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4. Eine Bärenjagd.

Gegen Ende April verließen wir unseren Handelsplatz. Berry wollte den Frachtverkehr zu den Bergwerken sofort nach Ankunft der ersten Dampfer wieder aufnehmen und brachte daher seine Familie nach Feste Benton. Dorthin ging auch Rotfuchs mit den Seinen. Die Blut- und Schwarzfußindianer zogen gen Norden, um den Sommer am Saskatschewan zuzubringen, während die Piegans sich an den Milchfluß und in die Süßgrasberge begaben. Die Bande der kleinen Dicken, denen ich mich anschloß, reiste an den Fuß des Felsengebirges. Ich hatte ein Zelt und ½ Dutzend Zugtiere angeschafft, um unsere Habseligkeiten zu befördern. Wir besaßen einen Backofen, zwei Bratpfannen, einige kleine Töpfe und etwas eisernes und blechernes Kochgeschirr, auf das Nat-ah'-ki sehr stolz war. An Vorräten führten wir einen Sack Mehl, Zucker, Salz, Bohnen, Kaffee, Schinken und getrocknete Aepfel mit. Ich hatte mich mit reichlich Tabak und Patronen ausgerüstet. Wir waren reich, und die Welt lag ausgebreitet vor uns. Als wir reisen wollten, fing ich an, beim Einpacken zu helfen, aber Nat-ah'-ki verbat sich das sofort.

»Schämst du dich nicht?« fragte sie. »Geh nach vorn zu den Häuptlingen. Ich sorge für alles.«

Ich tat, wie sie wünschte und ritt mit den Führern des Stammes an der Spitze des Zuges, oder jagte nebenher, und wenn wir des Abends im Lager ankamen, fand ich unser Zelt aufgerichtet, daneben lag ein Haufen Brennholz, innen brannte ein helles Feuer, auf dem das Abendbrot kochte. Das Mädchen hatte mit ihrer Mutter alles aufs Beste besorgt, und wenn alles in Ordnung war, verschwand letztere und ging zu ihrem Bruder, mit dem sie zusammen lebte. Wir bekamen viel Besuch, und ich wurde fortwährend zum Essen und zum Rauchen eingeladen. Unsere Vorräte hielten nicht lange vor, und wir waren bald auf Fleischkost angewiesen. Alle, außer mir, waren damit sehr zufrieden. Ich lechzte oft förmlich nach einem Apfelauflauf oder ein paar Kartoffeln. Manchmal träumte ich, daß ich etwas Zucker besäße.

Am Fuß des Felsengebirges gab es Wild in Menge. Antilopen und Büffel waren freilich nicht sehr zahlreich, aber Wapiti, Elche, Hirsche und Bergschafe gab es im Ueberfluß, bedeutend mehr, als ich südlich vom Missouri beobachtet hatte. Bären hatten das ganze Land zerwühlt. Die Frauen wagten nicht, ohne starken Schutz auszugehen, um Brennholz oder Travoi- und Zeltstangen zu holen. Es gab viele Jäger, die nie einen Bären angriffen, denn man hielt ihn für heilig und glaubte, daß er ein menschliches Wesen sei. Man nannte ihn gewöhnlich: Kyai'-yo, aber die Medizinmänner mußten ihn, wenn sie von ihm sprachen, Pah'-ksi-kwo-yi, d. h. klebriges Maul, nennen. Ihnen allein war es erlaubt, etwas vom Fell des Tieres zu nehmen, aber nur einen Streifen, als Kopf- oder Pfeifenband. Die Klauen durfte jeder als Halsschmuck tragen. Die Kühnsten trugen ein drei- oder vierfaches Halsband von Bärenklauen, die sie selbst erbeutet hatten, und waren sehr stolz darauf.

Eines Morgens ging ich mit Schwere Brust zur Wasserscheide des Milch- und Cutbankflusses. Er meinte, daß wir durch die Kiefernwaldungen an den Fuß eines kahlen Berges reiten sollten, dort würden wir viele Wild-Schafe finden. Wir brauchten Fleisch, und in dieser Zeit waren die Bergwidder besser, als die Prärieantilopen. Breite Wildspuren zogen sich durch den Wald. Wir saßen ab, banden unsere Pferde fest und gingen vorsichtig weiter. Bald konnten wir durch die Zweige eine große Herde erkennen, alles Widder, die in den Felsen herum kletterten. Ich überließ Schwere Brust den ersten Schuß. Er traf nichts. Ehe er von neuem lud, brachte ich mit meiner guten Büchse zwei Tiere zur Strecke. Nun hatten wir genug Fleisch, denn beide waren stattlich und groß. Wir packten, so viel wir konnten, auf unsere Pferde, und machten uns auf den Heimweg. Als wir aus dem Walde herausritten, sahen wir, auf etwa 400 Meter Entfernung, einen stattlichen Grizzly, der an der kahlen Bergseite eifrig den Boden aufwühlte, und nach einem Ameisennest oder einer Schildkröte suchte.

