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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Fanny's Sieg

Dankmar durchirrte in den Nachmitttagsstunden die Straßen von Paris – die Tuilerien, die Champs Elysées, die Boulevards. Er zwang sich, zu sehen, und sah dennoch nur wie im Traume. Was an seinem Auge vorübergezogen, das war vorübergezogen für immer. Es waren Bilder, die auf die Netzhaut seines Auges fielen. Sie kamen nicht weiter in seine Seele hinein. Es lag ein Druck auf seiner Brust, der ihm die Vorstellung machte, als ob man in der Menschenfülle, welche ihn umströmte, sich durcheinanderdränge und wirbele, um sich von Sinnen zu bringen; alle ob alle die Rastlosigkeit und der Lärm um ihn her geflissentlich gemacht werde, um sich zu betäuben und schwindelig zu machen, sodaß niemand seine eigenen Gedanken verstehen und sich darauf besinnen könne, was er selber wolle.

Zu Tode ermüdet kam er endlich in seinem Hotel, auf seinem Zimmer an, fest entschlossen, sich zu retten aus diesem Paris und vor der eigenen Verzweiflung. Es war ihm, als könne er nicht eher wieder aufathmen und nicht eher wieder ruhig denken, als bis er zurück sei in seinen stillen, fernen, herbstlich gefärbten Wäldern.

Er wollte schon morgen zurück. Er wollte auch Fanny nicht wiedersehen. Wozu? Sollte er sie noch einmal reden hören von dem bleichen und leidvollen Antlitze Eugeniens? Sollte er wieder von jenem Spanier reden hören, dessen Erwähnung ihm nicht die leiden der Eifersucht bereitete, aber ein unendlich widerwärtiges Gefühl, halb Zorn, halb Verachtung, einflößte? Sollte er sich am Ende gar der Gefahr aussetzen, mit diesem Jauffroi von Montenglaut zusammenzutreffen, wider den alles, was von Haß in seiner Seele lag, sich entflammt hatte? –

Nein, er wollte fort – er mußte nur das wenig Zeit in Anspruch nehmende Geschäft mit dem Baron von Chevaudun abmachen; um es kurz von sich abzuwälzen, schrieb er am Abende noch ein Billet an den Baron, worin er ihm sagte, daß der Zufall ihn auf wenige Stunden nach Paris geführt, daß er sehr eilig sei, daß er deshalb den Baron bitte, ihm einen seiner Leute zuzusenden, dem er die Einkünfte von Dornegge und die Rechnungsablage darüber einhändigen könne – er werde in den Morgenstunden der folgenden Tages den Boten des Barons erwarten.

Dankmar hatte am folgenden Morgen sich spät erhoben und eben angekleidet, als ein Kellner des Hotels einen Lakaien in Livree bei ihm einführte. Der Bediente übergab ihm ein Billet und schien auf Antwort warten zu wollen.

Dankmar riß das Billet auf und las die Worte:

»Ich werde hoch erfreut sein, Sie zu sehen. Wir werden, wenn es Ihnen gefällig ist, unser kleines Geschäft abmachen, indem wir zusammen frühstücken. Ich sende Ihnen meinen Wagen und erwarte Sie. Aufrichtig der Ihrige.

Chevaudun

Der Wagen hält unten, bemerkte, als Dankmar gelesen hatte, der Lakai – wenn es dem Herrn gefällig ist …

Dankmar wußte nicht, war es Schrecken oder Freude, was ihn bewegte bei der Vorstellung, die Wohnung Eugeniens betreten zu sollen; nur das war ihm im ersten Augenblicke klar, daß er der Einladung nicht ausweichen konnte. Es hätte bizarr, es hätte unhöflich geschienen. Er vollendete seine Toilette, nahm, was er Chevaudun überreichen wollte, zu sich und folgte dem Diener zu dem unten im Thorwege des Hotels harrenden Wagen.

Nach fünf Minuten fuhr dieser durch das eiserne Gitterthor eines Hotels » entre cour et jardin« des Faubourg Saint-Germain.

Als Dankmar auf der Auffahrtsrampe vor dem Portal ausgestiegen, empfing ihn ein schwarzgekleideter Diener und führte ihn im Innern des Hotels durch die kleine mit Blumen geschmückte Treppenhalle in ein Empfangszimmer zu ebener Erde, mit der Bitte, zu warten, bis er ihn dem Herrn Baron gemeldet habe. Darauf verschwand er, und Dankmar waren die Minuten, während deren er allein gelassen wurde, willkommen, um sich zu fassen und wieder völlig Herr seiner selbst zu werden.

Wenn er Eugenie traf, wenn sie selbst ihm entgegenkam, so fühlte er sich stark und ruhig genug, um alles zu vermeiden, was dieses Wiedersehen für sie oder für ihn peinlicher machen konnte; aber verlangen wollte er nicht nach diesem Wiedersehen, und falls der Baron ihm vorschlug, ihn zu ihr zu führen, es ablehnen, solange die Ablehnung nicht auffällig war.

Der Mann im schwarzen Frack und der weißen Halsbinde kam zurück mit der Meldung, daß der Baron den Herrn von Gohr erwarte. Dankmar wurde eine mit Teppichen belegte, mit blühenden Pflanzen geschmückte Treppe hinaufgeführt; was er bisjetzt vom Hotel Chevaudun gesehen, zeigte ein gewisses bescheidenes Maßhalten in der Entwickelung von Luxus und Reichthum – keine vergoldeten Treppengeländer, keine an das Stiegenhaus verschwendeten weißen Marmorstatuen deuteten auf die Ostentation des Parvenu. Als Dankmar den ersten Treppenabsatz erreicht hatte, kam ihm der Baron bereits entgegen.

