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Siebentes Kapitel.

Wir bitten den Leser, uns eine hohe und enge Stiege hinauf in das dritte Stockwerk eines schmalen, düstern Hauses in der Rauhensteingasse in Wien zu folgen. Wir betreten ein Wohngemach nach vorn hinaus, ein freundliches Zimmer, in dem heruntergelassene Vorhänge das Licht mildern; verblichene gelbe Tapeten bedecken die Wände und sind zwar mit augenscheinlicher Berücksichtigung der Preisliste gewählt, aber sie kommen kaum zum Vorschein unter einer Fülle von Heiligenbildern und von braunen Glaskästen mit den zierlichsten Arbeiten, wie Nonnen oder alte Jüngferchen sie zu kräuseln verstehen – als da sind: höchst malerische Landschaften, aus Stückchen Papier geschnitzelt, Madonnen mit dem Christkinde oder Engel mit rothen Wänglein, aus feinem Wachs geknetet, und ähnliche Producte des Kunsttriebes in der unbeschäftigten Menschenseele. Zur rechten Seite führt eine Thür, mit einer Portiere verhangen, in ein Nebenzimmer, ihr gegenüber an der Wand steht ein Clavier, und während hinter der Portiere ein paar gedämpfte Stimmen eifrig flüstern, sitzt ein junges Mädchen vor dem Clavier und singt mit einer klangreichen, vollen Altstimme eine Arie aus einer Oper Paesiello's. Die Musik scheint die ganze Seele der Sängerin aufzustürmen, denn ihr Auge hat einen erhöhten Glanz, ihre Wange ein dunkleres Roth, und wer diese schlanken, blütenweißen Finger, die auf den schwarzen Tasten liegen, berührte, würde finden, daß sie kalt sind und zittern. Die Töne werden immer rascher und rascher angeschlagen, die Stimme wird immer stürmischer; immer hastiger drängt, überstürzt eine Note die andere; aber auch der strengste Maëstro würde nicht gewagt haben, diesen vollen Strom von Tönen zu unterbrechen und seine Hand auf die Hand der Spielenden zu legen, um sie zurückzuhalten im geregelten, schulgemäßen Geleise; so gehoben, so königlich gebietend, so vom Seelenschwunge ihrer eigenen Harmonien emporgetragen, erschien die Sängerin, die ihr Herz ausströmte in diesen Tönen!

Die Sängerin war Bianca Tondini. Bianca hatte mit sieben Jahren ihren Vater und mit eilf ihre Mutter verloren. Man hatte sie nun in ein Kloster gebracht, in welchem eine Stiftung ihrer Familie jeder Tochter ihres Hauses Erziehung und Unterhalt bis zu ihrem Lebensende sicherte. In der Einsamkeit der Clausur hatte ihre volle Seele, die Lebhaftigkeit ihres Gefühls, die Fülle von Lebenskraft in ihr keine Nahrung und keine Beschäftigung erhalten. Die arbeitenden Grundkräfte dieser schwunghaften Natur waren nicht nach außen gewandt, nicht in eine naturgemäße Richtung geleitet und in die gesunde Thätigkeit gesetzt worden, welche jedes Uebermaß absorbirt hätte. So wuchs sie auf, und ihre Einbildungskraft wuchs riesenhaft mit ihr empor, während ihre Gedanken, Wünsche, Gefühle einen ungeregelten Flug in Höhen nahmen, welche nur die Dichtung und die Phantasie kennt und welche das Leben nie erreichen läßt.

Sie stand in ihrem zwanzigsten Jahre, als der Befehl des Kaisers kam, welcher ihr Kloster aufhob. Dieses Ereigniß machte einen tiefen und erschütternden Eindruck auf sie. Die Gewaltsamkeit der Maßregel, die inhumane, grausame Härte, mit welcher dieselbe von den Beamten des Kaisers ausgeführt wurde, eine Härte, die sich gegen unberathene und wehrlose Frauen richtete; dieses willkürliche Vernichten auch ihres Rechtes, welches das letzte Ueberbleibsel war, das an das ehemalige Ansehen ihrer verarmten Familie erinnerte – das Alles empörte die Seele des lebhaften, überwallenden jungen Mädchens, und heftig in allem Empfinden und Urtheilen, richtete sich ihr ganzer Zorn gegen die Quelle der grausamen Maßregel, gegen den despotischen Kaiser.