»Den laß uns töten!« rief ich aus.

»Ok-yi, vorwärts,« sagte Schwere Brust, aber mit einem Ausdruck, der deutlich besagte: du willst es, ich nicht.

Wir ritten am Waldesrand entlang. Mein Gefährte rief die Sonne um Hilfe für unser Vorhaben an. Eine tiefe Schlucht, in der wir weiter ritten, bot uns Deckung, bis wir in die Nähe des Bären kamen. Dann sprengten wir auf die Höhe, und da stand der alte Bursche in etwa 40 Meter Entfernung vor uns. Er sah uns gerade so schnell, wie wir ihn, setzte sich auf die Hinterbeine und schnüffelte in der Luft herum. Sofort feuerten wir beide auf ihn. Mit haarsträubendem Gebrüll überschlug er sich, und biß und schlug sich mit den Tatzen in die Seite, wo ihn eine Kugel getroffen hatte. Dann kam er mit offenem Maul auf uns losgestürzt. Wir hieben auf unsere Pferde ein und wandten uns, fliehend, gen Norden. Ich gab noch ein paar Schüsse auf ihn ab, leider ohne Erfolg. Der Bär, der inzwischen bedenklich nah heran gekommen, war meinem Gefährten dicht auf den Hacken. Wieder feuerte ich, ohne zu treffen. Im selben Augenblick rutschte Schwere Brust mit Sattel und Fleisch von seinem davonjagenden Pony herunter. Der Sattelgurt, ein alter, lederner Riemen, war gerissen.

»Hay-ya, Freund!« schrie er laut, als er rittlings auf seinem Sattel sitzend, durch die Luft sauste. Mit dumpfem Dröhnen schlug er zwei Schritt vor dem anstürmenden Bären auf die Erde nieder. Das Tier stieß ein erschrecktes, angstvolles »Wuh!« aus, wandte sich, und floh zum Walde zurück. Unablässig feuerte ich, bis es mir endlich glückte, ihm mit einer Kugel das Rückgrat zu zerschmettern. Mit einem Kopfschuß konnte ich ihn dann völlig erledigen. Als alles vorbei war, entsann ich mich plötzlich, wie urkomisch der Anblick des auf seinem pferdelosen Sattel durch die Luft reitenden Schwere Brust gewesen war, und wie seine Augen aus den Höhlen traten, als er mich um Hilfe rief. Ich mußte lachen, lachen, lachen! Mein Kamerad war inzwischen herangekommen und stand feierlich neben mir und dem Bären.

»Lache nicht, Freund,« sagte er. »Bete lieber zur guten Sonne, daß sie dich so gnädig behüte wie mich, wenn du einmal von einem Feind, vielleicht einem anderen, als diesem hier, so hart bedrängt wirst. Die Sonne hat mein Gebet erhört. Ich habe ihr die schöne, weiße Decke, die ich gerade gekauft habe, als Opfer versprochen, ich will aber noch mehr tun und meine Otternfellmütze dazu für sie aufhängen.«

Der Bär hatte ein prachtvolles Fell, das ich mitnehmen und gerben lassen wollte. Schwere Brust nahm mein Pferd und jagte dem seinen, das ins Tal gelaufen war, nach, und ich machte mich an die Arbeit. Das war keine Kleinigkeit, denn der Bär war sehr fett, und ich wollte das Fell so sauber wie möglich abziehen. Lange, ehe ich fertig war, kam mein Freund mit seinem Pferde zurück, setzte sich in einiger Entfernung nieder und zündete sich seine Pfeife an.

»Hilf mir,« bat ich, nachdem er eine Weile geraucht hatte. »Ich werde müde.«

»Das kann ich nicht,« antwortete er. »Mein Traum verbot mir, einen Bären anzurühren.«

Wir kehrten frühzeitig ins Lager zurück und Nat-ah'-ki kam mir, als sie mich heranreiten hörte, entgegen gelaufen.

