Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Ist meine Schönheit auch geringe nur,
Und nicht geachtet dort am stolzen Hof,
Warum entferntest Du mich, böser Graf,
Aus jener Hall', wo man sie hoch geachtet?
Du eilest nicht mehr mit gewohnter Hast,
Die einst geliebte Gattin zu besuchen;
Denn ob sie lebend oder todt, fürcht' ich,
Ist Dir bereits gleichgültig, trotz'ger Graf.

Cumnor Hall von Mickle.

Die Damen nach der gegenwärtigen Mode, oder der jeder andern Zeit, hätten eingestehen müssen, daß die junge liebenswürdige Gräfin von Leicester außer ihrer Jugend und Schönheit noch zwei Eigenschaften besaß, die sie zu einer Stelle unter Damen von Rang und Auszeichnung berechtigten. Wie wir aus der Unterredung mit dem Hausirer gesehen haben, zeigte sie eine freigebige Bereitwilligkeit, unnütze Einkäufe zu machen, bloß des Vergnügens wegen, nutzlose und schimmernde Dinge zu besitzen, die ihr im Augenblicke des Besitzes nicht mehr gefielen; außerdem verstand sie die Kunst, einen beträchtlichen Theil des Tages mit ihrem Putze hinzubringen, obgleich die wechselnde Pracht ihrer Kleidung nur ein halb satyrisches Lob von der strengen Jeannette, oder selbstgefällige Blicke hervorzurufen vermochte, die ihr aus ihren schönen Augen triumphirend aus dem Spiegel entgegenlächelten. Die Gräfin Emma hatte indeß, in Hinsicht ihres eitlen Geschmackes, gerechte Ansprüche auf Nachsicht, weil die Erziehung jener Zeit wenig oder nichts für ihren Geist gethan hatte, der von Natur lebhaft und zu Studien wenig aufgelegt war. Hätte sie nicht Freude am Putze gehabt, so würde sie Tapeten gewebt, oder Stickereien verfertigt haben, bis die Arbeit ihrer Hände alle Wände und Sitze in Lidcote Hall bis zum Ueberfluß ausgeschmückt hätte; oder sie hätte sich, anstatt mit Minervens Arbeiten, zur Abwechselung mit der Zubereitung eines trefflichen Puddings beschäftigt, um Sir Hugh Robsart bei seiner Rückkehr aus dem Walde damit zu bewirthen. Doch Emma hatte keinen Sinn für den Webstuhl, die Nadel oder das Kochbuch. Ihre Mutter war früh gestorben; ihr Vater hatte ihr in nichts widersprochen, und Tressilian, der Einzige in ihrer Umgebung, dem es weder an Fähigkeit noch gutem Willen fehlte, ihren Geist zu bilden, hatte seinem Interesse bei ihr dadurch geschadet, daß er zu häufig den Ton des Lehrers annahm, so daß er von dem lebhaften, verzogenen, eitlen Mädchen zwar geachtet, aber zugleich auch gefürchtet wurde, und sie wenig oder nichts von dem sanften Gefühle an den Tag legte, welches er ihr so gern eingeflößt hätte. So war ihr Herz leicht geöffnet und ihre Neigung gleich gefesselt durch das edle Aeußere, das anmuthige Wesen und die Schmeicheleien Leicesters, noch ehe sie ihn als den Günstling des Reichthums und der Macht kannte.

Die häufigen Besuche Leicesters zu Cumnor, im Anfange ihrer Verbindung, hatten die Gräfin mit der Einsamkeit und Abgeschiedenheit ausgesöhnt, wozu sie verurtheilt war. Als diese Besuche aber immer seltener und seltener wurden, und diese Lücken mit Entschuldigungsschreiben ausgefüllt wurden, die nicht immer in den wärmsten Ausdrücken abgefaßt und gewöhnlich sehr kurz waren, da zogen Mißvergnügen und Argwohn in die glänzenden Gemächer ein, welche die Liebe für die Schönheit eingerichtet hatte. Ihre Antworten an Leicester sprachen die Gefühle zu unverholen aus, und sie bat ihn dringend, obgleich nicht auf kluge Weise, sie durch die Anerkennung ihrer Verbindung aus dem verborgenen und abgeschiedenen Aufenthalte zu erlösen. Indem sie alle Gründe mit der ihr zu Gebote stehenden Geschicklichkeit auseinandersetzte, vertraute sie vorzüglich der Innigkeit ihrer Bitten, womit sie ihre Wünsche aussprach. Zuweilen wagte sie sogar Vorwürfe einzumischen, worüber sich Leicester mit Recht beklagen zu können glaubte.

»Ich habe sie zur Gräfin gemacht,« sagte er zu Varney, »sie könnte doch wohl warten, bis es mir gefällt, ihr die Grafenkrone aufzusetzen.«

Die Gräfin Emma sah die Sache aus dem entgegengesetzten Gesichtspunkte an.

»Was hilft es mir,« sagte sie, »Rang und Ehre zu besitzen, wenn ich doch als eine unbekannte Gefangene leben muß, ohne Gesellschaft und ohne die mir gebührende Auszeichnung, als ob ich eine Person von zweifelhaftem Rufe wäre? Es liegt mir nichts an jenen Perlenschnüren, Jeannette, womit Du mich ärgerst, wenn Du sie mir in's Haar flichst. Ich sage Dir, wenn ich mir zu Lidcote Hall eine frische Rosenknospe in's Haar steckte, da rief mich mein guter Vater zu sich, um sie näher anzusehen, und der gute alte Pfarrer lächelte, und Herr Mumblazen sagte Etwas von den Rosen in den Wappen; und jetzt sitze ich hier, wie ein Götzenbild mit Gold und Edelsteinen bedeckt, und Niemand, als Du, Jeannette, ist da, um meinen Putz zu bewundern. Dort war auch der arme Tressilian – doch es nützt nicht von ihm zu reden.«

