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Siebentes Kapitel.

Winterabend, Residenz! – Wie der Lobele sich bei Hofe benimmt, und warum die Fürstin ihn in ihre Arme schließt, obgleich er nicht Hoheit gesagt hat. – Wie ein kleiner Junge seinen Landesvater auf den »Turm« einlädt, und warum Frau Maier ihr Kopfkissen und Sparkassenbuch unter den Arm nimmt.


Winterabend. Residenz. Hell erleuchtete Straßen. Erstes Schneegestöber. Wagen auf Wagen hielt vor dem großen Konzertgebäude. Damen in hellen Mänteln und duftigen Gewändern stiegen aus. Herren im schwarzen Frack oder in Uniform strebten dem Eingange zu. Zwischen ihnen drängte sich eine bunte Menge von einfacheren Menschen, die die zweite Hälfte des Saales und die Galerien besetzten. Unter ihnen war auch da und dort ein Kind zu sehen – Knaben und Mädchen in Sonntagskleidern, die erwartungsvoll ihr Programm in der Hand hielten und es eifrigst studierten. Es waren musikalische Kinder, die zur Ermunterung ihrer eigenen Studien, oder weil sie flehentlich darum gebeten hatten, mitgenommen worden waren, denn es spielte ja heute abend der kleine, erst achtjährige Peter Benedikt Linden, von dessen erstaunlichen Leistungen in der letzten Zeit alle Blätter und Musikberichte voll waren.

Auch der Fürst und die Fürstin des Landes hatten ihr Erscheinen zugesagt, und als sie sich mit ihrem Gefolge auf den vordersten Plätzen niedergelassen hatten, begann das Konzert.

Im Musikzimmer hinter dem Podium standen die beiden Geschwister beisammen und warteten auf den Augenblick, wo Frau Janauschek ihre Arie, die sie zuerst sang, beendet haben würde. Angelikas Herz klopfte wie immer. Schon daß sie vor so viele Menschen treten mußte, war ihr schrecklich, und vor dem Landesvater und der Landesmutter zu spielen, war doch heute noch etwas ganz Besonderes. Direktor Janauschek war für den heutigen Abend selbst gekommen. Es war doch sehr wichtig, daß bei diesem großen, eigentlichen Anfang von Gottlobs wirklicher Künstlerfahrt alles klappte, und er freute sich im stillen wieder darüber, wie ruhig und wenig aufgeregt der kleine Mann war. Der Direktor selber konnte seiner inneren Erregung viel weniger Herr werden, aber was er mit so viel Eifer und Hingabe begonnen, das mußte ja gelingen.

Draußen im Konzertsaal war eine plötzliche Stille. Die Arie war zu Ende. Dann hörte man lautes Klatschen, wieder und wieder, und Frau Janauschek trat kurz darauf, strahlend vor Befriedigung, in der Hand einen großen Blumenstrauß, in das Zimmer zu den harrenden Kindern. Sie hatte früher etliche Jahre viel am hiesigen Platze gesungen und war sehr beliebt gewesen.

»Jetzt rasch, ihr Kinder!« sagte Herr Janauschek und öffnete die Türe. Die Geschwister traten vor. Der kurze Weg bis zur Brüstung dünkte Angelika eine Ewigkeit. Aber sie brachte ihr Kompliment doch tadellos zu stande, und als sie erst an ihrem Klavier saß, da fühlte sie einen gewissen Schutz. Gottlob sah sich unbefangen um, dann legte er seine Geige ans Kinn und stimmte leise. Als er fertig war, blickte er sein Engele an. Das war bei ihm das Zeichen zum Anfang. Während unten im Saal Hunderte von Operngläsern, Stielbrillen und neugierigen Augen auf die beiden gerichtet waren, während unterdrückte Ausrufe: »Nein, wie reizend!« – »Sieh nur die prächtigen dunkeln Augen von dem kleinen Kerl!« – »Welch schöne, blonde Haare hat die Schwester!« – »Wie gut die beiden zusammenpassen!« – durcheinanderschollen, spielte Angelika die ersten Takte, die ihr immer am schwersten fielen, und dann setzten die Töne der Geige ein, fest und sicher, da war kein Schwanken und kein Zittern. Die kleine, braune Hand führte den Bogen so leicht und ungezwungen wie die eines Erwachsenen. Zuerst sangen und klangen die Töne, dann wurde das Zeitmaß immer lebhafter, und es ging ein Staunen durch die Zuhörer, wie klar und sauber die Läufer sich abwickelten, wie scheinbar mühelos das Kind über die schwierigsten Stellen hinüberkam.

