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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Trennung

Die große Gereiztheit, welche Hermine in ihrer ersten Zusammenkunft mit Dankmar gegen Eugenie an den Tag gelegt hatte, schien völlig gewichen, nachdem sie ihre Freundin so leidend und wie völlig gebrochen unter dem Eindrucke des Vorgefallenen gesehen. Eugenie war wirklich in den ersten Tagen ihres Aufenthalts in Gohr erkrankt; sie litt an einem Fieber, zu dem sich Stunden furchtbarer Aufregung gesellten, denen andere tiefster Ermattung und Niedergeschlagenheit folgten. Das Fieber wich den Mitteln des Arztes; die Ermattung und Niedergeschlagenheit blieben.

Eugenie hatte eine Botschaft an ihren Vater gesendet und hielt sich dann während der nächsten Tage in ihrem Zimmer eingeschlossen, nur von Hermine gesehen und von ihr gepflegt. Diese berichtete Dankmar von ihr und theilte ihm ihre Aeußerungen mit – eine Andeutung, daß sie Dankmar zu sehen wünsche, war nicht darunter, und Dankmar – hatte er nicht den Muth, um eine Zwiesprache zu bitten, oder die Vorstellung, daß seine Erscheinung ihr eine Pein sein werde, oder wollte er sie meiden um seines eigenen schwachen Herzens willen?

Auch Gundobald war jetzt nach Gohr gekommen. Er hatte das Testament, welches Dankmar ihm übergeben, gelesen, und in die Freude, womit ihn das endliche Auffinden dieser Urkunde erfüllte, mischte sich eine aufrichtige Dankbarkeit für Achatius und Wallburg von Edern, deren Entgegenkommen die Veröffentlichung des Testaments unnöthig machte. Gundobald würde sich schwer zu diesem Schritte entschlossen haben, gegen den seine innerste Natur sich sträubte – alles, was aristokratisch in ihr war.

Nach einigen ausführlichen Erörterungen der Angelegenheit beschlossen die drei Männer, Dankmar, Gundobald und der geistliche Rath, sich nach Edern zu begeben und die Verhältnisse so zu ordnen, daß Gundobald den Besitz und die Verwaltung der Nesselbrook'schen und der durch das Nesselbrook'sche Vermögen von ihren Schulden befreiten Edern'schen Stammgüter antrete und übernehme, daß dagegen der Graf und die Gräfin für ihre Lebenszeit in Haus Edern blieben und dessen Einkünfte bezögen und nach ihrem Tode Edwine und Bertha eine Summe erhielten, welche sie voll entschädige für etwaige Ansprüche auf die väterlichen Güter und sie aller Sorge für die Zukunft überhöbe.

Die Verhandlung auf Haus Edern nahm den friedlichsten Verlauf; es zeigte sich dabei, daß, nachdem noch das Gut Klarholm für Ludwig Randheim ausgeschieden war, Gundobald in einen Besitz eintrat, der ihn zu einem der reichsten großen Grundbesitzer der Provinz machte.

Du wirst hoffentlich nicht so grausam sein, sagte er auf dem Heimwege zu Dankmar, mir noch durch eine besondere Tücke deinerseits meine schweren Regentenpflichten vermehren zu wollen!

Wie sollte ich das? fragte Dankmar.

Indem du mir zumuthest, mit Herminens Hand noch die Hälfte von Haus Gohr anzunehmen, versetzte Gundobald.

Gohr ist kein Fideicommiß, es gehört Hermine so gut wie mir, antwortete Dankmar.

Das ist doch eine Art, die Dinge genau und knickerig zu nehmen, wegen der ein Edelmann sich schämen sollte! rief Gundobald ärgerlich aus. Ich sage dir, Dankmar, wenn du bei einer so schmuzigen Denkungsart beharrst, so lauf' ich dir davon, entführe Hermine und lasse dir eine große Vollmacht zurück, für das ganze Elend, genannt Nesselbrook-Edern'sche Lehn-, Stamm-, Fideicommiß- und Allodialgüter, und alles, was an Wäldern, Pachthöfen, Meiereien, Zuschlägen und Triften, Bergkuxen und Mühlen dazu gehört, selber zu sorgen – graust dir nicht vor dieser Aussicht?