»Das ist wahr, Madame,« sagte die kluge Dienerin, »und in der That wünsche ich zuweilen, Ihr möchtet nicht so oft und unvorsichtig von ihm reden.«

»Es ist unnütz, mich zu warnen, Jeannette – ich bin frei geboren, obgleich jetzt eingeschlossen, mehr einer schönen fremden Sclavin gleich, als der Gattin eines englischen Edelmannes. Ich ertrug Alles mit Vergnügen, so lange ich überzeugt war, daß er mich liebte; aber jetzt sollen Zunge und Herz frei sein – mag man auch meine Glieder in Fesseln legen. – Ich sage Dir, Jeannette, ich liebe meinen Gatten, ich werde ihn bis zum letzten Athemzuge lieben – ich kann nicht aufhören, ihn zu lieben, wenn ich auch wollte, oder wenn er, was, Gott weiß es, wohl geschehen kann – aufhören sollte, mich zu lieben, doch ich sage es laut heraus, ich wäre glücklicher gewesen, als ich jetzt bin, wenn ich in Lidcote Hall geblieben wäre, selbst wenn ich den armen Tressilian hätte heirathen müssen, mit dem schwermüthigen Blicke und dem Kopfe voll Gelehrsamkeit, um die ich mich nicht kümmerte. Er sagte, wenn ich seine Lieblingsbücher nicht lesen wollte, es würde eine Zeit kommen, wo ich es gern thun würde – ich glaube, sie ist schon jetzt gekommen.«

»Ich habe Euch einige Bücher gekauft,« sagte Jeannette, »von einem lahmen Kerl, der sie auf dem Markte feil hatte, und mich etwas unverschämt anblickte.«

»Laß mich sie sehen, Jeannette,« sagte die Gräfin; »aber es müssen keine von Euren pietistischen Büchern sein. – Was ist dies, mein frommes Dämchen? – ›Eine Lichtscheere für den goldenen Leuchter‹ – ›eine Handvoll Myrrhen und Ysop, um eine kranke Seele zur Besserung zu führen‹ – ›ein Trunk Wasser aus dem Thale von Baca‹ – ›Füchse und Feuerbrände.‹ – Wie nennst Du diese Lectüre, Mädchen?«

»Es schien mir anständig und geziemend, die Gnade Gottes auf Ihrer Herrlichkeit Weg zu streuen,« sagte Jeannette; »doch bei Euch will nichts anschlagen. Hier, glaube ich, sind auch Schauspiele und Gedichte.«

Die Gräfin blätterte sorglos in den seltenen Büchern, die heutiges Tages zwanzig Antiquare reich machen würden. Da war Boke von der Kochkunst, gedruckt bei Richard Lant, und Skeltons Bücher – der Zeitvertreib des Volks – das Schloß der Kenntnisse u. s. w. Aber auch an diesen fand die Gräfin keinen Geschmack; freudig sprang sie von der leeren Beschäftigung auf, die Flugschriften zu durchblättern, und warf sie auf den Boden hin, als sie den raschen Hufschlag von Pferden im Hofe vernahm, eilte an's Fenster und rief: »Es ist Leicester! – Es ist mein edler Graf! – Es ist mein Dudley! – Jeder Hufschlag seines Pferdes tönt mir wie himmlische Musik!«

Es entstand ein kurzes Geräusch im Hause; dann trat Foster mit gesenktem Blicke und mürrischem Wesen in's Zimmer und sagte, Herr Richard Varney komme von Mylord; er sei die ganze Nacht durch geritten und wünsche unverzüglich mit der Gräfin zu sprechen.

»Varney! – und mit mir sprechen? – Pah! – Aber er bringt mir Nachrichten von Leicester – laßt ihn augenblicklich eintreten.«

Varney trat in ihr Ankleidezimmer, wo sie in ihrer natürlichen Liebenswürdigkeit saß, geschmückt mit Allem, was Jeannettens Kunst und ein reiches geschmackvolles Negligée leisten konnte. Doch der schönste Theil ihres Schmuckes bestand in der Fülle ihrer lichtbraunen Locken, die üppig über ihren Schwanenhals auf den von ängstlicher Erwartung gehobenen Busen herabwallten.

Varney trat in derselben Kleidung in's Zimmer, in welcher er am vorigen Tage seinen Gebieter an den Hof begleitet hatte. Der Glanz derselben bildete einen seltsamen Contrast zu der Unordnung, in die sein Anzug durch den nächtlichen Ritt und die schmutzigen Wege gerathen war. Seine Gesichtszüge trugen das Gepräge ängstlicher Eile, wie man sie bei Leuten zu bemerken pflegt, die eine Botschaft zu überbringen haben, wofür sie eine unfreundliche Aufnahme fürchten, und dennoch von der Nothwendigkeit, dieselbe mitzutheilen, überzeugt sind. Sein Anblick erfüllte die Gräfin mit großer Angst und sie rief ihm entgegen: »Ihr bringt Nachrichten von Mylord, Herr Varney? – Gerechter Himmel, ist er krank?«

»Dem Himmel sei Dank, nein, Madame,« sagte Varney, »faßt Euch und erlaubt mir Athem zu schöpfen, ehe ich meinen Auftrag ausrichte.«

»Athem schöpfen, Herr?« versetzte die Dame ungeduldig, »ich kenne Eure Theaterkünste. Da Euer Athem ausgereicht hat, Euch hieher zu bringen, so wird er auch ausreichen, mir wenigstens der Hauptsache nach Euren Auftrag mitzutheilen.«

»Gnädige Frau,« antwortete Varney, »wir sind nicht allein, und Mylords Botschaft ist nur für Euer Ohr bestimmt.«

