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Viertes Kapitel.

Der Schulze Kersting war leibeigener Bauer, aber deßhalb nicht weniger ein reicher und angesehener Mann. Sein großer Hof und das, was für ihn bei der unumschränkten Verwaltung von Schwarzhorst abfiel, hatte ihn in den Stand gesetzt, an seinem einzigen Sohne und Erben nichts zu sparen, und so war der junge Mann denn, nachdem er der Dorfschule entwachsen, in die nächste große Stadt gebracht worden, wo er die Classen der lateinischen Schule rasch durchlaufen hatte. Denn er besaß von Klein auf eine große Fassungsgabe und einen unruhigen Kopf, der ihn nicht rasten ließ, bis er alle seine Mitschüler überwunden. Neben seinen Studien war ihm, bei der Leichtigkeit, womit er lernte, Zeit genug übrig geblieben, sich in allerlei Büchern, wie sie ihm in die Hände fielen, umzuthun, das Leben und Treiben der Stadt zu beobachten und sich in eine Sphäre der Bildung zu versetzen, die weit über den gewöhnlichen Gedankenkreis eines leibeigenen Bauers hinausragte. Als ihn der Vater zurückgeholt, weil er nun genug gelernt, wie der Alte meinte, fand es sich, daß der junge Mensch zur schweren Bauerarbeit verdorben war. Aber was schadete es? Er war ja reich, der Vater sah ihm gern seine Liebhabereien nach und ließ ihn in Schwarzhorst, wo er zur Beaufsichtigung der Arbeit wohnen durfte, ganz wie einen jungen Gutsherrn schalten. Lambert setzte hier seine Beschäftigungen, wie er sie in der Stadt getrieben, fort, las viel und verarbeitete in seiner stürmischen Seele die aufrührischen Gedanken, welche damals wie ein allgemeiner Ansteckungsstoff in der Atmosphäre lagen und nirgends einen fruchtbareren Boden finden konnten, als in der Seele eines über seinen Stand gebildeten Plebejers. Nebenbei tummelte er unbändige junge Rosse müde, oder verliebte sich bis zum Sterben in eine frische und muntere Landdirne, die er am andern Morgen wieder vergessen hatte.

Lambert hatte einen großen Wissenstrieb, einen nicht zu löschenden Durst nach Erkenntniß; er besaß ein lebendiges, ein feuriges Rechtsgefühl, einen an Tollkühnheit grenzenden Muth und daneben jene schroffe Auffassung der Lebensverhältnisse, welche in dem zu großen Selbstvertrauen unbelehrter Jugend ihren Grund hat. Was er vom Bauer an sich trug, war vornehmlich jene Verstocktheit der übergesunden Vernunft, die, jedem schönen Scheine abhold, alle glänzenden Hülsen zernagt, um zum Kerne zu kommen, und in listigem auf-der-Hut-sein gegen die Ueberredungen der Poesie und des Gefühls Nahrung ihrer Eitelkeit findet.

Muß ich noch hinzufügen, daß ein großer Ehrgeiz in der Brust des jungen Bauers wohnte? daß dieser Ehrgeiz es war, der, tödtlich verletzt, ihn so zornig aufbrausen ließ bei der Auffoderung des Verwalters? In der That, es war ein hartes, demüthigendes Ding, das ihm angesonnen wurde! Allerdings gehörte es zu den Rechten der Gutsherrschaft, von den Söhnen und Töchtern des leibeigenen Schulzen zu verlangen, daß sie ein Jahr hindurch als Knecht oder Magd unentgeltlich auf dem Hofe dienten. Aber bei den besondern Verhältnissen, die zwischen der Freiherrnfamilie und ihrem Schulzen zu Kersting zu bestehen schienen, war dieses Recht während zweier Generationen nicht mehr zur Ausübung gekommen. Niemand dachte mehr daran, am allerwenigsten Lambert, der mit jugendlichem Stolze für sich keine gesellschaftliche Höhe zu hoch glaubte. Er fühlte deßhalb nicht allein seinen Ehrgeiz, seinen Freiheitsdrang, sondern auch sein Rechtsgefühl verletzt. Er ging noch weiter, er sah sich als Opfer einer tückischen, von dämonischen Mächten errichteten Weltordnung an, die jeden edeln Seelenaufschwung, jede strebende Geisteshoheit an den Staub und die Knechtschaft zu fesseln bestimmt sei. Er verlangte stürmisch Rache an den Werkzeugen dieser Ordnung – Rache vor Allem, Rache eher, als selbst die Freiheit!