Ich möchte nur eine Stunde lang reden dürfen mit dem Kaiser, sagte Bianca seitdem häufig, ich glaube, ich triebe ihn zurück aus einer Bahn, welche ihn neben die verabscheutesten Tyrannen der Geschichte stellen wird!

Ihr invalider Oheim hatte sie nach der Zersprengung der Klostergemeinde zu sich genommen, und das schmalgeschlitzte und verschlagene Auge des wettergebräunten alten Soldaten ruhte oft mit einem besondern Ausdruck auf seiner Nichte, wenn diese sich solchen Wünschen und Träumereien hingab. Als er der Hoffnung, den Schneckengang der Justiz an einer Wiener Hofstelle durch persönliche Anwesenheit beflügeln zu können, gefolgt und in der Hauptstadt angekommen war, ließ er oft Worte fallen, als ob er selbst seiner Nichte eine solche Gewalt der Rede zutraue. Er ließ wol gar den Wunsch durchschimmern, daß der Zufall sie dem Kaiser nahe bringe; dann freilich müsse sie anders als in der unvortheilhaften Situation einer Supplicantin des Controlorganges vor ihm erscheinen.

Nach einigen Wochen Aufenthalts in Wien wurde Bartolomeo Tondini aufs Krankenlager geworfen; es waren gichtische Anfälle, deren Heilung keineswegs in naher Aussicht stand; durch die sich bald einstellende Sorge um die fernere Existenz in Wien konnte das Leiden nur vergrößert werden. Seine Nichte pflegte ihn, ein paar alte Freunde kamen zuweilen, nach ihm zu sehen, unter ihnen war auch jener, dessen da Ponte als gemeinsamen Bekannten erwähnt, ein Abbate, mit Bartolomeo Tondini aus demselben Geburtsorte und wohlgelitten bei dem Cardinal und Erzbischof Migazzi.

Eines Tages – der Abbate hatte den Kranken eben verlassen – ließ dieser seine Nichte an sein Lager kommen, und ihre Hand ergreifend, sagte er: Meine theure Bianca, ich kann dir ein Geständniß nicht länger ersparen, welches im höchsten Grade Niederschlagend für dich sein wird; aber die Noth zwingt mich dazu. Ich bin ohne Geld. Was ich mitbrachte, ist längst verzehrt, das folgende Quartal meiner Pension gehört einem Juden in Görz, der es mir gegen einen Abzug zu dieser Reise vorschoß, und der Freund, der eben von mir ging und der sich beim Cardinal für mich verwendet hat, bringt mir nur fünf Ducaten – die Mildthätigkeit des Clerus ist von allen Seiten so unermeßlich in Anspruch genommen, daß ich gern glaube, es ist Seiner Eminenz nicht möglich, mehr zu thun. Che fare? Unsere Bedürfnisse sind nicht groß, aber sie auf Null zu reduciren, ist unmöglich. Wirst du mir zürnen, wenn ich dir in solcher Lage einen Vorschlag mache, der dir allerdings ein großes Opfer zumuthet, aber ein Opfer, welches dich zu meiner und deiner Retterin machen würde?

Bianca wurde blaß bei diesen Worten, aber der Kranke fuhr fort, zu reden.

Du hast eine schöne, eine wahrhaft bewundernswerthe Altstimme, du lebst in der Musik, und dieses Talent ist in deinem Kloster bis zu einem hohen Grade schulgerechter Ausbildung gebracht worden. Warum wolltest du nicht Vortheil daraus ziehen?