»Entfernt Euch, Jeannette und Herr Foster,« sagte die Dame, »aber bleibt im nächsten Zimmer, so daß ich Euch rufen kann.«

Foster und seine Tochter zogen sich auf Befehl der Gräfin in das anstoßende Zimmer zurück. Die Thüre, welche vom Schlafzimmer dorthin führte, wurde nun sorgfältig verschlossen und verriegelt, und Vater und Tochter harrten in angstvoller Erwartung, der Erstere mit finstern, argwöhnischen Blicken, Jeannette aber mit gefalteten Händen und einem Ausdrucke, der den Wunsch auszusprechen schien, das Schicksal ihrer Gebieterin zu erfahren, und zugleich andeutete, daß sie ein Gebet für ihr Wohl zum Himmel sende. Anton Foster schien einigermaßen zu begreifen, was in der Seele seiner Tochter vorging, denn als er durch's Zimmer schritt, faßte er ängstlich ihre Hand und sagte: »Das ist recht, Jeannette, bete, bete! – Wir Alle bedürfen des Gebets, doch Einige von uns mehr als Andere. Bete, Jeannette; ich selber würde beten, doch ich muß hören, was da drinnen vorgeht. – Böse Dinge sind im Werke, mein Kind – böse Dinge sind im Werke! Gott vergebe uns unsere Sünden, aber Varney's plötzliche und seltsame Ankunft bedeutet nichts Gutes.«

Jeannette war noch nie von ihrem Vater aufgefordert, noch ihr von ihm erlaubt worden, auf Etwas zu achten, was in ihrer geheimnißvollen Familie vorging, und jetzt, da er es that, klang ihr seine Stimme – sie wußte nicht, wie es kam – wie Eulengeschrei in die Ohren, welches eine That des Schreckens und Entsetzens verkündete. Sie richtete ihre Augen furchtsam auf die Thüre, als ob sie von dorther Töne des Schreckens, oder einen Anblick zu erwarten habe.

Doch Alles war still, wie das Grab, und die Stimmen Derer, welche im innern Zimmer sprachen, wenn sie überhaupt sprachen, waren so gedämpft, daß man sie in dem anstoßenden nicht vernehmen konnte. Plötzlich aber hörte man sie schnell und lebhaft reden und gleich darauf rief die Gräfin im höchsten Unwillen: »Oeffnet die Thüre, mein Herr! ich befehle Euch, öffnet die Thüre. – Ich will keine andere Erwiderung!« fuhr sie fort, indem ihre Heftigkeit die Worte übertönte, welche Varney mit leiser und gedämpfter Stimme zu erwidern schien. »Ihr da draußen!« rief sie mit Angstgeschrei, »Jeannette, rufe das Haus zusammen! Foster, erbrecht die Thüre! Ein Verräther hält mich hier zurück! – Braucht Aexte und Hebel, Herr Foster – ich stehe für Alles!«

»Das wird nicht nöthig sein, gnädige Frau,« hörte man endlich Varney deutlich sagen. »Wenn es Euch beliebt, Eure und Mylords wichtigste Angelegenheit vor Jedermanns Ohren zu bringen, so will ich Euch nicht daran verhindern.«

Die Thüre wurde aufgeschlossen und geöffnet; Jeannette und ihr Vater stürzten hinein, begierig die Veranlassung zu diesen wiederholten Ausrufungen zu vernehmen.

Als sie in's Zimmer traten, stand Varney mit zusammengebissenen Zähnen an der Thüre, und einem Ausdrucke im Gesicht, woran Wuth, Schaam und Furcht Antheil hatten. Die Gräfin stand mitten im Zimmer, wie eine jugendliche Pythia im Augenblicke der Begeisterung. Die Adern auf ihrer schönen Stirn waren zu blauen Linien angeschwollen – ihre Wangen und ihr Hals glühten wie Scharlach – ihre Augen sprühten, gleich denen eines gefangenen Adlers, Feuer auf den Feind, den er nicht erreichen kann. Wäre es möglich, daß eine Grazie zu einer Furie werden könnte, so hätten ihre Gesichtszüge nicht größere Schönheit mit so viel Haß, Verachtung, Trotz und Unwillen verbinden können. Ihre Haltung und ihre Geberden entsprachen dem Ausdrucke ihrer Stimme und ihrer Blicke, und gewährten im Vereine mit diesen einen eben so schönen, als furchtbaren Anblick – so viel Hoheit hatte die Mischung energischer Leidenschaft mit der natürlichen Liebenswürdigkeit der Gräfin Emma vereinigt. Sobald die Thüre geöffnet wurde, eilte Jeannette auf ihre Gebieterin zu, und langsamer, aber mit schnellerer Bewegung als gewöhnlich ging Anton Foster zu Richard Varney hin.

»Um Gotteswillen, was fehlt Euch, gnädige Frau?« fragte die Erstere.

»Was, im Namen des Teufels, habt Ihr gethan?« sagte Foster zu seinem Freunde.

»Wer, ich? – nichts,« antwortete Varney mit gesenktem Kopfe und mürrischem Ausdrucke; »ich habe ihr nur die Befehle ihres Herrn mitgetheilt; wenn die Dame denselben nicht gehorchen will, so wird sie sich wahrscheinlich besser deshalb zu verantworten wissen, als ich zu thun im Stande bin.«

»Nun, beim Himmel! Jeannette,« sagte die Gräfin, »der falsche Verräther lügt! Er muß nothwendig lügen, denn was er sagt gereicht zur Schande meines edlen Herrn – er muß nothwendig zwiefach lügen, denn er sucht eigene Zwecke zu erreichen, die gleich abscheulich und unerreichbar sind.«

»Ihr habt mich mißverstanden, Mylady,« erwiderte Varney mit einer Art von mürrischer Unterwürfigkeit und Entschuldigung; »laßt die Sache ruhen, bis Eure Leidenschaft sich gelegt hat, dann will ich Euch Alles erklären.«

