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Neunzehntes Kapitel.
Ludwig's Brief

Ein Charakter ist ein vollkommen gebildeter Wille.

Novalis.

Von der Terrasse, welche vor den Wohnzimmern Eugeniens herlief, stieg man über eine breite Steintreppe von wenigen Stufen in die Gartenanlagen von Schloß Dornegge hinab. Der Garten war, wie gesagt, im alten Stile angelegt; er hatte hohe Hecken, wunderlich verschnörkelte, mit geschorenem Buchsbaum eingefaßte Beete, ein mit Sandstein ausgemauertes Bassin, in dessen Mitte ein Triton ehemals einen Wasserstrahl in die Höhe geblasen – das alles war der Vernichtung geweiht, denn die Schloßherrin hatte einen Abscheu wider diese Gartenkunst, deren Signatur die Sdnörkellinie ist; sie wollte frei die Natur da walten sehen und, sobald die Jahreszeit da, welche Gartenarbeiten erlaubt, alles in eine große Parkanlage umschaffen lassen.

Jetzt aber standen die geschorenen Hagebuchenhecken noch da in ihrer ganzen grünen Sauberkeit, und hinter einer dieser Hecken ging am Morgen nach Eugeniens Unterredung mit Jauffroi Fräulein Helene Böhmer auf und ab. Sie trug ein helles Kleid, eine schwarzseidene Schürze, die mit Nadeln an den Schultern befestigt war, und einen Strohhut; und so war sie sehr lieblich und hübsch anzusehen, obwol sie eine sehr verdrießliche kleine Miene aufgesetzt hatte.

Wenn er nun nicht bald kommt, sagte sich Helene, so laufe ich ihm davon oder schreibe ihm, daß ich von ihm und seinem märchenhaften Prinzenthume gar nichts mehr wissen will – der Bösewicht, der gottlose Kunstjünger, der er ist! Mir auch nicht einmal zu schreiben – es ist wahrhaft abscheulich! Kann er sich denn nicht denken, daß mich für meinen tollen Streich die fürchterlichste Langeweile straft, die ich hier dulde? Dieses Schloß ist so alt und so öde und so ungeheuerlich, und meine beiden Damen sind so ernsthaft, so vernünftig, so grenzenlos weise! Es kommt keine Gesellschaft, es gibt keine Partien in die Nachbarschaft, keine kleinen Unterhaltungen, Pickenicks, ländliche Bälle, nichts von allem dem, was dazu gehört, wenn man's auf dem Lande aushalten soll – ich werde mir nächstens ein kleines Blindekuhspiel mit dem Stalljungen und dem Gärtnerburschen arrangiren – wo ist denn heute Morgen dieser galante Jüngling mit der Heckenschere? Er hat mir meinen täglichen Strauß noch nicht gebracht, und ich habe noch keine von meinen täglichen Gnadenbeweisen an meinen schüchternen Verehrer gewendet – wahrhaftig, wenn er nicht wäre, ich käme ganz aus der Uebung in der Holdseligkeit, und wie schade wäre das, sie steht mir so reizend. Wenn der tückische Kunstjünger auf diesen Gärtnerburschen Eduard nicht eifersüchtig wird, so bringe ich ihn um – ich werde ihn ihm vorstellen und dabei so schmelzend den Namen Eduard aussprechen – Eduard! daß Ludwig vor Wuth aus der Haut fährt!

Helene lachte laut auf, nachdem sie sich zweimal mit spöttischem Pathos den Namen: Eduard! vorgesprochen. Nach einer Weile aber fuhr sie sehr ernsthaft fort:

Es ist doch wirklich ruchlos, daß er mir nicht wenigstens ein Wort über den Papa schreibt! Der arme Papa! Was mag er getobt und sich geärgert haben, daß ihm sein Helenchen einen solchen Strich durch die Rechnung gemacht hat! – Es war doch eigentlich recht schlecht – war es nicht? Aber es war auch recht schlecht von Papa Böhmer, daß er sein Kind so tyrannisiren wollte; wenn ich nun nicht durchgegangen wäre, dann ständen die Sachen doch noch schlechter, dann wären Ludwig und ich sehr, sehr unglücklich, und unglücklich ist der Papa doch nicht, er hat nur einen Aerger auf einige Wochen und Aerger schadet nicht, Aerger und Kummer, sagt der Papa, macht dick, und …

Wilhelmine, Wilhelmine! sagte hier plötzlich eine Stimme, welche eine komische Betonung von schmelzendem Pathos hatte.

Um Gottes willen! rief Helene erschrocken aus.

Sie blickte um sich. Es war niemand in der Nähe.

Hinter der Hecke muß jemand sein, fuhr Helene, sich fassend, fort und begann sogleich in der Hecke ein Loch zu suchen, das sie mit ihren Händen hinreichend erweitern könne, um hindurchzuschauen. Aber während sie vorgebückt damit beschäftigt war, fiel plötzlich von oben her etwas Schweres, Weiches, feuchte Tropfen Spritzendes in ihren Nacken, daß sie zusammenfahrend aufschrie. Ein kurzes, lustiges Gelächter folgte.

Eduard! rief Helene aus, den oben über die Hecke schauenden und mit beiden Händen am obern Rande derselben sich festhaltenden Gärtnerburschen erblickend – warten Sie, Sie böser Mensch!

Sie raffte den Blumenstrauß, den ihr Eduard eben von oben her in den Nacken geworfen, vom Boden auf, zielte und warf ihn so geschickt, daß der Bursche ihn an die Schläfe bekam. Dann wischte sie zornig mit ihrem Tuche die Tropfen fort, welche der thaufrische Strauß in ihrem Nacken zurückgelassen.

Den Burschen störte der Wurf nicht in der Heiterkeit, womit er eine Reihe blendendweißer Zähne zeigte.

Fräulein Wilhelmine, sagte er dabei, bitte, sagen Sie noch einmal so schön wie eben: Eduard, Eduard!

Und das haben Sie gehört, Sie Spion, Sie?

Bitte, noch einmal, fuhr Eduard fort – es war gar zu schön – ich habe immer gewartet, ob Sie's nicht noch einmal rufen würden – ach Gott, wie müssen Sie mich liebhaben! Ich hab's versucht, Ihren Namen ebenso schön herauszubringen, aber ich bring's nicht zu Stande, nimmer! Und doch möcht' ich's den ganzen Tag rufen, nichts anderes als: Wilhelmine – Wilhelmine! Ich habe Sie auch so gar lieb, Sie können mir's glauben, ich denk den ganzen Tag nur noch an Sie, und da Sie mir nun verrathen haben, daß es Ihnen just so geht, so …

Helene brach hier in ein lautes Gelächter aus und konnte sich gar nicht fassen, während der Kopf oben auf der Hecke wieder alle seine Zähne zeigte, aber ein wenig verdutzt niederschaute.

Was lachen Sie denn so, Wilhelmine? sagte er endlich, da Helene gar nicht aufhörte.

O Sie süßer Michel! rief sie jetzt. Es geht doch nichts über die Einbildungskraft eines Gärtnerburschen! Glauben Sie denn, ich hätte nicht gewußt, daß Sie an der andern Seite der Hecke waren, um mich von da zu belauschen, Sie abscheulicher Michel Sie? Und da wollte ich Ihnen einen Possen spielen!

Das sagen Sie jetzt, um mich zu ärgern, fiel der junge Mensch ein – meinen Sie, ich hätt's nicht gehört, wie Sie's ausriefen, so, als ob Sie ein recht grausames Verlangen nach mir hätten? Und das, weil ich heute so spät bei der Hand bin, Ihnen Ihren Strauß zu bringen. Aber das ist nicht meine Schuld, dafür brauchen Sie mich nicht jetzt hänseln zu wollen, ich konnte wahrhaftig nicht eher kommen; denn erst schickte mich der Gärtner in die Mühle, ich sollte nachfragen, ob die Hornspäne angelangt seien, und als ich dann wieder heraufkam, da holte mich ein junger Herr ein, der von mir wissen wollte, ob der Herr von Burghaus auf dem Schlosse sei, und als ich ihm sagte, ja, der sei gestern Abend spät noch gekommen und werde wol jetzt bei der Herrschaft sein, da verlangte er von mir, ich solle ihn führen und ihn hinbringen, wo er den Herrn finde, und so mußte ich mit ihm gehen – ich muß ja immer der Botenläufer sein; noch gestern Abend habe ich nach Alt-Dornegge …

Von Helenens Gesicht war bei diesem Geplauder der ganze Ausdruck von Schelmhaftigkeit gewichen, der zuletzt darauf gelegen; sie fragte gespannt und hastig: Ein junger Herr – der nach Herrn von Burghaus fragte – mit langen, blonden Haaren?

Just so und in einem weißen Reisekittel.

Helene wandte sich ab, ließ ihren Anbeter in Hemdärmeln oben auf seiner Hecke und lief davon, als ob sie Flügel an den Sohlen hätte.

