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Schluß.

Die mit mehrfachen Unterbrechungen vorgetragene Beichte des Argentiniers soll nun hier im Zusammenhang berichtet werden.

Den heutigen südamerikanischen Freistaat Uruguay nannten die ersten hierher kommenden Spanier die »Banda Oriental«; später wurde der Name des Flusses Uruguay, der die Republik im Westen gegen den Nachbarstaat Argentinien abschließt, auf das Land übertragen.

Der für amerikanische Verhältnisse nur kleine Staat hat sich heute zu einem gewissen Wohlstand emporgearbeitet, nachdem die vielen, teilweise recht blutigen Parteikämpfe, die eine gedeihliche Entwicklung des Landes unterbunden haben, erst in den letzten Jahrzehnten zu Ende gekommen sind.

Nach Befreiung der Banda Oriental vom spanischen Joch besetzte Brasilien im Anfange des Jahres 1817 die Hauptstadt Uruguays, Montevideo, und vereinigte 1821 die ganze Banda Oriental unter der Bezeichnung Provincia Cisplatina mit Brasilien. –

Streitigkeiten, die wegen dieses Vorgehens zu kriegerischen Verwicklungen mit Argentinien führten, wurden durch das Eingreifen Großbritanniens im Jahre 1828 beigelegt, und am 18. Juli 1830 bestieg der General Fructuoso Ribera den Präsidentenstuhl der neuen selbständigen »Republica Oriental del Uruguay«.

Fünf Jahre später übernahm Manuel Oribe die Regierung, wurde jedoch nach dreijähriger Präsidentschaft von Ribera wieder gestürzt, und nun entwickelten sich jene blutigen Parteikämpfe, wie sie bis fast in die neueste Zeit hinein die meisten Republiken des lateinischen Amerika durchwütet haben.

In dem benachbarten Argentinien übte zu gleicher Zeit, das heißt in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der Präsident Juan Manuel de Rosas eine geradezu unumschränkte diktatorische Gewalt aus, und führte eine derartig blutige, tyrannische Herrschaft, wie sie ganz Südamerika selbst in den Zeiten der spanischen Konquistadoren nicht erlebt hatte. Seine politischen Gegner, die sich Unitarier nannten, ließ er zu Tausenden hinmorden, eine einzige unbedachte Äußerung, ja schon ein bloßer Verdacht, lieferte sie vor die Kugeln der Rosasschen Tiradores Scharfschützen..

Diese von Rosas verfolgten und vertriebenen Unitarier boten nun Ribera ihre Dienste an, der ihnen dafür die Unterstützung zum Sturze Rosas versprach.

Rosas, darüber erbittert, begünstigte nun Oribe, während sich Ribera die Hilfe Frankreichs und Englands zu sichern verstand. Trotzdem belagerte Oribe hartnäckig Montevideo und war auch dann noch nicht zur Einstellung der Feindseligkeiten zu bewegen, als die Franzosen ein Expeditionskorps nach Uruguay entsandten. –

Eine Änderung in den Verhältnissen trat erst ein, als einer der Rosasschen Generale, Don José Justo d'Urquiza, der Gouverneur der argentinischen Provinz Entre Rios, die nur durch den Uruguayfluß von der Banda Oriental getrennt war, den Augenblick für gegeben erachtete, um das Joch des verhaßten Tyrannen Rosas abzuschütteln. –

Unter seiner Leitung trennten sich die Provinzen Entre Rios und Corrientes von der Argentinischen Konföderation, und nachdem d'Urquiza am 29. Mai 1851 mit dem Kaiser von Brasilien und Don Joaquin Suarez, dem damaligen rechtmäßigen Präsidenten der Banda Oriental, einen Bündnisvertrag gegen Rosas und dessen Günstling Oribe abgeschlossen hatte, überschritt er mit 20 000 Mann den Uruguayfluß, während gleichzeitig ein brasilianisches Kontingent unter dem Grafen Caxias von Norden her in die Banda Oriental einrückte. – Oribe mußte nun das 8 Jahre lang vergeblich belagerte Montevideo aufgeben, und am 8. Oktober zog d'Urquiza an der Spitze der Verbündeten in die befreite Stadt ein.

Zu der Expedition, die nun gegen Rosas eingeleitet werden sollte, hatte sich der Präsident von Paraguay, Don Carlos Antonio Lopez, erboten, ein Hilfskorps von 8000 Mann, meistens Kavallerie, unter dem Befehl seines Sohnes Franzisko Solano Lopez zur Verfügung zu stellen.

Ein Kurier von Lopez war bereits in Montevideo eingetroffen, und gerade als ihm die Depeschen, die neben anderen wichtigen Anweisungen, den Zeitpunkt und Ort der Paraguayschen Hilfstruppen enthielt, überbracht wurden, gelang es im letzten Augenblick den Boten als bezahlten Spion des Diktators Rosas zu entlarven.