Endlich! sagte er, ihm herzlich die Hand reichend. Es ist mir eine große Genugthuung, Sie zu sehen, Herr von Gohr. Ich hoffe, man hat Ihnen das große Bedauern ausgedrückt, womit ich mich von Ihrem Hause getrennt habe, ohne Sie kennen zu lernen. Sie sind mir in hohem Grade willkommen, und ich hoffe, Ihre Geschäfte in Paris drängen Sie nicht so zur Eile, daß wir nicht einige Stunden behielten, uns gemüthlich auszusprechen. Bitte, folgen Sie mir hierhin!

Der Baron führte ihn in einen hübschen, mit dunkelgrüner Seide tapezierten ovalen Salon, der in der Mitte der Fronte des Hotels lag und den Hof beherrschte. Im Kamin brannte ein erwärmendes Feuer; auf dem runden Tische in der Mitte stand ein Frühstück arrangirt – es lagen zwei Couverts auf dem Tische – nur zwei! Dankmar athmete wie erleichtert auf bei dem Anblicke, der ihm zeigte, daß die Damen des Hauses nicht erscheinen würden.

Und nun, fuhr der Baron, nachdem er seinen Gast zu einem Sessel am Fenster geführt und sich ihm gegenübergesetzt hatte, fort, nun erzählen Sie mir zuerst, was Sie nach Paris geführt, was Sie zwingt, so eilig zu sein, und was Sie bewegte, mich bei dieser Gelegenheit so abscheulich vernachlässigen zu wollen. Ich habe gedacht, daß Sie nicht nach Paris kommen würden, ohne mein Haus als das Ihrige zu betrachten!

Dankmar wollte einige Vorwände und Ausflüchte vorbringen; aber glücklicherweise schien der Baron auf genaue Erklärungen nicht zu bestehen. Er mochte sich selbst sagen, daß er die Beziehungen seiner Tochter zu Dankmar zu wenig kenne und durchschaue, um bei diesem Punkte verweilen zu dürfen, und so sprach er, ohne eine Antwort abzuwarten, weiter.

Vielleicht, sagte er, gelingt es mir, Sie ein wenig länger hier zu fesseln, als Sie zu bleiben beabsichtigten; wo nicht, so entlassen wir Sie nur gegen das Versprechen, daß Sie bald auf längere Zeit zurückkehren und daß Ihre Schwester, Fräulein Hermine, dabei Sie begleitet …

Fräulein Hermine, sagte Dankmar, ist jetzt Frau von Burghaus – sie schweift mit ihrem Gemahl auf der Hochzeitsreise an den Ufern des Rheins umher, und meines Schwagers Abwesenheit macht es so nöthig, daß ich rasch in die Heimat zurückkehre.

Fräulein Hermine ist Frau von Burghaus geworden – ah – nehmen Sie meinen Glückwunsch dazu! Und nun berichten Sie mir von der Wendung jener Testamentsangelegenheit, für die ich mich immer so lebhaft interessirt habe. Montenglaut schrieb mir damals aus Neapel, daß er das Testament richtig aufgefunden habe; aber es ist mir unbekannt geblieben, wie es in Ihre Hände gekommen – denn das ist es ja doch?

Dankmar berichtete es dem Baron, der während der Erzählung sich erhob und seinen Gast zum Frühstückstische führte.

Dieser Elende, dieser Montenglaut, rief der Baron aus, als Dankmar geendet hatte, er hat also doch noch so viel Redlichkeit besessen, das Testament auszuliefern? Der Mensch hat sich wie ein wahrer Teufel auf den Lebensweg meiner Tochter gestellt! Sie hat fürchterlich darunter gelitten – es gab Stunden, wo ich voll Sorge war, daß sie sich niemals von dem Eindrucke erholen werde, den jene entsetzliche Nacht auf Dornegge auf sie gemacht! Ihre ganze Seele schien auf immer gebrochen, alle Lebenskraft, aller Wille, zu leben, um es so zu nennen, dahin. Alle unsere Mühen und Sorgen um sie halfen nicht, sie aus dieser starren Apathie zu retten. Gottlob, sie ist heute dem Leben wiedergewonnen, sie spricht wieder, sie beginnt wieder zu hoffen, sie schreckt wenigstens vor dem Gedanken, ein neues Leben zu beginnen, nicht mehr zurück. Es ist mein Wunsch, daß sie sich bald vermähle, denn das allein wird sie ganz den düstern Eindrücken, welche noch auf ihr lasten, entziehen. Sie selbst sieht das ein und zeigt sich nicht abgeneigt, meinen Wünschen in dieser Beziehung nachzugeben. – Aber Sie trinken nicht, mein lieber junger Freund; darf ich Ihnen noch von diesem Chablis einschenken lassen, oder ziehen Sie ein Glas Chambertin vor?

Dankmar leerte sein Glas, und während der Baron dem Bedienten winkte, es neu zu füllen, sagte er:

Sie haben also, wenn die Frage nicht indiscret ist, ganz bestimmte Wünsche in dieser Beziehung?

Die habe ich allerdings, versetzte der Baron mit dem eigenthümlich forschenden Blicke, den er von Zeit zu Zeit auf Dankmar's Züge heftete. Ich habe den entschiedenen Wunsch, daß meine Tochter sich vermähle, weil ich einsehe, daß ein solcher Schritt allein aus ihrem Gemüthe die Schatten fortscheuchen wird, welche darauf ruhen, und ich habe ferner den Wunsch, daß sie die Hand eines Mannes annehme, der in jeder Beziehung Bürgschaften einer glücklichen Zukunft für sie bietet.

Und dieser Mann ist?