Allerdings, entgegnete Dankmar lächelnd, und wenn mich ein solcher Jammer bedroht, muß ich wol nachgeben …

Also abgemacht! rief Gundobald, Dankmar die Rechte hinstreckend, aus. Zander, schlagen Sie durch zur Bekräftigung! Ich muß heute Abend in Gohr mein Haupt zur Ruhe legen können mit dem Bewußtsein, daß um mich herum doch noch nicht alles mein ist, daß noch viele Dinge da sind, für die ein anderer verantwortlich ist und zu sorgen hat! Du meinst am Ende, ich sei voll innerlichen Jubels und Glücks, nachdem mir heute mit all diesen Besitzthümern eine halbe Welt auf die Schultern gelegt ist, für die ich sorgen und aufkommen soll? Ich versichere dir, es ist mir ganz schauerlich dabei zu Muthe; alle meine Lehn- und Allodialgüter wirbeln mir im Kopfe umher, sie kommen mir wie düster daliegende Sphinxe vor, die mich mit schrecklichen Fragen ängstigen. Gundobald Burghaus, sagt das eine mit hohler, feierlicher Stimme, weißt du auch, wie mein schwerer Thonboden behandelt werden muß? Gundobald Burghaus, fährt das andere mich drohend an, was wirst du aus meinen alten Holzbeständen machen und wie wirst du dich bei der bevorstehenden Verkoppelung betragen? Gundobald, murmelt düster das dritte, was wirst du mit meinen verschlammten Wiesen beginnen? Antworte richtig und handle weise, oder wir bösen Sphinxe stürzen uns in den Abgrund des Untergangs und reißen dich mit hinein, Unseliger!

Dankmar lächelte und Rath Zander citirte Goethe's Wort:

Der, wer besitzt, der muß gerüstet sein,
Und wer sich rüsten will, muß eine Kraft
Im Busen fühlen, die ihm nie versagt!

Und das eben ist das Glück des Besitzes, bemerkte Dankmar, daß er unsere Kraft in Anspruch nimmt und uns das Bewußtsein der Kraftübung gibt. –

 

Während die Verhandlung auf Schloß Ebern gepflogen worden, war auf dem Hofe von Gohr eine Extrapostchaise vorgefahren, auf deren Bocke ein ältlicher Mann in schwarzer Tracht und mit weißer Halsbinde saß, der, als der Wagen hielt, dienstbeflissen herabsprang und einem Herrn in mittlern Jahren, mit eben ergrauendem Haar und einem gefärbten Schnurr- und Knebelbarte, aus dem Wagen half. Der Herr war groß gewachsen, selbstbewußter Haltung und hatte in dem Blicke seiner scharfen braunen Augen, die lebhaft und beinahe unruhig die Gegenstände überglitten, etwas Gebieterisches, aber auch etwas Wohlwollendes und Vertrauenerweckendes; seine scharfgeschnittenen Züge, der Mund mit den schmalen Lippen und das auffallend energische, breite, vortretende Kinn machten den Eindruck von Thatkraft und Intelligenz.

Geh voraus und melde mich, Baptist! sagte er in französischer Sprache. Laß den Postillon seine Pferde ausspannen, aber bei der Hand bleiben!

Der Diener verdolmetschte den Befehl dem Postillon und trat dann ins Haus. Wenige Augenblicke darauf kam er zurück und sagte:

Sie sind dem Fräulein gemeldet – Herr von Gohr ist nicht daheim.

Der Fremde trat nun ebenfalls ins Haus. Als er die Schwelle überschritten, kam ihm Hermine entgegen.

Herr Baron von Chevaudun? sagte sie.

Der bin ich, versetzte der Baron, sich verbeugend, und in Ihnen werde ich die treue Freundin meiner Tochter zu verehren haben – lassen Sie mich Ihnen sogleich den großen Dank aussprechen, zu dem ich Ihnen verpflichtet bin, mein gnädiges Fräulein!

Da Sie die Güte haben, mich die Freundin Ihrer Tochter zu nennen, verdiene ich keinen Dank, Herr Baron, erwiderte Hermine, die Thür ihres Wohnzimmers vor ihm öffnend. Ich that nur meine Freundespflicht …

Und ich, fiel der Baron ein, meine, es verdient doppelten Dank, wenn Sie das, was Sie für mein armes Kind thaten, mit der Wärme der Freundschaft thaten – also müssen Sie sich schon gefallen lassen, daß ich mich Ihnen tief verpflichtet fühle. Wollen Sie die Gnade haben, mich zu Eugenie zu führen – sie ist, hoffe ich, auf mein Kommen vorbereitet?

