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Eilftes Kapitel.

Während Karl nach Hause eilte, bemerkte er eine außergewöhnliche Bewegung auf den Straßen. Gruppen standen zusammen und flüsterten – ganze Haufen zogen eilig, eine und dieselbe Richtung verfolgend, an ihm vorüber – er setzte voraus, daß irgend ein militairisches oder anderes Schauspiel stattfinde, welches der Physiognomie der Bevölkerung diesen Ausdruck von Lebhaftigkeit und Spannung gebe. Aber auch das Haus seines Oheims fand er in voller Aufregung. Oben an der Treppe stand der Freiherr von Meichelbeck und zankte von da herunter auf die zusammenlaufende Dienerschaft, daß Niemand wisse, wo Karl zu finden, daß sein Schreiber wieder im Wirthshause hinter der Flasche sitze, daß die Vache des Reisewagens beim Sattler sei, und um tausend andere Dinge. Karl hatte seinen guten Oheim noch nie in solchem Zorne gesehen.

Ah! gut, daß du da bist! rief ihm der Freiherr entgegen, sobald er seiner ansichtig wurde. Du mußt auf der Stelle abreisen.

Abreisen? Unmöglich – ich habe erst noch eine dringende Angelegenheit zu erledigen – eine Beleidigung zu rächen und einen Schurkenstreich zu strafen.

Flausen – du mußt binnen jetzt und zwanzig Minuten im Wagen sitzen, Jüngelchen, du mußt als Courier an unsern Hof abgehen, es ist Ehrensache, daß keine andere Nachricht meiner Depesche zuvorkommt; wir kommen in Ungnade, wenn es der alte Fürst von U., den unser Herzog nicht ausstehen kann, früher erführe, als er!

Aber was denn, lieber Onkel?

Was denn? weißt du's denn nicht, daß der Kaiser todt ist?

Todt?!

Nun ja – todt, seit diesem Morgen um halb sechs Uhr todt!

Karl erblaßte – dann stiegen ein paar helle Thränen in seine Augen.

Mein Gott! sagte er, darum lief das Volk auf der Straße zusammen! Aber es sah so heiter und aufgeregt aus, als stürze es einem Feuerwerk im Prater zu!

Komm in diesen Saal, Jüngelchen, antwortete der Freiherr von Meichelbeck, wir wollen darüber plaudern, bis der Kammerdiener deine Sachen gepackt hat und die Postpferde da sind.

Er nahm seinen Neffen unter den Arm und führte ihn in ein dunkles getäfeltes Gemach in welchem das lebensgroße Portrait Joseph's II. über dem Kamine hing.

Es wird vielleicht nur Eine Person in Wien wahrhaft über den Heimgang des Kaisers trauern, sagte der alte Diplomat, indem er mit Karl in dem Saale auf- und abschritt.

Und das ist?

Die Fürstin K.

Von der komme ich, antwortete Karl, ich war Zeuge ihres Schmerzes, einer Scene, deren Schlüssel ich nicht hatte und die mich deßhalb doppelt entsetzte. Ja, sie hat Grund, zu trauern! fügte er hinzu und dachte an die unselige Schuld, welche auch diese Frau um der Liebe zu einem Manne willen auf sich geladen, dessen Auge sich unmittelbar darauf geschlossen hatte.

Sonst, fuhr der Freiherr von Meichelbeck fort, ist Alles heiter beim Tode dieses Monarchen, der doch, ich gestehe es dir gern, so große, so versöhnende Eigenschaften hatte – der mehr für Wien gethan in den zehn kurzen Jahren seiner Regierung, als je ein Herrscher vor ihm.

Und was ist der Grund, daß solche Eigenschaften, mit dem besten Willen gepaart, zu Grunde gegangen sind ohne Resultat? Weßhalb mußte dieser Kaiser sterben wie ein Krieger auf den Trümmern und dem Schutte dessen, was er mit seinem Blute vertheidigte?

Es ist der Mangel an Glauben in ihm!

An Glauben?

