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Erster Theil


Vertauschte Schicksale.

Erzählung.

I.
Lebensbilder aus einer großen Stadt.

Der Mensch ist ein eigenthümlich unlogisches Wesen. Dies zeigt sich in gar mancherlei Dingen, aber durch nichts tritt es mehr hervor, als durch den unbändigen Respekt, welchen er vor der Menge, vor seines Gleichen besitzt, sobald diese eine Zahl bilden. Versetzt ihn nur einmal in die Nothwendigkeit, eine Rede vor nur zwanzig, dreißig Versammelten zu halten! Sein Herz pocht, er beginnt stotternd, er verändert die Farbe seines Gesichts und den natürlichen Ton seiner Stimme. Und doch, steht er Jedem jener dreißig Menschen, die ihm eine so große Gemüthsbewegung verursacht haben, einzeln oder zu zwei, zu drei, zu fünf privatim gegenüber, so spricht derselbe Mann vor ihnen ganz dieselben Gedanken mit der allervollkommensten Ruhe aus, ja er dünkt sich ihnen vielleicht außerordentlich überlegen, weist sie wohl gar mit großem Selbstgefühl zurecht und kümmert sich um das Urtheil, welches jeder Einzelne von ihnen Allen über ihn fällt, am Ende vielleicht nicht das Allermindeste.

Und dann wieder, mit welcher menschenfeindlichen Laune arbeiten wir uns durch das Gedränge volkreicher Gassen in einer großen Stadt fort! Welche unchristliche Gleichgültigkeit empfinden wir gegen diese fluchenden Massen! Es bedarf gar nicht der häufigen Ellbogenstöße, bald in unsere rechte, bald in unsere linke Seite; es bedarf nicht der brutalen Warnungsrufe der Lastträger, welche uns von hintenher mit irgend einer ausziehenden Bettlade oder einer ihren Dienst wechselnden Commode über den Haufen zu rennen Miene machen; es bedarf nicht der rasselnden Carossen, die durch eine rasche Wendung unser theueres Leben in Gefahr bringen, noch des plumpen Hausknechts, der durch unverantwortliche Unbefangenheit im Gebrauche seiner Stiefelabsätze die zartesten Gefühle unseres Hühneraugensystems verletzt. Nein, auch ohne alle diese empörenden Angriffe auf unser Ehr-, Nerven- und Standesgefühl ist uns diese rastlose, treibende, fluthende Menge unaussprechlich gleichgültig; und vorausgesetzt, daß wir selbst heiler Haut an unserem Ziele stehen, überlassen wir den ganzen Rest Menschheit, die außer uns die Straßen, durch welche wir schritten, belebte, mit unbeschreiblicher Seelenruhe allem dem, was der liebe Gott heute, morgen und bis an's Ende aller Tage über sie zu verhängen für gut finden wird.

Wie anders nun ist das, sobald uns dieser selbige Menschenstrom, aber in gehöriger Verdünnung, entgegentritt. Wir kehren zum Beispiel von einem abendlichen Spaziergang spät zurück. Das Leben in den Straßen ist erstorben. Nur eine warme, etwas schwere und dunstige Atmosphäre ist in den Gassen zurückgeblieben. Die frische Nachtluft hat noch nichts vermocht wider den Qualm von Staub und tausendfachen Ausdünstungen, mit welchen der Apparat des täglichen Lebens diese schmalen und tiefen, von hohen Häusern gebildeten Rinnsale des Verkehrs erfüllt hat.

Aber man hört das betäubende Gerassel der Wagen nicht mehr; man wird nicht gehindert, ganze Viertelstunden lang auf dem Trottoir dieselbe Linie inne zu halten. Man hört die plätschernden Brunnen ihre Wasserstrahlen ausgießen – eine angenehme, beruhigende Musik, bei welcher die alten grauen Hausgiebel die Augen zu schließen und einzunicken scheinen. Aber nicht alle diese alten Häuser haben bereits ihre Augen geschlossen. Hier und dort strahlt der Wiederschein eines erleuchteten Fensters auf unsern Pfad. Und dann heben wir das Haupt empor und werfen unsere Blicke auf dies erhellte Fenster. Es hat große Spiegelscheiben; weiße Vorhänge verhüllen es; an den Vorhängen schwanken leichte, schlanke Schatten vorüber; der weiße Stoff flattert auf, als ob eine Thüre im Innern sich öffnete: und nun – ist nicht jetzt plötzlich unsere Theilnahme für die einzelnen Menschen erwacht, die da drinnen versammelt sind, entweder in einer traulichen Familiengruppe, oder sorglich und bekümmert bewegt, entweder friedlich geeint, oder von ihren Leidenschaften auseinandergerissen und in Kampf und Streit wider einander versetzt? –

An der nächsten Ecke, wo wir in die Straße, welche zu unserem Quartiere führt, einlenken, begegnet uns ein junges Paar, das Arm in Arm langsam dahergewandelt kommt; sie sprechen sehr eifrig zusammen, aber auch sehr leise und sehr gedämpft, als ob sie fürchteten, daß die alten Häuser und die Wände Ohren hätten und in einer Verschwörung mit den alten Leuten ständen, welche sich ihrem Glücke widersetzen. Er ist ein wohlgewachsener lockiger Bursche; das erkennen wir deutlich, denn wenn es auch spät am Abende, so ist es doch keineswegs sehr dunkel. Ihr Gaslicht zwar läßt die sparsame Gemeindeverwaltung heute nicht leuchten, aus kalendarischen Gründen; aber es ist ein Rest von Dämmerung da und der Neumond, der dünn und schlank im Glanze hoffnungsvoller Jugend am Ende der Straße über einer Dachfirst steht, ist wie alle Jugend aus Kräften bemüht, möglichst viel zur Aufklärung beizutragen.

In diesem Schimmer sehen wir, daß sie, die Dame am Arme des jungen Mannes, eine sehr anmuthige Taille und einen leichten elastischen Schritt hat; daß sie mit anschmiegender Innigkeit sich auf ihren Begleiter stützt; weiter können wir nichts gewahren, denn ihr Gesicht ist von dem dunkeln Schleier bedeckt, dessen Enden im Gehen um ihren kleinen Hut und die Mantille-bedeckten Schultern wehen.

Aber obwohl wir nicht das Mindeste von ihrem Gesicht wahrgenommen haben, während sie an uns vorüberschritt, obwohl sie sogar mit offenbarer Absicht den Kopf von uns wegwandte, obwohl ein sehr unbegründetes Mißtrauen in dieser neidischen und antipathischen Bewegung des Kopfes lag, womit sie uns jede Möglichkeit entzog, auch nur mit einem einzigen Blick etwas von ihren Zügen zu erhaschen – obwohl das Alles der Fall ist, so befindet sich doch nicht Einer unter uns, dessen ganze Theilnahme nicht diesem jungen Paare folgte.

Wir fragen uns, welche romantischen Verwickelungen sie gezwungen haben können, so unter Gottes freiem Himmel ein Stelldichein zu suchen; welche Härte der Verhältnisse oder welche Sorgen nahestehender Menschen um ihr »wahres« Wohl auf Erden oder ihr Seelenheil im Jenseits es sein mag, was den Kummer ihrer verliebten Herzen bildet. Wir fragen uns, welche von den hieroglyphisch unverständlichen kurzen Billet-doux, die täglich ganz zu unterst in den Inseraten der Zeitung stehen und mit offenbarer Rücksicht auf die zwei Groschen Insertionsgebühr per Zeile abgefaßt sind, – wohl von diesem heimlichen Liebespaar ausgegangen sein mögen: und hinge es von uns ab, wahrhaftig, wir würden selbst ein hübsches Opfer bringen, könnten wir damit alle Hemmnisse entfernen, welche sich ihren Seelenwünschen entgegenstellen.

Sie sind verschwunden; aber ein anderes Paar ist, aus einer Seitengasse tretend, vor uns aufgetaucht und beginnt das Interesse in Anspruch zu nehmen, welches unsere Gutmüthigkeit und Menschenfreundlichkeit jetzt mit so großer Wärme für alle Die in Bereitschaft hält, welche uns einzeln begegnen, während uns heute, am Tage, die sich und uns drängende Masse so fatal war und mit so unchristlich misanthropischen Gefühlen von uns betrachtet wurde.

Das Paar, welches nun vor uns herwandelt, besteht aus zwei Männern; wir sehen nur ihre Rücken, doch bleiben wir keinen Augenblick im Unklaren darüber, daß die links wandelnde, mittelgroße, kräftig gebaute Gestalt sich voller Jugendlichkeit erfreut, während der rechts gehende lange und etwas hagere Mann über die Mitte des Lebensalters hinaus sein muß; seine ganze Haltung zeigt das an und sein Gang hat etwas Schwankendes, Unsicheres. Er spricht sehr rasch und viel, und ganz im Gegensatze zu dem ersten Paare so laut, als ob es ihm Vergnügen machte, wenn alle Welt es hören wollte. Wir dämpfen unsere Schritte, deren Echo in den menschenleeren Straßen wiederklingt, keineswegs, um etwa den Horcher zu machen; der alte Herr vor uns jedoch läßt sich durch diese Ankündigung einer dritten Person in seinem Gehörkreise nicht warnen und perorirt weiter und gesticulirt dabei mit einer Begeisterung, welche mit dem etwas unsichern Gange in einigermaßen verdächtiger Harmonie steht.

Ja wohl, ja wohl, mein junger Freund, ruft er mit einem nicht ganz angenehmen, heiseren Organ, welches Spuren trägt, daß ihm bedeutende und lang anhaltende Anstrengungen nicht fremd geblieben, – das ist das Leben, das ist die Welt! Sie kennen nun die Principien meines Handelns, die Erfahrungen meiner langen Pilgerschaft. Nur keinen Leichtsinn, sage ich Ihnen, nur keine Flatterhaftigkeit. Denn, wie Schiller hätte sagen sollen: Kurz ist die Freude – doch ewig ist der Schmerz!

Ich bin ganz durchdrungen davon, mein vortrefflicher Herr Hammer; Sie haben jetzt die Güte gehabt, mir Ihre ausgezeichneten Lebensprincipien so oft vorzutragen, daß ich wirklich meine Fassungskräfte mit einem gegründeten Mißtrauen betrachten müßte, wenn ich Sie nicht vollständig begriffen hätte!

In dieser Antwort des jüngeren Mannes liegt ein Ton von Schmerzhaftigkeit, der darauf deutet, daß er die »Principien« des Aelteren eher mit allem Andern, als mit gläubiger Andacht aufgenommen hat.

Und nun, fährt der Mann mit dem verbrauchten Organ fort, wollen wir uns trennen. Ich erblicke das mondbeglänzte Giebeldach, unter dem mein Schicksal sich birgt, unter dem ein vom Leben hartgeprüftes Individuum, das allerdings durch hervorleuchtende Einsicht und Musterhaftigkeit gebildeten Wandels wohl befugt sein könnte, nicht gerade eine höhere … denn vier Treppen hoch ist eine Nachbarschaft der Gestirne, welche auch in den Stunden, in welchen der Mensch eine Frage frei hat an sein Schicksal, ihn den Göttern so nahe bringt, daß er in hinreichender Unmittelbarkeit …

Wenn Sie wünschen, daß ich diesen schönen und wohlgesetzten Satz bis zu Ende höre, mein alter Freund, fällt hier der Jüngere der Beiden dem Andern in die Rede, so will ich Ihre vier Treppen mit hinaufsteigen und mir bei Ihnen noch eine Cigarre anzünden, während Sie Ihren ausgezeichneten Gedanken bis zu seinem Punktum glücklich abwickeln. Sollte Ihr menschenfreundliches Herz jedoch darauf verzichten und einräumen, daß wir auch bei einem Komma stehen bleiben könnten, so will ich Ihnen hier ein kurzes: Gute Nacht! sagen.

Ja, gute Nacht, versetzt lachend der Andere, mein werther junger Freund! Gute Nacht, mein Phönix von einem Jüngling, der noch das arg verkannte Verdienst aufzufinden und ihm durch treue Begleitung zu huldigen weiß, statt jene rauschenden und frivolen Zerstreuungen weltlicher Gemüther aufzusuchen, die nur Leerheit und Ueberdruß zurücklassen.

Der Alte schüttelt, während er so spricht, dem jungen Manne die Hand und scheint nicht übel Willens, dieser Abschiedsfeierlichkeit noch einige rührende Züge hinzuzusetzen und eine kleine ergreifende Scene daraus zu machen. Aber der Andere hat augenscheinlich trotz aller Lobsprüche, welche er erhält, doch zu viel jugendliche Oberflächlichkeit, um etwas derartiges seinem ganzen Werthe nach schätzen zu können. Er entzieht sich mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit dem Händedruck des redseligen alten Herrn.

Der Letztere ist dadurch auch nicht im mindesten verletzt. Während der junge Mann sich zum Fortgehen wendet, ruft er ihm nach:

Vergessen Sie nicht, daß Sie mir versprochen haben, einmal meinen eigenen vier Wänden einen erhöhten Glanz zu geben, indem Sie selbst …

Ja, ja, lautet die Antwort – ich komme morgen, ganz zuverlässig morgen!

Der junge Mann winkt noch einen Abschiedsgruß mit der Hand und beginnt langsam den Weg, den er gekommen, wieder einzuschlagen. Aber dem alten Herrn scheint plötzlich noch ein Gedanke aufgestoßen zu sein, den er unmöglich seinem Begleiter vorenthalten darf.

Hm, hm! hören Sie! ruft er ihm nach. Der junge Mann bleibt stehen.

Der ältere geht mit langsamem, würdevoll gravitätischen Schritt auf ihn zu. Dann erhebt er seine Hand, legt sie mit feierlicher Bewegung auf des Andern Schulter und spricht:

Nun gute Nacht,
Freund Romeo! – Ich will ins Federbett!

Die ersteren Worte declamirt er mit ergreifendem Pathos. Den Nachsatz wirft er mit düsterem Flüstern, mit einem Tone hin, als handle es sich um eine That äußerster Verzweiflung.

Ich kann diesen Entschluß nur billigen, Herr Hammer, obwohl er Ihnen ungeheuer schwer zu werden scheint! antwortet der junge Mann lachend, und dann wendet er sich zum zweiten Male um und verfolgt jetzt unaufgehalten seinen Weg.

Der alte Herr aber schreitet in einer langen Diagonal-Linie quer über die Gasse auf ein altes, großes, etwas baufällig aussehendes Haus mit breitem Giebel zu, in dessen oberen Stockwerken man ein Paar matt erleuchtete Fenster erblickt. Findet sich auch jetzt kein Zuhörer mehr neben ihm, so scheint deshalb seine Lust an pathetisch-lauter Mittheilung seiner Gedanken nicht im mindesten geringer geworden; er gesticulirt mit den Armen und declamirt den Pflastersteinen, über welche etwas strauchelnd sein Fuß daherschreitet, Schiller's Verse vor:

Ja – nach Hause!
Stauffacher's Haus verbirgt sich nicht! Zuäußerst
An offner Straße steht's, ein wirthlich Dach
Für alle Wanderer, die des Weges fahren –

Als er endlich an der Schwelle dieses wirthlichen Daches angekommen, begrüßt Herr Hammer mit einem wahren Ausbruch von Herzlichkeit einen Mann in mittleren Jahren und von kräftigster Körpergestalt, der eben vor ihm in die Portal-Vertiefung getreten ist, in welcher drei Stufen an die dunkele Hausthür emporführen, und der sich dort damit beschäftigt, für einen gewichtigen Hausschlüssel das Schlüsselloch zu suchen.

Ei, guten Abend, guten Abend, alter Herr, erwiedert der Mann mit dem Hausschlüssel etwas beschwichtigend den Freundschaftsausbruch des Herankommenden. Wer ging denn eben von Ihnen, Herr Hammer? Haben Sie einmal wieder Jemand aufgetrieben, der andächtig Ihren Schnack anhört?

Schnack?! Beliebten Sie Schnack zu sagen, Herr Pechtold? O, ich bitte! – Ich theilte einem wißbegierigen Jüngling aus dem reichen Schatze meines erfahrungsvollen Lebens und dem biographischem Resultate einer ergrauenden Pilgerschaft einige goldene Kleinode mit, weil ich sie in einem feinen Herzen aufgenommen sah.

Ja, kann's mir schon denken, fällt der Andere ein, der in diesem Augenblick den Thürflügel öffnet – kann mir auch schon denken, weshalb der Jüngling auf Ihre ergrauenden Schätze so versessen ist – nun, davon ein andermal – kommen Sie nur herein, da oben in Ihrem Zimmer ist ja Licht, es wird Ihre Tochter sein, die Sie besuchen will und auf Sie wartet!

Die beiden Männer verschwinden jetzt im Innern des alten Hauses und die Thür fällt hinter ihnen ins Schloß. – –

Schade, daß der alte Herr uns so bald verschwindet. Dieser Charakter scheint jedenfalls nicht ohne die Möglichkeit zu sein, uns ein noch lebhafteres Interesse, als das, womit wir dem abendlichen Liebespaar vorhin nachblickten, abzugewinnen, wenn wir Gelegenheit gehabt hätten, ihn sich weiter vor unseren Augen entwickeln zu sehen.

Aber setzen wir unsern Harun Al Raschid-Gang fort; vielleicht stoßen uns noch mehr dergleichen Gestalten und Gruppen auf, die uns einen anziehenden Einblick in das abendliche Leben und Treiben der großen Stadt gewähren und an denen sich unsere Gutmütigkeit durch rasch erweckte Theilnahme an menschlichem Sein und menschlichen Schicksalen üben kann.

Wenden wir uns links in die breite Straße, welche mit modernen, neuen Häusern besetzt ist und den Anfang des vornehmeren und eleganten Stadttheils bildet; in der Mitte derselben erhebt sich ein großer Brunnen, eine Art Monument mit einer steinernen Figur darauf, die irgend eine residenzstädtische Berühmtheit der guten, alten Zeit darstellt, denn wenn das Dämmerlicht nicht täuscht, so trägt diese feierliche, mondlichtumgossene Gestalt so schwere Arm- und Beinschienen, wie der Comthur im Don Juan, und im Nacken auf dem Harnisch einen außerordentlich schweren und wuchtigen Haarbeutel.

Indem wir uns diesem Rococco-Bauwerk nähern, um das die überschwemmenden Eimer der Mägde, die den Tag über hier ihre Wasservorräthe holen, einen weiten Umkreis von Feuchtigkeit, die das Pflaster schwarz färbt, gebildet haben, hören wir abermals Schritte und Stimmenwechsel. Es sind zwei Männer, die jenseits des Monuments auf dem Trottoir herangeschritten kommen. Da wir uns an dieser Seite des Monuments befinden, so können sie uns natürlich nicht sehen, und ihre Unterhaltung ist laut genug, daß wir dieselbe eine ganze Weile lang sehr wohl verstehen und abermals Lauscher wider unsern Willen werden.

Du siehst nun selbst, Treffer, daß Niemand kommt, sagt der Eine mit einem jugendlichen, angenehmen Organ; es ist nun eine Stunde, daß wir hier auf- und abgeschritten sind, was ich meinerseits für eine ganz verdammt langweilige Unterhaltung erkläre.

Nur noch einen Augenblick Geduld, antwortet der Andere, der eine dünnere und schärfere Stimme hat – Du wirst bald mit eigenen Augen sehen, Holdau. Als ich gestern Abend sie an mir vorüber schlüpfen sah, war es nach neun. Mein Bedienter, der mich zuerst auf dies Abenteuer aufmerksam machte, hat das Phänomen zwischen neun und halb zehn Uhr beobachtet, – also bis es halb zehn schlägt, wollen wir wenigstens ausharren.

Nun, in Gottes Namen – antwortet der, welcher eben mit Holdau angeredet ist – in Gottes Namen, denn eigentlich sind wir es ja der armen Verleumdeten schuldig, daß wir ausharren bis wir über unsern frevelhaften Argwohn uns recht gründlich aufgeklärt haben.

Mehr verlange ich ja auch nicht, als Dich gründlich aufzuklären! versetzte der andere Herr, der Treffer heißt und die schärfere Stimme hat.

Sie haben unterdeß den Brunnenbau erreicht, haben sich dann gewendet und sind durch ihr Zurückschreiten aus unserem Gehörkreise entschwunden. Aber nach einer Weile wenden sie sich wieder, oben in der Straße, und wenn wir uns still halten im Schatten unseres Brunnenwerks, so werden wir sogleich ein weiteres Bruchstück ihrer Unterhaltung vernehmen.

Aber Du vergißt immer wieder, daß ja gar keine Verwechselung möglich ist, lauten die ersten Worte – es sind die Treffer's – welche wir beim Näherkommen der Beiden vernehmen. Sonst würde ich ja selbst eher alles Andere glauben als dies, daß die kalte, spröde Marie Meddlhorst, die erst seit ein paar Tagen aus der Pension zurückgekommen ist, sich im Anzuge einer Grisette hier Abends spät auf der Gasse umhertreibt. Die Geschichte ist ja so famos, so unglaublich, so pyramidal –

Sie ist unmöglich! fällt der Andere mit einer Art von zorniger Bestimmtheit ein.

Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, fuhr Treffer fort, gestern, als ich Wache hielt und dem kleinen Unschuldsengel dann von weitem folgte! Am Ende dieser Straße nahm sie einen Fiacre, dessen langsamem Trab ich bequem folgen konnte; so sah ich sie denn auch richtig in das Haus ihrer Mutter, der Räthin, schlüpfen. Darum ist eine Verwechselung nicht möglich und darum habe ich Dich aufgesucht und Dich hierhin gebracht … enthusiastischer Mensch! Die kleine Eidechse hat Dich mit ihren schwärmerischen blauen Augen ja schon ganz behext, und ich sah Dir eine ernstliche Absicht, Deinem glücklichen freien Junggesellenleben schonungslos den Garaus zu machen, bereits an der Nasenspitze an!

Was Du mit Deinen blauen Brillengläsern nicht Alles siehst! antwortet Holdau lachend und mit wegwerfendem Ton. Nein, mein Freund, Du bist der Aeltere und immer so etwas von einem Mentor für mich gewesen. Ich lasse Dir die Sorge, mir mit einem guten Beispiel voran zu gehen … freilich wenn die Frau Räthin Meddlhorst selbst Dich etwa Deinen Grundsätzen abhold macht, was mir nicht unmöglich scheint – –

Mit diesen Worten haben sie sich abermals gewendet und wir vernehmen ihre Stimmen nur noch in unarticulirten Lauten und bald übertönt von dem Plätschern und Rauschen des Brunnenwassers. Aber der Gegenstand, den sie besprechen, scheint in hohem Grade zu verdienen, daß wir seine Entwickelung abwarten. Die beiden Herren wollen hier – das geht aus dem erlauschten Dialoge offenbar hervor – eine junge Dame, welche erst eben aus der Pension zurückgekehrt ist und die das Herz des Einen von ihnen erobert hat, erwarten, weil sie glauben, daß dieselbe, gekleidet wie ein Mädchen aus dem Volke, hier spät Abends über die menschenleere Gasse kommen wird.

Die Sache ist etwas stark – wahrhaftig; aber der Himmel weiß, welche Geschichten in einer solchen Stadt Abends und unter dem Schleier der Dunkelheit vorfallen – das Wort »unmöglich« hat unsere Civilisation aus ihrem Dictionnaire gestrichen – deshalb setzen wir noch eine kleine Viertelstunde daran und warten in unserem Versteck – vielleicht werden wir Zeugen einer interessanten Scene, die belehrende Aufschlüsse für den Sittenbeobachter enthält.

Da kommen sie ja auch schon zurück, die Beiden; ihre Wendungen, scheint es, werden immer kürzer – und dort hinter uns, an dem Ende der Straße, von woher wir selbst gekommen sind – hören wir da nicht leichte rasche Schritte – taucht da nicht, dicht an der jenseitigen Häuserreihe aus der dämmernden Dunkelheit eine Gestalt, eine weibliche Gestalt auf, die sich sehr nahe an den Häusern her zu bewegen scheint?

Als mein Bedienter sie zum ersten Male sah, – hören wir jetzt auch an der anderen Seile des Monuments den mit seiner dünnen Stimme wieder herankommenden Treffer sagen, – da folgte ihr eine kräftige Männergestalt, welche sie fortwährend im Auge zu halten schien! Ob mit ihrem Willen und Wissen oder ohne ihn – das war nicht zu erkennen. Ja, ja, stille Wasser sind oft überaus tief!

Wenn auch, bis zu so etwas ist denn doch noch ein himmelweiter Schritt! fällt Holdau ein.

O, himmelweit – was ist bei den Frauen himmelweit, wenn sie erst einmal begonnen haben? C'est seulement le commencement qui coûte! – aber pst … siehst Du – da drüben …

Die beiden Männer bleiben stehen und strecken, von dem Brunnenmonument geborgen, nur weit die Hälse vor, um dem weiblichen Wesen entgegenzublicken, welches wir schon entdeckt haben und das sich ihnen jetzt auf dem jenseitigen Trottoir rasch nähert. Beide sprechen keine Sylbe mehr; Beide strengen ihre Augen auf's Alleräußerste an, der Eine durch seine Brille, der Andere ohne solche »Waffe«, um jeden Zug an der eilfertig daherschlüpfenden Gestalt aufzufassen.

Ihre Größe, ihre Haltung ist es ungefähr, sagt endlich Holdau leise, und offenbar mit tief beklommenem Herzen.

Nur noch einen Augenblick Geduld – dann wollen wir Jagd auf sie machen, antwortet der Andere ebenso leise … so, jetzt ist sie uns im nächsten Augenblick gegenüber; jetzt vorwärts, Du schreitest auf einen Punkt los, der etwa zehn Schritt vor ihr liegt, und ich auf einen, der ebenso weit hinter ihr ist, dann kann sie uns weder vor- noch rückwärts entgehen.

Die beiden Männer führen ihren Plan aus; in dem Augenblicke, in welchem das junge Mädchen die zwei Gestalten hinter ihrem Verstecke hervortreten sieht, bleibt sie wie angewurzelt stehen – sie stößt einen leisen, unterdrückten Ruf des Schreckens aus und dann will sie fliehen, den Weg, den sie gekommen, zurück, denn sie kann keinen Augenblick verkennen, daß die beiden Herankommenden es auf sie abgesehen haben.

Aber als sie etwa fünf Schritte, fünf eilige, mit wankenden Knieen gemachte Schritte weit gekommen ist, bemerkt sie den Vorsprung den der Verfolger mit der Brille ihr bereits abgewonnen hat; sie bleibt abermals stehen und es ist, als ob sie unter ihrem großen, grauen Tuche, das ihren ganzen Oberkörper umhüllt, mit der Hand zu ihrem Herzen führe. Wie mag es klopfen in diesem Augenblicke, dies arme, geängstigte Mädchenherz!

Sie wagt es nicht, dem Feind, der sich ihr naht, ruhig entgegen zu gehen; nein, es ist sehr verkehrt von ihr, sehr unpolitisch, aber in ihrer Angst weiß sie keinen andern Rath; und statt ihren Weg ruhig fortzusetzen, wendet sie sich nun noch einmal und eilt in der Richtung, in welcher sie ursprünglich gekommen ist, auf Holdau zu, der unterdeß das Trottoir auf seinem Operationsflügel erreicht und besetzt hat und ihr jetzt entgegentritt. Sie will nun vor ihm nach links hin in die Mitte der Straße ausweichen, aber sie kann es nicht mehr.

Schönes Kind! sagt er mit einem spöttischen Tone, wollen Sie uns denn nicht erlauben, Sie ganz unterthänig nach Hause zu geleiten? Solch ein einsamer Spaziergang ist etwas mißlich um diese Stunde, wenn man so jung und hübsch ist wie Sie – ich und mein Freund dort müßten uns ein Gewissen daraus machen, wenn wir Ihnen nicht unsern Schutz angetragen hätten!

Lassen Sie mich, sagt das Mädchen beinahe athemlos, ich danke für Ihren Schutz.