»Kyai-yo!« rief sie, als sie das Bärenfell sah. »Kyai-yo – nanu!« rief sie zum zweiten Male und eilte ins Zelt zurück.

Mir kam das wunderlich vor. Kam ich sonst von der Jagd heim, so ließ sie es sich nicht nehmen, meine Beute auszupacken und das Pferd an das Zelt eines Jungen, der meine kleine Herde versorgte, zu führen. Nachdem ich nun das alles selbst getan hatte, ging ich ins Zelt. Ein Gericht Büffelfleisch und eine Schüssel Suppe standen für mich bereit. Beim Essen berichtete ich von unserer Jagd. Als ich erzählte, wie komisch der Anblick von Schwere Brust gewesen sei, als er auf seinem Sattel durch die Luft ritt, lachte Nat-ah'-ki nicht mit mir. Das machte mich stutzig, denn sie hatte sonst so viel Sinn für alles Komische.

»Es ist ein prachtvolles Fell,« schloß ich, »lang, dick und dunkelhaarig. Ich möchte gern, daß du es für mich gerbtest.«

»Ah!« rief sie aus, »ich wußte sofort, als ich dich damit ankommen sah, daß du mich darum bitten würdest. Sei barmherzig und verlange es nicht von mir. Ich kann's nicht anfassen. Es gibt nur hie und da mal einen Mann oder eine Frau, die, kraft ihrer Träume, ein Bärenfell handhaben können. Anderen, die es versuchen wollen, bringt es schweres Unglück, Krankheit, ja vielleicht gar den Tod. Ein Weib des Kut-ai'-im-iks, des Lache nicht Stammes, würde es für dich tun. Eine andere des Büffelabfallstammes desgleichen. Ja, es gibt wohl einige, aber sie wohnen alle weit fort.«

Ich sagte nichts weiter über die Sache, ging nach einer Weile hinaus und spannte das Fell auf der Erde aus. Nat-ah'-ki fühlte sich unglücklich, kam öfters heraus, sah, was ich tat, und eilte dann wieder ins Zelt. Ich war fleißig bei der Arbeit. Es haftete noch eine Menge Fett auf dem Fell, so sehr ich mich auch anstrengte, ich brachte es nicht herunter. Ich war totmüde und verstimmt über meiner schweren Arbeit, als die Nacht hereinbrach.

Bald nach Tagesanbruch erwachte ich. Nat-ah'-ki war schon auf und draußen. Ich konnte hören, wie sie zur Sonne betete, und ihr erzählte, daß sie das Bärenfell und Fleisch anfassen müsse. Sie bat um Barmherzigkeit, denn sie fürchte sich, das Unreine zu berühren. Wie ungern täte sie es, aber ihr Mann wünsche es und wolle ein weiches, schönes Fell haben. –

»O, Sonne,« schloß sie, »hilf mir. Schütze mich vor dem bösen Geist dieses Bären. Ich will dir opfern. Laß uns gesund bleiben, schenke uns allen, meinem Mann, meiner Mutter, den Verwandten und mir, Glück und langes Leben und laß uns alt werden.«

Mein erster Gedanke war ihr zuzurufen, daß sie das Fell nicht gerben solle, daß ich nach all' diesen Erlebnissen mir wirklich nichts mehr daraus mache, aber ich besann mich und überlegte, daß diese Arbeit gut für sie sein würde. Wenn sie lernte, daß es mit dem bösen Geist der Bären nichts auf sich habe, würde sie von selbst Vertrauen gewinnen. So lag ich noch eine Weile still, und horchte auf das gleichmäßige Tschök, Tschök ihres Schabens, mit dem sie Fleisch und Fett abkratzte. Nach einiger Zeit kam sie herein und als sie sah, daß ich wach war, machte sie Feuer an, um das Frühstück zu bereiten. Sobald es brannte, wusch sie sich ½ Dutzend Mal in frischem Wasser, nahm dann etwas trockenes Süßgras, verbrannte es über ein paar Kohlen, beugte sich über den duftenden Rauch und rieb ihre Hände darin.

»Was machst du da,« fragte ich. »Warum verbrennst du so früh am morgen Süßgras?«

»Ich reinige mich,« antwortete sie.

