Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

5. Die Geschichte der Kutenai.

Wir hatten gefrühstückt. Nat-ah'-ki kämmte immer wieder ihr Haar, band es mit einem blauen Bande zurück und zog ihr schönstes Kleid und ihre besten Mokassins an.

»Was nun?« fragte ich. »Wozu der Staat?«

»Einsamer Hirsch wird heute morgen seine heilige Pfeife enthüllen und durch das Lager tragen. Wir wollen ihm folgen. Kommst du nicht mit?«

Natürlich wollte ich mit. Ich zog schnell meine besten, befransten und bestickten Lederhosen an, dazu ein ebensolches Lederhemd und märchenhaft schöne Mokassins. In diesem Anzug mit den bis auf die Schultern herabfallenden Haaren, sah ich jedenfalls sehr malerisch aus. Die Indianer hassen kurz geschorene Haare. Wenn sie von alten Zeiten sprachen, und von den Angestellten der amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft erzählten, und die Obersten derselben beschrieben, sagten sie: »ja, so und so war ihr Häuptling, er trug langes Haar. Es gibt jetzt keine weißen Häuptlinge mehr, sie sind alle geschoren.«

Wir kamen spät. Um das Zelt des Medizinmannes drängten sich so viel Menschen, daß wir nicht nahe heran konnten, aber die Zeltdecke war an allen Seiten hochgeschlagen, so daß man sehen konnte, was innen vorging. Einsamer Hirsch hatte Süßgras verbrannt, und in dessen Rauch seine Hände gereinigt. Nun löste er den Stamm seiner Pfeife aus den Hüllen. Er sang mit den Männern, die im Zelt neben ihm saßen, den zu jeder Hülle gehörenden Gesang. Es gab ein Antilopen-, Wolfs-, Bären- und Büffellied, letzteres wurde sehr langsam und feierlich gesungen. Endlich lag der lange Pfeifenstab frei da. Er war mit Adlerfedern, Pelzstreifen und Bündeln kleiner, glänzender Federchen, überreich geschmückt. Der Alte hielt ihn ehrerbietig hoch gegen die Sonne, wandte ihn dann nach Norden, Süden, Osten und Westen, und betete dabei um Gesundheit, langes Leben und Glück für uns alle. Dann stand er auf, hielt die Pfeife ausgestreckt vor sich hin, und bewegte sich in langsamen Tanzschritten aus dem Zelt. Wir Männer folgten ihm, einer nach dem anderen, dann die Weiber und Kinder in langem Zuge, der sich in Schlangenlinien durch das Lager wand. Wir sangen dazu die verschiedenen Weisen der Zauberpfeife. War ein Lied zu Ende, so ruhten wir etwas aus, und das Volk lachte und schwatzte, bis man mit Beginn eines neuen weitertanzte. Sie waren glücklich, diese Menschen. Keiner zweifelte an der Wirksamkeit dieser Gebete und Huldigungen, und ein jeder war überzeugt, daß die Sonne sich über den Anblick dieser schön geputzten, fröhlichen Schar freue. So wanderten wir weiter, und immer weiter, bis das ganze Lager umgangen, und unser Führer wieder am Eingang seines Zeltes angelangt war. Dort entließ er uns, und wir gingen heim, und widmeten uns wieder unseren Alltagsarbeiten.

»Kyi,« sagte Nat-ah'-ki, »war das nicht ein schöner Tanz? und wie hübsch sahen die Menschen in ihren guten Kleidern aus!«

»Ai,« erwiderte ich, »freilich war's ein schöner Tanz, und die Leute sahen gut aus. Ein Mädchen gefiel mir aber vor allen, das war am besten angezogen.«

»Wer war das?, sag's schnell,« bat sie.

»Ach, das war natürlich die kleine, weiße Frau, die hier in diesem Zelt wohnt,« gab ich zur Antwort.

Nat-ah'-ki sagte nichts und wandte sich ab von mir, aber an dem Glanz ihrer Augen erkannte ich, wie glücklich sie war. Das wollte sie, in ihrer Schüchternheit, mir nicht gestehen.

Die Junitage waren lang, aber mir vergingen sie im Fluge. Auf Jagd gehen, faul im Schatten der Zelte sitzen, und die anderen bei ihrer Arbeit beobachten, den Alten lauschen, wenn sie ihre langen Geschichten erzählten, das war mir sehr interessant.

