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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Böhmer's Betrachtungen

Dankmar würde, auch wenn er es sich nicht vorgenommen hätte, Eugenie in den nächsten Tagen nicht gesehen haben, denn sie erkrankte von all den erlebten Erschütterungen. Der Arzt und der Staatsanwalt schienen nun einmal in Gohr zu ihrem Gefolge zu gehören; jener kam noch am Abende, der Staatsanwalt am andern Morgen, von einem jüngern Beamten begleitet und trotz Eugeniens Unwohlsein darauf bestehend, ihre Aussagen sofort entgegenzunehmen. Eugenie gab ihnen trotz des Fiebers, das bei ihr ausgebrochen war, in Herminens Gegenwart alle Auskunft, welche sie geben konnte.

Mit dem Staatsanwalte, der zuerst in Dornegge gewesen war und dort die nöthigen ersten Erhebungen gemacht hatte, war auch Herr Böhmer gekommen. Er hatte Helene und Ludwig unter dem Schutze Gundobald's dort gelassen und sich vom Staatsanwalte die Vergünstigung erbeten, ihn begleiten zu dürfen; er brannte zu sehr, den Zusammenhang des ganzen geheimnißvollen Vorganges zu erfahren.

Wie war Boto, der ihn doch nur zu seiner Unterstützung begleiten wollen, in das Zimmer Eugeniens gekommen? Weshalb hatte ihn dort dieser Baron Jauffroi, den man sofort als den Mörder bezeichnet hatte, der auch ganz zweifellos der Entführer Eugeniens nach der Beschreibung war, welche Christian, der Kutscher, von ihm gegeben – Christian war ja mit seiner Herrschaft und seinen Füchsen wieder da, in Dornegge –, weshalb hatte dieser Jauffroi Boto, den er gar nicht kennen konnte, ermordet? Hing die Sache irgend mit Böhmer's Entführungsplan zusammen? Trug dieser Entführungsplan irgendeine Schuld an dem furchtbaren Unglücke?

Böhmer hatte eine sehr schwere Last auf dem Herzen. Eine Beruhigung oder eine Bestätigung seiner Befürchtung konnte nur Eugenie geben. Eugenie konnte allein den Schlüssel zu dem ganzen geheimnißvollen Ereignisse geben, und so brannte denn Herr Böhmer, Eugeniens Aussagen aus erster Hand zu erhalten.

Der Staatsanwalt, welcher Herrn Böhmer aus persönlichem Verkehre in der Stadt her kannte, hatte, nachdem er mit Eugenie verhandelt, keine Veranlassung gefunden, dem letztern das Ergebniß seiner Erhebungen zu verschweigen.

Der ganze Hergang dessen, was geschehen, steht mir jetzt klar vor Augen, sagte er. Es bleibt nichts Räthselhaftes, Widersprechendes darin. Ihre Aussagen werden durch die des Fräuleins von Chevaudun aufs vollständigste ergänzt, mein lieber Herr Böhmer.

Und was sagte Ihnen Fräulein von Chevaudun? fragte Herr Böhmer eifrig, indem er den Staatsanwalt unter den Arm faßte und mit ihm auf dem Hofe von Haus Gohr auf- und abzuschreiten begann. Wie ist Boto in ihr Zimmer gerathen?

Ganz einfach; auf dem geradesten Wege und mit keiner andern Absicht, als um Sie zu verrathen!

Mich zu verrathen?

So ist es – Sie wähnten, er wolle Sie unterstützen, um sich Ihre Tochter zurückzuholen – Graf Boto ist aber noch vor zehn Uhr zu Fräulein von Chevaudun gekommen und hat ihr erklärt, er erscheine in so später Stunde bei ihr, um ihr zu sagen, daß Sie in der Nähe seien und in der Nacht in Schloß Dornegge eindringen und ihr, der Gebieterin von Schloß Dornegge, den Verdruß und das Aergerniß bereiten wollten, mit List oder Gewalt Ihr Kind daraus zu entführen.

Aber das ist ja ganz unglaublich, das wäre ja der baarste Verrath gegen mich gewesen!

Es war gegen Sie nicht gerade loyal gehandelt, antwortete der Staatsanwalt; haben Sie immer in der Welt so viel helle Ehrlichkeit gefunden, daß Sie es darum unglaublich nennen?

Helle Ehrlichkeit? Verdammt wenig, Herr Staatsanwalt – ich habe die Sonne Ehrlichkeit wenigstens immer plötzlichen Verfinsterungen ausgesetzt gesehen, wenn zwischen ihr und einem beliebigen Menschenkinde der Profit nur einen Thaler in die Höhe hob. Die Mondesscheibe braucht sich dabei gar nicht zu bemühen, um eine solche totale Sonnenfinsterniß hervorzurufen, ein runder preußischer Thaler reicht dazu hin – Shakspeare'scher Gedanke das, Herr Staatsanwalt, meiner Seele! – aber nun sagen Sie mir, wo war bei dieser Verfinsterung von allem, was redlich und treu und ehrlich war in Boto Edern, für ihn der Profit?

Der Profit war so klar, als Graf Boto's Redlichkeit dabei verdunkelt, lieber Herr Böhmer – er stellte, scheint es, Fräulein von Chevaudun's Freundschaft noch über die Ihrige und wollte die eine gewinnen durch Verrath der andern.

Ah, rief Herr Böhmer überrascht aus – das ist Ihre Meinung in der That?

Er hat Fräulein von Chevaudun ganz offen gestanden, daß er diese Gelegenheit ergriffen, um mit ihr Frieden zu schließen und ihre Freundschaft wiederzugewinnen.

Dieser schlaue Boto! Man soll sich gegen todte Leute nur parlamentarischer Ausdrücke bedienen – sonst würde ich mehr sagen, weit mehr! Nun denken Sie sich nur die Lage, in welche ich gekommen wäre, wenn die Dinge ganz einfach den Verlauf genommen hätten, den ich ursprünglich beabsichtigte, ihnen zu geben!

Sie wären dann allerdings einigen Demüthigungen entgegengegangen – aber gewiß hatte Boto vor, nachher Sie bei Ihrem Wagen wieder aufzusuchen und Ihnen offen zu gestehen, was er gethan, und Sie abzuhalten …

Einerlei, ganz einerlei, es war eine abgefeimte Heimtückerei! rief Herr Böhmer, außer sich vor Entrüstung, aus.

War er nicht schon genug gedemüthigt, daß er den eigentlichen Grund seiner nächtlichen Expedition, den ja auch Ederns kannten, bei seiner Vernehmung vor dem Staatsanwalte hatte offen gestehen müssen? Nun noch – dieses Bewußtsein, von seinem Verbündeten misbraucht zu sein, ein Thor gewesen, von einem andern zu seinen Zwecken benutzt worden zu sein – er vergaß ganz dabei, wie schrecklich Boto seinen Verrath gebüßt, und dachte nur daran, wie sehr er, Böhmer, nun vor Gundobald und Helene und Ludwig und vor aller Welt bloßgestellt sei!

Herr Böhmer war äußerst gedrückt und niedergeschlagen. Er hörte dem Staatsanwalt zu, als dieser den weitern Verlauf der Ereignisse, wie er sie aus Eugeniens Munde vernommen, ihm angab, und drückte dann seinen Entschluß aus, den Staatsanwalt nicht in die Stadt heimzubegleiten, sondern in Gohr noch zu bleiben, da er wünsche, sich mit dem geistlichen Rathe Zander zu besprechen. Der Staatsanwalt fuhr demnach mit seinem Protokollführer allein ab, um in der Stadt die weiter nöthigen Schritte zur nachdrücklichen Verfolgung des Barons von Montenglaut zu thun, über dessen persönliche Verhältnisse er sich von Eugenie alle nöthigen Angaben hatte machen lassen.