Sie ist es, wenn auch nicht darauf, Sie so rasch erscheinen zu sehen; sie sandte erst vor zwei Tagen ihr Telegramm an Sie ab.

Man reist schnell in unserer Zeit, und Sie können denken, wie erschrocken über die Mittheilung, die ich erhielt, ich mich aufmachte! entgegnete der Baron. Bitte, führen Sie mich zu ihr!

Hermine schlug den Weg zu dem Zimmer Eugeniens ein und öffnete die Thür; als Herr von Chevaudun eingetreten war, trat sie zurück.

Eugenie sprang beim Anblicke ihres Vaters auf und flog in seine Arme. Sie umarmte ihn mit krampfhafter Heftigkeit, und indem sie ihr Gesicht an seiner Brust verbarg, begann sie, in lautes Schluchzen auszubrechen.

Mein armes, armes Kind! rief der Baron aus und küßte sie gerührt auf die Stirn.

Er hielt sie eine Weile schweigend an sich gepreßt. Dann geleitete er sie zu ihrem Sitze zurück, und sich selbst ihr gegenübersetzend, sagte er:

Fasse dich, mein Kind, beruhige dich, Eugenie; ich komme, dich zu mir zurückzuholen; du wirst die traurigen Eindrücke deiner letzten Lebensepisode leichter zu nehmen lernen, wenn du wieder im Schutze des Vaterhauses bist – sie haben ja das Gute gehabt, daß sie dich zu mir zurückführen.

Eugenie legte, mit ihren Thränen kämpfend, ihre Hand in die des Vaters und versetzte:

Das Gute haben sie, aber sie lassen mich ewig grenzenlos bereuen, daß ich dich je verließ! O, wäre ich dir gefolgt, wäre ich nicht so thöricht und verblendet gewesen, deine Stimme zu misachten …

Der Baron zuckte die Achseln.

Weshalb solltest du weiser gewesen sein als andere Menschen? Du hattest wie andere deine Vorstellungen und deine Ideen und mußtest selbst erproben, ob deine Ideen die richtigen Gleise waren, in denen sich der Lebenswagen eines Weibes fahren ließ. Der Rath und die Erfahrung der andern nützen uns allen nichts – wir müssen alle die ganze Schule des Lebens selbst durchmachen und den Weg zum Glück mit unserm eigenen Kompaß suchen, denn jeder hat seinen besondern.

Wie gut du bist, Vater – ich fürchtete deine Strafreden mehr, als ich sagen kann!

In der That? Nun, sagte Chevaudun mit einem leichten Lächeln, die Strafreden würden vielleicht auch schärfer ausfallen, wenn ich nicht fände, daß du sehr angegriffen, sehr bleich und leidend aussiehst; vielleicht kommen sie aber nach, wenn ich dich wieder in der frühern Blüte und Frische erblicke und dann, offen gestanden, siehst du mich selbst in einer Stimmung, worin ich nicht gerade sehr geneigt bin, andern Strafreden zu halten. Ich habe Gründe, sehr milde gegen die Irrthümer anderer zu sein.

Eugenie sah ihn fragend an.

Du beklagst doch nicht einen eigenen Irrthum, Vater – Gott wolle das nicht! rief sie dabei aus.

Der Baron Chevaudun begegnete dem Blicke seiner Tochter mit einem andern, der Eugenie bewies, daß er sie verstanden, ihren Gedanken errathen habe, und der sie ein wenig erröthen machte; denn er lächelte dabei und zeigte ihr dadurch, wie vorschnell ihr Schluß gewesen.

