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Elftes Kapitel.

Gott schütze mich auf dieser Pilgerschaft!
Auf Menschenhülf' entsag' ich jeder Hoffnung.
Wer möcht' ein Weib sein? – Jenes thörichte,
Von Schmerz und Qual zerriss'ne treue Weib?
Die schönste Hoffnung ist ihr schlecht vergolten,
Und Undank nur erreget ihre Güte.

Der Liebe Pilgerschaft.

Der Sommerabend war zu Ende, und Jeannette kehrte nach Cumnor Place zurück, damit ihr längeres Ausbleiben nicht etwa Verdacht und Nachforschung in dem argwöhnischen Haushalte erregen möge, und eilte in das Zimmer, wo sie ihre Lady zurückgelassen hatte. Sie fand sie an einem Tische sitzend, während ihr Kopf auf ihren Armen ruhte. Als Jeannette eintrat, blickte sie nicht auf und bewegte sich auch nicht.

Die treue Dienerin eilte mit Blitzesschnelle auf ihre Gebieterin zu, berührte sie zu gleicher Zeit mit der Hand, und beschwor die Gräfin in den dringendsten Worten, aufzublicken, und zu sagen, was sie so ergriffen habe. Die unglückliche Dame erhob den Kopf und sah ihre Dienerin mit verstörten Blicken und aschfarbigen Wangen an. »Jeannette,« sagte sie, »ich habe es getrunken.«

»Gott sei gelobt!« sagte Jeannette hastig – »ich meine, Gott sei gelobt, daß es nichts Schlimmeres ist – der Trank wird Euch nicht schaden. Werft diese Schlafsucht von Euren Gliedern und entfernt diese Verzweiflung erst aus Eurem Gemüthe.«

»Jeannette,« wiederholte die Gräfin, »störe mich nicht – laß mich in Frieden – laß mein Leben ruhig dahin schwinden – ich bin vergiftet.«

»Das seid Ihr nicht, theuerste Lady,« antwortete das Mädchen lebhaft – »was Ihr getrunken habt, kann Euch nichts schaden, und ich eilte hieher, um Euch zu sagen, daß Euch der Weg zur Flucht geöffnet ist.«

»Zur Flucht!« rief die Dame, indem sie sich hastig im Stuhle erhob, während das Licht in ihre Augen und das Leben in ihre Wangen zurückkehrte; »aber ach, Jeannette, es ist zu spät.«

»Nicht so, theuerste Lady, steht auf! Nehmt meinen Arm und geht im Zimmer auf und ab – laßt nicht die Phantasie die Wirkung des Giftes thun! – So – fühlt Ihr nicht, daß Ihr Eure Glieder vollkommen gebrauchen könnt?«

»Die Erstarrung scheint nachzulassen,« sagte die Gräfin, als sie von Jeannette unterstützt im Zimmer auf und abging; »aber, ist es denn wirklich so, habe ich nichts Tödtliches getrunken? Varney war hier, während Du fortwarest, und befahl mir mit Blicken, worin ich mein Schicksal las, jenen schrecklichen Trank auszuleeren. O, Jeannette, er muß tödtlich sein; denn nie wurde ein unschädlicher Trank von einem solchen Mundschenk dargereicht!«

»Ich fürchte, er hielt ihn nicht für unschädlich,« sagte das Mädchen; »aber Gott vernichtet die Pläne der Bösen. Glaubt mir, wenn ich Euch bei dem heiligen Evangelium schwöre, auf welches mein Glaube gebaut ist, Euer Leben ist sicher vor seinen bösen Ränken. Strittet Ihr nicht mit ihm?«

»Im Hause war Alles still,« antwortete die Dame, – »Du fort – und Niemand, als er, im Zimmer, der zu jedem Verbrechen fähig ist. Ich machte nur die Bedingung, mich von seiner verhaßten Gegenwart zu befreien, und trank, was er mir anbot. – Aber Du redest von Flucht, Jeannette, – könnte ich so glücklich sein?«

