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8. Ma-kwo-i-pwo-ahts.

Der Aufstehende Wolf erzählt mir seine Lebensgeschichte.

Als der Erzähler dieser Geschichten von seinem Besuch in der Heimat, einer kleinen Stadt im Osten der Vereinigten Staaten, nach Montana zurückgekehrt war – er berichtet darüber in »Nat-ah'-ki und ich« –, schloß er sich mit seinem Weibe wieder den Händlern Berry und Rotfuchs an und zog mit ihnen in das Lager der Schwarzfußindianer an der Mündung des Marias.

»Im Indianerdorf war man von unserer Ankunft unterrichtet, und wir fanden unser Zelt, als wir im Dunkeln ankamen, zwischen denen der beiden Freunde Wieselschwanz und Spricht Mit Dem Büffel aufgeschlagen. Daneben lag ein Haufen Brennholz, und innen brannte ein lustiges Feuer. Im Hintergrund war unser Ruhebett, mit warmen Decken und weichen Fellen sorglich gepolstert. Sitze für Gäste, mit bequemen Rückenlehnen, waren hergerichtet, und unsere rohledernen Behälter und Kochgeschirre befanden sich an ihren gewohnten Plätzen, erstere wohlgefüllt mit gedörrtem Fleisch, Zungen, Pemmikan und getrockneten Beeren. Nat-ah'-ki's Mutter hatte uns alles so schön eingerichtet und bewillkommnete nun ihre Tochter mit zärtlicher Umarmung und mich mit scheuem, aber herzlichem Gruß. Sie war eine gute, wirklich edle Frau, die überall half und Kranke und Betrübte pflegte und tröstete.

Ich war kaum vom Wagen gestiegen, die Sorge für das Gepäck Nat-ah'-ki und ihrer Mutter überlassend, als schon meine Freunde erschienen, um mich auf das herzlichste zu begrüßen; denn sie freuten sich, daß ich wieder da war.

Sie berichteten mir kurz von dem, was sich während meiner Abwesenheit zugetragen hatte, und erkundigten sich nach meiner Reise. Während Nat-ah'-ki ein kleines Mahl zubereitete, erzählte ich von meiner Fahrt auf dem Dampfer und in der Eisenbahn. Diesen Bericht mußte ich an jenem Abend mehrmals wiederholen, zuletzt im Zelt unseres Häuptlings. Der alte Mann fragte mich hauptsächlich nach den Eisenbahnen, den »Feuerwagen«, aus; denn er wollte wissen, ob sie schon in sein Land kämen.

»Nein,« erwiderte ich, »hier fährt noch keine. Es läuft nur eine von Osten nach Westen, aber weiter südlich von hier, durch das Land der Wolfsleute und Schafesser.«

»Ai!« sagte er und strich dabei sorgenvoll über sein Kinn, »ai!« Die haben schon viele von uns bei ihren Reisen gen Süden gesehen. Ja, die haben wir gesehen, diese Wagen voll Menschen, die über die Prärie dahinrasen und unsre Büffel vertreiben und töten. Schreibe doch an den Großvater (Präsident), daß wir ihnen den Eintritt in unser Land verbieten. Ja, schreibe ihm, daß ich, Großer See, ihm das mitteile. Die Weißen sollen hier durch unser Land keine Eisenbahnen laufen lassen und sollen auch nicht unseren Grund und Boden aufreißen und darauf pflanzen, was sie essen wollen.«

Ich wanderte an jenem Abend von Zelt zu Zelt, überall freundlichst aufgenommen und bewirtet, und es war spät, als ich endlich heimkehrte. Singen und Lachen tönte aus dem Lager zu mir herüber, und die Präriewölfe lullten mich mit ihrem Geheul in Schlaf. Ich dachte an mein so fernes Heimatstädtchen, das nun in tiefem Schnee lag. »Was bin ich für ein glücklicher Mensch, daß ich wieder hier bin,« murmelte ich.

Nat-ah'-ki stieß mich an. »Du sprichst ja im Schlaf,« sagte sie.

»Ich schlief nicht, ich dachte nur laut,« antwortete ich.

»Und was dachtest du?«

»Die Götter hatten Mitleid mit mir. Sie sind gut zu mir gewesen und haben mir ein großes Glück beschert.«

»Ai,« stimmte sie zu, »wir wußten eigentlich nichts zu bitten, was sie uns nicht schon geschenkt hätten. Morgen wollen wir ihnen opfern.«

Während sie betete, schlief ich ein und faßte den Entschluß, daß der Osten mich nicht wiedersehen sollte, es sei denn, nur gelegentlich auf Besuch.