Herr Böhmer ging, die Hände auf dem Rücken, noch eine Weile auf dem Hofe auf und ab. Dann hob er diese Hände beide auf, und indem er mit dem ausgestreckten Zeigefinger der Rechten den in die Höhe gerichteten Zeigefinger der Linken berührte, sagte er:

Von der Helene und dem Thonkneter bin ich nun einmal eingefangen, und die Hoffnung, sie wieder auseinanderzubringen, wäre jedenfalls schwach, äußerst schwach. Erster Grund!

Mit dem Grafen Boto haben die Geschäftsbeziehungen ein Ende – das Bauernerbeeinschlachten, die Kornankäufe für die Dampfmühlen sind schöne Tage von Aranjuez, wie Schiller sagen würde. Zweiter Grund!

Herr Böhmer tupfte den zweiten Grund auf die Spitze seines Mittelfingers.

Rücksichten zu nehmen habe ich keine wider diese Ederns. Graf Boto hat es mir vorgemacht, wie man seine eigenen Angelegenheiten ohne Rücksichten auf gute Geschäftsfreunde betreibt. Dritter Grund!

Diesen dritten Grund bekam der Ringfinger in die Höhe gestellt zu tragen.

Wenn Gundobald Burghaus seinen Proceß gewinnt, so gewinnt der Schwiegersohn Thonkneter einen Theil davon – einen Theil von einer halben Million – von einer halben Million – zwar nur Franken – aber doch ein achtungswerther, sehr achtungswerther Gegenstand! Also, fuhr Herr Böhmer, indem er den kleinen Finger aufzurichten versuchte, fort, vierter Grund!

Der vierte Grund mußte wol der am schwersten wiegende sein; Herrn Böhmer's kleinem Finger gelang es wenigstens nicht, sich unter der Last, die er zu tragen bekommen, in die Höhe zu richten; er blieb gekrümmt stehen.

Herr Böhmer aber rief, indem er mit den also aufgerichteten Fingern jetzt plötzlich schnalzte: Vier Gründe, die ziehen wie vier eingespannte Pferde vor einem Wagen mit vier Rädern, so da heißen Klugheit, Gelegenheit, väterliche Liebe und baarer Profit – also losgefahren mit dem Gespann, ich gehe zum Feinde über!

Herr Böhmer schritt ins Haus und verlangte, zum geistlichen Rath Zander geführt zu werden. Man wies ihm das Zimmer desselben, und als er es betrat, fand er Dankmar bei dem alten Herrn.

Ei sieh da, Herr von Gohr! Ahnte gar nicht, daß Sie zurück seien! rief er aus. Aber schon recht, daß Sie hier sind, Herr von Gohr – können hören, was ich dem geistlichen Herrn mitzutheilen habe – Herr Rath Zander, wir kennen uns, oder vielmehr, wir kennen uns wol nicht mehr – aber Sie wissen, daß ich Böhmer bin; jedes Kind in der Stadt und auf dem Lande weiß es; erlauben Sie, daß ich mich setze, denn ich bin müde, seit achtundvierzig Stunden wenig zur Ruhe gekommen – viel Ruhe ist überhaupt meine Sache nicht, aber dem Besten kann's doch auch einmal zu viel werden!

Der geistliche Rath hatte ihm einen Stuhl hingeschoben, auf den Böhmer, die Stirn mit seinem Tuche wischend, sich fallen ließ.

Ich kenne Sie sehr wohl, Herr Böhmer, sagte Zander unterdeß – Ihr Vater war Secretär meines alten Freundes Nesselbrook, und ich habe Sie in Dornegge sehr oft gesehen, als Sie ein Knabe waren.

Ganz richtig, ganz richtig – in jenen Tagen der Unschuld – wie man vorzugsweise das Lebensalter nennt, wo der aufblühende Witz des jungen Erdenbürgers all seine Kräfte der Erwerbung von verschiedenartigen Erquickungen aus fremden Obstgärten und Speisekammern, der Erfindung neuer Belästigungsmethoden für seine Nachbarn und der Peinigung von jeder Art vierbeinigen oder zweibeinigen Viehes und anderer Mitgeschöpfe zuwendet. Es ist eine schöne Zeit, diese Tage der Unschuld, Herr Rath! Aber wenn es Ihnen recht ist, wollen wir uns ein anderes mal in die unausbleibliche Rührung versenken, welche eine länger festgehaltene Erinnerung daran in uns erwecken würde. Versetzen wir uns lieber, um zur Sache zu kommen, sofort aus den Tagen der Unschuld in diese Tage der Schuld und schrecklichen Vorfälle. Um kurz zu sagen, was ich Ihnen sagen wollte, diese schrecklichen Vorfälle haben meine Stellung zu der Familie Edern verändert – sehr gründlich verändert – meine Tochter Helene hat sich meine Einwilligung – Sie wissen, Herr Rath, man ist doch auch Vater – aber auch über diesen Anlaß zu unausbleiblicher Rührung können wir mit einem kleinen Sprunge hinwegsetzen, und, um gerade herauszureden: wie die Dinge jetzt stehen, habe ich keinen Grund mehr, Ihnen vorzuenthalten, daß ich im Besitze eines sehr wichtigen Documents bin, welches wahrscheinlich schwer in die Wagschale fallen würde, wenn Herr von Burghaus es in seinem Processe zu den Acten beibringen könnte.

In der That, und welches Document ist das? fragte Dankmar.

Das ist eine Abschrift des letzten Testaments, welches der Baron Nesselbrook gemacht hat und das dem Herrn Rath abhanden gekommen ist.

Sie besitzen eine Abschrift?

Eine genaue Abschrift – angefertigt von meinem Vater, der das Original als Schreiber des alten Herrn in seine Hände zu bekommen wußte – es war wenige Wochen vor der Abreise Nesselbrook's von Dornegge; in einer stillen Nacht hat mein Vater es heimlich sich abgeschrieben – er hat es auch selbst unterschrieben mit Tag und Datum und die Richtigkeit auf seine Ehre und sein Gewissen beglaubigt.

Eine solche Abschrift war in Ihren Händen, Herr Böhmer, fragte Dankmar – und Sie haben sie nicht Ederns mitgetheilt?

Ederns wissen darum, versetzte Herr Böhmer; aber ihnen ausgeliefert habe ich sie nicht – nur eine Copie hat Gräfin Edern bekommen.

Und mir wollen Sie es ausliefern? fragte der geistliche Rath.

Ihnen will ich es ausliefern, unter der Bedingung, daß Herr von Burghaus …

Sie sind sehr gütig, Herr Böhmer, fiel ihm Dankmar in die Rede; jedoch bedürfen wir Ihrer Abschrift und Ihrer Bedingungen nicht – denn hier, wie Sie sehen, ist das Original dieses Testaments!

Das – das Original? rief Herr Böhmer äußerst verwundert aus, auf das Document starrend, welches auf dem Tische vor den beiden Herren lag und jetzt von Dankmar auseinandergeschlagen und ihm vorgezeigt wurde.

Das Original!

Nun, das ist wunderbar, sagte Herr Böhmer; so ist es also da und es gehört alles, was Ederns besitzen, jetzt Gundobald Burghaus!