Es ist nicht das, versetzte er, woran du vielleicht denkst. Wenn du zu uns zurückgekehrt sein wirst, so wirst du selbst sehen, daß meinem häuslichen Glück nichts fehlt. Was mich mild gegen die Irrthümer anderer macht, sind andere Dinge, fehlgeschlagene Plane, entschwundene Hoffnungen, Erfahrungen, die mich, um es gerade herauszusagen, bestürzt gemacht und zum Zweifel an dem Gedanken gebracht haben, an den ich bisher die ganze Kraft meines Lebens setzte. Du weißt, ich habe ein wenig den Magus spielen und der bösen, schwarzen Magie des Geldes eine gute, weiße Magie entgegensetzen wollen. Und die Dinge in der Welt nehmen mir zum Trotze eben einen Verlauf, daß ich mich frage: Ist eine solche weiße Magie möglich, ist nicht der ganze Gedanke, Beelzebub mit dem Teufel auszutreiben, ein falscher, und Beelzebub nur zu bekämpfen durch das Flammenschwert des Engels, durch die geistige Macht fortschreitender Bildung? Ich muß mir gestehen, daß ich meine Millionen umsonst spielen lasse; sie hemmen den Gang der Dinge nicht, und die Dinge gehen rückwärts, rückwärts überall. Die Welt läßt sich auch mit dem allgeltenden Gelde nicht für die Principien zurückerkaufen, an deren Untergang sie arbeitet … Das Einzige, was unsereins thun kann, ist, für den Frieden zu wirken – ist Stille unter den Völkern, so können sie wenigstens auf diejenigen lauschen, welche die Wahrheit zu ihnen reden!

Was hat dich auf diese Gedanken gebracht, lieber Vater? fragte Eugenie. Du ließest früher dem Zweifel so wenig Herrschaft über dich …

Zunächst das Scheitern großer Plane – ich wollte durch ein großartiges Geschäft, durch einen Vorschuß von vielen Millionen, die ich einer Staatsregierung versprach, der Kirche ihre gefährdeten Güter retten – es ist nicht durchgegangen, und dem verbürgten Bestande der Kirche wird abermals in einem ganzen großen Reiche der Boden entzogen! Ich wollte einem andern Staate, dessen Macht mit der Macht der conservativen Ideen identisch ist, durch die Organisation seiner Finanzwirthschaft ein neues, verjüngendes Leben einflößen, und ich habe es erkennen müssen, daß der ganze Staatskörper so siech ist, daß ich an seiner Verjüngung verzweifelt bin. Die Sonne der alten Welt naht sich dem Untergange und was im Osten statt dessen neu sich erhebt – ist es mehr als ein blasser Mond, der einer geistig umdunkelten Welt wenig Licht und noch weniger Wärme bringen wird? Gott weiß es! Ich weiß nur, daß mich eine Art Ueberdruß an dem Hantieren mit den Millionen ergriffen hat – die Millionen werden der Welt die höchste Autorität, von der sie Dispens von den Gesetzen der Redlichkeit holt, wie ehemals von der höchsten Autorität der Kirche Dispens von den geschriebenen Gesetzen. Der Schwindel wird gigantisch in der Welt, und die Kraft eines einzelnen vermag nichts dawider – all sein Ringen ist umsonst, und ich fühle zum ersten male in meinem Leben etwas über mich kommen, was einem Gefühle tiefer Ermüdung ähnlich ist!

Eugenie blickte ihren Vater, der mit einem Seufzer diese Bekenntnisse endete, während einer stummen Pause an und sagte dann:

Ich bin egoistisch genug, mich nicht zu härmen über diese Wendung, die dich hoffentlich den Deinen näher rückt und ihnen größern Antheil an deinem Leben lassen wird.

Gewiß, mein Kind, einen größern als früher, wenn es auch nicht in meiner Natur liegt, zu rasten und die Hände in den Schos zu legen. Ich habe wohl erkannt, daß nicht Ein Mann mit seinen Ideen ändernd in den Weltlauf eingreifen kann; ich habe gesehen, daß die Welt von heute sich durch keinen väterlichen Despotismus, keine noch so weise Tyrannei mehr retten läßt, und selbst, wenn man ihr ihren Götzen Geld zum Tyrannen setzen will, ihn rebellisch zurückstößt. Aber für jeden Mann von gesunder Kraft bleiben deshalb genug Ziele zu verfolgen übrig, und hat er ohne Glück eine Feldherrnstelle im Kampfe des Lebens einzunehmen gesucht, so muß er sich darein fügen und einfach als ehrlicher Soldat weiter kämpfen. Aber nun zu dir, mein Kind – ich frage nicht nach deinen Erlebnissen, du sollst dich nicht aufregen, indem du mir alles, was dir geschehen, was du durchleben mußtest, erzählst – so gespannt ich darauf bin, ich begnüge mich gern mit den kurzen Angaben, welche dein Brief und dein Telegramm enthielten – lassen wir alles, bis du dich erholt hast und komm! Mein Wagen wartet auf dich. Soll ich Baptist heraufkommen lassen, damit er deine Sachen packt?