Mein Gott, – welche Stimme ist dies! ruft der junge Mann aus, und erheuchelt dabei so viel Erstaunen, wie ihm immer möglich, – ist das nicht …

Fräulein Meddlhorst, fällt Treffer ein, der jetzt herangekommen ist, und legt ebenfalls in die Betonung dieser Worte so viel Ueberraschung und Verwunderung, als ihm nur irgend zu Gebote steht.

Fräulein Marie! sagt Holdau und scheint tief Athem holen zu müssen, um zu sich selbst zu kommen, – verzeihen Sie uns, daß wir Sie erschreckt haben; aber wahrhaftig, wie hätten wir es denken können ……

Nein, das konnten wir nicht denken! meint Treffer, der noch immer das Erstaunen selber ist.

Aber Fräulein, fährt Holdau fort und zeigt durch den Ton der Stimme an, daß er jetzt ganz direkt aus den Wolken gefallen ist – aber Fräulein …! Marie …! ahnen Sie denn nicht …

Ich bitte, lassen Sie mich jetzt gehen! ruft das junge Mädchen aus, indem sie alle Entschiedenheit, derer sie in diesem fürchterlichen Augenblicke mächtig ist, heraufbeschwört, und versucht an den beiden Männern vorüber zu kommen.

Nimmermehr, ohne daß Sie uns erlauben, Sie unter unsern Schutz zu ……

Holdau kann seinen Satz nicht vollenden, denn er wird hier plötzlich von einem Dritten unterbrochen, der, unbemerkt von der ganzen Gruppe, herangekommen ist und der augenscheinlich Mariens letzte Worte gehört und daraus ihre Bedrängniß geschlossen, hat.

Lassen Sie dies Mädchen gehen, sagt er in einer sehr bestimmten Weise, indem er herantritt.

Die beiden Andern wenden sich zu ihm.

Wer sind Sie, mein Herr? fragt Holdau.

Was wollen Sie? ruft Treffer aus.

Der Fremde hat sich neben das junge Mädchen gestellt,

Ueberlassen Sie sich ruhig meinem Schutz, sagt er, und irren wir nicht, so ist es eine uns bekannte Stimme, welche das sagt – es ist – ja, es kann Niemand anders sein, als derselbe junge Mann, den wir vorhin den declamirenden alten Herrn begleiten sahen, und der also, statt sich nach Hause zu begeben, es vorgezogen hat, sich noch ein wenig in den Straßen herumzutreiben, vielleicht in derselben menschenfreundlichen Absicht die uns und den geneigten Leser dieses Weges daher führte.

Das junge Mädchen hat offenbar den Kopf verloren vor lauter Gemüthsbewegung; sie geht vorwärts, wie in der Absicht, sich dem Schutze dieses wildfremden Menschen anzuvertrauen.

Gehen Sie Ihres Weges, mein Herr Don Quichotte! hat unterdeß Treffer diesem zugerufen.

Mit Ihnen, meine Herren, das Weitere morgen! sagt der Fremde ruhig, und pflanzt seine kräftige Gestalt so entschieden gegen die beiden Anderen auf, daß ihnen die Lust, dies Bollwerk zwischen ihnen und der jungen Dame zu überwältigen, zu vergehen scheint. Zugleich zieht er rasch aus der Westentasche eine Karte, welche er Treffer hinreicht. Dann ist er im nächsten Augenblicke wieder neben dem hastig davoneilenden jungen Mädchen, und Beide, er einen halben Schritt weit hinter ihr bleibend, verschwinden schnell aus unserem Gehörkreise.

Bei Gott! Talleyrand hat Recht, – man braucht nur zu leben, um Wunder zu sehen, sagt Holdau, vor Zorn mit den Zähnen knirschend. – O Ernst, welchen trüben und dunklen Schatten wirft dieser Auftritt, diese Erfahrung auf mein ganzes Leben!

Hoffentlich nicht so dunkel, wie der nächtliche Schatten, welcher auf dieser Karte liegt, und mir vollständig unmöglich macht, sie zu lesen, antwortet Treffer, seine Brillengläser auf das kleine Stück Papier senkend, welches er als bleibende Erinnerung an die Scene von eben in der Hand hält.

Egoist – fühlloser Mensch! hast Du denn keine Ahnung von dem, was in mir vorgeht?

Ich glaube sogar, antwortet Treffer auf diesen Ausruf Holdau's, Du hast nicht übel Lust, mir Vorwürfe zu machen! Wenn es ein anständiger Name ist, der auf dieser Karte steht, so habe ich das eigenthümliche Vergnügen, mich schlagen zu müssen in Deinen kleinen Liebesangelegenheiten, und wenn ich dann aus purer aufopfernder Freundschaft für Dich todtgeschossen bin, schreibst Du auf meinen Grabstein: Hier ruhet ein Egoist!

Ach, Du hast keine Ahnung von dem, was in mir vorgeht, antwortet Holdau heftig, ich habe dieses Mädchen geliebt – mehr ……

Als Du sagen kannst – ich kenne das – aber jetzt komm, hier auf der Straße ist unsere persönliche Anwesenheit nicht mehr nöthig!

Wenn dies Geschöpf nicht mehr rein ist, fährt Holdau fort, ohne sich irre machen zu lassen und die Blicke vor sich auf die Pflastersteine heftend, als ob er mit der Gluth dieser zornigen Blicke den harten Granit schmelzen wolle, – dann soll man diesen ganzen, nichtsnutzigen Planeten in den Pfuhl des Abgrundes verwünschen!

Thue das meinethalben, aber zu gelegenerer Stunde. Jetzt komm! ruft Treffer aus.

Wohin?

Du wirst doch dies Abenteuer nicht jetzt so ohne Weiteres fallen lassen? wohin anders als in den Salon der Frau Räthin, die ja heute ihren Empfangtag hat! Wir wollen doch sehen, mit welcher Miene Fräulein Marie dort eintritt und welche Augen sie macht, wenn sie uns erblickt!

Du hast Recht, – wie Mephisto immer! lautet Holdau's Antwort, und indem er seinen Arm auf den seines Freundes legt, gehen die beiden Männer rasch die Straße hinab. –


II.
Der Salon der Frau Räthin.

Sollen auch wir dies Abenteuer so fallen lassen? Oder wünscht der geneigte Leser die Entwicklung desselben zu verfolgen, weil er sich für das arme, geängstigte Mädchen, das die Unbesonnenheit so weit trieb, sich in einer so zweideutigen Situation überfallen zu lassen, interessirt hat? Wenn dies der Fall ist, freundlicher Leser, so mußt Du uns auf einem ziemlich weiten Gange begleiten, der durch eine ganze Anzahl von breiten Gassen durch den elegantesten Stadttheil führt. Um den Weg zu erkennen, haben wir uns freilich keine Mühe zu geben. Unsere beiden ritterlichen jungen Männer wandern vor uns. An der ersten Ecke, an welche wir gelangen, befindet sich ein Fiacrestand, heute, bei dem schönen Wetter, sehr zahlreich besetzt mit unbeschäftigten leichten Fuhrwerken aller Art, Droschken, Vigilanten, Chaisen und Coupé's.

Unsere beiden Wegweiser werfen sich in eines dieser Vehikel; es ist gar kein Grund vorhanden, weshalb wir es ihnen nicht nachthun sollten, wenn auch nur, um des Vortheils ihrer Führung nicht verlustig zu gehen, und so rollen wir denn sehr bald hinter ihnen her, bis ihr Gefähr vor einem großen, modernen Hause in einer breiten Straße hält, welche zu den allerneuesten und jüngsten der Stadt gehören muß, denn es sind hier noch mehrere Gebäude erst im Entstehen begriffen; an anderen Stellen begrenzen Gartenmauern die Trottoirs, und die grünen Akazien- und Obstbaumwipfel blicken darüber fort und strecken sich laubreich in die Straße hinein.

Im ersten Stock des bezeichneten Hauses, vor dem der Wagen der beiden jungen Herren hält, sind drei Fenster sehr hell erleuchtet; der Lichtschimmer derselben fällt auf ein Platanengebüsch in einem gegenüber liegenden Garten, welches sich leise im Abendwinde bewegt, während die Blätter ganz still zusammen flüstern, so daß eine lebhafte Phantasie darauf schwören sollte, die schlanken Aeste hätten sich so gestreckt, um der Frau Räthin Meddlhorst in die Fenster zu blicken, und sie schüttelten nun den Kopf über diese würdige Dame, und die medisanten Blätter kicherten und mocquirten sich eifrig über Alles, was sie da sähen. Ist das der Fall, so würde dies sehr albern gewesen sein, wenn auch gerade nicht alberner, als so grüne Jugend eben zu »plauschen« pflegt.

Um gerecht zu sein, müßte man bekennen, daß im Salon der verwittweten Räthin Meddlhorst auch nicht das mindeste Außerordentliche war, welches den mocquirenden Dingern Stoff zum Spotte dargeboten hätte. Im Gegentheil, dieser Salon so wie das geräumige Vorzimmer, das durch eine Portière von schwerem Damaststoff von dem eigentlichen Gesellschaftszimmer getrennt war, zeigte sich sehr comfortable, sehr geschmackvoll, ja luxuriös eingerichtet. Die Wände trugen einige schöne Oelgemälde in breiten Goldrahmen. Eine große Bronzelampe hing in Gestalt einer Ampel von der Decke nieder und goß ein helles Licht auf die Wände, auf die Vorhänge, welche von derselben Farbe wie die Tapeten waren und auf alle die eleganten Möbel modernster Form.

Außerdem werfen zwei silberne Leuchter das Licht ihrer hellflammenden Kerzen auf den kleinen Spieltisch, um den eine Gesellschaft von drei Personen bei der Whistpartie sitzt. Alle Drei, es sind ein Herr und zwei Damen, sind über die Mitte des Lebensalters hinaus; die Dame vom Hause – wir erkennen sie an ihrer einfacheren Toilette – ist jedoch vortrefflich conservirt und es ist sehr fraglich, ob sie überhaupt jene unsere Behauptung über ihr Alter nicht sehr übel aufnehmen würde, falls wir sie laut in ihrer Gegenwart wiederholten. So viel ist gewiß, sie hat sich tapfer gehalten, sie hat sehr jugendliche Bewegungen und ihre Unterhaltung drückt einen sehr heiteren Sinn aus, dem die Wittwentrauer, wie es scheint, nicht viel hat anhaben können.

Der Selige – er war Commerzien- oder Commissionsrath und ein wohlhabender Banquier – ist freilich auch schon eine hübsche Reihe von Monden todt und die Erinnerung an sein verschwundenes Dasein, welche er seiner Wittwe zurückgelassen hat, ist eben auch nicht sehr betrübender Natur, da sie in einer ganz charmanten kleinen Jahresrente besteht.

Die beiden Gäste der Frau Räthin sind entfernte Anverwandte ihres verstorbenen Mannes, welche sich eine Pflicht daraus machen, an dem Abende, an welchem die Dame empfängt, in ihrem Salon zu erscheinen; und diese ist ihnen desto dankbarer dafür, weil es nicht das erste Mal heute ist, daß sie die Einzigen sind, welche sich blicken lassen. Denn erstens wohnt die Dame etwas abgelegen und zweitens – nun zweitens, so wird der geneigte Leser noch wohl Gelegenheit erhalten, die Frau Räthin Meddlhorst von verschiedenen Seiten selbst näher kennen zu lernen und er urtheilt dann schon ohne uns.

Es ist drei Viertel auf zehn und desto mehr ist es für die Dame vom Hause eine angenehme Ueberraschung, als sich plötzlich noch rasche Männerschritte hören lassen, welche, von dem weichen Teppich im Vorzimmer gedämpft, herankommen. Der erste Eintretende ist ein noch junger, sehr wohlbeleibter Mann, mit frischem Teint und sehr blondem Haar, das sorgfältig über die Schläfen und nach dem Vorhaupt hin frisirt ist, um eine bedenkliche Leerheit dieser Gegend zu bedecken. Der Andere, der mit ihm kommt und hinter ihm, über seine Schultern fortblickend, im Rahmen der Portiere sichtbar wird, ist das gerade Widerspiel von Jenem. Er ist mager, schwarz, von gelbem Teint und trägt eine blaue Brille.

Ach, Herr Assessor Holdau – und Sie, mein lieber Treffer – ruft die Räthin ihnen entgegen, indem sie ihr freundlichstes Gesicht macht – legen Sie ab und machen Sie sich's bequem – ich bitte, Treffer, ziehen Sie einmal die Klingelschnur, damit mein Mädchen noch einmal heißes Wasser bringt – Sie sehen, die Spiritusflamme ist längst erloschen – waren Sie denn so beschäftigt, daß Sie so spät kommen? Wie haben Sie den Tag zugebracht, lieber Treffer?

O, auf das allersolideste, meine Gnädige, ergreift Holdau für seinen Freund das Wort, während die beiden Herren sich in einem Paar Fauteuils niederlassen – auf das allersolideste – Sie wissen, Treffer ist ein großer Sammler von Alterthümern und andern Seltenheiten, er hat heute das erste Stück einer neuen Raritätensammlung, die er anlegen will, aufgetrieben.

Und darf man fragen, woraus die bestehen wird? fragt die lebhafte, kleine Dame, welche der Räthin beim Whist gegenüber sitzt.

Freilich, aber ich weiß nicht, ob der gute Treffer den Muth hat, so etwas Ihnen zu gestehen, Frau Bankdirectorin; sie soll nämlich aus den schönsten Nasen gebildet werden, welche die treulosen Frauen uns armen Männern drehen.

Das ist freilich ungalant! versetzt die Frau Directorin, und die Dame vom Hause meint lachend:

Da würde ich lieber falsche Männerschwüre nehmen!

O, das sollen keine Seltenheiten sein, fällt lachend Treffer ein.

Sie sehen ja ganz melancholisch aus, Herr Holdau, bemerkt die Räthin – das kommt vom Junggesellenleben – Sie müssen ein so verdrießliches Metier aufgeben!

Wahrhaftig, ich fühlte mich niemals weniger versucht dazu! seufzt Holdau aus tiefer Brust.

Nein, so etwas in Gegenwart von Damen – ruft die Frau vom Hause aus – sagen Sie, Treffer, weshalb ist Ihr Freund heute so verwandelt und so melancholisch?

Diese Stimmung habe ich aus dem Theater mitgebracht, antwortet Holdau rasch; man gab ein Stück, worin eine Dame, die das Muster der Tugend und stiller Zurückgezogenheit schien, hinter dem Rücken der Eltern einem Abenteuer nachlief!

Die Worte Holdau's, welche mit einer nicht zu verkennenden Bezüglichkeit ausgesprochen werden, scheinen einen eigenthümlichen Eindruck auf die Dame vom Hause zu machen. Sie wechselt rasch die Farbe und streift mit einem scharfen Seitenblick Holdau's Züge.

Das Theater – so viel ich weiß, ist es ja noch nicht zu Ende … ich habe die Wagen noch nicht rollen hören!

Nein, die Comödie ist noch nicht zu Ende, ich hoffe auch noch auf eine Entwickelung, versetzte Holdau.

Doch nicht hier? wirft die Räthin hin, indem sie das eben ausgespielte Levée an sich nimmt.

Bitte, meine Gnädige, fällt hier der alte Herr ein, der mit dem Strohmann spielt und bisher so stumm gewesen ist, wie sein Partner, – bitte, der Stich ist mein, ich hatte die Dame zugeworfen.

Ach, entschuldigen Sie – ich war zerstreut!

Holdau scheint auf die letzte Frage der Räthin antworten zu wollen, als sich ihm gegenüber eine Thür öffnet und das Kammermädchen mit einem Bouloir eintritt, – während hinter demselben lautlos eine junge Dame in den Salon gleitet, gerade so, als ob sie schüchtern auf diese Gelegenheit gewartet hätte, um sich mit so wenig Aufsehen wie möglich einführen zu können.

Dies junge Mädchen ist von großer Schönheit; ihre anmuthige Gestalt wird von einem einfachen grauen Seidenkleide, das bis zum Halse hinaufgeht und hier von einer einfachen Tüllrüsche umsäumt ist, auf's vortheilhafteste gehoben; das Haar ist eben so einfach über der tadellosen Stirn gescheitelt; das ovale Gesicht würde vollkommen gewesen sein, wenn es nur etwas mehr Farbenfrische gehabt hätte.

Aber freilich, wer weiß, ob die Farben dieser sanftgeschwellten Wangen nicht frischer sind, wenn das junge Mädchen nicht gerade die blauen Augen mit den langen blonden Wimpern auf Gegenständen ruhen zu lassen braucht, die ihm so außerordentlich wenig ermuthigender Natur sein müssen, wie die Gesichter der beiden anwesenden jungen Herren, die leider das Erste sind, worauf die Blicke dieser schönen Augen fallen!

Es liegt eine eigenthümliche, schwer zu interpretirende Bedeutung in der wechselseitigen Begegnung der Blicke der jungen Dame mit denen Holdau's und Treffer's. Verwirrung und Beschämung könnte man es auf Seiten des Fräuleins nennen, aber damit ist der Ausdruck der groß aufgeschlagenen und dann rasch wieder gesenkten Blicke nicht erschöpft. Es liegt mehr, ja, es läge beinahe etwas Herausforderndes darin – wenn nicht zu gleicher Zeit wieder das junge Mädchen in ihrem ganzen Wesen so außerordentlich viel Schüchternheit zeigte!

Was aber auch diese vielsagenden, rasch gewechselten Blicke bedeuten mochten – so viel ist gewiß, daß sie keine Beobachter fanden, vor denen sie sich hätten in Acht nehmen müssen, am wenigsten an der Mutter des jungen Mädchens. Die Frau Räthin blickte mit einem etwas verdrießlichen Ausdruck in ihre Karten, als ihre Tochter eintrat, und als diese neben ihr erschien um ihre Hand zu küssen, wehrte sie diese Begrüßung ab und sagte mit trockener Kalte:

Du, Marie? Ich habe Dich ja nicht kommen hören – hast Du heute Abend keinen Fiacre genommen?

Verzeihen Sie Mama – meine Singlehrerin hat mich hierher begleitet; da es ein so schöner Abend war, so glaubte ich, hätten Sie nichts dawider …

Du hast sehr Unrecht daran gethan, da ich Dir ein und für allemal befohlen habe, einen Fiacre zu nehmen, wenn Du so spät von Deiner Singlehrerin zurückkommst.

Die Räthin betonte diese Worte so scharf und vorwurfsvoll, daß sie sich dessen plötzlich selbst bewußt zu werden schien, und, um die kleine Ermahnungsscene angenehm zu endigen, mit einer schmelzenden Freundlichkeit hinzusetzte: Servire jetzt den Herren den Thee, mein theures Kind!

Marie that, wie ihr befohlen war; aber ihre Hände zitterten so stark, daß die silbernen Löffel klirrten, als sie dieselben auf die Schalen legte. Als sie die zwei Tassen vollgeschenkt hatte, hütete sie sich deshalb wohl, den Versuch zu machen, dieselben zu überbringen. Sie stellte sie auf den Theetisch nieder, stellte die silberne Zuckerdose und den Rahm daneben und ging dann langsam und unhörbar dem vorderen Zimmer zu; als sie dabei an Holdau vorüber kam, streifte ihn ein bedeutsamer Blick, den er vollkommen verstand.

Er schlürfte die Hälfte seiner Tasse und dann ging auch er in das Vorzimmer.

Das Auge der Frau Räthin folgte ihm mit einem raschen, aber zufriedenen Blicke. Ein tête-à-tête zwischen Holdau und ihrer Tochter schien danach zu den ihr nicht unwillkommenen Dingen zu gehören. Treffer war so discret, weder mit den Augen, noch weniger mit seiner schmächtigen Gestalt den Beiden zu folgen. Er vertiefte sich in das Spiel der Dame vom Hause, welche mit großer Aufmerksamkeit ihre Karten so hielt, daß er bequem hineinblicken konnte.

Das Vorzimmer war nur milde durch den Glanz der Ampel in der mattgeschliffenen Glasglocke beleuchtet. Ein runder Tisch, auf welchem Albums und reich gebundene illustrirte Werke lagen, stand in der Mitte, daneben eine Causeuse und Sessel. Marie hatte bereits auf der Causeuse Platz genommen, als Holdau eintrat, und konnte von der Gesellschaft im Salon nicht gesehen werden. Ein Buch lag aufgeschlagen vor ihr, doch blickte sie darüber fort, dem jungen Mann entgegen und als er ihr gegenüberstand, winkte sie ihm mit der Hand, in einem der Sessel Platz zu nehmen.

Ich sehne mich nach dem Augenblicke, wo ich mit Ihnen reden kann, Herr Holdau, sagte sie.

Ich begreife das, mein Fräulein, ich begreife das vollständig, antwortete Holdau, und während sein volles und rundes Antlitz mit einem strafenden Ernst das schöne Mädchen anblickt, zeigt sich doch auch etwas darin, daß diese Situation nicht ohne eine gewisse innere Befriedigung für ihn ist.

Marie, scheint es, merkt den Zug von moralischer Entrüstung und den kleinen Zusatz von Selbstgefühl und Ueberlegenheitsbewußtsein in Holdau sehr wohl, und dies mag vielleicht dazu beitragen, daß sie nur um so mehr ihren jungfräulichen Stolz heraufbeschwört, daß sie wenigstens gar nicht besonders muthlos und niedergeschlagen zu dem jungen Manne aufblickt.

Sie haben sich in ein Geheimniß eingedrängt, Herr Holdau – Sie haben mich obendrein meiner Mutter eben eine Unwahrheit sagen hören –

O ich bedaure es unendlich – es war wahrhaftig nicht meine Absicht, mich indiscret in Ihre Geheimnisse zu drängen! versetzt Holdau mit unbeschreiblich bitterem Tone.

Es ist einmal geschehen und ich will die Zeit nicht damit wegnehmen, Ihnen Vorwürfe über Ihr Betragen zu machen.

Vielleicht würden Vorwürfe in Ihrem Munde heut Abend auch etwas – gelinde gesagt – etwas Auffallendes, etwas sehr Anomales haben – Fräulein Marie!

Darum, antwortete sie kaltblütig, zur Sache! Es giebt zwei Arten, in welchen Sie mein Betragen von heute beurtheilen können. Vielleicht räumen Sie ein, daß ein junges Mädchen in Verhältnisse gerathen kann, wo sie hinter dem Rücken ihrer Mutter, geheim und verkleidet, Obliegenheiten zu erfüllen hat, welche sie Niemand anders als sich selbst anvertrauen kann.

Es könnte solche Lagen geben, antwortete Holdau – ja, ich schließe die Möglichkeit nicht aus. Aber Sie müssen gerecht sein, Fräulein Marie, und mir nicht übel nehmen, daß ich – nun, daß ich den Kopf schüttle, wenn ich von einem jungen Mädchen höre, welches Abend nach Abend, ganz allein …

O, ganz allein, fiel Marie ein, war ich nur heute, durch einen Zufall, und am Ende der Straße wollte ich mich eines Fiacres bedienen, um ungefährdet nach Hause zu kommen.

Also an den andern Abenden waren Sie nicht ganz allein? …

Ich bitte, kein Verhör, Herr Assessor! unterbrach Marie ihn mit sehr bestimmtem Tone.

Holdau machte eine Bewegung mit dem Haupte und mit der Hand, als wolle er sagen, daß ihm dies in der That nicht einfalle.

Also, fuhr sie fort, Sie ziehen vor, mein Betragen in der andern Art zu beurtheilen, das heißt, sich einfach an das zu halten, was Sie sahen, und mich wegen desselben zu verurtheilen! Leider muß ich das über mich ergehen lassen, denn Erläuterungen kann ich Ihnen nicht geben. Ich kann weiter nichts thun, als Ihnen sagen, daß es mich in hohem Grade schmerzt. Aber was ist da zu machen? Die Gesellschaft, in der Sie leben, Herr Holdau, fuhr das junge Mädchen mit einem Seufzer fort, diese Gesellschaft, welche zu ihren vielen andern Privilegien rechnet, verurtheilen zu dürfen ohne untersucht zu haben, autorisirt Sie zu Ihrem Mißtrauen – ich weiß es. Ich habe mich dem zu unterwerfen. Aber werden Sie, wird Ihr Freund dieses Mißtrauen in sich verschließen, wie ich das unerläßlich von Ihnen verlangen muß?

Fräulein Marie, sagte Holdau mit einem plötzlich ganz verändertem Tone, mit einem nicht zu verkennenden Aufwallen von Wärme und Gefühl – wenn ich Ihnen schildern könnte, wie unaussprechlich wehe es mir thut, dies Mißtrauen, über welches Sie sich beklagen, tragen zu müssen – bei Gott, Sie würden es von meinem schmerzlich bewegten Herzen nehmen … wenn Sie es anders von ihm nehmen können! setzte er, eine tiefe Falte über der Nasenwurzel zusammenziehend und mit einem mächtigen Seufzer hinzu.

Sie haben damit meine Frage nicht beantwortet, Herr Holdau, versetzte Marie in demselben kühlen, gefaßten Tone, womit sie begonnen. – Kann ich auf Ihre und Ihres Freundes vollkommene Verschwiegenheit zählen? fragte das junge Mädchen dann mit kältester Bestimmtheit.

Marie, antwortete Holdau, Sie begreifen, daß die Freundschaft, womit Ihre Frau Mutter mich beehrt, das Vertrauen, womit dieselbe mir seit langer Zeit ihr Haus geöffnet hat, mir auch Pflichten gegen Ihre Mutter auferlegen.

Und doch hätte ich nicht geglaubt, daß Sie mir meine Bitte abschlagen würden, Herr Assessor, sagte das junge Mädchen.

Es hängt ja nur von Ihnen ab, fiel Holdau rasch ein, mir durch ein größeres Vertrauen noch größere Pflichten gegen Sie aufzuerlegen!

Und wissen Sie, weshalb ich das nicht geglaubt habe, fährt Marie fort, ohne Holdau's letzte Worte irgend einer näheren Inbetrachtnahme zu unterwerfen.

Nun, weshalb nicht, mein Fräulein?

Weil Sie selbst, antwortete Marie, in der Lage sind, es ganz ermessen zu können, wie schlimm und fatal es sein müßte, wenn ein Dritter Verhältnisse der allerpersönlichsten Art, welche wir vor der ganzen Welt verborgen glauben, entdeckte und Jedem, der es hören will, ins Ohr flüsterte, bis es von den Dächern gesungen wird!

Und weshalb sollte ich das vorzugsweise zu ermessen wissen? fragte der junge Mann, indem er leise die Farbe wechselte.

Ich weiß das nicht, Herr Assessor! antwortete das junge Mädchen beinahe schnippisch, denn ich meinestheils habe nie Schritte gethan, um Aufklärung über Verhältnisse zu suchen, welche nicht die meinigen waren. Aber – meine Freundin Julie Pechtold hat es mich vermuthen lassen!

Bei der Erwähnung dieses Namens zuckte Holdau zusammen, als wäre er neben eine angenehme kleine Elektrisirmaschine gerathen, die, unversehens in Bewegung gesetzt, ihre Funktion auf ihn geübt hätte.

Der Blick des jungen Mädchens ruhte groß und vorwurfsvoll auf ihm.

Julie Pechtold! sagte er mit einem eigenthümlichen Zucken der Gesichtszüge – ich wußte nicht, daß Sie – daß in dem Kreise Ihrer Freundinnen – er betonte dies Wort möglichst stark – Damen vorkommen, welche …

O, kein Wort weiter, Herr Assessor! sagte Marie und erhob sich – ich habe den Namen nicht dazu genannt, um eine Debatte über den Charakter dieses ehrlichen und guten Mädchens zu eröffnen.

Aber Sie werden mir doch wenigstens erlauben, Ihnen die Erklärungen zu geben, welche ich Ihnen zu meiner Rechtfertigung geben muß – das sind Sie mir schuldig, Fräulein Marie, nachdem Sie einmal den Namen genannt haben, mit diesem, nehmen Sie mir's nicht übel, sehr maliciösen Tone genannt haben!