Wenn er die Bedingung erfüllt und dieses Testament veröffentlicht, alles! entgegnete der geistliche Rath.

Veröffentlicht? Er wird es veröffentlichen, verlassen Sie sich darauf! rief aufgeregt Herr Böhmer aus. Dafür bürge ich. Es muß veröffentlicht werden, damit es gültig werde, und es muß gültig werden, damit mein künftiger Schwiegersohn seinen Theil der Erbschaft erhalte. In der That, die Veröffentlichung muß ich mir schon auf das allerschönste ausbitten! Auch Sie haben dafür zu sorgen, Herr Rath, daß es veröffentlicht werde. Sie sind der Executor, Ihnen liegt es zunächst ob, dafür einzustehen.

Herr Böhmer, warf der geistliche Rath beklommen ein – Sie sind ein durchaus frommer, kirchlicher, gläubiger Mann. Sie können nicht so ohne alles Bedenken über einen Schritt sein, der schwache Gemüther in die Irre führen, manche Gewissen verwirren und großes Aergerniß geben muß. Sie stellen Ihr Seelenheil höher als irdische Reichthümer, als Ihr Heil in dieser Welt …

Thue ich auch, thue ich auch! rief Herr Böhmer dagegen. Aber was hat mein Seelenheil damit zu schaffen? Darf ich mein Seelenheil mit dem erkaufen, was meinen Kindern, meiner guten Helene, meinem lieben ehrlichen Ludwig gehört? Das wäre gewissenlos, Herr Rath, äußerst gewissenlos – nein, so ruchlos ist Papa Böhmer nicht; wie würde ich das Auge aufschlagen können vor diesem wackern, biedern Ludwig, den ich mit Stolz meinen Sohn nenne, wenn ich aus Egoismus, um meines »Seelenheils« willen, seine Rechte nicht vertheidigte? Ich mache Sie verantwortlich, Herr Rath, verantwortlich für alles! Ich werde auch sogleich beginnen, dafür zu sorgen, daß Sie verhindert werden, aus Rücksicht der Leisetreterei und schwächlicher Menschenfurcht, aus Angst vor dem Aufsehen und dem Zorne der Großen dieser Erde den Willen Ihres todten Freundes zu verrathen und dem Rechte eine wächserne Nase zu drehen – ich werde in die Stadt zurückkehren und jedem, der es hören will, erzählen, daß das Testament gefunden sei – daß Sie es haben, daß ich es in Ihren und Herrn von Gohr's Händen gesehen …

Erhitzen Sie sich nicht, lieber Herr Böhmer, sagte hier Dankmar lächelnd, das Testament ist in guten, sichern Händen, und es soll dafür gesorgt werden, daß Ihrem Schwiegersohne sein volles und ganzes Recht wird!

Das ist ein Wort, Herr von Gohr, das mir besser gefällt als die zagen Bedenklichkeiten unsers geistlichen Herrn hier, rief Böhmer aus, und ich will mich darauf verlassen!

Mögen Sie das, Herr Böhmer!

Damit hatte die Unterredung ein Ende; Herr Böhmer, der mit so viel Geistesgegenwart da, wo sein Vortheil lag, auch die Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit zu finden gewußt hatte, behielt sich vor, nach einigen Tagen zurückzukehren, um zu erfahren, was man zu thun beschlossen. Jetzt aber eilte er, fortzukommen, und zwar so rasch als möglich noch am Abend in die näher gelegene Stadt und morgen in frühester Frühe nach Haus Dornegge zurück, um gerührt den jetzt so geliebten Schwiegersohn an sein Herz zu schließen und ihm die große Kunde zu bringen, und um Helene zurück in das väterliche Haus zu führen – er machte sich jetzt nichts mehr daraus, was die Welt zu Helenens Streich sagen würde – denn sie kam zurück als die Braut eines künftigen Rittergutsbesitzers!

Dankmar und der geistliche Rath fuhren in der Beschäftigung fort, worin Herr Böhmer sie bei seinem Kommen unterbrochen hatte. Sie vertieften sich wieder in die Schrift Nesselbrooks. Diese war das Werk eines Mannes, der, je heftiger und je schmerzlicher er gerungen, um zur innern Freiheit und zum Frieden zu kommen, desto schärfer und schneidender das Glaubensbekenntniß aussprach, in welchem er Freiheit und Frieden endlich gefunden, und das er als den besten und kostbarsten Theil seiner Habe seinem Erben vermachen wollte.

Indem er das religiöse und politische System, dessen gewichtiger Vorkämpfer er einst gewesen, jetzt mit scharfen Axthieben an seinen Wurzeln angriff, zeigte er all den schonungslosen Eifer, den der Convertit hat, als Convertit des modernen Humanitätsprincips. Nach seinen Forschungen war aus einem inconsequenten Verweben arischer und semitischer Ideen das Credo der Menschheit entstanden, auf welchem sich das Mittelalter aufgebaut; dieses Credo erschien ihm als eine widersinnige Vermischung pantheistischer Emanations- und monotheistischer Creationsgedanken; er verlangte von der vordringenden Wissenschaft, daß sie dieses Gewebe zerreiße, trenne, in seine Fäden zerlege.

Der Mensch der Zukunft sollte unabhängig sein von allem dem, was der alte Freiherr Mittelalter nannte; wie die Völker rangen, durch neue politische Formen seinen letzten Rest zu überwinden, solle der Einzelne ringen, die Reste desselben in ihm selber zu überwinden. Er wies den Einzelnen darauf hin, Gott zu suchen in der Welt, in der Erscheinung. Die Gottheit erschien ihm nach der heiligen Dreizahl sich offenbarend: in der Natur, in der Liebe und im Schönen; und des Einzelnen Aufgabe im Leben war ihm danach, je nach eines jeden Anlage und Gabe: die Natur erkennen, die Liebe fördern, das Schöne schaffen; der Starke sollte nach der Wahrheit ringen, der Schwache das Gute thun und die Liebe fördern, der schaffende Geist das Schöne darstellen, den Cultus des Idealen erhalten. Wie aber das Mittelalter seine Aristokratie gebildet habe aus den Kriegern und Kämpfern, sollte die Aristokratie der Zukunft bestehen aus den geistigen Ringern, den moralischen Kämpfern, welche nach jenen drei Richtungen hin der trägern Masse vorgekämpft.

Alle Religionen, hieß es an einer Stelle, behaupten ihre völlige Unabhängigkeit voneinander, ihre ursprüngliche Entstehung durch eine Offenbarung.

Die Wissenschaft weist nach, daß alle Religionen voneinander abstammen.

Daß sie Entwickelungen derselben religiösen Gedanken der Urmenschheit sind.

Wir finden dieser Entwickelungen Keime in den ältesten Urkunden des arischen Geistes, in den Veden und dem Zendavesta.

Das älteste denkende Volk auf Erden erfaßte bereits die drei Urphänomene des Seins: die Bewegung; das Leben; den Gedanken.

Es erkannte, daß diese drei Phänomene von einem einzigen Princip ausgingen.

Dies Princip ist die Wärme.

Die Wärme schafft die Bewegung; sie bewegt den Keim, der wächst; sie bewegt die Luft, indem sie sie durchzieht und den Wind hervorruft; sie bewegt das Flüssige, das sie durchdringt und zu Dünsten bildet, die in Regen verwandelt niederströmen und Quellen, Flüsse, Meere nähren. Alle Bewegung in der Natur ist das Werk der Wärme.