Das ist kaum nöthig, antwortete Eugenie, sich erhebend. Ich habe von meinen Sachen nur das Nöthigste von Dornegge hierher holen lassen und ich habe gelernt, mir selbst zu helfen. In einer Viertelstunde wird der kleine Koffer dort gepackt und werde ich bereit sein, dir zu folgen.

Aber deine Sachen in Dornegge – und Dornegge selbst – welche Anordnungen sind da zu treffen? Wir können es nicht herrenlos stehen lassen!

Lieber Vater, versetzte Eugenie ein wenig zögernd und ihr Gesicht halb abwendend, du verlangst nicht, daß ich dir alle meine Erlebnisse mittheile, und ich danke dir dafür – wenn du sie jedoch schon heute so kenntest, wie du sie nach Tagen oder Wochen kennen wirst, so würdest du begreifen, daß ich eine innere Scheu habe, mit dem Bruder meiner Freundin Hermine von Gohr wieder zusammenzutreffen – ich möchte den Abschied von ihm vermeiden, aber …

Und weshalb just von ihm? unterbrach Chevaudun sie mit einem forschenden Blicke.

Kann ich dir das erklären, ohne dir alles zu erzählen? Du mußt einsehen, daß ich den Freunden, welche ich hier gewann, nur mit einem peinlichen Gefühle, einem Gefühle der Beschämung, wenn du willst, ins Auge sehen kann – dieses Gefühl ist Dankmar von Gohr gegenüber doppelt stark in mir – so stark, daß es mir unmöglich wäre, ihn wiederzusehen – du mußt mir versprechen, daß wir ohne ein letztes Zusammentreffen mit ihm von hier abreisen, du mußt diesen meinen bringenden Wunsch Hermine von Gohr mittheilen – willst du?

Wenn du es so lebhaft verlangst, gewiß, Eugenie, antwortete Chevaudun, noch immer mit seinen scharfen Blicken ihre Züge beobachtend.

Es muß so sein, fuhr unter dem Eindrucke dieser Beobachtung, welche ihr nicht entging, Eugenie erregter fort; man muß sich vermeiden, wenn man das Bewußtsein hat, verkannt zu werden und sich nicht rechtfertigen zu können.

Du hattest ein »Aber« in Beziehung auf Herrn von Gohr? fragte Chevaudun.

Allerdings hatte ich das, entgegnete Eugenie, und ich wollte mit meinem »Aber« eine weitere Bitte bei dir einleiten, welche zugleich eine Antwort auf deine Frage nach Dornegge ist. Du weißt, daß ich Herrn von Gohr unsere Jacht zur Disposition stellte; da du in Deutschland warst, wußte ich, daß du ihrer nicht bedurftest, und so …

Ich weiß, ich weiß, mein Kind, und hatte ja nichts gegen deine Verfügung über unsere Jacht – aber wie hängt die Miranda mit Dornegge zusammen?

Herr von Gohr hat wochenlang die Miranda benutzt, er hat über sie wie über sein Eigenthum verfügt, er hat ein schönes Stück der Welt kennen lernen, getragen von diesem Schiffe. Wie heute die Dinge stehen, muß ich annehmen, daß ihm dies eine Verpflichtung auferlegt hat, die ihm drückend ist. Ich muß annehmen, daß es für ihn eine schwere Last ist, sich mir auf diese Weise verbunden zu fühlen und so gar nichts thun zu können, um diese Last der Verpflichtung abzuwälzen. Er hat Montenglaut verborgen, fortgebracht, ihm die Flucht möglich gemacht – gewiß aus Antrieben, bei denen der Drang, seine Verpflichtungen gegen mich abzutragen, eine Rolle spielte. Aber ich glaube nicht, daß er sich damit ein Genüge gethan hat, und darum möchte ich, du verlangtest von ihm einen größern, mühevollern Dienst, der die schwerere Last der Verpflichtung uns auferlegt, nämlich den, nach meiner Abreise für Dornegge zu sorgen, ihm einen Verwalter zu setzen und die Verwaltung bis auf weiteres zu überwachen.

