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Achtes Kapitel.

Pünktlich um zwei Uhr klingelten Lutz und die beiden Polizeibeamten an der Wohnungstür Dr. Seylers.

Frau Martens öffnete und führte die Herren nach dem Salon, wo Hanna und ihr Bruder bereits wartend saßen.

Der letztere hatte seine Uniform mit einem dunklen Zivilanzug vertauscht. Er war mehrere Jahre älter als Hanna und hatte bis auf die großen blauen Augen äußerlich wenig mit seiner Schwester gemein.

Nachdem Lutz den Kommissar Fischer vorgestellt und Hanna ihren Bruder, der sich schweigend und etwas reserviert verneigte, bekannt gemacht hatte, sprach Lutz die Bitte aus, sogleich das Arbeitszimmer Seylers besichtigen zu dürfen.

An der Türe bat er die anderen, zurückzubleiben und ging dann langsamen Schrittes bis zur Mitte des Zimmers, wo er still stehenblieb und sich nach allen vier Seiten umblickte. Hanna und ihr Bruder sowie die beiden Kommissare waren wunschgemäß innerhalb des Raumes, aber an der Türe, stehen geblieben.

Die Fenster des Zimmers waren fest geschlossen und die Vorhänge zugezogen.

Lutz zog die Nase hoch. »Was für ein sonderbarer, unangenehmer Geruch – –!« murmelte er. Dann wandte er sich an Rademacher mit der Bitte, ihm die Stelle zu zeigen, wo Seylers Leiche und das Stück Papier, das die Anklage gegen Denkandi enthielt, gelegen hatte.

Der Kommissar kam der Bitte nach und Lutz trat zu der bezeichneten Stelle, wo er den Boden schweigend und aufmerksam erst mit freien Augen, dann mit einer großen Lupe, die er aus der Tasche gezogen hatte, untersuchte.

»Im Zimmer ist doch nichts verändert worden?« fragte er, ohne sich vom Boden zu erheben.

»Nein,« antwortete Hanna leise, »es ist alles so geblieben wie es war und wo es war.«

»Auch auf dem Schreibtisch, Fräulein Brentano?«

»Auch dort, Herr Doktor –«

Der Detektiv erhob sich nun wieder vom Boden und trat auf den Schreibtisch zu, dessen Platte er aufmerksam betrachtete. Einige der darauf liegenden Bücher und Papiere nahm er sorgfältig in die Hand und zeigte besonders für mehrere medizinische Präparate ein größeres Interesse. Eine kleine Kristallflasche mit Glasverschluß nahm er auf, öffnete vorsichtig den Verschluß und roch daran. – Dann schüttelte er leise den Kopf.

Die beiden Geschwister und vor allem die Polizeibeamten folgten der Untersuchung des Detektivs mit atemloser Spannung.

Dieser hatte sich unterdessen auf den Sessel Seylers niedergelassen und blieb, die Augen auf das Muster des Teppichs geheftet, mehrere Minuten schweigend und nachdenklich sitzen. –

Plötzlich stand er auf und griff nach einem Federhalter, der in einem zu einem Drittel mit kleinen blauen Glasperlen angefüllten Kristallbehälter vor ihm auf der Tischplatte stand.

»Wenn ich nicht irre ist das wohl der Halter, den Herr Dr. Seyler zu benützen pflegte?«

»Ich glaube ja,« antwortete Hanna, »aber Sie gestatten vielleicht, daß ich Frau Martens hereinbitte, sie kann Ihnen auf manche Fragen besser Auskunft geben als ich. –«

Die Haushälterin kam und bestätigte Hannas Angabe.

Lutz betrachtete die Feder genau, tauchte sie dann in das vor ihm stehende Tintenfaß und warf einige Worte auf ein Stück Papier.

»Pflegte Herr Doktor Seyler bei seinen schriftlichen Arbeiten vielleicht einen Füllfederhalter zu benützen?« fragte er die Haushälterin.