»Seid Ihr stark genug, die Nachricht zu ertragen und den Versuch zu machen?«

»Stark!« antwortete die Gräfin – »frage das Reh, wenn die Zähne des Jagdhundes nach ihm schnappen, ob es stark genug ist, über die Schlucht wegzuspringen. Ich bin zu jeder Anstrengung fähig, die mich von diesem Orte entfernen kann.«

»So hört mich denn an,« sagte Jeannette. »Ein Mann, den ich für einen zuverlässigen Freund von Euch halte, hat sich mir unter verschiedenen Verkleidungen gezeigt und mit mir zu reden gewünscht, was ich aber beständig abgelehnt habe, da mir erst diesen Abend die Sache klar geworden ist. Er war der Hausirer, der Euch die Waaren brachte – der herumziehende Krämer, der mir die Bücher verkaufte; – wohin ich immer ging, konnte ich gewiß sein, ihn zu treffen. Das Ereigniß dieses Abends brachte mich zu dem Entschlusse, mit ihm zu reden. Er wartet eben jetzt am Hinterthore des Parks mit Mitteln zu Eurer Flucht. – Aber habt Ihr Körperkraft genug? Besitzt Ihr Muth genug? – Könnt Ihr das Unternehmen wagen?«

»Wer vor dem Tode flieht, findet schon Körperkraft,« sagte die Dame – »wer der Schande entfliehen will, bedarf keines andern Muthes. Der Gedanke, den Schurken zurückzulassen, der zugleich mein Leben und meine Ehre bedroht, würde mir Kraft verleihen, mich selbst von meinem Sterbebette zu erheben.«

»In Gottes Namen denn, Mylady,« sagte Jeannette, »ich muß Euch Lebewohl sagen und Euch Gottes Obhut anvertrauen.«

»Willst Du nicht mit mir entfliehen, Jeannette?« rief die Gräfin ängstlich – »soll ich Dich verlieren? Ist dies Dein treuer Dienst?«

»Mylady, ich würde ebensogern mit Euch entfliehen, wie ein Vogel aus dem Käfig; doch wenn ich es thäte, würde augenblickliche Entdeckung und Verfolgung daraus entstehen. Ich muß zurückbleiben und Eure Flucht eine Zeitlang zu verbergen suchen. – Möge der Himmel mir die Lüge verzeihen, da sie nothwendig ist!«

»Und soll ich denn allein mit diesem Fremden reisen?« sagte die Dame. »Bedenke, Jeannette, könnte dies nicht noch ein schlauerer und schwärzerer Plan sein, mich von Dir zu trennen, die Du meine einzige Freundin bist?«

»Nein, gnädige Frau, argwöhnt das nicht,« antwortete Jeannette ohne Bedenken; »der Mann meint es gut mit Euch, und ist ein Freund von Herrn Tressilian, auf dessen Befehl er hieher kam.«

»Wenn er ein Freund von Tressilian ist,« sagte die Gräfin, »so will ich mich seinem Schutze anvertrauen, wie dem eines Engels vom Himmel; denn nie gab es einen sterblichen Mann, der freier war von Niedrigkeit, Falschheit oder Eigennutz, als Tressilian. Er vergaß sich selbst, wenn er Andern nützen konnte – ach! und wie habe ich es ihm vergolten!«

Mit hastiger Eile brachten sie die wenigen nöthigen Sachen zusammen, welche die Gräfin mitnehmen sollte, und die Jeannette mit Schnelligkeit und Geschicklichkeit zu einem kleinen Bündel zusammenpackte, indem sie nicht vergaß, die ihr in die Hände fallenden werthvollen Schmucksachen und besonders ein Kästchen mit Juwelen hinzuzufügen, welches, wie sie verständig vorhersah, ihr künftig nützlich sein könne. Dann vertauschte die Gräfin von Leicester ihren Anzug mit einem Kleide, welches Jeannette gewöhnlich auf kurzen Reisen trug, denn sie hielten es für nöthig, allen äußern Schein zu vermeiden, welcher Aufmerksamkeit erregen könne. Ehe noch diese Vorbereitungen vollendet waren, ging der Mond am Sternenhimmel auf, und alle Bewohner des einsamen Hauses hatten sich zur Ruhe begeben, oder doch in die Stille und Einsamkeit ihrer Zimmer zurückgezogen.

Sie sahen keine Schwierigkeit vorher, aus dem Hause oder dem Garten zu gelangen, vorausgesetzt, daß sie der Beobachtung entgehen könnten. Anton Foster war gewohnt, seine Tochter zu betrachten, wie ein bewußter Sünder einen sichtbaren Schutzengel betrachten würde, der ungeachtet seiner Schuld fortfährt, ihn zu umschweben, und daher kannte sein Vertrauen auf sie keine Grenzen. Jeannette hatte den Schlüssel zum Hause, sowie auch einen Hauptschlüssel zu dem Hinterthore des Parks, so daß sie nach Gefallen in das Dorf gehen konnte, entweder in häuslichen Angelegenheiten, welche gänzlich ihrer Leitung anvertraut waren, oder um in dem Bethause den Versammlungen ihrer Secte beizuwohnen. Freilich wurde Fosters Tochter diese Freiheit nur unter der feierlichen Bedingung anvertraut, daß sie ihre Privilegien nicht mißbrauchen solle, indem sie Etwas thue, was mit dem sichern Gewahrsam der Gräfin unverträglich sei, und nichts als der furchtbare Verdacht, welchen die an jenem Abend vorgefallene Scene in ihr erregte, hätte Jeannette bewegen können, ihr Wort zu verletzen, oder das Vertrauen ihres Vaters zu mißbrauchen. Doch nach dem, was sie erlebt hatte, hielt sie sich nicht blos gerechtfertigt, sondern auch ausdrücklich verbunden, die Befreiung der Lady zu dem hauptsächlichsten Gegenstande ihrer Sorgfalt zu machen, und alle andern Rücksichten bei Seite zu setzen.

Die fliehende Gräfin und ihre Führerin gingen mit hastigen Schritten den unebenen Weg dahin, welcher einst ein beschnittener Baumgang gewesen war, jetzt gänzlich verfinstert durch die Zweige der weitausgebreiteten Bäume, die sich oben vereinigten, und nur ein ungewisses Licht von dem Scheine des Mondes durchließen. Ihr Weg wurde mehrmals durch gefällte Bäume, oder große Haufen von Buschwerk unterbrochen, die man am Boden hatte liegen lassen, um sie bei gelegener Zeit zurecht zu hauen und in Bündel zusammen zu binden. Die Unbequemlichkeit und Schwierigkeit, welche diese Unterbrechungen gewährten, die athemlose Hast, mit der sie den ersten Theil ihrer Wanderung zurücklegten, die erschöpfenden Empfindungen der Hoffnung und Furcht griffen die Kräfte der Gräfin so sehr an, daß Jeannette zu dem Vorschlage genöthigt war, einige Minuten still zu stehen, um wieder zu Athem zu kommen und Kraft zu sammeln. Beide standen daher unter dem Schatten einer ungeheuren alten Eiche still, und natürlich blickten Beide nach dem Hause zurück, welches sie hinter sich gelassen, dessen lange dunkle Fronte in der trüben Ferne zu sehen war, mit den ungeheuren Schornsteinen, Thürmchen und dem Glockenhause, die sich über die Linie des Daches erhoben und deutlich gegen das reine Azurblau des Sommerhimmels abstachen. Nur ein einziges Licht schimmerte aus der großen dunklen Masse hervor, und war so niedrig, daß es auf ebener Erde vor dem Hause zu sein, und nicht aus einem der Fenster zu kommen schien. Die Gräfin erschrak. »Sie folgen uns!« rief sie, indem sie auf das Licht deutete, welches sie beunruhigte.