Es ist der Marquez de Santa-Cruz, aus einem der angesehensten Häuser Spaniens, aus dem Hause Bazan, das Ihnen sicherlich bekannt ist. Die Bazan glänzen durch eine ganze Reihe großer Seehelden. Don Alvaro der zweite von Bazan befehligte als Generalkapitän die Galeren von Spanien unter Karl dem Fünften und eroberte damit Tunis und Goletta, und sein Sohn, Don Alvaro der Dritte von Bazan, gab in der Seeschlacht bei Lepanto den Ausschlag. Alvaro der Vierte von Bazan war im Jahre 1625 Generalkapitän der Galeren Spaniens – kurz, die Geschichte des Hauses Bazan ist die Geschichte der spanischen Meeresherrschaft, endete der Baron, indem er ein Glas Chambertin austrank.

Und dieser Marquez von Santa-Cruz, sagte Dankmar, indem er mit zitternder und bleicher Lippe zu lächeln und einen gleichgültigen Ton anzunehmen versuchte, hat er die Reihe der großen Siege seines Hauses um einen vermehrt?

Sie meinen, ob er das Herz Eugeniens erobert? Ma foi, ich glaube, man darf sich nicht an den Vater eines jungen Mädchens wenden, um darüber genaue Auskunft zu verlangen. Eugenie ist jedoch eine zu ernste Natur, um sich Bewerbungen eines Mannes gefallen zu lassen, dem sie keine Hoffnungen geben wollte. Dazu kennt sie meine Wünsche, und sie hat mir versichert, daß nur noch meine Wünsche ihr maßgebend sein würden, da sie selbst für sich keine mehr hege und aufgehört habe, sich das Leben nach eigenen Forderungen gestalten zu wollen.

Es mag gefährlich sein, sagte Dankmar, einer jungen Dame, welche sich in einer solchen Stimmung befindet, Wünsche zu nachdrücklich zu äußern. Fürchten Sie das nicht, Herr Baron?

Ob ich das fürchte? Durchaus nicht, in diesem Falle durchaus nicht! Ich weiß, daß meine Tochter einen zu ernsten Geist und ein zu tiefes Gemüth hat, als daß sie in einer solchen Angelegenheit auf den Wunsch eines Vaters mehr Gewicht legen wird, als sie es darf. Sie wird nur dann auf mich dabei hören, wenn sie es thun kann, ohne in Widerspruch mit sich selbst zu gerathen!

Der Baron Chevaudun erhob dabei sein Auge zu Dankmar und sah ihn wieder fragend und forschend an – er erwartete, schien es, eine Antwort und fuhr erst fort, als diese nicht erfolgte.

Und was den Marquez angeht, sagte er, so bin ich, falls Eugenie ihn wählen sollte, beruhigt. Ich kenne ihn, ich beurtheile ihn durchaus unbefangen. Sein Name besticht mich nicht. Ich schätze einen guten Namen, ich habe nicht umsonst gesucht, dem eigenen einen guten Klang zu geben; aber ich bin frei von den Schwächen der Parvenus in dieser Beziehung … denn das bin ich am Ende ja auch, unser Barontitel ist sehr jungen Datums, mein Vater erhielt ihn durch Vermittelung eines Finanzministers unter der Restauration – ich weiß recht gut, daß Ihr stolzen Geburtsaristokraten diesen Finanzadel verdammt niedrig anschlagt … also, was ich sagen wollte, der Name des Marquez besticht mich nicht, ebenso wenig als seine Reichthümer, deren er keine besitzt. Er besitzt Einfluß am Hofe zu Madrid, allerdings ist mir das sehr angenehm und willkommen; aber es zeigt mir seine Persönlichkeit durchaus in keinem andern Lichte, als worin ich sie sonst erblicken würde. Spanien ist nicht das Land, das mich vorzugsweise interessirt und wohin sich meine Thätigkeit erstreckte! Ich werde diese auf die Kernländer Europas, welche auch die Zukunft Europas bestimmen werden, streng beschränken. Ich meine auf Frankreich, Deutschland und die Niederlande. Sie wissen, daß meine Ziele bisher darauf gerichtet waren, den conservativen Interessen im allgemeinen zu dienen. Ich habe gefunden, daß dieses Programm zu unbestimmt war und daß es meine Kräfte zersplitterte. Die beste Bürgschaft für die conservativen Interessen liegt im Frieden. Der Krieg vernichtet alle historischen, gesunden Grundlagen der Gesellschaft viel gründlicher, schneller und unrettbarer, als falsche Philosopheme, falsche politische Systeme und falsche sociale Theorien, welche im Frieden den Bestand der Dinge unterwühlen, es können. Darum muß den Ländern, welche die eigentlichen Culturländer sind, der Friede gewahrt bleiben. Das Apostolat des Friedens aber hat die Kirche. Die Kirche ist nicht genug erfüllt von der Wichtigkeit dieses ihres Berufs, nicht eifrig genug in der Erfüllung desselben. Sie hat nicht genug bedacht, welche grenzenlosen Nachtheile ihr alle längern Kriegsepochen der Geschichte gebracht haben: wie verwüstet das Heiligthum war während des Dreißigjährigen, während des langen Revolutionskrieges und der Zeit des ersten Imperators; und welchen ungeheuern Aufschwung dagegen sie der funfzigjährigen Friedensepoche verdankt: wie sie in dieser Epoche ganz neu sich aufgebaut hat, wie ihr Einfluß sich täglich erweitert, ihre Institute sich vermehren! Ich werde deshalb meine Mittel den kirchlichen Interessen zuwenden, in der Voraussetzung, in der Kirche das Apostolat des Friedens bewußter und energischen auftreten zu sehen. Wir bedürfen in der großen europäischen Gesellschaft einer ganz rücksichtslosen und thatkräftigen Agitation für den Völkerfrieden. Dazu ist nicht eine kleine Sekte von Friedensfreunden à la Elihu Burritt berufen, sondern eine viel größere, mächtigere Genossenschaft, für die es sich dabei um eine Lebensfrage handelt. Die Kirche muß einen Kreuzzug predigen wider die Waffenlast, unter der die Völker keuchen; sie muß nicht nur zeigen, daß sie abhorret a sanguine, sie muß zeigen, daß sie den, der Blut vergießt, verdammt, straft und verflucht!