Während bei der prompten Justiz damaliger Zeiten der Spion einer Kugel verfiel, wurde in einem schnell einberufenen Kriegsrat, unter dem Vorsitz des Präsidenten Suarez, die Frage nach einem anderen geeigneten Kurier aufgeworfen, der in Anbetracht der wichtigen Papiere, deren Träger er war, eine Persönlichkeit von unbedingter Vertrauenswürdigkeit sein mußte, und nach längerer Beratung einigte man sich auf den Vorschlag des Kriegsministers von Uruguay, einen jungen Deutschen, den capitano medico (Stabsarzt) Don Enricque Seyler mit der Mission zu betrauen.

Seyler, ein badischer Student der Medizin, hatte politischer Gründe wegen seine deutsche Heimat nach der Revolution im Jahre 1848 verlassen müssen und war im Heere der Banda Oriental, wo er als Freiwilliger eintrat, schnell zum Stabsarzt avanciert.

Kühn und verwegen, wie er war, erklärte er sich auch bereit, die wichtigen Papiere verläßlich in die Hand des Präsidenten Lopez gelangen zu lassen, verlangte jedoch bei der Gefährlichkeit des Auftrags (der Wasserweg führte den Paraná hinauf durch argentinisches Gebiet) die Summe von 2000 Pesos fuertes (ungefähr 8000 Mark), und zwar 1000 Pesos sofort und 1000 Pesos nach Erledigung seiner Aufgabe.

In Anbetracht der konstanten Ebbe in den Kassen südamerikanischer Republiken hätte diese Forderung Seylers Mission beinahe zum Scheitern gebracht. – Die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Falles ermöglichte es jedoch, die verlangten 1000 Pesos aufzutreiben, und nachdem sich der General d'Urquiza persönlich verpflichtet hatte, nach Erledigung des Auftrags für die restlichen 1000 Pesos aufzukommen, trat Seyler seine Reise an.

Die Rosasschen Spione, von denen es in Montevideo wimmelte, waren aber nicht untätig geblieben.

In Rosario, am Paraná, fiel Seyler den Horden des argentinischen Tyrannen in die Hände, und nur dem Umstand, daß er in weiser Voraussicht die Papiere in das Futter seiner hohen Stiefel eingenäht hatte, war es zu verdanken, daß die Dokumente trotz eifrigstem Suchen den Blicken der Rosasschen Kreaturen verborgen blieben, und durch eine kühne, abenteuerliche Flucht Seylers zu Pferde quer durch die Provinzen Santa Fe und Corrientes, doch noch rechtzeitig in die Hände des Präsidenten von Paraguay gelangen konnten.

Auf dem Rückwege nach Montevideo wurde Seyler jedoch in Paraná von Truppen d'Urquizas verhaftet und wegen Spionageverdachts längere Zeit im Kerker festgehalten.

Die Vermutung Seylers, daß der schlaue d'Urquiza, der bei allem Haß auf Rosas seine ehrgeizigen Ziele gegen materielle Interessen zurückstellte, die Inhaftierung selbst veranlaßt hatte, in der Absicht, den deutschen Kurier um den ausbedungenen Lohn zu prellen, nahm feste Gestalt an, als d'Urquiza sich später, nachdem Seyler wieder aus dem Gefängnis entlassen war, und er selbst an Stelle des verjagten und nach England geflüchteten Rosas die Regierung übernommen hatte, sich an die Bezahlung der restlichen Summe nicht mehr erinnern wollte. –

Gegen den allmächtigen Präsidenten der argentinischen Föderation war Seyler machtlos, und voller Wut im Herzen über südamerikanischen Treubruch kehrte er sowohl der Provinz Entre Rios, als auch der Banda Oriental den Rücken und ging nach Paraguay, wo er sich in Asuncion niederließ und seine medizinischen Studien wiederaufnahm.

Jahre waren inzwischen vergangen. –

Der Präsident von Paraguay, Don Carlos Antonio Lopez, war 66 Jahre alt, am 10. September 1862 gestorben und sein damals 33 jähriger Sohn Franzisko Solana übernahm die Regierung.

Niemals hat ein dereinstiger Staatsmann und Herrscher in Südamerika solche Glücks- und Machtmittel mit auf den Weg bekommen, wie Franzisko Solano Lopez.

Der Vater hatte es verstanden, sein Land in mehr als 20 jähriger unumschränkter Herrschaft sicher durch alle politischen Fährnisse zu geleiten und in geradezu wunderbarer Weise die wirtschaftlichen Hilfsmittel Paraguays zu entwickeln.

Er wurde in allen seinen Bestrebungen durch eine an den preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erinnernde Sparsamkeit unterstützt, dessen militärische Ideen, nämlich, daß sein Land nur bei einer starken Militärmacht blühen und gedeihen könne, er sich auch zueigen gemacht hatte.

Als der jüngere Lopez am 16. Oktober 1862 den Präsidentenstuhl bestieg, verfügte er über ein stehendes glänzend diszipliniertes Heer von über 60 000 Mann mit mehr als 200 Kanonen, eine Macht, die für die südamerikanischen Verhältnisse der damaligen Zeit als sehr respektabel gelten mußte.

Seyler, der bei seinem diplomatischen Auftrag im Jahre 1851 die Bekanntschaft des damals 24 jährigen Lopez gemacht hatte, bot ihm nach dessen Rückkehr aus Europa seine Dienste an, die Lopez dankend annahm und den jungen Deutschen als Capitano in die Paraguaysche Armee einstellte.