Am folgenden Tage hielten die Häuptlinge und führenden Männer Rat und beschlossen, daß wir an den Fuß des Bärentatzengebirges ziehen sollten. Wir wanderten über die weite, braune Prärie, auf der ungezählte Büffelherden weideten, und lagerten einige Tage an einem kleinen Fluß, der aus einer bewaldeten Schlucht hervorbrach. Dort gab es ungezählte Wapiti, Hirsche und Bergschafe. Vielfraß und ich erlegten vier fette Schafe, die Böcke ließen wir lieber laufen, da die Brunstzeit der Tiere beinah vorbei war. Wir hätten bei dem Ueberfluß an Wild viel mehr erlegen können, aber wir nahmen nur so viel, als unsre Pferde tragen konnten.

Als ich heimkam, fand ich Nat-ah'-ki sehr eifrig beschäftigt, ein Büffelfell abzuschaben. Sie hatte es in einen Rahmen, den sie aus vier Zeltstangen hergerichtet hatte, eingespannt und es frieren lassen; denn in diesem Zustand ließ sich am besten die überflüssige Dicke des Felles mit dem kurzen, mit einer Stahlspitze versehenen Hirschhornschaber, den man zu diesem Zweck benutzte, abkratzen. Eine außerordentlich schwere, den Rücken sehr anstrengende Arbeit! Ich sagte ihr, ich würde froh sein, wenn sie diese Art Arbeiten endlich unterließe. Schon bei anderen Gelegenheiten hatte ich ihr diesen Wunsch mitgeteilt, aber diesmal sprach ich sehr energisch. Sie wandte sich ab, ich sah aber trotzdem, daß sie weinte.

»Was habe ich dir getan?« fragte ich. »Ich wollte nicht, daß du weinen solltest.«

»Soll ich denn nichts tun, nur faul im Zelt herum sitzen?« fragte sie verstimmt.

»Du gehst auf Jagd und versorgst uns mit Fleisch. Du kaufst vom Händler, was wir sonst an Nahrung und Kleidung brauchen. Ich möchte doch auch so gern etwas zu unserem Lebensunterhalt beitragen.«

»Aber das tust du doch! Du kochst und spülst das Geschirr. Du holst Feuerung. Du fertigst für mich Mokassins und Handschuh. Du wäschst unsre Wäsche. Wenn wir reisen, brichst du das Zelt ab und richtest es wieder auf und packst alles.«

»Dennoch bin ich den größten Teil der Zeit müßig,« sagte sie betrübt, »und die Frauen lachen und spotten über mich und nennen mich faul, ja faul. Zu faul und zu stolz zur Arbeit.«

Daraufhin trocknete ich ihre Tränen, küßte sie und sagte ihr, sie solle so viel Felle, wie sie wolle, gerben, nur nicht zu lange und zu schwer arbeiten. Sofort lachte sie und tanzte hinaus aus dem Zelt, und ich hörte wieder das eintönige: »tschök, tschök« des Schabers auf der steifgefrorenen Haut.

Eines Abends sah man den Mond mit einem hellen, matten Ring umgeben, und am anderen Morgen hatte die Sonne einen hellen, klaren Ring, während zu beiden Seiten ein großer, heller Fleck erschien. Die Ringe bedeuteten das Rahen eines furchtbaren Sturmes; die regenbogenartigen Flecke hingegen waren ein Warnungszeichen, daß ein Feind im Anmarsch sei, vielleicht kam schon bald eine große Kriegsbande auf unser Lager zu.

Das waren schlechte Neuigkeiten, und schleunigst versammelte sich der große Rat. Vor dem Kampf fürchtete sich der Stamm durchaus nicht, aber bei starkem Sturm konnte sich ein Feind ungesehen und lautlos an das Lager heranschleichen und viele Pferde stehlen. Der treibende Schnee würde seine Spuren verwischen, so daß keine Verfolgung möglich war.

Man beschloß daher, das Lager sofort abzubrechen und in eine Schlucht am Missouri zu ziehen. Wenn starker Schneefall und strenge Kälte einsetzte, war man in dem tiefen Tal besser geschützt. Die Pferde konnten mit der nahrhaften Rinde der Pappeln gut gefüttert werden und blieben dadurch leistungsfähig. Brach man auf, so kam der voraussichtliche Feind doch nicht so bald an uns heran, es sei denn, daß der Sturm sich sofort erhob. Um 10 Uhr vormittags war das letzte Zelt niedergeholt und verpackt, und wir setzten uns in südöstlicher Richtung in Marsch. Am Nachmittag fing es an zu schneien. Wir nächtigten am kleinen Mittelfluß, der seinen Namen führt, weil er zwischen dem Bärentatzen- und Felsengebirge entspringt. Die alten Reisenden nannten ihn Kuhfluß.