Während der Baron in rückhaltloser Offenheit sich gegen Dankmar äußerte und dabei den warmen und kalten Gerichten zusprach, welche die runde Tafel trug, hörte Dankmar nur zerstreut zu. Er lauschte unruhig gespannt auf jedes Geräusch in den Nebenzimmern, als ob er dort den Ton einer ihm nur zu wohlbekannten Stimme laut werden hören könne; er schrak zusammen, so oft die Thür sich öffnete, um dann doch nur die Gestalt des aufwartenden Dieners einzulassen.

Wie wenig Sie essen, sagte der Baron, und wie wenig Gnade meine Weine vor Ihnen finden! Ich bitte Sie in der That, diesen Chambertin zu versuchen, es ist ein Jahrgang, um den meine Freunde mich beneiden. – Und jetzt lassen Sie uns unser Programm für den Morgen machen. Wie viel Stunden können Sie mir gewähren? Ich bin zu Ihrer Disposition bis um halb vier, wo die Audienzstunde beginnt, die ich meinen Agenten und Börsenleuten geben muß.

Es war meine Absicht, versetzte Dankmar, um Mittag einen Besuch in der Rue Saint-Benoit zu machen und mit dem Zuge um vier Uhr Paris zu verlassen.

Ist das wirklich Ihr unwiderruflicher Entschluß?

Das ist es!

Ueber das Gesicht des Barons flog ein Ausdruck wie des Verdrusses oder der Enttäuschung.

Nun wohl denn, antwortete er, also bis Mittag nehme ich Sie in Beschlag. Es ist zehn Uhr jetzt. Haben Sie das Louvre gesehen? – Jacques, lassen Sie den Wagen vorfahren – oder ziehen Sie vor …

Sie vergessen ganz unser Geschäft, Herr Baron, fiel Dankmar ein.

Unser Geschäft, ach ja, Sie schrieben mir von einen Geschäft – wohl, machen wir es ab.

Ich habe eine kleine Chatoulle unten dem Kammerdiener, der mich empfing, übergeben, entgegnete Dankmar – die Abrechnung aber ist hier.

Er zog dabei ein kleines Papierconvolut aus der Brusttasche und überreichte es dem Baron.

Ist es Ihnen eine Befriedigung, wenn ich das alles sogleich in Ihrer Anwesenheit lese? fragte der Baron lächelnd, indem er das Papier öffnete. Ich denke, wir reden von Dornegge im Wagen.

Dankmar wollte antworten, als er unterbrochen wurde. Ein Wagen rollte in den Hof, auf die Rampe unten. Der Baron blickte durch Fenster und rief aus:

Die Equipage des Marquez! So früh? Das ist eine ungewöhnliche Stunde. Er muß mir eine Mittheilung von Bedeutung zu machen haben. Es freut mich, daß Sie den Marquez kennen lernen, Herr von Gohr. Unterdeß wollen wir, denk' ich, unser Geschäft beschleunigen. Ich will unter Ihre Rechnungsablage meine Genehmigung und den Empfang des Betrage schreiben – genügt es Ihnen?

Mir gewiß, wenn es Ihnen genügt, antwortete Dankmar, der zerstreut und gespannt den Blick auf die Eingangsthür, durch welche im nächsten Augenblick der castilische Grande eintreten sollte, gerichtet hielt.

Die Thür öffnete sich auch, während Baron Chevaudun auf die letzte Seite der Rechnungsablage seine Genehmigung schrieb – aber es war kein castilischer Grande, der eintrat, sondern nur der eben nach dem Wagen fortgeschickte Livreebediente Jacques, der meldete, daß derselbe bereit sei.

Und der Marquez? fragte Chevaudun den Bedienten.

Der Herr Marquez, antwortete Jacques, hat sich bei dem Fräulein Eugenie melden lassen – Baptist führt ihn eben zu ihr.

Zu meiner Tochter – so früh? – Und Eugenie will ihn empfangen?

Der Herr Marquez schien sehr pressirt, antwortete Jacques.

Im nächsten Augenblick trat der schwarzgekleidete alte Diener ein, welcher Dankmar in Empfang genommen hatte.

Nun, Baptist, was gibt es? rief ihm Chevaudun entgegen.

Baptist trat an seinen Herrn heran und flüsterte ihm einige Worte zu. Der Baron erhob sich, und nachdem er, zu Dankmar gewendet, gesagt: Ich hoffe, Sie entschuldigen mich auf einen Augenblick – Jacques, präsentiren Sie dem Herrn von Gohr die Cigarren – schritt er eilig davon, Baptist nach, der die Thür vor ihm öffnete.

Dankmar lehnte die Cigarre ab, welche ihm der Lakai anbot, und stellte sich während der Abwesenheit des Barons an das mittlere Balkonfenster, durch welches er auf das Dach des Coupé des Spaniers und den Hof niederblickte, in welchen eben aus dem Seitenflügel derselbe Wagen wieder einfuhr, der Dankmar hergebracht hatte. Dieser ersehnte mit allen Kräften seiner Seele den Augenblick herbei, in welchem er in dem Wagen da unten endlich wieder durch das Gitterthor des Hotels Chevaudun fahren und dieses für immer verlassen würde.

Die Folter, auf welche er in diesen Räumen gespannt worden, wurde zu peinvoll, zu unerträglich – was ihm Chevaudun gesagt, dem Anscheine nach, ohne bei seinen unbefangenen Mittheilungen irgend zu ahnen, welchen Sturm er erregte, peitschte ihn förmlich davon, in die freie Luft, in die Einsamkeit, wo er aufathmen und den entsetzlichen Zwang von sich schütteln konnte – er fluchte innerlich dem Schicksale, das ihn hierher, nach Paris geführt, er verwünschte diese Fanny, die ihn hergelockt; er war im Begriffe, die Abwesenheit des Barons zu benutzen, um die Flucht zu ergreifen. War es nicht in der That das Beste? Sollte er abwarten, daß der Baron, begleitet von dem Spanier, zurückkomme? Sollte er diesen Menschen, der ihm in diesem Augenblicke widerwärtiger war als alles auf Erden, noch sehen, mit lächelndem Munde einige blödsinnige Höflichkeitsphrasen mit ihm wechseln? Nein! Mochte der Baron sein Betragen auslegen wie er wollte, was kümmerte es ihn?