Maliciös! sagte wehmüthig den Kopf schüttelnd das junge Mädchen – o nein, das bin ich wahrhaftig nicht. Aber die Welt zwingt auch ein harmloses Mädchengemüth, welches für alle Menschen nur Wohlwollen empfindet, sich des biblischen »Aug' um Aug', Zahn um Zahn« zu erinnern. Doch ich muß fort und Ihrem Freunde eine zweite Tasse Thee einschenken!

Sie machte eine leise Bewegung mit dem Kopfe und verließ das Vorzimmer, um wieder in den Salon zu treten.

Sie können meiner Discretion sicher sein – und auch für Treffer steh' ich ein, rief Holdau mit einem ängstlichen Flüstern ihr nach.

Als sie durch die Portière verschwunden war, stampfte er ingrimmig mit dem Fuße auf den Boden.

Verwetterte kleine Hexe, die sie ist! Da läßt sie mich stehen, beschämt und auf's Maul geschlagen! Wie in aller Welt kann sie mit Julie zusammengekommen sein? Diese überspannte Person wird ihr den kleinen Liebeshandel, den ich mit ihr gehabt habe, ausgemalt haben – zum Sterben rührend! Ich kann's mir denken! Das ist eine fatale Wendung! Aber es geschieht dir Recht, ganz Recht, Thor, der du bist! Wie konntest du auch nur einen Augenblick dies himmlische Geschöpf beargwöhnen? Sah sie doch mich mit Augen an, welche der klarste Spiegel einer makellosen Seele waren! Sie ist charmant, ganz charmant! Wahrhaftig, ich bin so verliebt in sie wie je vorher!

Er ging langsam und geräuschlos in den Salon zurück. Marie hatte eine Arbeit genommen und saß damit allein an dem Nebentisch, auf welchem sie vorhin den Thee bereitet hatte. Treffer verfolgte noch immer aufmerksam das Spiel der Frau Räthin. Holdau gab ihm unbemerkt einen Wink und Jener erhob sich nach einigen Augenblicken, um anscheinend zufällig und unbefangen zu Holdau zu treten, worauf beide Männer lässig zusammen in das Vorzimmer schlenderten.

Treffer! sagte Holdau hier hastig, sobald sie nicht mehr beobachtet werden konnten – Treffer, kein Wort über die Geschichte, wenn ich Dich bitten darf! Sie hat mir Alles erklärt. Sie macht diese Gänge, um ihre alte Wärterin, die krank ist, zu unterstützen und zu pflegen. Die Räthin hat sich mit dieser Person gezankt und deshalb muß sie heimlich Abends sich zu ihrer guten alten Bonne begeben.

Und der Mensch, der sie begleitet hat an den früheren Abenden?

Ist der Sohn der Amme –

Wärterin, wolltest Du sagen!

Richtig, Wärterin – er ist heute zufällig nicht dagewesen, – und da sie –

Die Wärterin?

Nein, Marie – da sie sicher war, am Ende der Straße einen Fiacre zu finden, hat sie sich allein auf den Rückweg gewagt.

Nun, ich glaube Dir ja, und bewundere das Talent zum Ehemanne, welches Du schon entwickelst –

Weshalb?

Weil Du Dich so leicht beruhigen lässest!

O, Treffer, sie ist ein wahrer Engel!

Bravo! Nur geht es Dir mit Deinen wahren Engeln, wie den Astronomen mit den Planeten, das heißt, Du entdeckst sehr oft einen neuen! Hüte Dich nur, daß sich die Bahnen dieser Wandelsterne nicht einmal kreuzen! Aber komm jetzt zurück, der Gegenrobber ist zu Ende und die Herrschaften drinnen sehnen sich nach Deiner angenehmen Conversation.

Die beiden jungen Herren kehrten Arm in Arm in den Salon zurück.


III.
Herr Hammer in seinen vier Wänden.

Wenn man die Treppe, auf welcher wir am gestrigen Abend den beredten Herrn Hammer ins Innere seines Hauses verschwinden sahen, hinauf stieg, und sich sodann nicht verdrießen ließ, noch drei Fortsetzungen derselben zu erklimmen, so gelangte man oben an eine Glasthür, welche auf einen ziemlich öden und vollständig von jedem Möbel entblößten Vorraum führte. Niedrige Doppelthüren zur Rechten und zur Linken des Eintretenden schienen diesem die Wahl schwer zu machen, wohin er sich wenden solle; aber auf der zur Rechten war mit vier Nadeln eine kleine weiße Karte angeheftet, welche lakonisch das Wort Hammer in sauberer Frakturschrift lesen ließ.

Auf der Thür gegenüber jedoch befand sich eine etwas förmlichere Anzeige der »Parthie«, von welcher dieser Theil des großen Hauses bewohnt war. Es war ein convexes, sehr schön blau lackirtes Blechschild, auf dem in goldener Currentschrift die Worte: Joseph Pechtold, Fuhrwerksunternehmer, prangten.

Gerade vor sich hatte der Eintretende zwei Fenster; sie boten die Aussicht auf ein ganzes Labyrinth von Dächern, Giebelpyramiden und hohen Schornsteinen, nicht zu vergessen der pittoresken bleiernen Wasserrinnen, welche das Flußgeäder dieses anmuthigen, nur leider überaus sterilen orographischen Systems bildeten, – rauh wie das Guadarramagebirge, sagte Herr Hammer, dessen Auge so oft diesen kühnen Formationen folgte, wenn er gerade nichts besseres zu thun hatte, als sich in das geöffnete Fenster zu legen und das Treiben der Menschen unten seine Blicke nicht länger zu fesseln vermochte.

In einer solchen Mußestunde treffen wir auch heute unsern alten Bekannten an. Er hat die Fenster weit geöffnet, um die warme Morgenluft hineinzulassen; dann wandelt unser würdiger Freund, aus einer Tabackspfeife große Rauchwolken blasend, in dem beschriebenen Vorräume gemüthlich auf und ab.

Seine äußere Erscheinung hat etwas sehr Anständiges; ein großer Schlafrock von geblümtem Kattun, in der Mitte durch einen Gürtel zusammengehalten, umwallt seine lange, hagere Gestalt. Ein schwarzes Sammetkäppchen mit einer goldenen Litze umher bedeckt sein ausdrucksvolles Haupt und läßt die hohe, kahle Stirn frei, deren »Denkerorgane« so oft das Selbstbewußtsein des alten Herrn erhöht haben, wenn er sich nach glücklich beendeter Kinnschur in seinem Rasirspiegel betrachtet.

Sehr starke Brauen, eine Nase, die aus schmaler Wurzel sich zu einer ansehnlichen Breite entwickelt hat, – große graue Augensterne und ein Mund mit etwas schlaffen, breiten Lippen, – das sind die Züge, mit welchen wir das Portrait des denkwürdigen Mannes zu vervollständigen haben.

Herr Hammer also wandelt in dem Vorplatze auf und ab, der zu diesen Spaziergängen bedeutend mehr Raum als die eigentliche Wohnung des alten Herrn bietet und deshalb von ihm bevorzugt wird. Er spricht dabei einen kleinen Monolog, dessen ausdrucksvolle und kräftige Betonung anzeigt, daß es sich dabei nicht um einen still-geheimen Seelenerguß handelt, welchen zu belauschen indiscret von uns wäre, sondern daß wir unbedenklich zuhören dürfen.

Ach, Minona! spricht seufzend Herr Hammer. Holdes Bildniß! Mit jedem neuen Morgen taucht es vor mir in erneuter Frische auf. Ich sehne mich nach Dir, Minona! Ich wette, Du hast jetzt einen vortrefflichen Kaffee mit recht fetter, frischer Sahne vor Dir stehen! Anmuthig hingegossen auf dem schwellenden Polster eines weichen Divans, den nervenerregenden Moccatrank vor Dir – ach mein Gott, wie sagt König Lear:

Du bist 'ne Edelfrau! –
Mich seht Ihr hier, 'nen armen alten Mann,
Gebeugt durch Gram und Alter, zwiefach elend!

Doch – überwind es, Adhemar – ergieb dich in dein Loos! Verkennung deines Gemüths ist ein Schicksal, welches du mit den Heroen aller Zeiten theilst, ja, ich darf sagen, daß dies der kurze Inhalt einer Geschichte ist, welche man die Weltgeschichte nennt!

Als Hammer an dieser pathetischen Stelle seines Monologs angelangt war, welche er mit erhobener Rechten und einer horizontalen Bewegung des Arms gesprochen hatte, als fahre er damit über das ganze weite Gebiet der Weltgeschichte her, wurde er unterbrochen.

Die ihm gegenüber liegende Thür öffnete sich und heraus trat ein noch junger, kräftiger Mann, der ein auffallend offenes, gutmüthiges Gesicht hatte und wie ein Bürger aus dem Mittelstande gekleidet war, aber sich noch in Hemdsärmeln befand. Der Mann hatte einen schweren, ledernen Reisekoffer an den beiden Enden gefaßt und stellte ihn an die Wand neben der Thür, die in sein Quartier führte.

Ah guten Morgen, Vater Hammer! sagte er, verschwand aber augenblicklich wieder durch seine Thüre, ohne auf einen Gegengruß zu warten. Gleich nachher kehrte er mit einem großen Karton zurück, den er auf den Koffer stellte.

Nun, Papa Hammer, wandte er sich an diesen, indem er ihm ein paar Schritte näher trat – wie befinden wir uns? Wohl geruht? Unsern Rausch von gestern ausgeschlafen?

Was, Herr Pechtold? Sie bedienten sich da eines Ausdruckes … Herr Pechtold, sagten Sie: Rausch?

Pechtold, der Fuhrwerksunternehmer, lachte.

Nun wahrhaftig, sagte er, ich war so frei! Sie hatten sich ja mit Ihrem jungen Freunde so begeistert und waren so in Schwung gekommen, daß Sie Ihre Tochter nicht heimbegleiten konnten …

Ah bah – das war nicht die Ursache – sie wollte es nicht zugeben – nein, Papa, Du kommst ermüdet heim, sagte dieses zärtlich liebende Herz; Du hast die vier Treppen bis zu Deinem Olymp – sie bediente sich dieses Ausdrucks, Pechtold, bis zu Deinem Olymp – einmal glücklich hinter Dir – jetzt wieder hinab, dann wieder hinauf – kurz, sie wollte es nicht leiden, Pechtold! – Aber so geht es! Ja, ja; wie sagt Shakespeare:

Sei Du so weiß wie Schnee, so keusch wie Eis,
Du wirst doch der Verleumdung nicht entgehen!

Sie sollten das doch nicht dulden, Papa Hammer, daß sie allein heimkehrt, versetzte Pechtold. Hätten Sie es mir nur gestern Abend zu wissen gethan. Ich bin ja schon ein paar Mal mit ihr gegangen und thue es gern. Es ist freilich nur die eine Straße, welche sie hinabzugehen hat – am Ende derselben findet sie immer einen Wagen – aber es ist doch riskant, man weiß nicht, welche Unannehmlichkeiten solch ein junges Mädchen haben kann!

Freilich, freilich, da haben Sie Recht, Pechtold.

Ueberhaupt, Hammer – ich muß Ihnen sagen, das Mädel ist etwas leichtsinnig!

Leichtsinnig? – Wie so, Herr Pechtold? fragte Hammer erschrocken.

Weil sie sich über ihren Stand putzt – und Bekanntschaften von jungen Herren hat, die mir nicht gefallen. Ich bin ihr am Sonntag in der Carlsstraße begegnet, da war sie aufgedonnert wie eine Prinzessin, in Sammet und Seide, und ein dicker junger Herr mit blonden Haaren ging neben ihr und machte ihr die Cour aus Leibeskräften.

So, so, so! antwortete Papa Hammer, indem sich seine Züge zu schalkhaftem Lächeln aufhellten – nun, wir wissen ja, Jugend hat keine Tugend – man muß da etwas durch die Finger sehen, und was das Mädchen, die Marie angeht, so hat sie Verstand und ihren eigenen Kopf – anführen läßt die sich nicht, das glauben Sie mir, Pechtold!

Nun, es ist Ihre Sache – wenn Sie so ruhig dabei sind – mir kann's gleich sein und ich wünsche nur, daß Sie's nicht bereuen. Ich, was mich angeht, Herr Hammer, ich verlasse mich nicht viel auf den Verstand der jungen Mädchen, wenn solch ein eleganter junger Herr um sie herum schwänzelt und ihr die Ehre anthut, ihr den Hals voll zu lügen! Du liebe Zeit, mit der Julie habe ich die bittere Erfahrung machen müssen. Die hat auch Verstand, mehr Verstand als ich, nur zu viel Verstand! Alle Bücher hat sie durchgelesen, alle schönen Gedichte kann sie declamiren, und was ihre Arbeit angeht, nun, da soll Einer kommen und sagen, ob das nicht sauber und künstlich gestickt ist, was sie macht! Und jetzt – was ist mir aus dem Prachtmädel geworden, seit solch ein Firlefanz von einem Kerl sie hat glauben machen, er wolle sie heirathen, und dann sie hat sitzen lassen? Vergiftet ist ihr ganzes Lehen. Ein armes, bedauernswerthes Geschöpf ist sie. In ihren Kopf geht gar nichts mehr hinein, als nur der eine Gedanke an den Menschen, der sie so schmählich verlassen hat. Ich mag Abends heimkommen wann ich will, immer sitzt sie bei ihrer Arbeit mit verweinten Augen, bleich und täglich abgehärmter aussehend. Sie versinkt mir hier noch ganz in ihren Sehnsuchtskummer, und … Aber, unterbrach sich hier Pechtold in seiner eifrigen Rede – was ist Ihnen denn, Papa Hammer? Sie sind ja ganz ernst geworden, ich glaube gar, Sie fangen mir zu weinen an –

Ach, versetzte Hammer, indem er mit einem Schnupftuche an die Augen fuhr – es ist ja kein Wunder; denn in diesem beredten Gemälde fremden Liebesharms malen Sie da eine so wehmüthige Seite meines eigenen Schicksals –

Ihres Schicksals?

Ja, Joseph Pechtold, so ist es! fuhr Hammer schluchzend fort; das kummervolle Individuum, welches hier vor Ihnen zu stehen die ausgezeichnete Ehre besitzt – was ist es anders, als ebenfalls ein beklagenswerthes Opfer vornehmen Leichtsinns – O, der Leichtsinn, der Leichtsinn! Herr Pechtold, haben Sie wohl Feuerzeug bei sich?

Herr Hammer stopfte bei diesem Schluß seines Gemüthsergusses an seiner erloschenen Pfeife.

Pechtold sah ihn kopfschüttelnd und bedenklich an.

Herr Hammer, nehmen Sie sich in Acht, sagte er und deutete auf die Stirn; dann zog er ein Zündholzbüchschen hervor und fuhr, während er an die nächste Wand trat und eins der Zündhölzer in Brand setzte, fort: Aber was ich sagen wollte, – jetzt habe ich die Geschichte satt und mache ein Ende. Das Mädel reist ab. Ich sende sie fort, weit fort von hier, zu einer Verwandten, die auf dem Lande lebt, da hoffe ich, wird sie schon nach und nach auf andere Gedanken kommen.

Also dazu die Reisevorbereitungen dort? fragte Herr Hammer.

Dazu – über eine Stunde geht die Post.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Glasthüre, welche von der Treppe her in den Vorraum führte, und ein junger Mann trat in das Zimmer.

Es war eine einnehmende Erscheinung, etwas derb, die regelmäßigen Züge wie von Luft und Wetter gebräunt, das Haar lockig, die Gestalt von mittlerer Größe, aber kräftig und elastisch auftretend, eine Persönlichkeit, welche im ersten Augenblicke Jedermanns Wohlwollen gewinnen mußte. Die blauen Augen blickten frisch und muthig in die Welt, doch war nebenbei etwas darin, was über den Ausdruck bloßer jugendlicher Heiterkeit hinauslag und einem Anfluge harmloser Schlauheit gleich sah. Er war in eine Art von Costüm gekleidet, die etwas von einem Jägeranzuge hatte und jedenfalls den Landbewohner verrieth; das Halstuch war sorglos umgeknüpft und ein weißer Hemdkragen darübergeschlagen.

Ah sieh da, mein kundiger Thebaner, rief Herr Hammer beim Eintreten dieses jungen Mannes aus, indem er ihm entgegen eilte und die Hand schüttelte, – das ist brav, daß Sie Wort halten – das ist brav. Freilich so früh hätte ich Ihren angenehmen Besuch nicht erwartet. –

Wie geht's, alter Herr? versetzte der junge Mann, Hammer die Hand drückend.

Ach, wie sollte es gehen, – um mit jenem griechischen Weltweisen zu antworten: wie einer Seifenkugel, – immer im Abnehmen! Aber treten Sie näher, fuhr Hammer fort, indem er die Thür seines Zimmers öffnete, – treten Sie ein in diese bescheidenen Räume, in welchen, ich darf sagen, ein interessantes individuelles Schicksal sich birgt. Sie selbst sind Philosoph genug, um über den äußeren Schein – der allerdings hier noch etwas staubig sein dürfte, denn mein dienstbarer Geist, mein Ariel, ist aus seinen erhabenen Lichtregionen noch nicht herabgeschwebt, um in meiner stillen Einsiedlerzelle aufzuräumen und – –

O, das thut nichts, das thut nichts, unterbrach ihn lachend der junge Mann, der während der Rede Hammers in das Wohnzimmer desselben eingetreten war und sich mit heiterer Miene darin umsah.

Die Residenz des alten Herrn machte in der That auch einen heiteren Eindruck. Das Zimmer war klein, mit einer sehr verbleichten Tapete bekleidet, und bot ein wahres Muster einer genialen Junggesellenwirthschaft dar. Kleider, Bücher, Wäsche, Papiere, Schuhe, das Alles bedeckte die Tische und die Stühle; ein großes Tintenfaß stand auf einem wackeligen Stuhle mit einem zerbrochenen Beine, und schwebte deshalb in der fortwährenden Gefahr, bei einer nicht hinreichend rücksichtsvollen Annäherung auf den Boden zu stürzen; das Brett mit dem Kaffeegeschirr, welches auf einigen Büchern oder anderen Gegenständen von ungleichem Volumen, die den runden Tisch in der Mitte des Zimmers bedeckten, placirt worden war, bildete eine schiefe Ebene, und mithin für einen an equilibristische Künste bei Porzellangeschirr nicht gewohnten Beschauer einen etwas ängstlichen Anblick.

Die alte Kaffeekanne, welche so schief stand wie der Thurm von Pisa, schien jedoch in dieser Situation ganz gemüthsruhig auszuharren. Die Erfahrung eines ereignißreichen Lebens mochte sie freilich gelehrt haben, einen etwaigen Unfall mit ganz anderen Augen zu betrachten, wie es irgend ein junges unerprobtes Porzellan-Manufacturproduct zu thun im Stande gewesen wäre; sie trug wenigstens Spuren an sich, daß sie sich immer mit großer Geistesgegenwart bei Unglücksfällen aus der Affaire gezogen, und stets mit einem blauen Auge, – wie z. B. dem Verluste des Henkels, der Nase, oder eines Segments des Deckels davon gekommen war.

Einige lithographirte Bildnisse berühmter Theatergrößen, die mit kleinen Nägeln auf der Tapete befestigt waren, machten den Schmuck der Wände aus. Herr Hammer faßte die Lehne eines der Stühle, gab demselben einen freundlichen Ruck und befreite ihn von seiner sämmtlichen Last, die polternd auf den Boden glitt; dann stellte er ihn mit einer Verbeugung für den Fremden an den Tisch in der Mitte. Hierauf langte er eine Anomalie, welche sich in diesem Wirrwar befand, nämlich einen sehr sauber gestickten und ganz neuen Pantoffel von einem Eckschrank herunter und machte eine Bewegung, als ob er ihn dem jungen Manne präsentiren wollte, zog ihn dann aber rasch wieder zurück, wobei der Letztere das Klingen von Geldstücken hörte.

Es scheint, Sie ziehen Ihren baaren Fonds Pantoffeln an, scherzte der Fremde, – wahrscheinlich um sie am – Ausgehen zu verhindern!

Ach, wenn uns das gelänge, sie am Ausgehen zu verhindern – wie gut wäre das, antwortete Hammer mit einem komischen Seufzer – aber hier den Zwillingsbruder wollte ich Ihnen präsentiren – damit stellte Herr Hammer den andern Pantoffel vor seinen Gast hin, und der sah nun, daß diese Hälfte einer hübschen Fußbekleidung dem alten Herrn als Cigarrendose diente.

Nehmen Sie, mein werther Herr von Gudeneck, sagte Hammer und suchte dann unter den Gegenständen, die auf dem Tische lagen, nach seinem Feuerzeug, wobei die alte Kaffeekanne in die bedenklichsten Schwankungen gerieth.

Der junge Mann hatte den Pantoffel aus der Hand Hammer's genommen und, nachdem er sich eine Cigarre ausgewählt, betrachtete er die saubere Stickerei an demselben lange und aufmerksam.

Nicht wahr, das ist hübsch, mein junger Freund? Es ist eine Stickerei, ein kleines Präsent von meiner Tochter! bemerkte Herr Hammer, vergnügt lächelnd.

Von Ihrer Tochter – ich dachte es mir! antwortete der junge Mann, einigermaßen in Gedanken verloren über dem Anschauen der sauberen Arbeit.

Es ist wahrhaftig zu gut, es unter die Füße zu bringen, sagte der alte Herr. Ich habe beide Zwillingsbrüder einem höheren Berufe gewidmet.

Ihre Tochter stickt mit sehr viel Kunst und Geschmack! bemerkte der Fremde.

Sie ist ein ganz ausgezeichnetes Mädchen – antwortete Herr Hammer, augenscheinlich sehr vergnügt bei der Erwähnung dieses anziehenden Gesprächsgegenstandes – eine vollendete Jungfrau! Ja, ich darf sagen in allen Beziehungen ausgezeichnet; obwohl sie in ihrem Naturell, in ihrer Denkungsart und in ihrem Aeußern, das leibhafte Ebenbild ihres armen Vaters darstellt!

Der junge Mann schien diese Versicherung nicht mit derselben innern Befriedigung aufzunehmen, womit sie gemacht wurde. Er sah etwas betroffen in die Züge des alten Herrn.

Also sie gleicht Ihnen, Herr Hammer? – Ist Ihre Tochter verheirathet? sagte er nach einer Pause.

Unverheirathet – von Hymens Banden ungefesselt!

Der Fremde stieß einen schweren Seufzer aus.

Das ist bei Gott nicht Recht von ihr, antwortete er – sie hätte nicht so lange warten sollen, das Glück irgend eines braven Jünglings zu gründen.

Und weshalb entfährt Ihrer Brust dabei ein so tief schmerzlicher Seufzer, Herr von Gudeneck?

Mein theurer, alter Herr – ich müßte weit ausholen, um Ihnen das zu erklären!

Holen Sie weit aus – holen Sie immerhin – versetzte Hammer eifrig; wenn Sie mir vielleicht in Ihrem gütigen Urtheil über mich die Kunst, mich in gewählter Rede ausdrücken zu können, auch nicht einräumen – die schwerere Kunst, hören zu können, besitze ich, ich darf sagen, in anerkennenswerthem Maße!

Sie waren früher Schauspieler, Herr Hammer?

Ja, ich war Schauspieler – viel bewunderter, oft unvergleichlich genannter Darsteller von despotischen Vätern, Königen, Helden und Tyrannen. Nach meinem gewissenhaft geführten Tagebuch bin ich 776 Mal herausgerufen; ausgezischt während meiner ganzen langen Laufbahn nur etwa 30 Mal; mit anderen fühlbaren Zeichen des öffentlichen Mißvergnügens begrüßt noch weit seltener – und zwar immer nur aus ganz persönlichen Motiven – Feindschaften, Kabalen, wissen Sie, Mißverständnissen meiner plötzlich aufwallenden, vielleicht auch in der That durch zu spirituöse äußere »Einflüsse« angeregten Heiterkeit, in welche das bornirte Publikum sich nicht zu finden wußte – doch, lassen wir – den Vorhang darüber fallen; die schönen Tage von Aranjuez sind, ach, vorüber!

Die schönsten Tage dabei aber waren doch wohl nicht die von Aranjuez, sondern die von Strilowitz.

Junger Mann, fuhr der alte Herr, höchlichst überrascht vom Klange dieses Wortes auf – was wissen Sie von Strilowitz?

Wo Sie mit einer sehr anständigen Truppe im Rathhaussaale spielten und den Ferdinand in Cabale und Liebe gaben?

Herr des Himmels – stehen die Geister verschwundener Tage vor mir auf? Strilowitz! Wie zittert dieser Klang in meiner Seele wieder! O Jüngling, setzte Hammer hinzu, indem er gerührt die Hand seines Gastes ergriff – sprechen Sie mir von Strilowitz!

Ja, mein werther Herr, antwortete tief seufzend der Letztere – mit Ihnen von diesen Geschichten zu sprechen – dazu bin ich just hergekommen.

Sind Sie hergekommen? junge männliche Sphinx, spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!

Sie haben Recht, alter Herr – ich muß mit der Sprache heraus: seit vierzehn Tagen, die ich jetzt in der Stadt zubringe, schiebe ich es von einem Tage zum anderen auf – diesen Morgen aber habe ich einen Brief und darin eine so nachdrückliche Ermahnung von meinem Onkel Grottkau bekommen –

Grottkau – o Herr der Heerschaaren – das ist Ihr Onkel?

Mein leiblicher Onkel, meiner Mutter Bruder.

Rührende Erkennungsscene zweier edlen verwandten Herzen! schrie der alte Herr, außer sich vor Vergnügen über diese Mittheilung und drückte den jungen Mann stürmisch an seine Brust.

Der Letztere hatte Mühe, ihn zu beruhigen.

Nun, sein Sie vernünftig und hören Sie mich ruhig an, Herr Hammer – es sind sehr ernste Angelegenheiten, wegen deren ich hierher gekommen und Ihre Bekanntschaft gesucht habe, die damals, in dem Kaffeehause, wo ich zuerst ein Gespräch mit Ihnen anknüpfte, nicht so ganz vom Zufall vermittelt wurde, wie Sie wohl angenommen haben.

O ich höre – ich bin nur noch Ohr, nichts als Ohr, ungeheuer Ohr! sagte Hammer, sich die Hände reibend und sich vor dem jungen Mann auf den Tisch setzend.

Also, begann der Letztere, der Philipp von Gudeneck hieß – als Sie erster Liebhaber in Strilowitz waren, verliebte sich ein junges adeliges Fräulein aus der nächsten Nachbarschaft in Ihr adorables Talent und Ihre kunstreich gekräuselten Locken. Diese Leidenschaft aber blieb von Ihrer Seite nicht unerwiedert. –

Edler junger Mann – Sie geben da in wenig Worten den kurzen Inhalt einer langen, langen Geschichte –

Lang scheint sie doch nicht gewesen zu sein, unterbrach ihn lächelnd Philipp – denn als Sie und das Fräulein bemerkten, daß Ihre romantische Neigung sich mit den Sie umgebenden Verhältnissen auf keine Weise in Harmonie bringen lasse, da entschlossen Sie sich kurz und gingen durch.

Ja – es ist so! Sie floh mit mir – ach, es war nur zu sehr eine flüchtige Glückseligkeit! rief Hammer aus.

Das Fräulein war die einzige Tochter meines Oheims Grottkau. Nun weiß ich nicht, ob Sie hinreichend Gelegenheit gehabt haben, zu beobachten, daß mit diesem alten Herrn nicht zu spaßen ist. Genug, – als ihm die unerhörte Thatsache klar wurde, daß seine einzige Tochter mit einem, verzeihen Sie mir – Schauspieler – durchgegangen, da ging er in seiner Heftigkeit zu allen äußersten Schritten über; er verfluchte seine Tochter, er machte ein Testament, worin er sie auf den schmalen Pflichttheil setzte und er verbot, in seiner Gegenwart ihren Namen zu nennen. Mich, den Sohn feiner Schwester, nahm er an Kindesstatt an und bestimmte mich zu seinem Erben.