Am anderen Morgen – es war inzwischen empfindlich kalt geworden –, schneite es noch immer. Trotzdem brachen wir unser Lager ab und erreichten den Fluß vor Dunkelwerden. Hier wollten wir eine Weile bleiben. Die Jäger ritten flußaufwärts und stellten Wolfsfallen. Strychnin war damals noch nicht allgemein in Gebrauch. Berry und Rotfuchs taten, was sie konnten, um die Sache in Schwung zu bringen; denn die Nachfrage nach Wolfsfellen in den Vereinigten Staaten stieg zusehends.

Der Sturm wurde nicht allzu heftig, und in ein paar Tagen setzte ein warmer Westwind ein. Der erwartete feindliche Ueberfall blieb aus. Meine Freunde, die Händler, machten so gute Geschäfte, daß sie alle paar Wochen nach Feste Benton reisen mußten, um neue Waren einzukaufen.

Ich hatte schon viel von einem weißen Manne, namens Hugh Monroe, gehört. In der Schwarzfußsprache hieß er: Mah-kwo-i-pwo ahts, d. h. Der Aufstehende Wolf. Eines Nachmittags hörte ich, daß er mit seiner zahlreichen Familie im Lager angekommen sei, und etwas später traf ich ihn bei Großer See, der ihm zu Ehren ein Fest gab. Am Abend lud ich ihn zu mir ins Zelt, und während wir Brot, Fleisch und Bohnen verspeisten und ungezählte Pfeifen rauchten, hatten wir uns sehr viel zu erzählen. Wir wurden Freunde. Selbst im hohen Alter war der Aufstehende Wolf noch der schnellste Mann, den ich je in meinem Leben gekannt habe. Er war eine stattliche Erscheinung, blondhaarig, blauäugig und ein mutiger, tatkräftiger Mann. Sein Vater, Hugh Monroe, war Oberst im englischen Heer, seine Mutter, eine geborene La Roche, stammte aus der altfranzösischen Adelsfamilie gleichen Namens, deren Nachkommen, ausgewandert aus der Heimat, die Bankiers von Montreal wurden und zugleich dort reichen Landbesitz erwarben. Hugh war auf dem Familiengut »Drei Flüsse« im Juli 1798 geboren und besuchte die Dorfschule so lange, bis er lesen und schreiben konnte. Alle Ferien und manchen geschwänzten Schultag brachte er in den großen Waldungen, die den väterlichen Besitz umgaben, zu. Die Liebe zur Natur, zu Abenteuern und einem freien, ungebundenen Leben war ihm angeboren. Im Juli 1813, erst fünfzehnjährig, überredete er seine Eltern, ihm zu erlauben, in den Dienst der Hudsonbaigesellschaft zu treten, und so reiste er mit einer kleinere Kanuflotte in jenem Frühling gen Westen. Sein Vater gab ihm ein gutes englisches Gewehr und seine Mutter ein Paar der berühmten La Roche-Pistolen und ein Gebetbuch. Der Familienpater, ermahnte ihn, häufig zu beten, und rüstete ihn mit Rosenkranz und Kreuz aus. Man reiste den ganzen Sommer durch und erreichte Winnipeg, wo man überwinterte. Sobald das Eis im Frühjahr geschmolzen war, wurde die Reise fortgesetzt, und eines Nachmittags im Juli übertrug man Monroe »Bergfeste«, einen neuen Handelsplatz der Gesellschaft, der am südlichen Ufer des Saskatschewan, unweit des Felsengebirges, erbaut war.

Rundherum um denselben hatten Tausende von Schwarzfuß-Indianern ihr Lager aufgeschlagen und warteten auf die Waren, die die Schiffe brachten, um sich reichlich mit Steinschloßgewehren, Pulver, Blei und Tabak zu versorgen. Da die Gesellschaft keinen Schwarzfuß-Dolmetscher hatte, mußten ihre Wünsche erst in die Creesprache und dann ins Englische übersetzt werden. Viele Schwarzfüße, besonders die nördlichen Stämme, beherrschten die Creesprache, aber die Piegans und Blutstämme verstanden sie nicht. Der Führer der Gesellschaft, der Monroes außerordentliche Fähigkeiten erkannte, bestimmte ihn, mit den Piegans zu leben und zu reisen, ihre Sprache zu erlernen und sie zu veranlassen, im kommenden Sommer mit ihren Pelzen nach der Bergfeste zurückzukehren. Man hatte Nachricht erhalten, daß, dem Vorgehen von Lewis und Clark folgend, amerikanische Händler Jahr für Jahr weiter gen Westen vordrangen und bereits die Mündung des Yellowstone erreicht hatten, an der östlichen Grenze des Gebiets, das die Schwarzfüße als ihr Jagdgebiet beanspruchten. Die Gesellschaft fürchtete ihren Wettbewerb. Monroe sollte sein Bestes tun, den Tauschhandel mit den Schwarzfüßen für die Hudsonbaigesellschaft zu sichern.