Nun sieh mir einer an, murmelte der Gärtnerbursche, betroffen und ein wenig wehmüthig das rothe Futteral, aus welchem er den weißen Schmelz seiner Zähne hervorblicken ließ, schließend – nun sieh mir einer an – der heißt auch am Ende Eduard, wie ich – und dann hat sie den gemeint – ah bah, es wird wol ihr Bruder sein!

Während der Gärtnerbursche mit diesem tröstenden Gedanken niedersprang und seinen schönen Strauß wieder suchte, eilte Helene flink wie eine Hindin ins Schloß; sie flog über den Hof, in den die Rückseite abschließenden neuern Flügel, eine Treppe hinauf, oben über einen Corridor; dann stand sie vor einer Thür still, an die sie lauschend und Athem schöpfend ihr Ohr legte; und dann öffnete sie die Thür und trat ein; sie kam in ein Vorzimmer, in welchem eine Thür halb geöffnet stand, die in ein zweites Zimmer führte; in diesem zweiten Zimmer hörte sie Stimmen – es waren die Stimmen Gundobald's von Burghaus und Ludwig's.

Helene stand mit hochklopfendem Herzen einen Augenblick still. Es schwindelte ihr plötzlich bei dem Gedanken, daß dies der entscheidende Augenblick, der lang erharrte, so viel besprochene kritische Augenblick sei, in welchem das Loos Ludwig's und das ihre sich entscheiden sollte, und nun bemächtigte sich ihrer, trotz all ihrer nicht aus dem Gleichgewichte zu bringenden Verwegenheit, eine ganz fürchterliche Zaghaftigkeit; sie drückte rasch die Hand auf ihr hochklopfendes Herz, sie wagte keinen Schritt mehr vorwärts, keinen Schritt, sie rang nur nach Athem und sagte sich dabei: Mein Gott, mein Gott, mein Gott, und nun steht gewiß gar nichts Ordentliches in dem Briefe!

Gundobald aber hatte das Aufgehen der Vorzimmerthür vernommen; er trat durch die halb offen stehende Thür aus seinem Wohnzimmer heraus, und Helene erblickend sagte er: Sie sind's, Wilhelmine Sie kommen, mich zum Fräulein zu rufen – ich bin eben auf dem Wege. Warten Sie hier auf mich, setzte er, sich zu jemand in sein Wohnzimmer zurückwendend, hinzu, und dann schritt er eilig an Helene vorüber und ging durch die Corridorthür davon.

Hinter ihm war Ludwig auf die Schwelle des Wohnzimmers getreten.

Helene! rief er, auf sie zueilend, aus.

Ludwig!

Eine stürmische Umarmung folgte.

Dann legte Helene ihre Hände auf seine Schultern, drängte ihn von sich und rief:

Mensch, wie hast du mich warten lassen – und wie erhitzt du aussiehst – und wo ist – wo ist der Brief? schloß sie wie mit einem nach Luft ringenden Aufschrei der quälendsten Spannung.

Der Brief ist drinnen – eröffnet – du kannst ihn lesen!

Und was enthält er – bist du ein Prinz oder nicht? O nein, nein, nein – ein Prinz sieht anders aus als du mit deinem rothen Kopfe!

Komm, lies ihn selbst, versetzte Ludwig, sie in Gundobald's Wohnzimmer ziehend.

Am ersten Fenster in Gundobald's Zimmer stand ein Schreibtisch, und auf der grünen Decke dieses Tisches lag ein großes Schreiben neben einem Paar Couverts, wovon das eine mit vielen Postzeichen bedeckt und groß gesiegelt und an Frau Randheim adressirt war, während das zweite, innere, die Adresse Gundobald's trug. Das Schreiben lautete:

 

»Mein Enkel!

Du wirst diesen Brief lesen am Tage Deiner Großjährigkeit, in den Besitz des Erbes gesetzt, das allein Dir nach jenen Gesetzen der Humanität zukommt, die wir am besten uns klar machen und unserm Wissen gewinnen, wenn wir auf die ›Stimmen der Völker‹ lauschen und erkunden: wie hat in den einzelnen Nationen des Erdballs das im Rechtsbewußtsein fortlebende Gottesgefühl seit je die Frage des Erbes und die Art des Erbganges bestimmt? Frei von allen hinter mir liegenden Vorurtheilen, frei von dem Dogma des Aristokratismus, welches inhuman ist, indem es das Recht der Sache höher stellt als das Recht der Person – freien Geistes, sage ich, habe ich über jene Frage geforscht und mir Rechenschaft darüber gegeben, wie die einzelnen Völker, namentlich jenes arischen Stammes, welche die erstgeborenen Söhne des schöpferischen Urgeistes sind, sie entschieden und in ihren Gesetzen das mit uns in die Welt geborene Recht offenbart haben. So bin ich mit mir einig geworden, und es ist das Testament in Deine Hände gelegt, welches Dich zum Nachfolger in alle meine Rechte beruft.

Mit meinen Rechten übernimmst Du eine Pflicht. Als ich in jenem Dogma des Aristokratismus, der mit consequenter Grausamkeit überall das angeborene Recht der Personen unter das historische Recht der Verhältnisse oder der Vorurtheile beugt, welche er um so zorniger heilig räuchert, je unhaltbarer sie sind – als ich von diesem Aristokratismus befangen war, habe ich die Verbindung meines Neffen mit seiner Braut verhindert, weil sie ein Bürgermädchen war. Dieses Bürgermädchen aber hat, während ich nach ihrem Stammbaume fragte und nicht nach ihrem Herzen, nur nach ihrem Herzen gefragt und nicht nach meinem Dogma. So ist aus verschmähtem Blute ein neues, frisches Reis entstanden, und ich will, daß dieses Reis nicht von unserm Ehrenstamme gehauen werde, nicht, daß es verdorre und untergehe, weil einst auf Schloß Dornegge ein alter Mann saß, der verhinderte, daß ein humanes Recht seines Neffen, sich nach seiner Neigung zu vermählen, zur vorgeschriebenen Buchung im Sakristei-Register komme. Und weil der Sohn des Bürgermädchens, der Ludwig Randheim heißt, Blut ist von unserm Blute, will und bestimme ich, daß er theilhabe, wie am Blute, so am Erbe. Du wirst ihn anerkennen, wie ich ihn anerkenne, und Du wirst ihm aus den Einkünften Deiner Güter eine Jahresrente von 2000, schreibe zweitausend Thalern zahlen. Diese Summe soll, sobald er sich verheirathet, hypothekarisch für ihn und seine Erben festgestellt und eingetragen werden, es sei denn, er selbst zöge bei seiner Verheirathung die Abfindung mit dem von meiner Mutter herrührenden Gute Klarholm vor. Alsdann ist dieses Gut mit allem aufstehenden Holze und allem Zubehör auf ihn zu übertragen, wie es am Tage seiner Verheirathung steht und liegt. Er aber soll Dir dafür ein dankbarer und treuer Vetter sein, eingedenk alle Tage, daß der Maßstab der Ehre eines Mannes sein Muth, seine Kraft und seine Humanität ist, und daß er mir schuldet, diese Ehre unbefleckt zu wahren bis an sein Grab.

Geschrieben im Kloster Laura auf dem Berge Athos, am Tage, wo die Kirche den Paraklet, den Geist, der da ist der einzige Tröster der Menschheit, feiert, im Jahre 185*.

Godehard Rudolf
Freiherr von Nesselbrook.«

 

Helene hatte dieses merkwürdige Schriftstück, das in ihrer Hand zitterte, dessen Züge vor ihren Augen verschwammen, anfangs überflogen, ohne daß sie ein Wort davon verstand; erst als Ludwig's darin erwähnt wurde, begann ihr ein Verständniß zu kommen, und als sie bis ans Ende gelangt war, warf sie das Blatt von sich, stürzte Ludwig in die Arme und sagte weinend:

O, nun ist ja doch alles, alles gut und wir haben nicht vergebens gehofft!

Er drückte sie an sich und küßte ihre Stirn.

Herz, sagte er – es wäre alles gut, wenn, wenn …

Nun, wenn?

Hast du je von dem Rosse des Ritters Roland gehört?

Von dem Rosse des Ritters Roland? Auf dem wirst du mir jetzt doch nicht etwa davonreiten? Dann spring' ich hinter dir auf die Kruppe, verlaß dich drauf!

Nein, das nicht! Sieh, dieses Roß war das schönste Thier in aller Welt. Es hatte alle Vollkommenheiten – und nur Einen Fehler.

Und dieser Fehler war?

Es war todt.

Todt? Was soll das heißen?

Dieser Brief ist ein solches Roß Bayard – das Testament, welches Gundobald Burghaus zum Erben der Güter Nesselbrook's macht, ist verloren, und was Gundobald Burghaus nicht hat, kann er auch mir nicht geben!

Verloren?

Es ist fort, hoffnungslos fort!

Aber mein Gott, dann muß man es suchen!

Kind, daß man es sucht, kannst du dir denken!

Und es ist nirgends zu finden?