Der Baron von Chevaudun sah bei diesen Worten Eugeniens seine Tochter nachdenklich an; er sah dabei ein wenig zerstreut aus, sodaß sie, als er schwieg, fortfuhr:

Bist du nicht einverstanden, Vater?

Chevaudun stand auf.

Gewiß, gewiß, sagte er, ich bin ganz einverstanden. Ich werde mit Herrn von Gohr in diesem Sinne sprechen. Ich gehe gleich. Du also sorgst unterdeß für deinen Koffer?

Ich mache mich sogleich ans Werk, erwiderte Eugenie, sich rasch erhebend.

Chevaudun murmelte nachdenklich etwas vor sich hin und verließ das Zimmer, um Baptist, den er im Flur harrend fand, seine Weisungen wegen der sofortigen Abreise zu geben, und dann ließ er sich bei Hermine melden.

Als er zu dieser geführt war und sich nach ihrem Bruder erkundigte, vernahm er zu seinem Verdrusse, daß Dankmar nicht daheim sei. Er drückte ein sehr lebhaftes Bedauern und den dringenden Wunsch aus, Dankmar persönlich kennen zu lernen. Aber da Eugenie so bestimmt ihr Verlangen ausgedrückt hatte, ein Wiedersehen mit Dankmar beim Abschiede zu vermeiden, so war es am besten, die Rückkehr desselben nicht abzuwarten. Chevaudun sagte, daß ihm seine Zeit nicht erlaube, auf Dankmar's Rückkunft zu warten, und daß er sich dadurch genöthigt sehe, die Bitte, welche er ihm vortragen wolle, durch Hermine an ihn gelangen zu lassen.

Hermine hörte diese Bitte an und entgegnete darauf, daß sie nicht zweifle, Dankmar werde sie bereitwillig erfüllen und es über sich nehmen, für Dornegge Sorge zu tragen. Das Nöthigste sei bereits von Gundobald Burghaus gethan worden, und jedenfalls könne sie das fest zusichern, daß, wenn Dankmar unerwartet Gründe haben sollte, sich dem Vertrauen zu entziehen, welches Herr von Chevaudun in ihn setze, Gundobald für die nächste Zeit Fürsorge treffen werde.

Chevaudun versprach darauf, eine offene Vollmacht Eugeniens in den nächsten Tagen senden zu wollen, worein dann Dankmar von Gohr oder Gundobald Burghaus seinen Namen eintragen möge.

Nachdem dieser Punkt erledigt war und Chevaudun noch Hermine den Wunsch nahe gelegt hatte, sie möge in nicht zu ferner Zeit nach seinem Kinde zu sehen kommen, und nachdem Eugenie erschienen und sich zur Abreise bereit erklärt hatte, folgte der Abschied der beiden jungen Damen. Eugenie war aufs tiefste erschüttert dabei; sie lag schluchzend in Herminens Armen – sie versuchte zu reden und vermochte es nicht – Hermine wurde von dieser Erschütterung so mit ergriffen, daß auch sie die Worte nicht fand und stumm ihre weinende Freundin umarmte; nur als diese sich endlich losriß, sagte sie:

Und was soll ich Dankmar sagen – hast du kein Wort für ihn, Eugenie?

Sie schüttelte, zu Boden blickend, den Kopf.

Was könnte ich ihm sagen lassen, von dem ich sicher wäre, daß er es so aufnähme, wie es mir aus der Seele käme? Sag' ihm nichts, nichts – höchstens das, daß ich ihm danke für die Schonung der letzten Tage und daß ich ihm aus tiefstem Herzen alles Glück wünsche, welches einem Menschen beschieden sein kann! Deine Briefe werden mir später sagen, wie viel von diesem Wunsche in Erfüllung geht. Und nun zum letzten mal: Lebe wohl!

Sie umarmte Hermine noch einmal und ließ sich dann von ihrem Vater zum Wagen geleiten, der bald darauf mit beiden davonrollte.

Eine halbe Stunde später kehrte Dankmar mit seinen beiden Begleitern von Haus Edern zurück.

Als er die Kunde vernahm, daß Eugenie von ihrem Vater abgeholt, daß sie abgereist sei, wich alles Blut aus seinen Zügen – er blickte Hermine stumm an, als ob er sie nicht verstanden habe.