Ja wohl, ja wohl – er hatte kein Herz für die Kunst – der harte Mann! sagte Hammer, seine Augen mit dem Tuche wischend.

Das ist nun schon eine hübsche Reihe von Jahren her, fuhr Philipp fort; seitdem ist der Oheim Grottkau sehr alt und hinfällig geworden und von der Gicht an seinen Sorgenstuhl gefesselt. Dies hat ihn denn auch auf andere Gedanken gebracht; es ist so etwas wie Reue über ihn gekommen; er möchte seine Härte wieder gut machen – er hat gehört, daß seine Tochter sich hat von Ihnen scheiden lassen, daß aber eine Enkelin da ist – und nun hat er sich's in den Kopf gesetzt und verlangt mit derselben stürmischen Heftigkeit, womit er einst ein Unrecht beging, von mir die Sühne des Unrechts; er will, daß ich diese Enkelin aufsuche und sie heirathe – damit sein Gut und sein Vermögen ihr zufalle, ohne daß ich leer ausgehe!

O dieser wackere Greis! rief Hammer aus; ja, ich sag es:

Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!

Mein vortrefflicher Vetter – Sie haben gut jubiliren, sagte Philipp; aber ich!

Dabei stand er auf und schritt mit verschränkten Armen einige Mal in dem kleinen Zimmer auf und ab.

Sie? Sie? der Glückliche, dem ein solches Juwel von einem Mädchen bestimmt ist?

Dem sie octroyirt wird, – ja wohl!

O danken Sie allen Himmlischen dafür! jubelte Hammer.

Philipp warf sich wieder auf seinen Stuhl. Wie gesagt, fuhr er fort, mein Onkel Grottkau, dem ich geschrieben hatte, daß ich Sie richtig aufgefunden und kennen gelernt, drängt mich heftig vorwärts in dieser Sache und so mußte ich denn heute bei Ihnen mit der Sprache heraus. Für's Erste bitte ich Sie um Verschwiegenheit gegen Ihre Tochter, bis ich das Fräulein wenigstens gesehen habe. Und damit ich dies einleiten kann, geben Sie mir die nöthigen Aufschlüsse, wo sie sich befindet.

Bei ihrer Mutter befindet sie sich – wo anders sollte sie aufwachsen, diese zarte Blume als im mütterlichen Sonnenschein Minona's!

Ihre Mutter heißt Therese, so viel ich weiß!

Ja, aber Minona hat mein liebendes Herz sie getauft – o Minona! fiel Hammer schwärmerisch ein.

Sie hat sich wieder verheirathet?

Ja, sie hat sich von mir scheiden lassen – hat wieder geheirathet – heißt jetzt Frau Räthin Meddlhorst – o Räthin, wie übel warst Du damals berathen,– aber:

In Unschuld heb' ich meine reinen Hände!

sagte Hammer emphatisch.

Meddlhorst? wiederholte Philipp – das Haus kenne ich bereits. Ich habe auch einen Brief meines Oheims an die Cousine!

Sie haben einen Brief an sie? Und den halten Sie ruhig in der Tasche und eilen nicht, ihn zu überbringen? Felsenherz! Grausamer Jüngling! Das vermögen Sie über sich, der armen Minona dieses Pfand wieder erwachter väterlicher Liebe vorzuenthalten? Sie verzögern kaltblütig den Moment, wo Entzücken sie überströmen wird beim Anblick so theurer Züge?

Ja – Sie haben Recht – es ist auch eigentlich unverantwortlich von mir! sagte Philipp etwas betroffen – es läßt sich in der That nicht länger aufschieben … ich will auch zu ihr gehen.

Philipp stand auf.

Halt, halt, nur nicht zu rasch, mein junger Freund, rief Hammer jetzt aus, indem er von seinem Platz auf dem Tisch hinabglitt – an diesen Schritt knüpft sich mehr – und das ist wohl zu überlegen! Minona wird mit Ihnen reden – das Gespräch wird auf mich kommen – o sicherlich – ich weiß, es wird auf mich kommen und dann –

Nun, und dann?

O, dann ist viel in Ihre Hand gegeben, mein junger Freund; bedenken Sie das! Sprechen Sie sich unverholen über mich aus. Schildern Sie ihr, welchen Eindruck dieser Mann – Herr Hammer klopfte bei diesen Worten sehr nachdrücklich auf seine Brust – Ihnen machte. Schildern Sie ihr seine Erscheinung; lassen Sie sie den ganzen Umfang seiner geläuterten Gefühle ahnen. Sprechen Sie von seinen erleuchteten Grundsätzen. Berühren Sie auch, ich bitte, den tragischen Contrast seiner Gesinnungen mit seiner socialen, ja wohl, socialen Stellung – darf ich bitten, daß Sie sich dieses Ausdrucks bedienen? Der Vers:

Ich bin ein Mann, an dem
Man mehr gesündigt, als er sündigte,

würde, an richtiger Stelle citirt, vielleicht zur eindringlichen Unterstützung Ihrer Rede dienen und derselben jedenfalls einen angenehmen Schwung verleihen. Unter allen Umständen aber rufen Sie ihr Schillers unsterbliche Worte ins Gedächtniß:

»Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?«

Mit Vergnügen! antwortete Philipp lächelnd.

Und wenn, fuhr Hammer fort, wenn sie mit Hamlet fragt: »wie er blickt,« antworten Sie mit Horatio:

Eine Miene, mehr
Des Leidens und des Zorns und äußerst blaß! –
sonst aber vortrefflich conservirt! –

Wahrhaftig, ein gut Theil meines Schicksals vertraue ich Ihren Schultern, Jüngling, Vetter, Freund!

Mit diesen Worten legte der alte Herr seine Hände Philipp pathetisch auf die Schultern, und schaute mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in die Augen des vor ihm Stehenden. Dann aber rieb er diese eben noch so feierlich erhobenen Hände gegen einander und lief in einem kleinen Trabe vor Vergnügen in seiner Clause auf und ab, während er schmunzelnd halblaut vor sich hinsagte:

Alles, Alles ist gewonnen! Diese Botschaft vom alten Oger von Papa wird Minona's Herz in sanfte Empfindungen auflösen. Ihr erweichtes Gemüth wird meiner tiefen Innigkeit nicht länger Widerstand leisten. Ja, sie wird mir selbst entgegenkommen. Muß nicht zu diesem Bunde der jungen Leute meine väterliche Einwilligung eingeholt werden? O wie gut ist es, wenn der Mensch Vater ist! Nun, mein patriarchalischer Segen wird ihnen nicht entstehen! Ein doppelt heiliger Segen – für sie die Bürgschaft des Glücks – für mich die Brücke zur Versöhnung mit meiner Minona! – Ach, und mein süßes Töchterlein! Wie wird sie sich freuen, einen so trefflichen Gemahl zu bekommen.

Jedenfalls aber, mein werther Herr Vetter, fiel ihm hier Philipp in sein halblautes Selbstgespräch – jedenfalls aber halten Sie gegen Ihre Tochter noch reinen Mund – ich muß sehr darum bitten, bis ich das Fräulein gesehen habe!

O, sein Sie ohne Sorge!

Ihre Hand darauf!

Hier ist sie! antwortete Hammer und streckte Philipp feierlich die Hand hin.


Während diese inhaltschwere Unterhaltung in der Wohnung Hammers statt hatte, ward eine zweite nicht minder folgenreiche in dem Vorzimmer gepflogen, in welchem wir zuerst den vortrefflichen alten Herrn antrafen.

Herr Pechtold, der Fuhrwerksunternehmer, war, nachdem Hammer mit seinem jungen Gaste sich in das Innere seiner Gemächer zurückgezogen hatte, ebenfalls in seine Wohnung zurückgetreten, um sich zum Ausgehen anzukleiden. Er mußte in seinen Stall, um nach Pferden und Knechten zu sehen, und dann wollte er ein junges Ehepaar, welches einen Stadtwagen zum Besuchefahren bei ihm bestellt hatte, höchsteigenhändig in den Straßen umherkutschiren. Deshalb war es ihm auch nicht möglich, seine Schwester, die, wie wir wissen, am heutigen Morgen abreisen sollte, selbst zum Posthofe zu bringen. Er mußte zu Hause Abschied von ihr nehmen, und als er dies gethan und nun ging, begleitete sie ihn mit rothgeweinten Augenlidern durch den Vorraum, wo ihre Koffer standen.

Ich sende Dir einen Träger herauf, sagte er, als Beide zusammen durch das Gemach schritten. Reise mit Gott, Kind, und lebe herzlich wohl, hörst Du! Grüß mir auch die alte Tante; amüsire Dich draußen wo Du kannst und schlag Dir die Grillen aus dem Kopfe – im Herbst komm' ich zu Euch hinaus und schau zu, ob die Kur angeschlagen hat – nun Adieu, Julie!

Adieu, Adieu Joseph! sagte das Mädchen, dem Bruder an der Glasthür, welche zur Treppe führte, noch einmal die Hand schüttelnd – und dann kehrte sie zurück, in ihren schönen Zügen die Spuren schmerzlichster Erregung.

Julie Pechtold war in der That ein auffallend schönes Mädchen. Besonders war ihre Gestalt wahrhaft klassisch zu nennen, so hoch, so schlank und imponirend, daß sie zu einer Juno hätte Modell stehen können.

Sie trat an das Fenster, lehnte sich auf die Brüstung und blickte eine Weile schwermüthig nach dem blauen Stück Himmel auf, welches über dem Dächergewirr vor ihr sichtbar war. Dann wandte sie sich plötzlich, denn sie vernahm, daß die Glasthür abermals geöffnet wurde. Die Eintretende war Niemand anders als das Fräulein vom gestrigen Abende, als Fräulein Marie.

Julie eilte auf die Eintretende zu und streckte ihr beide Hände entgegen.

Sie, Fräulein? sagte sie – o wie freundlich ist das von Ihnen – wenn ich nicht zu anmaßend bin zu glauben, daß Sie meinetwegen kommen!

Nein, Julie, nur Ihretwegen komme ich – ich wollte Sie noch einmal sehen, bevor Sie reisen. Es ist ja eine Abwesenheit von langer Dauer, welche Sie vorhaben …

Von langer Dauer! ja, von sehr langer, Fräulein Marie – und wer weiß, setzte Julie mit einem etwas übertriebenen Pathos hinzu – wer weiß, ob wir uns jemals wiedersehen! Marie, ich fühle, daß mir das Herz gebrochen ist. Es ist mein Tod!

Nun weshalb nicht gar! Nehmen Sie es nicht gar zu tragisch, Julie!

Julie machte eine Bewegung mit dem Arm, als wollte sie andeuten, daß das Verständniß ihres Kummers eben nicht Jedermanns Sache sei.

Wenn Sie hören, sagte sie dann und faßte Mariens Hand und drückte sie krampfhaft, wenn Sie hören, daß Ihrer armen Julie irgend ein Unglück zugestoßen, daß man ihre Leiche auf dem Grunde eines crystallhellen Gewässers gefunden habe, das lange Haar verschlungen mit den Ranken der vom Abendwinde geschaukelten Wasserlilien. –

Um Gotteswillen, wohin gerathen Sie, Julie, unterbrach Marie hier das trauernde Mädchen – welche Ueberspannung! Nein, nein, Ihre Reise, die Aenderung aller Verhältnisse, das Landleben mit seinem Reize wird Sie zerstreuen und heilen, und bald werden Sie glücklicher sein, als wir armen Gefangenen hier in der Stadt, welche Sie hinter sich zurücklassen.

Arme Gefangene nennen Sie sich? O Marie, – nahm Julie sehr eifrig das Wort – wüßten Sie, wie ich Sie beneide, die Sie hier das Leben der Stadt genießen, aber auch wirklich es genießen, als große Dame, in seidnen Roben und sammetnen Mantillen, in kostbarem Schmuck und in schönen Equipagen – gebietend und spielend mit einer Schaar von Verehrern … o wenn ich es so genießen könnte, das Leben, dann wäre Alles anders, dann läge Er zu meinen Füßen, dann würde ich von ihm auf den Händen getragen und zwischen mir und ihm, zwischen unserem unaussprechlichen Glück stände nichts anders, als was ich selbst, um ihm ein wenig meine Macht fühlen zu lassen, dazwischen stellen würde! O mein Gott, welches Leben! Alles, Alles wäre dann gut – dann wäre ich nicht verlassen, nicht mein Herz gebrochen – ja wäre ich nur eine kurze Spanne Zeit hindurch nicht die arme Stickerin, das schutzlose Mädchen von geringer Herkunft, das sich von Handarbeit nährt – nur einen Monat, nur eine Woche lang eine vornehme Dame – wie würde er zu mir zurückkehren, wie würde er wieder mein Sklave sein – denn er liebt mich, er liebt mich doch, Marie – das sagt mir eine innere Stimme – er folgt nur mit blutendem Herzen seiner Vernunft, indem er sich sagt, daß aus einer Verbindung zwischen ihm und der armen Julie Pechtold niemals etwas werden könne …

O Julie, unterbrach hier Marie ihre Freundin, die sich in eine vollständige Leidenschaft hineingeredet hatte – wie gern wollte ich Ihnen den Platz im Leben, den ich einnehme, räumen, und dafür den Ihrigen für mich einnehmen! Wie glücklich wäre ich dann – statt daß ich jetzt namenlos unglücklich bin. O weshalb kann man nicht seine Schicksale tauschen! Sie wünschen sich an meine Stelle – und ich, stände ich an der Ihrigen, so wäre uns Beiden geholfen. Ich stände dann nicht mehr inmitten dieses unglückseligen Verhältnisses zwischen meinen Eltern, an dem mein Herz verblutet!

Marie schwieg und Julie schien über das, was ihre Freundin ihr so eben gesagt, in tiefes Sinnen zu verfallen. Das Verhältniß, welches Marie in ihren letzten Worten berührt, war allerdings für das empfindende Herz einer Tochter traurig genug. Julie wußte darum. Als Mariens Vater noch ohne die Unterstützung und die Hülfe seiner Tochter gewesen, welche erst kürzlich aus der Pension zurückgekommen war, – da hatte Julie sich aus menschenfreundlichem Eifer des alten Herrn angenommen. Sie hatte für ihn gesorgt, wie und wo sie gekonnt, hatte ihn während eines Unwohlseins gepflegt – hatte unermüdlich sich Opfer für ihn auferlegt – das hatte, als Marie nun selber gekommen und ihren Vater wiedergesehen, die letztere zu tiefer Dankbarkeit gerührt und daher war die innige Freundschaft der beiden, so verschiedenen Lebenskreisen angehörenden Mädchen entstanden.

Julie war auch von Marie in alle ihre Verhältnisse eingeweiht. Jene wußte, daß nach kurzer, sehr unglücklicher Ehe Mariens Mutter sich hatte von deren Vater scheiden lassen, daß Marie, damals ein Kind im zartesten Alter, dabei ihrem Vater zugesprochen worden war; daß sie bis zu ihrem sechsten Jahre ihres Vaters nomadisirende Lebensweise getheilt hatte. Der wandernde Kunstjünger, der unstät bald bei dieser, bald bei jener Truppe ein Engagement gefunden, hatte endlich gefühlt, daß ein junges Mädchen eine solche Existenz nicht länger theilen dürfe, wenn irgend etwas aus ihr werden solle. Deshalb hatte er sie, als sie sechs Jahre alt geworden, seiner geschiedenen Frau zugesandt, mit den lakonischen Zeilen:

»Ich übergebe Dir unser Kind – erziehe es bis ich komme, es zurückzufordern.«

Mariens Mutter hatte früher gewiß schmerzlich ihr Kind entbehrt. – Als dasselbe ihr aber so unverhofft zugesandt wurde, da mochte es gerade im unpassendsten Augenblick kommen. Sie nahm es wenigstens nur auf, um es gleich wieder zu entfernen; sie ließ es in einer entlegenen Pension unterbringen. Die jetzige Räthin, die nach ihrer Scheidung bei einer Verwandten in einer ziemlich entfernten Stadt gelebt hatte, stand nämlich damals gerade im Begriff, sich wieder zu vermählen. War sie doch schön, von gutem Hause, hatte ein bedeutendes mütterliches Vermögen – so kam es, daß es ihr an Bewerbern nicht fehlte, unter denen sie einem angesehenen Banquier den Vorzug gab. Der war nach einiger Zeit mit ihr hierhin, nach der Residenz, übergesiedelt und nun seit etwa drei Jahren gestorben; aber erst ganz vor Kurzem hatte die Wittwe ihre Tochter endlich aus der Pension zurückkommen lassen und zu sich genommen. Da keine Seele hier von ihrem früheren Verhältniß wußte, so hatte sie Marie einfach als Tochter aufgeführt, ohne sich viel in Debatten über die Herkunft des jungen Mädchens einzulassen.

Seit einigen Monaten aber war auch Mariens Vater hierhin, in den Wohnort ihrer Mutter, gekommen. Zwei Tage, nachdem Marie sich im mütterlichen Hause befunden, hatte sie eines Abends ein Billet erhalten, worin sie aufgefordert wurde, in den vierten Stock eines Hauses der Leonardsstraße zu ihrem Vater zu kommen! Sie war in heftigster Bewegung heimlich zu ihm geeilt und hatte ihn in trostloser Lage gefunden. Er war alt geworden und hatte kein Engagement mehr gefunden, weil ihn nach und nach die nöthigen Kräfte dazu verlassen hatten. Seine Absicht war nun, eine Versöhnung mit seiner geschiedenen Frau zu suchen. Marie sollte dazu als Vermittlerin dienen.

Er war naiv genug, keine großen Schwierigkeiten für diesen seinen Plan zu sehen. Wie wenig kannte er die Welt und das Gemüth der Frau, welche ihn einst geliebt hatte! Nur mit Mühe hielt Marie ihn ab, einen unheilvollen Schritt zu thun, sich der Räthin an der Hand seiner Tochter ohne Weiteres vorzustellen – und Alles zu verderben. Endlich bewog Marie ihn, für's erste und bis vielleicht ein Moment gekommen, in welchem sie unternehmen dürfe, bei der Räthin etwas für ihn zu thun, sich ganz still und verborgen zu halten.

Unterdeß sorgte sie für ihn, so gut sie vermochte. Sie hatte ihre Ersparnisse; kalt wohl, aber karg war ihre Mutter nicht gegen sie gewesen; sie besuchte den alten Herrn so oft sie es thun konnte; Abends, wo sie eine Singstunde nehmen mußte, fand sich dazu die schicklichste Gelegenheit; sie eilte nach der Stunde in die Leonardsstraße, meist begleitet von der Singlehrerin, welche sie in's Geheimniß gezogen hatte, und damit sie bei diesen abendlichen Gängen nicht auffalle, war sie immer in der allerunscheinbarsten und einfachsten Tracht gekleidet, welche ihr zu Gebote stand.

Das waren im äußeren Umriß die Verhältnisse, in welchen Marie sich befand und die auch Julie kannte; aber es war noch viel Anderes da, was Mariens Herz mit Kummer erfüllte und was sie ihrer Freundin anvertraute, weil sie nun einmal niemand Anderes hatte, dem sie es anvertrauen konnte, und weil sich Julie, trotz ihres kleinen Ansatzes von Ueberspannung, ihr von der zuverlässigsten und gewinnendsten Seite gezeigt hatte. Besonders war es Mariens Verhältniß zu ihrer Mutter, was Jener wie eine quälende Last auf der Seele lag.

Darin müssen Sie, sich schicken, Fräulein, sagte Julie, als Marie auch heute diesen Gegenstand berührte – das ist leider nur zu oft der Fall, daß eine Mutter kein Herz hat für eine heranwachsende Tochter, die sich in der vollen Blüthe zu entfalten beginnt, während …

O das nicht – das nicht, fiel Marie ein. Sie beurtheilen meine Mutter zu hart. Daß wir uns so wildfremd bleiben, als stände ein Welt zwischen uns, liegt an den Verhältnissen und liegt wohl meist an mir selbst. Nicht allein, daß ich meine Mutter durch mein Dasein an eine Zeit erinnere, welche sie vergessen möchte – ich passe auch nicht in ihre Weise, nicht in ihr Haus. Ich bin schüchtern – einfach – still – ich verstehe es nicht zu gefallen. Wenn meiner Mutter Blick auf mir ruht, dann stockt mir das Herz. Wenn Alle, welche sie umgeben, bei ihrer lebhaften Unterhaltung recht herzlich lachen, dann habe ich oft Lust, eben so herzlich zu weinen. Es ist wahrlich nicht meiner Mutter Schuld, daß ich über meine spröde triste Natur nicht Herrin werden kann. –

O, das ist es doch! unterbrach sie hier Julie. Sie hätte Ihre Erziehung nicht wildfremden Menschen überlassen sollen; sie hätte es verstehen sollen, das Herz ihrer Tochter für sich zu gewinnen, es froh und offen zu machen …

Es ist nun einmal kein gemeinsames Band zwischen uns, versetzte Marie; wir sind Naturen, die nicht zusammen passen. Das fühlt meine Mutter wie ich, und deshalb mag sie sich keine Aufgabe stellen, deren Fruchtlosigkeit sie einsieht. Wäre ich anders, wäre ich wie Sie, Julie – ja dann, dann wäre Alles gut. Eine Tochter wie Sie würde ihr gefallen. Es würde ihr schmeicheln, in einem so schönen, lebhaften, unternehmenden und entschlossenen Mädchen ihre eigene Jugend wiedergespiegelt zu sehen. Sie würden ihren Salon füllen, würden ihre Gäste zu unterhalten wissen, anstatt, daß ich armes Aschenbrödel nichts kann, als mit ungeschickt zitternden Händen die Theetassen präsentiren. Ja, wären Sie an meiner Stelle! Sie sprachen vorhin von einem Vertauschen der Schicksale; freilich, es ist schmerzlich, das zu denken, wie unser Kummer so oft nur unser Kummer ist, und wie ein Anderer in unserer Lage völlig glücklich sein würde, wir dagegen glücklich in der seinen, die doch ihn vielleicht zur Verzweiflung bringt. Ja wohl, könnte man da tauschen!

Julie blickte düster vor sich hin, sie verschränkte die Arme und stützte den Oberkörper auf die Brüstung des offenen Fensters.

Würden Sie denn glücklich sein in meiner Lage – sagte sie – verurtheilt, sich auf das Land zu verbannen, sich in die idyllischen Genüsse der Heuernte oder der Zwetschenlese zu vertiefen und Abends einer alten Tante aus dem Agathokles Caroline Pichler: Agathokles. Historischer Roman. 1808. – Anm.d.Hrsg. oder den Löwenrittern Christian Heinrich Spieß: Die Löwenritter: Eine Geschichte des dreizehnten Jahrhunderts. Historischer Roman. 1794. – Anm.d.Hrsg. vorzulesen?

Ich kann mir schon denken, Julie, es wird nicht wenig da draußen zu Ihrem Kummer beitragen, sagte Marie in neckendem Tone lächelnd, daß Sie nicht mehr die Leihbibliothek mit immer frischer Waare zur Hand haben! Aber im Ernst, fuhr sie fort, in Ihrer Lage würde ich freilich glücklich sein, vorausgesetzt, daß ich nicht auf das Land hinaus brauchte, sondern daß ich ganz so wie Sie hier bleiben und dabei immer um meinen armen Vater sein, für ihn sorgen, ihn pflegen könnte! Ja, dann wäre ich glücklich!

Die beiden jungen Mädchen machten eine Pause in ihrem Gespräch.

Endlich hub Marie wieder an:

Julie, es ist etwas, was ich Ihnen noch zu sagen kam, und das bisher nicht recht über meine Lippen wollte –

Julie sah sie fragend an.

Er – Sie verstehen, wen ich meine?

Julie nickte mit dem Kopfe, indem sie ihre Züge von Marie abwandte.

Er hat um meine Hand geworben!

Was? Er? Um Ihre Hand geworben? rief Julie heftig auffahrend aus.

Ja! Er hat mir seit einigen Tagen auffallend den Hof gemacht. Gestern Abend hatte ich noch eine längere Unterredung mit ihm, an deren Schlusse ich wahrlich nicht glaubte, daß ich ihm darin eine Ermuthigung gegeben. Und doch, obwohl es mir unbegreiflich ist, muß er so etwas darin gesehen haben; denn späterhin hat er in einer Zwiesprache unter vier Augen mit meiner Mutter ihr die Eröffnung gemacht, daß er sich um mich bewerbe, daß er sie bitte, diese Bewerbung zu unterstützen …

O mein Gott! seufzte Julie aus tiefster Brust.

Und meine Mutter, fuhr Marie fort, scheint es nicht der Mühe werth gefunden zu haben, viel Federlesens mit mir zu machen. Sie hat mir diese Unterredung heute Morgen beim Frühstück mitgetheilt, und mir dabei ohne viel verhüllende Redensarten zu verstehen gegeben, daß sie mich Holdau zugesagt und daß ich ihn heirathen werde. O mein Gott! seufzte Marie, als sie diese Worte gesprochen und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen – o mein Gott, was soll daraus werden!

Was daraus werden soll? Beim ewigen Gott, nichts soll daraus werden! schrie Julie in ihrer zornigen Entrüstung mehr als sie es sagte.

Sie kennen meine Mutter nicht, Julie, entgegnete Marie. Sie kennen den eisenharten Sinn dieser Frau nicht. Mit derselben entschlossenen Rücksichtslosigkeit, womit sie einst ihrem Vater trotzte, um ihrem Geliebten zu folgen; mit derselben Energie, womit sie dann nach kurzer Zeit die Scheidung von diesem letzteren durchzusetzen wußte, wird sie jetzt meine Verbindung mit Holdau durchsetzen wollen. Er ist eine passende Partie, er hat ihr Wort, und der Wunsch, mich von sich zu entfernen, der wohl noch hinzukommt …

Und doch soll sie es nicht durchsetzen, und doch … o mein Gott, mein Gott! rief Julie aus und rang die Hände und weinte dabei helle Thränen, welche mehr der Zorn und die Entrüstung, als der Schmerz ihr auszupressen schienen.

Meine einzige Hoffnung ist noch Holdau, fuhr Marie fort; wenn ich ihm rundweg erkläre, daß ich ihn nicht will, nicht mag, daß ich ihn verachte wegen seines Betragens gegen Sie, Julie – dann …

O dann, unterbrach Julie sie mit bitterm Lachen, wird er erst recht seinen Willen durchsetzen wollen. Die Männer sind so unbeschreiblich eitel! Er wird dann gerade sich darauf capriciren, Ihre Eroberung zu machen, und daß ihm das gelingt, wenigstens später, in der Ehe – daran zweifelt Er nicht und Keiner von ihnen! Nein, nein, so geht es nicht – etwas anderes muß da geschehen – o es soll etwas geschehen und wenn ich auch Himmel und Erde müßte in Bewegung setzen!

Als Julie zornig diese Worte ausgerufen hatte, öffnete sich die Thür, welche zu Herrn Hammer's Wohnung führte, und Philipp von Gudeneck trat heraus. Er hatte eben die letzten Aufträge des allen Herrn, was er Alles bei seiner »Minona« über ihn aussagen solle, entgegengenommen und jetzt war er im Begriff, sich zu der Frau Räthin zu begeben, zagenden Herzens und eigentlich in halber Verzweiflung, daß er so von den Verhältnissen gezwungen sei, einem unbekannten Schicksale entgegen zu gehen.

Es grauste ihm förmlich vor einer Verbindung ohne Neigung, ohne Vertrautsein, ohne jene Harmonie der Gemüther, wie sie nur der Austausch der Gedanken und Gefühle in längerem Umgang hervorbringt. Wie er es über sein offenes aufrichtiges Herz bringen werde, seiner Zukünftigen die schicklichen verliebten Complimente, alle die heuchlerischen Redensarten zu sagen, welche nun von ihm unerläßlich verlangt wurden – das begriff er in diesem Augenblicke noch nicht! Kurz, es lag dem jungen Manne centnerschwer auf der Brust!