»Du sollst nimmer die Gelegenheit dazu haben,« sagte die Gräfin. – »Sieh' ihn an, Jeannette. Er ist schön gekleidet, hat das Ansehen eines Edelmannes und kommt hieher mich zu überreden, es sei Mylords Wunsch – oder vielmehr meines Gemahls Befehl, mich in seiner Begleitung nach Kenilworth zu begeben, um vor der Königin und den Edlen des Landes, ja selbst in Gegenwart meines eigenen mir angetrauten Gemahls, ihn – ihn dort – den Kleider- und Schuhputzer – ihn, ihn, Mylords Lakaien, als meinen Herrn und ehelichen Gemahl anzuerkennen. Großer Gott! wenn ich später meine Rechte und meinen Rang geltend machen wollte, so würde ich ja durch solche entehrende Handlung gegen mich selber die Waffen liefern, die meine Rechte bis auf die Wurzel vertilgen und mich meiner Stellung unter Englands edelsten Frauen auf immerdar unwürdig machen würden.«

»Ihr hört es, Foster, und auch Ihr, junges Mädchen, was diese Dame sagt,« antwortete Varney, indem er die Pause benutzte, welche die Gräfin in ihrer Anklage gegen ihn mehr aus Mangel an Athem, als an Stoff zu machen genöthigt war. »Ihr hört es nun selber, daß die gnädige Frau in ihrer Hitze mir eine Maßregel vorwirft, welche Mylord, um gewisse Dinge noch geheim zu halten, ihr selber anräth in jenem Briefe, den Ihr in ihren Händen seht.«

Foster versuchte nun, seinem Berufe gemäß, eine gebührende Amtsmiene anzunehmen. »Nein, Mylady,« sagte er, »Ihr ereifert Euch zu sehr, einen solchen Betrug kann man nicht gänzlich verdammen, wenn er in gerechter Absicht angewendet wird. Selbst der Patriarch Abraham gab Sarah für seine Schwester aus, als sie nach Aegypten zogen.«

»Ja, Herr,« antwortete die Gräfin; »aber Gott strafte diesen Betrug selbst an dem Stammvater seines auserwählten Volkes durch den Mund des Heiden Pharao. Pfui pfui über Euch, wenn Ihr die heilige Schrift nur leset, um Dinge herauszuheben, die uns zur Warnung, nicht zum Beispiel aufgestellt sind!«

»Aber Sarah widerstrebte nicht dem Willen ihres Gemahls,« entgegnete Foster, »sondern that wie Abraham befahl, und nannte sich seine Schwester, auf daß es ihm wohlergehe um ihretwillen, und seine Seele am Leben bleibe um ihrer Schönheit willen.«

»Der Himmel verzeihe mir meinen unnützen Aerger,« antwortete die Gräfin, »Du bist ein eben so frecher Heuchler, wie jener Mensch dort ein schamloser Betrüger ist. Nie würde ich glauben, daß der edle Dudley seine Einwilligung gab zu einem so unwürdigen und entehrenden Plane. So verfahre ich mit seinem niedrigen Antrage, wenn er wirklich der seinige ist, und vertilge die letzte Erinnerung an ihn!«

Mit diesen Worten zerriß sie Leicesters Brief, und stampfte in heftiger Aufregung mit den Füßen darauf, als wollte sie die kleinen Stücke, in die sie denselben verwandelt hatte, bis auf die letzte Spur vernichten.

»Seid Zeugen,« sagte Varney, als er sich etwas mehr gefaßt hatte, »sie hat Mylords Brief zerrissen, um mir die Erfindung des darin enthaltenen Planes zur Last zu legen, als hätte ich meinen Vortheil darin gesucht, obgleich ich nichts als Mühe und Gefahr davon habe.«

»Du lügst, treuloser Sclave!« rief die Gräfin Emma, trotz Jeannettens Bemühungen, sie zum Schweigen zu bewegen, weil diese wohl voraussah, daß sie ihm durch ihre Heftigkeit nur Waffen liefern wurde. »Du lügst!« fuhr sie fort, – »laß mich, Jeannette! und wäre es das letzte Wort in meinem Leben – er lügt! – Nur seine eigenen schändlichen Absichten hat er vor Augen und würde sie mir noch offener dargelegt haben, hätte mir mein Zorn gestattet, noch länger zu schweigen, was ihn anfangs ermuthigte, sein niederträchtiges Vorhaben zu enthüllen.«

»Gnädige Frau,« sagte Varney, der ungeachtet seiner Frechheit in einiger Verlegenheit war, »ich bitte Euch zu glauben, daß Ihr im Irrthume seid.«

»Eher wollte ich glauben, daß das Licht zur Finsterniß geworden sei. Habe ich etwa aus dem Strome der Vergessenheit getrunken? Erinnere ich mich nicht schon früherer Liebesanträge, die, wenn Leicester sie erfahren hätte, Dich an den Galgen gebracht haben würden, anstatt zu der Ehre seines vertrauten Umganges? – Ich wollte, ich wäre nur auf fünf Minuten ein Mann! Dieser kurze Zeitraum würde hinreichen, einen Feigling, wie Du, zum Geständniß seiner Niederträchtigkeit zu bringen. Aber geh – mach', daß Du fortkommst – sage Deinem Herrn, wenn ich den schändlichen Weg einschlagen wollte, zu dem ein solcher Betrug, wie Du ihn angerathen, mich nothwendig führen müßte, ich ihm einen des Namens würdigen Nebenbuhler geben würde. Er soll nicht durch einen jämmerlichen Lakaien verdrängt werden, dessen größtes Glück darin besteht, ein altes Kleid seines Herrn zu erhaschen, ehe es ganz abgetragen ist, und der höchstens die Augen einer Dienstmagd zu blenden vermag, indem er die abgetragenen Schuhe seines Herrn mit neuen Bandschleifen schmückt. Fort, fort! ich verachte Dich so sehr, daß ich mich schäme, über Dich in Zorn gerathen zu sein.«