Dadurch trat Seyler zu dem fast gleichaltrigen Südamerikaner, der durch einen längeren Aufenthalt in Europa die dortigen Sitten kennen und schätzen gelernt hatte, in ein fast freundschaftliches Verhältnis, und bald sollte der Deutsche Gelegenheit finden, seine Ergebenheit und diplomatischen Fähigkeiten im Dienste Don Franzisko Solanos zu zeigen.

Im Jahre 1864 ging in Uruguay die Regierung des Präsidenten Berro zu Ende, und Anastasio Aguirre kam ans Ruder. Diesen Zeitpunkt hielt der bekannte Parteigänger Flores zu einem bewaffneten Einschreiten für besonders geeignet, und wurde von Brasilien, das in ihm ein gefügiges Werkzeug für seine politischen Bestrebungen zu finden glaubte, tatkräftig unterstützt.

Trotz des Einspruchs Lopez', der, auf seine starke Militärmacht pochend, erklärte, er werde einen Einfall brasilischer Truppen in Uruguay unter keiner Bedingung zulassen, besetzte aber Brasilien am 16. Oktober 1864 Montevideo.

In Argentinien hatte inzwischen d'Urquiza dem General Mitre in der Regierung weichen müssen und sich nach der Provinz Entre Rios zurückgezogen, die er fast unumschränkt regierte.

Sich die Hilfe d'Urquizas in dem bevorstehenden Konflikt mit Brasilien zu sichern, schien Lopez äußerst begehrenswert, und als Unterhändler hielt er Enricque Seyler für die geeignetste Persönlichkeit.

Nicht nur, daß sich Seylers Eitelkeit durch diesen ehrenvollen diplomatischen Auftrag geschmeichelt fühlte, er glaubte auch im eigenen Interesse tätig sein zu können, denn die Schuld d'Urquizas, die 1000 Pesos fuertes betreffend, hielt er noch längst nicht für verjährt; und am 22. Oktober verließ er, mit weitgehenden Vollmachten versehen, Asuncion, um in Paraná, wo d'Urquiza residierte, die Verhandlungen für Paraguay aufzunehmen.

Auf dem Schiff machte Seyler die Bekanntschaft einer jungen Dame, die gleich ihm von Asunción, wo sie Verwandte besucht hatte, nach Paraná reiste. Mit dieser bildhübschen Argentinierin, die an dem hochgewachsenen, blonden Deutschen gleichfalls Gefallen fand, war Seyler während der ganzen Reise zusammen und schwer schien er sich bei seiner Ankunft in Paraná von der lieblichen Dolores Piérola zu trennen, aber sein Ehrgeiz siegte über die aufkeimende Liebe, und nachdem er sich die Adresse des Mädchens, das elternlos dastand, notiert hatte, widmete er sich mit Eifer seiner diplomatischen Mission.

Es kann gesagt werden, daß es leichter war, d'Urquiza zu einem bewaffneten Einschreiten an der Seite Paraguays zu bewegen, als den alten, geizigen Gaucho von der Notwendigkeit, seine frühere Schuld zu begleichen, zu überzeugen, trotzdem der Stiefsohn d'Urquizas, Lopez Jordan, ein eifriger Fürsprecher Seylers war, und Jordan, dem die pekuniäre Abhängigkeit von seinem Stiefvater schon lange ein Dorn im Auge war, überwarf sich mit d'Urquiza derart, daß er Seyler anbot, ihn nach Paraguay zu begleiten, und dem Präsidenten Lopez seine Dienste anzubieten.

Der Deutsche versicherte ihn seiner Fürsprache und verließ am folgenden Tag mit Lopez Jordan die Residenz d'Urquizas, nicht, ohne vorher noch eine Zusammenkunft, außerhalb der Stadt Paraná, mit Dolores Piérola festgesetzt zu haben.

Wenn auch Seylers Privatangelegenheit mit d'Urquiza ergebnislos verlaufen war, so brachte ihm der diplomatische Erfolg seiner Reise die höchste Anerkennung, und mit der Zusage d'Urquizas, bei einem Einmarsch der paraguayschen Truppen in der argentinischen Provinz Corrientes, mit seinem eigenen Kontingent loszuschlagen, erklärte Lopez Brasilien den Krieg, und kaperte auf dem Paraguayfluß als erste Kriegsbeute den brasilischen Postdampfer »Marques de Olinda«. Damit waren die Feindseligkeiten eröffnet, und der paraguaysche General Barrios, ein Schwager Lopez', rückte mit 10 000 Mann in die brasilische Provinz Matto Grosso ein.

Statt sich nun der Hilfe des auf Brasilien stets eifersüchtigen Argentinien zu versichern, machte Lopez den großen Fehler, den Präsidenten Mitre von Argentinien durch eine in ziemlich hochfahrendem Tone gehaltene Forderung, die Provinz Corrientes als Durchmarschgebiet zu benützen, zu brüskieren.

Die Weigerung Mitres veranlaßte Lopez, auf seine Militärmacht fußend, auch Argentinien den Krieg zu erklären.