Eines Tages erschienen drei Kutenai-Indianer in unserem Lager. Sie brachten unserem Häuptling, Großer See, Tabak, und fragten an, ob den Piegans ein Besuch ihres ganzen Stammes willkommen wäre. Gradenwegs von ihrem Lande waren sie über das Felsengebirge zu uns gewandert, aufwärts, durch die tiefen Wälder der westlichen Abhänge, über die gletscherbedeckten Höhen der großen Bergkuppen, und in der tiefen Schlucht des Cutbankflusses abwärts, stracks auf unser Lager zu, das einige hundert Kilometer entfernt, in der Ebene lag. Wie war es ihnen nur möglich gewesen, den Weg durch dieses Gewirr von Bergkuppen, Schluchten und Tälern zu finden? Vielleicht folgten sie den Spuren einer heimkehrenden Kriegsbande oder eines umherstreifenden Trupps ihrer eigenen Leute. Unsere Häuptlinge nahmen den Tabak an, den sie brachten, rauchten ihn und pflogen Rat. Einige, die liebe Verwandte im Kampf mit diesen Gebirgsstämmen verloren hatten, wollten keinen Frieden mit ihnen schließen, aber die Mehrzahl war dafür, und so reisten die Boten wieder ab mit dem Bescheid, daß die Piegans sich sehr freuen würden, wenn der Stamm mit seinem Häuptling, auf lange Zeit zum Besuch zu ihnen käme.

Sie erschienen bald, alles in allem etwa 700 Mann, die größere Hälfte des Stammes. Von den Piegans unterschieden sie sich äußerlich durch die kräftigere Gestalt und größere Hände und Füße. Sie waren tüchtige Bergschaf- und Ziegenjäger, und ihre Beinmuskeln waren durch das Bergsteigen abnorm entwickelt. Die Schwarzfüße liebten diese Lebensweise nicht. Was sie an Getier nicht im Reiten erjagen konnten, verschmähten sie, und die schwerste Arbeit, die sie leisteten, war das Zerlegen und Packen der Jagdbeute auf die Pferde. Kein Wunder, daß ihre Hände und Füße schmal gebaut, und erstere oft so weich und zart wie Frauenhände waren.

Der alte Sah'-aw-ko-kin-ap-i, d. h. Man Sieht Seinen Rücken, der Häuptling der Kutenai, kam mit ein paar Männern vor dem Haupttrupp an, und bevor Großer See noch irgendwie gewahr geworden, daß die Besucher nahten, wurde der Türvorhang an seinem Zelt aufgehoben, und die Kutenai traten ein.

Sie schlugen ihre Zelte unmittelbar neben unserem Lager auf, und noch ehe die Weiber damit ganz fertig waren und die Feuer brannten, besuchte man sich gegenseitig und tauschte Geschenke aus. Der Verkehr zwischen den beiden Stämmen wurde sehr lebhaft. Die Kutenai brachten große Mengen Arrow root, Pfeilwurzel und getrocknete, gelbe, süße Knollen mit, die denen, die monatelang kein Gemüse gesehen hatten, trefflich mundeten. Die Piegans freuten sich sehr darüber und gaben den Kutenaifrauen dafür reichlich Pemmikan und Dörrfleisch. Gegerbte und rohlederne Büffelhäute tauschten sie gegen Schaf-, Elch- und andere Gebirgstierfelle ein.

Selbstverständlich kam die Jugend auch auf ihre Kosten. Die Jünglinge der Piegans besuchten das Kutenailager, und die jungen Kutenai standen bei uns herum, schön geputzt, in ihrem besten Staat, die Gesichter schön bemalt, und die langen Haare wohl gekämmt.

Die Wohlhabenden hatten am linken Handgelenk, an schmalem Lederriemen, einen kleinen Spiegel hängen, der bei jeder Bewegung im hellen Sonnenlicht aufleuchtete. Manchmal war dieser Spiegel mit einem schmalen Holzrand eingefaßt, den der Besitzer bunt bemalt hatte. Natürlich sprachen diese Jünglinge mit keinem der jungen Mädchen ein Wort, beachteten sie überhaupt nicht. Sie standen nur so herum, und schauten in weite Fernen, kannten aber trotzdem jedes Mädchen ganz genau. Und die Mädchen? o, die taten gerade so spröde, als ob überhaupt gar keine jungen Männer im Dorf seien. Waren sie aber unter sich, dann schwatzten sie über jeden einzelnen, und machten sich über die albernen Gecken, denen man die Eitelkeit ansah, gebührend lustig. So berichtete mir Nat-ah'-ki.