Varney verließ das Zimmer in stummer Wuth. Ihm folgte Foster, dessen von Natur langsame Begriffe von der Gewalt des Zornes und den heftigen Ausbrüchen des Unwillens überwältigt waren, die er zum ersten Male aus dem Munde eines Wesens hörte, welches ihm bisher zu sanft und nachgiebig erschienen war, um einem unwilligen Gedanken Raum zu geben, oder einen ungemäßigten auszusprechen. Foster folgte Varney auf dem Fuße nach, und drang mit Fragen in ihn, welche dieser nicht erwiderte, bis sie an der entgegengesetzten Seite des Gebäudes in dem alten Bibliothekzimmer angelangt waren. Hier wandte er sich an seinen unermüdlichen Verfolger und redete ihn in ziemlich ruhigem Tone an; denn der kurze Weg war hinreichend gewesen, einem in der Verstellungskunst so erfahrenen Mann Zeit zu geben, sich zu fassen und seine Geistesgegenwart wieder zu gewinnen.

»Tony,« sagte er mit seinem gewöhnlichen spöttischen Lächeln, »wozu soll ich es leugnen? das Weib und der Teufel, wie Dein Orakel Holdforth Dir bestätigen wird, betrogen den Mann schon bei Erschaffung der Welt, und haben sich heute mächtiger bewiesen, als meine Weltklugheit. Jener kleine Teufel sah so verführerisch aus und besaß die Kunst, ihr Gesicht so natürlich zu verstellen, während ich Mylords Botschaft mittheilte, daß ich meiner Treu glaubte, ich könne wohl ein Wort für mich selber reden. Sie glaubt jetzt meinen Kopf in der Schlinge zu haben, doch sie täuscht sich. – Wo ist der Doctor Alasco?«

»In seinem Laboratorium,« antwortete Foster; »zu dieser Stunde läßt er nicht mit sich reden – wir müssen warten, bis der Mittag vorüber ist, oder wir stören ihn in seinen wichtigen – was sage ich, wichtigen? – ich wollte sagen in seinen göttlichen Studien.«

»Ja, er studirt die Göttlichkeit des Teufels,« sagte Varney – »doch wenn ich seiner bedarf, muß ihm eine Stunde so gelegen sein, wie die andere. Führe mich in sein Teufelsnest.«

So sprach Varney und folgte Foster mit hastigen und unruhigen Schritten, der ihn durch geheime, zum Theil ganz verfallene Gänge zu der entgegengesetzten Seite des Vierecks führte, wo in einem unterirdischen Gemach, worin jetzt der Chemiker Alasco sein Wesen trieb, vor Zeiten einer der Aebte von Abingdon, der sich zu den geheimen Wissenschaften hingezogen fühlte, zum größten Aergerniß seines Convents ein Laboratorium errichtet hatte, worin er, gleich vielen andern Narren seines Zeitalters, viel kostbare Zeit und bedeutende Summen an nutzlose Forschungen nach dem großen Geheimniß verschwendete.

Anton Foster blieb vor einer sorgfältig verschlossenen Thüre stehen, und schien wirklich großen Anstand zu nehmen, den Weisen in seinen Operationen zu stören. Aber Varney, weniger bedenklich, klopfte so heftig und rief so laut, bis endlich der Bewohner des Gemaches zögernd und mit Widerwillen die Thüre öffnete. Der Alchymist erschien, triefäugig von der Hitze und dem Rauche des Ofens, vor dem er arbeitete, und das Innere seiner Zelle bot eine verworrene Zusammenstellung der verschiedenartigsten Dinge und der sonderbarsten, zu seiner Arbeit erforderlichen Geräthschaften dar. Der Alte murmelte mit mürrischer Ungeduld: »Muß ich denn immer von meinen göttlichen Geschäften zu irdischen Dingen zurückgerufen werden?«

»Zu den Geschäften der Hölle,« antwortete Varney; »denn das ist Dein eigentliches Element. – Foster, wir bedürfen Deiner bei unserer Unterredung.«

Foster trat zögernd in's Zimmer. Varney folgte, verriegelte die Thüre und sie setzten sich nun zum geheimen Rathe nieder.

Mittlerweile ging die Gräfin in Ihrem Zimmer auf und ab, während Schaam und Zorn auf ihrer lieblichen Wange stritten.

»Der Bösewicht!« sagte sie, »der kaltblütige, berechnende Sclave! – Aber ich habe ihn entlarvt, Jeannette. – Ich zwang die Schlange, ihre glatte Haut abzuwerfen und in ihrer nackten Häßlichkeit vor mir zu erscheinen – ich hielt meinen Zorn zurück, der mich zu ersticken drohte, bis er mich in ein Herz blicken ließ, schwärzer, als der dunkelste Winkel der Hölle. – Und Du, Leicester! ist es möglich, daß Du von mir verlangen konntest, meine ehelichen Rechte auch nur auf einen Augenblick zu verleugnen? Und wie konntest Du sie auf einen Andern übertragen wollen? Aber es ist unmöglich! – Der Bösewicht hat Alles erlogen. Jeannette, ich bleibe nicht länger hier – ich fürchte ihn – ich fürchte Deinen Vater – es schmerzt mich, Dir es zu sagen, Jeannette – aber ich fürchte Deinen Vater, vor Allen aber und am meisten diesen verhaßten Varney. Ich will aus Cumnor entfliehen.«

»Aber, gnädige Frau, wohin wollt Ihr fliehen? und wie denkt Ihr aus diesen Mauern zu entkommen?«

»Ich weiß nicht, Jeannette,« sagte die unglückliche junge Dame, indem sie ihre Blicke zum Himmel emporrichtete und ihre Hände zusammenfaltete, »ich weiß nicht, wohin, oder auf welche Weise ich entfliehen soll; doch bin ich gewiß, daß der Gott, dem ich gedient habe, mich in dieser furchtbaren Lage nicht verlassen wird, denn ich bin in den Händen böser Menschen.«

»Glaubt das nicht, theure Lady,« sagte Jeannette; »mein Vater ist finstern und strengen Wesens, hält fest an seinem Glauben – aber dennoch –«

In diesem Augenblicke trat Anton Foster in's Zimmer, ein Glas und eine kleine Flasche in der Hand haltend. Sein Benehmen war seltsam; denn während er sich der Gräfin mit der ihrem Range gebührenden Achtung näherte, war er doch bis jetzt nicht im Stande gewesen, das ihm eigenthümliche plumpe Wesen ganz abzulegen, welches sich, wie gewöhnlich bei Leuten von seiner unglücklichen Gemüthsart der Fall ist, gegen Personen, welche die Umstände seiner Obhut anvertrauten, besonders kund gab. Jetzt aber zeigte er nichts von der plumpen Anmaßung, die er gewöhnlich unter einer erkünstelten linkischen Höflichkeit zu verbergen suchte, wie ein Räuber seine Pistolen und seinen Knittel unter dem schlechten Mantel zu verstecken sucht. Sein Lächeln schien indeß mehr Furcht, als Höflichkeit zu verrathen, und indem er in die Gräfin drang, die treffliche Herzstärkung zur Erfrischung ihrer Lebensgeister nach dem gehabten Schrecken zu sich zu nehmen, schien er über irgend einen neuen bösen Anschlag zu brüten. Seine Hand zitterte, seine Stimme bebte und sein ganzes Benehmen erweckte in solchem Grade Argwohn, daß seine Tochter Jeannette, nachdem sie ihn einige Sekunden lang voll Erstaunen angeblickt hatte, sich plötzlich gefaßt machte, einen raschen Entschluß auszuführen. Schnell erhob sie ihr Haupt, nahm eine entschlossene und gebietende Stellung an, trat mit langsamen Schritten zwischen ihren Vater und ihre Gebieterin, nahm den Becher aus seinen Händen und sagte mit leisem aber festem Tone: »Vater, ich will meiner edlen Gebieterin den Becher kredenzen, wenn sie es erlaubt.«

»Du, mein Kind?« rief Foster lebhaft und ängstlich; »nein, mein Kind – Du sollst der Lady diesen Dienst nicht leisten.«

»Und warum nicht? ich bitte Euch,« sagte Jeannette, »wenn es der edlen Dame überhaupt dienlich ist, aus dem Becher zu trinken?«

»Warum – warum?« sagte der Castellan zögernd und brach dann in Zorn aus, als die leichteste Art den Mangel anderer Gründe zu ersetzen – »warum? weil es mein Wille ist, einfältiges Mädchen, daß Du es nicht thun sollst – Geh' an Dein Abendgebet.«

»So wahr ich hoffe, noch oft wieder zu beten,« versetzte Jeannette, »will ich diesen Abend nicht hingehen, ehe ich von der Sicherheit meiner Gebieterin besser überzeugt bin. Gebt mir die Flasche, Vater!« Bei diesen Worten nahm sie ihm die Flasche aus der widerstrebenden Hand, während er es geschehen ließ, als ob sein Gewissen ihn mahnte. – »Und nun, Vater,« fuhr sie fort, »was meiner Gebieterin heilsam sein soll, kann mir keinen Nachtheil bringen. – Auf Euer Wohl, Vater!«

Ohne ein Wort zu reden, stürzte Foster auf sie zu, riß ihr das Fläschchen aus der Hand und blieb in größter Verlegenheit über das, was er gethan, sowie über das, was zunächst zu thun sei, mit dem Fläschchen in der Hand, wie in den Boden gewurzelt stehen, indem er seine Tochter mit einem Gesichte anblickte, auf welchem Wuth, Furcht und überführte Bosheit sich auf eine schreckliche Weise darstellten.

»Das ist seltsam, Vater!« sagte Jeannette, indem sie ihre Augen auf die seinigen heftete, mit demselben scharfen Blicke, womit die Wächter der Gemüthskranken ihre unglücklichen Pfleglinge in Furcht zu halten gewohnt sind; »ich soll weder Mylady bedienen, noch auch ihr zutrinken?«

Der Muth verließ die Gräfin während dieser furchtbaren Scene nicht, deren Bedeutung nicht weniger klar war, obgleich dieselbe nicht einmal angedeutet wurde. Sie behielt sogar die Sorglosigkeit ihres Gemüthes bei, und obgleich ihre Wange anfangs etwas blaß geworden war, so blieb doch der Ausdruck ihres Auges ruhig und fast verächtlich. »Wollt Ihr nicht selber diese treffliche Herzstärkung kosten, Herr Foster? Vielleicht werdet Ihr Euch nicht weigern, uns Bescheid zu thun, obgleich Ihr Jeannetten es zu thun nicht erlaubt. – Trinkt, mein Herr, ich bitte Euch.«

»Ich will nicht,« antwortete Foster.

»Und für wen ist denn dieses köstliche Getränk bestimmt, mein Herr?« fragte die Gräfin.

»Für den Teufel, der es gebraut hat,« antwortete Foster, wendete sich um, und verließ das Zimmer.

Jeannette blickte ihre Gebieterin mit einem Ausdrucke von Schaam, Aengstlichkeit und Kummer an.

»Weine nicht um mich, Jeannette,« sagte die Gräfin freundlich zu ihr.

