigen Dienst, daß er sie von ihren eigenen Gedanken abzog, so daß es ihr unmöglich wurde, über ihr Elend zu brüten, oder über ihr bevorstehendes Geschick traurige Betrachtungen anzustellen. Sie ritt wie im Traume weiter und folgte unbedenklich Waylands Führung, der bald seinen Weg durch das Gedränge der Reisenden nahm, bald still stand, bis sich eine günstige Gelegenheit zeigte, wieder weiter zu kommen.

Auf diese Weise vermied er Warwick, in dessen Schlosse – dem schönsten Denkmal des alten ritterlichen Glanzes, welches noch vorhanden ist – Elisabeth die vorige Nacht zugebracht hatte, und wo sie bis nach zwölf Uhr verweilen wollte, zu welcher Zeit man damals in ganz England das Mittagessen einzunehmen pflegte, nach welchem sie sich nach Kenilworth begeben wollte. Inzwischen hatte jede vorübergehende Gruppe Etwas zum Lobe der Herrscherin zu sagen, obgleich nicht ganz ohne die gewöhnliche Beimischung der Satyre, die mehr oder weniger die Schätzung unserer Nachbarn beschränkt, besonders, wenn sie höher stehen, als wir.

»Hörtet Ihr,« sagte Einer, »wie gnädig sie mit dem Herrn Schultheiß und dem Registrator, so wie auch mit dem guten Herrn Griffin, dem Pfarrer, sprach, als sie vor ihrem Kutschenfenster niederknieten?«

»Ja, und wie sie zu dem kleinen Aglionby sagte: ›Herr Registrator, man hatte mich vielleicht überredet, daß Ihr Euch vor mir fürchtetet; doch Ihr habt mir wahrlich die Tugenden einer Monarchin so gut aufgezählt, daß ich mehr Grund habe, mich vor Euch zu fürchten.‹ – Und dann, mit welcher Anmuth sie die schön gestickte Börse mit den zwanzig Goldstücken empfing, sich stellte, als nehme sie sie ungern, sie aber doch nahm.«

»Ja, ja,« sagte ein Anderer, »sie drückte sie doch ganz willig mit den Fingern zusammen, und mich dünkt auch, daß sie sie eine Sekunde lang in der Hand wog, als wollte sie sagen: sie werden doch vollwichtig sein?«

»Das hatte sie nicht nöthig, Nachbar,« sagte ein Dritter; »nur wenn die Corporation einem armen Handwerker, wie ich bin, seine Rechnungen bezahlt, fertigen sie ihn mit beschnittenen Münzen ab. – Nun, es ist ein Gott, der über Alle geht. – Der kleine Herr Registrator, wie sie ihn nannte, wird jetzt größer sein, als je.«

»Ei, guter Nachbar,« sagte der Erste, »sei nicht neidisch. – Sie ist eine gute und gnädige Königin – sie gab die Börse dem Grafen von Leicester.«

»Ich neidisch? – wie kannst Du so ein Wort gegen mich gebrauchen?« erwiderte der Handwerker; »doch ich glaube, sie wird dem Grafen von Leicester bald Alles geben.«

»Ihr werdet unwohl, gnädige Frau,« sagte Wayland zu der Gräfin von Leicester, und machte den Vorschlag, sich von der Landstraße zu entfernen und still zu halten, bis sie sich wieder erholt habe. Doch indem sie ihre Gefühle bei diesen und ähnlichen Reden überwand, bestand sie darauf, daß ihr Führer die Reise nach Kenilworth mit aller Eile fortsetzen solle, wie es die zahlreichen Hindernisse nur gestatteten. Inzwischen nahm Waylands Besorgniß wegen ihres Unwohlseins und ihrer Geistesabwesenheit stündlich zu, und er wünschte sehr, das Schloß so bald als möglich zu erreichen, wo sie, wie er nicht zweifelte, einer gütigen Aufnahme gewiß sei, obgleich sie nicht sagen wollte, auf wen sie ihre Hoffnung setze.