Chevaudun's Abwesenheit verlängerte sich – Dankmar wandte sich bereits zum Gehen, als er wahrnahm, daß mit seinen leisen, unhörbaren Schritten Baptist hinter ihn getreten.

Der Herr Baron lassen sehr um Entschuldigung bitten, daß sie Herrn von Gohr solange allein zu lassen gezwungen sind – sie werden sogleich wieder hier sein – sie haben nur einen kurzen Empfehlungsbrief, den der Herr Marchese von Santa-Cruz mitnehmen wird, zu schreiben. Der Herr Marchese ist plötzlich abzureisen gezwungen.

Der Marchese verreist?

Sie sind gezwungen, noch heute zu verreisen, infolge eines Telegramms aus Kairo; die Mutter des Herrn Marchese befinden sich in Kairo, und es scheint …

Aus Kairo? Infolge eines Telegramms aus Kairo? rief Dankmar erschrocken aus.

So hörte ich den Herrn Marchese sagen. Die Mutter des Herrn Marchese scheint tödlich erkrankt zu sein …

Großer Gott, rief Dankmar, tief Athem holend, aus – dieser Montenglaut – so hat er dennoch die Mittel gefunden, seinen Vorsatz auszuführen! Rann ich, darf ich das dulden? Kann ich schweigen dazu, wenn ein solcher erbärmlicher Betrug unter meinen Augen ausgeführt wird? Nimmermehr!

Baptist, wandte er sich stürmisch an den alten Diener, der, verdutzt von der Wirkung seiner Mittheilung auf Dankmar, ihm ins Gesicht starrte, führen Sie mich augenblicklich zu dem Baron, ich habe ihm über dieses Telegramm eine Aufklärung zu geben, sofort …

Damit eilte er Baptist vorauf der Thür zu.

Baptist holte ihn erst draußen auf dem Corridor wieder ein. Hierhin, wenn's gefällig ist, der Baron ist hier! sagte er, indem er eine Flügelthür vor ihm öffnete, die in ein großes auf den Garten hinausgehendes Vorzimmer führte. Ueber die weichen Teppiche desselben fortgleitend, schlug Baptist den Vorhang einer Portière am Ende des Raumes zurück – noch ein Raum, ein kleineres Cabinet, war zu durchschreiten, dann hob Baptist die schweren, seidenen Falten einer zweiten Portière vor Dankmar, und dieser setzte den Fuß über die Schwelle eines großen Wohnzimmers, während Baptist laut meldete: Monsieur de Gohr!

Dankmar bemerkte im ersten Augenblicke niemand in dem Zimmer. Er sah nur Möbel, Bilder, Blumen, eine große Volière dicht vor ihm am nächsten Fenster – das alles schwamm vor seinen Blicken, ein verworrenes Bild, in dessen Mitte jetzt plötzlich eine Gestalt stand, die ihm den lauten Aufschrei: Eugenie! entlockte.

Eugenie war aus der nächsten Fensterbrüstung, welche sie verborgen hatte, getreten. Sie kam ihm mit einem Lächeln auf den Lippen, mit einem leisen Anfluge von Roth auf ihren bleichen Wangen, mit dargestreckter Rechten entgegen – aber langsam, unsichern Schrittes, mit dem schwankenden Gange, der bewies, wie groß die Selbstbeherrschung war, womit sie die äußern Zeichen der Ruhe behauptete.

Eugenie, sagte er noch einmal, ihre dargestreckte Hand mit seinen beiden erfassend, zürnen Sie mir nicht, hassen Sie mich nicht deshalb, daß ich komme – weiß Gott, es war nicht beabsichtigt – ich fühle es, es ist schlecht, daß ich Ihnen ein Wiedersehen bereite, welches Ihnen peinvoll ist – ich wollte es nicht – ich wollte nichts, als Ihrem Vater augenblicklich eine Mittheilung machen – ich wollte einen elenden Betrug verhindern – man täuscht diesen Spanier, diesen Marchese, Ihren Vater, Sie – das Telegramm aus Kairo ist falsch, es ist ein Betrug, der den Marquez von Ihnen fortlocken soll – der Betrug geht von dem unseligen Menschen aus, den ich Ihnen nicht zu nennen brauche – das, nur das wollte ich Ihrem Vater sagen.

Eugenie war, während Dankmar hastig diese Worte ausgerufen hatte, völlig wieder erbleicht. Mit einem eigenthümlich starren Blicke auf Dankmar, mit einem wie mechanischen Bewegen der Lippen sagte sie tonlos:

Mein Vater und der Marquez von Santa-Cruz haben sich eben entfernt, da mein Vater in seinem Arbeitszimmer einen Brief für ihn schreiben wollte. Also das Telegramm ist falsch?

Es ist falsch, es ist ein Betrug, es ist durch eine Bestechung erlangt! rief Dankmar eifrig aus.

So will ich Sie zu meinem Vater führen lassen, damit Sie selbst es ihm sagen – und der Marquez hier bleibt, antwortete Eugenie mit demselben Blicke auf Dankmar, demselben Tone.

Trotz der Absicht, die sie angedeutet hatte, rührte sie sich nicht; sie stand mit ihrem erstarrten Wesen wie eine Statue vor Dankmar. Dieser blickte ängstlich, außer Fassung, keines weitern Wortes mächtig, in ihre Züge. Was hatte sie verwandelt? Was hatte er gesagt, um die milde Freundlichkeit, mit der sie ihm entgegengetreten, in diese marmorne Kälte zu verwandeln?