Gundobald Burghaus sagt, es sei sehr wenig Hoffnung, daß es je ans Tageslicht komme!

Das wäre ja entsetzlich!

Es ist sehr traurig für uns!

Höre, Ludwig, mir kommt eine Idee. Die Nesselbrook'schen Güter sind die, welche die Gräfin Edern hat.

So ist es.

Und wenn das Testament gefunden würde, dann müßte sie die Güter herausgeben?

Das müßte sie in der That.

Und da sie das begreiflicherweise nicht will, so hat sie das Testament auf die Seite gebracht. Ich sage dir, bei ihr muß man suchen, nur bei ihr …

Aber weshalb glaubst du …

Weil ich habe Papa Böhmer von ihr reden hören. Weil ich Papa Böhmer's schlaues Kind bin. Weil ich weiß, daß Papa Böhmer den höchsten Preis daraufsetzt, auch diesen Brief, deinen Brief, in die Hände zu bekommen! Ist er nicht ihr Freund, vertraut sie ihm nicht in allem? Ich sage dir, Ludwig, sie hat das Testament, und mein Vater hat es ihr verschafft.

Wie sollte es denn in deines Vaters Hände gekommen sein?

Wie? Weiß ich's? Meines Vaters Vater war Nesselbrook's Secretär – dadurch ist mein Vater ja in alle diese Verbindungen zuerst gekommen – und weshalb hätte er so lebhaft nach diesem Briefe hier begehrt?

Das ist freilich wahr!

Er wollte sogar mich dir zur Frau geben, wenn er den Brief bekomme und etwas Gutes für dich darinstehe, sagte er. Ich sah ihm an, daß er nur den Brief wollte, an das »zur Frau geben« dachte er nicht, der schlaue Papa! Aber sein Helenchen ist auch schlau und ich ließ mich nicht berücken!

Wir wollen das wenigstens Herrn von Burghaus sagen.

Wir? Denkst du nicht daran, daß ich incognito hier bin? Hüte dich nur ja, mich anders als Wilhelmine zu nennen – die Helene mußt du vergessen, aber der Wilhelmine sollst du die Cour machen dürfen soviel du willst – da deine Güter noch im Monde liegen und deine Renten nicht besser sind als ein todtes Pferd, wie du sagst, so ist das auch sehr passend, nicht wahr, ein armer Kunstjünger darf einem Kammermädchen die Cour machen? Aber ich höre Herrn von Burghaus zurückkommen; nun muß ich fort – sprich mit ihm davon, ohne mich zu verrathen, hörst du – du bist ja Papa Böhmer's Nachbar und kannst sein Verlangen nach dem Briefe auf andere Weise erfahren haben – sprich mit Burghaus davon, ich sage dir, die Gräfin Edern hat das Testament – ich laufe in den Garten zurück; komm dahin, wenn du mit Burghaus geredet hast, hörst du – bald!

Sie eilte davon und schlüpfte im Vorzimmer an dem zurückkommenden Gundobald vorüber, der zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt war, um ihr langes Bleiben in seinen Zimmern zu beachten.

Als Gundobald in sein Wohnzimmer trat, sagte er: Ich habe mit der Dame vom Hause gesprochen und ihr diesen merkwürdigen Zwischenfall in meiner Angelegenheit berichtet; sie willigt aufs freundlichste ein, daß ich Sie fürs erste hier halte und Sie bitte, sich als Gast auf Haus Dornegge zu betrachten.

Ludwig verbeugte sich sehr dankbar für diese Erlaubniß.

Wir wollen suchen, fuhr Gundobald freundlich fort, Sie zu zerstreuen und zu trösten, mein lieber Vetter, für die vorläufig getäuschten Hoffnungen, welche Sie auf dieses Blatt gesetzt haben; wir wollen unsere beiderseitigen Aussichten zusammen prüfen und besprechen und sehen, wie wir einander helfen können. Mir haben Sie schon um ein Bedeutendes geholfen – wollte Gott, ich könnte recht bald ein Gleiches für Sie thun!

Ich Ihnen geholfen? fragte Ludwig, den Gundobald auf einen Sitz niedergezogen hatte, während er sich selber auf die Fensterbank setzte und Ludwig ein Cigarrenetui bot.

Gewiß, Sie haben mir einen höchst bedeutenden Dienst geleistet, indem Sie mir diesen Brief brachten. Der Brief beweist wenigstens klar, daß ein zweites Testament Nesselbrook's zu meinen Gunsten vorhanden ist; er beweist, daß die ganze Sache kein vom Rath Zander ausgehendes Märchen ist, wie die Ederns ausstreuen, und so bin ich vor der öffentlichen Meinung gerechtfertigt!

Ludwig sah Gundobald eine Weile nachdenklich an; dann fragte er: Würde es Ihnen in jeder Beziehung unmöglich erscheinen, daß das Testament von der Gräfin Edern beiseitegebracht, in ihrem Besitze oder von ihr vernichtet sei?

Gundobald blickte überrascht auf.

Ederns haben, soviel ich weiß, allein ein Interesse an der Beseitigung desselben, regte Ludwig hinzu.

Zum Teufel, bringen Sie mich nicht mit einer höllischen Einflüsterung in Versuchung! rief Gundobald aus, indem er von seiner Fensterbank herabglitt und im Zimmer auf- und abzuschreiten begann. Das ist ja ganz unmöglich, das wäre ja ganz entsetzlich, dämonisch – solche Verstellung bei der Gräfin, bei Boto, o nein, nein, nein – ich möchte das Testament lieber niemals sehen, als dabei die Erfahrung von solcher Schlechtigkeit unserer nächsten Verwandten gegen mich machen!

Während Gundobald mit diesem Gedanken beschäftigt auf- und abging und dabei aussah, als sei ihm etwas sehr Verdrießliches geschehen, daß man ihm einen solchen Gedanken in den Kopf gesetzt, betrachtete sich Ludwig den neuen Vetter, den er gefunden. Der Brief Nesselbrook's hatte ihm nichts enthüllt, das er nicht aus den Aufklärungen seiner Mutter gewußt hätte; daher hatte er auch von der Existenz eines solchen Vetters gewußt, aber er hatte ihn nie gesehen, er hatte ihn sogar ein wenig gefürchtet, weil er sich einen gewöhnlichen und gegen ihn doppelt ablehnend und schroff sich verhaltenden adelichen jungen Herrn in ihm vorgestellt. Das lebhafte, warm ihm entgegenkommende Wesen Gundobald's hatte ihn im höchsten Grade gewonnen – in Gundobald's Gesicht hatte sich bei den ersten Eröffnungen Ludwig's, bei dem Lesen des ihm überbrachten Briefes auch nicht ein einziger Zug gezeigt, der etwas anderes als Ueberraschung ausgedrückt hätte – kein Verdruß, kein für Ludwig verletzender Ausdruck von Misvergnügen über den so unerwartet ihm zugesendeten neuen Verwandten.

Hören Sie, ich bin wirklich nicht im Stande, fuhr Gundobald jetzt fort, mich in die Vermuthung einzulassen, welche Sie mir da eben eingeblasen haben – für Männer ist das nichts; solchen Argwohn zu hegen, darüber zu grübeln, das ist wahrhaftig nur Frauensache – wir wollen's den Frauen überlassen – und so lange uns daran halten, daß das Testament, wie uns der geistliche Rath erklärt hat, verloren worden sei!

Ludwig war ebenfalls nicht der Mann, einem Argwohn nachzuhängen; er bat Gundobald um die Erlaubniß, in den Garten gehen zu dürfen, um sich in der frischen Luft ein wenig zu sammeln, wie er sagte.

Gundobald wies ihm bereitwillig den Weg, der in den Garten führte, und zeigte ihm dabei auf dem Corridor ein Fremdenzimmer, welches für ihn bestimmt sei.

Ich danke Ihnen, sagte Ludwig; ich werde sogleich davon Besitz nehmen, um einen Brief an meine Mutter zu schreiben, die mit größter Spannung auf meine Mitteilungen wartet – nur ein paar Augenblicke muß ich in der That im Freien zubringen, um mich in dies alles finden und es in mir verarbeiten zu können!

Wohl, versetzte Gundobald, thun Sie das, und wenn Sie Ihren Brief geschrieben haben, kommen Sie zu mir, daß ich Sie der Dame vom Hause vorstelle.

Im Garten angekommen, sah Ludwig bald Helene auf sich zuschreiten; sie hatte auf einer Steinbank gesessen, von der aus sich der Eingang in das Schloß im Auge halten ließ.

Endlich – sagte sie, als sie ihren Arm in den seinen legte und ihn an der hohen Hecke entlang fortzog, wo man beide vom Schlosse aus nicht beobachten konnte – endlich – und: endlich! rief ich auch vorhin aus, als ich vernommen, daß du da seiest – ich habe dich schon seit Tagen erwartet!

Ich machte die Reise zu Fuß, versetzte Ludwig, und das nahm einen Tag, und – und ich scheute mich, anzukommen.