Während der paraguaysche General Robles in Corrientes einmarschierte und die gleichnamige Hauptstadt besetzte, überschritten die Lopezschen Führer Estigarribia und Duarte mit 12 000 Mann den Paraná und erreichten am 1. August Uruguyana am Uruguayfluß, das Estigarribia besetzte, während Duarte auf der anderen Seite des Flusses sein Lager aufschlug.

Seyler, inzwischen zum Major befördert, verblieb beim Stab des Präsidenten.

Dem ungeheuren Jubel auf das siegreiche Vordringen der paraguayschen Armeen folgte aber bald eine große Ernüchterung, denn nach den ersten Überraschungserfolgen der Lopezschen Truppen hatten die verbündeten Argentinier und Brasilier, verstärkt durch die Truppen des Bandenführers Flores, die Offensive ergriffen.

Die am Uruguay lagernde Armee des Generals Duarte wurde am 17. August angegriffen und vernichtet, und der alliierten Heeresgruppe, bei welcher sich der Kaiser von Brasilien selbst befand, gelang es Estigarribia in Uruguayana einzuschließen und Mitte September 1865 zur Kapitulation zu zwingen.

Lopez war gezwungen, die Provinz Corrientes räumen zu lassen, und stieß nun selbst zu seinen Truppen, mit denen er nach längerem Zögern die unter dem Befehl des argentinischen Präsidenten Mitre stehenden Truppen bei Curupayty angriff. Die Schlacht, die auf beiden Seiten große Opfer forderte, wollen beide Parteien gewonnen haben, jedenfalls konnte Lopez keinen greifbaren Erfolg für seine Partei buchen, er mußte sich im Gegenteil mit dem Rest seiner Armee in die Festung Humaita werfen, die an einer großen Biegung des Paraguayflusses, nach Lopez eigenen Angaben, zu einer starken Redoute ausgebaut war.

Dort widerstand die paraguaysche Armee 13 Monate lang heldenhaft den wiederholten Anstürmen der verbündeten Argentinier und Brasilier, welche ungeachtet der furchtbaren Verluste, die Krankheiten und die Waffen der Verteidiger forderten, die Belagerung nicht aufgaben.

Das Verhältnis Lopez' zu Seyler, welch letzterer unermüdlich in den vordersten Schanzen der Festung zu finden war, hatte in jener Zeit eine empfindliche Trübung erfahren.

Außer den Intrigen einiger gewissenloser Wühler mochte auch das völlig negative Ergebnis seiner diplomatischen Mission bei d'Urquiza Schuld daran getragen haben, denn der schlaue Gaucho hütete sich wohl, nach den ersten Mißerfolgen der paraguayschen Armee aus seiner beschaulichen Ruhe herauszutreten.

Die Lage der Verteidiger von Humaita wurde von Woche zu Woche prekärer. Der Hunger, die Krankheiten und nicht zuletzt die Granaten der brasilischen Kanonenbootflotille, die den Paranáfluß; blockierte, räumte furchtbar in ihren Reihen auf.

Lopez, der persönlich feige war und Verrat fürchtete, ließ sich unter seinen Truppen nicht mehr blicken. Seine Hauptbeschäftigung bestand in Unterschreiben von Todesurteilen; wie bei manchem Feigling in der Stunde der Gefahr, so triumphierte auch bei ihm die Grausamkeit über die besseren Instinkte.

Seyler hatte unter diesen Umständen allen Grund, auch um seine Sicherheit besorgt zu sein, und am 4. August war es, daß Lopez Jordan, der als Leutnant unter ihm kämpfte, mitten in der Nacht in Begleitung eines fremden Mannes in sein Quartier trat und seinen Major aus dem Schlafe weckte.

»Du mußt sofort fliehen, Enricque –« sagte er. »Heute abend ist ein Bote d'Urquizas erschienen, der eine längere Unterredung mit ihm geführt hat. – Ich weiß; aus bester Quelle, daß mein sauberer Stiefvater dich bei Lopez des Verrats beschuldigen ließ, und da deine Aktien ohnehin schlecht genug standen, sollst du morgen standrechtlich erschossen werden.«

Seyler sprang zähneknirschend von seinem Lager auf.

»Dieser elende Lump – –!« rief er aus. »Aber beide sollen sie mich kennenlernen – – erst Lopez, dieser undankbare Tyrann, den ich greifbar nahe habe, dann später d'Urquiza – –.«

In seinem verbohrten Haß auf d'Urquiza hielt es Seyler nicht für notwendig, die Wahrheit der Beschuldigungen Lopez Jordans nachzuprüfen.

Dieser hatte den Erfolg seiner Worte genau beobachtet.

»Keine übereilten Dummheiten, Enricque, –« warnte er. »Hier dieser Mann, der mit dir reden will, wird uns helfen, die Festung zu verlassen. –«

»Wer sind Sie – –?« fragte Seyler den Fremden.

»Ich bin der Oberst Ferreira, vom neunten brasilischen Jägerregiment –« antwortete dieser. »Unter Todesverachtung habe ich mich in die Festung geschlichen, nur um Sie zu sprechen – Major Seyler!«

»Und was wollen Sie von mir –?«

»Ich will Ihnen bei Ihrer Rache behilflich sein, Major. Gleichzeitig können Sie die Summe von fünftausend Pataçons (ungefähr zwanzigtausend Mark) spielend verdienen – –«

Seylers Augen flammten bei Nennung dieser Summe auf.