Der Beifall steigerte sich mit jeder Nummer. Bis jetzt hatte man solche Leistungen nur von auswärtigen, zugereisten jungen Künstlern gehört. Nun war's ein Landeskind, das mindestens ebensoviel konnte wie die andern, und das so schlicht und einfach da oben stand und nur an seine Geige und an seine Noten zu denken schien.

Nach dem letzten Stück wurde stürmisch noch eine Zugabe verlangt. Nachdem der Knabe sich einigemal unter dem Jubel der Anwesenden kindlich und etwas ungelenk verbeugt und die schwarzen Locken, die dabei über sein Gesichtchen fielen, wieder zurückgeworfen hatte, trat er ganz an die Rampe und spielte ohne Begleitung und Noten noch eine Rhapsodie von Liszt. Das im raschesten Zeitmaß ausgeführte Stück wurde auch aufs feurigste vorgetragen, und das Bild, das der kleine Kerl dabei bot, war geradezu entzückend. Frau Janauschek hatte richtig gewählt. Die blausamtne Bluse mit dem Spitzenkragen, die seidenen Strümpfe und Schnallenschuhe paßten prächtig zu der feinen Kindergestalt.

Die Mitwirkenden wurden, als der Jubel etwas verstummt war und die Leute sich zum Fortgehen anschickten, von einem Herrn mit Orden zu den Herrschaften heruntergerufen, die nun freundlich mit einem jeden redeten. Der Fürst sprach sich sehr erstaunt und anerkennend über das Gehörte aus und ließ sich dann von Herrn und Frau Janauschek, die er von früher her kannte, Näheres über die beiden Geschwister erzählen.

»Sie haben ein großes Verdienst, daß Sie dieses Talent entdeckt und ausgebildet haben,« sagte er zu dem Direktor. »Aber der kleine Mann scheint mir ein bißchen zart zu sein, und da werden Sie wohl Sorge tragen müssen, ihn nicht zu sehr anzustrengen!« Herr Janauschek versicherte, daß der Knabe früher wohl etwas schwächlich gewesen sei, jetzt aber sich vollständig erholt habe.

»Springst du denn auch tüchtig herum und spielst mit andern Kindern?« fragte der Fürst nun Gottlob, indem er ihn freundlich auf die Schulter klopfte.

»Früher ja, aber jetzt schon lange nicht mehr,« antwortete dieser der Wahrheit gemäß, aber Frau Janauschek fiel rasch in die Rede und sagte:

»Wir haben in den letzten Wochen prächtige Spaziergänge in den Bergen gemacht, Hoheit!«

Die Fürstin hatte inzwischen mit Angelika gesprochen und war erstaunt, wie gut und gebildet und dabei doch sehr bescheiden diese sich ausdrückte. Das ganze Wesen des Mädchens gefiel ihr außerordentlich. Nachdem sie auch noch den andern das gebührende Lob gespendet hatte, nahm sie eine Rose aus dem Strauß, den sie in der Hand trug, und gab sie dem Knaben:

»Ich habe zu Haus einen kleinen Sohn, der auch geigt, und der dich gerne hören möchte. Wenn Sie nichts dagegen haben,« – die Fürstin wandte sich artig an Frau Janauschek, – »so möchten wir uns die jungen Künstler für morgen auf eine Stunde zum Tee ausbitten.«