Weniger aufgeregt als ihre Gebieterin, bemerkte Jeannette, daß das Licht still stehe, und flüsterte der Gräfin zu, es komme aus der einsamen Zelle, wo der Alchymist seine geheimen Experimente anstelle. – »Er ist Einer von Denen,« setzte sie hinzu, »welche Nachts wachen, um Unheil anrichten zu können. Zum Unglück ist dieser Mann hieher gekommen, dessen gemischte Reden von irdischem Reichthume und überirdischer oder übermenschlicher Kenntniß meinen armen Vater so sehr eingenommen haben. Vortrefflich sagte der gute Herr Holdforth – und mich dünkt, nicht ohne die Absicht, daß unsere Hausgenossen ein Beispiel daran nehmen sollten: ›Es gibt Leute‹, sagte er, ›und ihre Zahl ist Legion, die lieber, gleich dem bösen Ahab, den Träumen des falschen Propheten Zedechias zuhören würden, als den Worten dessen, von dem der Herr geredet hat.‹ Und er sagte weiter: ›Ach, meine Brüder, es gibt viele Zedechiase unter uns – Leute, die Euch das Licht ihrer weltlichen Wissenschaft verheißen, wenn Ihr ihnen dafür das Eurer himmlischen Kenntniß geben wollt. Sind sie besser als der Tyrann Naas, welcher das rechte Auge Derjenigen forderte, welche seiner Macht unterworfen waren?‹ Und weiter sagte er –«

Es ist ungewiß, wie lange das Gedächtniß der hübschen Puritanerin zur Wiederholung der Predigt des Herrn Holdforth würde ausgereicht haben, hätte die Gräfin sie nicht jetzt unterbrochen und ihr versichert, sie könne jetzt das Parkthor erreichen, ohne eines zweiten Ausruhens zu bedürfen.

Sie machten sich demnach wieder auf den Weg, und legten den zweiten Theil ihrer Reise mit mehr Ueberlegung und daher leichter zurück, als den ersten, den sie so hastig begonnen hatten. Dies gab ihnen Zeit zum Nachdenken, und Jeannette fragte jetzt zuerst ihre Gebieterin, wohin sie ihre Flucht zu lenken beabsichtige? Da sie nicht sogleich eine Antwort erhielt – denn in ihrer Gemüthsverwirrung hatte die Gräfin vielleicht noch gar nicht an diesen wichtigen Gegenstand gedacht – setzte Jeannette hinzu: »Wahrscheinlich zu dem Hause Eures Vaters, wo Ihr der Sicherheit und des Schutzes gewiß seid?«

»Nein, Jeannette,« sagte die Dame traurig, »ich verließ Lidcote Hall mit leichtsinnigem Herzen und ehrenvollem Rufe, und will nicht dorthin zurückkehren, bis ich mit Mylords Erlaubniß und öffentlicher Anerkennung unserer Ehe, mit allem Range und allen Ehrenbezeugungen, die er mir verliehen hat, in meine Heimath zurückkehre.«

»Und wohin wollt Ihr denn, gnädige Frau?« fragte Jeannette.

»Nach Kenilworth, Mädchen,« sagte die Gräfin mit unbefangenem Tone. »Ich will die Festlichkeiten – jene königlichen Festlichkeiten mit ansehen, deren Zurüstung das ganze Land in Bewegung setzt. Mich dünkt, wenn die Königin von England in den Hallen meines Gemahls bewirthet wird, sollte doch die Gräfin von Leicester kein ungeziemender Gast sein.«

»Ich bitte Gott, daß Ihr willkommen sein möget,« sagte Jeannette hastig.