Du scheutest dich – du branntest nicht vor Verlangen?

Ich brannte vor Verlangen – nach dir, Helene; aber ich scheute mich dennoch, anzukommen. Es war so entscheidend, so wichtig, so schwerwiegend für mein ganzes Leben – ich hatte eine wahre Angst vor dem Augenblicke!

Und ich, rief Helene aus, ich hätte es gar nicht ausgehalten bis zu dem Augenblicke ich hätte den Brief längst selber aufgerissen, glaub' ich, aus unsaglicher, schrecklicher Neugier, was denn darinstehen könne!

Und ich hatte doch recht, entgegnete Ludwig, daß ich mehr Scheu und Zagen fühlte als Neugier – sind wir heute glücklicher als gestern, wo der Brief noch nicht erbrochen war?

Glücklicher? Viel glücklicher freilich nicht! sagte Helene, die außergewöhnlich ernst war, mit zu Boden geschlagenen Blicken. Ich habe mir das schon gesagt, als ich vorhin auf dich wartete. Die Sache ist eigentlich doch sehr verdrießlich für uns ausgefallen! Was bist du für ein grenzenlos unpraktischer Mensch: erstens bist du ein Künstler, zweitens hast du eine solche unvernünftige Abstammung an dir und drittens hast du als Vermögen das todte Pferd eines alten Ritters, der auch todt ist: kann man sich unpraktischer in die Welt hineinstellen? Was fang' ich armes, unglückliches Kind nun mit dem argen Papa Böhmer an, nun ich nicht stolz an der Seite eines Prinzen vor ihn treten und sprechen kann: Papa Böhmer, hier hast du deine Tochter wieder, und hier die Perle aller Schwiegersöhne? Kunstjünger, Kunstjünger, du mußt mich sehr, sehr liebhaben, fuhr sie, sich zärtlich an ihn anschmiegend, fort – damit du mich entschädigst für all den Verdruß, den ich nun mit Papa Böhmer haben werde! Ich kann doch nicht immer hier bleiben, und was beginne ich nun mit dem harten, eigensinnigen Manne, der so schwer Vernunft annimmt?

Ludwig seufzte tief auf. Wir sind freilich recht unglücklich! sagte er. Fürs erste wirst du doch nun hier bleiben müssen, bis …

Bis Papa Böhmer mich richtig ausgefunden hat! Denn meinst du, der hätte nicht längst alles in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, wo ich eigentlich stecke? Und er ist so schlau, so schlau, so schlau – ich bin in ewiger Angst, daß er in der nächsten Stunde da ist – und das wäre fürchterlich! Denk dir die Beschämung, so entlarvt dazustehen vor Fräulein Eugenie und Fräulein Hermine – und vor dem ganzen Hausgesinde, dem neidischen, zänkischen Volke – und was würde Eduard sagen – der brave Eduard, der so verliebt in mich ist – und dann ins Kloster gesperrt zu werden– sind das nicht ganz schreckliche Aussichten? O, Ludwig, setzte sie pathetisch hinzu, glaube es mir, eine gute Tochter geht niemals bei Nacht und Nebel ihren Aeltern durch – es ist wirklich gar nicht vernünftig!

Es ist nun aber einmal geschehen, versetzte Ludwig kleinlaut – und was jetzt beginnen?

Ja, was beginnen? Ich will dir's sagen, du einfältiger Kunstjünger; ich muß mir schon selbst helfen, du weißt doch nichts Praktisches zu rathen! Sieh, ich werde sogleich einen schönen, sehr schönen Brief an Papa Böhmer schreiben, einen noch schönern, als der war, den ich ihm zurückließ, wie ich heimlich fortlief. Ich werde ihm sagen, daß ich nun einmal deine Frau werden wolle, und wenn sich auch die Pforten der Hölle dawider aufbäumten – dawider aufbäumten, das ist kräftig gesagt, nicht wahr? Und dann werde ich ihm sagen, du seiest auch eigentlich ein reicher Mann, und das könne er schon sehen aus der Abschrift des Briefes des alten Nesselbrook – eine solche Abschrift werde ich beilegen – und er brauche jetzt nur das richtige Testament herbeizuschaffen, dann sei alles in Ordnung, und ich werde auch zu ihm zurückkehren, wenn er mir verspreche, daß er mich nicht ins Kloster sperren lassen wolle.

Dieser Plan schien Ludwig gut.

Aber, fragte er, wie soll der Vater dir seine Antwort zukommen lassen?

Die Antwort? Ich denke, er gibt sie deiner Mutter, die sie dir zusendet.

Das ginge – meine Mutter ahnt nicht, wo du bist, und kann dich also auch nicht verrathen.

Und, fuhr Helene fort, wenn Papa Böhmer sich damit einen reichen Schwiegersohn verschafft, so verschafft er sich auch das Testament.

Glaubst du wirklich, er vermöchte das?

Du sollst es sehen, Papa Böhmer verschafft es sich!

So laß uns gleich ans Werk gehen – ich muß meiner Mutter schreiben, du schreibst deinem Vater.

Ja, laß uns gleich gehen – ich werde dir meinen Brief bringen, du sollst ihn lesen und sehen, wie rührend er ist; er soll sich zu Thränen rühren, und dann sollst du mir die Kommas darin machen – willst du?

Ludwig versprach, die Kommas zu machen, und beide wandten sich, um ihre Arbeit zu beginnen.

In diesem Augenblicke sahen sie einen schwarz gekleideten Mann von hoher Gestalt, mit dunkelm Haar und gebräuntem Gesichte, das ein schwarzer Vollbart umrahmte, durch den Garten daherkommen; er schritt, das Haupt ein wenig vorgebeugt und wie in Gedanken verloren, an ihnen vorüber, grüßte, sie mit einem kalten Blicke streifend, leichthin und ging auf die Terrasse zu, welche an den Zimmern Eugeniens herlief.

Der sah bös aus! sagte Helene.

Wer ist das? fragte Ludwig.

Weiß ich's? Sicherlich ein guter Bekannter von Fräulein Eugenie, denn sieh, er geht geradeswegs auf die Terrasse zu – und jetzt, jetzt tritt er durch die offene Thür ohne weiteres in ihr Zimmer.

Sahst du ihn noch nie?

Niemals, sagte Helene – und das ist dein Glück, Kunstjünger – in den könnte ich mich verlieben, so grausam böse sieht er aus. Ich glaube, dem könnte man, wenn er liebte, sagen: du, wende mir einmal den Mond um, ich will den Mond auf der Rückseite sehen – er brächt's zu Stande!

Was dir für Einfälle durch den Kopf gehen, sagte Ludwig; ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht an die Schattenseite des Mondes gedacht!

Du hast recht – die Erde hat schon Schattenseiten genug, antwortete Helene seufzend – besonders wenn man solch einen unpraktischen Kunstjünger zum Schatz hat! Aber komm jetzt!

 

Der Baron Jauffroi von Montenglaut war in der That auf demselben Wege, den er gestern ausgekundschaftet hatte, um unangemeldet zu Eugenie von Chevaudun zu gelangen, in das Schloß eingetreten und wie gestern hatte er das Glück, Eugenie allein zu finden.

Sie erschrak diesmal nicht, wie sie es gestern gethan hatte; sie warf das Buch, über dessen Blätter sie in Gedanken versunken weggeblickt hatte, beiseite und sagte trotzig, ohne Jauffroi anzusehen:

Ich habe nicht erwartet, daß ich Sie so rasch schon wiedersehen würde; daß ich dem nicht entgehen würde, wußte ich freilich voraus!

In Jauffroi's Augen leuchtete etwas auf, das wie ein Gefühl des Triumphes oder der Freude aussah. Sie hat sich also mit mir beschäftigt und mich erwartet! mochte er sich sagen. Zu Eugenie sagte er ruhig, beinahe nur halblaut:

Ich mußte zu Ihnen kommen, Eugenie. Ich komme, Gott ist mein Zeuge, nicht, Sie zu quälen oder zu langweilen! Ich komme einfach, um Ihnen zu sagen, daß ich das Obdach nicht annehmen kann, welches Sie so großmüthig mir gewährt haben.

Und weshalb nicht?

Weil mich Ihr Förster so ungefähr zur Thür hinausgeworfen hat.

Eugenie horchte auf.

Wie ist das? sagte sie. Welches Unheil haben Sie bereits angerichtet, daß man trotz meines Befehls …

Ich habe kein Unheil angerichtet – Ihr alter Förster hat ganz einfach in mir einen Nachfolger für seine Stelle gesehen, einen Menschen, den Sie kommen lassen, um ihn zu ersetzen; und diese Voraussetzung hat ihm und seiner Familie ein Betragen gegen mich eingegeben, daß ich nicht dahin zurückkehren kann.

Aber so werde ich selbst nach Alt-Dornegge fahren, um diesem thörichten alten Menschen …

Bemühen Sie sich nicht, fiel Jauffroi ein; ich kann nicht wieder unter sein Dach einziehen, es ist unmöglich! Und so werden Sie mir schon erlauben müssen, die Mühle unten zu meinem Hauptquartier zu machen; verstatten Sie mir das, Eugenie, es ist das Einzige, was ich von Ihnen verlange, denn, beim Himmel, ich bin nicht im Stande, eine mühselige Bettlerfahrt ohne Ziel in die Welt hinein schon jetzt anzutreten! Ich bedarf einiger Tage Ruhe; ich bin – müde!

Der Baron sprach dieses Wort mit einem Tone tiefer Hoffnungslosigkeit.

Sie? Können Sie je ermüden?

Solange ich einen Schimmer von Hoffnung hatte, nicht. Seitdem ich Ihre Briefe gelesen, ist auch dieses Gefühl über mich gekommen. Ja, ich bin müde; müde, weiter zu wandern, weiter zu leben.

Aber nicht müde, mir Ihre grenzenlose Leidenschaft zu versichern! fiel sie ein mit verächtlich zuckender Lippe.

Das ist wahr, sagte er ruhig, denn diese Leidenschaft wird das sein, was in mir glühend bleibt, solange noch Athem in mir ist. Das ist nun einmal nicht anders; Sie müssen sich darein finden, wie ich mich darein finden muß. Und für mich, denk' ich, ist dieses Schicksal härter als für Sie. Ihre Briefe haben mir zwar alle und jede und auch die letzte Hoffnung genommen, aber daran haben sie nichts geändert. Im Gegentheil, ich habe aus Ihren Briefen nur noch mehr Leidenschaft geschöpft. Ich habe daraus die volle Berechtigung meiner Leidenschaft gesehen …

Sie fallen in die alte Sprache zurück!

Das wollte ich nicht. Ich wollte Ihnen nur eine Erklärung geben. Sie ist sehr kurz und kann Sie nicht verletzen. Sie sprechen in Ihren Briefen die Ueberzeugung aus, daß ein Wille von furchtbarer Hartnäckigkeit mich in einen Kampf mit Ihnen getrieben, in welchem ich den Sieg um jeden Preis verlange, und daß ich nach diesem Siege Sie behandeln könnte nach dem alten Satze: Vae victis! Darin irren Sie. Ich bin allerdings eine Natur, die einen Willen hat. Aber ich habe um Sie geworben, weil Sie ebenfalls eine Natur sind, die einen Willen hat, weil Sie die mir von allen verwandteste Natur sind.

Wir verwandte Naturen?

Ja. Sie haben mit Ihrem Willen alle Ihre Verhältnisse durchbrochen – es gehörte eine Kraft dazu, von der ich stolz sagen darf, daß sie der meinen verwandt ist.

Ich habe mit meiner Kraft nur nach dem Guten gestrebt; ich habe einen Schritt in die Unabhängigkeit gethan, welche mir verstatten sollte, unbeirrt von allem, was mir seine Herrschaft auferlegen wollte, den richtigen, meinem eigensten Wesen entsprechenden Weg durchs Leben zu finden. Ich strebte nach Wahrheit. Ich wollte die Unabhängigkeit nicht aus frivolen, selbstsüchtigen Gründen. Ich wollte nur in der Schule des Lebens lernen, was wahr und was gut sei.

Was hat Ihr Wille mit dem meinen zu schaffen? Ihr Wille geht nur auf Befriedigung Ihrer Selbstsucht.

Sie nehmen die Sache sehr einfach, um mich kurzweg zu verurtheilen. Und doch haben Sie unrecht in dem, was Sie über sich, und dem, was Sie über mich sagen. Wir beide sind bis heute denselben Pfad gegangen, denselben, den alle starken Naturen gehen, Frau wie Mann. Sie haben mit weiblicher Zagheit sich das zu verhüllen gesucht, sich zu Ihrer Vertheidigung vor sich selbst einen Mantel darübergeworfen. Sie folgten wie ich Ihrem ursprünglichen Wesen, Ihrem Willenstriebe, Ihrem Drange nach dem Leben, wie es Ihre Natur forderte. Aber weil nach den Ihnen anerzogenen Vorstellungen ein junges Mädchen das nicht soll, weil das unmoralisch genannt wird, sagten Sie sich: »Ich suche ja nur, ich suche die Wahrheit und werde auf diesem Wege nicht weiter gehen als bis an die Grenze der Unabhängigkeit, welche dem Weibe verstattet ist. Wo ist diese Grenze, zeigt mir sie, ihr sollt sehen, wie bereitwillig und fromm ich vor ihr halt mache!« – Ich bin ganz so wie Sie meinem Drange nach dem Leben, wie es meine Natur fordert, nachgegangen, aber ich habe mir selber nichts dabei vorgelogen. Mein Wille folgt jenem Drange, soweit es meine Natur fordert und er ihm folgen kann.

Und darum ist Ihr Wille schlecht!

Das leugne ich. Der Wille ist nie schlecht; er ist ein Trieb meiner Natur, er ist ein Diener meiner Natur, meines Wesens, und unverantwortlich für seinen Herrn.

Nun, so ist der Herr schlecht!

Eine Natur kann schlecht sein, allerdings. Sie ist dann schlecht, wenn sie das Niedere und Gemeine liebt. Wenn Sie das Böse vollbringt um des Bösen willen. Wenn sie weh thut und zerstört, um weh zu thun und Zerstörung anzurichten. Sind wir solche Naturen? Nein, weder Sie noch ich! – Die große Frage, welche Sie beschäftigt, die Frage nach der Grenze, hinter der das Unweibliche beginnt, ist leicht zu lösen. Folgen Sie immer Ihrem innern Lebensdrange und scheuen Sie sich nicht, zu thun, was dieser gebietet, so lange, bis Sie fühlen, daß Ihr Wille stillsteht. Er wird stillstehen, wo Ihre Natur nicht weiter wollen kann, weil Ihre Natur eine gute und edle ist. Vertrauen Sie auf diese. Das ist die einzige, die ganze Lebensphilosophie, deren Sie bedürfen.

Das ist eine gefährliche Philosophie. Wenn nun die Natur, die ursprünglich eine gute und edle ist, sich durch Trugschlüsse oder durch Leidenschaften fortreißen läßt zu dem, was sie nicht wollen darf?

Diesen Einwurf erwartete ich. Sie haben recht. Gegen falsche Trugschlüsse und gegen ihre Leidenschaften gibt es nur einen Schutz für das Weib. Und das ist der Mann. Das Weib bedarf des Mannes, wenn es Trugschlüssen und Leidenschaften unterworfen ist. Nur diejenigen, welche sich beiden durchaus unzugänglich fühlen, nur die, welche sich in nicht zu trübender Klarheit und unfehlbarer Vernunft wandeln fühlen, kalte, liebeleere Ausnahmswesen, bedürfen seiner nicht.

Dessen rühme ich mich nicht; also bedarf auch ich des Mannes?

Ich antworte darauf mit einem festen und vernehmlichen Ja! – sagte Jauffroi ruhig.

Wozu dann alle Philosophie – das Weib kann dann ja sich ganz aufgeben und alles mit den Augen des Mannes sehen!

Dann hat der Mann an ihr nicht die regelnde Kraft, die zwischen ihn und den Gegenstand seines Wollens tritt, wenn ihn Trugschlüsse und Leidenschaften hinreißen. Der Mann bedarf des Weibes.

Ich sehe, Ihr System ist rund und abgeschlossen, Baron Jauffroi.

Das ist es allerdings, und Ihre Lippe braucht dabei nicht verächtlich zu zucken. Mein System ist ein solches, welches dem Weibe neben mir die höchste Stelle einräumt. Daß das Weib des Mannes, der Mann des Weibes bedarf, haben wir, denk ich, beide erfahren. Als Mann hätte ich Sie bewahrt vor dem excentrischen Schritte, den Sie gethan; als Weib hätten Sie mich abgehalten, mein Vermögen zu vergeuden.

Eugenie zuckte die Achseln.

Glauben Sie, ich bereute den »excentrischen Schritt«, den ich gethan? fragte sie kalt.

Ja! antwortete Jauffroi sehr bestimmt. Es ist für Sie der Schmerz daraus gefolgt, sich in einem Menschen getäuscht zu sehen, den Sie, wie Sie mir versicherten, »geliebt« haben, und die Nothwendigkeit, mich hier anhören und sich gestehen zu müssen, daß ich recht habe.

Ich gestehe mir nur, daß ich recht hatte, wenn ich mir sagte, daß der Kampf zwischen uns nimmermehr enden würde!

Eugenie sah hierbei sehr niedergeschlagen zu Boden; die Energie, welche sie bisher in dieser Unterredung gezeigt, schien sie zu verlassen, sie legte, wie müde, ihr Haupt auf die Lehne des Stuhls zurück.