»Wenn ich erst einmal aus dieser Gefahr bin,« dachte er, »und es findet mich Jemand wieder als den Führer eines irrenden Fräuleins, so soll er die Erlaubniß haben, mir das Gehirn mit meinem eigenen Schmiedehammer herauszuschlagen.«

Endlich zeigte sich das fürstliche Schloß, auf dessen Verbesserung, sowie auf die der umherliegenden Ländereien, der Graf von Leicester, wie man sagt, sechzigtausend Pfund Sterling soll verwendet haben – eine Summe, die nach heutigem Gelde eine halbe Million beträgt.

Die äußere Mauer dieses glänzenden riesenhaften Gebäudes umschloß einen Raum von sieben Morgen Landes. Ein Theil davon war mit großen Ställen bebaut; auf der andern Seite befand sich ein Lustgarten mit beschnittenen Baumgängen und Terrassen, und den übrigen Raum nahm der große Hofplatz des Schlosses ein. Der treffliche Palast selber, welcher sich etwa in der Mitte des eingeschlossenen Raumes befand, bestand aus einer ungeheuren Anhäufung prächtiger, mit Zinnen versehener Gebäude, dem Anscheine nach aus verschiedenen Zeitaltern, die einen inneren Hof einschlossen. Jeder Theil dieser prächtigen Masse hatte einen besondern Namen und führte das Wappen eines der mächtigen Häuptlinge, welche längst dahin geschieden waren, und deren Geschichte, wenn der Ehrgeiz derselben sein Ohr geliehen, dem hochmüthigen Günstling eine Lehre hätte geben können, welcher jetzt die schöne Besitzung erworben hatte und sie verbesserte. Ein großes massives Castell, welches die Citadelle des Schlosses bildete, war von ungewissem, aber großem Alter. Es führte Cäsars Namen, vielleicht wegen der Aehnlichkeit des im Tower befindlichen desselben Namens. Einige Alterthumsforscher setzen die Gründung des Schlosses in die Zeit Kenelph's, eines angelsächsischen Königs von Mercia, von dem es seinen Namen hat, und andere in eine frühere Periode nach der normännischen Eroberung. Die äußeren Mauern trugen das Wappen Clinton's, von dem sie unter der Regierung Heinrichs des Ersten und des noch mehr gefürchteten Simon von Monfort erbaut wurden, welcher während der Kriege der Barone Kenilworth lange gegen Heinrich den Dritten hielt. Mortimer, Graf von March, gleich berühmt durch sein Steigen, wie durch seinen Fall, hatte hier einst fröhliche Gelage gehalten, während sein abgesetzter Oberherr Eduard der Zweite in dem Kerker schmachtete. Der alte Johann von Gaunt, der durch die Zeit geehrte Lancaster, hatte das Schloß sehr erweitert und jenes herrliche massive Gebäude aufgeführt, welches noch jetzt den Namen Lancaster trägt. Leicester selber hatte die früheren Besitzer, so fürstlich und mächtig sie auch waren, dadurch übertroffen, daß er noch ein anderes ungeheures Gebäude errichten ließ, welches jetzt in Trümmern daliegt, ein Denkmal des Ehrgeizes seines Besitzers. Die äußere Mauer dieses königlichen Schlosses war auf der Süd- und Westseite von einem künstlichen See umgeben, über welchen Leicester eine prächtige Brücke hatte schlagen lassen, damit Elisabeth auf einem bisher unbetretenen Wege in das Schloß einziehen könne. Der gewöhnliche Eingang befand sich auf der Nordseite, über welchen er einen Thorweg hatte errichten lassen, der an Größe und Pracht den Wohnsitz manches nördlichen Häuptlings übertraf.

Jenseits des Sees befand sich ein großer Park voll von Wild jeder Art, und reich an hohen Bäumen, über welche die massiven Thürme des Schlosses in Majestät und Schönheit hervorragten. Wir müssen hinzusetzen, daß dieser fürstliche Palast, wo Könige ihre Gelage hielten, und Helden fochten, bald im blutigen Ernst der Belagerung, und bald in ritterlichen Spielen, wo die Schönheit den Preis austheilte, den die Tapferkeit gewonnen hatte, jetzt ganz verwüstet ist. Der See ist jetzt weiter nichts, als ein mit Schilf und Binsen bewachsener Sumpf, und die massiven Ruinen des Schlosses dienen nur dazu, um zu zeigen, welches einst der Glanz desselben gewesen, und dem nachdenkenden Besucher die Vergänglichkeit der menschlichen Besitzungen vor Augen zu stellen, sowie das Glück derer, die sich eines demüthigen Looses in tugendhafter Zufriedenheit erfreuen.