Aber – mußte er denn nicht? Was war zu machen? Er war ein armer, von der Gnade des reichen Oheims abhängiger Schelm! Wenn der ihn enterbte, so war er nichts. Er hatte – wir müssen es zu des jungen Herrn Schande gestehen, nicht eben sehr viel gelernt. Nur ein tüchtiger Oekonom war er; aber was konnte das nutzen, wenn er enterbt wurde und nichts hatte, woran er seine ökonomischen Kenntnisse zu wenden vermochte? Er mußte vorwärts – mit dem alten, durch die Gicht noch grämlicher gewordenen Oheim war nicht zu spaßen!

Als Philipp durch den Vorraum schritt, bemerkte er die beiden jungen Mädchen, welche in der Brüstung des zweiten Fensters standen; Marie hatte, als die Thüre zu ihres Vaters Wohnung sich geöffnet, den Kopf dahin gewendet und sie erröthete tief, als sie den jungen Mann wahrnahm, welcher gestern Abend ihr Beschützer geworden war und sie nach Hause begleitet hatte. Auf diesem gemeinschaftlichen Gange mußten die beiden jungen Leute eine gewisse Theilnahme für einander gewonnen haben. Philipp wenigstens, als er Marie sofort erkannte und ihr erröthendes Gesicht bemerkte, verlor augenblicklich seine ernste und verdrießlich entschlossene Miene und trat mit wunderbar erhellten Zügen auf das junge Mädchen zu.

O, welche glückliche Begegnung! rief er aus. Finde ich Sie hier, mein schönes Fräulein … aber verzeihen Sie mir – das Haus, bis zu welchem ich Sie gestern geleiten durfte, nannten Sie mir als das einer Räthin Meddlhorst – heute finde ich Sie hier, in der Wohnung des Herrn Hammer – Sie sind doch nicht etwa …

O ich weiß, was Sie sagen wollen, antwortete Marie hastig und erschrocken vor dem Gedanken, daß ein Fremder ihr und ihrer Mutter Geheimniß errathen sollte – nein, nein, ich bin blos im Dienst der Räthin, wie ich Ihnen gestern sagte.

Blos im Dienst! wiederholte Philipp; ich wollte, setzte er in Gedanken hinzu, es wäre so, wie mir so eben durch den Kopf schoß – dann wäre die Partie so übel nicht! – Dabei betrachtete er mit großem Wohlgefallen die Gestalt des jungen Mädchens. Aber da Marie auf das Schlichteste gekleidet war, da Philipp sie in eifriger Unterredung mit einem andern Mädchen traf, das durch ihren Anzug ebenfalls unzweifelhaft den untern Ständen angehörte, so setzte er natürlich nicht den leisesten Zweifel in ihre Erklärung, die sie ihm schon am gestrigen Abend gemacht hatte.

Aber, wenn Sie im Dienste der Räthin sind, so können Sie mir sicherlich etwas über die Tochter derselben sagen, hub Philipp wieder an. Wie ist sie? Ist sie schön, ist sie gebildet? Ist sie liebenswürdig? Ist sie sanft? Welchen Charakter hat sie?

O, Sie fragen viel auf einmal! antwortete Marie lächelnd. Sie können doch denken, daß mein Verhältniß mir – Discretion auferlegt!

Discretion! nicht übel! sagte Philipp und setzte in Gedanken hinzu:

Dies hübsche gutherzige Mädchen, das sicherlich Jedermann gern das Beste nachsagt, hüllt sich in das Schweigen der Discretion über sie – das sieht schlimm aus!

Aber können Sie ihr denn gar nichts Gutes nachsagen? fuhr Philipp in seinem Examen fort.

O etwas doch! meinte Marie.

Etwas! wiederholte Philipp ironisch.

Sie ist ein einfaches Mädchen, das keine Ansprüche macht.

Weil sie keine machen kann?!

Das ist freilich wahr! antwortete Marie kleinlaut.

Philipp rieb sich einen Augenblick die Stirn, dann sagte er mit resignirtem Tone:

Nun jedenfalls wird sie sich freuen unter die Haube zu kommen, meinen Sie nicht auch?

Weshalb nehmen Sie das an? fragte Marie etwas erstaunt.

Sie wird nicht viel Federlesens machen, wenn sich eine äußerlich günstige Partie bietet, auch wenn der Epouseur sonst nicht gerade ein Muster von Feinheit und Bildung ist.

Ich wüßte nicht weshalb? antwortete Marie, ihre hübsche kleine Oberlippe verächtlich aufwerfend.

Nun, da wäre eine Hoffnung! sagte Philipp für sich. Wenn sie nicht will – wenn sie sich nur im Geringsten sträubt – o dann kann ich zurücktreten, dann kann ich gewissenhaft sein, ungeheuer gewissenhaft und delicat, ohne daß der Oheim mir einen Vorwurf machen darf …

Weshalb fragen Sie mich das Alles? unterbrach Marie sein Selbstgespräch.

Ja, sehen Sie, antwortete Philipp, es ist so etwas im Werke. Aber – warnen Sie Ihr Fräulein – der Mensch, den man ihr bestimmt, paßt nicht für sie – ich kenne ihn durch und durch – er ist ein leichtsinniger Bursche – nun, ich will nicht weiter auf ihn losziehen – aber unter uns gesagt: warnen Sie das Fräulein etwas vor dem rohen Menschen, der sie nicht verdient, wahrhaftig, er verdient sie nicht – Sie thun ein gutes Werk, wenn Sie sie warnen!

Und nachdem er diese Werte mit einer Art schalkhaften Vertraulichkeit Marie zugeflüstert hatte, empfahl sich Philipp von Gudeneck, sehr mit sich selbst zufrieden über die diplomatische Wendung, welche er diesem Gespräche gegeben.

Marie blickte ihm nach, verwundert und erschrocken.

Wie? sagte sie zu sich – dieser Mensch weiß schon davon – also man macht die Sache schon öffentlich, als wenn es dabei auf mich auch nicht im Geringsten ankäme, wenn sich ein Herr Holdau meldet? Aber nein, nein – das ist zu viel –

Marie hatte noch nicht ausgesprochen, als sich noch einmal die Thür zum Zimmer ihres Vaters öffnete und jetzt Herr Hammer auf der Schwelle erschien. Er sah höchst merkwürdig aus, der alte Herr. Sein Gesicht nicht nur strahlte vor Freude – seine ganze Erscheinung hatte etwas Strahlendes, so hatte er sie herausgeputzt. Er war – » a quatre épingles«, so gut er es nach seinen altmodischen Garderobe-Beständen zu machen gewußt hatte. Für seine und saubere Wäsche hatte ja Marie gesorgt – das war untadelhaft; und wenn auch der grüne Frack mit seinen langen spitzen Schößen und dem schmalen Kragen eigentlich nur noch einen historischen, oder, wenn man will, memoirenhaften Werth, als Denkmal der Stimmungen und des Geschmacks einer weit hinter uns liegenden Zeitepoche hatte, so fühlte sich Herr Hammer doch darin als vollkommen ausstaffirter Cavalier. Als er seine Tochter erblickte, erhob er beide Hände und schritt mit einer rührenden Feierlichkeit in seiner ganzen Haltung auf sie zu.

Marie? Du hier? sagte er. O so will ich den vollen Segen jener geweihten Empfindung, welche dem Vatergefühle seinen heiligen Inhalt giebt, auf Dein theures Haupt legen.

Marie war nicht in der Stimmung, die beiden Hände ihres Vaters lange ruhig auf ihren blonden Locken ruhen zu lassen.

Vater, was ist Dir – was geht vor – Du hast etwas vor, Du bist so aufgeregt –

Das holde Kind – fiel Hammer ein:
Das holde Kind! – wie fein bemerkt und wie
Verständig! Sieh, ich zürnte mit dem Schicksal,
Daß mir's den Sohn versagt, der meines Namens
Und meines Glückes Erbe könnte sein,
In einer stolzen Linie von Fürsten
Mein schnellverlöschtes Dasein weiter leiten!
Ich that dem Schicksal Unrecht! Hier auf dieses
Jungfräulich blüh'nde Haupt will ich den Kranz
Der holden Myrthe jetzo niederlegen. –

Myrthe – um Gotteswillen was soll das bedeuten, Vater? unterbrach Marie seine Begeisterung.

Was sie bedeutet – die Myrthe? O Jungfrau, versetzte der alte Herr, dazu wird ein Schlüssel sicher in Deinem eigenen ahnenden Gefühle liegen. Mehr darf ich Dir nicht sagen, mein Kind, ich darf es nicht –

»Mit theuren Eiden hab' ich es gelobt.«

Aber warte – warte!

Damit trat Hammer eilig in seine Kammer zurück und nach einigen Augenblicken erschien er eben so eilig wieder, ein altes Portefeuille in der Rechten, welches er Marie in die Hände drückte.

Da nimm, nimm dies, sagte er – mich aber laß ungefragt dem feierlichen Augenblicke, der mich erwartet, entgegen gehen.

Was soll ich hiermit, Vater? fragte Marie.

Was Du damit sollst? Du wirst es brauchen – bald, o bald. Möge die Stunde, die keinem Glücklichen schlägt, bald auf eilenden Schwingen den Augenblick herantragen, wo Du es brauchst! Und verwahre es wohl – diese hochobrigkeitlichen Urkunden, welche Deine reiche Mitgift bilden, die Bürgschaft Deiner Ansprüche auf so erlauchte Elternnamen, in denen ein schönes Band den Adel der Kunst – Herr Hammer schlug sich bei diesem Worte mit einem sanften Blick nach oben auf die Brust – und den Adel der Geburt harmonisch zusammenschlingt – aber halte mich nicht auf – noch ist meine Lippe gegen Dich versiegelt – aber nun, um mit Mercutio zu reden: Leb wohl, junge Schone! Leb wohl, o Schöne, Schöne, Schöne!

Diese Worte hatte Herr Hammer im Abgehen gesprochen. Mit dem letzten war er an der Glasthür angekommen – noch ein graziöser Wink mit der Hand und er war verschwunden.

Als Philipp vorhin gekommen und das Gespräch der beiden jungen Mädchen unterbrochen hatte, da hatte Julie sich abgewendet. Sie war nicht in der Stimmung, jetzt ein ruhiges und gleichgültiges Gespräch mit einem Fremden zu führen oder nur anzuhören; deshalb war sie zurück gegangen in ihre Wohnung, zu der sie die Thür halb offen gelassen. Als sie die declamirende Stimme Hammer's vernommen, war sie jetzt aber zurückgekommen, und stand, die Scene betrachtend, auf der Schwelle ihrer Thür.

Julie, wandte sich Marie lebhaft an ihre Freundin – jetzt bin ich ganz rathlos …

Julie trat hastig auf sie zu und erfaßte ihre Hand.

Marie, ich habe einen Rath für Sie – sagte sie flüsternd, aber mit einem merkwürdigen Ausdruck von Bestimmtheit und Entschlossenheit. Ihr ganzes Wesen war gehoben, ihre Wangen flammten.

Ich habe mir einen Schwur geleistet, ihnen Allen einen Streich zu spielen: und diesen Schwur will ich halten – wenn Sie, Marie, den Muth haben mir zu helfen.

Ich?

Ja, Sie! Hören Sie. Holdau hat Ihre Mutter um die Hand ihrer Tochter gebeten, er soll sie haben, diese Hand. –

O nimmermehr! rief Marie aus – jede Fiber in mir empört sich dagegen.

Doch – er soll sie haben – nur soll er mich statt Ihrer finden!

Wie wäre das möglich, Julie? fragte Marie zagend.

O es ist so leicht – Sie sprachen vorhin davon, daß es so schmerzlich sei, daß zwei Menschen, die doch glücklich dadurch würden, nicht ihre Schicksale vertauschen könnten!

Nun?

Vertauschen wir unsere Schicksale! Was steht da im Wege? Ihr Vater hat Sie als sechsjähriges Kind Ihrer Mutter zugesendet. Hat Ihre Mutter einen Beweis, daß Sie wirklich ihr Kind sind? Die Stimme des Blutes scheint in ihr nicht so zu sprechen! Nun wohl, sagen wir ihr, daß Ihr Vater sie getäuscht habe; daß er auf seiner Künstlerlaufbahn die Waise eines gestorbenen Freundes gefunden, daß er, um dies Kind nicht in Elend verkommen zu sehen, es Ihrer Mutter zugesandt, mit der Angabe, es sei das seine – sicher, daß es dann wohl aufgehoben sei. Dies fremde Kind nun seien Sie – das rechte aber sei ich, ich, die bisher von ihm in einer redlichen Bürgerfamilie untergebracht worden und da aufgewachsen. Jetzt aber, da er von Ihnen vernommen, daß man Sie verheirathen wolle, könne er die Täuschung nicht länger dauern lassen, darum habe er Ihnen Alles entdeckt, beschämt verschwinden Sie nun vor den Augen der Räthin und ich – ich betrete den Kampfplatz!

Aber mein Gott, das ist ja Alles so unmöglich, so abenteuerlich! fiel Marie ein.

Hören Sie, Marie, antwortete Julie, indem sie den Arm ihrer Freundin ergriff und mit festem Druck umspannt hielt – gegen uns erlaubt man sich Alles. Er bricht mir die heiligsten Schwüre. Ueber Sie disponirt die Mutter wie über eine Sklavin. Sollen wir uns dagegen nicht zur Wehr setzen dürfen, um uns von dieser Behandlung zu befreien, ja, um uns zu retten?

Denn, fuhr das Mädchen mit einer Art von ungestümer und verwegener Beredtsamkeit fort – das brauchen wir uns nicht zu verbergen, daß es hier um unser Leben geht: mich wenigstens bringt der Gedanke, ich soll Holdau Ihnen vermählt wissen und währenddeß, von Gott und der Welt verlassen, die Magd einer keifenden alten Jungfer auf dem Lande spielen – der Gedanke bringt mich um – und ich will nicht sterben, nicht untergehen, ich will nicht in der Blüthe meiner Jugend verkümmern! Brauchen wir es denn – brauchen wir es uns gefallen zu lassen? Weshalb sind wir armen Geschöpfe so unterdrückt auf dieser Welt – weshalb anders, als weil wir in feiger Unterwürfigkeit uns wehrlos dem Schicksal hingeben, während die Männer kämpfen mit ihrem Schicksal! Darum Muth, Marie, Muth! Ein Ausweg liegt offen vor uns, leicht zu betreten. Ich spiele eine Zeit lang die rechte Tochter der Frau Räthin. Ich werde die Rolle schon ganz natürlich darstellen, glauben Sie mir das. Sie bleiben unterdeß hier bei Ihrem Vater. Wir vertauschen förmlich unser Schicksal – Sie leben hier wie ein Mädchen aus dem Volke und sind glücklich dabei, weil Sie sich ganz Ihrer kindlichen Liebe hingeben dürfen, den ganzen Tag um den Vater sein, für ihn sorgen, ihn beaufsichtigen, ihn von dem unordentlichen Leben zurückhalten können – Sie wissen, was ich sagen will– o Sie haben ja so oft bittere Thränen darüber geweint, daß Sie nicht immer bei ihm sein und ihn dadurch von seiner Schwäche heilen können, der er nur verfällt, weil er sich einsam und verlassen fühlt …

Unterdeß hat Holdau … o er hat ja um die Hand der Tochter der Frau Räthin Meddlhorst geworben, die Frau Mutter hat sie ihm ja schon zugesagt – welch rührendes Wiedersehen das sein wird, zwischen ihm und mir … nein, unerbittlich will ich nicht gegen ihn sein, das Ungeheuer, den abscheulichen Menschen – aber erst will ich ihn hübsch zappeln lassen!

Julie wischte sich die flammende Stirn ab nach diesen Worten und holte tief Athem.

Aber Holdau kennt Sie ja – er weiß ja … warf Marie ein.

Nichts weiß er: er weiß, daß ich Julie heiße, in der Leonardsstraße wohne und – keine große Dame bin! weiter weiß er nichts, denn er hat mich nur auf einigen Bällen, die er herablassend mit seiner Gegenwart beehrte, gesehen, hat mich einige Mal draußen an Vergnügungsorten gefunden und mich jedes Mal hierhin bis an die Thür unseres Hauses zurückbegleitet. Wenn Ihre Mutter mich als ihre Tochter annimmt – o ich bin überzeugt, er wird dann nur innerlich entzückt sein, denn dieser entsetzliche Mensch, glauben Sie es mir, Marie, liebt mich doch noch, und was ihn bewogen hat, mich aufzugeben und sich um eine Andere zu bewerben, das ist nur Aengstlichkeit, nur Furcht vor seinen Eltern, vor dem Urtheil der Welt! –

Ob Marie, welcher Holdau doch einen so großen Beweis seiner Neigung für sie gegeben, wirklich zu diesem Glauben, der von ihr verlangt wurde, geneigt war, wissen wir nicht. Sie antwortete nicht darauf und sagte nur:

Aber wie meine Mutter überzeugen?

Dazu, meinte Julie, reichen ein paar Zeilen Ihres Vaters hin.

Sie ahnt ja nicht, daß er hier ist! warf Marie ein. Ich darf ihr nicht diesen Schrecken verursachen lassen.

O rücksichtsvolles Fräulein! spottete Julie, die Achseln zuckend. Aber, setzte sie hinzu, was haben Sie da, was ist in dem Portefeuille?

Marie öffnete dies jetzt erst. Es lagen zusammengefaltete große Papiere mit Siegeln darin. Als die beiden Mädchen diese Schriftstücke näher untersuchten, fanden sie einen Taufschein Mariens, einen Trauakt ihrer Eltern und noch einige andere auf Marie Bezug habende Briefschaften – einen Brief der Räthin Meddlhorst an ihre Tochter aus der Zeit, wo diese noch als kleines Kind bei ihrem Vater war, einen Impfschein und dergleichen. –

O mein Gott! rief Julie aus – das ist ja förmlich ein Wink des Himmels, daß uns gerade jetzt das Alles in die Hände fällt. Damit bin ich ja vollständig legitimirt! Wie kommt es denn, daß Ihr Vater Ihnen gerade jetzt das in die Hände gegeben – o ich ahne – vielleicht schon, weil Sie es bedürfen zu der glücklichen Vermählung mit Herrn Assessor Holdau! setzte sie hinzu.

Freilich, antwortete Marie – auch mein Vater scheint sich schon diese Partie in den Kopf gesetzt zu haben!

Nun, das ist Gottlob nicht sehr gefährlich, was der sich in den Kopf gesetzt! meinte Julie achselzuckend. Aber nun noch einmal, Marie, fuhr sie fort – wollen Sie mir folgen, wollen Sie mir die Papiere geben? Das genügt. Alles Uebrige führe ich durch. Ich bin eine Zeitlang Marie Meddlhorst, oder richtiger Hammer, und bleibe es, bis ich Holdau bestraft und ihn, sein Unrecht büßend, zu meinen Füßen sehe. Dann steht es natürlich täglich in unserer Hand, den Schleier zu zerreißen. Gott soll mich bewahren, daß ich immer in der Rolle bleiben und darin Ansprüche auf Ihr Vermögen und Alles, was damit zusammenhängt, machen sollte! Wenn Sie dann zu Ihrer Mutter zurückkehren, dann können Sie ihr sagen: Sieh, Mutter, zu solchen Schritten hast Du Dein Kind gezwungen, weil Du kein Herz für mich hattest, und meinen Neigungen ruchlos Gewalt anthun wolltest!

Marie schwieg. Sie war heftig bewegt, ihre Brust hob und senkte sich stürmisch.

Entschließen Sie sich rasch, sagte Julie. Ich höre einen schweren Tritt auf der Treppe. Das ist wahrscheinlich der Träger, der meine Sachen auf die Post bringen soll. Wenn Sie einwilligen, sende ich diese Sachen in die Karlsstraße und – folge ihnen … oder ziehen Sie vor, selbst dahin zurückzukehren, zu der Frau Mutter und – dem Herrn Bräutigam? fragte Julie mit schneidendem Spott.

Nein, nein! antwortete Marie mit lebhafter Bewegung. Meinethalb mag es sein. Führen Sie es durch, so lange Sie wollen und können. Ich bleibe hier bei meinem guten armen, verlassenen Vater! Senden Sie mir meine Sachen hierher. –

Mein Bruder natürlich glaubt mich auf's Land abgereist! sagte Julie.

Und mein Vater? was soll mein Vater glauben?

Daß Sie eine Scene mit der Mutter hatten – daß diese Ihnen zu verstehen gegeben, Sie könnten zu Ihrem Vater gehen – vielleicht weil sie eben Ihren Umgang mit Ihrem Vater erfahren – das müssen Sie über sich nehmen, Marie, etwas müssen auch Sie auf Ihre Schultern nehmen bei diesem Spiele, das für mich ohnehin schwer genug ist! –

Die Glasthür öffnete sich. Es war in der That ein Lastträger, der eintrat.

Bringen Sie dieses Gepäck in die Karlsstraße zur Räthin Meddlhorst, wandte sich Julie an ihn. Ich folge sogleich.


IV.
Die Frau Räthin.

Es mochten nach der eben mitgetheilten Unterredung der beiden jungen Mädchen etwa zwei Stunden verflossen sein. In ihrem Salon in der Karlsstraße ging die Frau Räthin Meddlhorst so rasch und heftig bewegt auf und ab, daß die dunkelgrüne Seidenrobe, welche sie trug, gar nicht aus dem lautesten Rauschen kam. Die Räthin hatte ein ziemlich männliches und nicht leicht erschüttertes Gemüth, aber heute war sie touts boule versée, wie sie einmal über das andere ausrief, während sie mit dem feinen Battisttuch über ihre Züge fuhr.

Auf einem Tisch, der am gestrigen Abend das Theegeschirr getragen hatte, an dem Mariens zarte Hände beschäftigt gewesen waren, lag Hammers abgegriffenes Portefeuille mit den Dokumenten. In ihrer Hand hielt die Räthin den Brief ihres Vaters. Sie war in lebhaftem Reden begriffen, und der, an welchen sich ihre Worte richteten, war Philipp von Gudeneck, ihr junger Cousin, der endlich und nach einer abermaligen Zögerung von wenigstens ein paar Stunden, die er in den Straßen, durch welche ihn sein Weg führte, verschleuderte, – den gefürchteten Rubicon überschritten hatte. Er saß nun sehr bescheiden und kleinlaut auf einem Eckdivan, die Beine übereinander, die gefalteten Hände um das seiner Kniee, welches bei dieser Positur die Oberhand bekommen, geschlungen. Seine Augen waren dabei starr auf den Teppich unter seinen Füßen geheftet.

Also, mein lieber Vetter, sagte die Räthin eben, machen Sie sich keinerlei Skrupel. Meiner Tochter Herz ist frei und es ist nichts zu thun, als dem Willen meines Vaters zu gehorchen.

Es ist nichts anderes zu thun, echo'te Philipp mit ziemlich niedergeschlagenem Tone.

Nach dem, was mein Vater mir über Sie schreibt, kann ich beruhigt die Hand meiner Tochter in die Ihrige legen, Vetter, fuhr die Räthin fort.

Der Oheim ist sehr gütig! sagte Philipp.

Sie seien ein herzensguter Mensch! schreibt er.

Ich bin sehr gutmüthig! antwortete der junge Mann nicht ohne leise Selbstironie.

Nun wohl, sagte die Räthin, plötzlich vor Philipp stehen bleibend, dann werden Sie auch mir eine Bitte nicht abschlagen – es liegt mir viel daran – sehr viel.

Was soll ich thun, Frau Cousine?

Sich sofort reisefertig machen und noch diesen Abend mit Ihrer Braut und mir abreisen, zu meinem Vater – aber in aller Stille, Niemand darf davon erfahren – selbst die Domestiken dürfen nichts von uns sehen; meine Gründe sollen Sie später erfahren! Kommen Sie um acht Uhr – dann ist es dunkel – in den Pavillon hinten an meinem Garten. Für den Reisewagen und alles Andere sorge ich!

Aber mein Gott, Cousine, weshalb diese entsetzliche Eile? fuhr Philipp erschrocken auf.

Das ist mein Geheimniß – forschen Sie nicht danach, wenigstens nicht heute mehr – morgen während der Reise will ich Ihnen Alles erklären. Ich versichere Sie aber, daß nichts dabei ist, was irgend ein übeles Licht auf meine Tochter würfe.

Aber, fiel Philipp ein – ich habe ja meine Zukünftige noch gar nicht einmal gesehen! Sie hat mich nicht gesehen, und ihre Einwilligung wird doch auch erst eingeholt werden müssen …

O, dafür werde ich sorgen. Und was das Sehen anbelangt, Vetter – die Räthin stockte.

Unmöglich kann ich sie ihm in ihrer jetzigen Ausstaffirung vorführen – so lauteten ihre Gedanken während dieser Pause. Er würde schöne Augen machen, wenn er sie sähe in ihrem abgetragenen Thibetkleidchen und frisirt wie eine Nähterin. Was würde er von mir denken, wie ich das Mädchen vernachlässigt hätte! Nein, es geht nicht, es geht nicht. Sie würde ihm in ihrem Grisettenaufputz einen Eindruck machen, den er nie wieder verwände. Er würde augenblicklich zurücktreten, wenn er sie sähe, eine solche vulgäre Erscheinung. Wenn sie nur nicht so viel größer wäre als Marie, könnte ich sie aus deren Garderobe kleiden lassen. Aber das wird ihr Alles zu enge sein. Nun, wir müssen sehen, was sich in den Nachmittagsstunden rasch thun läßt. – –

Meine Tochter ist nicht zu Hause, Vetter, sagte die Räthin, nachdem diese Gedanken ihren Kopf durchkreuzt hatten, kommen Sie in den Nachmittagstunden wieder – dann können Sie sie sehen – und damit für jetzt Gott befohlen, lieber Cousin – ich muß jetzt sofort an die Reisezurüstungen gehn – jede Minute ist mir kostbar – also auf Wiedersehen, Vetter – bald: mein theurer Sohn – Gott gebe seinen Segen zu diesem Bunde – Sie werden glücklich werden, glauben Sie es mir, wenn diese Verbindung auch etwas brüsk zu Stande kommt – Ihre Braut ist ein schönes Geschöpf – sie hat Geist und Lebhaftigkeit – eine Gestalt wie eine Königin – o, Sie werden ein beneideter Ehemann sein – aber jetzt gehen Sie!

Philipp nahm seinen Hut und küßte der neugewonnenen Cousine die Hand.

Also bis zum Abend – acht Uhr – im Pavillon! sagte sie während dessen und dann rauschte sie hastig davon.

Bis zum Abend? fragte sich Philipp. Soeben sagte sie doch noch, ich solle den Nachmittag kommen, um mir meinen Schatz zu betrachten. Wahrhaftig, eine Entrevue zwischen uns scheint ihr nicht sehr am Herzen zu liegen! Es scheint, sie dankt Gott, wenn ich dieses schöne Geschöpf voll Geist und Lebhaftigkeit, wie sie sich ausdrückt, erst dann sehe, wenn ich mit Mama und Fräulein Tochter im Wagen sitze und nicht mehr zurück kann! So lange die Welt steht, ist ein Bräutigam nicht so gepreßt worden.

Beneidenswerthe Situation! Wenn nur der alte Oheim nicht so schlimm wäre! und was nun gar diese heimliche Entführung bedeuten soll – daraus werde der Henker klug …

Mit diesen Worten verließ Philipp die Empfangzimmer seiner Cousine und ging sehr langsam und mehrmals sich umsehend, als ob er noch irgend Jemanden auf dem Gange zu erblicken erwarte oder wünsche – die Treppe hinunter. Dann schlenderte er in Gedanken verloren seinem Quartier zu. Was Marie selbst ihm am heutigen Morgen über seine Zukünftige gesagt oder vielmehr nicht gesagt, ging ihm im Kopfe umher, und wohl nie ist deshalb ein Bräutigam weniger fröhlich auf den »Freiersfüßen« einhergeschritten, als Philipp es that, während er durch das Gewühl der großen volkreichen Stadt still sich seinen Weg suchte. –

Die Räthin war unterdeß in ein Nebenzimmer geeilt und hier hatte sie Julie gefunden, die in einem Fauteuil am Fenster saß, Gott dankend, daß sie über das Stadium der ersten Eröffnungen hinüber, daß der erste Strom von Fragen, von Ausrufen der Verwunderung, von Verwünschungen über den Streich, den man ihr gespielt, und was die Räthin noch alles vorgebracht, als Julie vor ihr erschienen, ihr Portefeuille voll Dokumente in der Hand – daß das nun wenigstens vorüber. Julie suchte jetzt Fassung, um nun im weiteren Examen glücklich zu bestehen. Bisher war Alles gut abgelaufen. Die Räthin hatte nicht den leisesten Zweifel geäußert, während Julie ihr ihre Geschichte recitirt hatte. Auch hatte sich die Räthin auffallend gemüthsruhig bei dem Gedanken an den Verlust Mariens und deren weitere Schicksale gezeigt.

