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Elftes Kapitel.

»Heim, heim zum Mutterle!« – Warum die ganze Stadt teilnimmt und Herr Steiner sagt: »Ich hab's kommen sehen!« – Frau Janauscheks Jammer und Frau Maiers Stolz. – Vom Wäscheaufhängen und einer Bluse, die »nichts werden will«! – »O Engele, wenn wir dich nicht hätten!« – Ein schwerer Entscheid und »Heb auf, was Gott dir vor die Türe legt«! – Warten!


Was war das für ein Tag gewesen, als man Nane nach einem kurzen, vorbereitenden Telegramm ihren Buben, ihren Lobele, gänzlich zusammengebrochen und schwer krank nach Hause brachte!

»Ich will heim, ich will zum Mutterle!« waren seine ersten Worte, als er aus jener schweren Ohnmacht wieder erwachte.

Und dann war er gekommen an einem Tag, wo Osterlüfte wehten, wo die Frauen unten auf dem Markt Veilchen und Schlüsselblumen zum Verkauf anboten, und wo die Kinder ausgelassen um die Kirche herum sprangen und sangen im Frühlingssonnenschein.

Jetzt war es schon Sommer geworden, heißer, drückender Hochsommer, und noch immer lag ein schwacher, kraftloser Knabe auf seinem Lager in der langen, schmalen Stube mit dem einen Fenster, höchstens mit der Abwechslung, daß man ihn manchmal in das Wohnzimmer herausbettete, von wo er aber dann sehr gerne nach kurzem wieder in sein Bett zurückging, weil der Anblick von Menschen ihn aufregte. Ruhe, Ruhe, Ruhe! Das war, was die Aerzte dort und der Arzt hier als Erstes und Nötigstes verordneten, und Gottlob selber verlangte so sehr danach.

»Ueberanstrengung des Gehirns und infolgedessen gänzliche Kraftlosigkeit aller Nerven!« So lautete der medizinische Bescheid, und da der Knabe den gleichen Zustand früher schon jahrelang gehabt hatte, so war er um so bedenklicher.

Nächst den Angehörigen traf Herrn und Frau Janauschek dieser Ausspruch am tiefsten, und in ihrer Lebhaftigkeit legten sie sich die ganze Schuld an dem Vorfall zu. »Hätten wir doch lieber das Buberl gelassen wo es war! Aber wir haben's doch so gut mit ihm gemeint, und der Benedikterl war doch gar nicht krank, als wir den Plan gemacht! Und dann freilich, du lieber Gott, hat man fortmachen müssen, ob man gewollt hat oder nicht! Unser halbes Leben gäben wir drum, wenn das Herzerl wieder gesund wäre!« sagte Frau Janauschek bitterlich weinend. Doch da war es Angelika, die energisch für die Freunde eintrat, und es war rührend, wie auch die tiefbekümmerte Nane in ihrer gerechten Art ihr darin beistimmte.

»Schuld tragen wir alle oder niemand. Wie wir den Entschluß gefaßt haben, hat's ein jeder für das Richtige gehalten. Daß es so ausgefallen, ist wohl eine Fügung von Gott. Daß aber das Kind gerade darunter leiden muß, das ist hart, das ist fast zu hart! Aber es muß doch zu seinem Besten sein und auch zu unserm. Wenn ich das nicht festhalten könnt', müßt ich vergehen vor Jammer!«

Voll Teilnahme waren die Freunde, voll Teilnahme war die ganze Stadt. Wer aber mit größtem Schmerz und tiefstem Ingrimm die Kunde von der jämmerlichen Rückkehr Gottlobs vernahm, das war Herr Steiner. »Habe ich's nicht von Anfang an gesagt, daß es so kommen würde? Ich hab' mein Büble gekannt wie kein anderer, und nun haben sie mir's zugrunde gerichtet, und das herrliche Pflänzchen, das so kühn gen Himmel strebte, das aber noch so sehr der Pflege und der Stütze bedurfte, liegt nun kraftlos und verwelkt am Boden!«

»'s ist wieder in der Heimaterde, das ist unser Trost,« sagte Frau von Werder, die ihn besucht hatte. »Freilich ist das Pflänzlein schwach wie vielleicht noch nie, aber seine Würzelein hafteten stets fest im heimischen Ort, und geben Sie acht, Herr Steiner, es saugt sich wieder Kraft aus dem guten, alten, gewöhnten Boden!«