»Nein, Madame,« versetzte die Dienerin schluchzend, »ich weine nicht um Euch, ich weine um mich und jenen unglücklichen Mann. Die, welche von den Menschen entehrt und von Gott verdammt sind, haben Ursache zu trauern – nicht die, welche unschuldig sind! – Lebt wohl, gnädige Frau!« sagte sie, indem sie hastig den Mantel umnahm, in welchem sie auszugehen pflegte.

»Willst Du mich verlassen, Jeannette?« sagte ihre Gebieterin – »in einer solchen Bedrängniß mich verlassen?«

»Euch verlassen, gnädige Frau!« rief Jeannette, eilte zu ihrer Gebieterin zurück und drückte tausend Küsse auf ihre Hand – »Euch verlassen! – Möge die Hoffnung meines Glaubens mich verlassen, wenn ich es thue! – Nein, Madame; Ihr sagtet sehr richtig, der Gott, dem Ihr dient, werde Euch einen Pfad der Errettung eröffnen. Es gibt ein Mittel zur Flucht; ich habe Tag und Nacht um Licht gebeten, damit ich sehen möge, wie ich bei meiner Pflicht gegen jenen unglücklichen Mann, und der, die ich Euch schuldig bin, zu handeln habe. Furchtbar ist jenes Licht jetzt hereingebrochen, und ich darf die Thüre nicht verschließen, welche Gott öffnet. – Fragt mich nicht weiter. Ich werde in kurzer Zeit zurück sein.«

Mit diesen Worten hüllte sie sich in ihren Mantel, sagte der alten Frau, die ihr im äußern Zimmer begegnete, daß sie zum Abendgebet gehe, und verließ das Haus.

Mittlerweile hatte ihr Vater das Laboratorium wieder erreicht, wo er die Mitschuldigen seines beabsichtigten Verbrechens fand. »Hat das Vögelchen genippt?« fragte Varney halb lächelnd, während der Astrolog dieselbe Frage mit den Augen that, ohne jedoch ein Wort zu reden.

»Nein, das hat sie nicht und soll auch nicht von meiner Hand,« versetzte Foster. »Wollt Ihr, daß ich einen Mord begehen soll in meiner Tochter Gegenwart?«

»Sagte man Dir nicht, Du mürrischer aber muthloser Sclave,« antwortete Varney mit Bitterkeit, »daß es auf gar keinen Mord, wie Du es mit Deinem starren Blicke und Deiner stammelnden Sprache nennst, in dieser Sache abgesehen ist? Sagte man Dir nicht, daß eben nur auf ein Uebelsein, – wie die Weiber es oft aus bloßer Laune bekommen, wenn sie Lust haben, ihren Morgenanzug am hellen Mittage zu tragen, und auf dem Ruhebette zu liegen, statt ihre häuslichen Geschäfte zu verrichten, abgesehen war? Dieser gelehrte Mann da wird es Dir beim Schlüssel zum Schlosse der Weisheit schwören.«

»Ich schwöre Dir,« sagte Alasco, »daß das Elixir, welches Du in dem Fläschchen hast, dem Leben keine Gefahr bringt. Ich schwöre es bei der unsterblichen, unverwüstlichen Quintessenz des Goldes, welches alle Stoffe der Natur durchdringt, obgleich ihr geheimes Dasein nur von Dem erforscht werden kann, dem Trismegistos den Schlüssel zur Cabala verleiht.«

»Ein gewichtiger Schwur,« sagte Varney. »Foster, Du wärest ärger als ein Heide, wenn Du ihm nicht glaubtest. Ueberdies glaube mir, der ich nie anders, als bei meinem eigenen Worte schwöre, daß, wenn Du Dich nicht fügst, auch jedes Fünkchen Hoffnung auf das Freigut dahin ist. Alasco wird Dein Zinngeräth unverwandelt lassen, und Du, ehrlicher Foster, wirst hier immer nur mein Pächter bleiben.«

»Ich weiß nicht, meine Herren,« sagte Foster, »wohin Eure Absichten gehen; doch auf einer Sache muß ich bestehen, nämlich, daß ich auf jeden Fall hier im Hause ein Wesen habe, welches für mich betet, und das soll meine Tochter sein. Ich habe sündlich gelebt und das Weltliche zu hoch geachtet; doch sie ist noch so unschuldig, wie im Schooße ihrer Mutter, und sie wenigstens soll ihren Antheil haben an jener glücklichen Stadt, deren Mauern von gediegenem Gold, und deren Grundlagen mit allen möglichen Edelsteinen ausgeschmückt sind.«

»Ja, Tony,« sagte Varney, »das wäre ein Paradies nach Deines Herzens Wunsch. – Besprecht die Sache mit ihm, Doctor Alasco, ich bin gleich wieder da.«

Mit diesen Worten stand Varney auf, nahm das Fläschchen vom Tische und verließ das Zimmer.

»Ich sage Dir, mein Sohn,« sprach Alasco zu Foster, sobald Varney das Zimmer verlassen hatte, »wie auch immer dieser freche boshafte Lästerer über die hohe Wissenschaft spotten mag, in welcher ich mit Gottes Hülfe solche Fortschritte gemacht habe, daß ich selbst den weisesten der jetzt lebenden Künstler nicht meinen Meister oder Lehrer nennen möchte – obgleich jener Ruchlose eine Lehre verwirft, die zu heilig ist, als daß sie von sündhaften, irdisch gesinnten Menschen begriffen werden könnte: so glaube mir dennoch, daß die Stadt, welche St. Johannes in seinem himmlischen Gesichte der christlichen Offenbarung schaute, dies neue Jerusalem, dessen alle Christenseelen theilhaftig zu werden hoffen, die Entdeckung des großen Geheimnisses bildlich bedeutet, wodurch die kostbarsten und vollkommensten Werke der Natur aus ihren unreinsten und rohesten Stoffen gezogen werden, gleichwie der leichte, vielfarbige Schmetterling, das schönste Kind der Sommerlüfte, aus der unscheinbaren Hülle seiner Puppe hervorbricht.«

»Herr Holdforth sagt nichts von dieser Auslegung,« entgegnete Foster zweifelhaft; »vielmehr sagt die heilige Schrift, Herr Doctor Alasco, daß die Edelsteine der heiligen Stadt keineswegs für Diejenigen bestimmt sind, die hienieden sündhafte Werke thun und Lügen schmieden.«

»Nun, mein Sohn,« sagte Alasco, »und was folgerst Du daraus?«

»Daß Diejenigen, welche Gift mischen und es insgeheim austheilen, keine Ansprüche an jene unschätzbaren Reichthümer haben werden,« versetzte Foster.