»Endlich kam der Tag unserer Abreise,« so erzählte mir Monroe, »und ich ritt mit den Häuptlingen und Medizinmännern an der Spitze des langen Zuges, der aus 8000 Seelen und etwa 800 Zelten bestand. Dazu kamen Tausende von Pferden. Es war ein großartiger Anblick, die lange Linie von Reitern, Travois, Packtieren und freilaufenden Pferden sich über die Ebene schlängeln zu sehen. Wir zogen den ganzen Tag ohne Unterbrechung gen Süden und erreichten etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang eine Anhöhe, von der man in ein Tal schaute, durch das sich ein Flüßchen schlängelte, dessen Ufer von Pappeln umsäumt waren. Wir ließen uns auf der Anhöhe nieder und warteten, bis der ganze Zug an uns vorüber war, und man unten im Tal die Zelte aufgeschlagen hatte. Ein Medizinmann holte eine lange Pfeife hervor, füllte sie und versuchte Feuer zu schlagen, was ihm aber nicht gelang. Ich bat ihn, sie mir zu geben, zog mein Sonnenglas aus der Tasche, stellte den Brennpunkt ein, und setzte die Pfeife in Brand, indem ich ein paar Züge daraus rauchte. Wie ein Mann erhoben sich alle, die bis dahin still um mich herumgesessen hatten, stürzten auf mich los und schrien und sprangen herum, als ob sie toll geworden wären. Ich fuhr erschrocken in die Höhe; denn ich dachte, sie wollten mir etwas zuleide tun, mich vielleicht gar töten. Warum, ahnte ich zwar nicht. Die Pfeife wurde mir von dem Häuptling aus der Hand gerissen, der eifrig rauchte und dazu betete. Er hatte aber nur ein bis zwei Züge daraus getan, da nahm sie schon ein anderer, und so ging es fort. Andere wandten sich an die noch immer Vorüberziehenden. Männer und Weiber sprangen von ihren Pferden und gesellten sich zu uns, Mütter drängten sich an mich und rieben ihre Kinder an mir und beteten dabei andächtig. Ich fing bei der Gelegenheit ein Wort auf, das ich bereits gelernt hatte, natos, die Sonne, und plötzlich wurde mir alles klar. Sie glaubten, ich sei ein großer Zauberer. Die einfache Bewegung meiner Hand, die ich über die Pfeife hielt, war ein Gebet zu ihrem Gott. Vielleicht hatten sie das Glas nicht bemerkt oder es für ein Geheimmittel oder Amulett gehalten. Wie dem auch sei, ich war plötzlich eine bedeutende Persönlichkeit geworden und wurde von da ab mit äußerster Zuvorkommenheit und Güte behandelt.

Als ich an jenem Abend in Einsamen Wanderers Zelt trat – er war der Häuptling und mein Wirt –, wurde ich von beiden Seiten des Eingangs mit tiefem Brummen begrüßt und erschrak heftig, als ich mich zwischen zwei fast ausgewachsenen Grizzlybären sah, die im Begriff waren, mich anzuspringen. Ich stand wie angewurzelt, nur meine Haare sträubten sich, und ich schauderte unwillkürlich zusammen. Der Einsame Wanderer sprach mit seinen Lieblingen. Augenblicklich legten sie sich nieder, streckten die Schnauzen zwischen die Tatzen, und ich schritt auf den mir bestimmten Platz, das erste Ruhebett zur Rechten des Häuptlings, zu. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an die Bären gewöhnte, aber allmählich kamen wir ganz gut miteinander aus. Sie hörten auf, mich anzubrummen, wenn ich aus- und einging, erlaubten mir allerdings nie, sie zu berühren. Versuchte ich es, so fuhren sie auf und setzten sich in Kampfstellung. Im folgenden Frühling verschwanden sie eines Nachts und wurden nie wieder gesehen. Der Häuptling war untröstlich. Er ging tagelang auf die Jagd und rief und suchte sie. Vergebens. Man sagt, daß der Grizzly nicht zu zähmen ist; diese beiden schienen wirklich zahm zu sein und an ihrem Herrn, der sie allein fütterte, zu hängen. Sie wurden nie gefesselt und folgten der Familie mit den Hunden auf der Wanderung. Ihr Schlafplatz war immer der gleiche, nämlich am Eingang des Zeltes.