Die Jugend beider Lager tanzte und spielte viel und veranstaltete Wettrennen, während die Aelteren zuschauten und sich von ihren Kämpfen, Jagden und Reisen unterhielten. Meistens verständigte man sich durch Zeichen, aber ein paar Kutenaimänner und -Weiber sprachen die Schwarzfußsprache, die sie in der Gefangenschaft oder bei einem früheren, längeren Aufenthalt bei unserem Stamm gelernt hatten. Es gab keinen Indianerstamm in der ganzen Umgegend, der nicht mindestens eine oder zwei Personen aufwies, die der Schwarzfußsprache mächtig waren. Ein Schwarzfuß hingegen konnte, außer der Zeichensprache, nur in seiner Muttersprache reden, denn er schaute auf alle anderen Stämme als auf untergeordnete Wesen herab und hielt es unter seiner Würde, ihre Sprache zu lernen. Ein Schwarzfuß, ein noch ziemlich rüstiger Mann, der die Kutenaisprache beherrschte, besuchte mich oft in meinem Zelt. Er fühlte, daß er mir willkommen war, denn ein Napf Suppe und Tabak, so viel er wollte, war stets für ihn vorhanden. Als Gegenleistung für diese Gastfreundschaft erzählte er mir von seinen Reisen und Abenteuern. Er war früher weit herumgekommen, bis an die Küste und den großen Salzsee, und hatte Land und Leute gut beobachtet. Eines Abends erzählte er mir und Nat-ah'-ki eine Geschichte von den Fischessern, die uns sehr interessierte.

»Als ich noch jung war,« begann er, »hatte ich drei gute Freunde. Wir hatten bereits mehrere erfolgreiche Kriegszüge miteinander gemacht, und jeder von uns hatte bereits eine stattliche Pferdeherde und sonst allerhand Hab und Gut angesammelt, vorsorgend für das eigene Zelt und den zu gründenden Hausstand. Es hätten sich uns gern noch andere auf unseren Beutezügen angeschlossen, wir jedoch wollten niemand mehr mitnehmen, denn wir hielten die Vier für eine Glück bringende Zahl, so kam auf jede Himmelsrichtung einer. Demnach nannten wir uns auch: Norden, Süden, Osten, Westen. Ich hieß Westen. Zweimal waren wir in der Prärie gewesen, einmal gen Süden gezogen, nun wollten wir westwärts reiten, denn wir hatten gehört, daß weit ab an einem großen Fluß ein Stamm, der besonders reich an Pferden sei, hause. Im Frühsommer machten wir uns auf den Weg, gewillt unter allen Umständen das pferdereiche Volk zu finden, sollte sich die Reise auch durch Monate hinziehen. Außer unseren Waffen, Lassos und Mokassins, führten wir auch Ahlen und Sehnen mit, so daß wir uns neue Kleider und Schuhwerk anfertigen konnten, wenn unseres zerrissen war.

Unser erstes Ziel war der See der Flachkopfindianer, bei denen wir zwei Tage blieben; weiter reisten wir durch einen großen, wegelosen Wald zu den Pend d'Oreilles. Vom nördlichen Ende ihres Sees aus sahen wir ihre Lagerfeuer leuchten und ihre Boote auf dem Wasser. Aber wir gingen nicht an ihr Lager heran. Sie hatten gute Herden, von denen wir hätten nehmen können, aber es zog uns unablässig weiter zu dem fernen, fremden Stamm und seinem uns neuen Land. Der Wald wurde tiefer und dunkler, als wir weiter wanderten, und die Bäume waren so groß, wie wir nie zuvor welche gesehen hatten. Es gab nur wenig Wild. Man konnte sich nicht vorstellen, daß dort je Vögel und Wild gelebt hätten, es war zu dunkel und unfreundlich. Tiere sowohl wie die Menschen lieben die Sonne. Wohl suchen sich Hirsche und Elche dunkle Dickichte, um sich zu verstecken, wenn sie ruhen wollen, aber sie bleiben stets in der Nähe eines offenen Platzes, wo sie im warmen Sonnenschein stehen und den blauen Himmel über sich sehen können. Ebenso ist's mit den Menschen. Die armen, pferdelosen Stämme, denen ihre geizigen Götter nur einen dunklen Wald als Jagdgebiet geben, bleiben nicht in seinem dunklen, stillen Innern, sondern stellen ihre armseligen Zelte an einem See oder kleinen Fluß auf oder lassen sich an einer, durch ein Feuer geschaffenen Lichtung nieder. Wir mochten diesen großen Wald nicht und reisten durch ihn hindurch. Unsere Eßvorräte waren aufgezehrt, und hätten wir uns nicht mit unseren Pfeilen ein paar Fischchen geschossen, wir hätten elendiglich Hungers sterben müssen. Schweigend und traurig saßen wir des Abends um unser Feuer und überlegten ernstlich, ob wir nicht umkehren sollten, denn dieser Wald schien kein Ende nehmen zu wollen. Selbst Osten, der sonst immer schwatzte und scherzte, war stumm geworden. Wir wären auch umgekehrt, wenn wir nicht fürchteten, daß uns dieser Wankelmut, der uns das ersehnte Ziel nicht erreichen lassen wollte, Unglück bringen würde. Daß noch Schlimmeres uns bevorstand, das konnten wir freilich nicht ahnen. Dennoch, glaube ich, daß es für uns eine Art Warnungszeichen war, denn ich fühlte mich so unbehaglich, so schreckhaft, und wußte nicht warum. Den anderen erging es nicht besser, aber keiner wollte das zugeben. Später nahm ich derartige Empfindungen ernst. Dreimal kehrte ich vor einem geplanten Kriegszug um, und einmal, als meine Gefährten mich verlachten, folgte ich trotzdem dieser Eingebung. Von ihnen sah niemand sein heimatliches Zelt wieder.