Jede Fiber war in ihm empört.

Nein, nein, bei allem Feuer der Hölle, ich bin kein leibeigener Sklave – und wenn sie mich in Ketten werfen, daß ich unter der Wucht von Eisen zusammenbreche, ich trage doch den unauslöschlichen Stempel der Freiheit, der auf jeden meiner Gedanken wie auf eine goldene Münze geschlagen ist. Sie sollen es inne werden, wie gefährlich es ist, die Schergenhand in die Flamme einer freiheitlodernden Seele zu strecken!

Es gibt Augenblicke, wo das Misverhältniß zwischen der leiblichen Kraft des Menschen und seiner innern Kraft uns zur Verzweiflung treiben kann. Wir fühlen es in solchen Augenblicken, daß unsere Körper versiecht und entnervt sind, daß wir ursprünglich bestimmt waren, einen Titanenleib zu bewohnen. Nach der Kraft eines Titanen sehnte sich Lambert, um durch die Netze zu brechen, welche um ihn gestellt waren, und sie rächend in Staub zu zermalmen. Aber was vermochte er zu thun?

Sein Vater war nach einer Stunde zu ihm gekommen. Der alte Bauer fühlte eine tiefe Erbitterung, da er in der Auffoderung der Gutsherrschaft eine gegen ihn selbst gerichtete Chicane sah. Hatte man ihm doch schon so oft Vorwürfe gemacht, daß er seinem Sohne eine Erziehung über seinen Stand gegeben! Es sollte durchaus eine Todsünde für einen Bauer sein, das Bischen Kenntnisse aufzulesen, das die Schule von damals bot und das der Junker von damals in stolzer Indolenz bei Seite liegen ließ. Aber der alte Schulze hatte sich nicht irre machen lassen. Es war sein einziger Junge, er hatte Geld – weßhalb sollte er nicht suchen, aus dem Jungen was zumachen? Jetzt kränkte man ihn in seinem Knaben; aber er sah ein, daß er sich werde fügen müssen, und so verbiß er seinen Groll.

Du mußt, Lambert! sagte er. Das Raisonniren hilft nichts. Widersetzlichkeit bringt uns in Scandal. Gott sei Dank, so lange die ältesten Leute denken können, haben wir noch nie Scandal in der Familie gehabt! Du wirst nicht der Erste sein, der ihn veranlaßt. Der Himmel behüte uns vor Streit mit der Herrschaft und vor den Advocaten! Und was ist es denn? Du sollst den Spaten führen und die Heugabel. Das muß ich auch thun, und mein Vater hat es gethan. Der Dienst ist keine Schande, aber die Pflichterfüllung eine Ehre.

Aber es ist eine Bosheit, eine Chicane gegen Euch und mich, Vater!

Der Alte zuckte die Achseln.

Du mußt! sagte er und wollte zurück an seine Arbeit gehen.

Vater, Vater! rief Lambert aus, ist das Euer letztes Wort – also Ihr wollt mir nicht helfen? Ihr seid so stumpfsinnig, so feig, so erbärmlich …

Junge, sagte der alte Bauer, indem er seine schwielige Rechte mit bleischwerem Drucke auf die Schulter seines Sohnes legte, Junge, lehne dich nicht gegen deinen Vater auf! Du gehorchst und gehst. Das Andere überlaß mir. Es wird vielleicht ein Tag kommen, wo der alte Schulze Kersting zeigen wird, ob er stumpfsinnig ist, und wo er sich rächen wird. Das geht dich nichts an. Thue du deine Pflicht und bilde dir nicht ein, daß du mehr bist als dein Vater, ein leibeigener Bauer! – Der Alte ging und überließ Lambert seinen tausend zornigen, rachedurstigen, verzweifelnden Gedanken und Entschlüssen, von denen keiner lange Stand hielt.