»Du verkennst meine Lage, Jeannette,« sagte die Gräfin ärgerlich, »und vergißt, was Du mir schuldig bist.«

»Ich thue keins von Beiden, theuerste Lady,« sagte das betrübte Mädchen; »aber habt Ihr vergessen, daß der edle Graf so strenge fordert, Eure Ehe geheim zu halten, damit seine Gunst bei Hofe fortdauern möge? Und glaubt Ihr denn, daß Euer plötzliches Erscheinen in seinem Schlosse zu einer solchen Zeit und in einer solchen Gegenwart ihm angenehm sein werde?«

»Glaubst Du, ich würde ihm Schande bringen,« sagte die Gräfin – »nein, laß meinen Arm los, ich kann ohne Hülfe gehen und ohne Rath handeln.«

»Seid nicht böse auf mich, Mylady,« sagte Jeannette sanft, »und laßt Euch immerhin von mir unterstützen, der Weg ist uneben und Ihr seid nicht gewohnt im Dunkeln zu gehen.«

»Wenn Du mich nicht für so geringe hältst, daß ich meinem Gemahl Schande bringen sollte,« sagte die Gräfin in demselben erbitterten Tone, »so mußt Du den Grafen von Leicester für fähig halten, Deinem Vater und Varney bei ihrer schändlichen Handlungsweise Vorschub leisten, oder sogar Vollmacht ertheilen zu können.«

»Um Gotteswillen, gnädige Frau, verschont meinen Vater in Eurem Berichte an den Grafen,« sagte Jeannette; »so unbedeutend auch meine Dienste sind, bitte ich Euch, sie als Buße für seine Vergehungen anzunehmen.«

»Ich müßte sehr ungerecht sein, liebe Jeannette, wenn ich anders handelte,« sagte die Gräfin, indem sie wieder die ganze Zärtlichkeit und Vertraulichkeit ihres Wesens gegen ihre treue Dienerin annahm. »Ja, Jeannette, kein Wort von mir soll Deinem Vater Unheil bringen. Doch Du siehst, meine Liebe, ich habe keinen andern Wunsch, als mich dem Schutze meines Gemahls anzuvertrauen. Ich habe die mir von ihm angewiesene Wohnung verlassen, wegen der Schändlichkeit der Personen, von denen ich umgeben war, – doch werde ich in keinem anderen Punkte seinen Befehlen ungehorsam sein. An ihn allein will ich mich wenden – bei ihm allein will ich Hülfe suchen – nur auf seinen Wunsch werde ich das Geheimniß unserer Verbindung irgend einem Andern mittheilen. Ich will ihn sehen und von seinen eigenen Lippen die Befehle empfangen, wie ich mein künftiges Betragen einzurichten habe. Sage nichts gegen meinen Entschluß, Jeannette; Du wirst mich nur darin bestärken. – Und um die Wahrheit zu sagen, ich bin entschlossen, mein Schicksal auf einmal zu erfahren, und zwar aus dem Munde meines Gemahls. Ihn in Kenilworth aufzusuchen, ist der sicherste Weg, meinen Zweck zu erreichen.«