Plötzlich sah er ihr ganzes Gesicht von einer hohen Röthe überflammt.

Dankmar, sagte sie mit einem Zittern aller Fibern ihres Antlitzes, wie es dem Ausbruche eines Thränenstromes vorhergeht – Dankmar, ist es denn möglich? Sie wären nicht zu mir gekommen, ohne – ohne diesen Betrug, dessen Aufklärung Ihnen so am Herzen liegt? und Sie sind in dieser stürmischen Eile, um mir rasch eine Centnerlast wieder aufs Herz zu legen, die sich eben lichtete, von der ich eben aufzuathmen begann? Was habe ich gethan, daß Sie mich fliehen, mich hassen?

Eugenie, rief Dankmar in einer nicht zu sagenden Ueberraschung aus, ich will nicht selig werden, wenn ich Sie verstehe – ich Sie fliehen, Sie hassen …

Sie hatte sich in einen Fauteuil gleiten lassen, an dessen Rücklehne sie ihr Gesicht verbarg.

Dankmar kniete vor Eugenie nieder, und indem er ihre beiden schlaff niederhängenden Hände ergriff, sagte er:

Wenn Sie nicht wollen, daß ich sterben soll, so reden Sie, Eugenie reden Sie, damit ich weiß, was diese Worte, die mich tödten, bedeuten!

Habe ich nicht recht, so zu reden? antwortete sie, ihr mit Thränen überströmtes Gesicht erhebend und ihm zuwendend. Haben Sie mich nicht geflohen und mich allein gelassen in allen schweren Stunden, haben Sie nicht mich allein gelassen, als ich in Ihrem Hause war …

O, Sie sind ungerecht, furchtbar ungerecht! fuhr Dankmar auf.

Mich allein gelassen in meinem jammervollen Kampfe mit jenem Elenden, mich allein gelassen jetzt, wo ich wieder einen Kampf, den mit den Wünschen meines Vaters, zu kämpfen hatte – allein, allein, immer allein!

Eugenie, um des Himmels willen, seien Sie nicht so furchtbar ungerecht! Was gab mir das Recht, mich zu Ihnen zu drängen, Sie berathen, bestimmen zu wollen?

Eugenie sah ihn fragend an.

Sie fühlten kein Recht dazu in sich? Wirklich … kein Recht? Haben denn meine unseligen Briefe jedes Gefühl für mich in Ihnen erstickt?

Ihre Briefe?! rief Dankmar aus. Sie haben mein Gefühl für Sie nicht vermindern, nicht vermehren können – sie haben mich nur stolzer auf mein Gefühl für Sie gemacht, das unendlich und ewig ist und in jedem Pulsschlage meines Herzens glüht!

Ist das wahr? sagte sie mit bebender Lippe, ihre Rechte auf seine Stirn legend und seinen Kopf zurückbeugend, um ihm tief ins Auge zu schauen.

So wahr wie das Sonnenlicht!

Und doch verließen Sie mich? Sie standen ihm bei in seiner Noth, ihm, meinem Verderber, aber mir fehlten Sie in den Stunden, da jede Fiber meines Herzens nach Ihnen verlangte!

Ich lag krank auf dem Schmerzenslager, Eugenie – und ahnte ich, daß …

Sie hatten auch später kein Freundeswort für mich, als ich krank und gebrochen und zerschmettert unter Ihrem Dache lag! Als wir uns wiedersahen nach jener schrecklichen Nacht, hatten Sie nicht ein Wort für mich, aus welchem nicht die kühlste Fassung gesprochen hätte! Kein Ton des Zornes, des Schmerzes! Hätte ich den wahnsinnigen Vorsatz ausgesprochen, die Flucht Jauffroi's theilen zu wollen, ich glaube, Sie hätten mir ruhig Ihren Beistand auch dazu geleistet, wie Sie ihn Jauffroi geleistet haben!

Konnte ich anders handeln? rief Dankmar aus. Ich liebte Sie, Eugenie, und darum unterdrückte ich das eigene Herz, und wenn es zehnmal zu brechen drohte, und zwang mich, nur an Sie zu denken, nur Ihren Willen, Ihre Entschlüsse, Ihre Freiheit zu achten …

Meine Freiheit! sagte Eugenie schmerzlich lächelnd. Wollen Sie mich strafen für die Zeit der Verirrung, in welcher ich auszog, die Freiheit zu finden und nur in die Sklaverei einer egoistischen Leidenschaft gerieth, die mich in den Zweifel an mir selbst, den Zwiespalt, die Seelenangst grenzenloser Verlassenheit und das Elend stürzte? O Gott – fuhr sie, beide Hände vor ihr Gesicht schlagend, fort – hat mich denn dieser Augenblick, dieses Wiedersehen das alles vergessen machen? Sinnlose Thörin, die ich bin, ich rede, als ob Sie nicht so völlig recht hatten, zwischen mir und Ihnen für ewig eine tiefe Kluft zu erblicken! Als einmal das Entsetzliche geschehen, da mußte Ihre innerste Natur sich kalt von der meinen wenden, – das Wesen, das so gehandelt hatte, kannten Sie nicht mehr. Und da, da liegt es, was uns ewig trennen muß – das fühlte ich ja nur zu sehr! Ich bin mir nicht treu geblieben; ich habe mich entzweien lassen mit mir selbst, ich habe mich selber aufgeben können und mich berücken lassen von der Lüge – mein Herz ist rein und ohne Schuld geblieben, – ich darf das sagen, so viel und so schonungslos ich auch mein Gewissen erforscht habe; aber mein Denken und mein Geist ist es nicht; und so bin ich zu dem Wesen geworden, das Sie, Dankmar, Sie mit Ihrer festen klaren großen Natur nicht mehr verstehen konnten, das Ihnen nun auf ewig fern steht, zu dessen Verirrung Sie keinen Schlüssel haben, das keine Verzeihung von Ihnen erflehen konnte, denn um verzeihen zu können, muß man verstehen! Das ist es, was uns für immer trennt, ja, was mich in Ihrem Hause Sie fürchten ließ. Die Vorwürfe, welche Sie mir machen mußten, waren gerecht, ich hatte nichts, nichts, sie zu entkräften – ich hätte höchstens sagen können: wenn ich so schwer, so schrecklich irrte, weshalb warst du nicht da, mich vor dem Irrthum zu bewahren!