So saß Lambert die nächsten Tage hindurch grollend in dem Dunkel der Waldungen, die Schwarzhorst umgaben. Es war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen. Eine gewisse düstere Lebensunlust hatte sich seiner bemächtigt; er ließ den jungen schwarzen Hengst ruhig auf der Weide umherlaufen, und die frischesten Bauerdirnen konnten ungeneckt an ihm vorüberziehen.

Der alte Schulze Kersting schüttelte den Kopf über dieses Gebahren seines Sohnes.

Junge, sagte er ihm einst, als er ihn allein auf einer Waldwiese umherschlendern fand – du arbeitest nicht mehr, und du singst nicht mehr – was ist das?

Singen? wir haben wol Ursache dazu, wir gemeines, geknechtetes Bauernvolk – singen! – Und was sollen wir arbeiten, für einen Andern, der sich unsern Herrn und unsere Früchte und unsern Leib sein nennt!

Du bist ein unzufriedener, gottloser Mensch! Geht dir etwas ab, daß du mit deinem Schicksale grollen dürftest? Habe ich dir nicht gegeben, was dein Herz verlangt hat?

Nein, Alter, das habt Ihr nicht! Wenn Ihr mir nicht geben könnt, was der Fuchs in seinem Loche und die wilde Ente, die da über den Busch fliegt, haben, dann hättet Ihr und meine Mutter besser gethan, mich von der Welt zu lassen!

Du bist unzufrieden mit deinem Stande: das ist eine Sünde, Lambert. Wir sind leibeigene Bauern: können wir dabei nicht ehrliche Leute sein, die Gottes Wort gehorchen und geachtet sind von den Menschen und ihr Stück Brot verzehren in Zufriedenheit und Glück? Wir haben einen Herrn, der seine Abgaben und Dienste fodert: nun ja, das muß so sein und ist immer so gewesen. Dafür hat der Herr unsern Hof geschützt in alten Zeiten, als noch keine Ordnung und keine Sicherheit in der Welt war und Einer den Andern ausgeraubt und gebrandschatzt und gepeinigt hat. Was wäre damals aus uns schwachen Menschen geworden, wenn nicht ein starker Herr über uns gewesen, der uns vertheidigt hätte in Kriegszeiten und bei Räubereien und Landplagen!

Also weil wir schwach und er stark, sind wir unfreie Leute und seine Knechte geworden?

Nun ja; und es ist nichts Schimpfliches, daß ein gesunder Mensch deßhalb umhergehen sollte in Nichtsthun und Tagedieben!

Lambert grübelte lange über die Worte seines Vaters nach.

Also Knechtschaft ist Schwäche – Kraft ist Freiheit! sagte er. Ja, ja, so ist es. Und bei Gott, dann bin auch ich ein freier Mensch! Ich bin stark, muthig, todesverachtend. Ich will es ihnen zeigen! Ich will mich bald genug von der Scholle losreißen und den Ort suchen, wo ich frei sein darf! Ich danke dir, Gott, daß du mir die Kraft dazu gegeben! Ja, ich fühle mich so frei wie der Kaiser; aber es steht mir freilich nicht auf der Stirn geschrieben. Ich muß fort. Ich muß sehen, ob nicht ein Fleck auf Erden ist, wo die Kraft und der Gedanke einen sichtbaren, Allen offenbaren Freiheitsstempel geben, die Signatur der Freiheit vor allem Volke, die Niemand antasten darf – ein Heiligthum des Mannes, vor welchem Büttel und Frohnvogt in die Knie sinken! – –

Es war ein schöner Sommermorgen, um die Erntezeit, als Lambert, mit seinem blauen Kittel angethan, ein Ränzel von grünem Wachstuch auf dem Rücken und einen Knotenstock in der Hand, über die Schwelle des Hofes zu Schwarzhorst trat.

Eine wohlgefüllte Börse, Schiller's Räuber und ein geladenes Pistol ruhten in seinen Taschen; ein Abschiedsbrief an seinen Vater, den er mit seinem Plane nicht bekannt gemacht hatte, weil er Widerstand von ihm befürchtete, war auf seinem Tische zurückgelassen.

So zog der junge Mann in die Welt, um die Freiheit zu suchen. Die Compaßnadel seines Herzens aber wies gen Westen. Von da her, über die blauen Höhenzüge der Ferne herüber hatte ja ein fernhinhallender Ruf die Lüfte durchzittert.