Die Wärme gibt das Leben. Das thierische Leben ist bedingt durch die Wärme, welche ihm unmittelbar zuströmt aus der Luft oder aus den Nahrungsstoffen, welche die Wärme wachsen ließ, welche von der Wärme erfüllt sind.

Bewegung und Leben aber in ihrer höchsten Entwickelung sind der Gedanke.

Woher nun stammt, von woher kommt uns dies Uragens, dies Urprincip, die Wärme?

Ist es ein irdisches, sich auf unserm Planeten, innerhalb unserer Endlichkeit Erzeugendes? Nein!

Es ist etwas, das von jenseit der Erde stammt; etwas von außenher Verliehenes; etwas Transscendentales.

Es kommt von der Sonne.

Diese Thatsache enthält die einzige uns gewordene Offenbarung.

Sie heißt: das Princip deines Seins liegt nicht in dir; es liegt nicht innerhalb deiner eigenen, von dir beherrschten Welt. Du bist der alten Gäa Kind; aber diese Mutter kann dich nicht nähren. Du bedarfst der Erhaltung durch einen Stoff aus einer andern Welt. Du kannst nur leben im Zusammenhang mit dem Weltganzen; du bist bedingt von einer unerkennbaren, jenseit der engen Erde liegenden Kraft.

Diese Kraft wird dir vermittelt durch die Sonne. Die Sonne ist der erhaltende Gott dieser Erde und der Apostel des großen Weltgottes, der das Ganze schuf.

Diese Offenbarung leuchtet mit Feuerschrift über unsern Häuptern am Himmel.

Indem die Völker der Vorwelt emporschauend diese Offenbarung in sich aufnahmen, sind sie in ihren Folgerungen darauf weit auseinandergegangen.

Einige haben das uns erkennbare Urprincip, die Sonne, selbst verehrt und das Feuer angebetet. Die Parsen.

Andere haben das Urprincip, die Urkraft, in ihren verschiedenen Manifestationen verehrt; sie haben sie, wie sie sich in zahllose Unterkräfte zertheilt, betrachtet und aus diesen Unterkräften die Fülle von Gottheiten geschaffen. Die Polytheisten, Pantheisten.

Andere endlich haben sich gehalten an den Gedanken von einer Urkraft; sie haben sich metaphysisch vertieft in diesen Gedanken eines transscendentalen Urunendlichen, Absoluten, und es ist in ihrer Vorstellung der Eine Gott entstanden, der von den Hebräern auf Christen und Mohammedaner überging.

Weit, weit auseinandergegangen sind diese Anschauungen, diese Entsprünge aus einer ursprünglichen Wurzel, im Laufe der Zeiten.

Bei den Ariern, bei ihren Nachkommen, den Griechen, den Römern, den Germanen, bildete sich der Polytheismus, der Pantheismus, aus. Ihr Grunddogma ist die Emanation – die Entwickelung.

Anders bei den Semiten.

Die Semiten (Juden) scheinen ein Urvolk, das arischen Einflüssen vor der babylonischen Gefangenschaft wenig zugänglich war; doch sind diese Einflüsse bis auf die Zeiten Christi zu verfolgen, wenn sie auch wie einem widerstrebenden, anders denkenden und schauenden Volksgenius sich aufdrängen, nur gebrochen und bruchstückhaft und entstellt sich Bahn brechen.

Der Semiten Grundanschauung ist die Auffassung des Urprincips als eines einen, nicht in Unterkräfte zu zerlegenden, nicht theilbaren, persönlichen, individuellen und in sich die Menschennatur spiegelnden Gottes.

Ihr erstes Dogma ist die plötzliche Erschaffung aus dem Nichts, die Creation.

So ziehen sich zwei große religiöse Systeme durch die Geschichte; der religiöse Gedanke fließt in zwei großen Strombetten durch die Zeiten. Des einen Stromes Quelle liegt in den Thälern des Oxus; er quillt aus den Vedas; das andere in Südwestasien; er quillt aus der Genesis.

Um die eine Quelle scharen sich 300 Millionen Christen. Um die andere 200 Millionen Buddhaisten.

Die europäischen Culturvölker aber sind arischen Blutes, und tief in diesem Blute steckt die pantheistische Anschauung und das Widerstreben wider das semitische Dogma der Creation.

Sie haben das Christenthum angenommen, aber eigentlich ist dieses semitische Religionssystem ihnen ein fremdes Element. Sie haben es frühe mit ihren arischen Ideen durcharbeitet; der alexandrinischen Philosophenschule, dem mit indischen und persischen Doctrinen durchtränkten Platonismus verdanken wir die dem semitischen Dogma ganz fremde Zerlegung der Gottheit in drei Personen und die Vorstellung von der Menschwerdung eines Gottes, der Incarnation.

Die Incarnation ist eine ganz arische Idee.

Diese Durcharbeitung des jüdisch-semitischen Dogmas durch das arische hat das, was daraus entstanden, das Christenthum, zu einer universellen, Ariern wie Semiten gleich annehmbaren Religion gemacht. Aber die Vermischung entgegenstehender Anschauungen ist auch der Keim der Auflösung. Der zähe Volksgeist der Arier ist seit der Zeit der Renaissance in der Auflehnung begriffen wider das Semitische im Christenthum; die Wissenschaft ist mit der Zerlegung unserer Dogmen in ihre arischen und semitischen Bestandtheile beschäftigt, und hat sie diese Aufgabe vollendet, so droht dem Bau der Untergang, der auf diesen beiden Pfeilern ruhte.

Ist die Menschheit dann zum Bewußtsein gekommen, daß sie nur jene einzige Offenbarung von ihrem Zusammenhange mit dem Ganzen, von ihrer Unendlichkeit und ihrem Bedingtsein durch ein Höheres, Jenseitiges hat, so wird unsere Haderwissenschaft, die Theologie endlich praktisch werden.

Sie wird sich darauf beschränken, die uns erkennbare Welt, das Diesseits, als ihre Erkenntnißquelle zu betrachten und darin Gott zu suchen.

Die Theologie wird der Erscheinung Gottes nachgehen in den drei Gebieten, in denen sie uns entgegentritt, in der Natur, die uns beherrscht, von der wir abhängig sind und die beim menschlichen Wesen die Nothwendigkeit des Staats erzeugt. In der Liebe, die uns das Sittengesetz gibt. Im Schönen, das unser Handeln und Schaffen regeln soll.

Die Theologie wird die Lehre werden, wie alle menschlichen Institute und alles menschliche Leben mit dem aus der Natur entspringenden Gesetze des Friedens, dem Gesetze der Liebe und dem Gesetze des Schönen zu regeln, zu durchziehen und zu beleben sind.