Jauffroi betrachtete sie mit einem beobachtenden, aber unruhig über ihre Züge gleitenden Blicke. Er hatte in dem Kampfe mit ihr einen neuen Schachzug gethan. Er, der anfangs voll Hoffnungslosigkeit, Entsagung und Demuth gewesen war, hatte es gewagt, zu verrathen, daß er auf seine alte Bewerbung zurückkomme, daß er sie nicht aufgegeben, daß er sie neu beginne.

Und Eugenie war nicht empört, nicht entrüstet darüber. Sie war still, wie ergeben in ein unvermeidliches Schicksal, wie müde, zu kämpfen.

Jauffroi sagte sich, daß er einen großen Schritt vorwärts gemacht. Er fand es für gut, für heute nicht mehr zu verlangen. Er stand auf, indem er sagte:

O nein, es ist von einem Kampfe zwischen uns nicht mehr die Rede! Ich bin wahrhaftig nicht dazu gekommen, Eugenie! Was ich Ihnen sagen wollte, habe ich ja auch gesagt. Es lag mir daran, Ihnen die falsche Vorstellung zu nehmen, als hätte mein Gefühl für Sie ein ganz anderes Gesicht zeigen können, sobald Sie mir nachgegeben hätten, sobald Sie die Meine geworden – als hätte ich mich dann rächen können für das, was Sie mich haben leiden lassen. Viel um Sie gelitten habe ich, das ist wahr! Was eine Männerseele leiden kann, davon hat ein Weib keine Ahnung. Das Weib gibt dem Schmerze nach, weicht vor ihm zurück; der Mann ist wie das Pferd, das in den Stahl, den es fühlt, sich hineinstürzt. Das Weib läßt den Schmerz wie einen Schauer über sich dahingehen; der Mann aber ringt mit einer Flamme.

Ja, fuhr Jauffroi, kühl an sich haltend und mit vollkommener Ruhe fort, ich habe fürchterlich gelitten. Ich habe mir oft gesagt: weshalb hat der alte, zornige Zeus den Prometheus an den Felsen geschmiedet und ihm die Leber durch einen Geier aushacken lassen – er hätte ihn lieben lassen sollen, ein kokettes, herzloses Weib – keine Schmerzen wären größer gewesen! Diese Schmerzen haben Sie nie gerührt, Ihnen nie den geringsten Eindruck gemacht. Sie haben mich zu Grunde gehen sehen mit jener Ruhe, womit wir, tief in Gedanken oder Träumereien versunken, in die Flamme unserer Lampe blicken und die arme Motte, welche sich hineinstürzt, verbrennen sehen. Aber gesetzt, es wäre anders gewesen und Sie hätten mich endlich erhört – hätte ich das, was ich mit einem so furchtbar hohen Preise, so grenzenlos theuer erkauft haben würde, je misachten können? Das ist unmöglich! Sie wären mir immer das höchste Kleinod der Erde gewesen, erkauft mit mehr, als alle Könige der Welt aus ihren Schatzkammern zahlen können.

Und Sie hätten keine Stunde vergehen lassen – antwortete Eugenie, ohne mir diesen Preis bitter vorzuwerfen!

Nein, ganz sicher nicht! Dann hätte ich gestanden, daß ich wie ein Thor gehandelt und Sie zu theuer erkauft – und das thut ein stolzer Mann niemals!

Eugenie antwortete nicht, sie legte ihr Haupt wieder mit der Miene tiefer Ermattung auf die Lehne des Sessels zurück, und die Augen hielt sie geschlossen. Jauffroi wandte sich und verließ durch die Terrassenthür das Zimmer.

Er schritt die Treppe, welche in den Garten führte, hinab und langsam den Garten nieder. Am Ende desselben warf er sich auf dieselbe Bank, auf welcher vorher Helene und Ludwig gesessen.

Zuletzt, sagte er sich hier, den Absatz seines Stiefels zornig in den Kies stoßend – zuletzt bezwingt ein eiserner Wille doch alles, selbst dieses herzlose, hochmüthige Geschöpf. Der Eigensinnsteufel solch eines Mädchens wird endlich doch zu Boden gezwungen, wenn man zehn Teufel daraufsetzt! Und ihrer zehn fühle ich in mir, bei Gott! Ich habe zu viel gelitten um sie, zu viel! Es müßte einem Menschen so viel Qual, so viel Wuth, eine solche Pein des zurückgestoßenen Verlangens nicht zugemessen werden! Es war zu viel für Einen, es war genug, um zwanzig Menschenleben damit zu vergiften! Und an dem Gifte haben sich die zehn Teufel in mir großgesogen und sind böse, wüste Gesellen davon geworden!

Seltsam! Das Herz voll Teufel haben und daneben doch noch Platz für solch ein Weib! Spräche dieses Mädchen nur einmal die Sprache der Güte und des Vertrauens zu mir – alle die Teufel wären verflogen! Zum Verzweifeln ist's – sie will immer nur Kampf, Streit; sie hat nur Demüthigungen für mich. Nun wohl, so sehen wir, wer siegt in dem Streite, sie oder ich!

Der Mensch ist ein wunderliches Geräth! Ich sehe klaren Auges bis in die Tiefe meines eigenen Wahnsinns! Ich verkomme und verderbe durch diese Leidenschaft. Ich bin ein Bettler darüber geworden und kann's darüber noch bis zum Mörder bringen – ich wüßte nicht, wovor ich zurückbebte in dem Kampfe um sie! Und doch – und doch, wenn ich's auch so klar sehe, daß ich hohnlachen könnte über mich selber – doch hat die Welt nur den Einen Punkt, um den sie sich für mich wälzt, und die Sonne mag auf- oder mag niedergehen, sie findet mich bei meinen quälenden Gedanken an sie! Elender Sklave dieses Einen Gedankens – armer, bejammernswerther Sklave – zerreiße die Ketten, schleudere sie in die Hölle zurück, die sie dir angelegt hat! – Du hast nicht einmal den Muth, es zu versuchen!

Und sie – sie will unabhängig sein! Unabhängig!

Jauffroi lachte laut auf, indem er höhnisch dieses letzte Wort sprach.

Er sprang auf.

Am Ende bin ich ja doch auch gar solch ein Narr nicht! Sie ist ja die Erbin von zehn Millionen! Das rechtfertigt mich in den Augen jedes Esels von Philister. Zehn Millionen! Millionenmal lieber wäre es mir, sie wäre eine Bettlerin!

Jauffroi schlenderte nach diesem Ausbruche seiner innern Erregung langsam zur Mühle hinunter. Er hatte schon gestern, als er dort eingekehrt und die ersten Erkundigungen nach Schloß Dornegge und seinen Bewohnern eingezogen, sich ein Unterkommen gesichert. Die Försterwohnung war ihm zu entlegen für seine Plane.

Als er die Mühle betrat, fand er Gäste darin. Es waren ein junger, sehr elegant gekleideter Herr, dann zwei jüngere Leute und ein Diener in einer grauen Livree. Ihr Aeußeres zeigte, daß sie auf einer Fußwanderung begriffen; sie trugen Reisekittel; auf einer Bank unter den Fenstern der großen Küche lagen kleine Tornister, und der Diener war eben an dem vor dieser Bank stehenden langen Tische mit einem eleganten Reisenecessaire beschäftigt, das er auspackte, um dem eleganten Herrn ein Flacon und eine kleine Schachtel daraus zu bringen.

Der Herr hatte sich ans Ende der Bank in die Ecke der Wand gesetzt; nachdem er an das Flacon gerochen und aus der Schachtel einige Pastillen genommen, lehnte er sich völlig in die Ecke zurück und warf, da ihn die umherschwärmenden Fliegen belästigten, sein Taschentuch über Stirn und Augen – er schien ein wenig schlummern zu wollen, bis die am Herdfeuer in der Mitte der Küche beschäftigte Müllersfrau das Essen bereit habe.

An der entgegengesetzten Seite der Küche befanden sich ebenfalls breite, niedere Fenster und darunter eine Bank mit einem Tische. Hier hatten die beiden andern Herren Platz genommen, und mit lang ausgestreckten Beinen und untergeschlagenen Armen an die Wand zurückgelegt, beobachteten sie die Bewegungen eines jungen Mädchens mit einem hübschen, frischen Gesichte, das ab- und zuging und der Mutter die Sachen, welche diese für ihre Töpfe bedurfte, aus verschiedenen Winkeln und Wandschränken herbeiholte.

Der eine von ihnen, der einen sehr unsteten Blick und sehr tief liegende, kleine Augen in einem nichts weniger als angenehmen, gerötheten Gesichte hatte, winkte jetzt, sobald der feine Herr drüben seinen Sehkreis in einer ihm sehr willkommenen Weise beschränkt hatte, dem jungen Mädchen. Dem Bedienten, der zu ihm herüberblickte, zeigte er dann mit einem Ausdrucke zorniger Drohung die geballte Faust, worauf dieser lächelnd die Achseln zog.

Als das Mädchen zu dem Rothen herantrat, zeigte dieser mit geheimnißvoller Miene auf einen Glasschrank, in welchem sich mehrere große Glasflaschen mit verschieden gefärbten Flüssigkeiten und einer Anzahl kleiner Gläser befanden.

