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Ein Herkules

In der Rauhenöd oben, weit hinten in den Waldbergen, wo sich nach dem Gespöttel der »Dörfler« in den Vorbergen draußen Füchse und Wölfe gute Nacht wünschen, ist gar manches merklich anders als in der übrigen Welt, in den Vorbergen unten oder gar weiter draußen im Flachgaue. Drei Vierteljahre Winter und ein Vierteljahr kalt, Erdäpfelchen so groß wie Haselnüsse und Sommerkornähren wie halberwachsene Bremsen.

Vor etwa einem halben Jahrhundert lebten ihrer zwei in der Rauhenöd, die gutding noch um einen Kopf größer waren als alle die anderen in dieser Gegend: Der Hansen-Gürg und der Lippel-Gang. Scherzweise nannte man sie fast überall die kleinen Buben von der Rauhenöd. In der Größe waren sie einander hübsch gleich: jeder seine vollgemessene zwei Meter oder etwas darüber. Sonst aber hatten sie nicht viel Ähnlichkeit. Früher konnte man sagen, jeder wäre sogar das Gegenstück vom anderen.

Der Gürg hatte eine Redegeläufigkeit wie ein … Viehhändler. Dabei schnitt er in allen Stücken ärger auf wie der herrschaftliche Jäger. Aber er fürchtete sich wie ein junger Hund und ging des Abends nicht ohne die dringendste Notwendigkeit vor die Türe.

Der Gang jedoch fürchtete bekanntermaßen nichts, weder Arbeit noch Gespenster noch Menschen. Ihn vermochte nichts aus seiner hainbuchenen Ruhe und seinem unerschütterlichen Gleichmute zu bringen. Weder eine Arbeit noch eine abfällige Rede oder dergleichen. Nicht einmal der jähe Anblick eines Grenzaufsehers oder des Jägers, wenn er zu nachtschlafender Zeit lautlos und schier gespensterhaft seine … Gänge verrichtete.

Tagsüber stand er daheim bei seiner Mutter oder gelegentlich auch bei einem Nachbarn in Arbeit und Geschinde. Er aß für zwei und arbeitete für drei, wenn es sein musste, und ging selbst des Nachts noch hie und da dem Verdienste nach, wenn andere schliefen und schnarchten. Und das trug oft mehr als einen Taglohn. Freilich, gewagt war es eben.

Um dieses wusste er schon lange, aber er lachte nur dazu, wenn einmal eine versteckte Anspielung fiel. Er … paschen oder wildern? Gar kein Darandenken. Er wäre froh, wenn er nach des Tages Geschinde seine Ruhe hätte. Oder er patschte gleich mit seiner Bärenpranke auf den Schenkel, dass es nur so klatschte, und lachte so herzlich wie ein Kind … Nicht übel. Er paschen oder gar wildern! Nicht im Traume würde ihm das einfallen.

Einmal stand ihm jedoch das Erwischtwerden schon verzweifelt nahe. Er hatte wohl zu aller Vorsorge die Schuhe mit Fetzen umwickelt und ebenso den schier armdicken Stecken, um nicht gehört zu werden, aber in seinem Dahinsinnen hatte er doch weniger acht auf alles rings umher. Und so kam es, dass er jählings knapp vor einem Finanzer sich befand.

Erschrecken, er, der Gang …? Nein, das gab es nicht, das mochte der andere tun. Tat es aber auch.

Kaum hatte der Grenzer den Anruf heraußen, war vor und um ihn her niemand mehr zu sehen und zu hören. Lediglich das Dunkel des nachtenden Waldes. Sonst nichts, sonst gar nichts. Wo also war der … Kerl hingekommen? Oder war es etwa gar kein Kerl, sondern ein wahrhaftiges und wirkliches Gespenst, wie solche nach den Erzählungen der Bergbewohner durch die Nächte geistern sollten? Er gab aufs Geratewohl einen Schuss ab, drückte die Mütze etwas fester auf die sich gelinde sträubenden Haare und ging heimzu.

»Der Lippel«, mutmaßte der Jager sofort, als ihm der Finanzer etliche Tage nachher den Spuk auf der Mühlberghöhe erzählte.