Ich habe das junge Mädchen, welches so lange meine Stelle bei Ihnen einnahm, heute Morgen schriftlich um eine Unterredung in meiner bisherigen Wohnung gebeten, sagte Julie. Sie ist zu mir gekommen und wir haben uns vollständig verständigt; ich habe dafür gesorgt, daß sie wohl aufgehoben ist, und ich werde ihr mit Ihrer Erlaubniß alle ihre Habseligkeiten übersenden und Sie werden nicht darauf bestehen, daß die arme, so lange grausam Getäuschte persönlich vor Ihnen erscheine und sich von Ihnen verabschiede – ein Gefühl tiefer Beschämung – –

O, ich begreife das, hatte die Räthin ausgerufen und gerade wieder zu mehreren Fragen über Juliens bisherige Erlebnisse übergehen wollen, als ihr der Besuch Philipps gemeldet worden war. Sie hatte ihn abweisen lassen, da sie in ihrer jetzigen unbeschreiblichen Aufregung unmöglich Jemand Fremdes sehen konnte; aber die Kammerjungfer kam mit der unerwarteten Meldung zurück: der Fremde müsse die Frau Räthin im Auftrage ihres Vaters sprechen, und nun hatte sie, bestürzt über diese Botschaft, befohlen, Philipp in ihren Salon zu führen, und war selbst dorthin geeilt, um einer Eröffnung entgegen zu gehen, die an aufregendem Inhalt der eben durch Julie empfangenen Kunde sehr wenig nachgab. –

Julie unterdeß hatte froh und erleichtert aufgeathmet, als die Räthin sie allein gelassen. Als die Frau, welcher gegenüber sie ein so verwegenes Spiel unternommen hatte, jetzt wieder eintrat, stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Denn trotz aller außergewöhnlichen und leidenschaftlichen Erregung, worin Julie durch Mariens Mittheilung und den Gedanken an die Treulosigkeit des Mannes, den sie geliebt hatte und noch immer liebte, versetzt worden war – trotz aller Sophistik, womit sie ihren kühnen Schritt, der sie zum Glücke führen sollte, umkleidet hatte – trotz allem dem fühlte Julie im Innersten ihrer Seele natürlich einen beängstigenden Druck ihres Gewissens, wenn sie sich das in ihrem Rausche auch nicht zum Bewußtsein kommen ließ. Desto willkommener war es ihr nun, als die Räthin jetzt bei ihrem Zurückkommen gar nicht Miene machte, die ganze abenteuerliche Geschichte von Neuem durchzusprechen, sondern von etwas ganz Anderm, Neuem erfüllt schien.

O mein Gott, meine Tochter, sagte sie, was für ein Tag ist das heute! – Denke Dir – dieser selbe Morgen, der Dich mir in die Arme führt, versöhnt mich auch meinem Vater nach so jahrelangem Hader! Heiliger Himmel – ich bin so überwältigt von alle dem, daß ich noch gar nicht zur rechten eigentlichen Freude über diese Nachricht kommen kann.

Mein guter alter Vater! Wie werd' ich ihn finden, wenn ich ihn wiedersehe; und welche Freude wird er an Dir haben, mein Kind! Du wirst sein Stolz sein – aber vor allen Dingen müssen wir daran denken, Dich anders zu equipiren; Du siehst gar zu mesquin aus; o, wenn ich daran denke, welche Sorge, welche Erziehung, welchen Unterricht ich an eine Fremde habe wenden müssen, während Du so grausam vernachlässigt –

Julie blickte auf.

Grausam vernachlässigt! rief sie pikirt. O, ich bitte, ich hoffe nicht, daß Sie mich so gar arg ungebildet finden! Ich habe meinen Geist durch Lectüre zu bilden gesucht, so viel ich irgend vermochte.

Nun, wir werden sehen, was nachzuholen ist – Du hast als Stickerin von Deiner Hände Arbeit gelebt, sagst Du – jenes entsetzliche Mannsbild, welches ich Dir nicht zu nennen brauche, hat das zugegeben – aber laß mich nicht davon beginnen, ich könnte kein Ende finden, die Zeit verfliegt und wir brauchen sie doch so bitter nöthig. Höre mich an, Marie. Du siehst ein, daß ich diese ganze Geschichte, welche mir jener Mann, den ich eben erwähnte, eingebrockt hat, nicht stadtkundig werden lassen kann. Ich kann Dich meinen Bekannten nicht vorstellen: »meine Tochter Marie, bisher Handarbeiterin in einer Mansarde in der Altstadt« – und auf die erstaunte Frage nach dem verschwundenen Mädchen dann antworten: »bitte um Entschuldigung, das war nicht meine Tochter, es war ein kleines Mißverständniß, welches jetzt nachträglich corrigirt worden ist.« – Nicht wahr, Du begreifst, daß ich mir nicht nachsagen lassen kann, ich habe meine eigene Tochter nicht recht gekannt – ich lasse mir da von einem gewissen unglücklichen Individuum, mit welchem ein schmerzlich beweinter Leichtsinn meiner Jugend mich zusammenführte, nach Belieben bald die Eine, bald die Andere zusenden! Von diesem Manne weiß ja ohnehin Niemand etwas! Also die Sache muß geheim bleiben. Keine Seele, auch meine Domestiken nicht, darf merken, daß Du, mein Kind, nicht diese Marie bist, welche gestern und alle Tage hier war. Die Versöhnung mit meinem Vater kommt mir da nun wie ein providentieller Wink! Ich reise augenblicklich zu ihm, noch heute – bis dahin darf Niemand Dich erblicken. Am Abend begeben wir uns verschleiert durch den Garten in den Pavillon am Ende desselben, der auf eine durchaus verlassene, schmale Gasse hinausgeht – dort hält unser Wagen und wir eilen davon, nach dem Norden, auf das Gut meines Vaters!

Wir reisen von hier fort? Heute noch? fragte Julie außerordentlich unangenehm überrascht. Nichts konnte für sie erschreckender sein, als diese Nachricht. Ihr ganzer Plan drohte darüber zu Wasser zu werden.

Hast Du etwas dagegen?

O mein Gott! seufzte Julie nur, die keinen Einwurf zu erheben wußte.

Du wirst einsehen, daß mir gar nichts andres übrig bleibt!

Es mag wohl so sein! versetzte Julie, die ihr Herz stille stehen fühlte bei dieser Schreckensbotschaft.

Aber nun noch Eins, fuhr die Räthin fort, etwas, was Dich noch näher berührt.

Und das wäre? fragte tonlos Julie, die ihr erblaßtes Gesicht von der Räthin abwandte und durch das Fenster schaute, um der Beobachtung zu entgehen. Sie hatte Mühe, um ihre Gedanken zusammenzuhalten und vernünftige Antworten zu geben; so war sie innerlich »bouleversirt« wie die Räthin es nannte, und ihre ganze Seele strebte wieder fort aus dieser Situation, in welche sie mit so beispiellosem Leichtsinn sich begeben! Schon die Nachricht, daß die Räthin plötzlich mit ihrem Vater ausgesöhnt sei, hatte sie erschreckt; sie hatte augenblicklich überdacht, daß dies ihre Aufgabe unendlich complicire; und jetzt gar der Gedanke, daß sie diese ganze erdrückend schwere Rolle für nichts und wider nichts spiele, daß sie sofort von hier abreisen solle, bevor sie noch Holdau nur ein einziges Mal gesehen! – Das war zu viel und in athemloser Beklemmung fragte sie sich, wie es nur möglich sei, aus dieser Lage wieder herauszukommen!

Du mußt wissen, Marie, hub die Räthin wieder an, die sich an den Namen Julie nicht gewöhnen konnte, daß ein junger Mann um Deine Hand angehalten hat.

Um meine? doch wohl um die meiner bisherigen Doppelgängerin, sagte Julie, die bei diesen Worten natürlich an die Bewerbung Holdau's um Marien, und an keine andere dachte.

Um die Hand meiner Tochter, Kind, versetzte die Räthin mit scharfer Betonung – also nicht um Deine Stellvertreterin mehr, sondern um Dich – o mein Gott, setzte sie hinzu, welche unheilvolle Geschichte wäre dies geworden, wenn nicht noch so gerade im rechten Augenblick der Himmel Dich mir gesandt hätte!

Aber es ist doch ein gewaltiger Unterschied, ob …

O mach' Dir darüber keine Sorgen, fiel die Räthin ein – die Sache ist abgemacht, Dein Bräutigam hat mein Wort, er hat um die Hand meines Kindes angehalten und ich habe sie ihm zugesagt. Also, was ich sagen wollte – ich wollte Dich darauf vorbereiten, daß Du heute Abend einen jungen Herrn erscheinen sehen wirst, der die Reise mit uns macht und der Dein Zukünftiger ist. Ich hoffe, Du machst wider diese Partie keine Einwände und uns keine Schwierigkeiten, da sie einmal feststeht. Er ist ein junger hübscher Mann – vielleicht wirst Du ihn schon nach einigen Stunden sehen, er wollte in den Nachmittagsstunden kommen, obwohl ich eigentlich gestehen muß, daß es mir nicht lieb ist, wenn er Dich sähe; Du kannst unmöglich schon in den Nachmittagsstunden Deine jetzige Ausstaffirung gegen eine andere vertauscht haben, in welcher man einen Bräutigam empfangen und sich produziren kann; die Modistin, nach welcher ich gesandt habe –

O Sie haben Recht, ganz Recht, unterbrach Julie hier die Redende mit der größten Lebhaftigkeit – es ist besser, wenn er mich später erst, auf unserer Reise sieht –

Also Du machst gegen diese Partie weiter durchaus keine Einwürfe, sagte die Räthin froh und doch etwas überrascht über solche Folgsamkeit ihres neugewonnenen Kindes.

O wie sollt' ich – was Sie über mich beschlossen haben, das ist sicherlich mein Bestes!

Nun, das gesteh' ich, das ist ein kindlicher Gehorsam, wie eine Mutter sich ihn nur wünschen kann. Da hätt' ich mit Deiner »Doppelgängerin«, wie Du sie nennst, andere Kämpfe zu bestehen gehabt!

Julie war plötzlich wie neubelebt. Also er, der um Marie geworben, sollte die Reise mitmachen – sie sollte nun doch ihr Ziel erreichen – o wie konnte es auf eine bessere, auf eine für Holdau beschämendere Weise geschehen, als wenn er mit ihnen im Reisewagen saß, wenn sie dann beim Grauen des morgenden Tages ihren Schleier zurückschlug, wenn er ihre Züge statt der Mariens erblickte – o wie großartig, wie leidenschaftlich, wie rührend mußten dann die Scenen werden, welche sich nach einander daraus entwickeln würden!

Ich muß Dir sagen, begann die Räthin wieder, daß mich Deine Folgsamkeit im Innersten meiner Seele rührt. Auch, hoffe ich, wird sie ihren reichen Lohn erhalten, denn –

Frau von Meddlhorst konnte nicht weiter reden, es ließen sich leise nahende Schritte draußen auf dem Corridor hören. Die Räthin stellte sich rasch vor Julien, daß diese vom Eingang her nicht erblickt werden konnte. Als sich die Thür öffnete, war es das Kammermädchen, welches die Modistin anmeldete.

Sie ist willkommen, nur rasch! antwortete die Räthin, und während die Zofe sich mit diesem Bescheid entfernte, um die mit Kartons beladene Dame einzuführen, schlüpfte Julie schnell durch eine Tapetenthür in das Zimmerchen Mariens. –

Hier brachte sie den Rest des Tages fast ganz allein mit ihren Gedanken zu. Vor den Dienern wurde ihre Zurückgezogenheit mit Unwohlsein erklärt, und die Räthin hatte verboten, ihr Zimmer zu betreten, weil sie völliger Ruhe bedürfe. Die Räthin selbst hatte alle Hände voll zu thun mit der Improvisation einer »anständigen« Garderobe für Julie und mit ihren eigenen Reisevorbereitungen. Wenn sie deshalb auch vor und nach für einen Augenblick schnell in Juliens Zimmer hineinrauschte, so kam es doch weiter zu keiner zusammenhängenden Unterredung zwischen Beiden. Und Julie konnte somit ungestört ihre Betrachtungen anstellen, worunter keine geringe Stelle die einnahm: wie herzlos doch die Frau, welche von ihr so eigenmächtig als Mutter adoptirt worden war, sein müsse, daß sie ganz ohne Weiteres Holdau's Bewerbung um Marie auf sie, Julie, übertrage – als ob es sich ganz allein um ihre Aussteuer und ihr Vermögen handle, und alles Andere Nebensache sei! –

Nun – Der wird Augen machen! – das war dann immer der Schluß dieser Betrachtung.

Im Uebrigen aber sagte sie sich, daß ihr kühnes Wagniß jetzt die glücklichste Wendung nehme, welche nur gewünscht werden konnte. Für Holdau war ja nun, wenn er so vollständig mit ihr entführt wurde, ein Ausweichen gar nicht mehr möglich.

Neugierig bin ich nur, sagte Julie dabei, wie die gute alte Dame ihm diesen Personentausch erklären wird! Und wie glücklich,– das sah sie jetzt erst – war nicht auch gerade in dieser Stunde die Versöhnung der Räthin mit ihrem Vater gekommen – das war es ja gerade, was die Dame in eine solche Aufregung gebracht, daß sie jetzt dem seltsamen Töchtertausch gegenüber so wenig Ungläubigkeit, so wenig Lust zu untersuchen gezeigt hatte!


V.
Eine Verständigung.

Auch Philipp von Gudeneck hatte sich damit beschäftigt, seine Reisevorbereitungen zu machen; aber freilich war er damit nicht so hitzig zu Werke gegangen wie seine ältere Cousine. Er war in einer schwer zu beschreibenden Gemüthsstimmung. Seine ganze Seele sträubte sich ja wider die ihm zugeschobene Verbindung, und er sah doch nirgends ein Mittel, sich ihr zu entziehen. Zu dem natürlichen Widerstreben gegen eine solche octroyirte Partie mit einem ihm wildfremden Mädchen – ein Widerstreben, das, wie wir sahen, so stark in ihm war, daß er vierzehn Tage lang die Berührung dieser Angelegenheit bei Hammer nicht hatte über die Lippen bringen können – gesellte sich bei ihm jetzt noch ein ganz besonderer Grund, der sie ihm fatal machte.

Das hübsche Mädchen lag ihm im Sinn, welchem er am Abend vorher einen Ritterdienst erwiesen hatte, und das ihn ein Zufall am heutigen Morgen hatte wiederfinden lassen. Als er heute in der Wohnung der Räthin gewesen, hatte er beim Kommen und beim Gehen eifrig nach ihr ausgeschaut, aber nichts von ihr erblicken können. Sie war freilich nur die Dienerin – aber Philipp war auf seines Oheims Landgut nicht darnach erzogen, um bei einem so reizenden Geschöpfe, wie Marie ihm erschienen, nach Stand und Rang zu fragen, bevor sie ihm gefallen konnte. Und dazu hatte ja Marie auch in ihrem Benehmen nichts gezeigt, was ihn als vulgär abgestoßen hatte – er fand sie in jeder Beziehung vollkommen – sie hatte ganz und gar seine Eroberung gemacht … alle seine Gedanken flogen ihr zu und weilten bei ihr.

Sein Koffer stand endlich gepackt, er war dann gegangen und hatte sich seinen auf der Polizei deponirten Paß zurückgeholt und kam jetzt nachdenklich und langsam in seinen Gasthof zurückgeschlendert. Hier sagte ihm der Portier, daß ein junger Herr ihn zu sprechen verlange und oben auf dem Corridor auf und abschreite, um ihn zu erwarten.

Philipp eilte rasch die Stufen hinauf und fand den Fremden in der That auf dem Gang ungeduldig auf und ab wandelnd.

Verzeihen Sie, sagte er, daß ich hier Ihre Thür in Belagerungszustand versetzt habe! Aber ich höre, Sie wollen abreisen, und da durfte ich es denn nicht darauf ankommen lassen, Sie noch einmal zu verfehlen, denn einmal war ich schon hier.

Philipp erkannte die Stimme wieder und auch die wohlgenährte behagliche Gestalt des jungen Herrn – er sah, daß er es mit einem der beiden Männer zu thun habe, mit welchen er am Abende vorher ein Recontre gehabt. – Mit einer stummen Verbeugung öffnete er die Thür seines Zimmers und bat den Fremden einzutreten.

Sie ahnen, wozu ich komme, Herr von Gudeneck, sagte Holdau, nachdem er sich's auf Philipps Sopha ziemlich bequem gemacht. Mein Freund, der Gesandtschafts-Secretair von Treffer, fühlt sich durch Ihr Benehmen und Ihre Aeußerungen am gestrigen Abende beleidigt, und so habe ich den Auftrag …

O ich verstehe! fiel Philipp von Gudeneck ein – auch würde ich mit Vergnügen jede erwünschte Genugthuung geben – aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich wahrhaftig nicht weiß, wie die Sache zu arrangiren ist – ich habe nämlich keine andere Zeit für Sie zur Disposition, als zwischen jetzt und acht Uhr Abends – wenn Sie also nicht augenblicklich Alles bereit haben und wir nicht ein kleines Duell auf Leben und Tod ohne Weiteres improvisiren können, so weiß ich nicht, wie die Angelegenheit zu erledigen ist.

Sie wissen selbst, mein Herr, versetzte Holdau, daß solch' eine Angelegenheit sich nicht über's Knie brechen läßt. Sie werden also Ihre Reise aufschieben müssen!

Das ist leider noch weniger möglich!

Ich sollte doch denken, wenn die Ehre es erforderte …

Ja, Sie haben Recht! fiel Philipp ein, dem plötzlich die Idee kam, daß er in diesem Duell einen vortrefflichen Vorwand habe, bei der Räthin sich zu entschuldigen und diese ihre Reise für's Erste noch allein antreten zu lassen. Es kam freilich darauf an, ob die heftige lebhafte Frau einwilligen werde, und er fürchtete, wenn er sich ihre Art und Weise vorstellte, daß er einen harten Stand mit ihr haben werde – am Ende war es auch noch obendrein unklug, von dem Duell mit ihr zu reden, da Frauen vor solchen Ehrensachen einen eigenthümlichen Mangel an Respect zu haben pflegen, und die Räthin vielleicht sogar im Stande gewesen wäre, die Sache am Ende polizeilich hintertreiben zu lassen.

Während er hierüber nachsann und eine Weile schwieg, beobachtete ihn Holdau mit einem Ausdruck seiner Züge, in welchen ein aufsteigendes Mißtrauen sich auszusprechen schien. Philipp entging das nicht, und er sagte deshalb:

Ich fühle wohl, daß ich Ihnen seltsam vorkommen muß mit meiner unaufschiebbaren Reise – aber urtheilen Sie selbst – ich will ganz offen gegen Sie sein – weshalb sollte ich es auch nicht? – es handelt sich hier um eine Art von Braut- oder besser Hochzeitsreise – zur Hochzeit wenigstens; meine Braut erwartet mich diesen Abend acht Uhr; Sie werden jetzt eingestehen, daß hier für mich Pünktlichkeit geboten ist.

Freilich, antwortete Holdau achselzuckend. Es würde dann also nichts übrig bleiben, als daß Sie nach einigen Tagen zurückkämen, um meinem Freunde Satisfaction zu geben.

Allerdings – nur hat eine solche Zurückkunft ebenfalls ihre Schwierigkeiten – wir sind von meiner Heimath, Mecklenburg, hundertundfünfzig Stunden entfernt – lieber wäre mir mithin schon, daß wir vorher uns arrangirten!

Der Ausdruck von Mißtrauen in Holdau's Gesicht steigerte sich – es schien ihm offenbar, daß Philipp Ausreden suche.

Ich muß um eine bestimmtere Auskunft bitten, sagte er; Sie werden selbst einsehen, daß das, was Sie mir bisher sagten, nicht gerade befriedigender Natur für mich ist. Ich bin weit entfernt, irgend einen Unglauben gegen Ihre Worte auszudrücken, wenn es mir auch auffallend erscheinen sollte, daß Sie, Herr von Gudeneck, der, so viel ich weiß, hier nirgends in der Gesellschaft gesehen worden ist, eine Verlobung hier in unserer Stadt eingegangen und –

Mein Herr, unterbrach ihn Philipp mit einem zornigen Aufwallen, ich hoffe nicht, daß Sie sich herausnehmen, an der Wahrheit dessen, was ich Ihnen sage, einen Zweifel zu hegen. Ich bin seit heute Morgen mit der Tochter der Räthin Meddlhorst verlobt …

Was? Mit wem sind Sie verlobt? schrie hier Holdau auf.

Nun – weshalb electrisirt Sie der Name so? fragte Philipp verwundert.

Und heute schon wollen Sie mit Fräulein Marie abreisen?

Heute Abend um acht Uhr!

Ah – ich errathe! rief Holdau bitter ironisch – wohl eine Bekanntschaft von der Pension her, und da die Frau Räthin gute Gründe hat, ihren mütterlichen Segen dieser romantischen Neigung vorzuenthalten, so wollen Sie das Mädchen entführen – aber, mein Herr, setzte Holdau mit äußerster Entrüstung hinzu – daraus wird nichts – verlassen Sie sich auf mich – daraus wird nichts!

Ich begreife nicht, was Sie zu dieser Sprache berechtigt, versetzte Philipp, vor Zorn blaß werdend.

Was mich dazu berechtigt? Ich bin dazu berechtigt. Ich selbst habe, wenn Sie es wissen wollen, mein Herr, ich selbst habe Ansprüche auf die Hand dieser Dame! Ich habe bei ihrer Mutter um sie geworben. Diese hat mir ihre Einwilligung gegeben – und Sie begreifen deshalb, weshalb es sich in diesem Augenblick nicht mehr allein um ein Demêlé zwischen Ihnen und meinem Freunde, sondern um eines zwischen uns Beiden handelt!

Philipp sah den erhitzten Menschen, der sich drohend vor ihn gepflanzt hatte, mit großen Augen an.

Was Sie mir da sagen, ist mir äußerst neu, sagte er dann mit dem vollständigsten Gleichmuth – äußerst neu und überraschend– und wenn Ihr Gemüthszustand Ihnen so viel Ruhe übrig läßt, so hätte ich sehr große Lust, die Angelegenheit mit Ihnen in friedlicher Weise gründlich zu erörtern. Bitte, nehmen Sie Ihren Platz wieder ein – ich versichere Sie, mein Herr, es soll nicht an mir liegen, wenn wir nicht als die besten Freunde von der Welt auseinander gehen!

Holdau lehnte Philipps Einladung, sich nieder zu setzen, mit einer kurz abgemessenen Verbeugung ab und blieb stehen. Philipp ließ sich dadurch nicht irre machen und fuhr fort:

Also zuerst – meine Verbindung mit der jungen Dame ist keineswegs eine hinter dem Rücken der Mutter geschlossene – meine verehrte Frau Cousine, die Räthin, ist es, welche darauf dringt, daß wir augenblicklich zusammen abreisen …

Die Räthin? fuhr Holdau heraus.

Ich, fügte Philipp hinzu, kenne meine Zukünftige noch wenig – sehr wenig! wir reichen uns die Hand, weil – nun ja, weil wir gewisser Verhältnisse wegen eben eine sehr passende Partie für einander sind; diese große Eile jedoch, womit wir von hier zusammen abreisen sollen, lag nicht in meinen Wünschen, im Gegentheil – ich folge da nur den – um ganz offen zu sein – etwas gebieterischen Anordnungen der Frau Räthin, meiner künftigen Schwiegermutter, welche zugleich meine Cousine ist.

Philipp theilte dies Alles Holdau mit einer so offenen Bonhomie mit, daß sein Benehmen etwas wahrhaft Naives hatte.

Holdau blickte ihn unterdeß mit düster gerunzelter Stirn und zornigen Blicken an.

Die Geschichte, welche ich da erfahre, ist wahrhaft empörend, sagte er dann. Eine solche Zweizüngigkeit ist mir in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen. Noch diesen Morgen hat mir die Räthin Zusagen gemacht, die mich auf die redlichste Offenherzigkeit dieser Frau hätten Häuser bauen lassen – und jetzt –

Nach dem, was Sie sagen oder vielmehr, was Sie mich aus Ihren Ausrufen schließen lassen, entgegnete Philipp, muß ich beinahe annehmen, daß gerade Ihr Verhältniß zu der jungen Dame, von welcher wir reden, vielleicht von Einfluß auf die übertriebene Eilfertigkeit der Räthin ist, uns von hier fortzuschaffen. –

O das scheint allerdings – es scheint allerdings eine Escapade hinter meinem Rücken …

An der ich aber wahrhaftig nicht Schuld bin, fiel Philipp ein, dem die ganze Angelegenheit immer mehr in heiterem Lichte zu erscheinen begann, und der über Holdau's Miene, in welcher Schrecken und Entrüstung kämpften, jetzt zu lachen anfing.

Holdau warf ihm einen wüthenden Blick zu.

Philipp nahm sich zusammen, um das blutende Herz eines unglücklich Liebenden nicht zu kränken.

Nun, ich meine, um zu einem Ende in dieser Angelegenheit zu kommen – die Sache konnte ja vielleicht einfach geschlichtet werden. Ich bin nicht der Mann, der gesonnen ist, den Neigungen eines jungen Mädchens Gewalt anzuthun – Gott soll mich bewahren, – bestehen also ältere Beziehungen zwischen der Dame und Ihnen,– Beziehungen einer so zarten Natur, daß es grausam wäre, sie zu zerreißen – dann weiche ich von Herzen gern mit meinen schwächeren Ansprüchen von neuerem Datum, und überlasse es Ihnen, die Ihrigen geltend zu machen. Ich meine, mehr kann ich nicht thun!

Es ist wahr – ich muß Ihnen dankbar sein für diese Art, die Sache aufzufassen, fiel Holdau ein, doch nicht mit der freudigen Ueberraschung, welche Philipp bei ihm erwartet hatte.

Holdau begriff wohl, daß er eigentlich wenig Aussicht hatte, bei Marie über einen Nebenbuhler obzusiegen, wenn so plötzlich, schon heute, die Entscheidung von ihr gefordert würde. Daß es ihm gelingen werde, ihr Herz allmälig zu erobern, darin hatte seine Eitelkeit keinen Zweifel gehegt; aber etwas Zeit müßte ihm wenigstens gelassen werden – das räumte diese Eitelkeit denn doch ein – und besonders heute schon auf Mariens Entscheidung zwischen ihm und Philipp zu dringen, war um so mißlicher, als sie ihm erst gestern Dinge gesagt, die durchaus nicht wie Geständnisse aussahen und ihm dabei sein abgebrochenes Verhältniß zu Julie sehr ernst vorgerückt hatte. Er bedurfte also nothwendiger Weise der Zeit, um bei Marien einen nachtheiligen Eindruck zu verwischen, zu entschuldigen und gut zu machen.

Um diesen Plan auszuführen, begann er deshalb sehr nachdenklich nach einer Pause, müßten wir aber eine Zeit lang der Dame zur Ueberlegung lassen …

Das geht nicht, fiel Philipp ein. Die Räthin will fort, und diese Frau scheint mir die allerletzte zu sein, deren Entschlüsse sich umstoßen lassen.

Nun dann in Gottes Namen – so kann ich die Partie nicht aufgeben! rief Holdau aus. Also um acht Uhr reisen Sie?