Sie sah ihn fragend an; dann sagte sie unbefangen:

Wünschen Sie einen Schnaps? Was soll ich Ihnen geben?

Pst, pst! machte der junge Mensch, erschrocken zu dem Schlummernden hinüberblickend.

Dieser hatte nichts gehört. Draußen das Wasserrauschen und das Mühlengeklapper beherrschte jedes andere Geräusch viel zu sehr.

Holder Engel, flüsterte der Rothe, ich wünsche aus deinen lieben, kleinen Händen allerdings so etwas, und wenn es nicht Frevel ist, von dir etwas andere als Liebliches und Süßes zu verlangen, so gib mir einen »Bittern«!

Das Mädchen sah lächelnd den wunderlichen Gast an, ging aber, ein Glas und eine Flasche zu holen, und schenkte daraus dem Rothen eine braune Flüssigkeit ein.

Der Rothe goß sie in Einem Schlucke hinunter.

Bruno! sagte jetzt verweisend der andere junge Mann.

Was willst du? flüsterte Bruno zurück. Was aus den Händen dieses harmlosen Heckenröschens kommt, ist lauter Unschuld und schmeckt süß wie Honigseim! Herz, noch einen Bittern!

Geben Sie ihm nicht mehr, sagte der andere junge Mann – er darf nicht so viel trinken!

Das junge Mädchen sah zweifelnd zu diesem hinüber.

Pfui, Axel, sagte jetzt Bruno, du wirfst den Zwiespalt in diese junge Seele! Du verdirbst ihre holde Natürlichkeit, die sich mit unbewußtem Reize am meisten zu dem Gaste hingezogen fühlt, welcher in ihrer Bude den meisten Stoff vertilgt! Nicht wahr, Heckenrose, wir verstehen uns? fuhr er, das junge Mädchen um die Taille fassend, fort. Sträube dich nicht, komm, liebe mich und gib mir – noch einen Bittern!

Sie entwand sich ihm, schenkte aber das Glas wieder voll.

So, das ist brav von dir, Heckenrose, sagte Bruno, während sie das Glas füllte. Und höre, zur Belohnung will ich dir jetzt auch sagen, wer wir sind und wozu wir in die Mühle gekommen.

Nun, wozu sind Sie denn gekommen? fragte halb spöttisch, halb neugierig das junge Mädchen, das bisjetzt über den spaßhaften Herrn fortwährend still gelacht hatte.

Wir sind eine Commission, Herz, wir sind abgesandt von einem frommen Vereine in der Stadt, der jährlich fünf junge Mädchen mit je tausend Thalern ausstattet – aber sie müssen enorm tugendhaft sein ganz unerschütterlich tugendfest – begreifst du? Und wir, Kind, siehst du, sind die Probecommission. Darum nimm dich in Acht – besonders vor dem da oben, der jetzt thut, als ob er schliefe. Das ist ein Schlimmer! Den hat der Verein gerade dazu ausgesucht, weil er so fromm aussieht und so hübsch glatt und rosig und milchweiß wie ein Prinz, daß jedes Mädchen ihm einen Kuß geben möchte! Aber sei klug, Heckenrose; sobald er dir ein freundliches Wort sagt, mach' ihm ganz fürchterlich grob begreiflich, daß du ein ehrliches Mädchen seiest, die sich von solch einem Milchgesichte aus der Stadt nicht berücken lasse; gib ihm eine Maulschelle, kratze ihm die Augen aus, wüthe – je rasender und gröber du gegen ihn bist, desto sicherer bekommst du den Tugendpreis!

Das junge Mädchen lachte laut auf.

Ach, gehen Sie, rief sie aus, wir lassen uns hier von den rothen Gesichtern ebenso wenig betrügen als von den Milchgesichtern! Sie wollen mich zum besten haben!

Pst! Nicht so laut! sagte Bruno jetzt, warnend den Finger auf den Mund legend.

Aber das Gelächter und die lauten Worte des jungen Mädchens hatten den Ruhenden schon aus seinem Halbschlummer aufgeschreckt. Emporfahrend, sah er das Mädchen sich eben mit Flasche und Glas dem Schranke wieder zuwenden.

Bruno, Sie haben getrunken! rief er unwillig aus.

Wahrhaftig nicht – Graf Axel kann es mir bezeugen! Graf Axel forderte das junge Mädchen auf, mit der Versuchung an mich heranzutreten; aber ich habe schnell ein Ave gesprochen, und damit habe ich die Anfechtung überwunden!

Graf Axel, das war sehr gewissenlos von Ihnen! sagte der elegante Herr. Ich muß Ihnen solche Scherze sehr ernst verweisen!

Graf Axel zuckte die Schultern und während Bruno unendlich spöttisch zu ihm hinüberblickte, kniff er auf höchst bezeichnende Weise das Auge zu. Wo keine Versuchung ist, Durchlaucht, da ist auch keine Tugend! sagte er.

Die junge Durchlaucht antwortete nicht. Sie sah mistrauisch die beiden Tugendüber an – offenbar mit dem Verlangen, zu ergründen, ob man ihr die Wahrheit gesagt oder nicht. Sollte Bruno, auf dessen vollständige Heilung von seiner sündhaften Schwäche Prinz Günther so stolz war, … sollte er wirklich noch geistige Getränke lieben? Es wäre entsetzlich gewesen!

Er wandte sein Auge auf das Heckenröschen. Sie mußte es wissen. Sie allein konnte ihm die Wahrheit sagen.

Er stand auf und ging in der großen Küche auf und nieder, mit seinen Augen dem jungen Mädchen folgend, wie um eine Gelegenheit wahrzunehmen, wo er sie unter vier Augen fragen könne, ob man ihn getäuscht oder nicht … die Sache war so erregend, so wahrhaft beängstigend für ihn!

Das junge Mädchen ging vielbeschäftigt umher – aber die ihr zugewendete Aufmerksamkeit des Prinzen, entging ihr nicht; wenn Sie an ihm vorüberschritt, warf sie ihm einen Blick zu, als ob sie sagen wolle:

Der macht mir Augen, weiß Gott, als ob's wirklich an dem wäre, was das rothe Gesicht gesagt hat! das wär' mir just recht! Komm' mir nur, du geschniegelter Milchbart!

Zuletzt trat sie durch eine halb offen stehende Thür, die unmittelbar hinter dem großen alterthümlichen Uhrkasten in eine niedere und nur sehr unvollkommen erleuchtete Kammer führte, welche zur Aufbewahrung von allen möglichen Vorräthen zu dienen schien.

Prinz Günther that wie neugierig. Er folgte ihr und sagte auf der Schwelle der Kammer:

Ah … das ist ja sehr zweckmäßig eingerichtet … hier die Küche, und der Raum zur Aufbewahrung aller nöthigen Vorräthe unmittelbar daneben … wie praktisch unsere Bauerhöfe doch angelegt sind … was bewahrt Ihr guten Leute in einem solchen Gemach denn alles auf? Du mußt mich das einmal sehen lassen, liebe Kleine …

Prinz Günther trat in die Kammer hinein, und dabei zog er wie in der Zerstreuung, wie ganz unwillkürlich die Thür hinter sich zu.

Bruno stand auf und eilte von seinem Platze mit einigen raschen unhörbaren Schritten an die Thür. Schade, daß sie zugezogen war. Die Vorgänge da drinnen entzogen sich dadurch völlig der Beachtung. Bruno vernahm nur ein sanftes Lispeln und Flüstern der prinzlichen Stimme und dann ein zorniges Aufschreien – ein Geräusch – die Thür flog auf, Prinz Günther aber wie um und um gewirbelt in die Küche herein – die Heckenrose, doppelt roth, stand auf der Schwelle, die Arme in die Seite stemmend … es war sehr unmädchenhaft, das höhnisch triumphirende Gesicht, das sie machte, und dieses wilde kampflustige Wesen, das sie zeigte.

Wissen Sie jetzt, was Sie wissen wollten, schrie sie, Sie saubrer Musje Sie, der einem in die Kammern, worin Sie nichts zu schaffen haben, nachschleicht mit seinem: du liebes, gutes Kind und: sag' mir, mein schönes Kind und solcherlei Flausen? Können Sie nicht hier vor allen Leuten reden, wenn Sie etwas Ehrliches zu sagen haben?

Der Prinz war so betroffen, daß er sie starr anblickte, ohne ein Wort vorbringen zu können, und, wie gelähmt von seiner Ueberraschung, seinem herbeispringenden Diener überließ, ihm den in Unordnung gerathenen Rockkragen wieder niederzukrämpen.

Die Müllerin am Feuer ließ ihre Zange fallen vor Verwunderung über die Scene.