Gibt es einen unter uns später geborenen Jägern oder einen Forscher, der nicht überglücklich ist, wenn er weit hinten in einem tiefen Wald einen kleinen See findet oder in der verschwiegenen Oede der Berge einen Gletscher, von dem er gewiß weiß, daß keines weißen Mannes Auge ihn je zuvor erschaut hat? oder jemand, der einen noch nie erklommenen, namenlosen Berg ersteigt und ihn benennt, wie er will, und dieser Name wird späterhin anerkannt und ist auf allen Landkarten zu lesen? Denkt euch hinein, was der Jüngling Aufstehender Wolf fühlte, als er gen Süden reiste über die öden Prärien, im Schatten der gewaltigen Gebirge, die sich zwischen dem Saskatschewan und Missouri hinziehen; denn er wußte, daß er der erste seiner Rasse war, der sie schaute. Er reiste mit einem reinen Naturvolk, das steigerte seine Freude, einem Volk, von dem noch manch einer Pfeil- und Speerspitzen aus Feuerstein und Steinmesser gebrauchte, dessen Sprache und Sitten noch kein Weißer erforscht hatte, die er aber bald kennen lernen würde. Ach! hätten wir diesen Vorzug haben können, Bruderleben! wir sind etwas zu spät geboren, leider!

Monroe erzählte oft von dieser ersten Reise mit den Piegans als der glücklichsten Zeit seines Lebens. Man wanderte kurze Strecken, manchmal hart am Fuß der Berge entlang, dann wieder über weite Ebenen und erreichte so, im Monat der Fallenden Blätter, den Pile of Rocks River, von den Weißen Sonnenufer genannt. Dort blieben sie drei Monate und verbrachten den Rest des Winters am Gelben Fluß, dem Judith. Sie hatten den Weg, den die Reisenden Lewis und Clark genommen hatten, gekreuzt und kamen dann wieder auf eine weite Ebene, die noch keines weißen Mannes Fuß betreten hatte. Als der Frühling kam, reisten sie weiter gen Süden, bis zur Mündung des Muschelflusses in den Missouri. Letzterer wurde überschritten, und, am Fuß des Kleinen Felsengebirges und des Bärentatzengebirges entlangziehend, kamen sie an den Marias und seine Nebenflüsse. Nach der Bergfeste wollten sie erst im folgenden Sommer zurückkehren. So war es seit langem vorgesehen. Gewehre und Pistolen hatten keinen Zweck mehr; denn der Pulvervorrat war erschöpft. Was schadete das aber? Hatten sie nicht Bogen und Pfeile in Menge? Was hatte der weiße Händler auf Lager, das man unumgänglich nötig zum Leben brauchte? Nichts, selbst nicht einmal Tabak; denn im Frühjahr hatten sie am Ufer des Judith große Mengen ihres Nah-wak-o-sis gepflanzt, das in absehbarer Zeit geerntet werden konnte.

Aufstehender Wolfs Anzüge rissen entzwei, einer nach dem andern. Er warf sie fort. Die Weiber im Zelt gerbten Hirsch- und Bergschaffelle, und Einsamer Wanderer schnitt und nähte davon eigenhändig Hemden und Beinkleider, die der weiße Mann anzog. Frauen durften keine Männerkleider anfertigen, das war verboten. So war er in ziemlich kurzer Zeit ganz indianisch gekleidet, bis auf den Lendenschurz und Gürtel. Selbst das Haar wuchs so stark, daß es ihm in langen Locken über die Schultern fiel. Er überlegte, ob er es flechten solle. Die scheue, junge Tochter des Häuptlings, Ap'-ah'-ki, sorgte für seine Fußbekleidung, dünne, mit rohledernen Sohlen versehene Mokassins für den Sommer, die sie prächtig mit buntgefärbten Stachelschweinborsten bestickte, dicke, weiche, warme, aus Büffelfell, für den Winter. Einmal erzählte er mir von seinen Erlebnissen mit diesem Mädchen. Er war ein mäßiger Mann, aber in jener Neujahrsnacht hatte er reichlich von dem stark gewürzten Schottischen getrunken, so daß er mir sein Herz offenbarte, das noch an der Geliebten, die so früh verstorben war, hing.

»Sie fesselte mich schon in der ersten Nacht, die ich in ihres Vaters Zelt zubrachte, obwohl sie drei Jahre weniger als ich zählte, war sie doch vollkommen erwachsen. Schlank, wohlgewachsen und hübsch, mit wundervollen Augen und Haaren, anmutig und lebhaft in ihren Bewegungen, mußte man sich an ihrem Anblick erfreuen. Ich gewöhnte mich daran, sie anzuschauen, wenn ich mich unbeobachtet glaubte, und fand es alsbald besser, im Zelt in ihrer Nähe zu bleiben, als mit den Männern auf Jagd oder Entdeckungsreisen zu gehen. Kam der Abend, so war ich jedesmal glücklich, wenn ich mich auf mein Lager, ihr gegenüber, ausstrecken konnte. So flossen Tage, Wochen und Monate dahin. Ich lernte schnell und leicht die Schwarzfußsprache, redete aber niemals mit ihr, ebensowenig, wie sie mich ansprach, da, wie du weißt, die Indianer es für unpassend halten, wenn Jünglinge und Jungfrauen sich miteinander unterhalten.