»Ich habe das Bärenfell abgeschabt, jetzt will ich es für dich gerben.«

»O, das ist lieb von dir,« sagte ich. »Wenn wir nach Feste Benton kommen, schenke ich dir das schönste Tuch, das wir finden können, dafür. Müssen wir auch irgend etwas opfern? sag's mir, damit ich das Nötige dafür besorge.«

Die kleine Frau war zufrieden. Sie lächelte glücklich und wurde dann plötzlich sehr ernst. Dann setzte sie sich an mein Bett und flüsterte:

»Ich habe gebetet. Ich habe für dich und mich ein Opfer versprochen. Wir müssen etwas Gutes geben. Du hast zwei kleine Gewehre. (Sie meinte Pistolen.) Kannst du davon nicht eines entbehren? ich, ich gebe mein blaues Tuchkleid.«

Das blaue Tuchkleid! ihr liebstes Besitztum! sie hatte es selten getragen, aber oft genug aus seiner ledernen Umhüllung herausgenommen, ausgestäubt, anders gefaltet, bewundert und wieder fortgepackt. Wenn sie sich davon trennte, so konnte ich gern eine meiner Pistolen opfern. Nach dem Frühstück gingen wir hinaus und hingen unsere Gaben an einem Baum etwas abseits vom Lager auf. Nat-ah'-ki betete, während ich hinauf kletterte, und die Sachen recht fest an einem widerspenstigen Zweig festband. Während des ganzen Tages kamen die Frauen unseres Lagers, und starrten Nat-ah'-ki, die das Bärenfell gerbte, an. Manche drangen in sie, die Arbeit sofort niederzulegen, denn sie würde ihr sicherlich Unheil bringen. Sie beachtete sie aber nicht, und nach etwa 4-5 Tagen hatte ich ein prachtvolles, weiches Bärenfell, das ich sofort über unser Ruhebett deckte. Wenn ich aber irgend welchen Wert auf Gäste legte, konnte es dort nicht bleiben, denn keiner meiner Freunde betrat das Zelt, solange das Fell darin war. Ich mußte es hinter unserer Behausung unter einem Stapel Rohleder verstecken.

Wir blieben am Fluß bis zum 1. Juni. Dann wurden die Fliegen dort so unverschämt, daß wir in die Ebene übersiedelten, wo sie uns nicht so quälten. Wir folgten in mehreren Tagereisen dem Lauf des Milchflusses, und trafen schließlich, nördlich von den Süßgrasbergen, auf eine andere Abteilung der Piegans. Dort lagerten wir, und der Besuch von einem Lager zum andern war äußerst rege. Ein übles Ereignis, das sich vor kurzem bei unseren Nachbarn zugetragen hatte, bildete das Tagesgespräch.

Gelb Vogelfrau, das junge niedliche Weib des alten Er Blickt Zurück, war mit einem Jüngling, Zwei Sterne, davon gelaufen. Man glaubte, daß sie nach Norden, zu den Blut- und Schwarzfußindianern gegangen seien, und der Gatte war zu ihrer Verfolgung ausgezogen. Man redete und mutmaßte unausgesetzt, was wohl aus der Sache werden würde. Wir sollten es bald genug erfahren.

Eines Abends erzählte mir Nat-ah'-ki, daß das schuldige Paar wieder zurück sei und bei einem jungen Freund in dessen Zelt Unterschlupf gefunden habe. Sie waren dem sie verfolgenden Gatten, als er im Blutindianerlager ankam, ausgewichen und zurückgeeilt. Er würde höchstwahrscheinlich weiter nach ihnen suchen, indes sie auf Besuch zu den Arapaho gehen wollten. Sie hofften, daß er nach einer Weile die Verfolgung aufgeben und die Frau nach Zahlung hoher Entschädigung freigeben würde, damit sie in Frieden mit ihrem Liebsten leben könne. Am anderen Morgen wurde unser Lager durch herzzerreißendes Weibergeschrei aufgeschreckt. Alles sprang aus den Betten und rannte hinaus, die Männer bewaffnet, denn sie dachten, ein Feind sei im Anzuge. Aber nein. Es war Gelbvogelfrau, die so schrie. Ihr Mann hatte sie gefunden und aufgegriffen, als sie an den Fluß gehen wollte, um Wasser zu holen. Er hatte sie am Handgelenk gepackt und zerrte sie in das Zelt unseres Häuptlings. In den Zelten bereitete man den Morgenimbiß, aber alles war so unheimlich ruhig dabei, kein Singen, kein Lachen, selbst die Kinder verhielten sich still.