Nach vielen Tagereisen erreichten wir endlich offenes Land. Eine weite Prärie, durchzogen von Waldstreifen, einzelnen Hügeln und dunklen, kahlen Felspartien, lag vor uns. Der Fluß war breiter und tiefer geworden und hatte starke Strömung. Wapiti, Hirsche, schwarze Bären und Birkhühner gab es im Ueberfluß. Wie freuten wir uns an dem Gesang der kleinen Vögel. Ein junger Hirsch wurde zur Strecke gebracht, wir bereiteten uns ein Mahl, und waren wieder froh und guter Dinge. Nirgends eine Spur von Menschen oder Pferden! So schien es uns hinreichend sicher, mitten am Tag ein Feuer anzuzünden, und wir lagen bis zum nächsten Morgen rauchend, schlafend und essend drum herum. Bei Sonnenaufgang setzten wir unsre Reise mit großer Vorsicht fort. Jeder Hügel, jeder Grat wurde erklommen, um Umschau zu halten. Am ersten Tag sichteten wir noch keine Menschen, aber am folgenden entdeckten wir Rauch unten am Fluß. So wanderten wir in dem schmalen Waldstreifen, der sich am Ufer hinzog, den Fluß entlang. Das Lager befand sich an der gegenüberliegenden Seite, und ein tosendes Geräusch sagte uns, daß wir an einer starken Stromschnelle sein müßten. Wir mußten Rat halten. Durchschritten wir den reißenden Strom, und holten uns ein paar Pferde, würden wir sie in derselben Furt, durch die wir gekommen, wieder herüber bringen, und ungesehen heimtreiben können? Endlich nahm Süden das Wort und sagte: »Wir vergeuden die Zeit mit Beratungen und haben noch nicht einmal das andere Ufer, Lager, Leute und Pferde gesehen. Wir wollen hinüber gehen, und sehen, was zu sehen ist, und dann weiter ratschlagen.«

Seine Rede war klug, und wir folgten ihr. Bei Sonnenuntergang warfen wir einen kurzen Baumstamm ins Wasser, und banden ein kleines Holzstück daran, damit er nicht umkippen konnte. Wir entschieden uns, nicht bis Dunkelwerden zu warten, denn der Strom war breit. Freilich liefen wir Gefahr, von drüben gesehen zu werden. Trotzdem packten wir unsere Kleider und Waffen auf das Floß, und schwammen hinaus in den Strom. Alles ging gut, bis wir etwa in der Mitte des Flusses in starke Strömung kamen, die uns unerbittlich abwärts trieb.

»Laßt uns das Floß in Stich lassen und ans Ufer zurückschwimmen,« sagte Norden.

Wir versuchten es, aber wir kamen nicht aus dieser rasenden Strömung heraus. Einer nach dem anderen kehrte zum Floß zurück.

»Unsere einzige Rettung ist, daß wir uns daran festklammern, und vielleicht ungesehen durch den Wasserfall und am Lager vorbei kommen,« sagte Süden.

Der Fluß machte eine Biegung, und vor uns erhob sich etwas Schreckliches, dem wir erbarmungslos entgegen trieben, zwei hohe Felswände, durch die sich das Wasser tosend und schäumend hindurch zwängte, und die es wirbelnd umspülte.