Du sagst nichts dazu, Dankmar, fragte Hermine, daß sie gegangen ohne ein letztes Wort zu dir? Verdientest du um sie nicht ein Wort von ihrem eigenen Munde?

War es nicht besser so? fiel Dankmar ein.

Und ihren Auftrag, über Dornegge zu wachen?

Ihren Auftrag nehme ich mit Freude über mich – es liegt darin auch ein letztes Wort, und dieses Wort muß mir genug sein!

 

Es war natürlich, daß sich in den nächsten Tagen die Unterhaltung auf Haus Gohr nicht von all dem Geschehenen der letzten Zeit und nicht von der Erscheinung Eugeniens loslösen konnte, dieser Erscheinung, die so mächtig in das Schicksal aller in diesem Kreise eingegriffen hatte. Dankmar war gewöhnlich schweigsam bei diesen Gesprächen, obwol sie ihm eine Befriedigung zu gewähren schienen – er belebte sie wenigstens jedesmal durch seine Bemerkungen neu, wenn sie zu ersterben schienen; wenn Vorwürfe wider Eugenie durch die Worte Zander's oder Herminens zu klingen schienen, schwieg er zumeist oder überließ es Gundobald, wenn dieser anwesend war, ihre Vertheidigung zu führen.

Zander schien am meisten in Eugenie einen gewissen Mangel tiefern Gemüthslebens zu tadeln, es schien ihm, ihr Denken und ihr Geist, ihr Streben nach freiem Erkennen haben ihr Gefühlsleben zu sehr überwuchert und des regelnden, in den rechten Schranken haltenden Uebergewichts des Gemüths, wie er es in einer Mädchenseele sehen wollte, ermangelt.

Sie legte für ein Weib zu viel Gewicht auf den Geist, sagte er eines Tages, als die drei Bewohner von Gohr in der Eichenallee auf- und abschritten; sie lebte zu viel in und mit dem Geist – so mußte sie so unglücklich werden durch den Geist und ihr Verderben durch einen so geistreichen Teufel, als welchen ihr mir diesen Montenglaut schildert, finden. Es steht geschrieben: wer das Schwert zieht, soll durch das Schwert umkommen!

Ich glaube, lieber Zander, erwiderte Hermine, Sie thun ihr da unrecht; Eugenie hatte ein tiefes und schönes Gemüth, das Naturen wie die ihre jedoch nie zur Schau zu tragen pflegen. Ohnedies hatte ihre frühere Umgebung sie verschlossen machen müssen … sie hat die Mutter früh verloren und den Vater hielt seine Thätigkeit ihr fremd und fern. Hätten Sie gehört, mit welcher zärtlichen und innigen Liebe sie von ihrer Freundin Marie, mit der sie zusammen im Klosterpensionat war, sprechen konnte! Hätten Sie gesehen, in welcher tiefen Erschütterung sie sich befand, als sie vor wenig Tagen von mir Abschied nahm! Und damals, in der Zeit, während ihre Neigung sich Dankmar zugewendet zu haben schien – wie sehr blühte da ihr Gemüth in zärtlicher und weicher Weiblichkeit auf … ich habe das wohl beobachtet, und aus ihrem Wesen mehr als ihren Worten erkennen können … aber das Unglück war, daß dieser böse Mensch dazwischenkam, daß er ihr den Glauben an Dankmar raubte, und daß ihr im schönsten Erblühen sich öffnendes Gemüth so plötzlich tödlich verwundet wurde, daß es sich krampfhaft zusammenschloß. Sie mußte jetzt in einen Zustand des Verzagens an sich selber, in die Haltlosigkeit, in welche uns eine erlebte tiefe Demüthigung wirft, gerathen – und da hat nicht ihr Geist sich von dem Geiste Montenglaut's fesseln lassen, sondern ihre innere Entmuthigung von seinem Willen unterjochen und bewältigen.

Das mag seine Richtigkeit haben, antwortete Zander – Ihr Frauen wißt euch einander am besten zu durchschauen, und wenn eine der andern Gemüth preist, so hat diese es sicherlich – aber dann behalte ich doch immerhin recht, wenn ich sage, ihr Gemüth hätte größer sein sollen, groß genug, um ein größeres Vertrauen auf Dankmar in sich tragen zu können. Was ist Gemüth? Liebe! Was ist liebe? Vertrauen!