Frau Janauschek murmelte, sich tief verbeugend, etwas von großer Ehre, und die Herrschaften entfernten sich, nachdem der Herr mit dem Orden rasch noch festgesetzt hatte, zu welcher Stunde der Wagen kommen würde, die Kinder abzuholen. Ein Teil der Konzertbesucher war noch im Saal geblieben, um bis zuletzt den Anblick des »süßen, herzigen kleinen Menschenkindes« zu haben und mit anzusehen, wie es geehrt wurde. Nochmals erscholl Bravorufen und Händeklatschen, als die Fürstlichkeiten draußen waren, und Frau Janauschek sagte glückselig zu ihrem Mann:

»Das war ein voller, auch für die Zukunft vielversprechender Erfolg!«

Ganz hinten im Saale aber, wo keine vornehmen Leute mehr waren, wo aber, des besseren Hörens wegen, die Herren vom Konservatorium und von der Musikschule saßen, sagte ein älterer Professor zu den andern, während er in die Ärmel seines Überziehers schlüpfte:

»Der Janauschek hat wirklich Glück gehabt, so was aufzufinden, aber er ist nicht der richtige Mann dazu, es zur wahren Reife zu bringen! … Treibhauspflanze – Treibhauspflanze!« setzte er hinzu und folgte kopfschüttelnd den Berufsgenossen nach, die sich eifrig über das wirklich riesige Talent des Kleinen unterhielten.

Eine Kutsche, mit zwei feurigen Rappen bespannt, holte Angelika und Gottlob am andern Tage gegen fünf Uhr ins Schloß ab.

Der Vormittag war mit Einkäufen vergangen, denn die Einladung schrieb Straßenanzug vor, und in dem einfachen, dunkelblauwollenen Kleide konnte doch Angelika unmöglich ins Schloß gehen. Auch das schlichte, schwarze Tuchjäckchen und die Mütze, die übrigens sehr gut zu dem blonden Haar paßte, wurden als zu einfach verworfen, und Frau Janauschek wählte ein hellgraues Tuchkostüm mit gleicher Jacke, einen schwarzen, aufgebogenen Federnhut und einen hübschen, dazu passenden Muff. Gottlob wurde eine schwarze Samtbluse mit ebensolchen knappen, kurzen Höslein gekauft, die er ja »ohnedem bald hätte haben müssen«, wie Frau Janauschek sagte.

»Aber das alles kostet ja wieder schrecklich viel Geld,« wandte Angelika zaghaft und fragend ein.

»Macht nichts, Herzerl, wir haben gestern abend auch die erste wirklich gute Einnahme gehabt, und wenn mein Mann abgerechnet hat und geteilt wird, so wirst du sehen, daß immer noch was übrig bleibt, und Kleider muß der Mensch haben.«

Auf diesen kaum anfechtbaren Satz hin gab sich Angelika zufrieden. Sie hätte auch kein Mädchen sein müssen, wenn sie nicht im Grunde des Herzens Freude an den hübschen Sachen gehabt hätte. Und nun so tadellos angezogen ins Schloß zu dürfen, eingeladen zu sein zum Fürstenpaar, für das allsonntäglich in der Kirche gebetet wurde, und das sie ihr ganzes Leben lang nur aus Bildern gekannt, wie wunderbar war das! Ein bißchen bange wurde es Angelika und Gottlob doch, als sie in dem Wagen mit den hellseidenen Polstern saßen und es so furchtbar rasch über einen Platz, eine Straße hinunter und dann durch eine lange Allee ging.

»Gelt, Engele, Gott ist noch viel mehr als ein Fürst?« fragte Gottlob unvermittelt. Auch er fühlte allem Anscheine nach das Absonderliche und Feierliche dieser Fahrt.

»Aber natürlich, Lobele, natürlich,« beruhigte ihn Angelika, »nur muß man bei beiden, wenn man vor ihnen steht, ehrerbietig und bescheiden sein!«

»Was ist ehrerbietig?« wollte Gottlob noch fragen, da hielt aber der Wagen mit einem Ruck, und ein Diener in blauer Bedientenkleidung, der neben dem Kutscher gesessen, sprang wie der Blitz herunter, öffnete den Wagenschlag, und die Geschwister stiegen aus. Der Diener wollte dem Knaben seinen Geigenkasten abnehmen, aber eingedenk dessen, daß man bescheiden sein sollte, sagte Gottlob mit einer höflichen Verbeugung gegen den schönen blauen Herrn:

»Ich danke vielmals, ich kann ihn gut selber tragen,« und die beiden stiegen klopfenden Herzens die teppichbelegte Treppe hinauf.