In dem stillen Lande, das Lambert's Heimat, war der Ruf bis zu unvernehmlichem Geflüster gedämpft. Aber es war dem jungen Wanderer, als ob es Freiheit, Freiheit! sei, was die Geisterstimme flüstere, deren Schwingen in leisen Flügelschlägen über seinem Haupte dahinrauschten.

Das war es ja, was seine junge Seele suchte. Also auf gen Westen. Der hellste Himmel lachte über ihm. Er nahm es wie eine fröhliche Verheißung. Als er durch einen Waldweg schritt, den einzeln heimkehrende Jäger und Holzhauer gebildet, begrüßte ihn der Aja-Ruf des Pfingstvogels, der Baumläufer kletterte pickend an den glatten Stämmen hinauf, der bittere Seidelbast drängte sich mit pfirsichrother Blüte dicht an seinen Weg und spielte mit dem Morgenwinde, der gleich darauf neckend in die steife, lange Digitalis fuhr, wie um ihre prangenden Glocken zu läuten – just wie ein fröhlicher, windiger Scherz den Hochmuth an der Nase zupft. Denn solch eine langbeinige Purpur-Digitalis sieht aus wie ein hochmüthiger Bettelprinz und drängt sich über die andern Pflanzen hervor, als sei sie Ceremonienmeister und Wunders welch großer Herr im Walde. Oben über die Wipfel schossen blaue Ringeltauben pfeilschnell durch die Lüfte – der bunte Häher aber schaukelte die dunkelgrünen Nadelzweige der Edeltannen und schrie dabei so entsetzlich, als wisse er es durchaus besser als alle die Andern, der Wind, die Blumen, die Vögel und gar die düsterblickenden, erfahrungsgrauen Wipfel, die ihre mächtigen Häupter schwer und leise über ihm schüttelten. So lebte jedes Wesen fröhlich und unverkümmert nach seiner Art; der Vogel segelte frei die Wege, die ihm Gott gewiesen, und frei rauschte der Wind durch das Laubgezweige – sollte denn blos der Mensch, dessen einsamer Schritt in dieses glückliche Waldreich drang, nicht frei, sondern ein gefesselter Sklave sein?

Es war nicht möglich – es war eine Lüge, die Unfreiheit – hoch auf jubelte es in Lambert's Herzen, und er rief aus seiner vollen, hochklopfenden Brust einen Freudenschrei, der zwischen Singen und Jauchzen die Mitte hielt – während er mit seinem Stocke kraftpfeifende Hiebe gegen die steifen Digitalen führte, daß der Häher erschrocken auf- und davonschoß.

Lambert wanderte den ganzen Tag rüstig fort. Um Mittag stärkte er sich in einem Dorfwirthshause; dann brach er wieder auf, und als er eine Gruppe Linden neben der Heerstraße erreicht hatte, warf er sich nieder, um in ihrem Schatten auszuruhen. Er war müde, die Hitze drückend. So entschlief er und wachte erst spät wieder auf, durch nahenden Hufschlag geweckt.

Ein Reiter zog des Weges, und als er neben Lambert war, hielt er sein Pferd an. Dieser rieb seine Augen und konnte sich im ersten Augenblicke kaum recht besinnen, ob er wache oder träume. Denn vor ihm hielt auf einem hohen dürren Rappen Niemand anders als die bocksteife Soldatenfigur des Herrn Hauptmanns Zerrwitz.

Seid Ihr das – wirklich Ihr? und wohin?

Wohin? Das heißt mehr gefragt, als ein gewissenhafter Mensch beantworten kann! Sagt mir, lieber Hauptmann Zerrwitz, wer Eurer infanteristischen Würde so viel reglementswidrige Beine zugesetzt hat?

Lambert erhob sich und trat dem Reiter näher. Es steht Euch vortrefflich!

Das Reiten? he?

Nein, der dürre Gaul, oder Ihr dem Gaule!

Wollt Ihr mit heim, so kommt, sagte der Hauptmann, die Zügel rückend. Ich habe eine kleine Tour gemacht, um Geld zu erheben, das man mir schuldete, und deßhalb möchte ich nicht zu spät in der Nacht zurückkehren. Kommt!

Nein.

Wohin wollt Ihr denn, ins Teufels Namen?

Wohin ich will, dahin will ich allein.

So, so! Darf man denn nicht einmal den Namen des Orts wissen?

Den Namen – o ja – er wird Euch doch immer eine Hieroglyphe bleiben – in die Freiheit will ich.

In die Freiheit! lachte der Hauptmann – dahin – nun, dann kommt getrost mit mir dieses Weges – er führt Euch mindestens eben so schnell an Euer Ziel, als jeder andere auf der Welt.

Dem Hauptmann war es äußerst willkommen, Lambert angetroffen zu haben, da er die Beziehungen zu ihm wieder anzuknüpfen wünschte. Er stieg deßhalb von seinem Pferde und setzte sich zu ihm.

Also in die Freiheit wollt Ihr, junger Weltweiser! hob Zerrwitz nach einer Weile an – und wo wollt Ihr den ungetreuen Schatz finden, Ritter Tannhäuser?

Lambert mochte nicht antworten. Er mochte den steifen Preußen nicht in die Träumereien seiner jugendlichen Hoffnungen, in seine glänzende Ideenwelt blicken lassen. Die Jugend ist nichts weniger als offen, wie man sie nennt. Sie fürchtet Entweihung ihrer Heiligthümer – sie hat ja noch Heiligthümer – und Verspottung derselben.

Statt der Antwort wies Lambert mit seinem Stocke nach Westen, wo eben niedergleitend die Sonne dunkle Wolkenbänke mit Purpurströmen überflutete.

Dahin? Doch nicht nach Frankreich?

Vielleicht.

Lieber Lambert – dort drüben? Da ist die Freiheit nicht! Ich habe den alten Aristokraten, den Schwalborn, oft geärgert, indem ich den leidenschaftlichen Revolutionair spielte. Aber soll ich Euch meine Herzensmeinung über die Revolution sagen? Die Franzosen haben einen vernünftigen und männlichen Einfall gehabt, indem sie ihren abscheulichen übermüthigen Adel aufgeknüpft, fortgejagt und abgeschafft haben. Wenn der Mensch aber einen klugen Einfall hat, so kann er sicher sein, daß er den immer mit einem Haufen dummer Streiche wird büßen müssen. Ja, Vernunft, eine gescheite durchgreifende Maßregel – das ist ein solches Ausweichen aus der regelmäßigen Bahn, welche diesem verwunderlichen Geschöpfe, so man Mensch nennt, gewiesen ist, daß es ihm billiglich stracks eingetränkt wird durch eine Unzahl Thorheiten, die er gleich darauf begehen muß. Das ist der jetzige Zustand Frankreichs, den man die Revolution nennt; den klugen Einfall haben sie gehabt, jetzt sind sie mitten in den Narrenstreichen!

Lambert lachte.

Die Freiheit ist nirgends, lieber Junge. Der Eine hat diese Kette, der Andere jene. Der Eine ist leibeigen, wie Ihr, der Andere ist noch viel fester gebunden, denn er ist ein Narr und liegt an fixen Ideen fest, wie der Domherr, der sich mit Tugend und Poesie und Beglückung des Menschengeschlechts das Leben sauer macht. Der Dritte hat eine böse Frau und der Vierte einen bösen Durst. Wir liegen Alle an Ketten – seien es nun magische Hieroglyphen, die der Wirth ins Kerbholz schneidet, oder hänfene Stricke. Mancher, welcher sich ganz frei dünkt, ist vom Aberglauben umstrickt, wie ein Puterhahn, der an der Erde gedrückt liegen bleibt, wenn man einen Strich mit Kreide über seinen Hals macht. Nein, nein, es gibt keine Freiheit – aber es gibt etwas Anderes, das den Mann dafür entschädigt.

Und das wäre?

Die Ehre!

Das ist nichts Anderes, als die Freiheit, in Blüte ausgeschlagen!

Ist mir zu poetisch! sagte der Hauptmann lächelnd.

Lambert antwortete nicht, sondern begann ein Lied zu pfeifen.