»Haltet fest! packt an!« schrie Süden. Ich faßte den kleineren Baumstamm mit aller Kraft, aber was bedeutete das gegenüber solcher Naturgewalt? Plötzlich sanken wir mit unserem Floß unter, unter das tobende, schäumende, grüne Wasser. Hart schlug es gegen einen Felsen. Ich wurde losgerissen, und wirbelnd vorwärts gespült, kam mit einer Welle hoch, wurde dann wieder hinab geschleudert, wie lange, weiß ich nicht. Mein linker Fuß wurde zwischen zwei Felsen festgeklemmt, mich stieß und zerrte das Wasser vorwärts, und so brach der Knöchel. Ein Weilchen hing ich so, zwischen den beiden Felsen, fest, aber bald wirbelte mich die starke Strömung doch wieder los, und nach ein paar erleichternden Atemzügen kam ich wieder unter Wasser, diesmal so lange und so tief, daß ich glaubte, nie wieder das Tageslicht schauen zu dürfen. Ich hatte fortwährend gebetet, nun aber hörte ich auf, denn es hatte ja keinen Zweck mehr, ich mußte ja doch sterben. Aber ich kam doch noch wieder hoch, das Wasser wurde ruhiger, und ich sah über mir ein Boot, über dessen Rand sich ein kleiner, dunkler Mann beugte. Sein Haar war gänzlich ungepflegt, das Gesicht sehr breit, und der Mund auffallend groß. Ich fühlte, daß er mich an den Haaren packte, und dann starb ich, d. h. ich verlor das Bewußtsein.

Als ich wieder erwachte, befand ich mich in einem alten, kleinen, zerrissenen Hirschlederzelt. Ich lag auf einem Ruhebett und war mit einer Decke aus Biberfell zugedeckt. Ein alter, grauhaariger Mann band Stäbe um mein gebrochenes Bein und sang dabei ein fremdartiges Lied. Ich wußte, daß er Medizinmann war. Neben ihm saß der Mann, den ich im Boot gesehen hatte. Außerdem waren drei Frauen da, von denen eine hübsch und jung war. Wenn ich sie anschaute, so wandte sie den Kopf, die anderen beiden sahen mich unentwegt an. Männer kamen ins Zelt, alle breit, von gedrungener Gestalt, mit starken Muskeln. Ihre Haut war dunkel, sie waren durchweg sehr häßlich und, o Schrecken! auf ihren Lippen und am Kinn wuchsen Haare. Während sie sich unterhielten, sahen sie mich fortwährend an. Besonders merkwürdig war ihre Sprache. Sie schien bei ihnen tief aus dem Magen zu kommen und sich von ihrer Kehle loszulösen, wie ein Stück Rinde, die man vom Baum mit der Axt losspellt. Ich dachte: die Sprache lernst du nie. Der alte Medizinmann quälte mich entsetzlich, als er mein Bein wickelte, ich hielt aber ruhig aus. Wie gern hätte ich gewußt, ob einer meiner Freunde lebendig aus diesem schrecklichen Wasser heraus gekommen, und gleich mir aufgefischt oder entkommen war. Später hörte ich, daß die Wassergötter sie zu sich genommen hatten, wenigstens kehrte keiner von ihnen jemals in die Heimat zurück.

Die Güte dieser Fremden, die mich aus dem Wasser gezogen hatten und mich pflegten, rührte mich. Leider konnte ich mich gar nicht mit ihnen verständigen, denn die Zeichensprache verstanden sie nicht.

Nachdem der Medizinmann mein Bein fertig gerichtet hatte, setzte man mir ein Stück von einer großen, fetten Forelle vor. Die Leute lebten größtenteils von Fischen, die sie am unteren Wasserfall aufspießten, und sich für den Winter trockneten. Das Land war voll von Wild, Wapitis, Hirschen und schwarzen Bären, aber diese wunderlichen Männer gingen selten auf Jagd und waren zufrieden, wenn sie Fische und Beeren zu essen hatten. Ich litt während meiner Krankheit stark unter dem Fleischmangel. Eine Weile mußte ich ganz still im Zelt liegen, dann konnte ich etwas umher humpeln, täglich etwas mehr, bis ich endlich, endlich zum Fluß hinab gehen und dem Fischfang zusehen konnte. Dort gab es Arbeit für mich. Ich bekam einen Haufen Fische und ein Messer, und man zeigte mir, wie ich sie zum Trocknen zurecht machen müsse. Nun wußte ich auch, warum man mich aus dem Wasser gezogen hatte; ich war nun ein Sklave. Früher hatte ich wohl von Völkern gehört, die ihre Feinde gefangen nehmen, und anstatt sie zu töten, sie schwer für sich arbeiten lassen. Nun wußte ich es. Ich, ein Schwarzfuß mit gebrochenem Bein, unfähig zu entfliehen, war der Sklave von Fischessern mit behaarten Gesichtern. Die Weiber dieses Volkes, das Weib des Mannes, der mich gefangen hatte, gab mir Arbeit, zeigte mir, was ich tun solle. Nicht das junge Weib, nein die anderen. Das Mädchen war stets freundlich mit mir, besorgt um mich und tat, wenn sie konnte, die mir aufgetragene Arbeit für mich. Wenn die Mutter dem widersprach, gab es Streit, aber das Mädchen kannte keine Furcht.