»Ich hab' nicht viel Hoffnung!« klagte der alte Herr, aber ein bißchen getröstet haben ihn die guten Worte doch. –

Daheim, daheim! Auch Angelika empfand anfangs voll und ganz den beruhigenden Segen dieses Wortes nach den mit so großen Sorgen verbundenen Tagen der letzten Monate. Wie dankte sie Gott, als der Arzt in Berlin endlich die Abreise gestattete, als die Überführung des geliebten Bruders mit Hilfe von Fräulein von Thadden und Willi glücklich bewerkstelligt und dann vorüber war, als der Bub in seinem eigenen Bett lag und die große Verantwortung der Mutter gegenüber ihr abgenommen wurde! Und dann das Wiedersehen und die Teilnahme der Freunde, das Anerbieten von Hilfe von allen Seiten, die wohlwollenden und bedauernden Artikel in den Zeitungen, in denen ihr freilich auch klar gemacht wurde, daß ihr Mitwirken für die Dauer nicht genügt hätte, vor allem aber das viel größere Behagen im Haushalt durch das Schalten des jungen Mägdleins! Und wie Gottlob in den ersten Tagen, als er sich von der Reise ein wenig erholt hatte, so friedlich dalag, die Kissen etwas hochgeschüttelt, damit er den Blick auf seinen geliebten Turm hatte, als sie sich mit einer Handarbeit – eine solche hatte es auf der Reise nie gegeben – zu ihm setzte, und als die Mutter von Zeit zu Zeit dazu kam und kurze, wohltuende Worte sprach, wenn Gottlob klagte, da hatte sie diesem aus vollem Herzen beigestimmt, als er ihre Hand faßte und sagte: »O Engele, gelt, wie gut ist's daheim!«

Ja, es war gut, und es tat wohl, aber es blieb nicht so. Die erste, wohl nur scheinbare Ruhe bei Gottlob wich bald einer zeitweisen Unruhe, wo er durchaus nicht allein sein wollte. Die Hilfe der Freunde war wohlgemeint, aber für die Dauer nicht anzunehmen, und das Mägdlein mußte bald wieder zu seiner eigentlichen Bestimmung zurückkehren und Handschuhe waschen, es konnte daneben nur noch das Allergröbste im Haushalt versehen.

Nun war für Angelika das Heim von neuem die Stätte werktägiger Arbeit, verschärft durch Krankenpflege, und dazu kam noch eine große, drückende Sommerhitze, die sie ja nie hatte ertragen können. Gottlob, der immer fror, machte sich nichts daraus, im Gegenteil, er ließ die vollen Sonnenstrahlen, wenn sie des Nachmittags um die Kirchenecke herumkamen, auf seine Bettdecke scheinen und hielt die blutleeren, dünnen Finger gegen das flüssige Gold. Sein Zustand war merkwürdig. Stundenlang konnte er ganz teilnahmslos daliegen, nur mußte beständig jemand neben ihm sitzen, dann aber kamen Stunden großer Aufregung, wo er aufstehen wollte, obgleich die Füße ihn gar nicht trugen, wo er weinte und jammerte um seine Geige, die man ihm nicht gab, und wo er alles Essen und Trinken zurückwies, so gute Sachen ihm auch dargeboten wurden. Menschen wollte er gar nicht sehen, nicht einmal die Frau Stadtpfarrer oder Werders, und auch nicht zu ihrem Schmerz Frau Janauschek, die am Tage sechsmal vorsprach, um nach ihrem Buberl zu fragen oder ihn, wenn er schlief, mit Tränen durch die Türspalte zu betrachten, und die ihrem Mann erklärte, keine zehn Gäule brächten sie heuer trotz der großen Hitze in eine Sommerfrische. Wunderlicherweise war es allein Frau Maier, die Gottlob dann und wann bei sich duldete, und die darauf nicht wenig stolz war. Es kam wohl daher, daß sie meist, wenn sie in die Stube trat, so schnaufen mußte, daß sie ihn nicht viel mit Fragen plagte, wie es ihm gehe, und, wenn sie in dem bequemen Sorgenstuhl neben seinem Bett saß, gewöhnlich bald einnickte. Es war jemand da und doch niemand. Aber oft konnte Frau Maier den Laden nicht verlassen, obgleich Gottlob zu ihr sagte:

»Du allein machst kein so ängstliches Gesicht wie die andern, das ist's, warum ich dich leiden mag!«

Ja freilich, ein ängstliches Gesicht machte besonders die Mutter und ein sorgenvolles dazu, so sehr sie sich sonst beherrschen konnte. Es mochten auch die Gichtschmerzen sein, die ihr Gemüt bedrückten. Daß sie in allem nicht mehr so recht mitkonnte, war ihr schrecklich, besonders Angelika gegenüber.