Oben war eine Halle mit Palmen und grünen Pflanzen, aufgehängten Teppichen und Waffen. Vor einer Türe stand ein anderer Diener, der durch den Spalt der halb geöffneten Tür etwas sagte. Dann wurde Angelika rasch, ehe sie sich nur besinnen konnte, Jacke, Muff und Hut abgenommen, was ihr ordentlich leid tat, denn wozu hatte man das alles gekauft? – Gleich darauf wurde die Tür weit aufgemacht, und die zwei traten ein. Draußen war es noch ziemlich hell gewesen, aber hier war schon alles glänzend erleuchtet. Angelika fühlte sich recht befangen, denn es befanden sich in dem großen, prächtigen Raum außer dem fürstlichen Paar noch verschiedene Herren und Damen, und sie war sehr froh, als sie ihre Verbeugungen angebracht hatte, und als gleich darauf der etwa acht Jahre alte Kronprinz mit seinem etliche Jahre jüngeren Schwesterchen und der Erzieherin eintrat. Die Fürstin machte die Kinder miteinander bekannt, und die Anwesenden sprachen gleichfalls freundlich mit den jungen Künstlern.

Gottlob, der sich möglichst nahe bei der Schwester hielt, war noch mehr als von den Menschen ganz verwirrt von dem Glanz der vielen schönen Dinge in dem Lichtmeer. Er zupfte sein Engele am Aermel und sagte leise, indem seine bewundernden Augen rundum wanderten, als wollten sie alles in sich aufnehmen:

»Das möchte ich spielen können!«

»Was möchtest du, liebes Kind?« fragte die Fürstin, die die Worte gehört hatte, gütigst.

Angelika kam in Verlegenheit. »Mein Bruder meint immer, wenn er etwas Schönes sieht, er möchte es in Musik umsetzen können,« sagte sie bescheiden.

»Das kann man doch auch!« behauptete nun Gottlob. »Alles was glänzt und leuchtet und schön ist, das klingt auch!«

Erschrocken hielt der Bub inne, denn er hatte in seinem Eifer ganz vergessen, wo er eigentlich war. Den Fürsten aber interessierte das eigentümliche Wesen des Kindes, und er ging näher auf die Sache ein, indem er sich setzte und den Knaben zu sich heranzog.

»Hast du denn schon einmal etwas Schönes, das du gesehen hast, klingen lassen?«

Gottlob nickte: »Ja, oben auf dem Turm.«

»Auf welchem Turm, und was denn?«

Angelika erklärte die Sache, und daß sie beide hoch dort oben geboren seien, und daß ihr Brüderchen schon ganz frühe versucht habe, das Zwitschern der Schwalben und den Ton der Glocken auf den Saiten nachzuahmen.

»Und die Sonnenstrahlen, wenn sie so schräg auf die Berge ganz hinten fielen, und den Mond, wenn er um den Turm herumkommt und solch ein lustiges Gesicht macht. Das geht im Zweidritteltakt mit lauter spitzen Tönen. Wenn er aber wie ein Schiffchen im Abendhimmel schwimmt, dann muß ich Akkorde nehmen und Adagio spielen.« Des Kindes Augen blickten so verloren drein, als sähen sie von Turmeshöhe in weite Ferne.

Gerührt legte der Fürst liebkosend seine Hand auf den Kinderkopf, der so merkwürdige Ideen hatte.

»Magst du uns von dem etwas vorspielen, was du gerade gesagt hast?« fragte er.

Gottlob sah wie erwachend den Fürsten bei diesen Worten an, und dann senkte er sehr verlegen den Kopf.

»Es ist so eigentümlich,« erklärte Angelika wieder, »daß er nur phantasiert, wenn er allein ist. Deshalb steigt er daheim, wenn er auch noch so müde ist, fast jeden Abend auf den Turm.«

»Schade!« sagte die Fürstin, die gleich allen andern dem Gespräch mit großem Interesse gefolgt war.