Wenn mein Bein wieder gesund ist, dann fliehe ich, dachte ich. Dann stehle ich diesem Mann die Waffen und finde meinen Weg zurück zum Rückgrat der Welt. Aber der Bruch heilte äußerst langsam, und bevor ich wieder gut gehen konnte, wurde mein ganzer Plan zerstört. Eines Tages wurde alles eingepackt, die Zelte, die Bündel mit den getrockneten Fischen, alles wurde in den Booten verstaut, und wir fuhren flußabwärts. Wir schifften unaufhaltsam weiter, der Strom wurde breiter und breiter, die dichten Wälder blieben hinter uns, bis wir endlich an einen großen See kamen, der keine Grenze hatte, dessen Wellen stetig hoch gingen, und über dem fast immer ein dichter Nebel lagerte. Es war ein schrecklicher Ort. Dort schlugen wir mit Scharen anderer Fischesser unser Lager auf und nährten uns, außer von den Fischen, noch von einer Art Wasserteufel, die schneller als Ottern schwammen und abscheulich schmeckten.

Nach und nach gelang es mir, mich in dieser schwierigen, fremden Sprache etwas verständlich zu machen. Allmählich erlaubte man mir, Bogen und Pfeile zu nehmen und auf Jagd zu gehen. Ich erlegte viel Wild, einige Wapiti und ein paar schwarze Bären. Trotzdem war ich nicht glücklich. Der Winter war im Anzug, und es hatte vorläufig keinen Zweck, an Heimkehr zu denken. Wenn ich reiste, wie sollte ich, der ich kein großes, schweres Boot steuern konnte, diesen gewaltigen Strom hinauf rudern? Freilich lagerten wir am Ufer. Ich konnte bis zu den schrecklichen Stromschnellen am Ufer entlang wandern, und oberhalb einen Uebergang suchen, aber der Weg war lang, führte durch finstere Wälder, dichtes Unterholz und struppiges Buschwerk. Es stand schlecht um mich, ich mußte aber versuchen, durchzuhalten.

Da zeigte mir mein Traum einen Ausweg. In einer Nacht raunte es mir zu: frage das Mädchen. Sie hat dich gern und wird dir helfen.

Als ich am anderen Morgen erwachte, schaute ich zu ihr hinüber; sie erwiderte den Blick freundlich und lächelte. Das war ein gutes Zeichen. Ich sagte, daß ich auf Jagd wollte, nahm nach dem Frühstück die Waffen des Fischessers und ging hinaus. Ich ging aber nicht auf Jagd, sondern nur ein kleines Stückchen in den Wald hinein und versteckte mich da. Das Mädchen würde im Lauf des Tages zum Holzsammeln gehen, und auf diese Weise konnte ich allein mit ihr reden. Als ich fortging, hatte ich sie nochmals lange angeschaut. Sie schien diesen Blick verstanden zu haben, denn sie folgte mir schnell, und als sie mich sah, nahm sie bald hier, bald da ein Stückchen Holz auf und kam dabei immer näher, schaute aber oft zum Lager zurück. Ich schlüpfte hinter die Wurzel eines gestürzten Baumes, und sie kam bald herum zu mir, so daß wir nah beieinander standen. Ich fürchtete mich, die Unterhaltung anzufangen, denn ich konnte mich so schlecht in der fremden Sprache ausdrücken. So suchte ich nach passenden Worten, fand sie aber nicht. Da schaute sie mich an, legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte: »Du möchtest gern zu deinem Volk zurück.«

»Ja,« sagte ich, »ich sehne mich heim zu gehen, aber der große Fluß! ich verstehe kein Boot zu steuern.«

Sie lachte ein wenig, schaute sich vorsichtig um, ob niemand in der Nähe wäre, und sagte dann in kurzen, klaren Worten, die ich verstehen konnte: »Ich kenne Boot – ich fahre dich – du bist gut mit mir – ich mag dich leiden.«