Aber Lene! rief sie aus – du bist ja sonst gegen junge Burschen nicht ein solcher Drache …

Gemach, gemach, gute Frau, sagte Prinz Günther jetzt Athem schöpfend und sich von der Heckenrose, die so dornicht war, abwendend … scheltet sie nicht – es ist ja alles nur ein Misverständniß – glaube mir, gutes Kind, wandte er sich an die Heckenrose zurück, ich achte deine Tugend! Auch mag dein Leben unter ungebildeten und zum Theil rohen Menschen es entschuldigen, wenn der Charakter dieser Tugend ein wenig hitziger und gewaltthätiger Art ist! Hättest du mich zu Worte kommen lassen, so würdest du gesehen haben, daß du mir unrecht thatest. Dies Unrecht aber verzeihe ich dir von Herzen!

Nun Ihr nehmt's glatt und sanftmüthig, sagte die Müllersfrau, unwillig die Achseln zuckend.

Prinz Günther aber wandte sich ruhig, als ob nichts geschehen, seinem Platze wieder zu, während Bruno und Axel vor unterdrücktem Lachen vergehen wollten.

Die Heckenrose blickte jetzt höchst mistrauisch und wie wieder irre werdend auf Bruno.

Was habt Ihr denn zu lachen? flüsterte sie an ihm vorübergehend … ist's doch nur blauer Dunst, den Ihr mir vorgemacht habt? Dann nehmt Euch in Acht! Der Georg aus der Mühle drüben wird's Euch eintränken, wenn ihr mich zum besten habt!

Damit ging sie mit verdrossener Miene den Tisch zu decken.

 

Jauffroi hatte dies alles beobachtet, nachdem er still am untern Ende des Tisches, an welchem die beiden jungen Männer saßen, Platz genommen. Er fragte sich vergebens, in welchem Verhältnisse die drei zueinander stehen könnten. Bald aber nahmen seine Gedanken eine andere Richtung und wurden erst daraus erweckt, als die Müllersfrau vor ihn trat und ihm sagte:

Das Essen ist fertig, Herr – wollen Sie sich nur zu den andern Herren setzen!

Das junge Mädchen hatte drüben auf dem obern Ende des Tisches vier Couverts mit blanken Zinntellern aufgelegt und brachte jetzt eben die Suppe.

Jauffroi ging hinüber, wo die drei bereits Platz genommen; er setzte sich zu unterst neben den mit dem langen, misvergnügten Gesichte, den er Graf Axel hatte nennen hören.

Die fremde Gesellschaft sprach zuerst ein Tischgebet und dann begann der Prinz die Suppe vorzulegen.

So viel ist gewiß, sagte Graf Axel, nachdem er die Suppe, welche er mit auf den Tisch aufgestützten Elnbogen aß, gekostet hatte – so viel ist gewiß, ein besseres Diner hätten wir bei dieser ehemaligen Gouvernante da oben bekommen, wenn wir dort einen Besuch gemacht hätten!

Und wenn sie auch ein Frauenzimmer ist, fiel Bruno ein, für einen anständigen Keller wird Burghaus gesorgt haben, der ja ihr Factotum sein soll!

Jauffroi horchte bei diesen Worten hoch auf.

Bauen Sie auf diesen Keller keine Hoffnungen, Bruno! sagte scharf Prinz Günther. Wir werden keinen Besuch bei Fräulein Eugenie von Chevaudun machen!

Aber ich begreife nicht, fiel Axel unzufrieden ein, was uns der Proceß angehen soll, den Ederns mit Burghaus führen, und weshalb wir nicht lieber in Schloß Dornegge diniren als in dieser alten Keuche von Mühle!

Die Gegner unserer Freunde müssen unsere Gegner sein! bemerkte in demselben Tone der Prinz.

Wenn Beltram noch bei uns wäre, sagte lachend Axel, dann hätten wir freilich keine besonders freundliche Aufnahme zu erwarten gehabt! Daß dieser verdammte Bursche auch nicht einmal schreibt! Es war doch ein toller Streich, mit einer Theaterprinzessin durchzugehen!

Der Prinz machte eine sehr verdrießliche Miene.

Sie sprechen sündhaft leichtsinnig darüber, Axel. Sie sollten wenigstens den Kummer achten, den mir Baron Beltram durch sein ganzes Betragen gemacht hat!

Axel verzog spöttisch die Lippen, während Bruno mit einer Miene der Verachtung das Glas zur Seite schob, welches ihm eben die Müllersfrau mit einem leichten Biere gefüllt hatte.

Wenn Sie Nachrichten vom Baron Beltram wünschen, sagte hier Jauffroi, der jetzt seine Leute nach Fanny's Mittheilungen längst erkannt hatte, zu seinem Nachbar, so kann ich sie Ihnen geben.

Sie? fragte Axel, während sich die Blicke der drei Fußwanderer auf den Fremden richteten, den sie bisher wenig beachtet hatten.

Zufällig! versetzte Jauffroi. Baron Beltram ist in Neapel. Seine Theaterprinzessin aber hat in ihm einen für ihren Geschmack zu ledernen Burschen erkannt, hat ihn verlassen und pflegt jetzt den Baron Dankmar von Gohr, der dort krank liegt.

Die beiden jungen Menschen sahen sich an und dann lachten sie einträchtig laut auf. Sie hatten Beltram zu sehr beneidet, um ihn nicht mit herzlichem Vergnügen einen ledernen Burschen nennen zu hören, den seine Theaterprinzessin verlassen habe.

Ist das wahr? fragte sehr ernst dazwischen der Prinz Günther. Und woher wissen Sie das?

Ich komme aus Neapel, entgegnete Jauffroi, und lernte dort den Herrn von Beltram kennen, ganz hinreichend, um die Ansicht seiner Prinzessin, wie Sie sie nennen, über ihn zu theilen.

Sie drücken sich scharf aus, mein Herr, versetzte Prinz Günther sanft. Der junge Mann, mit welchem ich mir unendliche Mühe gab, ihn auf den Weg der Gnade zurückzuführen, hat mich aber allerdings schlecht belohnt, und auch um ihn habe ich einen tiefen Schmerz dem lieben Herrgott aufopfern müssen.

Jauffroi warf bei diesen Worten einen halb spöttischen, halb mistrauischen Blick auf den frommen Mann, dessen Erziehungsresultate so glänzende waren; dann sagte er:

Nun ist aber alles, was ich Ihnen über Herrn von Beltram mittheilen kann, zu Ende. Wollen Sie diese Auskunft vergelten mit einer andern?

Und mit welcher?

Sie sprachen eben von einem Herrn von Burghaus, als befreundet mit dem Fräulein von Chevaudun – Sie nannten ihn ihr Factotum …

Herr von Burghaus ist der Verlobte, wie man sagt, von Fräulein Gohr, der Freundin des Fräuleins von Chevaudun, und beide, heißt es, seien unzertrennlich zusammen …

Und dieser Herr von Burghaus hat einen Proceß mit einer Familie Edern? fuhr Jauffroi fort.

Allerdings, entgegnete Prinz Günther – einen Proceß, von dem viel die Rede ist, weil es sich um eine große Summe handelt, die von einem ausländischen Bankhause Herrn von Burghaus zugesendet ward und auf welche die Familie Edern bessere Anrechte zu haben behauptet.

Und wer ist die Familie Edern? fragte Jauffroi.

Der Prinz Günther gab ihm Auskunft; er erzählte ihm von der Gräfin und von Graf Boto, und Jauffroi war durch kurze, kalt und gleichgültig hingeworfene Fragen bald von allem unterrichtet, was die in Neapel erhaltene Auskunft über die Verhältnisse der Gegend bestätigen konnte. – –

 

Die zähen gebratenen Hühner, welche den Hauptbestandtheil des Mahles bildeten, waren bei dem Appetit der beiden Jünglinge, die den Prinzen begleiteten, bald vertilgt. Jauffroi erhob sich, machte der Gesellschaft eine kühle Verbeugung und ging in den Baumgarten hinaus, um sich hier an einer schattigen Stelle auf den Rasen zu werfen.

Es lag etwas wie ein Ausdruck innerer Befriedigung auf seinem Gesichte, als er dabei murmelte: daß ich auch nicht eher an diesen Proceß, diesen Burghaus dachte! Vortrefflich, daß mich diese Thorenbande daran erinnerte! Am Ende ist mir damit ja der Schlüssel zu der stolzen Feste da oben in die Hand gelegt. Nun halt aus, Herz, halt aus!

Nach einer Weile sah er durch die Lücken der Hecke, welche den Baumgarten von dem Wege trennte, den Prinzen und seine Begleiter davonschreiten. Der Prinz und Axel gingen vorauf, jeder mit einem leichten Tornister versehen; dann kam der Bediente und ganz zuletzt, nach einer Weile Bruno – er hatte sich vielleicht bei der Heckenrose aufgehalten und noch einmal ihren Anfechtungen sich ausgesetzt, um sie mit derselben Tugendstärke wie am Vormittage zu überwinden.

Bald darauf verschwand die ganze Gesellschaft aus den Augen Jauffroi's und wanderte dem nächsten Edelhofe zu, dem sie auf ihrer Fußtour die Ehre zudachte, ihr ein Nachtlager zu gewähren.


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