Gottlob mochte bei dem »Schade!« plötzlich eingefallen sein, daß er nicht artig gewesen sei, drum sagte er mit großer Wärme und Lebhaftigkeit:

»Ach bitte, kommt doch einmal auf meinen Turm, dann will ich Euch auch gewiß alles dort spielen!«

Angelika verwies ihn, erschrocken ob solcher Keckheit, zum Schweigen, auch hatte der Bub ja in seinem Eifer vollständig vergessen, die Fürstin mit Hoheit anzureden. Aber die beiden Fürstlichkeiten schienen das gar nicht übelzunehmen; sie sagten, sie täten das gewiß sehr gern einmal, wenn sie könnten, und riefen den Prinzen und das Prinzeßchen noch näher herbei, aber die Kinder untereinander waren schüchtern und wußten nicht viel miteinander anzufangen.

Als der kleine Kronprinz endlich fragte: »Spielst du auch gerne mit Soldaten?« da schüttelte Gottlob den Kopf und sagte: »Ich habe nie welche gehabt!« worauf der Prinz ihn mit dem größten Mitleid betrachtete. Die kleine Prinzessin mochte auch etwas Aehnliches empfinden, denn sie bot ihm Backwerk zum Tee an. Aber da Gottlob schon alle Mühe hatte, die Tasse mit dem noch heißen Getränk, die der Lakai ihm gegeben, ohne Tisch in den Händen zu halten, so vermochte er leider nichts von den guten Dingen zu nehmen. Die Herrschaften ließen sich inzwischen von Angelika erzählen, wie das seitherige Leben der beiden Geschwister gewesen sei, und als Angelika den Namen von Werder nannte, da stellte es sich heraus, daß die Fürstin Frau von Werder sehr gut kannte, und sie trug ihr Grüße an sie auf.

»Was sind denn nun die weiteren Pläne, die Janauscheks mit Ihnen und dem Kleinen haben?« fragte der Fürst.

»Der Herr Direktor hat seinen Beruf zu Hause und wird nur manchmal zu uns kommen und uns immer die Wege ebnen. Wir machen diesen Winter die Runde durch die größeren Städte Deutschlands und Oesterreichs, und nächstes Jahr soll es dann nach Petersburg und Paris und nochmals nach Berlin gehen.«

»Wie steht's denn aber da mit dem Weiterstudium des kleinen Mannes und mit seinem sonstigen Lernen?« fragte der Fürst, indem er Gottlob etwas kopfschüttelnd ansah.

»Ich gebe ihm alle Tage zwei Unterrichtsstunden,« erwiderte Angelika, »und was das Ueben anbelangt, so spielen wir auch regelmäßig zusammen; drei bis vier Stunden täglich möchte der Herr Direktor haben. Und im Sommer, da kommen wir dann heim und studieren Neues.«

»Das sind schöne Pläne, aber dabei müßt ihr auch an eure Gesundheit denken, besonders daß ihr öfters an die Luft kommt und euch Bewegung macht,« meinte wohlwollend die Fürstin. »Der Kleine sieht nicht sehr stark und kräftig aus –«

»O, ich bin jetzt sehr gesund! Sieh mal meine Arme!« fiel Gottlob, der aufmerksam zugehört hatte, in die Rede und hielt der Fürstin sein dünnes Gelenk, von dem er den Aermel ein bißchen zurückgestreift hatte, hin, indem er es so steif als möglich zu machen suchte.

Alles lachte, die Fürstin aber sagte lieb und ernsthaft: »Ja, das ist freilich ein starker kleiner Arm, der den Bogen so kräftig zu führen versteht!« und bat nun, daß man mit dem Musizieren beginne.