»Ja,« sagte ich, »ich will gut zu dir sein. Ich nehme dich zum Weibe. Alles, was du willst, sollst du von mir geschenkt haben, viele Pferde, ein hübsches Zelt und nette Kleider.«

Sie lachte leise, es war ein glückliches Lachen. »Heute Abend, wenn alle schlafen, gehen wir.«

Ich hielt sie zurück. »Es ist weit, viel Schnee unterwegs, wir müssen warten, bis wieder Frühling ist.« Sie gab mir einen kleinen Stoß und fuhr fort: »Ich sage, heute abend; ich weiß genau, wie wir gehen und was wir zu tun haben, und wenn es Zeit ist, rufe ich dich!« Sie strich mir bei den letzten Worten leicht über den Arm.

Ich schlüpfte fort, ging aber bald wieder ins Lager und sagte, daß ich mich nicht wohl fühle und nicht jagen könne. Eine der alten Frauen gab mir Medizin ein. Sie hatte Angst, daß ihr Sklave nicht arbeitsfähig sein und ihr keine Felle erjagen würde. Ich mußte den Trank, der sehr schlecht schmeckte, hinunterwürgen. Hätte ich ihr doch etwas anderes vorgelogen! Ich dachte, der Abend würde nie kommen, aber endlich, endlich, sank die Sonne. Wir aßen zu Abend und legten uns nieder. Das Feuer verlosch, und es war im Zelt sehr dunkel. Nach einer Weile fingen der Fischer und seine Weiber an zu schnarchen, und ich fühlte, daß mich jemand am Arm zupfte. Wie lange hatte ich darauf gewartet! Ich stand sehr langsam auf, nahm Bogen und Pfeile und das Messer, das ich nachlässig, als ich herein kam, neben mein Lager gelegt hatte, und stahl mich geräuschlos aus dem Zelt. Das Mädchen nahm mich bei der Hand und führte mich hinab zum Wasser. Dort lag ein kleines Boot, das einer anderen Familie gehörte. Sie hatte bereits einige Kleider, Eßvorrat und einen ledernen Behälter voll Trinkwasser darin verstaut, denn das Wasser dieses schrecklichen Sees war salzig und in stetem Kampf mit den Zuflüssen des großen Stromes, mit denen es sich nicht vermischte. Wir stiegen in das Boot, ich vorn, das Mädchen hinten. Sie stieß lautlos ab und paddelte uns hinaus in die Stille und Dunkelheit des großen Flusses. Nach einer Weile gab sie mir das Ruder, das ich sehr geräuschvoll handhabte. Jetzt schadete der Lärm uns aber nicht mehr. Schweigend fuhren wir, wechselten kein Wort miteinander, bis der Tag graute. Dann landeten wir an einer Stelle, an der viele kleine Steine herumlagen. Mit denen luden wir das Boot so voll, daß es schnell außer Sicht sank. Dann gingen wir in einen dichten Wald und fühlten uns endlich frei und sicher; etwaige Verfolger konnten weder uns noch unser Boot sehen oder nur vermuten, daß wir uns hier verborgen hielten.

So fuhren wir drei Nächte stromaufwärts und bogen dann in einen kleinen Fluß ein, der von Norden kam. Es war ein herrliches Wasser, so klar und rasch, und am Ufer waren überall Wildspuren. Einen halben Tag reisten wir noch auf dem Wasser, dann versteckten wir unser Boot und wanderten an einem Bächlein entlang bergan. Ich schoß einen Hirsch und mein Weib baute von Stangen und Buschwerk eine kleine Hütte. Wir machten Feuer an und aßen. Nun waren wir ganz vor Verfolgung sicher. Hier wollten wir bis zum Frühling bleiben. Ich wollte jagen und viele Felle heimbringen, und mein Weib wollte davon ein schönes Zelt herrichten. So ordnete sie an. Zum erstenmale, seit vielen Monaten, war ich wieder glücklich. Ich hatte jemand, für den ich sorgen mußte, und dieser jemand sorgte für mich. Wenn der Sommer kam, reisten wir zu meinem Stamm und lebten dort glücklich zusammen. O, freilich, ich war glücklich. Den ganzen Tag, außer, wenn ich jagte, sang ich. Am Abend saßen wir an unserem kleinen Feuer und aßen; ich lehrte sie meine Sprache, die sie sehr schnell lernte, und erzählte ihr dabei von meinem Volk, den Bergen, Prärien und Wild in demselben.