Während Jeannette eilig bei sich selber die Schwierigkeiten der Lage der unglücklichen Dame überlegte, war sie geneigt, ihre erste Ansicht zu ändern, und zu denken, daß, da die Gräfin sich von dem Orte zurückzog, wohin ihr Gemahl sie gebracht, es ihre erste Pflicht sei, vor ihm zu erscheinen und ihm die Gründe ihrer Handlungsweise auseinander zu setzen. Sie wußte, welche Wichtigkeit der Graf auf die Verheimlichung seiner Ehe legte, und mußte sich eingestehen, daß die Gräfin, wenn sie irgend einen Schritt thue, dieselbe ohne seine Erlaubniß zur öffentlichen Kunde zu bringen, sie sich in hohem Grade den Unwillen ihres Gemahls zuziehen werde. Wenn sie sich in das Haus ihres Vaters begebe, ohne ihren Rang einzugestehen, so würde ihr Ruf eben so sehr dadurch gefährdet werden, und wenn sie ein solches Geständniß mache, so möchte dasselbe einen unwiderruflichen Bruch mit ihrem Gemahl veranlassen. Zu Kenilworth dagegen konnte sie ihre Sache selber bei ihrem Gemahl führen, den Jeannette, obgleich sie ihm nicht so sehr traute, wie die Gräfin, nicht für fähig hielt, der Theilnehmer der niedrigen und verzweifelten Mittel zu sein, zu welchen seine Diener, aus deren Gewalt die Dame jetzt entfloh, ihre Zuflucht nahmen, um ihre Klagen über die von ihnen erfahrene Behandlung zu ersticken. Im schlimmsten Falle, selbst wenn der Graf ihr Gerechtigkeit und Schutz verweigern sollte, konnte sie noch zu Kenilworth, wenn sie ihr Unrecht bekannt machen wollte, Tressilian zum Vertheidiger und die Königin zur Richterin haben; denn so viel hatte Jeannette in ihrer kurzen Unterhaltung mit Wayland erfahren. Sie war daher im Ganzen mit der Absicht ihrer Lady, nach Kenilworth zu gehen, zufrieden, worüber sie sich auch gegen die Gräfin aussprach, indem sie ihr die äußerste Vorsicht anempfahl, wenn sie ihrem Gatten ihre Ankunft bekannt mache.

»Bist Du auch selber vorsichtig gewesen, Jeannette?« sagte die Gräfin; »hast Du nicht diesem Führer, auf den ich mein Vertrauen setzen muß, das Geheimniß meines Verhältnisses anvertraut?«

»Von mir hat er nichts erfahren,« sagte Jeannette, »auch glaube ich nicht, daß er mehr weiß, als man im Allgemeinen von Eurem Verhältnisse zu wissen glaubt.«

»Und was ist das?« fragte die Lady.

»Daß Ihr das Haus Eures Vaters verlassen – aber ich werde Euch wieder beleidigen, wenn ich fortfahre,« sagte Jeannette, sich selber unterbrechend.

»Nein, fahre fort,« sagte die Gräfin; »ich muß den üblen Ruf ertragen lernen, den meine Thorheit über mich gebracht hat. Man glaubt vermuthlich, daß ich das Haus meines Vaters verlassen habe, um mich ungesetzlicher Liebe hinzugeben – es ist ein Irrthum, der bald aufhören wird – denn ich will mit unbeflecktem Rufe leben, oder mein Leben enden. – Man hält mich also für Leicesters Buhlerin?«

»Die Meisten für Varney's,« sagte Jeannette; »doch Einige nennen ihn nur den Deckmantel der Ausschweifungen seines Herrn; denn die verschwenderische Ausstattung jener Zimmer ist bekannt geworden, und zu dergleichen hat Varney nicht die Mittel. Doch die letztere Meinung ist nur wenig im Umlauf; denn die Leute wagen kaum einen solchen Verdacht auszusprechen, wenn von einem so hohen Namen die Rede ist, damit der Staatsrath sie nicht wegen Verleumdung des Adels bestrafe.«

»Sie thun wohl, leise zu reden,« sagte die Gräfin, »wenn sie den ruhmvollen Dudley als Mitschuldigen eines solchen elenden Wichtes nennen, wie Varney ist. – Wir haben das Thor erreicht. – Ach, Jeannette, ich muß Dir Lebewohl sagen! – Weine nicht, mein gutes Mädchen,« sagte sie, indem sie ihr Widerstreben, sich von ihrer treuen Dienerin zu trennen, unter einem Scherze zu verbergen suchte, »und wenn wir uns wiedersehen, Jeannette, mußt Du jene puritanische Halskrause mit einem offenen Spitzenkragen vertauschen, damit die Leute sehen, daß Du einen schönen Hals hast. Obgleich Du jetzt nur die Dienerin einer unglücklichen und flüchtigen Lady bist, welche zugleich namen- und rühmlos ist, so mußt Du, wenn wir uns wiedersehen, gekleidet sein, wie es sich für die begünstigte Kammerfrau der ersten Gräfin Englands geziemt.«