Der Tee war abgetragen worden, die Diener weilten draußen, und die Damen saßen in Gruppen ungezwungen da. Die Herren standen teilweise, und die Fürstin hatte die kleine Prinzessin auf einem niedrigen Stühlchen neben sich sitzen. Der Prinz wollte der Sache näher sein und lehnte sich an den Flügel. Es war wieder ein hübscher Anblick, den das Geschwisterpaar bot. Engele sah wirklich reizend aus. Frau Janauschek hatte guten Geschmack, das mußte man ihr lassen, und zu Gottlobs dunkelm Gesicht und Haar stand der schwarze Samtanzug entschieden noch besser wie der blaue. Und wie geigte das Kind heute! Angelika mußte ihn immer von Zeit zu Zeit ansehen, ob er's denn auch wirklich war; so gut und tadellos, so warm und innig hatte er's ja noch selten zustande gebracht. Bei all der Güte, der Fülle von Licht und Pracht war etwas in ihm frei geworden, und das kleine dankbare Herz gab dafür sein Bestes.

Als er sein letztes Stück zu Ende gespielt hatte, stand er, Bogen und Geige gesenkt, hoch aufatmend da. Es tat so wohl, daß hier kein lauter Beifall wie im Konzertsaal ertönte, sondern alle Gesichter ernst blieben. Die Fürstin fuhr sich gar mit dem feinen Spitzentuch über die Augen.

Der Kronprinz, der starr zugehört hatte, – daß man so geigen könne, hatte er nicht gewußt, – ging nun zu seiner Mutter und sagte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte, und er lief weg. Dann ward Gottlob noch einmal zu der hohen Frau gerufen, die ihm einen Kuß auf die Stirn drückte.

»Du bist wirklich ein kleiner Benediktus, ein Gesegneter von vielen! Gott erhalte dir dabei deine Gesundheit und dein reines Kindergemüt!«

»Ich heiße ja gar nicht Benedikt, sondern Gottlob, und die Mutter hat geweint, als man mir den andern Namen gegeben. Und acht Jahre bin ich auch nicht erst, sondern neun,« sagte der Bub da plötzlich in alle Rührung hinein zum Entsetzen von Angelika. Er hatte das Gefühl, daß, wenn irgendwo, er hier die volle Wahrheit sagen müsse.

Ein Lächeln war auf allen Gesichtern. Die Fürstin aber zog ihn noch einmal an sich und sagte:

»Du liebes, liebes, kleines, wahres Menschenkind! Bleibe so, wie du bist, und grüße deine Mutter von mir!«

Angelika bekam von der Fürstin eine hübsche goldene Nadel mit drei farbigen Steinen, und für Gottlob gab sie ihr eine kleine Schachtel mit hundert neuen Markstücken drin und darüber eine Schicht Schokolade. Der Knabe, der den Wert des Geldes noch nicht kannte und nicht viel von Leckereien hielt, bedankte sich zwar wohlerzogen, aber er sagte:

»Deine Rose von gestern ist mir doch von allem das Allerliebste, weil sie lebt. Und wenn sie gestorben ist, leg ich sie in Watte, und dann duftet sie immer noch weiter!«

»Was für ein kleiner Hofmann!« sagte die eine der Damen, sie bekam aber einen verweisenden Blick von der Fürstin dafür.

Als die beiden, auch vom Fürsten verabschiedet, schon an der Tür waren, kam der kleine Prinz noch gelaufen und drückte Gottlob ein Kästchen mit Soldaten in den Arm:

»Da, nimm sie, es sind meine Gardehusaren, und sie können von den Pferden absitzen. Nur ein paar davon haben Glieder gebrochen, die mußt du eben ins Lazarett schicken!«

Gottlob dankte mit einem kräftigen Handschütteln, aber so recht freute ihn auch dieses Geschenk nicht. Er wußte wirklich nicht, was er mit den Soldaten anfangen sollte, weil sie ihn auch im Leben nicht interessierten. Ein Buch oder so etwas wäre ihm lieber gewesen.