Die Tage vergingen uns schnell genug, und ich erwartete den Sommer durchaus nicht mehr mit Ungeduld; denn wir waren glücklich. Aber bald zeigten die Weiden ihre ersten grünen Blättchen, das Gras fing an zu wachsen, und eines Abends holten wir unser Boot aus dem Versteck und ruderten in den großen Fluß zurück, auf dem wir nur des Nachts fuhren, bis wir an die schrecklichen Stromschnellen kamen. Dort versenkten wir unser Boot, damit niemand wissen konnte, daß wir diesen Weg gekommen wären. Dann machten wir uns auf den Weg, den ich damals mit meinen Freunden gekommen war. Der große Wald erschien mir diesmal gar nicht so düster und der Weg nicht so lang. Endlich erreichten wir den See der Pend d' Oreilles. »Von hier ab«, sagte ich, »wollen wir reiten. Ich will diesen Leuten ein paar Pferde stehlen.«

Meine kleine Frau widersetzte sich dem, ich blieb aber bei meinem Vorhaben. Sie war von dem weiten Weg übermüdet und wurde es von Tag zu Tag mehr. Ein Pferd für sie mußte ich zum wenigsten haben. Ich konnte das Lager und die vielen Pferde in nächster Nähe desselben sehen. Der Mond schien strahlend hell, trotzdem ging ich, als alles schlief, geradeswegs auf die Zelte zu, stahl einen Frauensattel und löste zwei der besten Pferde, die ich finden konnte, und ging zu meinem Weibe zurück. Sie war furchtbar ängstlich; denn sie hatte noch nie auf einem Pferde gesessen. Ich sattelte eines, schwang mich darauf und ritt etwas umher. Es war ein sanftes Tier. Dann setzte ich mein Weib in den Sattel, kürzte die Steigbügel und zeigte ihr, wie sie sitzen müßte, und bestieg selbst das andere Tier. So ritten wir den mir so wohlbekannten Weg heimwärts.

Wir waren noch nicht weit gekommen, als das Unglück über uns hereinbrach. Mein Weib schrie auf, ihr Pferd riß sich von mir los und sprang im Kreise herum. Als ich zu ihr zurückkam, war sie schon tot. Der Sattelgurt war gerissen, sie war heruntergeglitten, und das Pferd hatte sie geschlagen oder totgetreten.

Zuerst konnte ich es nicht glauben. Ich nahm sie in meine Arme, befühlte sie am ganzen Körper und fand endlich die tödliche Stelle am Kopf. Da war ich wie von Sinnen. Dann sprang ich auf, schlug erst ihr Pferd tot, dann das meine. Heiße Gebete sandte ich zu den Göttern, zu ihren, zu den meinen, daß sie sie mir wieder zum Leben erwecken möchten. Vergebens. Der Morgen brach an. Ich trug sie ein wenig abseits vom Wege und begrub sie, so gut ich es vermochte. Dann schaute ich zurück gen Westen auf das Land, in dem ich so viel gelitten hatte, in dem ich meine Gefährten verloren hatte, zum Sklaven erniedrigt worden war und ein geliebtes Weib gefunden hatte, nur, um auch dieses wieder zu verlieren, und ich schrie laut auf in meiner Trübsal und Angst. Endlich raffte ich mich auf und machte mich auf den Heimweg. Nun bin ich ein Greis, aber all die Jahre konnten meinen Kummer nicht auslöschen. Noch immer traure ich um die, die ich so innig liebte, und werde es tun, solange ich lebe.

Nat-ah'-ki unterbrach den Alten des öftern: »O! – wie schrecklich, wie traurig ist das alles!«

»Was denn?« fragte ich dagegen.

»Was denn? – nun, doch natürlich das junge Weib, daß sie sterben mußte, gerade, als sie in vollem Glück war. Denke dir das doch nur aus. Sie hat nie den schönen Sonnenschein, die Berge und die herrlichen Ebenen geschaut.«

»Sie sah nie diese weite Prärie,« erklärte ich einmal, als wir wieder von ihr sprachen. »Sie lebte in einem Lande, in dem es nur dunkle Wälder, große Flüsse, Regen und Nebel gab.« Nat-ah'-ki schauderte zusammen. »Ich möchte das Land gar nicht kennen lernen,« rief sie aus. »Ich hasse den Regen, o, ich möchte immer in diesem herrlichen Sonnenlande leben. Wie gut war der Alte, »Der alte Mann« ist nach dem Glauben der Schwarzfüße der Schöpfer der Welt, die Sonne. uns dieses reiche Land zu schenken!«

.


 << zurück weiter >>