»Wie tut mir's doch so leid, Engele, daß so vieles an dir hängt, mit dem ich dich so gern verschont hätte, und was du nicht mehr gewöhnt bist!« klagte sie.

Angelika suchte sie zu beruhigen und zwang sich, wenigstens ein bißchen fröhlich auszusehen. Aber in Wirklichkeit lag eine Zentnerlast auf ihrer Seele, wenn sie sich vorstellte, daß dieses Leben noch lange fortdauern würde, immer, immer in derselben Schwere und Enge, Woche um Woche, Monat um Monat, ja, vielleicht Jahre lang, und sie war jetzt den Wechsel doch so gewöhnt! Was würde das noch für ein Ende nehmen?

Am schrecklichsten war ihr das ängstliche Sparen. »Mutter, wir haben ja nun Geld auf der Sparkasse. Warum holst du es denn nicht, statt daß du dich so plagst, um die paar Groschen zu erwerben?«

»Das Geld rühre ich nicht an außer in der allergrößten Not,« ereiferte sich Nane. »Die Opfer waren zu groß, um die es ins Haus kam, als daß man es nun so fürs gewöhnliche Leben ausgeben könnte. Euch allein gehört's, und für euch wird's aufgehoben!«

Angelika dachte, der Notfall wäre eigentlich jetzt schon da, aber sie mußte doch zugeben, daß, was von Tag zu Tag durch das kleine Geschäft einging, immerhin noch reichte. Aber wie! Das höchst einfache Essen, das wäre noch das Wenigste gewesen, denn Angelika war keine Feinschmeckerin. Und doch, wie fade schmeckte das gekochte Fleisch, die schlichte Suppe, die gewürzlose Brühe gegenüber dem Gasthofessen! Der Gaumen war eben doch verwöhnt. Das Mühen um das Essen, das persönliche Mühen beim Staubwischen, Putzen der Zimmer, bei der Wäsche und beim Instandhalten der Kleider, das beständige Sprechen darüber und vor allem das Beschränktsein in der Wohnung! Angelika seufzte oft tief auf und das Leben lastete so schwer wie noch nie auf ihren jungen Schultern. –

Es war ein Augustnachmittag, und sie saß hinten in ihrem Zimmer, bemüht, sich nach Schnittmustern selber eine Kattunbluse zu verfertigen. Wohl hatte sie all die schönen, eleganten Kleider noch, die paßten aber für daheim gar nicht, und Angelika dachte daran, sie zu verkaufen, doch Frau Janauschek litt dies unter keinen Umständen.

»Du brauchst sie bald wieder, Herzerl, glaub mir's. Alle Doktors sind Schwarzseher und Wichtigtuer, und damals in Paris ist's doch auch bald wieder gut geworden mit unserm kleinen Schatz!«

Angelika nähte und nähte. O wie herrlich war's doch gewesen, die Dinge, die man brauchte, einfach nur zu kaufen!

Sie probierte an vor dem kleinen Spiegel, – es paßte nicht. Sie änderte und nähte wieder darauf los, aber die Finger taten ihr weh, weil sie sich die Haut durchgestochen hatte. Und diese Schwüle! Wohl waren die Fenster offen, aber über die Dächer herüber kam es so heiß, und der armselige Fliederbusch auf der Mauer war ganz schwarz von Ruß und Staub.

Thüringen! … Sommerfrische …

Gottlob nebenan rief ihren Namen und sie eilte hinüber.

»Warum laßt ihr mich denn so allein? Ich weiß mir ja gar nicht zu helfen! Wenn ich die Augen offen lasse, so hab' ich Kopfweh, und wenn ich sie schließe, dann kommen lauter Noten auf mich zu, und die haben Gesichter. Ich fürchte mich! Und die Fliegen plagen mich auch so arg!«

Gottlob warf sich unruhig im Bette herum. Angelika suchte durch Zureden das Kind auf andere Gedanken zu bringen und durch Fächeln mit einem Blatt Papier die Fliegen zu vertreiben, da rief's aus der Küche. Mutter stand vor einem Schaff mit eingeweichter Wäsche und suchte vergeblich sie auszuwinden. Sie hätte sie noch gern aufs Seil gebracht, denn gar so viele Bettbezüge hatte sie nicht, und Gottlob brauchte so oft einen frischen.

»Es ist mir so arg, Engele, dir dies zuzumuten, aber ich kann's wirklich nicht mehr, und die Berta muß noch Handschuhe austragen; die Leute werden bequem, sie lassen sie nicht mehr holen.«

Nane ging zu Gottlob, und Angelika tat das, was sie früher unzähligemal getan, was ihr aber jetzt unsäglich schwer fiel. Wenn die Menschen, die ihr Beifall geklatscht hatten, wenn der ungarische Graf sie so gesehen hätte! Am Ende hätte sie doch … Ach nein, ohne Liebe heiratet man nicht!

Angelika wand die Wäsche aus und hing sie dann noch auf ein Seil, das sie quer durch die Küche spannte.

So war es spät geworden, und der Kranke mußte gewickelt und die Abendsuppe gekocht werden. Frau Maier kam noch und setzte sich zu den beiden. Ihr gutmütiges, aber breites, umständliches Erzählen vom Laden und von dem, was heute darin geschehen, war Angelika auch fast unerträglich. Zum Glück konnte sie dabei an der Bluse nähen. Aber nachher mußte sie noch ihr Stübchen ordnen, denn die Flicken lagen am Boden. Abgestäubt hatte sie heute überhaupt noch nicht, und über das Bett hatte sie heute früh nur so geschwind eine Decke geworfen. Es war ihr unangenehm, als die Mutter noch hereinkam und die Unordnung übersah. Es bedrückte sie ordentlich, daß trotz aller Mangelhaftigkeit, die ihrer Arbeit anhaftete, und trotz des inneren Zwiespaltes, der sich gar manchmal in verdrossener Miene und Uebellaunigkeit äußerte, Mutter doch fast täglich zu ihr sagte: »O Engele, wenn wir dich nicht hätten!«

Dieser Satz und Gottlobs rührende Freude, wenn sie zu ihm kam und ihn zerstreute, hielt Angelika aufrecht und tat ihr in all der gräßlichen Nüchternheit wohl.

Aber es kam ein Tag, wo gerade diese Aussprüche ihr so unsagbar weh tun sollten, daß sie glaubte, das Herz müsse ihr darüber zerspringen. Das war so: Willi Reinhardt hatte nun ausgelernt, und er schrieb seinen Eltern voll Glück und Freude, daß ihm eine sehr vorteilhafte Buchhalterstelle in einem der größten Möbelgeschäfte Berlins angetragen worden sei. An Engele hatte er das alles auch geschrieben, aber es war diesem Bericht noch beigefügt, daß sie doch wohl längst wisse, daß er sie über alles liebe, und daß er sie nun frage, ob sie seine Frau werden wolle. Draußen in der Vorstadt, abseits von den Fabriken, stehe ein kleines, hübsches Haus mitten in einem Gärtchen, wo sie wohnen würden. Ihr Leben würde freilich anfangs bescheiden sein, namentlich für sie, die nun an anderes gewöhnt sei, aber das Gehalt reiche aus, um ein gutes Dienstmädchen zu halten, und im Winter auch für etliche Fahrten in die Stadt zum Konzert- und Theaterbesuch. Willi schloß nach tausend lieben Worten mit der Hoffnung, daß Gottlob entschieden nun wieder auf dem Wege der Besserung sei, und daß er stolz und glückselig wäre, Nane, seine einstige treue, geliebte Pflegerin, als Mutter begrüßen zu dürfen.

Gottlob auf dem Wege der Besserung! So hatte nicht nur Willi, sondern so hatten alle gehofft, und nun war gerade in letzter Zeit wieder ein Rückfall erfolgt. Der Kranke, dessen Zustand zwischen Abneigung und glühender Sehnsucht nach Musik wechselte, hatte Angelika in einer schwachen Stunde dazu gebracht, ihm doch seine Geige zu geben.