Die schöne Kutsche brachte die beiden wohlbehalten wieder ins Hotel, wo Frau Janauschek sie mit Spannung und »fast ein bissel Neid«, wie sie gutmütig sagte, erwartete. Sie wäre gern, wie sie offen gestand, auch dabei gewesen, aber sie freute sich von Herzen der Erzählung der beiden Geschwister, und am Abend noch ging ein Telegramm an Frau Christiane Lindenmaier, Kirchplatz 3 in St., ab, worin stand:

 

»Konzert gestern großartig, Beifall groß. Kinder heute ins Schloß geladen, wurden mit Hofwagen abgeholt. Hoheiten äußerst gnädig. Lassen Frau von Werder grüßen. Wunderhübsche Geschenke. Bericht folgt.

Leopoldine.«

 

Nane hatte eben ihre Schüsseln und Teller vom Nachtessen abgespült und den Lappen an den Nagel gehängt, als der Telegraphenbote ihr das Telegramm überbrachte. Mit zitternden Händen hatte sie das Papier auseinandergefaltet und gelesen. Zuerst flossen ihr die blauen Buchstaben ineinander, aber dann brachte sie doch den Sinn heraus. Sie mußte sich setzen, so war ihr die Freude in die Füße gefahren. War's denn möglich, die Kinder, ihre Kinder, beim Landesvater und der Landesmutter eingeladen, und dazu noch in einer Kutsche abgeholt? Nane faltete rasch die Hände und sagte: »Lieber Gott, gib nur, daß ich und sie nicht übermütig werden!«

Dann aber konnte sie mit ihrer Freude nicht allein bleiben. Rasch hüllte sie sich in Mantel und Kapuze und eilte zuerst über den Platz ins alte Schloß zu Frau von Werder. Sie mußte doch vor allem die fürstlichen Grüße ausrichten, die auch große Freude bereiteten. »Hätte nicht geglaubt, daß die Herrschaften noch meiner gedenken, und es ist sehr nett von Angelika, daß sie von mir sprach!« sagte Frau von Werder. Dann, es war neun ein halb Uhr und noch Licht oben, ging's ins Stadtpfarrhaus, wo gleichfalls großer Jubel über die gute Botschaft war.

»Bin nur begierig, was die beiden geschenkt bekommen haben,« sagte Gertrud, die mehr fürs Praktische war. Frau Stadtpfarrer holte noch Johannisbeerwein und Anisbrot, und der Herr Stadtpfarrer, der sich im Augenblick wieder ganz gesund fühlte, hielt eine kleine Rede und stieß mit Nane an: »Gott walte auch ferner über den lieben Kindern!« Der treue Seelsorger freute sich im Augenblick von Herzen mit, aber tief innen war ihm doch immer bange, wie die ganze Künstlergeschichte, die ihm durchaus nicht zusagte, noch enden würde.

Zuletzt, es war bereits zehn Uhr vorbei, klopfte Nane noch bei Frau Maier an, die schon im ersten Schlaf lag und glaubte, es brenne.

»Nein, so ein Schrecken!« sagte sie, als Nane, sich entschuldigend, zu ihr ins Schlafzimmer hereingetreten war. Frau Maier stand im Nachtgewand mitten im Zimmer und hatte ihr Kopfkissen und ihr Sparkassenbuch im Arme.

»Was ist denn ums Himmelswillen los, wenn's nicht brennt?«

Als aber Nane sie dringend wieder ins Bett nötigte – es sei gewiß nichts Arges, sondern im Gegenteil etwas sehr Nettes – und als sie dann neben ihr saß und, langsam buchstabierend, um den Genuß noch zu erhöhen, ihr das Telegramm vorlas, da sagte die getreue Hausfrau, indem sie andächtig die Hände zusammenlegte: »Das ist der Mühe wert, einen Feuerschrecken durchzumachen! Das hätte ich nicht gedacht, wie ich mein altes Klavier hinaufgestellt habe, daß das zu so etwas Großem mithelfen würde. Ich hab' heut in der Zeitung gelesen, daß eine Dame dem Fürsten Bismarck selbstgekochtes Gelee geschickt hat. Was die tut, kann ich auch tun. Morgen schicke ich unserem Fürstenpaar ein Fäßchen von meinen guten Salzgurken und eine Kiste mit Nudeln, wie sie noch keine gegessen, weil sie mit den Kindern so lieb gewesen sind.«


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