Und wenn ich Ihnen nun schwöre, Eugenie, daß ich keinen Augenblick dieses Gefühl der innern Entfremdung gehabt, keinen Augenblick, worin ich Sie nicht verstanden hätte, nicht den Schlüssel gefunden zu allem, was geschehen, und worin meine Natur sich hochmüthig von der Ihren gewendet! Aber meine Liebe ließ mich meine Leidenschaft beherrschen – und zurücktreten!

Eugenie senkte ihre Stirn langsam auf seine Schulter, während sich leise sein Arm um ihre Gestalt legte:

Und glaubten Sie, mein Weg würde leichter, wenn Sie mir fehlten, so oft ich im stillen rief: zeige ihn mir!?

Durfte ich denn glauben, daß eine Stimme in Ihrer Seele so rufe, Eugenie?

Eugenie erhob ihr Gesicht, sie legte ihre Hände auf Dankmar's Schultern, und ihm ernst und tief ins Auge schauend, sagte sie:

Kleingläubiger! Habe ich nicht offen, nicht laut genug gesprochen? Als ich von Ihrer Neigung ein Opfer verlangte, daß Sie fliehen sollten – als ich Sie dann zum Vertrauten meiner innersten Gedanken, zum Richter über mein Handeln machte – war ich da nicht offen genug gegen Sie? O, elender Kleinmuth!

Nennen Sie es nicht Kleinmuth, Eugenie, versetzte Dankmar – die Liebe macht demüthig, ängstlich, scheu – dürfte ich Ihnen nicht dieselben Vorwürfe machen, daß Sie so schlecht von meiner Leidenschaft für Sie denken, daß Sie mich fähig halten konnten, zu vergessen? Und, setzte er zögernd, leiser hinzu, ist kein Augenblick in Ihrem Leben, wo Sie noch weiter gingen, wo Sie noch Aergeres von mir dachten, noch Niedereres von mir wähnten?

Eugenie schüttelte, ihn offen und innig anblickend, den Kopf.

Man hat mich verleumdet bei Ihnen, fuhr Dankmar fort, auf das kläglichste und erbärmlichste verleumdet…

Eugenie legte ihre Hand rasch auf seinen Mund.

O, kein Wort weiter! sagte sie. Sie sollen sich nicht erniedrigen, nicht durch Ein Wort der Rechtfertigung! Zweifeln wir denn jetzt noch aneinander? Rechtfertige ich mich wegen dessen, was geschehen – mache ich Worte, um Ihnen zu beweisen, daß ich schuldlos bin, daß Angst, Entsetzen, Zwang, Wahnsinn mich wie ein willenloses Opfer erfaßten und in einen Abgrund stürzten, aus dem ein Wunder mich rettete? Nein, keine Rechtfertigungen – wir glauben aneinander, Dankmar, wir sehen in unsere Seelen – ist es nicht so? Und unsere Seelen sind klar und hell voreinander, ohne Dunkel und Schatten!

Wie zwei Flammen, die zusammenlodern! rief Dankmar aus.

Ja, zwei Flammen, sagte Eugenie; die Flamme in der meinen hat einen falschen Hochmuth verzehrt, das ganze, selbstwillige Bewußtsein einer Geistesstärke, die sich nicht bewährt hat, die, ach, so elend! gescheitert ist!

Ich habe die Unabhängigkeit gesucht, und suche heute nur noch die Abhängigkeit – bei dir, Dankmar! Du sollst mich führen! Ich kann nicht leben ohne dich! Ohne dich nicht denken! Ich will es stärkern Naturen überlassen, allein den Pfad zu finden! Ich kann es nicht! Ich bin ein schwaches Weib! Ich bin dein Weib, Dankmar, dein demüthiges, liebendes Weib!

Sie hatte sich schluchzend, mit einer stürmischen Leidenschaftlichkeit in seine Arme geworfen.

Du machst mich glücklich, sagte Dankmar, leise seine Lippen auf ihre Stirn drückend – so glücklich, wie nie ein Mensch gewesen ist! Den Pfad, den du nicht finden konntest, werden wir zusammen suchen – für ewig vereint – und ich denke, er ist gefunden in dem Augenblicke, wo zwei, so vereint wie wir sind, ihn suchen!

Du hast recht – ich fühle nur Licht, nur Glück, nur Frieden und alle Rätsel sind gelöst, lispelte Eugenie.

Man hörte in diesem Augenblicke das gedämpft aus dem Hofe herüberschallende Rollen eines Wagens. – –

Dankmar fuhr auf.

Der Marquez, der fortfährt! sagte er. Dürfen wir ihn, der Täuschung zur Beute, abreisen lassen?

Nein, versetzte Eugenie; ich werde mit meinem Vater darüber reden, überlaß es mir, Dankmar. Mein Vater wird im nächsten Augenblicke dich zu suchen kommen. Es ist besser, er findet dich nicht, sondern nur mich, damit ich mit ihm rede und ihm sage, wie wir uns wiedergefunden haben – wiedergefunden für immer. Der arme Papa muß dann, setzte sie leise lächelnd hinzu, schon Mittel und Wege finden, seinen stolzen Freund mit der Lage der Dinge auszusöhnen; es wird nicht schwer werden, wenn er ihm für die sehr unsichere Hoffnung auf eine Braut die Beruhigung über seine Mutter wiedergibt! Leb' wohl, Dankmar – auf wenige Stunden leb' wohl – ich werde die Minuten zählen, bis du zurückkehrst!