»Nur für ganz kurze Zeit,« hatte er gebettelt und geschmeichelt. Aber als er mit den abgemagerten Händen das Instrument sehnsüchtig ergriff und spielen wollte und, ach, nicht mehr konnte, weil er keine Kraft in sich fühlte, da war er in eine solche Aufregung gekommen, daß er fieberte und phantasierte, und daß der Arzt erklärte, noch einmal ein solcher Anfall, und er stehe für nichts mehr.

Angelika war außer sich, obwohl ihr niemand einen Vorwurf machte und Gottlob beständig sagte: »Mein Engele kann nichts dafür, ich hab's wollen, ich hab' ihr keine Ruhe gelassen!«

Auch dieser Rückfall ging bald vorüber, aber der angegriffene und kraftlose Zustand blieb.

Doch was war aus Angelikas Brief geworden? Als sie ihn erhalten, war es ihr gewesen, als sei plötzlich ihr Stübchen voll Sonnenschein, als weiteten sich die Wände, als duftete und blühte der Flieder da draußen. Willi hatte sie lieb, ein eigenes Heim sollte sie bekommen, luftig und im Grünen! Ins freie, volle, schöne Leben sollte sie an lieber Hand hinaus dürfen, diesmal behütet und bewahrt, keine Verantwortung tragend, eigenes Glück sollte ihr werden, und befreit vom Drucke der Alltagssorgen sollte sie sein!

Frei von Sorgen? Ja, vielleicht! Aber fern von den Ihrigen glücklich sein wollen, wenn diese gedrückt waren? Konnte sie das? Durfte sie das? Was würde aus Mutter werden, die unmöglich alles tun konnte? Erst gestern hatten sie sich besprochen, daß Angelika nun Stunden geben wolle, wenigstens ein paar im Tage. Die Einnahmen reichten eben doch nicht auf die Länge zum Leben.

Das Zimmer erschien Engele bei diesen Gedanken längst nicht mehr von Sonne und Licht erfüllt, und bitterlich weinend barg sie den Kopf in den Händen. Ihr ganzes junges Herz schrie nach dem Glück, das ihr winkte, – aber was tun, was tun?

Da fiel ihr Blick auf den Spruch über der Türe. Mit großen, deutschen Buchstaben stand da geschrieben: »Heb' auf, was Gott dir vor die Türe legt!«

Und wieder war es Schwester Martha, die ihr die helfende Hand bot auf dem Wege der Pflicht. Er lag, wenn auch entsagungsvoll, doch plötzlich klar beleuchtet im Lichte von oben vor ihr.

»Ich will, Herr, ich will das Opfer bringen, aber nur daß niemand was merkt!«

Als Angelika kurz nachher mit Mutter ihren Lobele zu Bette gebracht – er hatte ein Stündchen im Wohnzimmer gelegen – und als sie noch einen Augenblick mit ihm allein war, da konnte sie nicht widerstehen und legte ihren heißen Kopf neben ihn in die kühlen Kissen: »Herzenslobele, ich bin heute auch traurig!«

Der Knabe richtete sich schnell auf und sah mit seinen tiefen, klugen Augen ängstlich forschend in der Schwester Gesicht. Diese beruhigte ihn jedoch: »'s ist nichts zum Aengstigen, mein Bub, aber ein schweres Herz hat dein Engele! Außer dir braucht's aber niemand zu wissen!«

Das Kind streichelte ihre Hand: »Dann sag' einmal wieder für dich und für mich her: ›Wer nur den lieben Gott läßt walten,‹ – das tut gut!«

Flüsternd und eng umschlungen sprachen die Geschwister des Vaters Trostvers zusammen, und als sie geendet, sagte Gottlob Angelika noch ins Ohr: »Ich mein' oft vergehen zu müssen vor Sehnsucht nach meinem Turm und muß doch unten bleiben. Ist's auch so was bei dir?«

»Ja,« sagte Angelika, »auch so was Aehnliches, nur ein bißchen anders. Wir wollen jetzt aber zusammen geduldig sein und warten, ob wir noch einmal dahin dürfen, wohin wir möchten!«

Viele heiße Tränen fielen noch auf einen Brief, der in später Nacht geschrieben wurde, doch ein Herz, das der Pflicht folgt, in das zieht Ruhe und Frieden ein.

Die Antwort auf den Brief aber bestand nur in zwei Worten, und sie lauteten: »Ich warte!«


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