»Reden Sie, Kolonel –« sagte er. Ich höre –«

Und der Spion sprach:

»Humaita«, sagte er, »ist von der Flußseite her nicht oder doch nur unter ungeheuren Verlusten zu nehmen. Hingegen bietet die Landseite Aussicht auf Erfolg. Viertausend brasilische Infanteristen mit zwölf Geschützen stehen zur Überrumplung bereit. Das dürfte genügen, und da Ihr Bataillon die Hazienda Santa Anna sichert – –«

»Ich verstehe –« sagte Seyler. »Und für die Entwaffnung meiner Truppen bieten Sie mir fünftausend Pataçons – –? Es sei, Kolonel, – ich bin bereit. – Hier meine Hand. –«

Lopez Jordan und der brasilische Oberst wechselten einen kurzen, schnellen Blick. Der letztere zog eine Brieftasche und zählte bei dem ungewissen Licht einer Kerze eine größere Anzahl Banknoten auf den Tisch des Zimmers, die Seyler an sich nahm und sorgfältig verwahrte. –

Dann besprachen die drei die genauere Ausführung ihres Planes.

Am 3. August des Jahres 1868 fiel die Festung Humaita durch Überrumpelung von der Landseite her, in die Hände der Verbündeten. –

Am 11. Dezember wurde am Tepicuaryfluß bei Ita Ibaté und Lomas Valentinas, in einer sechstägigen mörderischen Schlacht der Rest des Lopezschen Heeres vernichtet, und nachdem am 1. Januar 1869 Lopez' Hauptstadt Asuncion in die Hand des Feindes gefallen war, wurde er selbst, am 1. Mai 1870, von einer brasilianischen Kavalleriepatrouille bei Cerro Era am Aquidabanfluß eingeholt und durch einen Lanzenstich getötet.

Seylers Rache konnte befriedigt sein.

Nun blieb nur noch d'Urquiza, mit dem er abzurechnen hatte. Lopez Jordan, der die Rolle des Jago spielte, und es trefflich verstand, den impulsiven Seyler für seine schmutzigen Pläne zu gebrauchen, stand mit seinem Stiefvater d'Urquiza auf dem schlechtesten Fuße. Er strebte nach nichts Geringerem als die Macht in Entre Rios selbst an sich zu reißen, und schreckte auch vor einem Mord nicht zurück. Was wollte auch ein Menschenleben zu damaliger Zeit in Südamerika bedeuten. – In Seyler, dessen Haß er vorzüglich zu schüren verstand, hatte er ein gefügiges Werkzeug.

Der siebzigjährige d'Urquiza hatte sich seit einiger Zeit aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und lebte in stiller Beschaulichkeit, mit einer Stieftochter auf seinem palastähnlichen Landsitz San José, wo er immer noch in Kontakt mit der herrschenden Regierung des Präsidenten Sarmiento in Buenos. Aires stand.

Am Morgen des 10. April langten Seyler und Lopez Jordan mit einem halben Dutzend gedungener Mörder in San José an, und während es Lopez Jordan für angebracht hielt, mit seiner eigenen Person im Hintergrund zu bleiben, verbrachte Seyler den Tag in San José, um das Terrain zu rekognoszieren.

Er schlenderte dann durch die Straßen der kleinen Stadt, und kehrte abends in das Hotel Oriental zurück, wo er übernachten wollte.

Nachdem er in seinem Zimmer etwas Toilette gemacht hatte und gerade im Begriffe war, zum Essen hinabzugehen, klopfte es, an seine Tür und eine barhäuptige Frauensperson, die landesübliche Mantilla über das Gesicht gezogen, schlüpfte schnell in das Zimmer.

Dort ließ sie das verhüllende Tuch fallen. –

Seyler hatte sich erstaunt nach der Tür umgewandt.

»Dolores – –!«

»Ja – ich – Enricque – –!« und schon hing sie an seinem Halse und bedeckte Mund und Augen mit wilden Küssen.

»Ich wußte, Enricque – daß ich dich noch einmal wiedersehen würde«, stammelte das Mädchen.

Seyler hatte sich auf das eiserne Bett niedergesetzt und sie sanft auf seine Knie gezogen.

»Wie kommst du hierher – Dolores – –?« fragte er erstaunt.

»Still – –!« sagte sie, und legte ihm ihre kleine Hand auf den Mund. »Ich habe dich auf der Straße gesehen, und bis hierher verfolgt. – Niemand darf wissen, daß ich hier bin. – Bei der heiligen Mutter von Santa Fé –! Ich, die stolze Dolores Piérola, im Zimmer ihres Amante, wie eine kleine paraguayische Guiguabéra (Mädchen aus dem Volke). – –«

Seyler hatte sich sanft aus der Umschlingung des Mädchens gelöst. – »Wohnst du denn in San José – –?« fragte er.