»Nein,« antwortete diese, »mir ist gar nichts davon bekannt, daß er überhaupt einen Füllfederhalter besaß.«

Lutz nickte leise. »Herr Rademacher,« sagte er dann, »wollen Sie bitte den ominösen Zettel herüberreichen –?«

Fischer öffnete die Mappe, in welcher Lutz die Handakten des Falles Denkandi wieder mitgebracht hatte und legte das verlangte Stück Papier vor Lutz auf den Tisch.

Der Detektiv überprüfte den Inhalt nochmals genau, verglich die Schrift auf dem Zettel mit den Worten, die er soeben selbst niedergeschrieben hatte und stand langsam auf.

»Fräulein Brentano,« sagte er ruhig, »ich teile Ihre Überzeugung, daß Herr Denkandi an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen unschuldig ist. – –«

Ein kurzes Aufleuchten ging über Hannas Züge, machte aber sogleich wieder einer gewissen Bangigkeit Platz.

»So glauben Sie auch, daß die Worte auf dem Papier nicht von meinem Vater stammen?« fragte sie und heftete ihre Blicke mehr ängstlich wie hoffnungsfreudig auf die ernsten Züge des Detektivs.

Ohne die deutlich ausgeprägte Angst, die in Hannas Zügen lag, weiter zu beachten, antwortete dieser nur ruhig:

»Ich bin überzeugt davon, daß Herr Dr. Seyler als Schreiber der Anklage nicht in Frage kommt.«

»Wer mag es aber dann gewesen sein – –?« murmelte Hanna leise.

»Wollen Sie bitte einmal näher treten, meine Herren«, wandte sich Lutz nun an die beiden Polizeibeamten.

»Hier haben Sie eine Schriftprobe von mir mit Seylers Feder, vergleichen Sie nun bitte diese Probe mit der Schrift auf dem Zettel. Diese ist mit einer sogenannten Kurantschriftfeder, das ist eine Feder mit ziemlich breiter Spitze, wie sie für sogenannte Rundschrift im Gebrauch ist, hergestellt, während Seylers Feder ziemlich spitz ist. – Und was die beiden Tinten anbetrifft, so bedarf es weder einer chemischen noch einer mikroskopischen Untersuchung des Sachverständigen; jeder Laie kann sich mit bloßem Auge überzeugen, daß diese beiden Tinten grundverschieden sind.«

Fischer und Rademacher hatten sich über die beiden Papiere gebeugt und wechselten einige wenige Worte.

»Wer ist nun aber der Schreiber?« fragte der letztere.

Lutz antwortete nicht. – Er war aufgestanden und betrachtete den Arbeitstisch Seylers. Dann ging er langsam zu der Wand des Zimmers, die von der Eingangstüre rechts lag.

Vor dem, zu einem Kamin umgebauten Gasofen blieb er stehen.

»Was hing hier an der Wand?« fragte er und deutete auf eine Stelle, wo ein viereckiger Fleck sich dunkel von der übrigen Tapezierung des Zimmers abhob.

Hanna blickte Frau Martens fragend an.

»Ein Diplom«, erwiderte diese.

»Was für ein Diplom?« fragte Lutz. »Ein Doktordiplom?«

»Nein,« meinte Frau Martens, »es war eine Art Dekret unter Glas und Rahmen in spanischer Sprache. Den Inhalt verstand ich nicht, aber es kann kein Doktordiplom irgendeiner Universität gewesen sein. Mein verstorbener Mann war Oberlehrer, und wie ein Doktordiplom aussieht, weiß, ich dann natürlich. –«

»Es handelt sich möglicherweise um ein Offizierspatent«, wandte Hartwig Brentano ein, der sich bis jetzt ganz schweigsam verhalten hatte. »Mein Vater war, wenn ich nicht irre, in seiner Jugend Offizier in irgendeiner der vielen amerikanischen Republiken, und ich erinnere mich, daß sein Patent in spanischer Sprache ausgefertigt, eingerahmt, früher hier im Zimmer hing.«

»Welcher Staat das Patent ausgestellt hat, wissen Sie nicht mehr –?«

»Ich habe es nie genau gewußt, Herr Doktor. Es war auf weißes, festes Papier handschriftlich ausgestellt und mußte, nach den gelben Rändern der Schriftzüge zu urteilen, schon ziemlich alt sein. Die Unterschrift war völlig unleserlich, hingegen der Stempel klar und deutlich erkennbar.«

»Können Sie mir diesen Stempel ungefähr beschreiben –?« fragte Lutz.

»Ich denke schon. – Er bestand aus einem ovalen Schild in vier Felder geteilt. Darüber eine Sonne. – Auf dem oberen Feld rechts war eine Wage, links oben ein Berg. Auf dem unteren Feld rechts ein Pferd, links ein Stier. – Möglicherweise stellte es das Wappen Mexikos dar, denn wenn ich nicht irre, hat mein Stiefvater, der lange in Amerika gelebt hat, in seiner Jugend auch Mexiko besucht und sogar unter Juarez gegen den Kaiser Maximilian und Marschall Bazaine gekämpft. –«

»Ein ovaler Schild, in vier Teile geteilt, darüber eine Sonne – –?« wiederholte Lutz. »Das mexikanische Wappen sieht anders aus, aber …«

Er brach kurz ab und verharrte einige Sekunden in Schweigen.

»Seit wann ist das Diplom verschwunden?« fragte er dann.

»Seit Sonntag, – –« antwortete Frau Martens.

»Wer hat es entfernt?«

»Wahrscheinlich Herr Doktor Seyler selbst.«

»Wissen Sie den Grund – –?«

»Nein, Herr Doktor Seyler hat mir nichts gesagt, und unnötige Fragen stellte ich bei ihm nicht.«

Lutz hatte langsam nach dem Aktenstück gegriffen und schlug das Protokoll des Untersuchungsrichters auf.

»Frau Martens,« sagte er ernst, »wissen Sie bestimmt, daß gerade am Sonntag das Dekret entfernt wurde?«

»Jawohl, ziemlich bestimmt, denn am Samstagabend hing es beim Reinigen noch auf seinem alten Platz und am Montag fehlte es.«

»Am Sonntag vormittag,« fuhr Lutz nach einem Blick in das Protokoll fort, »empfing Herr Dr. Seyler einen fremden Besuch, nach dessen Weggehen er in großer Erregung war.«

»Das ist richtig. –«

»Sie hielten den Herrn für einen Ausländer, Frau Martens, welche Gründe können Sie dafür angeben?«

»Er unterhielt sich mit Herrn Dr. Seyler in einer fremden Sprache. –«

»Welche Sprache es war, wissen Sie aber nicht?«

»Nein, aber ich glaube, es war italienisch oder rumänisch.«

»Es kann aber auch spanisch gewesen sein –?« fragte Lutz.

»Das ist schon möglich, ich kenne spanisch nicht.«

»War es eine klangvolle, vokalreiche Sprache mit harten Gaumenlauten wie unsere deutschen ch in Rauch, Dach usw.«

»Ja,« gab Frau Martens zu, »das ist möglich.«

»Können Sie den Herrn näher beschreiben?« fuhr Lutz fort.

Frau Martens überlegte einen Augenblick.

»Nicht genau«, meinte sie dann. »Ich sah ihn nur einen kurzen Moment auf dem ziemlich dunklen Vorplatz. – Er mochte 23 bis 30 Jahre alt gewesen sein, war elegant gekleidet und sprach gut deutsch, aber mit einem leichten ausländischen Akzent.«

»Wie ein Spanier vielleicht –?« fragte Lutz.

»Es ist möglich, ich habe wissentlich noch keinen Spanier deutsch sprechen hören.«

Lutz stand auf.

»Donnerwetter – –!« rief er aus, »was riecht es hier penetrant nach Knoblauch – –!«

Frau Martens zog die Luft durch die Nase.

»Der seltsame unangenehme Geruch ist mir auch schon ausgefallen,« sagte sie, »aber ich finde keine Erklärung dafür.«

Lutz hatte nach seinem Spazierstock gegriffen, einem dünnen, gelben, spanischen Rohr mit einer goldenen Kugel, und trat von neuem an den Arbeitstisch Seylers.

Vor einem großen leeren Glaskasten, der oben offen war, blieb er stehen.

»Was war denn in diesem Kasten hier?« fragte er.

»Weiße Mäuse, –« entgegnete Rademacher.

»Und wo sind die Mäuse jetzt?« fragte Lutz.

Statt aller Antwort ertönte von der Seite des Schreibtisches her ein leises, feines Pfeifen.

Wie elektrisiert fuhr Lutz herum.

Dort stand Hanna Brentano über den Zettel geneigt, der Denkandi des Mordes bezichtigte und schien den Inhalt noch einmal aufmerksam zu prüfen. –

Und vor ihr – – auf der Schreibtischplatte, – – unmittelbar vor ihrem Gesicht – – –

»Allmächtiger Gott – –!!!«

Mit einem leisen Ausruf des Schreckens war Lutz in einem einzigen, großen Satze auf das Mädchen zugesprungen, – – riß es mit furchtbarer Gewalt von dem Schreibtisch weg, so daß es weit in das Zimmer zurücktaumelte und zu Boden stürzte. –

Und dann – – sauste sein Stock – – wie ein gelber Blitzstrahl wuchtig auf die Schreibtischplatte nieder. – Einmal – – zweimal – – dreimal – – so daß eines der Glaspräparate klirrend in Trümmer ging und die Scherben durch das Zimmer flogen.

Erstaunt und aufs äußerste erschrocken waren die anderen Anwesenden dem seltsamen Gebahren des Detektivs gefolgt, der aschfahl und vor Erregung leicht zitternd auf die Schreibtischplatte starrte.

Aber schon hatte er sich gefaßt, und indem er die halb ohnmächtige Hanna sanft vom Boden aufhob, sagte er: »Entschuldigen Sie, Fräulein Brentano, daß ich Sie so unzart anfaßte, – aber es galt Ihr Leben. – Sie schwebten in einer furchtbaren Gefahr, und eine Sekunde später wären Sie dem gleichen Mörder zum Opfer gefallen wie Ihr Vater auch. –«

Während sich Hartwig Brentano und Frau Martens um Hanna bemühten, ging Lutz langsam und vorsichtig nach dem Schreibtisch, griff mit der rechten Hand schnell zu und schleuderte mit einem Ruck – – eine über armlange, daumendicke Schlange auf den Arbeitstisch Seylers.

Erschrocken wichen die beiden Beamten zurück.

»Befürchten Sie nichts mehr, – –« sagte Lutz ruhig. »Der Mörder Dr. Seylers wird Ihnen nicht mehr gefährlich.«

Hanna, noch bleich von dem ausgestandenen Schrecken trat mit ihrem Bruder langsam an den Tisch.

Ihre Augen richteten sich starr mit dem Ausdruck größten Entsetzens auf das leblose Reptil.

Der braungelbe, mit schwarzen, dreieckigen Rautenflecken bedeckte Körper lag langausgestreckt und zuckte leise. In dem dreieckigen, plattgedrückten, gegen den Hals deutlich abgesetzten Kopf funkelten boshaft die kleinen, schwarzen Augen.

»Allmächtiger – –!!« stöhnte Hanna leise. – »Die Lanzenschlange – –.«

»Stimmt, –« sagte Lutz. »Die Lanzenschlange, Lachesis lanceolatis, die gefährlichste Giftschlange in ganz Mittel- und Südamerika. – Ihr Biß tötet in wenigen Minuten, besonders wenn es so heiß ist wie jetzt im Juli, und wenn das Gift gar in eine Hohlader gelangt wie bei Doktor Seyler, tritt der Tod fast augenblicklich ein.«

Hanna war, von Entsetzen geschüttelt, mit einem leisen Aufstöhnen auf einen Stuhl gesunken.

»Die Lanzenschlange, – – –« murmelte sie tonlos. »Wie kommt die Schlange hierher – –?«

»Nichts einfacher wie das, –« antwortete Lutz. »Das Reptil wurde Herrn Dr. Seyler in dem Kästchen als Einschreibebrief zugesandt. Bei der Empfangnahme hat Frau Martens den Karton noch einige Male derb geschüttelt, was die eingeschlossene Schlange in die richtige Wut versetzte.

So erhielt Herr Doktor Seyler, der ahnungslos das Kästchen öffnete, den tötlichen Biß in die Hand. – Dann entwich sie und verkroch sich irgendwo im Zimmer.

In welch' furchtbarer Gefahr wir alle geschwebt haben, besonders Sie, Herr Rademacher, Wachtmeister Muschal und die Herren von der Staatsanwaltschaft, ist ihnen nun wohl allen klar. Von Fräulein Brentano gar nicht zu reden.«

Die arme Hanna, von Schreck, Entsetzen und anderen Gefühlen zerrissen, war schluchzend auf ein Ruhebett im Hintergrund des Zimmers zusammengebrochen. Ihr Bruder trat ernst auf den Detektiv zu.

»Herr Doktor« sagte er herzlich und ergriff Lutz' Hand, die er kräftig schüttelte, »ich kann nicht viele Worte machen, ich bin zu bewegt, aber danken muß ich Ihnen, herzlichst danken. Ihre Geistesgegenwart hat meiner Schwester das Leben gerettet. – –«

»Schaffen Sie bitte Ihr Fräulein Schwester aus dem Zimmer, Herr Leutnant, –« antwortete Lutz, »und lassen Sie sie zu Bett bringen. Ich mußte sie gar derb anfassen, aber es galt tatsächlich Leben oder Tod, denn gegen den Biß dieser furchtbaren Grubenottern gibt es kaum ein Mittel.«

Als der Leutnant mit seiner Schwester und Frau Martens das Zimmer verlassen hatte, meinte Kommissar Rademacher, der aus achtungsvoller Entfernung die Schlange betrachtet hatte:

»Nun weiß ich auch, wo die weißen Mäuschen hingekommen sind, – – die Schlange hat sie gefressen. –«

»Und da viele Schlangen besonders Giftschlangen, bei ihrem Verdauungsgeschäft nicht gerade nach Ambra riechen,« fügte Lutz bei, »bin ich mir über den penetranten Gestank im Zimmer nun auch im klaren. –«

Fischer hatte das Aktenstück wieder zur Hand genommen.

»Diese Überraschung«, sagte er. »Der Fall Denkandi ist mit der interessanteste Fall meiner ganzen Praxis, und ich bin nun doch bald zwanzig Jahre im Polizeidienst. – – Jetzt sind folgende Fragen aufzuwerfen«, fuhr er ernst fort. »Warum wurde Seyler eine Giftschlange zugeschickt? Wer hat die Giftschlange geschickt? – Warum wurde der Verdacht auf Denkandi gelenkt, und wer hat den Zettel geschrieben – –?«

Lutz gab keine Antwort. Er stand, die Hände über der Brust verschränkt, am Schreibtisch Seylers und grübelte vor sich hin.

Plötzlich zuckte es über sein Gesicht.

Mit einem schnellen Griff nahm er Fischer die Akten aus der Hand, schlug sie auf und beugte sich ein letztes Mal gespannt über den Zettel.

Als er sich wieder aufrichtete, lag ein triumphierendes Lächeln auf seinen Lippen.

»Fischer, –« sagte er. »Der Fall ist geklärt. – Ich habe die Lösung gefunden. – – Von uns dreien war einer bornierter als der andere, aber so geht es, wenn man sich in der Kriminalistik auf etwas verrennt. – Lesen Sie doch den Inhalt des Zettels noch einmal laut vor. – –«

Fischer las:

»Mörder Denkandi Ben, der Orientale – –«

»Ja, –« lachte Lutz, »so habe ich die Botschaft auch zuerst verstanden. – Aber sie lautet ganz anders. – Geben Sie acht, meine Herren, nun will ich Ihnen den Zettel vorlesen. –«

»Mörder –! Denk an die Banda Oriental – –«

»Banda Oriental – –?« wiederholte Fischer, »was soll denn das bedeuten –? Orientalische Bande –? Ich bin eigentlich nicht viel klüger wie zuvor.«

»Aber ich sehr viel, –« lachte Lutz. »Mit einer orientalischen Bande hat die Sache allerdings nichts zu tun. Die Banda Oriental müssen Sie ganz wo anders suchen wie im Orient. – Herr Rademacher, Sie stehen gerade vor dem Konversationslexikon. – Darf ich Sie bitten, den vorletzten Band herauszunehmen. – Den Band Thimanthes bis Vulkan. – So, und nun schlagen Sie bitte mal auf, Uruguay – –!«

Und als Rademacher den Band aus dem Gestell genommen hatte und Lutz fragend ansah, wiederholte dieser:

»Jawohl, – Uruguay. – Den Südamerikanischen Staat Uruguay –.«

Der Kommissar blätterte in dem Konversationslexikon. Endlich schien er gefunden zu haben, was er suchte.

»Nun lesen Sie bitte laut vor,« bat Lutz.

Rademacher las:

 

»Uruguay. Freistaat in Südamerika, im Süden durch den Rio de la Plata, im Westen durch den Uruguayfluß von der argentinischen Republik getrennt; gehörte seit der Errichtung des spanischen Vizekönigreiches Buenos-Aires zu diesem, und führte den Namen Banda Oriental, das heißt die östliche Seite …«

 

»Banda Oriental –«, wiederholte Lutz. »Mörder –! Denk' an die Banda Oriental. – Nun haben Sie des Rätsels Lösung.«

Die beiden Kriminalbeamten sahen sich wortlos an.

»Donnerwetter – –!« rief Fischer schließlich aus. »Nun hat die Sache allerdings ein ganz anderes Gesicht wie vorhin. Der Fall entpuppt sich als ein Racheakt. –«

»Ein prachtvoller Fall – –«, meinte Lutz. »Eine noch unbekannte Person hat Doktor Seyler die Giftschlange zugesandt und in einem Zettel darauf hingewiesen, daß er als Rächer handelt für irgendein Vergehen, das sich Seyler vor Jahren in der Banda Oriental zuschulden kommen ließ. –«

Rademacher hatte den Zettel noch einmal durchgelesen.

»Teufel, Teufel –!« brummte er, »nun wird die Sache erst verzwickt. – Demnach wäre Seyler ein …«

Er scheute sich, das Wort Mörder laut auszusprechen.

»Noch wissen wir nichts Genaues –«, meinte Lutz abwehrend. »Aber ich bin auf weitere Überraschungen gefaßt. Wir rühren da ein Familiendrama auf, das, so interessant es für den Unbeteiligten auch sein mag, für eine junge Dame von bester Erziehung und einen ehrenhaften, preußischen Offizier, die schlimmsten Komplikationen nach sich ziehen kann.«

»Wer ist nun der Mörder –?« fragte Fischer.

»Niemand anders als jener Besuch vom Sonntag vormittag, nach dessen Weggang Seyler schleunigst sein uruguayisches Offizierspatent verschwinden ließ. Den gilt es jetzt zu ermitteln. Meine eigentliche Aufgabe, nämlich den Unschuldsbeweis Denkandis zu erbringen, dürfte als gelöst zu betrachten sein, aber im Interesse meiner Klientin darf ich den Fall noch nicht aus der Hand geben.«

»Und was nun?« fragte Fischer.

»Lassen Sie mich mit Fräulein Brentano Rücksprache nehmen«, antwortete Lutz ernst. »Gegen Abend erstatte ich Ihnen dann persönlich Bericht …«


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