Das ist, was auch ich denke – auch ich mache ihr diesen Mangel an Vertrauen zu Dankmar zum Vorwurf! fiel Hermine ein.

Man könnte auch sagen, fuhr Zander fort, Vertrauen ist Glauben; dem Glauben gegenüber zeigt ihr Geist ja auch etwas von dem Skepticismus, diesem Krebsschaden der Zeit, der im Einzelnen die warme Kraft zu jeder schönen That und in der Gesellschaft alles das wegfrißt, was sie an Poesie bedarf, um zu bestehen – denn auch das wirkliche Leben bedarf der Poesie, sonst stürzen seine Grundlagen zusammen. Die Frauen sind vorzugsweise berufen, sie zu nähren, sie sollen die Priesterinnen dieser Vestaflamme sein, und wenn sie beginnen der todten Asche derselben den Rücken zu wenden, bis der Wind sie auseinanderbläst, dann …

Halten Sie ein, Zander, sie gerathen auf Dinge, die auf Eugenie von Chevaudun keine Anwendung finden, rief hier Dankmar aus. Eure Vorwürfe gegen sie sind überhaupt ungerecht! Ich bitte euch, wodurch sollte ich Eugeniens Vertrauen verdient haben? Der Schein sprach wider mich! Nein, nein, vor meinen Augen steht ihr ganzes Wesen und Handeln klar, durchsichtig, hell und gerechtfertigt da … es mußte alles so kommen, wie es gekommen ist. Du mußt mir nicht zürnen, Hermine, wenn ich ohne Rückhalt ausspreche, was ich denke …

Hättest du denn mir dabei Vorwürfe zu machen…

Nicht im geringsten – aber den Mädchen und Frauen unserer Zeit. Es scheint mir, daß das Weib im allgemeinen im Sinken, im Degeneriren begriffen ist. Die großen Frauen des vorigen Jahrhunderts, die Staël, die Roland, und so viele andere, die die Männer der Zeit um sich versammelten, deren Herd der Mittelpunkt geistiger Kämpfe wurde, die mit den Männern für das Licht eiferten, sind todt. Das Weib von heute ist entweder aufs neue die Hauptverbündete des Dunkels und wieder macht der Aberglaube aus der Weiberschürze seine Fahne; oder, in großen Städten, ist es etwas viel, viel Schlimmeres geworden. Wenn man in den großen Mittelpunkten unserer Civilisation das Weib beobachtet, seinen grenzenlosen Luxus, seine Herzlosigkeit in der Ehe, seine Frivolität, seine schamlose Koketterie mit den Sitten der Freudenmädchen, so muß man sich schaudernd gestehen: dieses Weib von heute steht auf einem furchtbaren Abhange, tritt hier kein Umschwung ein, so gleitet es hinunter zu dem, was das Weib unter Caligula und Claudius war, in den grauenhaften Abgrund, in das Entsetzliche, das uns jene berüchtigte sechste Satire des Juvenal schildert!

Treibt nun ein anderer, ein besserer Geist, der Drang einer tiefer angelegten Natur, ein weibliches Wesen aus einer dieser beiden Sphären, auf die ich deutete, heraus, so geräth sie alsbald in Wirrnisse, in Zweifel und in Kämpfe, für welche sie nicht gerüstet ist, für welche der Unterricht, den sie erhielt, ihr keine Waffen gab, die Erziehung, die ihr ward, ihre Kräfte nicht gestählt hat … man hat ihr das Verständniß des Lebens in einer Weise vorenthalten, daß sie auch die Irrwege des Lebens nicht erkennt. Und wie ist doch der innere Drang, der reine Wille, der ihrem Suchen zu Grunde liegt, zu ehren! Die Irrwege, auf welche sie gerieth, werden dauernd ihrem Wesen, ihrer Seele keinen Eintrag thun, und wie wir Männer ja alle mit Goethe sprechen: »Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand«, wird sie sich einmal sagen: »Wir werden keiner ohne Thränen gut!«

Der geistliche Rath und Hermine antworteten nicht; Dankmar murmelte nach einer Pause noch einmal wie zerstreut und als ob er sich allein wähne, jenes Wort:

Wir werden keiner ohne Thränen gut!


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