»Ja, ich wohne hier –«, sagte Dolores kurz. Dann verschloß sie ihm den Mund von neuem mit einem heißen Kuß. »Frage nicht, Enricque. – Ich muß bald wieder gehen. – – Und ich habe dich doch so lieb – Enricque – – so lieb – –!«

Und Seyler zog den warmen, zitternden Frauenkörper in seine Arme, und küßte wild den weichen Mund, der ihm nur zu willig geboten wurde. – –

Als nach Verlauf einer Stunde Dolores ebenso heimlich und still, wie sie erschienen, aus dem Zimmer gehuscht war, stand Seyler langsam vom Bette auf, strich sich die zerzauste Frisur zurecht und zog seine Uhr. Er unterdrückte einen leisen Fluch.

In seiner dummen Verliebtheit hatte er ganz seine Leute vergessen, jene Gauchos, die zu dem Drama, das sich morgen abspielen sollte, mit dem Gelds des ränkevollen Lopez Jordan gedungen waren.

Er suchte die Gauchos, die in der verabredeten Schenke bei Agua ardiente (Schnaps) und ihrem Montespiel saßen, auf, und besprach mit ihnen nochmals alle Einzelheiten des Planes. Dann kehrte er in sein Hotel zurück und legte sich zu Bett.

Und der 11. April 1870, der sich äußerlich ebenso strahlend präsentierte, wie jeder andere argentinische Frühlingstag, sollte der schwärzeste Tag werden in dem Leben des deutschen Abenteurers.

Hatte schon der Verrat von Humaita einen schlechten Charakterzug Seylers enthüllt, so hinterließ die Ermordung des siebzigjährigen Greises, des Siegers von Monte Caceros, einen unaustilgbaren schwarzen Fleck in dem Schicksalsbuche Heinrich Seylers.

Daß der Plan dem Kopfe des ehrgeizigen, skrupellosen Stiefsohnes entsprungen, daß Seyler nicht selbst Hand anlegte, sondern, daß es gedungene, rohe Gauchos waren, die den Mordstahl gezückt haben, – Seyler war moralisch nicht weniger schuldig; denn die Leitung und Ausführung des schändlichen Attentates, lag in seinen Händen, und wenn man die furchtbare Tat, nach allem, was vorangegangen war. auch vielleicht verstehen kann; die Verzeihung wird sich nur schwer finden lassen. – –

Vielleicht mochte Enricque Seyler selbst Ähnliches empfinden, als er sich über den Greis beugte, der in Todeszuckungen blutend am Boden lag; aber mit Gewalt unterdrückte er jegliche weichere Regung, und als er den großen Sekretär des Ermordeten durchwühlte und mit bebenden Fingern einen größeren Geldbetrag in seine Tasche versenkt hatte, zuckte sogar für einen Augenblick ein flüchtiges, wenn auch grimmiges Lächeln über seine krampfhaft geschlossenen Lippen. –

Was er sich da genommen, war vor zwanzig Jahren, unter Einsetzung seines jungen Lebens ehrlich verdient, und jener Greis dort am Boden hatte ihn in seinem schmutzigen Geiz um den mehr als wohlverdienten Lohn betrogen. – Ihm war recht geschehen. – –

Ein furchtbarer Schrei von der Tür her ließ Seyler aufblicken.

Dort stand – – Dolores Piérola – – die Augen in schreckensvoller Starre auf Seyler gerichtet. – –

» Valga me dios – –!« rief Seyler aus und trat auf das Mädchen zu. »Dolores – – du hier – –! Was tust du hier – –!«

Doch die Angeredete wich der Annäherung des Mannes mit entsetzt ausgestreckten Armen schreiend aus, warf sich, am ganzen Körper zuckend, über den Toten, und nicht achtend, daß sie ihr weißes Kleid mit Blut besudelte, nahm sie den kalten, starren Kopf des Greises in beide Hände.

»Papa – – caro, carissimo Papa – –«, stammelte sie. »Wer hat das getan – –?«

Seyler war, wie von einer Tarantel gestochen, zurückgetaumelt.

»Dolores – –!« kreischte er auf. »Wer bist du. – – Bin ich von Sinnen – –! Du. – du bist – –!«

»Ich bin die Tochter dieses Mannes – – den du ermordet hast«, sagte sie tonlos. – Und als sich Seyler ihr nähern wollte, schrie sie, bis in die äußerste Ecke des Zimmers flüchtend.

»Mörder – – verruchter Mörder. – – Geh mir aus den Augen – –!«

Und von Entsetzen und Grauen geschüttelt, floh Seyler aus dem Zimmer.

Das ausgedungene Blutgeld Lopez Jordans ließ er sogar im Stich und eine Woche später schiffte er sich in Montevideo ein und verließ die Banda Oriental, um nach Europa zurückzukehren. – –

*

Juan de Souza Miranda hatte seine Erzählung beendet.

Erschöpft war er in die Kissen zurückgesunken und schloß die Augen.