Und dein Vater?

Zweifle nicht – mein Vater liebt mich – er ist gut Adieu, Adieu! – –

 

Es war am andern Tage um die Mittagsstunde, als Dankmar durch den Garten in der Rue Saint-Benoit auf den kleinen Pavillon zuschritt, den Fanny bewohnte; er fand sie an ihrem Schreibtische sitzend und emsig schreibend. Sie verbarg das Blatt, als er eintrat, und sagte:

Sie sind's? Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, Sie je wiederzusehen! Unterdes beschäftigte ich mich eben damit, Ihr Signalement aufzusetzen – ich wollte Sie als Verschollenen in die Zeitung setzen und suchen lassen!

Nicht nöthig, wie Sie sehen, Fräulein Fanny. Um mich zu finden, hätten Sie nur ins Hotel Chevaudun zu senden brauchen, dessen Adresse ich Ihnen verdanke.

Ins Hotel Chevaudun?

So sagt ich.

Sie haben wirklich Ihren Weg ins Hotel Chevaudun gefunden?

Ich habe ihn gefunden – und den Weg zu meinem Glück.

Nun, dann ist Ihr Signalement hier überflüssig! rief Fanny aus, indem sie das eben von ihr beschriebene Blatt wieder hervorzog und zerriß. Aufrichtig gesagt, es war ein Brief an Eugenie; aber Sie bedürfen meiner jetzt nicht mehr; ich sehe es an Ihren strahlenden Mienen! Also sprechen Sie, erzählen Sie, wie haben Sie den Weg – den Weg zu Ihrem Glücke gefunden?

Wollen Sie die Geschichte selbst oder die Moral der Geschichte?

O, die Geschichte selbst – Geschichten ohne Moral haben in meinen Augen immer den Vorzug! lachte Fanny.

Dankmar ließ sich nieder, und während Fanny gespannt zuhörte, erzählte er ihr alles, was sich ereignet hatte. Der Baron Chevaudun, schloß er seinen Bericht, hat die Erklärungen seiner Tochter mit dem wärmsten und gütigsten Vaterherzen aufgenommen; er hat mir gestanden, daß ihm diese Wendung der Dinge nicht unerwartet komme; daß er Eugeniens Neigung für mich längst zu erkennen geglaubt habe und daß er mich nur so lange von dem Marquez unterhalten, um Gelegenheit zu bekommen, mich zu ergründen und mir Symptome meiner Gesinnung gegen seine Tochter zu entlocken, deren Glück ihm unendlich theuerer sei als die Verbindung mit dem Hause der Bazan, das in den Millionen seiner Tochter am Ende doch nur einen höchst kümmerlichen Ersatz für den Mangel an ebenso viel Ahnen, Titeln und Ehren sehen würde.

Und der Marquez? fragte Fanny.

Der Marquez tröstet sich für den Verlust der geringen Hoffnungen, welche ihm Eugeniens kühles Betragen gegeben haben mag; er hat bereits Fassung genug, mit großem Eifer den Urhebern des Betruges nachzuspüren, welchen man sich gegen ihn mit dem falschen Telegramm erlaubt hat. Ich habe Montenglaut's angenommenen Namen nicht verrathen wollen. Aber er darf nicht länger hier bleiben. Ich bitte Sie um Ihre Vermittelung, Fräulein Fanny. Theilen Sie ihm mit, daß der Augenblick für ihn gekommen ist, sich ernstlich nach dem Berge Athos auf die Wanderung zu machen. Wollen Sie es?

Gern will ich auch das für Sie thun, obwol die Aufgabe nicht angenehm ist. Und wenn er die Mittel fortzukommen nicht besitzt?

So sagen Sie es mir – noch heute sei es, wo möglich – ich werde dafür sorgen, daß er dadurch nicht zurückgehalten wird.

Er wird begreifen, daß er verschwinden muß, sagte Fanny. Aber wissen Sie, daß ich Sie ein wenig undankbar finde, Herr von Gohr?

Weshalb?

Sie haben bei alledem nicht durch eine Silbe verrathen, daß Sie die geringste Dankbarkeit für mich empfinden und ohne mich hätten Sie doch den Weg zu Ihrem Glücke nimmer gefunden!

Das, antwortete Dankmar lächelnd, gehört zur Moral der Geschichte, die Sie sich vorhin verbeten haben.

Zur Moral?

Nun ja – und diese Moral, denk ich, lautet so: wir haben das Glück nicht durch unser Denken und Forschen gefunden, sondern durch eine gute That – durch die großmüthige That Eugeniens gegen Sie, Fanny, deren Theilnahme uns jetzt zusammenführte. Wir haben es nicht gefunden durch den Willen und die Leidenschaft, sondern in dem befreiten Gemüth und seiner freien Hingabe. Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein, oder besser, es zu bleiben; aber er muß vorher sich innerlich zu befreien verstehen, um sich nach eigener Selbstbestimmung den Banden, für die er geboren ist, hingeben zu können. So nur kann er seine ganze Kraft, sein ganzes Selbst mit sich bringen in die selige Gebundenheit an das, was er liebt, und an die Welt, an die ihn, was er liebt und besitzt, verkettet.

Und denken Sie in dieser Stunde noch an die Welt? fragte Fanny.

Gewiß denke ich an sie – wie ein Verwaister, der eine Heimat gefunden hat – Eugenie ist mir die Welt, nur durch sie habe ich die Welt, die Menschheit wieder, und in diesem Bewußtsein liegt der beste Theil meines Glückes –

Denn um die Menschheit ist der Mensch gemacht!


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

 


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