Und wie soll ich das? fragte Bianca mit zitternder Lippe. Soll ich für die geheimsten, schönsten, tiefsten Empfindungen meines Herzens, die in der Einsamkeit als Töne aus meiner Brust quellen, einen Käufer und Geld suchen?

Ist das nicht das Loos aller Künstler, ihr Fluch zwar, aber auch das, was die übrigen Sterblichen ihres Enthusiasmus theilhaftig macht und mit emporzieht in das Reich der Kunst? Denke über meine Worte nach, Bianca – ich meinerseits würde nichts dagegen einzuwenden finden, wenn du dich dem Theater widmetest und, von deinem Talente und deiner Schönheit getragen, in kurzer Zeit eine gefeierte Primadonna wärest, die über tausend Herzen, über tausend Huldigungen und – über eine Fülle schnöden Goldes, das Wichtigste von Allem, gebietet!

Der alte Offizier schwieg, und Bianca wandte sich stumm, ohne eine Sylbe zu erwidern, von ihm ab. Er drängte sie nicht, sondern überließ sie ihren Gedanken, und erst nach einigen Tagen wagte er, wieder auf seinen Vorschlag zurückzukommen.

Nun, was denkst du über das, was ich dir neulich sagte, mein Kind? fragte er.

Wenn ich auch wollte, versetzte sie – ich würde nicht können.

Und weßhalb nicht?

Ich würde nicht den Muth haben, die Kräfte würden mir schwinden, die Angst mich ersticken, wenn ich die Blicke einer Menge auf mich gerichtet wüßte.

Höre, Bianca, es bietet sich eine vortreffliche Gelegenheit dar, den ersten Schritt, der immer am meisten kostet, auf eine leichte Weise zu thun. Unser Freund, der Abbate, hat mir von einem vortrefflichen jungen Manne erzählt, der unser Landsmann ist und da Ponte heißt. Da Ponte ist Hoftheaterdichter des Kaisers und bereitet die Aufführung eines Stückes vor, welches der Fürst Auersperg bei ihm bestellt hat, um ein Fest zu verherrlichen, das dem Kaiser zu Ehren gegeben werden soll. In diesem Stücke, einem allegorischen Spiele, würde dir die Hauptrolle gegeben werden können, welche doch nichts Anderes verlangt, als daß du dem Kaiser schweigend einen Kranz überreichst. Das ist durchaus Alles – doch bin ich überzeugt, daß du mit der Losung dieser so einfachen Aufgabe auch sofort alle Schwierigkeiten wirst überwunden haben. Denn deine Schönheit wird dir einen Sturm von Beifall gewinnen, der alle Angst in dir tödtet und dich fortzieht auf der Bahn der Lorbern und jener glänzenden Triumphe, welche auf Erden nur die Schönheit und die Kunst erringt.

Bianca blieb schweigend auf diesen Vorschlag – sie sagte nicht zu, aber sie wies ihn auch nicht zurück. Der alte Tondini hoffte das Beste, und deßhalb setzte er in scherzhaftem Tone, aber mit doppelt lebhaftem Funkeln seiner glühenden Augen hinzu:

Und überdies, mein Kind, wirst du ja auch endlich Gelegenheit haben, den Kaiser zu sehen, oder er wird dich sehen, was die wichtigere Seite des Ereignisses werden könnte!

Wie so? Was meint Ihr damit, Oheim Bartolo?

Der Oheim nahm die Hand des schönen Mädchens wieder, welche sie ihm entzogen hatte, und sagte:

Cara mia, es ist ein Fehler am Herzen unsers Souverains, der ihn und uns, seine Unterthanen, unglücklich macht. Seine Natur ist vom göttlichen Künstler edel gezeichnet, aber es liegt kein Sonnenschein darauf; seine Seele ist ein großer und schöner Tempel, aber der Schlußstein fehlt, oder daß ich recht sage, das Götterbild in diesem Tempel fehlt.

Und wie heißt dieses Götterbild?