Lutz war schweigend und bewegt aufgestanden, während Hanna die linke Hand auf das wildklopfende Herz gepreßt, zitternd den furchtbaren Eröffnungen des Argentiniers gefolgt war. –

»Ich bin noch nicht zu Ende –«, fuhr dieser mit leiser Stimme fort, und fischte nach der Hand des Mädchens. –

»Seyler war nach Europa zurückgekehrt, ohne zu wissen, daß Dolores Piérola, die Stieftochter des Präsidenten d'Urquiza, am 26. Januar 1871, von einem Knaben entbunden wurde, – dessen Vater er war. – Zwei Jahre später verliebte sich ein junger Argentinier in die noch immer bildhübsche Dolores und nahm sie zur Frau, – – indem er – – ihr – Kind adoptierte. – – Dieses Kind – –«

»Allmächtiger Gott – –!« rief Hanna aus. und riß sich los. – – »Du Juan – – du selbst – bist am – – 26. Januar geboren. – – Gott steh mir bei – –! Du bist – –?!«

»Ja – –,« sagte der Argentinier, »ich – bin – Seylers Sohn. – – Gib mir die Tropfen, Hanna – – ich – bin noch nicht zu Ende. – –«

Und als das Mädchen mit bebenden Fingern sechs Tropfen abgezählt und Juan das Glas gereicht hatte, fuhr dieser langsam, in längeren Absätzen zu reden fort.

»Auf dem medizinischen Kongreß hier – traf – ich – meinen Landsmann Sarmiento – – er machte mich – mit einem deutschen Gelehrten bekannt – – der lange Jahre in den La Platastaaten gelebt hatte – – und vorzüglich Spanisch sprach. – Bei Nennung des Namens Seyler – – stieg ein furchtbarer Verdacht in mir auf, – der durch den Vornamen Heinrich – – spanisch Enricque – noch bestärkt wurde. Ich suchte – – am folgenden Morgen – – einem Sonntag – – Seyler in seiner Wohnung auf – – und da wurde mein Verdacht zur Gewißheit. – – Im Zimmer hing – – unter Glas und Rahmen – ein Offizierspatent, in spanischer Sprache ausgestellt, – – unterschrieben von dem Präsidenten Joaquin Suarez von Uruguay – – auf den Namen – – Don Enricque Seyler, – Capitano medico, in der Armee – – der Banda Oriental. – – Ich hätte Seyler niederschlagen können? – – Ich tat es nicht. – – Ich wollte nicht zum Vatermörder werden – – sondern die Rache dem Himmel überlassen. – – In meiner Wohnung angelangt – öffnete ich mein Terrarium – und holte vorsichtig die giftigste von meinen Schlangen – – die Lanzenschlange heraus. – – In einem Kasten mit zwei Luftlöchern – – verschloß ich sie – – und schickte ihn durch die Post, als Einschreibebrief, – – an Seyler ab, – – nachdem ich einen Zettel mit den Worten – – Mörder! – Denk' an die Banda Oriental – –! vorher – – in das Kästchen gelegt hatte. – – Ich wollte es der Vorsehung überlassen, – – ob Seyler nach dreißig Jahren noch bestraft, oder ob – – er begnadigt werden sollte. – – Erstickte die Schlange während des Transportes – –? Gut – –! Wollte es aber Gott – – daß Seyler noch bestraft würde – – – – – dann – – dann – – ließ er die Schlange am Leben. – Er hat das letztere gewollt. – – Du kannst dir mein Entsetzen vorstellen – Juana, – als ich durch dich erfuhr, daß Seyler dein Stiefvater war – – und als ich durch das Betrachten – der Photographie des schuftigen Lopez Jordan von neuem an Seylers Schuld erinnert wurde. – – Trotzdem wollte ich jetzt der Vorsehung vorgreifen. – Ich eilte mit dir in die Wohnung – – meines – – deines – – Vaters, – – aber ich kam zu spät. – – Gott hat es so gewollt. – –

Juana –« fuhr er flehend fort, »gib mir deine Hand – auch die andere – – ich muß sterben – ich weiß – ich fühle es – – daß ich den Tag nicht mehr überlebe. – – Bleibe bei mir. – Bitte, Juanita. – – Bleibe bei mir. – – Laß mich jetzt – – nicht allein. – –«

Lutz hatte leise nach seinem Hut gegriffen und mit Hanna Brentano einen kurzen Blick gewechselt. – Dann ließ er das Mädchen mit dem sterbenden Mann allein.

*

Mehr wie zwei Jahre waren inzwischen vergangen.

An einem Dezembermorgen hatte sich Doktor Lutz direkt vom Frühstückstisch in sein Arbeitszimmer begeben und dort vor seinem Schreibtisch Platz genommen. Trotz der frühen Stunde saßen schon mehrere Parteien, die den berühmten und beliebten Detektiv zu konsultieren gedachten, in dem anstoßenden, durch eine gepolsterte Tür abgeschlossenen Wartezimmer. Jedoch vor Durchsicht der Morgenpost pflegte Lutz keinen Klienten zu empfangen, und so war er auch heute, seinem Prinzip getreu, damit beschäftigt, die Posteingänge einer Prüfung zu unterziehen.

Von dem Inhalt mehrerer Briefe hatte er bereits mit gleichgültiger Miene Kenntnis genommen, als ein weißer Umschlag sein Interesse zu wecken schien. Er betrachtete prüfend die großen, steilen Schriftzüge auf der Vorderseite des Briefes, dann schnitt er den Umschlag auf. Eine gedruckte Karte fiel heraus, die Lutz ruhig zur Seite legte, um sich in den Inhalt des vierseitigen Briefes zu vertiefen.