Mit sehr verschiedenen Gefühlen betrachtete die unglückliche Gräfin von Leicester jene grauen und massiven Thürme, als sie dieselben zuerst erblickte, wie sie sich über den schattigen Wald erhoben, den sie zu beherrschen schienen. Sie, die rechtmäßige Gemahlin des großen Grafen, des mächtigen Günstlings der Königin Englands, näherte sich ihrem Gemahl und der Herrscherin ihres Gemahls mehr unter dem Schutze, als unter der Leitung eines armen Gauklers; und obgleich rechtmäßige Herrin jenes stolzen Schlosses, deren leisestes Wort die Macht hätte haben sollen, die massiven Thore um ihre Angeln drehen zu machen, um sie zu empfangen, konnte sie sich dennoch die Schwierigkeit und die Gefahr nicht bergen, die ihrem Einlaß in ihre eigenen Hallen entgegenstanden.

Die Schwierigkeit und Gefahr schien jeden Augenblick zuzunehmen und endlich ihr Fortschreiten an dem großen Thor gänzlich zu hemmen, welches zu einem breiten Wege führte, der den Park durchschnitt, und mehrere sehr schöne Aussichten auf das Schloß und den See gewährte.

Dieses Thor, welches auf die Landstraße nach Warwick hinausführte, war von einer Abtheilung königlicher Gardisten besetzt, welche reichverzierte und vergoldete Brustharnische und Helme statt der Mützen trugen. Diese Garde, welche überall sein mußte, wo die Königin in Person erschien, war dort unter dem Oberbefehl eines Herolds aufgestellt, welcher das Schild mit dem Bären und dem Knotenstab an seinem Arme trug, und dadurch bewies, daß er dem Grafen von Leicester angehöre. Dieser verweigerte Allen den Zutritt, mit Ausnahme Solcher, die als Gäste zu der Festlichkeit eingeladen waren, welche eine Rolle bei den beabsichtigten Vorstellungen zu spielen hatten.

Das Gedränge war daher am Eingange sehr groß, und Leute verschiedener Art gaben Gründe an, weshalb man sie einlassen müsse, worauf aber die Garde nicht hörte, sondern sich bei schönen Worten und selbst bei schönen Anerbietungen auf den ausdrücklichen Befehl der Königin berief, welche jedes rohe Gedränge verabscheue. Bei Solchen, denen vernünftige Gründe nicht genügten, wendeten sie strengere Maßregeln an, drängten sie mit ihren starken Pferden zurück und versetzten ihnen Stöße mit den Kolben ihrer Carabiner. Dieses letzte Manöver brachte Bewegungen unter der Volksmenge hervor, die Wayland zu der Furcht veranlaßten, er möge in dem Gedränge von seiner Begleiterin getrennt werden. Auch wußte er nicht, welchen Vorwand er gebrauchen solle, um Einlaß zu erhalten, und er überlegte eben die Sache bei sich selber, als der Herold des Grafen ihn in's Auge faßte, und zu seinem nicht geringen Erstaunen ausrief: »Heda, Gardisten, macht Platz für den Kerl in dem orangefarbigen Mantel! – Vorwärts, mein guter Hanswurst,« rief er Wayland zu, »und beeile Dich. Was in des Teufels Namen hält Dich noch zurück? Komm näher mit Deinem Weibsbild da.«

Während der Herold Wayland diese dringende, aber nicht eben höfliche Einladung ertheilte, konnte er sich in der ersten Minute noch nicht denken, daß dieselbe an ihn gerichtet sei. Die Gardisten machten ihm sogleich Platz, und während er seiner Begleiterin rieth, ihr Gesicht sorgfältig mit dem Schleier zu bedecken, ritt er in das Thor und führte ihr Pferd am Zügel, doch mit so ängstlichen und niedergeschlagenen Blicken, daß die Menge, welcher der ihnen gegebene Vorzug nicht recht gefiel, ihren Einlaß mit lautem Zuruf und Hohngelächter begleitete.

So in den Park eingelassen, obgleich nicht mit großer Auszeichnung, ritt Wayland mit seiner Begleiterin weiter, und überdachte, welche Schwierigkeiten sich ihnen jetzt entgegenstellen würden. An jeder Seite des breiten Baumganges stand eine lange Reihe Trabanten mit Schwertern und Partisanen bewaffnet, in der Livrée des Grafen von Leicester, welche sein Wappenschild, den Bären und den Knotenstab, auf den Armen trugen, Jeder drei Schritte von dem Andern entfernt, so daß die ganze Linie von dem Eingange des Parks bis zur Brücke besetzt war. Und als die Dame zuerst das ganze Schloß übersah, dessen stattliche Thürme sich aus einer langen Linie äußerer Mauern erhoben, alle die Zinnen, Thürmchen, Fahnen, Helmbüsche, und die ganze bunte und prächtige Scene überblickte, da sank ihr der Muth, und auf einen Augenblick fragte sie sich selber, was sie denn Leicester habe bieten können, um die Theilnehmerin dieses fürstlichen Glanzes zu werden? Doch ihr Stolz und ihr edler Geist widerstanden den Einflüsterungen der Verzweiflung.

»Ich habe ihm Alles gegeben, was ein Weib zu geben hat,« sagte sie; »Name und Ruf, Herz und Hand habe ich dem Besitzer all' dieser Pracht am Altar gegeben, und selbst Englands Königin könnte ihm nicht mehr bieten. Er ist mein Gemahl, – ich bin sein Weib, – was Gott verbunden hat, kann der Mensch nicht trennen. Ich will kühn mein Recht fordern, um so kühner, da ich so unerwartet und auf so trostlose Weise komme. Ich kenne meinen edlen Dudley wohl! Er wird etwas ungeduldig sein, wegen meines Ungehorsams; doch Emma wird weinen und Dudley ihr verzeihen.«

Diese Betrachtungen wurden durch einen Schrei des Erstaunens von ihrem Führer Wayland unterbrochen, der sich plötzlich um den Leib von einem Paar langer, dünner, schwarzer Arme ergriffen fühlte, die Jemandem gehörten, der sich von einer Eiche auf das Hintertheil seines Pferdes niedergelassen hatte, während die Schildwachen ein lautes Gelächter ausstießen.

»Dies muß der Teufel oder Flibbertigibbet sein,« sagte Wayland, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, sich von ihm loszumachen, und den Zwerg, der sich an ihm fest hielt, vom Pferde zu werfen; »tragen alle Eichen zu Kenilworth solche Eicheln?«

»Gewiß, Herr Wayland, das thun sie,« sagte der unerwartete Ankömmling, »und noch viele andere, die zu hart für Euch zu knacken sind, so alt Ihr auch seid, ohne daß ich es Euch lehre. Wie würde Euch auch der Herold eingelassen haben, hätte ich ihm nicht gesagt, daß unser erster Hanswurst nachfolge? Und hier habe ich auf Euch gewartet, bin auf den Baum geklettert und jetzt, glaube ich, sind sie Alle toll, weil ich ihnen fehle.«

»Dann bist Du in vollem Ernste ein Stück vom Teufel,« sagte Wayland. »Ich gebe Dir nach, guter Bursche, und will nach Deinem Rathe handeln, doch mußt Du auch so gnädig sein, wie Du mächtig bist.«

Während er sprach, näherten sie sich einem starken Thurme am südlichen Ende der erwähnten langen Brücke, welcher dazu diente, den äußeren Thorweg des Schlosses Kenilworth zu decken.

Unter so ungünstigen Umständen und in so seltsamer Begleitung näherte sich die Gräfin von Leicester zum ersten Male der prächtigen Wohnung ihres Gemahls.

 

Ende des zweiten Theiles.

 



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