»Unmöglich«, zweifelt der trotzdem. »Ein baumlanger Ker, ich hab' ihn nicht kommen und nicht verschwinden gehört. Wie ein Mehlstäublein weggeblasen und verschwunden.«

Der zweiten Sonntag nachher wurde diese Spukgeschichte schon im Wirtshause als neueste Neuigkeit erzählt.

Der Gang klatschte gewohnter Weise kräftig auf seinen Schenkel und lächelte in aller Seelenruhe vor sich hin.

»Auch nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht. Da müsste einer wahrhaftig rennen, wenn ihm so etwas unterliefe …«

*

Herbstmarkt im Städtel draußen in den Vorbergen.

Auf dem Plätzlein vor dem Gerichte hatte ein findiger »Unternehmen« lediglich zwei Zimmerböcke aufgestellt und quer darüber ein zweizölliges Brett gelegt. Ein Haufen Nägel und ein Hammer waren seine ganze Ausrüste. Nichts, als dass jedweder seine Kunst im Nägeleinschlagen zeigen und ausnützen könnte. Der Nagel einen Sechser, und wer ihn mit drei Hammerschlägen durch das Brett triebe, bekäme fünf Sechser gezahlt.

Das junge Volk klopfte und hämmerte, und der Unternehmer steckte Sechser um Sechser ein und zahlte keinen zurück. Die Zuschauer lachten und witzelten. »Zuerst vorbohren, damit es leichter geht …!«

Der Gang schaute auch eine Weile zu und lächelte. Als aber einer zehn Sechser verklopft hatte und den Hammer verärgert wegwarf, konnte er sich nimmer zurückhalten.

»Narrenspiel! Zu so einer Spielerei braucht man doch nicht erst einen Hammer.

Er nahm einen der Nägel auf, und ehe die Zuschauer und selbst der »Unternehmer« wahrzunehmen vermochten, wie er den Nagel in die Hand und in die Faust nahm, hob er diese auch schon zum Schlage. Ein wuchtiger Faustschlag, und der Nagel stak im Brette und ragte mit der Spitze durch die Unterseite.

Die Gaffer schauten auf den Hünen, und der »Unternehmer« schimpfte über Schwindel, Täuschung und Geschäftsstörung.

Behaglich vor sich hinlächelnd schob der Gang sich durch das Gedränge weiter.

Im Garten des Bräuwirtshauses zeigte ein Kraftmeier seine Künste und Stärke. Ein »Herkules«, wie auf den knallroten Zetteln in spannlangen Buchstaben zu lesen stand; der stärkste Mann der Welt und der unbesiegbare Meisterringer. Alle und jegliche waren zum Ringkampfe aufgefordert, demjenigen fünfhundert Gulden versprochen, der ihn im Ringen bezwang.

Der Gastgarten war gedrängt voll Schauer. Alle betrachteten und bestaunten die kleinen verblüffenden Hexereien des metzgerdicken Gauklers und bewunderten die Kraft, mit der er Zentnergewichte wie Spielbälle herumwarf, Ketten sprengte und Eisenstäbe verbog wie Birkenrütlein. Keinem kam ein Gedanke, sich mit so einem … Menschen auf ein Ringen einzulassen. Dem Jager aus der Rauhenöd nötigte der Fürwitz eine solche Neckerei ab, da er und zwei Grenzaufseher an einem der Tische saßen und zufällig den ebenfalls zuschauenden Lippel-Gang ersah.

»Lippel!«

»H'!« pfauchte der und kam hinzu.

»Hast es gelesen? Fünf Hunderter wären zu verdienen. Wenn du den Krautschneider da oben der Länge nach auf die Bretter legtest! – Keine Schneid?«

»H'! Unsereiner kann sich daheim genug plagen.«

»Um fünf Hunderter könnt' einer schon etwas wagen«, riet auch der Aufseher.

»Traust dich wirklich nicht?« So wieder der Jager, der dem Heimtücker hübsch eine Niederlage gegönnt hätte.

»Was mich nicht brennt …«

Mittlerweile hatte der »Herkules« bemerkt, dass da etwa einer wider ihn gehetzt werden sollte. Der Größe nach ein nicht zu unterschätzender Gegner. Das aber lief ihm wider Strich und Rechnung. Also beizeiten … abkühlen!

»Nun, was ist es? Wenn der lange Herr Lust hätte … