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Drittes Kapitel.

Es war am Dienstag vormittag in der Pension Mon Repos in Ouchy. Im Zimmer Hannas herrschte eine chaotische Unordnung. Schränke und Behälter waren geöffnet, – Schubladen herausgezogen, und deren Inhalt auf dem Bett, den Tischen und dem Fußboden verteilt. Hanna war damit beschäftigt, ihre Effekten in zwei große Rohrplattenkoffer zum Umzug nach Frankfurt zu verpacken. – Juan de Souza Miranda stand in Hemdsärmeln am Fenster und bemühte sich, eine große Anzahl Bücher in einer stabilen Holzkiste, die mit eisernen Bändern versehen war, zu verstauen. –

»Jetzt noch die Blusen hier in den Einsatz,« sagte Hanna, »dann gönnen wir uns eine Pause, Juan, und trinken Kaffee.«

»Wie Euer Gnaden befehlen«, meinte dieser und zog sein Zigarettenetui. »Willst du eine Papyros, Juanita?«

»Danke, nein,« sagte Hanna, »wenn ich rauche, kann ich nicht arbeiten. – –«

»Und ich kann nicht arbeiten, ohne zu rauchen. – Ich bin übrigens fertig. Die Wissenschaft ist untergebracht. – –«

»Dann setze dich brav aufs Sofa, zünde dir eine Zigarette an und erzähle mir etwas. – Ich bin auch gleich mit meiner Packerei zu Ende. – –«

»Ich freue mich auf Donnerstag«, sagte Juan, indem er sich bequem in eine Sofaecke legte und die Beine übereinanderschlug.

»Das hast du mir nun schon so häufig versichert,« lachte Hanna, »daß ich es wirklich bald glaube. –«

»Laß doch das ewige Packen, Juanita, und setze dich einen Moment zu mir.«

Hanna nickte, dann legte sie schweigend die letzte Seidenbluse in den geöffneten Koffer und setzte sich neben Juan auf das Sofa.

»So ist's nett, adorada«, meinte dieser, seinen Arm zärtlich um Hannas Taille legend. – »Ich freue mich nicht nur, die weite Reise in deiner Gesellschaft machen zu können, sondern bin ganz besonders glücklich, gerade schon am Samstag in Frankfurt sein zu können.«

»Ich kann mir's denken. Wegen des Internationalen medizinisch anthropologischen Kongresses –?« nickte Hanna.

»Jawohl, wegen des Kongresses. – Fast alle Länder sind vertreten. Bertillon für Frankreich, Lachman und Reiß für Deutschland, Johnston für England, Waelti für die Schweiz und Brandt-Jörgensen für Dänemark. Sogar Felipe Sarmiento aus meiner Heimat wird erscheinen. Ich kenne ihn persönlich und freue mich, ihn wiedersehen zu können.«

»Ja, ich bin über den Kongreß auch ein wenig orientiert«, meinte Hanna. »Mein Vater bringt der Sache großes Interesse entgegen. Er hoffte sogar stets, bis zum Kongreß sein Serum, von dem ich dir schon erzählt habe, fertigstellen zu können. Hoffentlich gelingt es ihm. – Sein Assistent Dr. Dekandi und er selbst haben sich in den letzten Wochen keine freie Minute gegönnt, und sogar teilweise Nächte lang über ihren Experimenten gesessen. –«

Bevor der Argentinier noch etwas antworten konnte, klopfte es. Hanna befreite sich sanft aus den Armen des Mannes, der schnell in seinen Rock fuhr, dann rief sie: » Entrez.«

Ein Depeschenjunge erschien auf der Schwelle.

» Une télégramme pour Mademoiselle Brentano –?«

» C'est moi – –« sagte Hanna, nahm gespannt den Umschlag entgegen und brach ihn schnell auf. Ein düsterer Schatten prägte sich beim Lesen in ihren heiteren Zügen aus.

»Doch keine Unglücksbotschaft?« fragte de Souza Miranda beunruhigt.

»Hoffentlich nicht«, antwortete Hanna und fuhr sich mit der Hand über die Stirne. Dann reichte sie dem Argentinier das Telegramm zur Kenntnisnahme über den Tisch.

Dieser überflog die wenigen Worte:

»Donnerstag noch nicht abreisen. Eilbrief unterwegs. Vater«, las er laut. – »Caramba –! Was mag das bedeuten –?«

»Ich weiß nicht«, sagte Hanna leise, die ganz blaß geworden war. Juan hatte sich schnell wieder gefaßt.

»Es ist wohl kaum anzunehmen, daß sich etwas Unangenehmes bei dir zu Hause ereignet haben soll. Daß es sich außerdem auch nur um einen Aufschub deiner Reise und um kein Aufheben handelt, beweist das Wörtchen ›noch‹.« Dann nahm er den Umschlag noch einmal in die Hand und sah nach dem Datum.

»Das Telegramm ist heute vormittag um 8 Uhr 15 in Frankfurt aufgegeben. Demnach wird der Eilbrief morgen vormittag hier sein. Also Kopf hoch und abwarten.«

Trotz der offensichtlichen Anstrengungen Juans, Hanna zu beruhigen, wollte bei ihr doch den ganzen Tag keine richtige heitere Stimmung aufkommen, bis glücklicherweise am folgenden Morgen der erwartete Eilbrief ankam, der tatsächlich die erhoffte Entspannung und Beruhigung brachte.

Da nach Juans Berechnung der Brief mit der ersten Morgenpost einlaufen mußte, fuhr er schon um ½9 Uhr nach Ouchy, wo er zu seiner angenehmen Überraschung Hanna mit heiteren Mienen antraf.

Sie bot ihm den Mund zum Kusse und reichte ihm dann wortlos den so sehnlich erwarteten Brief. Juan überflog schnell die wenigen, flüchtig geschriebenen Zeilen.

 

»Liebe Tochter!« las er. »Ich habe Dich gestern telegraphisch benachrichtigt, Deine Abreise aufzuschieben und möchte Dich hiermit bitten, nicht vor Montag der kommenden Woche nach Frankfurt zu fahren. – Wie Du weißt, arbeite ich mit Hochdruck an der Fertigstellung eines neuen Serums, von dem ich mir die größten Erfolge verspreche, und ich hoffe, es zu dem Kongreß, der am Samstag hier tagt, fertigstellen zu können. Deine Anwesenheit in Frankfurt würde mir in diesen Tagen nur hindernd sein, außerdem habe ich Dein Zimmer einem Kollegen, Herrn Dr. Bertolinescu aus Bukarest, den ich seit langen Jahren kenne, und der anläßlich des Kongresses bis Montag hierbleiben muß, abgetreten. Ich bitte Dich daher, erst am Montag von Lausanne abzureisen und in Basel zu übernachten. Mein Assistent, der an diesem Tage in Mülhausen zu tun hat, wird Dir bis Basel entgegenfahren und die Reise bis Frankfurt in Deiner Gesellschaft zurücklegen. Frage in Basel im Hotel Jura (am Bundesbahnhof) nach Herrn Dr. Ibrahim Denkandi-Benvenisti und fahre Dienstagvormittag mit dem Schnellzug nach Frankfurt. – Bis auf Wiedersehen küßt Dich Dein Vater.«

 

»Gott sei Dank!« sagte Juan aufatmend und gab Hanna den Brief zurück. »Mir fällt ein Stein vom Herzen. Trotzdem ich dich gestern mit allen Mitteln zu beruhigen suchte, war ich selbst von der Wahrheit dessen, was ich dir erzählte, ganz und gar nicht überzeugt. Ich befürchtete ein Unglück und habe die Nacht nicht viel geschlafen. Das kannst du mir glauben, Juanita.«

Hanna hatte den Brief inzwischen in ihrer Mappe verschlossen.

»Armer Juan« sagte sie, dem Argentinier über die Wangen streichend. »Nun hat sich ja die Sache glücklicherweise in Wohlgefallen aufgelöst. Einige Tage früher oder später zu Hause ist mir ziemlich gleichgültig. Bedauerlich ist nur, daß wir nun auf die Rückreise à deux, auf die wir uns beide so sehr gefreut haben, verzichten müssen.«

»Wieso verzichten?« fragte Juan überrascht. »Ich reise natürlich am Montag mit dir.«

»Und den Frankfurter Kongreß?« fragte Hanna. »Willst du den im Stiche lassen?«

Juan machte eine abwehrende Handbewegung.

»Nein, caro amigo,« fuhr Hanna ruhig fort, »du setzt dich morgen in den Schnellzug und fährst nach Frankfurt.«

Juan schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier«, sagte er. »Der ganze Kongreß kann mir gestohlen werden, wenn du nicht bei mir bist.«

»Das ist Unsinn, Juan«, sagte Hanna entschieden. »Sieh her, caro Juanito,« fuhr sie bittend fort, indem sie sich zu ihm auf das Sofa setzte und beide Arme schmeichelnd um seinen Hals legte, »auf die Teilnahme an dem Kongreß sollst du und darfst du nicht verzichten. Auch deinen Landsmann wirst du in Frankfurt begrüßen. Ich finde meinen Weg am Montag auch allein, außerdem hast du ja selbst gelesen, daß mir mein Papa ab Basel einen Reisemarschall zur Verfügung stellt. Ich will gar nicht, daß mein Vater etwas von unseren Beziehungen erfährt, bevor ich mit ihm gesprochen habe. – Du kennst meinen alten Herrn nicht. Er ist sehr eigen, und vor dem braven Denkandi in deiner Gegenwart Komödie spielen, will ich nicht und kann ich nicht. Nein, Juanito. Es bleibt dabei. Du tust mir den Gefallen und reist morgen allein. Was will die Trennung von wenigen Tagen bedeuten, wenn wir dann für lange, lange Zeit zusammen sein können.«

» Bueno,« sagte Juan schon halb überzeugt, »wann sehe ich dich dann in Frankfurt?«

»Mein erster Gang, Juanito, ist zu dir«, sagte Hanna bestimmt. »Und nun nimm deinen Hut. Wir wollen noch vor dem Mittagessen einen Spaziergang den See entlang unternehmen und heute abend gehst du noch einmal mit mir in den Kursaal. Willst du?«

Bei diesen Worten hüpfte sie, ohne eine Antwort abzuwarten, leichtfüßig auf seinen Schoß und küßte ihn lange und innig auf den Mund.


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