Ihr oberster Grundsatz wird sein: es blicke der Mensch zur Sonne auf, und was sie der Welt, das werde er seinem Kreise. Es sei ein Stück Sonne in jedem. Der Schwächste, Untergeordnetste kann durch Liebe Wärme spenden und der Starke Licht. Wie jenseits, über der Sonne, die unzähligen Sterne stehen, so können hier unter der Sonne die unzähligen Menschensterne leuchten. – –

 

Je ausführlicher der Freiherr von Nesselbrook diesen geistigen Schatz seines Erkennens, wie er ihn nannte, behandelt, desto kürzer war der Anhang, worin er sein früheres Testament widerrief, die Gesinnung, worin er es gemacht, einen Ausfluß des alten, aus dem arischen Blute in das Germanenthum übergegangenen Kastengeistes nannte, über dessen Verderblichkeit er zur Klarheit gekommen, und dann anordnete, daß sein Erbe nach dem Rechte der Natur auf seine einzige Tochter oder nach deren Tode auf seinen Enkel übergehen solle. Nur solle, wenn der Tod seiner Tochter vor dem seinigen eintrete, dem Enkel das Erbe nicht vor der Großjährigkeit desselben zufallen, da es jedes Mannes Vortheil sei, wenn er in seiner Jugend den Ernst eines auf Arbeit angewiesenen Lebens kennen lerne. Auch solle von denen, welche sich ruchlos an seiner Tochter versündigt und bis zu diesem Zeitpunkte die Besitzer seines Erbes infolge des frühern, jetzt aufgehobenen Testamentes geworden, nicht die Herausgabe der so lange genossenen Früchte seines Nachlasses verlangt, auch nur die allmähliche Uebergabe des ganzes Besitzes erzwungen werden, und dieses ganze Testament endlich erst an dem Tage seine volle Gültigkeit erhalten, an welchem es in der gelesensten Zeitung seines Heimatlandes veröffentlicht worden, denn der Welt solle nicht vorenthalten bleiben, daß er das falsche Streben seiner Vergangenheit bereue und daß er sich als Buße dafür, als Versöhnung des Geistes, den er als Vorkämpfer des Feudalismus beleidigt, das öffentliche Bekenntniß seiner Irrthümer auferlegt habe. Was er gesündigt, wolle er wieder gut machen, indem er vor der Welt seinen Bruch mit dem »Mittelalter« bekenne und die Seelen rufe aus der Gebundenheit, verdunkelte Augen mahne, sich dem lichte zu öffnen. –

 

Dankmar und der geistliche Rath wurden in Stunden nicht fertig mit der Erörterung und Besprechung dieses gedanken- und inhaltreichen Actenstücks. Aber in dem stimmten beide überein, daß es sicherlich formgültig sei und daß es Gundobald anheimgestellt werden müsse, die Veröffentlichung zu verlangen.

Ich kann mich dem nicht entziehen! sagte der geistliche Rath mit großer Beklommenheit.

Sie brauchen das um so weniger, bemerkte Dankmar, als ein zu großes Selbstgefühl in dem alten Freiherrn, der diese Zeilen schrieb, ihn die Wirkung derselben höher anschlagen ließ, als sie sein wird. Man wird ein paar Wochen lang darüber reden, es wird » Judaeis quidem scandalum, Graecis autem stultitia« sein – und dann wird man es vergessen. Ein Glaubensbekenntniß, eine Weltanschauung läßt sich nicht testamentarisch vermachen. Jeder besitzt nur das als Wahrheit für sich, was er sich selber sucht, erwirbt und erkämpft.

Danach müßte jeder sein eigenes dogmatisches oder philosophisches System besitzen, warf Zander ein. Wohin würde das führen?

Vielleicht zum Frieden aller, antwortete Dankmar lächelnd. Werden wir nicht auch in der Politik erst dann Frieden haben, wenn jedermann sich für sein eigenes Geld seinen eigenen König hält und nicht mehr daran denkt, seinen König dem Nachbar aufzudrängen? – Aber jetzt, schloß Dankmar die Unterredung, will ich Sie verlassen, damit Sie an Gundobald schreiben und einen Boten an ihn abfertigen können. –

 

Nach dem Nachtessen machte sich Dankmar auf, um in der Dunkelheit der angebrochenen Nacht nach der Kapelleninsel zu rudern. Er hatte in der vorigen Nacht Jauffroi noch nicht aus seiner Haft befreien können, weil er den Fluchtplan, den er für ihn entworfen, nicht sofort ausführen können. Erst in dieser Nacht war es möglich. Er fand Jauffroi, wie er ihn bei seinem letzten Besuche getroffen – gebrochen, muthlos, gleichgültig gegen alles, spöttisch in seinen lakonischen Aeußerungen.

Jauffroi hüllte sich in den Mantel, den ihm Dankmar in der vorigen Nacht gebracht; er nahm das Geld, welches Dankmar, dessen Mittel durch seine Reise erschöpft waren, vom geistlichen Rathe entliehen hatte und ihm übergab, und dann stieg er in den Kahn.

Also ich soll die Ahasverusflucht durch die Welt beginnen, sagte er, während Dankmar die Ruder in Bewegung setzte – Ahasver hatte den Herrn von sich gestoßen, mich hat umgekehrt die Herrin von sich gestoßen – ein Ahasver, der den Tod sucht – gut, daß der Tod ein Mann und kein launenhaftes Weib ist, das den flieht, der um sie wirbt, und wirbt um den, der sie flieht!

Ich habe, hob er nach einer Pause wieder an, auf meiner Insel Muße gehabt, nach dem unausfindlichen »Ding an sich« der Philosophen zu forschen und es gefunden.

Und was ist es nach Ihrer Anschauung? fragte Dankmar, den Kahn stromaufwärts treibend.

Das Ding an sich ist ein spiritus familiaris.

Das bedarf der Erklärung.

Das Ding an sich ist das Ich. Das Ich aber ist nichts als ein in ewiger Rastlosigkeit sich bewegendes Etwas in uns, das weder in unsern Beinen noch in unserer Brust steckt, sondern ganz vorn oben im Gehirnkasten. In dieser engen Schachtel, da steckt's in ewiger fieberiger Bewegung. Just wie ein Unglücklicher den spiritus familiaris, ein ewig hin- und herzuckendes schlimmes Etwas, halb Spinne, halb Skorpion, in einer Schachtel bei sich tragen muß und damit in die Hölle steuert. Nur der wird gerettet, der den unglücklichen Wurm wegzuschenken Gelegenheit bekommt. Daß solch ein Weib das nicht einsieht und bereitwillig ihr miserables Ich verschenkt, wenn man sie darum bittet!

Dankmar kam der Gedanke, daß dieser Mann mit dem unablässigen Refrain am Ende all seiner Reden und Gedanken unausbleiblich noch einmal wahnsinnig werden müsse.

Nachdem er lange gerudert und aus dem Walde herausgekommen, trieb er den Kahn an einer Stelle ans Ufer, wo ein Fußsteig durch Ackerfelder führte.

Eine Viertelstunde weit gingen beide Männer auf diesem Wege dann durch die dämmerige Sommernacht.

Das Licht dort ist unser Ziel, sagte endlich Dankmar, auf einen eben sichtbaren Lichtschimmer deutend – ich werde Sie bis in die Hütte bringen, aus dem es fällt.

Man erkannte bald darauf schon die Umrisse der Hütte. Sie stand unter einer Gruppe von Birken und Fichten.

Nach einer Weile wurde das Gebell eines Hundes laut; aus dem Schatten der Baumgruppe löste sich eine heranschreitende Gestalt – ein Mann in Hemdärmeln, den ihm vorauslaufenden Hund beschwichtigend, trat ihnen entgegen.

Ich bring' Euch den Mann, Gottfried, sagte Dankmar; habt Ihr alles Nöthige beschafft?

Ja, Herr, alles und just, wie wir's bedürfen.

Auch die Karte?

Die Paßkarte auch.

Zeigt mir sie!

Kommen die Herren nur mit herein!