Ja! Aber verstehe mich recht. Ich meine nicht den Glauben an die Kirche, aber den an den Geist. Es ist das Vertrauen auf die Allmacht der Zahlen; das blinde Verkennen des Gebietes des menschlichen Geistes, welches über den exacten Wissenschaften hinausliegt; die Ueberschätzung des militairischen Princips, die Uniformirung dessen, was die Natur verschieden gestaltet, dieses kühne, sich überhebende Selbstvertrauen, das die Massen als Wachs betrachtet, aus welchem der Herrscher jedes mögliche politische Ideal kneten könne – das Alles – daneben die Abwesenheit eines großen, ewigen Gedankens – Joseph II. faßte nicht einmal den Gedanken, dem jetzt die Zukunft gehören wird, den der deutschen Nationalität!

Sie haben Recht, theurer Onkel, fiel Karl ein – und als Hauptvorwurf gegen Joseph II, möchte ich noch hinzufügen seine Verachtung der öffentlichen Meinung. Und doch ist dieser frühe, unbeweinte Tod des Kaisers eines der erschütterndsten Ereignisse, welche die Geschichte kennt. Es ist wie das Ende eines Kriegers auf der Wahlstatt mitten unter den Leichen seiner erschlagenen Ideen; er liegt begraben unter dem Zusammensturz seiner theuersten Schöpfungen, und sein brechendes Auge hat die Vernichtung alles dessen schauen müssen, woran er die Kräfte seines Lebens gesetzt – nicht einmal der Trost ist ihm geblieben, sagen zu können: Non omnis morior! Und doch, er konnte es sagen! Es wird immer Herzen geben, denen das Gedächtniß Joseph's II. theuer bleibt, trotz aller seiner Schwächen und Uebereilungen; Herzen, die in ihm die warme Begeisterung für Licht und Recht, für Gesetzlichkeit und Ordnung, für das Glück seiner Unterthanen und die Herrschaft der Vernunft verehren; Herzen, in denen die treue Liebe für einen Herrscher nicht aufhört, der nichts wollte, als sich opfern für sein Volk, und der sein Leben dahingegeben hat im Kampfe mit dem, was ihm Vorurtheil schien!

Der Kammerdiener trat ein und meldete, daß die Postpferde angespannt, Karl's Sachen eingepackt und Alles zur Abreise bereit sei. Der Gesandte gab seinem jungen Courier eine kurze Depesche, Karl nahm hastigen Abschied und warf sich in den Reisewagen. In dem Augenblicke, in welchem die Pferde anzogen, zitterte ein dumpfer Klang durch die Luft. Es war die große Glocke von St. Stephan, welche ihr Trauergeläut anhub. Zwanzig andere Thürme antworteten, und über die Kaiserstadt rollten in vollen Wogen die melancholischen Klänge. Tief erschüttert hörte Karl nach und nach das imposante Strömen der Töne verhallen; während sein Wagen über die Chaussée dahinflog, vergangen sie in dem Rollen der Räder, in dem Pfeifen des Windes durch die dürren Weiden zur Seite des Weges und waren bald spurlos verweht, wie der letzte Seufzer eines Menschenlebens. Die einsame Fahrt erlaubte ihm, ungestört allen den Empfindungen nachzuhangen, die ihn wechselnd und streitend bestürmten. Aber im Vordergrunde während dieser Fahrt blieb immer das Bild des entseelten Kaisers vor seiner Seele stehen. Und während er dem Geschicke des berühmten Herrschers nachsann, dem erst die Nachwelt volle Gerechtigkeit hat widerfahren lassen, drängte sich ihm endlich die Ueberzeugung als bleibende Wahrheit auf:

daß die Entwickelung der Zeit die Macht des Herrscherthums überhaupt gebrochen und daß Joseph II. der vollste Ausdruck dieser Wahrheit sei. In Joseph II. hatte sich das Herrscherthum mit dem Guten und Edeln verbündet und war gescheitert – was konnte es vollends, mit dem Uebeln und Schlechten verbündet, wie es leider öfter aufgetreten, von nun an noch bedeuten?!

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