»Eines Abends erschien ein Mann im Zelt und begann, einen Jüngling, mit dem ich oft gejagt hatte, außerordentlich zu rühmen. Er erzählte von seiner Tapferkeit, von seiner Herzensgüte und seinem Reichtum. Die Unterredung endete mit der Bitte, Ap'-ah'-ki dem jungen Mann zum Weibe zu geben. Der Gast bot dem Häuptling 30 Pferde zum Geschenk. Ich schaute das Mädchen an und fing ihren auf mich gerichteten Blick auf. Welch ein Blick! er drückte Furcht, Verzweiflung und noch etwas aus, das ich nicht zu deuten wagte. Der Häuptling sprach: »Sag deinem Freund, daß alles, was du von ihm berichtet hast, wahr sei; ich kenne ihn als guten, tapferen, edelmütigen Jüngling, aber trotzalledem kann ich ihm meine Tochter nicht geben.«

Wieder schaute ich Ap'-ah'-ki an, und sie erwiderte den Blick. Diesesmal lächelte sie, und ihre Augen strahlten vor Glück und hatten denselben eigenartigen Ausdruck, den ich schon eben zuvor bemerkt hatte. Aber ich konnte nicht lächeln; denn ihres Vaters Worte hatten in mir jede Hoffnung, sie eines Tages zu besitzen, vernichtet. Ich hatte gehört, wie er 30 Pferde verweigert hatte. Was hatte ich da für Hoffnung, ich, der nicht einmal das Pferd, das ich ritt, zu eigen besaß? ich, der ich im Jahr nur etwa 400 Mark verdiente, wovon ich alles, was ich brauchte, anschaffen mußte. Ach, das Mädchen war für mich unerreichbar. Es machte mich unaussprechlich unglücklich, in ihren Augen diesen eigentümlichen Ausdruck wahrzunehmen, den ich, der ich sie liebte, als Gegenliebe auffaßte; denn ich war jung und in Liebesangelegenheiten unerfahren. Das war eine Leidenszeit.

Von jenem Abend an schlug Ap'-ah'-ki nicht länger die Augen nieder, wenn ich sie anschaute, sondern erwiderte meinen Blick offen, furchtlos und liebevoll. Jetzt wußten wir, daß wir uns lieb hatten. Die Zeit verging. Als ich eines Abends das Zelt verließ, kam sie gerade herein, und wir streiften uns – und unsere Hände fanden sich. Einen Augenblick standen wir so Hand in Hand. Ich zitterte und fühlte, wie sie ebenfalls bebte. Dann rief jemand: »Schließt den Eingang! Der Rauch dringt ins Zelt.« Ich stapfte hinaus und setzte mich auf die Erde. Stundenlang saß ich so und versuchte, einen Plan zu schmieden, um meine Wünsche zu erfüllen. Aber ich fand keinen Ausweg und ging in elender Stimmung zu Bett. Ein paar Wochen später traf ich die Geliebte einmal unterwegs mit einem Bündel Holz. Wir standen beide still und schauten uns an, und dann nannte ich sie mit ihrem Namen. Krasch! flog das Holz auf die Erde, und wir lagen uns in den Armen und küßten uns, einerlei, ob jemand zusah oder nicht.

»Ich kann diesen Zustand nicht länger ertragen,« sagte ich endlich. »Komm jetzt mit mir, jetzt sofort, zu deinem Vater. Ich will mit ihm reden.«

»Ja,« flüsterte sie, »ja, laß uns Mut fassen und zu ihm gehen. Er hat mich immer gut behandelt, vielleicht ist er jetzt großmütig.«

So gingen wir Hand in Hand zu dem Häuptling, der im Schatten des Zelts saß und seine lange Pfeife rauchte.