Der Mann führte beide in seine Hütte; sie traten in einen Raum, der an seinem obern Theile zur Stallung für eine Kuh, im untern als Küche diente. Am glimmenden Herdfeuer saß eine mit Stricken beschäftigte Frau; aus einer Hinterstube, deren Thür offen stand, hörte man das Athmen schlafender Kinder. Die Frau schob Stühle an das Herdfeuer und bat die Herren, sich zu setzen, während der Mann von einem Sims ein altes Buch herablangte. Er nahm daraus eine ziemlich abgegriffene und schmuzige Paßkarte hervor.

Dankmar prüfte sie beim Lichte der auf einem Tische zur Seite stehenden Oellampe. Sie lautete auf einen Hollandsgänger Klaus Wehrmann; das Signalement paßte so ziemlich auf Jauffroi, nur war sie für das verflossene Jahr ausgestellt.

Es ist gut, sagte Dankmar; daß sie abgelaufen, wird nicht viel zu bedeuten haben, man nimmt's nicht so genau mehr an den Grenzen und verlangt wol gar nicht, sie zu sehen. Baron Jauffroi, nehmen Sie sie zu sich; Sie können diesem Manne vertrauen. Er wird Ihnen Kleider geben, wie er selber sie trägt. Darin werden Sie vor Tagesanbruch mit ihm im nächsten Dorfe eintreffen, wo noch drei Theilnehmer Ihrer Wanderung sich Ihnen anschließen werden. Diese Leute begeben sich in Märschen, die sie größtentheils der Hitze wegen bei Nacht zurücklegen, nach Holland, um dort Erntearbeiten zu übernehmen. Sie werden in dieser Gesellschaft vor jedem Verdachte ziemlich gesichert sein. In Holland wird es Ihnen nicht schwer sein, das Meer zu erreichen und auf irgendein Schiff zu gelangen, das Sie in die rettende und sichernde Weite hinausträgt. Dieser Mann wird Ihnen behülflich in allem sein bis zu dem Augenblicke, wo Sie selbst das Steuer Ihrer weitern Lebensfahrt ergreifen. Es wird, denke ich, nach dem fernen Westen gestellt werden!

Jauffroi schüttelte den Kopf.

Nein, sagte er schmerzlich lächelnd, ich denke auf meinen alten Plan zurückzukommen; ich will versuchen, den spiritus familiaris ins gedankenlose Dunkel dumpfer Selbstentäußerung zu begraben, und diese Kunst lehrt doch nur der Osten. Wer weiß, wie bald es auch Sie denselben Weg treibt! Ich will Ihnen eine Stelle bereiten auf dem heiligen Berge, Herr von Gohr … Sie eilen, fortzukommen, sehe ich, beängstigt, daß, wenn Sie mir längere Zeit zum Reden lassen, meine letzten Worte einen Dank für Sie enthalten könnten. Seien Sie ruhig, ich spreche Ihnen keinen Dank aus und empfinde auch keinen. Unser Handeln war auf beiden Seiten die Folge unsers Wesens, unserer Natur; durch Ihr Handeln ist nur die Feindschaft untergegangen, die zwischen uns herrschte. Das ist alles. Wenn Sie mir einst nachkommen in meine Zelle im Kloster Laura, werde ich zu Ihnen sprechen: Burum, das heißt: Willkommen!

Wohl, es sei so, Baron Montenglaut, versetzte Dankmar. Unterdeß lassen Sie mich noch in der Sprache des Abendlandes zu Ihnen sagen: Gott möge Sie führen! Leben Sie wohl!

Dankmar wandte sich, nahm Abschied von dem Hollandsgänger und schritt in die Sommernacht hinaus, seinem Hause zu.

 

Am andern Tage um die Mittagsstunde wurde die Stille, welche auf dem Hofe von Haus Gohr lag, unerwarteterweise durch das Gerassel eines Wagens gestört. Es war Christian, der mit seinen Füchsen vorfuhr. Aus dem Wagen stiegen die Gräfin Wallburg Edern und der Graf Achatius. Der Anblick der beiden schwarzen Gestalten erschütterte Dankmar, welcher ihnen entgegeneilte, aufs tiefste. Die Züge der Gräfin waren starr und wie versteinert, die des Grafen sprachen einen Gram aus, der in jeder Fiber seines guten, wohlwollenden Gesichts zuckte.

Wir haben in dieser Nacht die Leiche unsers Sohnes in unserm Erbbegräbniß in aller Stille zur Ruhe bestattet, sagte die Gräfin, sich auf Dankmar's Arm stützend, um sich von ihm ins Haus geleiten zu lassen. Ueber seiner Gruft haben wir den Entschluß gefaßt, zu Ihnen zu gehen, Dankmar – wir beiden alten Leute fühlen uns wie verwaist, und wir möchten mit Ihnen reden, wie's uns ums Herz ist!

Es ist jetzt alles zu Ende! setzte Achatius hinzu, als er, im Wohnzimmer des Hauses angekommen, in einen Lehnsessel gesunken war, wo er in gebückter Haltung, die gefalteten Hände zwischen seinen Knien, starr zu Boden blickte, wobei seine grauen Brauen wehmüthig auf- und abzuckten. Boto ist todt, Dankmar, und für uns ist alles zu Ende! Er war unser einziger Sohn, der letzte Edern, Dankmar! Der Tod ist grausam. Er ist ein Unrecht, das an uns Menschenkindern begangen wird – ein großes, zum Himmel schreiendes Unrecht! Glauben Sie nicht auch, Dankmar? Wir haben doch ein Recht auf unser Leben! Wir haben nichts gethan, den Tod zu verdienen! Das Leben ist schön. Es ist wie eine schöne Dichtung. Aber die Dichtung nimmt kein befriedigendes Ende. Das Stück hat einen schlechten Schluß. Es ist ein schlechter Dichter, der keinen bessern Schluß zu finden weiß, als seine Helden umzubringen. Ich bin mit dem Roman des Menschenlebens nicht zufrieden, Dankmar!

Der Roman des Menschenlebens wäre gut, versetzte Dankmar, wenn wir ihn nicht zu ideal nähmen. In den rauhen und harten Situationen, die der große Dichter geschaffen hat, stehen wir oft als zu vergeistigte und verfeinerte Naturen, und leiden dann doppelt. Man kann sagen, die Vergeistigung und vertieftes Seelenleben heben über den Schmerz empor. Freilich, im Gedanken und im Gefühle sind uns wol zwei Schwingen gegeben. Aber bei wenigen sind es die Schwingen des Adlers, die in reine, ungetrübte Höhen emportragen, wo wir unverwundbar sind. Bei den meisten Menschen sind es die unzulänglichen Schwingen des Straußes, die nur bewirken, daß er in der Noth doppelt ängstlich flattert und sich abquält.

Ja, ja, fiel Achatius ein. In die Schlachtlinie des Lebens müssen wir aber alle einrücken, die mit Adler- und die mit Straußenschwingen und die gar keine haben; die harten wie die weichen und feinen Naturen – es ist eine allgemeine Wehrpflicht, Dankmar, für die Starken wie für die Kränklichen und die Krüppel – allgemeine Wehrpflicht!

Lassen Sie uns zur Sache kommen, hob die Gräfin wieder an, zu dem, um dessentwillen wir kamen. Ist es wahr, Dankmar, daß Ihre Schwester die Braut Gundobald's ist?

Es ist so, Frau Gräfin.

Aber Gundobald ist arm – er hofft auf den Ausgang jenes Processes …

Bisjetzt, versetzte Dankmar, hat er wol zumeist gehofft auf die Stellung, welche er im Staatsdienste erringen wird …

Nach zehn Jahren – eine ärmliche Besoldung, von der kein Edelmann einen Hausstand ernähren kann! Nein, Gundobald ist damit nicht versorgt. Und da wir jetzt Frieden suchen, Dankmar, sagen Sie uns, würden Sie etwas thun wollen, um uns dabei entgegenzukommen, um sozusagen die Brücke zur Versöhnung zu sein, der Mittler, der die feindlich widereinander erhobenen Hände zusammenfügt?