Der Hauptmann fand es durchaus in seinem Interesse, den Flüchtling zurückzubringen; deßhalb fuhr er fort:

Hören Sie, Lambert, im Ernste, machen Sie keinen thörichten Streich. Ich halte Sie für zu vernünftig, als daß Sie so in die Welt laufen wollten. Sie haben keinen Paß, und deßhalb wird man Sie in den nächsten drei Tagen, welche Sie so weiter vagabundiren, unfehlbar einstecken!

Lambert hörte auf zu pfeifen, behielt aber seine gleichgültige Miene bei.

Sie werden Ihren Vater in eine arge Klemme bringen; denn die Gutsherrschaft kann ihn einstecken lassen, bis er Sie herbeigeschafft hat.

Lambert zuckte empor – antwortete aber nicht.

Deßhalb kommen Sie mit mir heim – trotzen Sie dem Feinde – rächen Sie Ihre Schmach, statt zu entlaufen.

Und wie kann ich?! sagte Lambert, indem er aufsprang und die Hände ballte, während doch eigentlich die Thränen ihm weit näher lagen, als der Zorn.

Der Hauptmann lächelte wie ein Faun, und dann flüsterte er ihm ins Ohr: Marianne!

Lambert wandte das Gesicht von dem Alten ab. Dieser bestieg seinen Klepper wieder.

Mir ist's Eins, sagte er, als er oben saß, wohin Sie gehen. Sie müssen's wissen, was Sie thun, und ob Sie sogar den Fünfundzwanzig trotzen wollen, mit denen die löbliche Grenzwacht drüben Spaziergänger ohne Legitimation heimsendet.

Lambert ließ den Hauptmann reiten. Als er ihm aus dem Gesichtskreise war, wischte er eine Thräne aus dem Auge, warf sein Bündel über und schlug den Heimweg ein.

Die Zeit beruhigte etwas Lambert's kochendes Blut. Die wenigen Tage bis zum Ersten des folgenden Monats vergingen rasch. Als der Vorabend dieses Tages gekommen war, warf sich Lambert mit einem Fluche in seinen blauen Kittel, schob einen Knotenstock durch das Bündel mit Kleidungsstücken, welches sein Vater ihm geschnürt, und nahm es über die Schulter; die Schiller'schen Räuber staken in der Rocktasche. Der alte Kersting trug einen Korb mit frischer Butter und einem Schock Eier für den Herrn Tafelmacher, um diesen günstig für den neuen Knecht zu stimmen. So machten sich die Beiden auf den Weg nach Schwalborn. Einsylbig schritten sie neben einander her. Dem alten Bauer war das Herz schwer, er wußte selbst nicht recht, weßhalb. Es war ein schwüler Abend. Die hohen Aehren der Kornfelder, durch welche der Weg sie führte, standen unbewegt. Die Vögel hatten sich in die Wälder geflüchtet. Zuweilen stieß plötzlich ein schwacher Wirbelwind in den Wehsand, in welchen der trockne Sommer die Geleise des Weges verwandelt hatte. Eine dichte Wolke Staub wirbelte dann auf; gleich darnach stand die Luft wieder fest, ohne eine Spur von Regung. Hier und da schoß eine Blindschleiche schlängelnd vor den Wandernden her durch die Wagengeleise und schlüpfte dann ängstlich durch die Kornhalme.

Es ist heiß! sagte der Alte, indem er mit dem Aermel über die Stirn fuhr.

Ja, es wird ein Gewitter kommen.

Wahrscheinlich. Aber wir sind bald da. Da liegt Schwalborn hinter den Pappeln.

Ja, da liegt es! Die Gewitterwolken stehen über seinem Dache!

Lambert sagte dies in einem Tone, daß der Alte aussah und ihn anblickte. Jener sah auf die Seite.

Als sie auf dem Hofe angekommen waren, fragten sie nach dem Verwalter. Herr Tafelmacher begrüßte sie in seinem Stüblein mit einem ironischen Lächeln und nahm den Korb entgegen, als ob zwischen ihm und dem jungen Bauer nichts vorgefallen sei. Es war in der That eine gute, versöhnliche Seele, der alte Tafelmacher, und obwol Lambert zu stolz war, ihn darum zu bitten, wies er ihm doch in dem Nebengebäude, wo das Gesinde schlief, ein Dachkämmerchen an, das er mit Niemanden zu theilen brauchte.