Es heißt die Schönheit oder die Empfindung des Ideals oder die Poesie. Joseph II. hat in seinem Leben keine Stanze Tasso's verstanden; er ist kein Grieche!

Und weßhalb sagt Ihr mir das, Oheim?

Es gibt für solche Naturen nur Eine Heilung. Das ist Frauenliebe. Joseph hat nie geliebt. Wenn er dich sähe – du entreißest mir deine Hand und erröthest zornig – du bist eine Thörin, Bianca. Ich bitte dich, verschließe dein Herz meinen Worten nicht. Du bist ein Weib, also sehnst du dich nach Liebe, und wenn du auch hundert Mal so zornig abweisend deinen Kopf schüttelst. Würdest du dich nicht größer fühlen, wenn ein rechter, wahrer Mann, ein Gebieter und Herrscher, ein Gott der Erde dich liebte, als wenn dein Herz in frauenhafter Schwäche einem jungen Manne um seiner hübschen Gestalt und Geberden, um seiner wohlfeilen Gutmüthigkeit und seines anmuthigen Geplauders wegen sich hingeben müßte, und das nur, um sich hinzugeben? Zu lieben und durch diese natürliche Erfüllung der Aufgabe deines Frauenlebens zugleich einen Helden zu beherrschen – und durch ihn die Welt – wäre das nicht das Schönste, was eine Frau erreichen kann? Es hieße der höchsten Ziele, der leuchtendsten Attribute des männlichen Genius sich bemächtigen und doch keinen Schritt über die Grenzen der reinsten und zartesten Weiblichkeit hinausgehen. Es wäre Amor, der mit einem Seidenfaden spielt, ein anmuthiges, liebliches Spiel für einen Knaben, wenn auch an das Ende des Fadens ein Löwe gebunden ist!

Durch solche Gespräche setzte der alte Tondini das Herz seiner Nichte in vollern Schlag, ihre Empfindungen in einen Zustand von Aufregung, in der sie eine Menge phantastischer Ideen verfolgte, immer weiter in ein wahres Traumland verlockt wurde und endlich nur noch in ihm lebte. In der außerordentlichen Reinheit ihrer Seele, die jedes Verhältnis nur als geistiges begriff, lag der Grund, weßhalb sie nichts Anstößiges fand in den Absichten und Hoffnungen, welche der Onkel Bartolo durch seine Reden schimmern ließ. Wäre sie weniger unschuldig, weniger unberührt von dem Staube gewesen, der sich an die Sohlen der Sterblichen heftet, so würde sie vielleicht entrüstet sich abgewendet haben von solchen Insinuationen; so aber war sie mit ihrem wunderbar hoch gespannten Geiste auf der Höhe jedes idealen Verhältnisses. Sie war Italienerin, das heißt, sie war von der Wiege an umklungen und umsungen von dichterischen, volltönenden, hoch einherschreitenden Redensarten: das Paradies hatte keine Wunder, die Mythologie keine leuchtenden Göttergestalten, die Geschichte keine Heroen, mit welchen nicht die Bücher, die sie las, ja, die tägliche Conversation ihrer Umgebung sie vertraut gemacht; ihre Lebhaftigkeit, ihre Phantasie, ihre Neigung zu Schwärmerei und der Pathos ihrer Seele füllten diese hohlen Phrasen italischer Redeweise mit Inhalt aus, sie hatten Wahrheit für sie, und so kam es, daß Bianca Tondini sich jeden Augenblick zu einer Diotima des Sokrates, zu einer Hersilia des Romulus oder sogar zu jener Hainnymphe träumen konnte, welche dem großen Gesetzgeber Roms seine Inspirationen mittheilte.

Unterdeß rückte die Noth täglich näher an das Lager des Kranken: der erste Schritt, der schwere erste Schritt über die Schwelle zu Allem, was Bianca träumte, mußte gemacht werden. Jener Abbate, der Freund des Oheims, erleichterte ihn, indem er ein Empfehlungsschreiben für Bianca zur Einführung bei da Ponte verschaffte. Wie diese endlich ihr klopfendes Herz bezwang und dem Dichter ihren Entschluß kund that, sahen wir oben.