Ich bemerkte das Nat-ah'-ki gegenüber.

»Pst,« erwiderte sie, »ich fürchte, daß etwas Entsetzliches im Anzuge ist.«

Gleich darauf hörten wir den Ausrufer, der verkündete, daß sofort eine Ratsversammlung im Zelt unseres Häuptlings Großer See stattfinden werde. Er lud dazu die Medizinmänner, die besten Jäger und die klugen Alten. Einer nach dem anderen ging hin. Eine dumpfe Schwüle lastete auf dem ganzen Lager.

Wir frühstückten indes, und ich rauchte. Bald darauf ertönte wieder des Ausrufers Stimme: »alle Weiber, alle Weiber,« rief er. »Ihr sollt sofort in das Zelt unseres Häuptlings kommen. Dort wird eine Strafe vollzogen. Ein Weib ist der Untreue gegen ihren Mann schuldig befunden worden. Ihr alle sollt Zeugen sein, wie man die straft, die Schande über ihren Gatten und ihre Familie bringt.«

Wohl wenige Weiber hatten Lust, der Aufforderung zu folgen, aber dem Ausrufer folgte die Lagerpolizei, die von Zelt zu Zelt ging und die Frauen herausholte. Als einer derselben das Zelttuch unseres Eingangs aufhob, stürzte Nat-ah'-ki zu mir herüber und schmiegte sich dicht an mich.

»Komm,« sagte der Polizist, »komm schnell, hast du den Ruf nicht gehört?«

»Sie ist kein Pieganweib mehr,« erwiderte ich ruhig, obwohl ich in Wahrheit sehr ängstlich war; »sie ist jetzt das Weib eines weißen Mannes und hat nicht nötig zu gehen.«

Ich dachte, es würde in dieser Angelegenheit noch eine Auseinandersetzung folgen, aber nein, der Mann ließ das Zelttuch wieder fallen und ging davon.

Wir warteten. »Was werden sie tun?« fragte ich, »Sie töten oder – das andere …?«

Nat-ah'-ki schauderte und antwortete nicht, schmiegte sich nur fester und fester an mich. Plötzlich hörten wir wieder das entsetzliche Geschrei. Dann war alles ruhig, bis unser Häuptling sprach:

»Kyi!« sagte er. »Ihr alle, die ihr hier steht, seit Zeugen dessen, was mit einem Weibe geschieht, die ihrem Manne untreu ist. Untreue ist ein großes Verbrechen. In alten Zeiten ratschlagten unsere Väter, was man mit einem Weibe tun solle, das Sorge und Schande über Gatten und Verwandtschaft gebracht hat. Wie sie es bestimmt haben, so wird es geschehen, und das Urteil ist heute wiederum an einer vollzogen, und ihr, die ihr dabei waret, mögt es euch zum warnenden Beispiel nehmen. Sie ist gekennzeichnet für ihr ganzes Leben. Wohin sie geht, werden die Leute sie anschauen, lachen und sagen: ›Ha, ein Weib, der man die Nase abgeschnitten hat! Da geht ein Weib von zweifelhaftem Charakter. Ist sie nicht niedlich?‹«

Es sprachen noch ein paar andere Männer, und als sie geendet, hieß der Häuptling die Leute auseinander gehen. Das schuldige Weib ging an den Fluß, und wusch ihr blutendes Gesicht. Ihr war die Nase abgeschnitten. Vom Nasenrücken bis an die Lippe war eine tiefe Wunde. Es war ein entsetzlicher Anblick.

Der Jüngling? Er war, sobald das Weib gefaßt war, in sein Lager und Zelt hinübergeeilt. Ihm sagte und tat man nichts. In diesem Punkt sind Kultur- und Naturvölker gleich. Das Weib muß leiden, und der Mann geht frei aus.

»Sieh,« sagte Nat-ah'-ki, »die Frau kann man nicht tadeln. Sie hat Zwei Sterne immer lieb gehabt, aber er ist sehr arm, und ihr schlechter alter Vater gab sie dem bösen, alten Er Blickt Zurück, der schon fünf Weiber hatte, und sie grausam und schlimm behandelt. O! ich habe solches Mitleiden mit dem armen, unglücklichen Ding.«

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