»Gott gebe, theure Lady – nicht, daß ich geputzter gehe, sondern, daß wir Beide unsere Mieder über leichteren Herzen tragen.«

Jetzt war das Schloß des Hinterthores nach einiger Anstrengung vermöge des Hauptschlüssels geöffnet, und die Gräfin sah sich nicht ohne innerlichen Schauder außerhalb der Mauern, welche die bestimmten Befehle ihres Gemahls als die äußerste Grenze ihrer Spaziergänge bezeichnet hatten.

Mit großer Unruhe auf ihre Ankunft wartend, stand Schmied Wayland in einiger Entfernung, verborgen hinter einer Hecke, welche die Landstraße begrenzte.

»Ist Alles sicher?« sagte Jeannette ängstlich zu ihm, als er sich ihnen vorsichtig näherte.

»Ja,« erwiderte er, »doch ist es mir unmöglich gewesen, ein Pferd für die Dame anzuschaffen. Giles Gosling, der feige Wicht, verweigerte mir es unter jeder Bedingung, damit er nicht Unannehmlichkeiten davon habe – doch es thut nichts. Sie muß auf meinem Pferde reiten und ich nebenher gehen, bis ich ein anderes Pferd erhalte. Es wird keine Verfolgung stattfinden, wenn Ihr, hübsche Jeannette, Eure Lection nicht vergeßt.«

»Ebenso wenig, wie die kluge Wittwe von Tekoa die Worte vergaß, welche Joab ihr in den Mund legte,« antwortete Jeannette. »Morgen sage ich, daß meine Lady nicht im Stande ist aufzustehen.«

»Ja, und daß sie Kopfweh hat und Herzklopfen und nicht gestört sein will. – Fürchte nichts, sie werden mit der Andeutung zufrieden sein und Dich mit wenigen Fragen belästigen – sie kennen die Krankheit.«

»Aber,« sagte die Lady, »meine Abwesenheit muß bald entdeckt werden und sie werden sie aus Rache morden. – Wir wollen lieber zurückkehren, als sie einer solchen Gefahr aussetzen.«

»Seid meinetwegen unbekümmert, gnädige Frau,« sagte Jeannette; »ich wollte, Ihr wäret so gewiß, die gewünschte Gunst von Denen zu erhalten, an die Ihr Euch wenden müßt, wie ich bin, daß mein Vater, so zornig er auch sein mag, nicht leiden wird, daß mir Etwas zu Leide geschehe.«

Dann setzte Wayland die Gräfin auf sein Pferd, über dessen Sattel er seinen Mantel gebreitet hatte, um ihr den Sitz bequem zu machen.

»Lebt wohl, und möge Gottes Segen Euch begleiten!« sagte Jeannette, nochmals die Hand ihrer Gebieterin küssend, welche ihren Segen mit einer stummen Liebkosung erwiderte. Dann trennten sie sich und Jeannette sagte zu Wayland: »Möge der Himmel in Eurer Noth mit Euch verfahren, so wie Ihr treu oder falsch seid gegen diese schwergekränkte und hülflose Dame!«

»Amen, hübsche Jeannette!« versetzte Wayland, – »und glaubt mir, ich will meinen Auftrag so ausführen, daß selbst Eure hübschen Augen, so heilig sie auch aussehen, mich weniger verächtlich ansehen sollen, wenn wir uns wieder treffen.«

Den letztern Theil dieses Lebewohls flüsterte er Jeannetten in's Ohr, und obgleich sie nicht geradezu darauf antwortete, so vernichtete doch ihr Benehmen keinesweges die Hoffnung, welche Wayland's Worte enthielten, wozu sie ohne Zweifel durch den Wunsch bestimmt wurde, jeden möglichen Beweggrund zur Rettung ihrer Gebieterin anzuwenden.