»Ich besitze keine 30 Pferde, ich habe nicht einmal eins zu eigen,« sagte ich, »aber ich liebe deine Tochter, und sie liebt mich. Ich bitte dich, gib sie mir.«

Der Einsame Wanderer lächelte. »Was glaubst du wohl, warum schlug ich damals die 30 Pferde aus?« fragte er mich, und ehe ich ihm antworten konnte, fuhr er fort: »weil ich dich zum Schwiegersohn haben wollte; denn ein Weißer ist klüger, geschickter und erfahrener als ein Indianer, und ich brauche einen Ratgeber. Wir waren nicht blind, weder ich noch meine Weiber. Wir haben diesen Tag schon lange kommen sehen und darauf gewartet, daß du reden würdest. Nun hast du gesprochen. Es bleibt nichts weiter zu sagen als: sei gut zu ihr.«

Noch am selben Tage wurde ein kleines Zelt für uns beide errichtet und ausgerüstet mit Decken und rohledernen Behältern, die mit getrocknetem Fleisch und Beeren gefüllt waren. Dazu bekamen wir einen der beiden kupfernen Kochkessel, die im Besitz der Familie waren, gegerbte Felle, Packsättel, Seile, kurz alles, was zur Einrichtung eines Zeltes nötig ist. Der Häuptling hieß mich dazu, aus seiner stattlichen Herde 30 Pferde auswählen. Am Abend begaben wir uns in unser Zelt und waren glücklich.

Der Alte machte eine Pause und saß schweigend da und gedachte vergangener, glücklicher Zeiten.

»Ich weiß, was du fühlst,« bemerkte ich dazwischen, »denn uns ergeht es gerade so.«

»Das sehe ich,« fuhr er fort. »Als ich das Glück und den Frieden in eurem Zelt beobachtete, konnte ich mir nicht helfen, ich mußte dir von meiner Jugend und meinem Glück erzählen.«

Nachdem er gegangen war, erzählte ich Nat-ah'-ki alles wieder, was er mir mitgeteilt hatte. Sie hörte mit der größten Aufmerksamkeit zu, und als ich geendet hatte, sah ich Tränen in ihren Augen schimmern, und sie sagte immer wieder: »O, ich habe solches Mitleid mit ihm, wie einsam muß er sich fühlen.«

Am nächsten Abend, als er wiederkam und seinen gewohnten Platz einnahm, ging Nat-ah'-ki zu ihm und küßte ihn zweimal. »Das tue ich,« sagte sie zögernd, »weil mir mein Mann alles wieder berichtet hat, was du ihm gestern abend erzählt hast. Weil –« aber sie konnte nichts weiter sagen.

Der Aufstehende Wolf senkte sein Haupt. Ich konnte sehen, wie schwer er atmete. Die Tränen rannen ihm über die Wangen. Mir war, als hätte ich etwas in der Kehle stecken. Dann stand er plötzlich auf, legte seine Hand auf das Haupt meiner kleinen Frau und sagte sanft: »Ich bete zu Gott, daß er dich lange am Leben erhalten möge. Er erhalte dir dein sonniges Glück.«

Monroe war eine Reihe von Jahren im Dienste der Hudsonbaigesellschaft. Er hatte eine große Familie, Knaben und Mädchen, von denen die meisten heute noch am Leben sind. Der Aelteste, John, ist ungefähr 75 Jahre alt, aber noch jung genug, um im Felsengebirge, nahe bei seinem Wohnsitz, alljährlich im Herbst Bergschafe und Hirsche zu töten und Biber zu fangen. Der alte Monroe hat seine Heimat nie wieder aufgesucht. Er sah seine Eltern, nachdem er sich im Hafen von Montreal von ihnen getrennt hatte, niemals wieder. Zwar wollte er gelegentlich zu kurzem Besuch heimreisen, aber er verschob denselben immer wieder. Da erreichten ihn Briefe, die bereits zwei Jahre alt waren und ihm den Tod der Eltern meldeten. Gleichzeitig erhielt er auch den Brief eines Rechtsanwalts mit der Meldung, daß ihm eine bedeutende Besitzung zugefallen sei. Er müsse nach Montreal reisen und dort einige Papiere unterzeichnen. In jener Zeit fuhr der Geschäftsführer der Bergfeste nach England. Monroe händigte ihm vertrauensvoll eine Vollmacht ein. Der Mann kam niemals wieder, und durch die geleistete Unterschrift verlor Monroe sein ganzes Erbe. Das focht ihn aber nicht im geringsten an. Besaß er denn nicht ein Zelt und eine Familie, gute Pferde und weites, wildreiches Gebiet, um darin umher zu wandern? Was sollte er außerdem denn noch wünschen?