Wie mögen Sie so fragen, Frau Gräfin? Ich gäbe alles, um das zu können!

Wohl denn, so hören Sie mich an. Gundobald wird und kann seinen Proceß nicht gewinnen, niemals. Das Testament wird nie zum Vorschein kommen, die Summe, welche ihm nur infolge jenes Testamentes überbracht worden ist, wird ebenso wenig je sein werden können, solange das Original jener Urkunde nicht da ist. Auf der andern Seite können wir ihm keinen Vergleich bieten. Durch die geringste Abfindung, welche wir ihm böten, geständen wir ihm Anrechte zu, geständen wir den Glauben an jenes Testament zu, und dann würde die Ehre von uns verlangen, ihm alles einzuräumen. Sobald wir nur durch die Abtretung des kleinsten unserer Güter gestehen, daß wir an ein Recht Gundobald's glaubten, müßten wir auch voll und ganz und rückhaltlos dieses Recht anerkennen und ihm alles überlassen, was wir besitzen. Wer den Namen Edern trägt, könnte nicht anders handeln. Das sehen Sie ein, Dankmar …

Nicht ganz, antwortete Dankmar zögernd, der es nicht über das Herz bringen konnte, die trauernde Frau durch die Nachricht niederzuschmettern, in welchem Irrthume sie in Bezug auf das Original jener Urkunde befangen war. Man kann von seinem Rechte überzeugt sein und doch durch ein Nachlassen von seinem Rechte den Gegner sich zu versöhnen suchen.

Die Gräfin schüttelte den Kopf.

Wir können es nicht; wir können es jetzt nicht mehr, dann würde es heißen, wir hätten das Recht Gundobald's wohl erkannt, aber Boto habe es hintertrieben, Boto habe jeden Vergleich gehindert – erst jetzt, wo er todt, ließen wir Gundobald zu seinem Rechte kommen. So würde es heißen, Dankmar, und können wir die Unehre auf unser Kind im Grabe bringen? Nimmermehr!

So sehe ich nicht ab, wie Sie zum Frieden gelangen wollen, Gräfin Edern, versetzte Dankmar, erstaunt über die Frau, die, so tief gebeugt, den Drang nach Versöhnung in sich tragend, doch immer den leeren Popanz der Standesehre, die Unbeflecktheit des Namens Edern in den Augen einer auf den bloßen Schein hin urtheilenden Welt als die letzte Richtschnur ihres Handelns betrachtete.

Durch Sie, Dankmar, nur durch Sie ist es möglich, fiel die Gräfin ein.

Und wie durch mich? Ich kann dabei nicht Ihr Vermittler sein, denn ich bin Gundobald's Bundesgenosse. Ich glaube an Gundobald's Recht …

Ebendeshalb kann durch Sie alles sich schlichten, unterbrach ihn die Gräfin. Sehen Sie, Dankmar, wir sind jetzt ohne Sohn und Erben. Für alles das, was wir besitzen, was wir erhalten, erstritten, erneuert, ersorgt und erarbeitet haben, fehlt uns der Mann, der Verwalter, der Vertheidiger, der Erbe. Wir müssen ihn wieder suchen, denn Edern kann nicht sein ohne ihn. Und ihn zu suchen, sind wir gekommen – zu Ihnen, Dankmar!

Zu mir?

Ja, zu Ihnen – mit Vertrauen zu Ihnen, um Ihnen das Beste zu bieten, was wir außer diesem Vertrauen Ihnen bieten können. Werden Sie – Sie begreifen, daß eine Frau an einem Tage, wie der heutige für mich ist, offen und ohne Umschweife spricht, was das Herz ihr eingibt – werden Sie der Gatte Edwinens, nehmen Sie mit ihr statt des Namens Gohr den eines Grafen von Edern an – seien Sie ganz unser Sohn und nehmen Sie nach unserm Tode alles, was Boto's gewesen wäre!

Dankmar blickte sie verwundert, aufs äußerste überrascht, mit seinen leuchtenden Augen an, ohne eine Silbe zu erwidern.

Sie begreifen, daß dann alles sich aufs beste schlichtet. Sie können nach unserm Tode schalten und walten als freier Herr. Sie können für Ihre Schwester sorgen, indem Sie Gundobald abtreten, was Sie wollen. Sie können, wenn Sie so fest von Gundobald's Recht überzeugt sind, ihm die Hälfte all unsere Besitzthums abtreten. Sie sorgen dadurch vor der Welt immer nur für Ihre Schwester. Wir würden, wenn wir so thäten, handeln wider unsere Ehre und zur Verdächtigung Boto's, zur Schmach seines Andenkens! Sie würden nur brüderlich handeln!

Und welche Antwort geben Sie mir? fuhr sie nach einer Pause, da Dankmar immer noch schwieg, fort.

Welche Antwort! O mein Gott, muß ich denn eine Antwort geben? Sie wird mir schwer werden, sehr schwer, Frau Gräfin!

Und weshalb so schwer?

Lassen Sie mir Zeit, mich zu fassen, lassen Sie mir Zeit, mit mir zu Rathe zu gehen!

Wir wollen ihm Zeit lassen, Wallburg, sagte Graf Achatius jetzt, wir wollen heimkehren und ihm Zeit lassen. Kommen Sie den Abend zu uns, Dankmar. Es ist dies eine Sache, zu der man seine Gedanken braucht, um alles zu überlegen, und ich, was mich angeht, habe die meinen nicht so zusammen, wie ich möchte. Ich fürchte, ich finde viele von ihnen nie wieder – ich fürchte, ein gut Theil von ihnen ist unter dem Deckstein geblieben – in der Gruft – die sie heute zugemacht haben – mit festem Mörtel – es war das unnütz, Wallburg, du hättest es ihnen sagen sollen – es war nicht nöthig, die Gruft der Edern wie für lange Zeit so fest …

Gräfin Wallburg hatte sich erhoben und unterbrach jetzt die in ein halblautes Murmeln übergehende Zwischenrede ihres Gemahls.

Gewiß wollen wir Ihnen Zeit lassen zur Erwägung, Dankmar. Ich denke, unser Vorschlag ist so, daß er durch Ueberlegung nicht verliert. Geleiten Sie mich zum Wagen zurück. Hermine wird mir nicht zürnen, saß ich sie nicht begrüße. Ich will ihr den traurigen Anblick einer gebrochenen Frau ersparen. Sagen Sie ihr Herzliches von mir. Ich wollte nur das wenige Nöthige mit Ihnen reden; ich möchte nicht gezwungen sein, mehr zu reden an diesem Tage. Leben Sie wohl, Dankmar! Kommen Sie bald zu uns, bald, hören Sie! Es liegt in Ihrer Hand, unser Trost zu werden in den Tagen, die uns noch beschert sein mögen. Adieu!

Während sie so sprach, war die Gräfin an Dankmar's Arm und Achatius hinter sich zu ihrem Wagen zurückgegangen. Dankmar hob sie hinein, Achatius schüttelte ihm schweigend die Hand und stieg dann ebenfalls ein; der Wagen rollte davon.