Sie ging wieder durch das Thor zurück und verschloß es hinter sich, während Wayland den Zügel des Pferdes in die Hand nahm und dicht neben demselben herging.

Obgleich Schmied Wayland die möglichste Eile anwendete, so ging diese Art zu reisen doch so langsam vor sich, daß, als der Morgen durch den östlichen Nebel zu dämmern begann, sie noch nicht weiter, als etwa zehn Meilen von Cumnor entfernt waren. »Zum Henker mit allen glattzüngigen Wirthen!« sagte Wayland, der nicht mehr im Stande war, seinen Aerger und seine Unruhe zu verbergen. »Hätte dieser falsche Schurke Giles Gosling mir nur wenigstens vor zwei Tagen gesagt, daß ich nicht auf ihn rechnen könne, so würde ich schon für mich gesorgt haben. Doch da versprechen sie Alles, was man fordert, und erst wenn das Pferd gebraucht werden soll, findet sich's, daß es nicht beschlagen ist. Hätte ich es nur gewußt, so hätte ich zwanzig Pferde haben können; ja in einer so guten Sache wäre es mir nicht darauf angekommen, einen Klepper von der nächsten Wiese zu stehlen – ich hätte nur das Thier zu dem Gemeindevorsteher zurückzuschicken nöthig gehabt. Die Räude, der Spath möge über alle Pferde in den Ställen des schwarzen Bären kommen.«

Die Dame versuchte ihren Führer durch die Bemerkung zu beruhigen, daß die Tageshelle sie in den Stand setzen werde, schneller fortzukommen.

»Es ist wahr, gnädige Frau,« versetzte er; »dann aber sind die Leute auch eher im Stande auf uns zu achten, und so könnte dies ein schlimmer Anfang unserer Reise sein. Ich würde mich so wenig darum bekümmert haben, wie um einen Funken, der vom Ambos fliegt, wären wir nur weiter vom Flecke gekommen. Aber so lange ich dieses Berkshire kenne, ist es von einer Art boshafter Kobolde bewohnt, welche spät aufbleiben und frühe aufstehen, aus keiner andern Absicht, als um sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen. Ich bin schon früher dadurch in Gefahr gerathen. Aber fürchtet nichts, gnädige Frau,« setzte er hinzu, »denn bei günstiger Gelegenheit wird der Witz schon eine Salbe für jede Wunde finden.«

Die Unruhe ihres Führers machte größern Eindruck auf das Gemüth der Gräfin, als der Trost, den er hinzuzufügen für gut fand. Sie blickte sich ängstlich um, und als sich die Schatten aus der Landschaft entfernten und die erhöhte Glut des östlichen Himmels den baldigen Aufgang der Sonne verkündete, erwartete sie bei jeder Wendung, daß das erhöhte Licht sie dem Anblicke ihrer rachsüchtigen Verfolger aussetzen, oder der Fortsetzung ihrer Reise ein gefährliches und unüberwindliches Hinderniß entgegenstellen werde. Schmied Wayland bemerkte ihre Unruhe und schritt mit verstellter Fröhlichkeit weiter, da es ihm unangenehm war, ihr Veranlassung dazu gegeben zu haben. Bald sprach er zu dem Pferde wie ein Mann, der mit der Sprache der Stallknechte vertraut ist, pfiff dann leise für sich abgerissene Stellen aus einem Liede und versicherte hierauf der Dame wieder, daß keine Gefahr vorhanden sei, während er sich zu gleicher Zeit umblickte, um zu sehen, ob sich Nichts zeige, was ihn in demselben Augenblicke Lügen strafen könne, während diese Worte aus seinem Munde kamen. So reisten sie weiter, bis ein unerwarteter Vorfall ihnen das Mittel gab, ihre Reise mit größerer Schnelligkeit und Bequemlichkeit fortzusetzen.



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