Um acht Uhr – der Wagen ist an den Gartenpavillon meiner Cousine bestellt. –

Gut, daß ich das weiß! Hinter meinem Rücken soll also wenigstens diese Entführung nicht stattfinden!

Holdau griff nach seinem Hute, machte eine kurze Verbeugung und ging.

Aber unsre andere Angelegenheit – Ihr Freund Treffer …? rief ihm Philipp nach.

Holdau hörte gar nicht mehr. Mit langen schweren Schritten eilte er zornig den Corridor und die Stiegen hinab.

Das ist ja eine wahrhaft providentielle Begegnung noch in der elften Stunde! sagte Philipp frohlockend, als er von der Thür, wo er Holdau vergeblich jene Erinnerung nachgerufen, zurückkam – wahrhaft providentiell; ich denke, er wird sich jetzt schnurstracks bei meiner vortrefflichen Cousine melden und seine Rechte schon geltend machen. Nun, Gott sei Lob und Dank, die Sache nimmt eine heiterere Wendung, als ich noch vor einer Viertelstunde ahnen konnte. Nun darf mir der Oheim nichts vorwerfen! Ich bin aber zu spät gekommen! Das kleine Fräulein ist engagirt! Da ist nichts zu machen!

Philipp rieb sich die Hände und fühlte sich ausnehmend guter Laune.

Jetzt wäre es eigentlich Zeit, sagte er dann, daß ich ginge und meiner Zukünftigen meine Aufwartung machte, damit wir uns einmal Aug' in Aug' gegenüber ständen. Aber ich denke, ich lasse das schön bleiben. Dieser Herr Assessor Holdau, oder wie er heißt, geht wahrscheinlich direct von hier zum Sturme bei meiner verehrten Cousine. Da will ich nicht stören. Mögen die Leutchen diese kleine Angelegenheit en famille ausmachen. Das wird besser sein. Wahrhaftig, ich will lieber meinen lustigen alten Vetter, den vortrefflichen Mimen Hammer, endlich einmal aufsuchen. Ich habe schmählich mein Wort gebrochen, ihm gleich Nachricht zu bringen. Er wird nach mir lechzen wie der dürstende Hirsch nach kühlem Wasser. Der arme Teufel! Was hat er mir nicht Alles aufgetragen, was ich über ihn bei meiner Cousine fallen lassen sollte! Und ich, ich habe verrätherischer Weise auch kein einziges Wort von allem dem gesagt! Es war freilich auch keine Zeit dazu! Nun, es werden sich schon allerlei Trostgründe für ihn finden lassen! –

Eilen wir Philipp auf seinem Gange voraus in die Wohnung Hammers. Mit dieser war seit dem Vormittage eine ganz eigenthümliche Veränderung vorgegangen. Es war darin aufgeräumt, daß man sie nicht wieder kannte. Die Möbel standen geordnet und abgestäubt, die Papiere und Bücher lagen in regelmäßigen Packeten, die Kleidungsstücke, welche unordentlich umher gefahren, lagen in den Schubladen der Kommode in schönster Ordnung; eben so ordentlich sah es in dem Schlafzimmer aus und in dem kleinen Alkoven, den sich Marie zu ihrem eigenen Schlafcloset erwählt und eingerichtet hatte.

Sie hatte dazu sich Juliens Bett von Joseph Pechtold, der natürlich, als er um die Mittagsstunde heimkam, sein Schwesterchen bereits Stunden weit von der Stadt auf dem Wege zur Tante wähnte – erbeten und hatte es mit seiner Hülfe herübergetragen. Da Pechtold Mariens Verhältnisse nicht kannte und glaubte, daß sie bisher als Kammermädchen im Dienst gewesen, so hatte es für ihn nichts Auffallendes gehabt, sie werde, weil sie ihre Stelle verloren habe, von nun an bei ihrem Vater wohnen. Pechtold war ihr bei der Einrichtung der kleinen Wohnung Hammers auch sonst auf's Bereitwilligste zur Hand gegangen, und im Verein mit der Arbeit hatte sein Geplauder dazu gedient, sie zu zerstreuen und ihre innere Angst über ihren gewagten Schritt und ihren wunderlichen Entschluß zu unterdrücken. Nachmittags war er gegangen, um zu seinen Geschäften zurückzukehren.

Hammer war den ganzen Tag nicht heimgekommen. Er war gewohnt, in einem Speisehause sehr untergeordneten Ranges zu essen, nach Tisch mit den Stammgästen lange Domino um seine Tasse Kaffee zu spielen und dann große Spaziergänge zu machen. Marie hatte heute dagegen gar nicht zu Mittag gegessen. Wie ihr Diner einzurichten, das wollte sie am Abende mit dem Vater besprechen; heute hatte sie vor lauter Aufregung gar kein Bedürfniß zu essen verspürt.

Als es aber Abend wurde, stellte sich dies Bedürfniß doch ein. Sie entschloß sich endlich auszugehen, um einige Eßwaaren einzukaufen. Als sie zurückkam, einige Bäckerwaaren in einem Körbchen in der Hand, erschrak sie sehr, im Vorraum zur Wohnung Hammer's einen Fremden zu erblicken; es war Philipp, der eben gekommen und vergeblich an die Thür des alten Herrn geklopft hatte.

Er war gerade im Begriff, wieder fortzugehen, als die Glasthür vom Gang her sich öffnete und Marie eintrat. In dem dämmernden Lichte des Abends kam sie dem jungen Manne zauberhaft schön vor.

Ach – sagte er – sehe ich Sie noch einmal – Fräulein … doch ich weiß ja nicht einmal, wie ich Sie nennen soll – Sie haben mir nicht einmal die kleine Gunst erwiesen, mir Ihren Namen zu sagen!

Mein Name, versetzte sie – der ist gar kein besonders schöner, nicht einmal ein guter! Ich heiße Marie.

Und das wäre kein guter Name?

Ich meine, antwortete sie ernst, beinahe traurig, es liegt etwas Prophetisches in den Namen. Marie ist kein glücklicher. Er lautet wie der Titel eines Lebensdrama's voll von Leid!

Seltsame Idee! Ist denn Philipp ein glücklicher Name? Ich heiße Philipp.

Philipp? antwortete Marie, dabei denkt man an lauter Menschen, welche keine besondere Tugendspiegel waren – Philipp von Macedonien, Philipp II., Philipp August Philipp von Makedonien ist der Vater Alexanders d. Gr.; Philipp II.: König Spaniens 1556-1598; Philipp II. August: von 1180 bis 1223 König von Frankreich; einer der bedeutendsten Könige in der mittelalterlichen Geschichte des Landes. – Alle drei führten zahlreiche Kriege. – Anm.d.Hrsg. – aber freilich, setzte sie lächelnd und wie zur Beruhigung hinzu – es gab auch einen Philipp den Guten Philipp der Gute: 1419-1567 Herzog von Burgund; vereinte ohne Krieg Grafschaften und Herzogtümer, aus denen später die Niederlande, Belgien und Luxemburg hervorgingen; begünstigte die Künste und Wissenschaften und beförderte Handel und Gewerbe. Seine Regierungszeit bezeichnet eine Periode beispielloser kultureller Blüte. – Anm.d.Hrsg., einen Herzog von Burgund!

Oh Gott lohne es ihm – rief Philipp scherzend aus – sehen Sie, das ist der meine, auf den bin ich getauft! Aber sagen Sie mir, – es ist das zwar eine etwas impertinente Frage, aber ich hoffe, Sie verzeihen es – sagen Sie mir, wie kommt es denn, daß Sie so etwas wissen, daß Sie die Geschichte verstehen wie ein Professor – das ist ja merkwürdig …

O für ein wohlerzogenes Kammermädchen, versetzte Marie scherzend, ist das noch gar nichts! Ihre beleidigende Verwunderung kann Ihnen nur vergeben werden, weil Sie, wie Sie mir gestern sagten, direct vom Lande kommen!

Ja wahrhaftig, direct vom Lande – und das sieht man mir auch wohl an, nicht wahr? O es ist gar schlimm, wenn man immer auf dem Lande gelebt hat. Man ist dann so blöde und schüchtern, daß man gar nicht wagt, zu sagen, wie es Einem um's Herz ist.

Das ist mir etwas Neues, antwortete Marie in heiterem Tone – etwas ganz Neues. Ich habe immer geglaubt und gehört – denn ich selbst war nie auf dem Lande, sondern immer in großen Städten –

Und da haben Sie gehört?

Daß die Landbewohner sich recht viel darauf zu Gute thäten, immer offen und gradeaus ihre Meinung zu sagen!

Ihre Meinung – ja das mag wohl sein. Aber es giebt und lebt doch mehr als bloße Meinungen im Menschen – z. B. ihr Gefühl – ihr Herz – das ist es, was uns nicht über die Zunge will – besonders, fuhr Philipp fort, wenn wir mit einem so gebildeten und gescheuten jungen Mädchen zusammentreffen, das uns dann freilich auch wohl etwas zu Hülfe kommen und seine Gescheutheit dazu anwenden könnte, unsere blöden, aber desto innigeren und wärmern Gefühle ein klein wenig zu errathen!

Marie fühlte wohl, daß Philipp diese Sprache nicht bei ihr gewagt hätte, wenn er sie nicht für etwas gehalten, was sie nicht war. Aber trotzdem fühlte sie sich eigenthümlicher Weise davon nicht verletzt, und so sagte sie nur lächelnd: So viel ist gewiß – naiv, das sind die Landbewohner!

O, weshalb?

Ich meine, das ist weit weniger schwer zu errathen, als was Sie eben von mir errathen sehen wollten! Und da wir jetzt Jeder unser kleines Räthsel haben, so denke ich, wir suchen nun die Einsamkeit auf, um diese fürchterlich schweren Probleme im stillen Nachdenken zu lösen. Deshalb: Adieu!

Adieu, Fräulein! Darf ich nicht hoffen …

Aber Marie war bereits in dem Zimmer Juliens, aus welchem sie den Handkorb geholt, den sie gebraucht und den sie jetzt vor allen Dingen wieder an seine Stelle bringen wollte, verschwunden, bevor noch Philipp seinen »Hoffnungen« hatte einen Ausdruck geben können.

Philipp entfernte sich jetzt auch, indem er beschloß, zu einer spätern Stunde den Versuch, Hammer noch einmal zu sprechen, zu wiederholen.


VI.
Am Pavillon.

Es war völliger Abend geworden. Die Uhren auf den verschiedenen Thürmen der großen Stadt schlugen nacheinander drei Schläge – drei Viertel auf Acht. Herr Hammer kehrte in äußerst verdrießlicher Stimmung nach Hause zurück. Er hatte am Vormittag mit Philipp verabredet, daß dieser um die Mittagstunde ihn in seinem Speisehause aufsuchen solle, um ihm Nachrichten zu bringen und mitzutheilen, wie seine »Minona« die große Kunde von ihres Hammers Nähe und seinen überaus hochherzigen Gefühlen aufgenommen habe. Aber kein Philipp hatte sich blicken lassen.

Der junge Mann, haben wir gesehen, hatte ja gar keine Gelegenheit gefunden, in seiner Unterredung mit der Räthin auch nur ein Wort über Hammer einfließen zu lassen; als er seine Cousine verlassen, war er überdem viel zu sehr mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt, als daß er es über sich vermocht hätte, einer Unterredung mit dem alten Herrn entgegen zu gehen, der bei heiterer Stimmung ein vortrefflicher Gesellschafter für eine halbe Stunde war – aber keineswegs geeignet zum Verkehre in einer ernsten Lage.

So kam es, daß Philipp, was den verheißenen Besuch in dem Speisehause anging, schmählich wortbrüchig geworden; – daß Hammer dort den ganzen Nachmittag seiner harrend zubringen werde, das hatte Philipp freilich nicht geahnt und deshalb seine Schritte später ja auch nach der Wohnung Hammers gerichtet.

Genug, Hammer kehrte jetzt von einem Spaziergang in der übelsten Laune heim. Er verwünschte in sehr vielen, für die Situation wie geschaffenen Sentenzen und Versen aus den namhaftesten neueren und älteren dramatischen Dichtern, Götter und Menschen, Zeit und Welt. Als sein Fuß die Schwelle zu dem Vorraum von seiner Wohnung überschritt, öffnete sich gerade die Thür Pechtolds und dieser selbst, in Mantel und Hut, trat heraus, eben beschäftigt, ein Paar starke Lederhandschuhe anzuziehen.

Es war gerade noch hell genug, daß Pechtold bemerken konnte, wie auffallend sorgsam Hammer heute herausstaffirt war. In dieser ausgezeichneten Toilette, worin der alte Herr die Wiedereroberung seiner treulosen Sposa hatte machen wollen, wenn, wie seine sanguinischen Hoffnungen ihn hatten voraussetzen lassen, Philipp gekommen wäre, um ihn direct zur Audienz bei der Grausamen zu führen – in dieser wirklich ausgezeichneten Toilette, sagen wir, hatte der ehrliche Fuhrwerksunternehmer seinen Stubennachbar noch nicht erblickt.

Aber – sagte er, deshalb stehen bleibend – Papa Hammer, wie sehen Sie aus? Sie sind ja aufgedonnert … nun, wahrhaftig, gestehen Sie's nur, Sie haben etwas vor!

Etwas vor, beliebten Sie zu sagen, Pechtold? fragte Hammer außer Gewohnheit ernst und gehalten. Ich wüßte nicht, was ich vor mir haben sollte, was nur entfernt an das hinan reichte, was ich hinter mir habe, mein guter Freund. Nein, Pechtold, sollte das Leben einem müden Erdenwaller noch etwas bieten, was überhaupt der Rede werth wäre, so würde es doch zu einem farblosen Nichts erblassen, verglichen mit den Erlebnissen meiner schaukelnden Wogenfahrt über den Ocean eines erweiterten Daseins der Vergangenheit! Wenn ich Ihnen einmal den kurzen Inhalt einer –

Langen Geschichte, ich weiß, ich weiß, Papa Hammer, unterbrach ihn Pechtold, ich habe leider in diesem Augenblicke Eile, ich muß fort – aber wahrhaftig, wenn Sie mir nicht hier so ruhig nach Hause kommend begegnet wären, – ich hätte darauf geschworen, Sie hätten etwas ganz besonderes vor in der Eleganz! Ei der Tausend, wie das Alles Ihnen steht – in dem Frack da haben Sie gewiß schon mal auf der Bühne geglänzt!

Gewiß, mein Freund – gewiß – in der gefährlichen Tante, in …

Hab's mir gedacht, daß Sie schon mal gefährlich darin geworden sind, aber behüt' Sie Gott, Papa Hammer, wie gesagt, ich habe Eile, und ein paar Tage kann's währen, bis ich zurückkomme – ich sollt' eigentlich nicht selber gehen, aber in meiner Wohnung kommt's mir so verlassen und öde vor seit die Julie fort ist, daß ich mich just entschlossen habe, mich selbst auf den Bock zu setzen statt des alten Konrad und die Tour zu machen – es ist außerdem eine curiose Bestellung, die mich ein bischen neugierig gemacht hat, was denn eigentlich dahinter steckt; – nun, Sie haben unterdeß schon Ihren Zeitvertreib – gehen Sie nur in Ihre Wohnung hinein – da ist Ihre Tochter, die auf Sie wartet –

Marie ist da? unterbrach ihn Hammer. Aber wohin geht denn die Reise mit Ihnen, Pechtold?

Ja, sehen Sie, das ist das Merkwürdige an der Sache, ich weiß es selber nicht. Heute Abend Schlag acht Uhr, so ist es bei mir bestellt worden, ein geräumiger Reisewagen mit vier Pferden, hinten an dem Gartenpavillon der Räthin Meddlhorst.

Der Räthin – wer? platzte Hammer heraus.

Der Räthin Meddlhorst, antwortete Pechtold – wohin die mit vier Pferden Abends spät hinten aus dem Gartenthürchen hinaus abkutschiren will, das begreife der Henker; und ohne mir dabei zu schreiben – denn durch ein versiegeltes Zettelchen hat sie die Bestellung bei mir gemacht – auf wie lange sie den Wagen will –

Joseph – Joseph – welche Schreckenskunde, unterbrach den Redenden hier Hammer, der bisher sprachlos wie eine Bildsäule dagestanden hatte – die Räthin Meddlhorst! sie reist ab – in der Stille der Alles bedeckenden Nacht – mit vier Pferden! o himmlische Heerschaaren, es kann nicht sein, kann nicht sein, kann nicht sein – Herr des Himmels – das also ist die Wirkung alles dessen, was ich ihr heute sagen ließ?! Die Kunde, daß ich hier, treibt sie zur Flucht?! O, dann wäre Alles, Alles für dich verloren! Armer Hammer! Aber nein, noch ist Nichts, gar Nichts verloren:

Fahr' hin, barmherzige Gelassenheit,
Zum Himmel fliehe, leidende Geduld!

Nach diesem Ausbruch seiner Gemüthserschütterung, die mit dem höchsten Pathos in Ton und Geberde vorgebracht war, wandte sich Hammer, hatte mit zwei Schritten die Thür des Vorraums erreicht und – stürzte ab.

Das laute und leidenschaftliche Declamiren des alten Herrn hatte das Ohr Mariens erreicht und diese war aus der Wohnung ihres Vaters herbeigeeilt. Sie hatte noch die letzten Worte desselben verstanden und ihn verschwinden sehen – ihr Ruf: Vater – was haben Sie? Vater – so hören Sie doch! – war jedoch unvernommen hinter ihm verhallt und deshalb wandte sie sich jetzt ängstlich an Pechtold, den sie voll Verwunderung über die Scene, welche der alte Herr gespielt hatte, dastehen sah. –

Was bedeutet das – was ist dem Vater, Herr Pechtold?

Das weiß der Himmel, was ihm überkommen ist! Ich habe ihm gesagt, daß Ihre bisherige Herrschaft, die Räthin Meddlhorst, eben im Stillen in die Welt hineinkutschiren will, und daß ich gehe, um sie dabei zu fahren – da hat er ein ganzes Orgelregister losgelassen und ist auf und davon – gerade als ob ihm Einer die alte Dame stehlen wollte oder gar entführen, und er wäre der Liebhaber.

Mit diesen Worten ging Pechtold kopfschüttelnd von dannen und die Treppen hinab.

Marie war bei seiner Mittheilung beinahe das Herz still gestanden.

Ihre Kniee wankten und einen Augenblick lang hielt sie sich an der Einfassung der Thür, unter welcher sie stand, aufrecht.

Um Gotteswillen! sagte sie sich – das wird eine schreckliche Scene geben. Meine Mutter reist ab! Sicherlich weil Julie ihr erzählt hat, daß der Vater hier sei – freilich, es war ja für Julie kaum zu umgehen, von ihm zu reden, zu sagen, daß er ihr die Papiere übergeben, daß sie bei ihm gewohnt. – – – Und nun stürzt er hin – und was wird er sagen, wenn er Julie dort erblickt statt meiner! Und Pechtold, wenn er seine Schwester sieht! und ich – ich darf meinen Vater nicht allein lassen – ich darf bei diesem Sturm nicht feige in der Ferne bleiben – was würde Julie auch sagen, wenn ich sie Alles allein ausbaden ließe! –

Schon bei den letzten Worten war Marie an die Wohnung ihres Vaters zurückgekehrt, hatte Hut und Umschlagtuch genommen und hastig angelegt, und nun eilte auch sie so schnell sie konnte davon und zum Hause hinaus.

Unten auf der Straße angekommen schlug sie hastig den ihr bekannten Weg ein. Nachdem sie etwa hundert Schritte weit gegangen, gelangte sie in die breite Straße, in deren Mitte links das große Brunnenmonument stand und in welcher wir schon einmal Marien begegneten – damals aber leider nicht wir allein, sondern als noch ein paar andere Herren außer uns dies Vergnügen hatten. Die Straße mußte jedoch für Marien offenbar etwas Verhängnißvolles haben; denn als sie der Stelle nahe war, wo damals Holdau und Treffer die Grausamkeit hatten, das arme Mädchen zu erschrecken, begegnete ihr Philipp, der gerade aus einer schmalen Seitengasse kam und auf dem Wege zu ihrem Vater begriffen war, weil er denselben jetzt nach Hause heimgekehrt vermuthen durfte.

Marie erkannte ihn auf der Stelle.

Sie eilte auf ihn zu, sie streckte, gerade als ob sie bei seinem Anblick eine plötzliche Freude ergriffe, ihm die Hand entgegen und rief aus:

O wie gut, daß ich Sie sehe – Sie müssen mir einen Dienst erweisen –

Tausend, Fräulein – gebieten Sie über mich!

Bitte, eilen Sie mir voraus, am Ende der Straße finden Sie Fiacres, senden Sie mir einen entgegen – ich bin in höchster Eile und meine Kniee tragen mich nicht weiter.

Was ist Ihnen, Fräulein – Sie scheinen so bewegt?

O, fragen Sie nicht – o, eilen Sie!

Auf der Stelle.

Philipp wandte sich und war windschnell Marien weit voraus. Die letztere folgte ihm langsamer. Nach zwei Minuten war Philipp wieder bei ihr, einen Fiacre, der rasch herantrabte, hinter sich.

Marie eilte einzusteigen. Zur Räthin Meddlhorst, Karlsstraße 14, befahl sie dem Kutscher.

Philipp riß den Schlag auf und reichte ihr die Hand.

Sie müssen meinem Vater begegnet sein, ist er Ihnen nicht entgegen gekommen vorhin? fragte sie hastig beim Einsteigen und während Philipp hinter ihr den Schlag zumachte.

Ihren Vater? den kenn' ich ja nicht, Fräulein!

Sie waren ja diesen Morgen bei ihm, Sie kamen aus seinem Zimmer, antwortete Marie – dann aber fügte sie schnell hinzu: ach Gott, ich vergaß in meinem Schrecken – – –

Der Wagen rollte davon, ihre letzten Worte wurden vom Rasseln der Räder erstickt und Philipp blickte wie angedonnert dem forteilenden Gefähr nach.

Was? rief er aus – meinen Vater, sagte sie? und: Sie waren ja diesen Morgen bei ihm! Wen anders kann sie meinen als Hammer? Alle Wetter, so hat sie mich zum Besten gehabt und sie ist doch seine Tochter! Dacht' ich's doch im ersten Augenblick! Aber weshalb mich so anführen?

Das waren Philipps erste Gedanken bei dieser Entdeckung; die Gedanken jedoch, welche sich ihm im nächsten Augenblick aufdrängten, waren viel unerfreulicherer und erschreckenderer Natur.

Also sie ist meine Braut, meine Bestimmte – und – o, das ist ja entsetzlich, das ist ja um darüber des Teufels zu werden – ich, ich selbst habe dafür gesorgt, daß mir ein Anderer den Rang bei ihr abläuft und sie mir abwendig macht – ich habe diesen Holdau gehetzt und zu ihr gesandt – und jetzt – ja jetzt hole ich selber ihr noch den Fiacre, damit sie richtig um acht Uhr wieder in ihrer Mutter Haus sein kann – um acht Uhr soll also die Abreise vor sich gehen, dabei ist es geblieben, weshalb wäre sie sonst so bewegt gewesen und weshalb hätte sie sonst solche Eile? Und ich Narr, ich Thor schlendere während Alles dessen hier gemächlich … nein, so etwas ist noch nicht dagewesen! Das ist ja zum Todtschießen!

Mit diesen Worten rannte Philipp dem Wagen nach, den er noch einige Augenblicke lang vor sich erblickte und der dann um die nächste Straßenecke verschwand. Hatte er früher lange Schritte gemacht, um den Fiacre zu holen, so machte er sie jetzt doppelt so lang, um Marien nachzueilen, und dabei rief er einmal über das andere athemlos aus:

Ich entsetzlicher Thor! Ich unverantwortlicher Esel!

Dann, als er an's Ende der Straße gekommen, warf auch er sich in einen Fiacre und hieß ihn fahren, so schnell der alte Gaul nur irgend noch vom Flecke kommen könne.

Wir eilen ihm zuvor, und langen noch früher als die verschiedenen Personen, welche wir mit solcher Hast und Gemüthsbewegung sich zum Hause der Räthin Meddlhorst bewegen sehen, in dem Gartenpavillon der würdigen Dame an, von welchem aus sie ihre Reise anzutreten beschlossen hat. Der Tag ist ihr sauer geworden, wie wohl kaum einer in ihrem Leben. Man hängt an hundert Faden mit seinen Umgebungen zusammen, wenn man in der Stadt lebt. Wenige davon können plötzlich und ohne Weiteres abgerissen werden. Eine ganze Reihe Bekannter würde sich tödtlich beleidigt fühlen, wenn man nicht feierlichst Abschiedsbesuche bei ihnen machte. –

Die Räthin Meddlhorst machte aber dennoch keine Abschiedsbesuche; und was sich von jenen Fäden nicht lösen ließ, das zerriß sie eben dennoch. Sie packte und rüstete sich und ließ ihre Domestiken sich außer Athem laufen, bald mit diesem, bald mit jenem Auftrage; den besten Freunden mußten sie Karten mit ein paar Worten in hastiger Bleistiftschrift überbringen, dann mußten sie Sachen, die bei den Handwerkern in Arbeit waren, holen, Rechnungen berichtigen u. s. w. u. s. w.

So war denn auch diesen geplagten Domestiken die Zeit und die Lust vergangen, viel zu conjecturiren und zu spioniren, woher diese plötzliche Abreise und wie es komme, daß Fräulein Marie den ganzen Tag in ihrem Zimmer eingeschlossen bleibe, und Niemand durch die Klingel von ihr herbeigerufen werde, um ihr irgend etwas zu bringen, bei irgend etwas beizustehen.

Besuche, welche sich meldeten, wurden nicht angenommen. Nur Einer ward vorgelassen, und der war Treffer – die Räthin hatte ihn durch ein paar Zeilen zu sich beschicken und dann eine lange Unterredung mit ihm gehabt; am Ende derselben und nachdem Treffer sich zärtlich verabschiedet, hatte sie ihren Domestiken mitgetheilt, daß während ihrer Abwesenheit Treffer von Zeit zu Zeit kommen und sich ihrer Angelegenheiten und ihres Hauses annehmen werde. –

Holdau war nicht weniger als zwei Mal dagewesen – aber beide Male hatte man ihn abgewiesen. Das zweite Mal hatte sich die Räthin entschuldigen lassen, sie sei über alle Begriffe beschäftigt und in Anspruch genommen durch Vorbereitungen zu einer plötzlichen, durchaus nothwendigen Abreise. Sie hatte hinzufügen lassen, sie werde Herrn Holdau in den nächsten Tagen schreiben.

So war denn endlich der Augenblick der Abreise gekommen. Die Räthin seufzte hoch auf und fühlte sich wunderbar erleichtert bei dem Gedanken, daß Alles gut gegangen, daß Niemand etwas von dem schrecklichen Qui pro quo mit ihrer Tochter erfahren – auch Treffer hatte sie darüber nichts gesagt. Sie konnte sich jetzt mit Julie durch den kleinen Garten in den Pavillon begeben, der am Ende desselben lag und einen Ausgang auf eine wenig belebte Straße bot. Sie hatte diese Art ihre Abreise zu bewerkstelligen gewählt, weil, wenn sie von ihrem Hause aus abgereist wäre, sie die Begleitung ihrer Domestiken, die sich gewiß Abschied nehmend bis an ihren Wagen nachgedrängt hätten, nicht zu vermeiden sah. Und doch sollte Niemand Julie erblicken, welche leider in ihrer Gestalt wenig Aehnlichkeit mit Marie hatte.

Es war nahe acht Uhr. Julie hatte einen Mantel zum Schutz wider die Kühle der Nacht umgeschlagen; ein Schleier verhüllte ihr Gesicht. Auch die Räthin war reisefertig. Die beiden Damen traten aus ihren Zimmern auf den erleuchteten Corridor.

Jetzt, flüsterte die Räthin, gehst Du rasch durch den Garten in den Pavillon, Marie – ich trete in das Gesindezimmer und gebe noch einige Befehle darüber, wie es während meiner Abwesenheit zu halten ist. Die Mädchen werden dadurch in dem Zimmer gehalten und können Dich nicht fortgehen sehen; in einem Augenblick folge ich Dir.