Noch während Bianca sang, hob sich der Vorhang vor dem Krankenzimmer ihres Oheims. Ein kleiner schwarzgekleideter Mann trat heraus und entfernte sich leise, um das singende Mädchen nicht zu unterbrechen. Sie erhob sich jedoch gleich darauf, trat an das Fenster und drückte die glühende Wange an die Scheiben, um sie zu kühlen. Draußen lag Schnee auf den Dächern, denn der Winter hatte sich geltend gemacht, wenn auch spät in diesem Jahre, doch darum nicht weniger scharf und hartnäckig. Unten, in der brunnenartigen Tiefe, wo der Schnee zu schwarzem Staube zertreten und ein dichtes Menschengedränge, wie das eines Ameisenhaufens, durch einander summte, fuhr rasch ein höchst elegantes Cabriolet, mit einem Eisenschimmel bespannt, heran, hielt – ein hochgewachsener junger Mann sprang heraus, warf die Zügel dem reich galonnirten Jockey zu und schlüpfte dann in das Haus, in welchem Bianca am Fenster stand. Es war Karl.

Nach wenig Augenblicken trat die Wirthin ins Zimmer Bianca's.

Ein Besuch …

Sie wissen, daß wir Niemand sehen.

Er kommt vom Kaiser!

Vom Kaiser? Schon jetzt eine Antwort? Führen Sie ihn herein, herein!

Bianca war im nächsten Augenblicke neben dem Bette ihres Oheims, um ihm die Freudenbotschaft mitzutheilen.

Beruhige dich, Kind, sagte der alte Offizier, wir wissen nicht, was er bringt, und besten Falls ist es – ein Almosen!

Karl trat ein.

Vor ihm stand Bianca. Sie schien sich zu erinnern, daß sie ihn früher gesehen, und – war es deßhalb, oder weil er der Bote des Kaisers – sie erwiderte seinen Gruß mit einem so freundlichen Lächeln, ihr Antlitz, auf dem freudige Erregung sich spiegelte und ein Nachglanz der geistigen Verklärung lag, welche soeben die Musik darüber gebreitet hatte – dieses Antlitz war so wunderbar schön, daß Karl davon wieder vollständig bezaubert wurde. Sein Herz stockte, die Worte wollten nicht über seine Lippen – er stand und blickte sie an und stotterte, und endlich übergoß seine Wangen und seinen Nacken ein Strom von Purpur, während er die furchtbarste Beschämung fühlte, daß er so knabenhaft verlegen und unbeholfen vor ihr stehe.

Bianca zog den Vorhang vor dem Nebenzimmer zurück und deutete hinein.

Der Graf Bartolomeo Tondini! sagte sie.

Karl folgte dem Winke, der Vorhang fiel hinter ihm zurück, und er war mit dem Kranken allein.

Es war ein dürftiges Stübchen, in welchem der alte Offizier an das Schmerzenslager gekettet lag: ein höchst altfränkisches Himmelbett mit Vorhängen von großblumigem Cattun war jedenfalls das hervorragendste Stück Möbel darin; vor demselben stand ein Polsterstuhl mit hoher Rückenlehne und gewundenen Füßen, den der Kranke heranrückte, um ihn Karl zu bieten.

Sie kommen von Seiner Majestät – sagte der Graf – ich hätte eine so überraschend schnelle Antwort auf meine Eingabe nicht erwartet – noch auch eine so angenehme Art, sie mir zukommen zu lassen.