Dankmar sah ihnen mit traurigem Blicke nach. Sie hatten ihm die schwere Last aufgewälzt, ihnen eine demüthigende Erklärung und eine niederschmetternde Mittheilung machen zu müssen. Er hatte es nicht über sich vermocht bisjetzt; er hatte diesem unglücklichen, gebrochenen Achatius, dieser gebeugten Mutter zu sagen: ich will die Hand deiner Tochter nicht, aber ich fordere für Gundobald alle deine Habe und deinen Besitz, an dessen Behauptung du deine Ehre knüpfest – ihnen das zu sagen, hatte er nicht den Muth gehabt.

Und doch mußte er es. Er mußte ihnen das eine wie das andere sagen. Er konnte nicht einfach die Hand Edwinens ablehnen. Er konnte nicht so die Aeltern kränken und die Gefühle des jungen Mädchens verletzen. Er mußte einen haltbaren Grund für seine ablehnende Antwort angeben, und der Grund war nur gegeben, wenn er Ederns erklärte, daß ihr ganzer Plan auf einer falschen Voraussetzung beruhe und deshalb unausführbar sei.

Und so entschloß er sich denn, ihnen offen und unumwunden zu schreiben; er ließ den Tag verfließen und dann warf er die folgenden Zeilen hin:

 

»Verehrte Gräfin!

Ich bin aufs tiefste betrübt darüber, daß ich Ihnen statt des Dankes, den ich Ihnen schulde, Schmerz bringen und Ihr Anerbieten, in welchem eine so große und rührende Güte für mich lag, mit einem Worte zurückweisen muß, das ich in Ihrer Gegenwart nicht den Muth hatte, über die Lippen zu bringen. Und dieses Wort lautet: Jenes Testament, dessen Entdeckung Sie für unmöglich hielten, ist in meinen Händen, es liegt vor mir.

Ich muß Gundobald Burghaus überlassen, Ihnen weitere Eröffnungen zu machen, vielleicht einen Vergleich zu suchen, der einen Rechtsstreit unnöthig machte und es ermöglichte, daß Ihre persönlichen Verhältnisse möglichst wenig durch diese Wendung der Dinge berührt würden. Ich kann nur noch hinzusetzen, daß ich Ihnen für immer und ewig dankbar bleiben werde. Von ganzem Herzen

Ihr Dankmar von Gohr.«

Dankmar sandte diese Zeilen erst am andern Morgen ab.

 

Als die Gräfin Edern den Brief erhalten und gelesen hatte, begann die Hand, die ihn hielt, zu zittern. So reichte sie ihn Achatius, der gespannt in ihre Züge blickte.

Er enthält nichts Gutes, Wallburg, sagte er.

Lies selbst, versetzte sie. Es scheint, die Nesselbrook'schen Güter haben uns keinen Segen gebracht.

Achatius schüttelte wehmüthig sein Haupt. Dann las er und sagte, den Brief hinlegend, ruhig:

Ich hätte es nicht geglaubt. Hättest du es geglaubt?

Daß wir diese Antwort bekommen? Nein! Es war just das, was uns noch fehlte zu unserm Kummer!

Und nun wird es einen langen Proceß geben über die Echtheit und Gültigkeit. Wird es, Wallburg?

Wenn wir sie anfechten, so wird es einen langen Proceß geben, antwortete die Gräfin, vor sich hinschauend und tonlos.

Dessen Ende wir gar nicht erleben, fuhr Achatius fort.

Er ließe sich gewiß so weit hinausspinnen.

Aber ich denke, sagte Achatius, es wäre um des Gedächtnisses deines Oheims willen besser, wenn das Testament nicht veröffentlicht würde, Wallburg.

Gundobald muß die Bedingung erfüllen, versetzte die Gräfin in demselben matten Tone, sonst kann er gar nicht auftreten.

Es ist eine schwere Sache! seufzte Achatius.

Das ist es – eine schwere Sache!

Man wird viel darüber reden, und es werden viele sein, welche deinen Oheim in seinem Grabe schmähen!

Viele – sehr viele – alle!

Aber Gundobald muß es veröffentlichen!

Ohne das ist es ein werthloses Papier für ihn!

Ich denke … sagte Achatius nach einer Pause und schwieg dann wieder.

Was denkst du?

Du mußt nicht auffahren wider mich, Wallburg!

Gewiß nicht, Achatz! Sprich!

Wenn – wenn wir … Er schien nicht den Muth zu haben, weiter fortzufahren.

Du wolltest sagen, was du denkst? fragte die Gräfin nach einer stummen Pause.

Was ich denke? Ich weiß es selbst nicht! Mein Denken ist so schwach heute – ich denke, daß Boto todt ist. Und daß uns die Nesselbrook'sche Erbschaft keinen Segen gebracht hat. Und daß Gundobald ein guter und rechtschaffener Mann ist.

Die Gräfin erhob sich. Sie schritt aufgerichtet auf Achatius zu, sie legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte:

Und du denkst noch eins, Achatz das deine Lippe sich scheut auszusprechen. Und doch kommt dir zu, es zuerst auszusprechen – das Verdienst, welches du bei Gott dadurch erhältst, will ich dir nicht rauben; darum sprich es aus, du letzter Graf von Edern – deine Väter werden dich um dieses Wortes willen aufnehmen in ihren Kreis, wenn du zu ihnen versammelt wirst – sprich es aus!

Es braucht nicht mehr gesprochen zu werden, Wallburg, versetzte Achatius, denn es ist laut geworden in unser beider Seelen.

Nun wohl, fuhr die Gräfin fort, so nimm Papier und schreibe es nieder.

Achatius zog das Schreibgeräthe auf seinem Fenstertische vor sich. Er nahm die Feder und sagte:

Es wäre am besten, du wolltest es mir dictiren.

Ich will dir's dictiren. Schreibe:

 

»Lieber Dankmar!

Die Mittheilung, welche Ihr Brief enthält, bestimmt unser Handeln, sowie das Ihre davon bestimmt wurde. Das Document, von dem Sie reden, ist uns noch nicht vorgelegt. Aber Ihr Zeugniß, daß es vor Ihnen liegt, genügt uns. Und ein Edern weiß, was er seinem Namen schuldet. Wir wollen nicht, daß das Testament veröffentlicht werde. Um Gundobald dieser Nothwendigkeit zu überheben, erkennen wir dasselbe an, verzichten auf allen Widerspruch dagegen und stellen Gundobald frei, sich den Augenblick zu wählen, wo er den Nesselbrook'schen Nachlaß und damit unser gesammtes Vermögen in Besitz nehmen will.

Ihr Achatius Graf von Edern.«

 

Achatius schrieb diese Worte, wie seine Gattin sie ihm vorsagte, langsam mit seiner kleinen Hand, in kritzlichen, eckigen Zügen. Dann erhob er sich und war fast betroffen, als er sich von den Armen der Gräfin umfaßt fühlte, die ihre Stirn auf seine Schulter legte. Es machte ihn froh, daß sie es that, und dieses Gefühl der Freude über den Ausbruch weicherer Empfindung, die sich unmittelbar an sein gutes, altes Herz legte, war so stark, daß darüber der Gedanke an das, was er gethan, völlig zurücktrat.

Die Gräfin war gerührt, so gerührt, daß sie den Drang gefühlt, das Beste und Reichste, was ihr geblieben, eben dieses gute, alte Herz, an sich zu ziehen. Aber über dieser Rührung schwebte das Selbstbewußtsein, womit sie in diesem Augenblicke sich stolzer fühlte, wie sie je in ihrem Leben es gethan.


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