Während Lambert hier seine Sachen niederlegte, hörte er seinen Vater vor der Thür mit dem Verwalter leise flüstern.

Gut, gut, es soll ihm erspart bleiben! versetzte Herr Tafelmacher. Ich will thun, was ich kann.

Der Schulze wandte sich nun zu seinem Sohne und gab ihm die Hand. Mit Gott, Junge! Halte dich ordentlich und brav.

Guten Abend, Vater! Kommt gut heim!

Das war Alles, was Vater und Sohn sich sagten. Beiden war das Herz schwer, wie es vielleicht nie in ihrem Leben gewesen. Aber über seine Empfindungen zu reden, ist des Landmanns Sitte nicht. Er ist das Kind der Natur. Die Natur schweigt bei ihren innersten und wunderbarsten Vorgängen. Der Bauer unterdrückt äußere Zeichen dessen, was in ihm vorgeht. Es ist, als ob er große Empfindungen durch viel Gerede entweiht glaube und als ob er das Ergehen in kleinern Empfindungen für einen Luxus des Gefühls halte, der ihm nicht verstattet sei.

Der Verwalter begleitete den Bauer bis ans Thor.

Sonderbares Volk! sagte er dann, als er allein heimkehrte. Ich soll dem Burschen keine Dienstleistungen auftragen, die ihn in die Nähe der Herrschaft führen. Der Demüthigung halber! Ein Bauer, der sich zum Dienen für zu gut hält!

Lambert hatte unterdeß sein Dachstübchen verlassen und war in den Park hinuntergegangen, um den Rest des Abends draußen einsam zu verschlendern. Er wandelte langsam eine lange Ulmenallee hinab, deren Zweige sich dicht zusammenwölbten. Das Gewitter, das seit lange im Anzuge war, begann in der Ferne leise, verhaltene Donner zu rollen. Die Wipfel rauschten und schüttelten sich. Unter dem Laubdach wurde es dunkel und immer dunkler. Da hörte Lambert in der Ferne Schritte, die heraneilten; auf einem Seitenwege, der in die Allee auslief, kam Karl von Schwalborn herangestürmt; er schritt rasch an Lambert vorüber, ohne ihn zu beachten; eine kurze Strecke hinter ihm eilte Marianne daher; diese wandte sich zurück, als sie neben Lambert stand, und blickte nach dem Onkel Domherrn, welcher, der letzte der Flüchtigen, den jungen Leuten nicht folgen konnte und noch weit zurück war.

Sie werden durchnaß werden, Onkel! rief Marianne, aufgeregt und lebhaft gerötheten Gesichts. Kommen Sie, kommen Sie! – Dann sich schnell zu Lambert wendend, fügte sie hinzu: Laufen Sie, holen Sie einen Schirm für den Onkel!

Als sie diese Worte gesprochen, schien sie plötzlich erschrocken. Sie mußte Lambert, den sie früher oft gesehen hatte, in diesem Augenblicke wiedererkannt haben. Ein starker Blitz schnitt durch das grüne Laubdach und flammte über ihr Gesicht. Es schien erblaßt zu sein. Ein leises Ah entfuhr ihr, dann eilte sie noch rascher weiter, als sie gekommen. Lambert sah ihr überrascht nach, ohne an den Schirm für den Onkel zu denken. Hätte er auch daran gedacht, er würde seinen kindischen Stolz darein gesetzt haben, ihn nicht zu holen. Er ging langsam heim und warf sich halb durchnäßt auf das Lager in seiner Dachstube. Er brütete mit rachsüchtiger Wuth über die Worte nach, die der Hauptmann in Beziehung auf Marianne gesprochen und wie einen bösen Samen in sein Herz gestreut.

Daß Lambert Knecht werden solle, war oft Gegenstand des Gesprächs zwischen Marianne und ihrem Bruder gewesen. Beide Geschwister lehnten sich im Herzen wider den harten Beschluß ihrer Mutter auf. Als Marianne Lambert erkannte, fühlte sie etwas wie eine tiefe Beschämung, die noch größer war als ihr Mitleiden.

*


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