Ich komme nicht gerade im Auftrage des Kaisers, versetzte Karl und sagte dann in schonendster, verbindlichster Weise dem Grafen Alles, was die Fürstin K. ihm inspirirt hatte, um seinen Besuch zu rechtfertigen. Tondini hörte ihm aufmerksam zu – er schien gerührt von der Theilnahme des jungen Mannes, und als Karl ihm das Darlehen anbot und zugleich die Rolle mit hundert Goldstücken auf den Nachttisch vor dem Bette des Kranken legte, ergriff dieser seine Hand und schüttelte sie mit dem ausdrucksvollsten Gesichte von der Welt, in dessen Zügen je inniger Dank zu lesen stand.

Ich wünsche nur, sagte Karl, dem diese Dankbarkeit eine tiefe Demüthigung war, daß der Kaiser, dem ich Ihre Eingabe im Auszuge vorgelegt habe, bald die Resolution ertheilt, welche nicht anders als befriedigend von einem Monarchen wie Joseph II. zu erwarten ist.

Ich wünsche nur, daß der Rheumatismus mit seinen Schmerzen meine alten zerhauenen Knochen verlasse, erwiderte der Offizier, damit ich Richtern und Advocaten das Leben sauer machen und sie zur Entscheidung meines Processes treiben kann. Denn eher darf ich ja nicht hoffen, im Stande zu sein, Ihren großmüthigen Vorschuß heimzuzahlen und …

O, lassen Sie das – welchen Proceß führen Sie? fiel Karl ein, um abzulenken von dem, was ihm so peinigend war.

Es handelt sich um ein Lehngut, sagte Bartolomeo Tondini. Es ist durch eine Frau unserer Familie zugefallen; nach dem Tode des letzten Besitzers aber haben sich ein paar Vettern seiner bemächtigt und schließen mich von dem Genusse aus, weil beim Anfalle mein Vater schon gestorben gewesen, meine Nichte Bianca, weil sie ein Mädchen ist. Und doch hat eine Frau, unsere gemeinsame Urgroßmutter, es geerbt und an uns vererbt – ist das nicht himmelschreiendes Unrecht? Sind diese Verräther nicht werth, den Tod meines heiligen Patrons zu sterben, dem man, ich wette, um weit geringerer Peccadillen willen die Haut abzog? Corpo di Bacco! Diese Höllenhunde scheuen sich nicht, das Gut der Waise zu verzehren, welche sie in Armuth und Noth schmachten lassen, und welche sie treiben, sich endlich in eine Bahn zu werfen, die noch nie eine Gräfin aus dem erlauchten Stamme der Tondini betreten hat; die Tondini waren im sechszehnten Jahrhundert Gonfalonieri von Cremona, mein Herr, und ein Tondini war Cardinal-Bischof von Velletri, einer …

O, lassen Sie Ihre Nichte diese Bahn nicht betreten! rief Karl lebhaft aus; aber der Kranke unterbrach ihn:

Sie wissen darum? Das ist seltsam!

Ich weiß es – durch ein Ungefähr – durch da Ponte, der mein Freund ist – o, ich beschwöre Sie, Herr Graf, hindern Sie Ihre Nichte, einen solchen Vorsatz auszuführen! Welch verzweifelter Entschluß, ein Entschluß, der noch viel unheilvoller werden kann, als Sie ahnen! Und was treibt Sie dazu, jetzt, wo der Kaiser sich Ihrer sicher annehmen wird, wo Sie Hoffnung haben, Ihren Proceß zu gewinnen, wo bis dahin meine ganze Habe zu Ihrem Befehle ist?

Wenn mir aber der Kaiser ein kärgliches Almosen schickte, wenn mein Proceß verloren ginge oder, was wahrscheinlicher, bei meinem und meiner Nichte Leben nie entschieden würde, wenn endlich der Graf Tondini zu stolz wäre, von einem Fremden Darlehen anzunehmen, die er nicht ersetzen kann – was dann, junger Freund? Und was endlich, wenn ich stürbe und damit die letzte Stütze verloren ginge, welche meine Nichte auf Erden besitzt?

Dann, dann – rief Karl heftig aus – aber er vollendete nicht, sondern sank in seinen Stuhl zurück, und während er krampfhaft die Hände rang, sah er mit verzweifeltem Blicke auf den Boden.