Julie that wie die Räthin befahl; sie gelangte durch das Haus und den Garten unbeobachtet in den Pavillon. Hier fand sie ein Paar Koffer und mehrere Kartons, welche die Räthin hatte dorthin schaffen lassen. Sie warf sich auf einen der Sessel, welche in dem kleinen, von der Dämmerung nur noch sehr matt erleuchteten Gartenzimmer standen.

O mein Gott, sagte sie mit einem Stoßseufzer, mein Herz droht mir zu zerspringen, so klopft es! Was wird Holdau sagen, wenn er kommt, was wird er sagen?!

In diesem Augenblick trat eilig die Räthin ein.

Dem Himmel sei Dank, daß wir so weit sind, rief sie aus. Der Wagen ist noch nicht da! Nun, er muß in der nächsten Minute kommen.

Es ist acht Uhr!

Julie antwortete nicht.

Liebes Kind, sagte die Räthin, nachdem sie Julie eine Weile schweigend angesehen – weißt Du, daß ich eigentlich Dich bewundere!

Und weshalb, wenn ich fragen darf? erwiederte Julie ziemlich tonlos.

Sie war in einer Aufregung, daß es ihr schwer wurde zu sprechen.

Wegen Deiner Gemüthsruhe, wegen Deines Phlegma.

Ja, das ist allerdings meine starke Seite! antwortete Julie ironisch lächelnd.

Du hast während des ganzen Nachmittags nicht einen Augenblick Zeit gefunden, mich nach Deinem Bräutigam auszuhorchen – ja, Du hast mir nicht einmal mit einer Sylbe das Verlangen verrathen, ihn vorher auch nur zu sehen – was mir, nebenbei gesagt, recht lieb war, da wir wahrhaftig keine Zeit dazu hatten!

Sie selbst waren so beschäftigt, antwortete Julie verlegen, so ganz in Ihre Reisezurüstungen vertieft – und dann waren es ja immer auch nur ein paar flüchtige Augenblicke, in welchen Sie zu mir kamen, um mir von Zeit zu Zeit ein paar Worte zu sagen – gleich darauf verschwanden Sie wieder – in der That, ich hatte ja gar keine Gelegenheit, mir von Ihnen etwas über meinen Bräutigam sagen zu lassen. Jetzt freilich bin ich desto gespannter. –

O, fiel die Räthin ein – er wird Dir schon gefallen; Du wirst ihn ein wenig ländlich ungenirt finden – aber bei der Erziehung, welche Du durch die Schuld – nun ich will weiter nicht davon reden, durch wessen Schuld, damit ich nicht ein Gallenfieber bekomme, wenn ich daran denke – bei der Erziehung, welche Du erhalten oder besser nicht erhalten hast, wird Dir das weniger auffallen, und das ist noch das einzige Glück bei dieser ganzen entsetzlichen Geschichte. Er hat immer auf dem Lande gelebt. –

Auf dem Lande gelebt? wer? mein Bräutigam? fragte Julie lebhaft auffahrend.

Nun ja, freilich – versetzte die Räthin, ich glaube kaum, daß mein guter Vetter in Allem je sechs Monate in einer Stadt zugebracht hat.

Ihr Vetter?

Mein Vetter, versetzte die Räthin – aber horch, der Wagen kommt, ich höre ihn heranrollen. –

Um's Himmelswillen, von wem reden Sie?!

Nun, von Deinem Vetter und Bräutigam, mein Kind. Ich weiß nicht, ob Dir bekannt ist, daß Dein Großvater eine jüngere Schwester hatte, die sich an einen Herrn von Gudeneck verheirathet hatte; Philipp ist deren zweiter Sohn –

Grundgütiger Gott! rief Julie so erschrocken aus, daß die Räthin hätte glauben müssen, es sei ihr ein Unglück zugestoßen, wenn nicht Juliens Stimme ganz erstickt worden wäre von dem Rädergerassel des eben vorfahrenden Wagens.

Also, fuhr die Räthin in dem Augenblicke, als der Wagen hielt und das Gerasssel aufhörte, fort, also ist er doch Dein Vetter! – Ich hoffe nicht, setzte sie scherzend hinzu, daß Dir die zu nahe Verwandtschaft Skrupel macht!

Ich bin des Todes! seufzte Julie – Ein wildfremder Mensch – ein Mensch, den ich nicht kenne, nie gesehen habe – Gott stehe mir bei – welche Lage! –

Die zwei kleinen Cartons, fuhr die Räthin fort, einen der bezeichneten Gegenstände in die Hand nehmend, können wir zu uns in den Wagen stellen. Nimm den anderen, Marie!

Julie hörte nicht. Sie war mehr todt als lebendig. Sie war in eine schreckliche Situation gerathen. Alles, was Marie ihr gesagt, konnte auch nicht den entferntesten Zweifel in ihr aufkommen lassen, daß der in Rede stehende Bräutigam, mit dem sie abreisen sollte, Holdau sei. Und nun diese Entdeckung – jetzt – in einem Augenblicke, wo es zu spät war, irgend Etwas dagegen zu thun! Es war zum Verzweifeln. Julie hätte jetzt sich ein Leid anthun können, aus lauter Zorn gegen sich selbst, daß sie ein so ruchlos gewagtes Spiel begonnen und nun damit in diese heillose Lage gerathen!

Ich gehe auf und davon, ehe noch dieser Vetter hier auftaucht, – das waren ihre nächsten Gedanken und Entschlüsse; – bin ich erst richtig an der Seite dieses Jünglings vom Lande in den Wagen eingepfercht, so bin ich verloren – unrettbar verloren – Gott stehe mir bei – ich kann nicht anders!

Julie ergriff den zweiten kleinen Carton, und während die Räthin einen Augenblick damit beschäftigt war, sich einen losgegangenen Ueberschuh wieder zu befestigen, ging sie mit raschen Schritten der Ausgangsthür zu.

Julie war aber nur etwa noch zwei Schritte von dieser Thür entfernt, als sich dieselbe öffnete. Ein Mann im Mantel und mit Wachstuch überzogenem Hut trat auf die Schwelle – es war der eben angekommene Roß- und Wagenlenker, der sein Dasein ankündigen wollte, während draußen ein Knecht, den er mitgenommen, um beim Aufschnallen der Koffer zu helfen, die vier Pferde hielt. Da er von der vergleichungsweise helleren Straße in das größere Dunkel des Gartenzimmers trat, so wurde ihm natürlich schwerer, die Anwesenden, als diesen, mit ihren an das Dämmerlicht schon gewöhnten Augen, ihn zu erkennen. Und so kam es, daß Julie zur nicht geringen Vermehrung ihres Schreckens in dem Eintretenden Niemand anders als ihren Bruder Joseph erblickte.

Das fehlte noch! Herr des Himmels, sagte sie für sich, jetzt ist Alles verloren! Keine Rettung mehr, Gott stehe mir bei!

Sie hatte sich rasch abgewandt und ihren Schleier über das Gesicht gezogen.

Ah, nur die Koffer aufgeschnallt, Herr Pechtold! sagte die Räthin zu dem Eintretenden. Wir sind fertig, es reist nur noch ein Herr mit, der im Augenblicke kommen muß.

Wo mag mein Vetter nur bleiben, fuhr sie dann fort, er wird uns hoffentlich nicht warten lassen!

Vielleicht, sagte Julie mit großer Geistesgegenwart, kommt er durch das Haus und den Garten – und zu gleicher Zeit schritt sie, als ob sie nach dem Erwarteten ausschauen wolle, hastig der Thür zu, welche aus dem Garten in den Pavillon führte.

Aber Julie hatte mit ihren Entwischungsversuchen ein besonderes Unglück. Sie hatte diese Thür noch nicht erreicht, als dieselbe sich ebenfalls öffnete und ein Mann hereintrat, der – das erkannte Julie mit dem ersten Blicke – Niemand anders war als – Holdau!

Himmel! Er ist's ja doch! flüsterte das geängstigte junge Mädchen, und eine Centnerlast fiel plötzlich von ihrem Herzen.

Sie vermochte es, tief und erleichtert aufzuathmen. Was nun folgen mußte, hatte sie noch vor kurzer Zeit mit Angst und Zagen erfüllt; aber es war ja nichts im Vergleiche mit der Pein der letzten Minuten.

Julie gab ihre thörichten Entwischungspläne auf. Die Räthin hatte unterdessen den Eintretenden fixirt.

Sie? Herr Holdau? sagte sie dann, als ob sie ihren Augen nicht traue.

Ich bin's, Frau Räthin, antwortete Holdau, und mit einem Tone bitterer Ironie setzte er hinzu:

Sie haben mich heute zwei Mal abweisen lassen – aber das Herzeleid werden Sie mir nicht zufügen, meine Gnädigste, daß Sie mir verwehren, Ihnen noch selbst Lebewohl zu sagen und die Gefühle – die wirklich sehr lebhaften Gefühle auszudrücken, womit Ihre plötzliche Abreise mich erfüllt!

O wie fatal – wie wird man den überlästigen Menschen wieder los? fragte sich die Räthin in stillem Zorne, und dann raunte sie hastig Julie zu: Fort, in den Wagen, Marie!

Julie blieb unbeweglich.

Unter welchem Schutze reisen denn eigentlich die Damen, wenn man fragen darf, fuhr Holdau fort, mit noch spöttischerem Tone als vorher und eine nicht mehr zu beherrschende Aufregung verrathend.

Herr Holdau, versetzte die Räthin, welche die letzte Frau auf der Welt war, die sich Impertinenzen sagen ließ, ich stehe im Begriff, mit meiner Tochter zu meinem Vater zu reisen. Ich habe Nachrichten von Hause erhalten, welche mich dazu veranlassen und zudem so beschäftigen, daß mir dritte Personen in diesem Augenblicke lästig sind. Sie würden mich daher verpflichten, wenn –

Wenn ich ginge, Frau Räthin – o ja, ich kann es mir denken – aber nehmen Sie mir es nicht übel, wenn ich Ihnen geradeswegs erkläre, daß ich nicht gehe, bevor ich nicht von Ihrer Tochter gehört habe, ob auch sie mich fortsendet! Ich bin das Ihrer Tochter schuldig. Sie stehen im Begriff, dieses arme Geschöpf einem Familienarrangement zu opfern, sie einem Vetter, den Marie nie mit Augen erblickte, an den Hals zu werfen. –

Unsinniger Mensch, fuhr die Räthin auf – es handelt sich hier gar nicht um … mein Himmel, was sag' ich ihm nur, unterbrach sich hier die Räthin selbst; das ist eine entsetzliche Situation!

Lassen Sie Marie frei und ungescheut reden, fuhr Holdau in seinem leidenschaftlichen Eifer fort – und dabei nahte er sich Julien und ergriff sie stürmisch am Arme.

Herr Holdau, sagte die Räthin jetzt mit ruhigem Tone, hören Sie mich an – gewähren Sie mir die einzige Bitte, sich von hier zu entfernen und die schriftliche Erklärung abzuwarten, welche Sie von mir erhalten werden. Drängen Sie sich nicht in eigenthümliche Verhältnisse ein, deren Zusammenhang ich Ihnen in diesem Augenblick, wo ich abreisen muß, nicht erklären kann und nicht erklären will!

Was auch ganz unnöthig ist, versetzte Holdau bitter, da ich deren Zusammenhang vollständig durchschaue, meine Gnädigste. Es hat sich Ihnen ein besserer, reicherer Freier präsentirt und da denken Sie denn nicht an Ihr gegebenes Wort. –

Halten Sie denn ein gegebenes Wort für so heilig, Holdau? sagte hier Julie, und zwar mit so bebender, halb erstickter Stimme, daß Holdau nicht auffiel, daß es nicht das Organ Mariens war.

Ueber alle Maßen, über alles Andere muß es dem Menschen heilig sein, schrie er in seinem leidenschaftlichen Eifer auf.

Julie wollte ihren Schleier zurückschlagen, und mit Holdau dem Fenster näher treten, um von ihm erkannt zu werden. Da hörte sie eine fremde Stimme hinter sich rufen:

Gott sei gelobt, da sind sie noch – und zu gleicher Zeit stürmte ein Mann in den Pavillon, erfaßte Holdau am Arm und sagte:

Bester, vortrefflicher Herr, es waltet ein ungeheures Mißverständniß zwischen uns – aber bitte, bemühen Sie sich um Gotteswillen nicht länger – ich werde schon selber mit meiner Braut abreisen.

Was wollen Sie? fuhr Holdau herum – ah, ich glaube, Sie sind's, Herr von Gudeneck.

Ich bin's – und ich komme Gottlob noch früh genug, um Ihnen für Ihre Gefälligkeit, mit meiner Braut abreisen zu wollen, zu danken, antwortete Philipp, welcher mit seinem Fiacre, ohne es selbst zu wissen, Mariens Wagen überholt hatte und nun noch vor ihr hier eingetroffen war. –

Ueberlassen Sie mir jetzt diese Mühe, setzte er hinzu – es war ein Mißverständniß, wie gesagt –

Herr, sind Sie nicht bei Verstand? fuhr Holdau ihn an.

Es war vorher, heute Nachmittag, wahrhaftig so etwas der Fall, – aber …

In diesem Augenblick fühlte Philipp von Gudeneck seine Rechte fest von der Hand Juliens gefaßt; mit ihrer anderen Hand ergriff sie den linken Arm Holdau's und so führte sie Beide dem großen Fenster, welches auf den Garten hinausging, zu. Das Dämmerlicht, welches durch dasselbe fiel, war hell genug, um ihre Züge erkennbar zu beleuchten. Den verhüllenden Schleier hatte sie zurückgeschlagen. Als sie dem Fenster nahe stand, blickte sie zuerst Holdau, dann Philipp an.

Ich glaube, sagte sie leise, wenn die Herren sich vorher vor noch weiteren Mißverständnissen hüten, so wird sich kein Streit zwischen Ihnen entspinnen.

Julie Pechtold?! schrie Holdau auf.

Alle Wetter – was ist das?! rief Philipp erschrocken aus.

Julie?! Sie?! wiederholte Holdau.

Nun bin ich doch betrogen und habe mich gefangen! stammelte Philipp entsetzt.

Die Räthin war während dessen der seltsam bewegten Gruppe der drei Menschen näher getreten.

Um Gotteswillen, was bedeutet das? fragte sie.

Es ist die Erneuerung einer alten Bekanntschaft, antwortete Julie mit halb von Beklemmung und Gemüthsbewegung erstickter Stimme – Herr Holdau hat eben versichert, daß ihm nichts heiliger sei auf Erden, als ein gegebenes Wort, und ich habe mir erlaubt, in etwas seinen Tugendstolz zu demüthigen.

Wahrhaftig, Julie, flüsterte Holdau – Sie haben Recht – ich stehe gedemüthigt vor Ihnen – aber ist denn dies Wirklichkeit oder ein Traum – ist denn dies Ihre Tochter, Frau Räthin, mit der Sie abreisen wollen?

Ich habe Ihnen gesagt, Holdau, daß Sie mich verpflichten würden, wenn Sie diese Abreise nicht aufhielten, fuhr die Räthin jetzt kurz und im höchsten Zorn heraus.

Wenn ich nun die Tochter dieser Frau wäre – sagte Julie halblaut zu Holdau – dann, nicht wahr …

O ich begreife, unterbrach Holdau sie rasch – ich begreife – dies ist ein Streich, den ich der kleinen abgefeimten Marie verdanke – Julie! und Sie haben sich dazu hergegeben?

Wenn ich nun kein anderes Mittel wußte, um einmal wieder von Ihnen so beruhigende gute Worte zu hören, wie Sie vorhin sprachen? –

Sie sind boshaft, Julie –

Holdau hatte nicht ausgeredet, als sich ganz plötzlich und unvermuthet ein neues Intermezzo erhob. Dieses hatte seinen Ursprung in einem höchst verwunderten Ausruf des ehrlichen Fuhrwerkunternehmers Joseph Pechtold, der eine Zeitlang unbeachtet dagestanden und überaus erstaunt den gewechselten Reden gelauscht hatte. Jetzt trat er auf einmal dicht hinter seine Schwester, welche, ihm den Rücken zuwendend, nach dem Fenster zugekehrt stand, und indem er seine Hand auf ihre Schulter legte, rief er aus:

Donnerwetter – Julie – wie kommst Du hier hin?!

Joseph – ich bitte Dich um Gotteswillen –

Was ist das für eine Bekanntschaft? – Herr Pechtold, ich bitte, Ihren Ton gegen meine Tochter zu mäßigen, rief die Räthin dazwischen, welche alle Geduld zu verlieren begann.

Ihre Tochter?! schrie Pechtold – Ihre Tochter?!

Meine Tochter! versetzte die Räthin, jetzt vor Zorn außer sich.

Aber niemals ist wohl ein aufbrausender Zorn schneller und wirksamer gekühlt worden, als es in diesem Augenblicke der Zorn der Räthin Meddlhorst wurde.

Minona – was soll Deine Tochter? fragte nämlich feierlich eine Stimme aus dem Dunkel des Hintergrundes – eine Stimme, bei deren Ton die Räthin so furchtbar erschrak, daß sie wankenden Kniees nach der nächsten Stuhllehne faßte und nichts über die Lippen brachte als ein leises:

O, mein Gott! Er!!

Vater – was thun Sie? sagte jetzt sanft eine Stimme neben ihm – es war die Mariens, welche Hammer gerade an der Thür des Pavillons eingeholt hatte und hinter ihm eingetreten war und nun schnell zu ihrer Mutter eilte, da sie sah, daß diese in einen Stuhl sank, als wäre sie einer Ohnmacht nahe.

Wer ist denn das?! fragte Holdau mehr als verwundert dazwischen.

Wer ich bin? versetzte Hammer – wer ich bin, junger Mann?

Die Blinden in Genua kennen meinen Schritt!

Mutter – können Sie mir verzeihen? stammelte Marie.

Die Räthin antwortete ihr nicht. Aber zu Hammer gewendet, fuhr sie ihn an:

Um Gotteswillen – wer – wo ist meine Tochter?

Minona! versetzte Hammer, zurückweichend vor dem Zorn der Frau – Deine – unsere Tochter – Wo sollte sie anders sein als hier – zu Deiner und meiner Seite – der holde Friedensengel zwischen uns!

Damit trat er näher und ergriff Mariens Hand.

Treibt man denn seinen Spott mit mir – oder was soll dies Alles heißen? fuhr die Räthin in ihrer Entrüstung fort.

Keinen Spott mit Ihnen, Mutter, antwortete Marie sanft und begütigend, aber doch ein unverantwortliches, ja ein abscheuliches Spiel – –

Es wäre unmöglich, den nun folgenden Auftritt zu schildern. Die Räthin war außer sich über den ihr gespielten Betrug. Und so blieb denn Marien und Julien nichts übrig, als, trotz der Gegenwart Holdaus, Pechtolds und Philipps, Alles zu gestehen und zu erklären.

Die eigenthümlichste Rolle dabei spielte eigentlich Holdau, der Gott für die tiefe Dämmerung dankte, in welcher diese ganze Scene vor sich ging. Die Furcht vor seiner Bewerbung allein hatte ja Marien eigentlich nur zu dem Allen bewogen! Es konnte nichts Demüthigenderes für ihn geben, als das, was er anhören mußte, und diese Demüthigung war eine vortreffliche Lehre für sein schlummerndes Gewissen.

Kein Wunder mithin, daß er im Stillen gute Vorsätze faßte, welche, zu seiner Schande müssen wir es gestehen, vielleicht dennoch nicht so sehr brav und moralisch ausgefallen wären, wenn nicht der Anblick Juliens, ihre Schönheit und imponirende Gestalt, auf's Neue einen ganz außerordentlichen Eindruck auf ihn gemacht hätten, besonders als er sie kurz darauf bei vollem Lichte in dem geschmackvollen und eleganten Anzuge, den die Räthin während des Nachmittags für sie herbeigeschafft hatte, erblickte.

Die Räthin Meddlhorst wußte nicht, ob sie in Ohnmacht fallen, oder sich einem unbändigen Zorn hingeben, oder in sanfter Resignation Alles anhören und dann suchen sollte, der Sache die beste Wendung, die nach Lage der Dinge möglich war, zu geben. Sie entschied sich endlich für das Letztere.

Sie sah ein, daß sie Hammer ein ungeheures Unrecht gethan, als sie ihm eine abscheuliche Täuschung Schuld gegeben; dies mußte ihr Herz gegen ihn milder stimmen. Dann sagte sie sich, daß sie, da Marie jetzt wieder ihre Tochter und zu ihr zurückgekehrt war, nicht mehr nöthig habe, bei Nacht und Nebel davonzugehen. Das Verhältniß, welches zwischen Julie und Holdau herrschte, war offenbar so, daß man auf Holdau's Verschwiegenheit über Alles, was mit dieser Scene zusammenhing, bauen durfte.

Die Räthin überlegte dies Alles sehr rasch, und um der peinlichen Situation ein Ende zu machen, stand sie auf und sagte:

Vetter Philipp, senden Sie den Wagen wieder nach Hause. Ich reise heute nicht; vielleicht morgen, vielleicht übermorgen erst. Zurück in's Haus! Wir wollen dort bei Licht ruhig weiter reden. Kommen Sie Alle. –

Sie rauschte voraus, die Andern folgten, im Nachtrab Hammer mit einem würdevollen Schritt und gehobenen Hauptes. Nur Pechtold hatte keine Lust, sich in die ganze, ihm seinerseits durchaus unklare Geschichte zu mischen – er zog es vor, seine vier Braunen nach Hause zu bringen und sich später unter vier Augen von Julien Alles genau erklären zu lassen.

Bald nachher saß denn die ganze Gesellschaft still und verlegen in dem Salon der Räthin.

Die Dienerschaft, die eine so schnelle Rückkehr noch mehr in Erstaunen setzte, als sie sich den Tag über wegen der schnellen Abreise verwundert hatte, mußte Lichter bringen und für Thee sorgen. Bis sie damit zu Stande gekommen und sich wieder entfernt hatte, gewann man Zeit, sich zu fassen und ruhig zu werden.

Was insbesondere Philipp betraf, so fühlte er eine merkwürdige Heiterkeit, die er kaum zurückdrängen konnte, über das ganze Erlebniß; er hatte sich neben Marie gesetzt, und verlangte keinen besseren Platz auf Erden, und in dem Entzücken über die merkwürdig glückliche Wendung, welche seine Brautfahrt genommen, in der Freude seines Herzens, welche ihn nicht lange schweigsam sein ließ, nahm denn er auch zunächst das Wort, und zwar für Hammer, den er übrigens anzusehen vermied, weil er fürchtete, daß er in ein Gelächter ausbrechen müsse, wenn er das eigenthümliche Mienenspiel des alten Herrn erblickte, in dem sich in höchst ausdrucksvoller Weise das Streben ausprägte, den würdevollsten Ernst, der nur in halbem Erfolg die tiefe Rührung eines männlichen Herzens zu verhüllen strebt, in classischer Weise mimisch darzustellen. Dazu kam denn noch ein Ausdruck von Unsicherheit und Beklommenheit, der in der That Herrn Hammers Gesicht zu einem gefährlichen Gegenstande für Jedermann machen mußte, welcher in der Stimmung Philipps, das heißt zu Ausbrüchen der Heiterkeit geneigt war und sich ihnen doch nicht hingeben durfte.

Das Verhältniß der verschiedenen Personen des kleinen Kreises war ein solches, daß es sehr vieler diplomatischer Wendungen, um in diesem Congreß ein Einverständniß herbeizuführen, nicht bedurfte. Eine offene Sprache war das Beste, und daher war Philipp auch der beste Vermittler.

Es gelang ihm auffallend rasch, eine Punktation herbeizuführen, welche allerseits befriedigte. Die Räthin fühlte ihr Unrecht Marien gegenüber. Daß ihr Kind aus Angst vor ihrem eigenmächtigen Schalten über das Herz des jungen Mädchens einen solchen ungewöhnlichen Schritt hatte thun können, demüthigte auch sie auf's Aeußerste, wie sich Holdau gedemüthigt fühlte.

Was Hammer anging, so war in Beziehung auf ihn bei der Räthin der Wunsch rege, den Gegenwärtigen, besonders Holdau und Julie gegenüber, sich im besten Lichte zu zeigen. Wohlhabend ohnehin schon und jetzt versichert, daß der Reichthum ihres Vaters ihr zufallen werde, bot sie Hammer endlich an, ihm ihr Haus mit seiner schönen Einrichtung zu überlassen, wenn er dagegen weiter keine Ansprüche erhebe und sie ruhig zu ihrem Vater abreisen lasse, dessen letzte Lebenstage sie durch ihre Pflege verschönern wollte.

Hammer ließ sich das nicht zweimal bieten; sein ganzes Gesicht röthete sich vor Vergnügen bei der Idee, in diesen eleganten Räumen Herr zu sein und die hübschen Miethsummen einzukassiren, welche ihm die diversen Stockwerke, deren er für sich nicht bedurfte, abwerfen müßten.

O, Minona – dann reisen Sie mit Gottes Segen, rief er aus. Folgen Sie, wohin Ihr kindliches Herz Sie zieht – bin ich der Mann, dem Zug moralischer Empfindungen entgegen zu treten? Aber – mein Kind –

Das böse Kind, das seiner Mutter entfliehen wollte, fiel jetzt die Räthin mit sehr erleichtertem Herzen ein – hoffentlich wird es Dem da nicht entfliehen – und dabei legte sie Philipps und Mariens Hände zusammen.

Es wäre denn, flüsterte Marie roth werdend bis unter die Haarwurzeln, er hinderte mich, zuweilen hierhin zu kommen und nachzuschauen, was der Papa in seinem eleganten Salon macht!

O sicherlich hindert er Sie daran nicht, Marie, fiel Philipp lachend ein – dafür heißt er ja: Philipp der Gute!

Holdau und Julie hatten unterdeß zusammen eine Weile flüsternd ein Gespräch »bei Seite« geführt – Jener sagte jetzt:

Ich hoffe, Frau Räthin, Sie werden mich nun nicht mehr für den Zudringlichsten aller Sterblichen halten. Wäre ich nicht so zu rechter Zeit gekommen, so wären Sie ja längst auf und davon und hätten mir meine Julie, meine Braut entführt.

Ihre Braut? Nun wahrhaftig, dann läßt sich ja Alles zur friedlichsten Harmonie an, antwortete die Räthin, und dann muß ich Ihnen ja wohl auch und diesem bösen, bösen Mädchen verzeihen, das mir einen solchen Streich spielte. Aber das sage ich Ihnen – nehmen Sie sich mit diesem unternehmenden Fräulein in Acht!

O, fiel Julie etwas beschämt und stotternd ein – sie hat für ihre Unternehmungslust durch Augenblicke voll Angst und Schrecken so bitter gebüßt, daß sie hinreichend gestraft ist und wohl Ihre Verzeihung verdient, Frau Räthin. Sie wird sicherlich sich nicht wieder einfallen lassen, an den Schicksalen zu corrigiren, welche der liebe Gott uns Allen nun einmal gegeben hat.

Nun, das ist eben kein Verdienst, fiel hier die Räthin ein – wenn man mit seinem Schicksal so zufrieden ist, wie Sie es jetzt mit dem Ihrigen zu sein scheinen!

Und wie ist es nun mit unserem Duell, mein Herr Holdau? fragte Philipp jetzt – wir dürfen doch Ihren Herrn Treffer nicht vergessen, der von mir beleidigt ist und mich durchaus zur Zielscheibe verlangt.

Treffer – Ein Duell? fragte die Räthin hoch aufhorchend – mit Ihnen, Vetter? – O daraus wird nichts.

Es muß doch etwas Pulver, verknallt werden, zur Feier unserer Doppelhochzeit, meinte lachend Philipp.

Nein, nichts, nichts davon, versetzte die Räthin eifrig – Treffer wird sich schon beruhigen – das zu schlichten übernehme ich! –



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