Als er die Hudsonbaigesellschaft verließ, arbeitete Monroe eine Zeitlang für die amerikanische Pelzhandelsgesellschaft, aber nur als freier Fallensteller, und so wanderte er zwischen dem Saskatschewan und Yellowstone, dem Felsengebirge und dem Winnipegsee hin und her. Die Quellen des südlichen Saskatschewan waren eines seiner Lieblingsjagdgebiete. Dorthin führte er anfangs der 70er Jahre den bekannten Jesuitenpater de Smet. Am Ausfluß der wundervollen Seen, die sich südlich vom höchsten Berg jener Gegend ausbreiteten, errichteten sie ein großes, hölzernes Kreuz und nannten die beiden Becken: St. Mariensee. Einen Winter, nachdem seine Söhne John und Franz geheiratet hatten, lagerten sie dort. Eines Nachts machte eine große Bande von Assiniboines einen Angriff auf ihre drei Zelte. Die Töchter Amalie, Elisabeth und Maria hatten schießen gelernt, und so wehrten sie sich tapfer und jagten die Assiniboines bei Tagesanbruch mit 5 Mann Verlust davon. Elisabeth tötete einen, als er gerade die Pforte des Pferdekrals aufbrechen wollte.

Außer Bibern, Fischottern, Vielfraßen und Mardern töteten sie in jenem Winter über 300 Wölfe, und zwar auf eine so eigenartige Weise, daß ich sie hier beschreiben will. Am Ufer an dem Ausfluß der Seen bauten sie aus dünnen, geraden Tannenstämmen einen Käfig, der am Boden etwa 4 : 5½ Meter maß und sich nach oben zu in Höhe von 2½ Meter verengte. Die obere Oeffnung betrug etwa ¾ : 2½ Meter.

Ganze Stücke Wild, Büffelviertel und allerlei sonstiges Fleisch wurde in das Innere dieser Falle geworfen. Die Wölfe, die Fleisch und Blut witterten, sahen es durch die Pfähle, die 4 bis 6 Zoll weit auseinander standen, kletterten an dem Käfig hinauf und sprangen hinein. Aber hinaus konnten sie nicht wieder, und am Morgen fand man sie, unruhig und verstört, in ihrem Gefängnis hin- und herrennend. Pulver und Blei waren in jenen Tagen noch kostbar, so wurden die großen grauen Wölfe mit Pfeil und Bogen erlegt. Dann öffnete man am hinteren Ende der Falle eine Tür und ließ die kleinen Präriewölfe entwischen. Die Kadaver der toten grauen Wölfe wurden, nachdem ihnen das Fell abgezogen war, stets in den Fluß geworfen, um die noch freien Wölfe nicht zu verscheuchen.

Der liebe alte Aufstehende Wolf! er bejammerte fortwährend den Verfall der Indianer, besonders der Piegans. »Du solltest sie früher gekannt haben,« pflegte er zu sagen. »Was war das für ein stolzes, tapferes Volk! Aber jetzt! der Branntwein ist ihnen zum Fluch geworden. Große Häuptlinge gibt es nicht mehr, und die Medizinmänner haben Macht und Einfluß verloren.«

Der Alte war Katholik. Trotzdem hatte er großes Vertrauen zur Religion der Schwarzfüße und glaubte an die Kraft der Gebete und an die Zauberkraft der Medizinmänner. Er sprach oft von der gewaltigen Macht, die einer dieser Männer, namens Alte Sonne, besessen hatte. »Dieser Mann,« so berichtete er, »verkehrte unzweifelhaft mit höheren Mächten, und von ihren geheimnisvollen Kräften war etwas auf ihn übergegangen. Manchmal lud er einige von uns in dunkler Nacht, wenn alles still um uns her war, in sein Zelt.

Nachdem alle Platz genommen hatten, mußten seine Weiber das Feuer mit Asche eindecken, so daß es drinnen so dunkel wie draußen war. Dann fing er an zu beten. Erst zu der Sonne, der größten Naturkraft, dann zu Ai-so-pwom-stan, dem Windmacher, dann zu Sis-tse-kom, dem Donner, und Puh-pom', dem Blitz. Wenn er betete und sie anflehte, zu kommen und seinen Willen zu tun, rauschten zuerst leise die Zeltklappen und kündeten das Herannahen eines aufsteigenden Windes an, der nach und nach stärker und stärker wurde, bis sich das Zelt unter seinen Stößen hin- und herbog, und die Pfähle krachten und ächzten. Dann fing der Donner an zu grollen und zu rollen, erst in weiter Entfernung. Schwach leuchteten die Blitze dazwischen auf. Aber näher und näher kam das Unwetter, bis es gerade über uns stand. Die Schläge machten uns taub, die Blitze blendeten uns, und alles war starr vor Angst und Schrecken. Dann bat und flehte dieser prächtige Mann, daß sie wieder von uns gehen möchten. Der Wind legte sich allmählich, Donner und Blitze wurden schwächer und schwächer und verschwanden schließlich ganz, und wir sahen und hörten nichts mehr von ihnen.«

All dieses glaubte der Alte felsenfest. Er hatte es gesehen und gehört. Ich kann nicht dafür einstehen – vielleicht hatte der schlaue, alte Zauberer seine Zuhörer hypnotisiert.

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