Der alte Offizier schob die Nachtmütze von seiner kahlen Scheitel in die Höhe, zog die bärtige Lippe bis an die Nasenflügel empor und beobachtete mit seinen feurigen und verschmitzten Blicken den jungen Mann. Dann rief er: Bianca! Aber bevor seine Nichte eintrat, verbarg er rasch die Rolle Gold unter der Decke seines Bettes.

Karl fühlte sich ihm dadurch zu lebhaftem Danke verpflichtet: er glaubte, es sei eine Handlung des Zartgefühls, um ihm eine große Beschämung zu ersparen. Er hätte um Alles in der Welt nicht Bianca gegenüberstehen mögen mit der Miene eines Menschen, der Gold verschenkt hat, oder der mit einer Geldsumme sich einführt!

Bianca hatte während des Gespräches zwischen ihrem Oheim und Karl im Vorzimmer am Fenster gestanden – in äußerster Spannung auf das Resultat dieses Gespräches. Ihr Schicksal hing ja davon ab. Zeigte der Kaiser sich den Wunden und langen Diensten ihres Oheims gegenüber so kaiserlich großmüthig, wie seine Bewunderer ihn schilderten, dann war ja auch sie nicht mehr genöthigt, den letzten Schritt zu thun, vor dem sie zagte: dann konnte sie ruhig das alte, das einsiedlerische Leben fortführen, dessen Tage farblos dahinschlichen und ihr keine andere Beschäftigung, keine Ereignisse, keine Anregungen brachten, als die, welche an einem Krankenbette möglich sind. Sie hatte dann auf keinen Tropfen Labsal mehr zu rechnen für den heftigen Durst ihrer Seele, die nach den Emotionen eines höhern, edlern, in den Regionen der Leidenschaft und der Poesie heimischen Daseins verlangte …

Bianca fühlte, daß sie vielleicht recht unglücklich werden könne, wenn der Kaiser irgend ein Glück über sie ausschütte. Und doch hatte ihr Herz im ersten Augenblicke hoch aufgeschlagen, als sein Bote gekommen war! Das menschliche Herz ist ein Ding voll Widersprüche!

Graf Bartolo Tondini stellte den Fremden seiner Nichte vor – es war natürlich, daß Karl auf Beider erstes Zusammentreffen zurückkam, und er erzählte, wie ihn gemeinsame Entrüstung mit da Ponte zusammengeführt. Bianca's Blick, der dabei auf ihm ruhte, electrisirte ihn, er war ungewöhnlich lebhaft, feurig, poetisch. Dies schien auch auf sie zu wirken. Sie verlor nach und nach die Befangenheit, welche die klösterliche Erziehung ihr im Verkehre mit Männern gegeben, sie antwortete frei und ohne Rückhalt, sie sprach endlich mit Karl wie mit einem alten Bekannten, und während sie sprach, ruhte ihr glänzendes, wunderbar schönes Auge so offen und unbefangen, wie das eines Kindes, auf ihm. Eine Stunde verflog ihm dabei so rasch, als wären es wenige Minuten gewesen; er sprang plötzlich auf, er wollte sich gewaltsam dem Zauber entziehen, und auch nicht um die Erlaubniß bitten, wiederkommen zu dürfen – da sagte Tondini lächelnd, indem er ihm die Hand reichte:

Ich hoffe, Sie vergessen nicht, welche Wohlthat es für einen Kranken ist, wenn man ein Viertelstündchen mit ihm verplaudert! Kommen Sie bald wieder, mein junger Freund!

Karl konnte nicht anders, er mußte es versprechen, und dann eilte er so rasch, als ob er sich selbst entfliehen wollte, davon.

Und der Kaiser? fragte Bianca, als Karl sich entfernt hatte.

Maledetto! versetzte der alte Italiener, er hat mir durch diesen Menschen ein für alle Mal zehn Ducaten geschickt!

*


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