Fein lächelnd ließ er dann den beschriebenen Bogen sinken und nahm die Karte zur Hand.

»Also doch –«, murmelte er. »Ich habe es geahnt.«

Auf der Karte stand in sauber lithographierten Buchstaben:

Als Verlobte empfehlen sich:
Hanna Brentano
Dr. med. Ibrahim Denkandi-Benvenisti.
Frankfurt am Main. Salonique.

Der Detektiv erhob sich und ging mit langsamen Schritten nach dem Hintergrund des Zimmers, wo er einen großen zweitürigen Schrank öffnete, und einem Gefach zwei Gegenstände entnahm, die er vor sich auf den Tisch stellte.

Der eine bestand in einem Glasbehälter, welcher durch einen geschliffenen Deckel luftdicht verschlossen und zu dreiviertel mit einer blaßgelben Flüssigkeit angefüllt schien.

Sinnend, den Kopf in die rechte Hand gestützt, betrachtete der Detektiv den Inhalt des Glases.

Es war eine daumendicke, ungefähr achtzig Zentimeter lange Schlange in Alkohol konserviert. Der braungelbe, mit schwarzen Rautenflecken gezierte Körper schien in der Mitte durchgebrochen.

Auf einem Papierschild am Fuße des Glases stand säuberlich in Rundschrift vermerkt:

Lanzenschlange – Lachesis lanceolatis. Hochgiftiges Reptil aus der Familie der Grubenottern. Mittel- und Südamerika. Anlage zum Fall Denkandi. Journal II a. Tgb. Nr. 174, Juni 1900.

Der Detektiv schob das Glas zur Seite, und griff nach dem zweiten Gegenstand, einer Kabinettphotographie, die einen ungefähr vierzigjährigen Mann in Uniform darstellte.

Aus dem zweireihigen Schnitt des Waffenrocks und dem goldgestickten Samtkragen war der Staat, in dessen Heeresdienst der Träger der Uniform stehen konnte, nicht ohne weiteres ersichtlich, wenn auch der breitrandige Strohhut, ein sogenannter Sombrero, den der Mann trug, auf eine der vielen amerikanischen Republiken schließen ließ.

Der Detektiv hatte das Bild umgedreht und überlas aufmerksam eine Inschrift auf der Rückseite. Dort stand in großen, regelmäßigen Buchstaben:

 

»Dieses Bild stellt dar: Herrn Dr. med. Heinrich Paul Seyler. Er wurde geboren am 16. Januar 1827 zu Lörrach in Baden und starb am 17. Juni 1900 zu Frankfurt am Main. Er studierte in Freiburg Medizin und verließ, im Jahre 1848 während der Revolution sein deutsches Vaterland, um nach Südamerika auszuwandern.

Von 1849-1851 war er Stabsarzt (capitano medico) im Heere der Republica Oriental de Uruguay (2. Lancero-Regiment). Von 1853-1868 Hauptmann, später Major beim 5. Regiment der Tiradores (Scharfschützen) von Asunçion und Spezialkurier des Präsidenten Francisco Solano Lopez von Paraguay. Im Jahre 1870, als sein deutsches Vaterland ihn benötigte, kehrte er in seine Heimat zurück, machte im badischen Korps unter General Werder den Feldzug gegen Frankreich als freiwilliger Oberarzt mit, wurde in den Kämpfen an der Lisaine verwundet und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.

In Charlottenburg und später in Frankfurt am Main lebte er dann seinen medizinischen Studien und endete am 17. Juni 1900 sein Leben durch Mörderhand, nachdem ihm am Tage zuvor eine Erfindung gelungen war, die seinen Mitmenschen zum Heil gereichen sollte. – –

Herrn Doktor Karl Egon Lutz für seine, vom besten Erfolg gekrönte Tätigkeit in Ermittlung des Mörders und für taktvolles diskretes Arbeiten, dieses Bild zum Andenken.

Der Sohn des Verblichenen.
Leutnant Hartwig Brentano.
Frankfurt am Main, im Juni 1900.«

 

Doktor Lutz schreckte aus seinem Sinnen auf. Sein Sekretär hatte fast lautlos das Zimmer betreten und stand hinter dem Detektiv.

Dieser deutete auf die vor ihm liegende Photographie und fragte:

»Wissen Sie noch, wer das ist – –?«

»Freilich –«, meinte Roderich lächelnd. »Doktor Seyler, der Kurier des Präsidenten Lopez von Paraguay. – «

»Einer meiner interessantesten Fälle – «, fügte Lutz hinzu und stand auf.

»Gibt es etwas Besonderes – fragte er, indem er die Schlange und Photographie wieder in den Schrank verschloß.

»Eigentlich, nicht. Aber ich dachte, – ich meinte, – es sind nämlich schon fünf Parteien im Wartezimmer, Herr Doktor. – «

»Es ist gut, Roderich«, antwortete der Detektiv. »Ich bin bereit.«

Bei diesen Worten schritt er schnell zur Tür des Wartezimmers, öffnete sie und sagte ruhig und geschäftsmäßig einladend:

»Darf ich bitten – – ?«

 


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