»Du mußt hier wohl unterscheiden, mein Sohn,« entgegnete der Alchymist, »zwischen dem, was in seinen Folgen und auch in seinen Zwecken ein nothwendiges Uebel ist, und dem, was zwar unrecht ist, aber doch gute Wirkungen hervorzubringen vermag. Wenn wir durch den Tod eines Menschen dem glücklichen Zeitpunkte näher rücken, wo man nur zu wünschen braucht, um alles Gute zu erreichen und Alles Uebel zu entfernen, wo Krankheit, Leiden und Sorgen menschlicher Weisheit unterthan sind und auf den leisesten Wink des Weisen entfliehen, – wo dasjenige, was man jetzt als das Reichste und Seltenste betrachtet, in dem Bereiche eines Jeden ist, welcher der Stimme der Weisheit gehorcht – wenn die Heilkunst durch das Universalmittel überflüssig wird, wo die Weisen die Herren der Erde werden, und der Tod selbst vor ihren Kronen zurückweicht – wenn diese gesegnete Erfüllung aller Dinge durch den unbedeutenden Umstand kann beschleunigt werden, daß ein gebrechlicher Erdenkörper, ohnehin ein Raub der Verwüstung, eine kurze Zeit früher, als der Lauf der Natur es erfordert, in's Grab gesenkt wird, kann da ein solches Opfer gegen die Beförderung des tausendjährigen Reiches in Betracht kommen?«

»Das tausendjährige Reich ist das Reich der Heiligen,« sagte Foster etwas zweifelhaft.

»Sage vielmehr, es ist das Reich der Weisen, mein Sohn,« antwortete Alasco, »oder eigentlich das Reich der Weisheit selber.«

»Bei der gestrigen Abendandacht befragte ich Herrn Holdforth über diesen Punkt,« entgegnete Foster; »doch er sagte, Eure Lehre sei heterodox, und Eure Auslegung falsch und verderblich.«

»Er liegt in den Banden der Unwissenheit, mein Sohn,« sagte Alasco, »als ob er noch Ziegelsteine in Aegypten brennte, oder in den Sandwüsten Sinai's wandelte. Du thatest Unrecht, mit einem solchen Manne von so erhabenen Gegenständen zu reden. Ich will Dir aber Beweise liefern, und zwar in kurzer Zeit, welche dieser mürrische Geistliche nicht wird widerlegen können, und sollte er auch gegen mich streiten, wie die Magier mit Moses vor dem Könige Pharao stritten. Ich will in Deiner Gegenwart eine Verwandlung vorgehen lassen, mein Sohn, und Deine Augen sollen die Wahrheit bezeugen.«

»Bleibe dabei, weiser Mann,« sagte Varney, der in diesem Augenblicke in's Zimmer trat; »wenn er auch dem Zeugnisse Deiner Zunge mißtraut, so wird er doch nicht das seiner eigenen Augen verwerfen.«

»Varney!« rief der Adept – »schon zurück, Varney? Hast Du –« hier hielt er inne.

»Ob ich mein Geschäft vollbracht habe, willst Du wissen?« versetzte Varney – »ja, das habe ich! – Und bist Du gewiß,« setzte er mit mehr Interesse hinzu, als er bisher gezeigt hatte – »bist Du gewiß, daß Du weder mehr noch weniger als das gehörige Maaß gegeben hast?«

»Ja,« entgegnete der Alchymist, »so gewiß, wie man es bei so kleinen Verhältnissen sein kann, denn die Körperbeschaffenheit ist verschieden.«

»Dann fürchte ich nichts,« sagte Varney. »Ich weiß, daß Du dem Teufel keinen Schritt umsonst thun wirst. Du wurdest gedungen, Krankheit zu erregen, und würdest es für Verschwendung halten, um denselben Preis einen Mord zu vollbringen. Kommt, laßt uns Jeder auf sein Zimmer gehen – morgen werden wir die Folge sehen.«

»Was thatest Du, sie zum Einnehmen zu bewegen?« fragte Foster mit einem Schauder.

»Nichts,« antwortete Varney, »als daß ich einen jener Blicke auf sie richtete, womit man Narren, Weiber und Kinder regiert. Die Leute im St. Lucashospital sagten mir, daß ich gerade den Blick habe, widerspenstige Kranke in Furcht zu setzen. Die Aufseher machten mir Complimente darüber, und so weiß ich mein Brod zu verdienen, wenn es einmal mit meiner Hofgunst zu Ende sein sollte.«

»Und fürchtet Ihr nicht, daß die Dosis zu stark sein könnte?« sagte Foster.

»Wenn das wäre, so würde sie nur um so fester schlafen,« versetzte Varney; »doch das soll mich nicht im Schlummer stören. – Gute Nacht, meine Herren!«

Anton Foster seufzte tief und hob seine Hände und Augen zum Himmel auf. Der Alchymist sprach den Entschluß aus, den größten Theil der Nacht mit wichtigen Experimenten zuzubringen, worauf sich die Andern zur Ruhe begaben.



 << zurück weiter >>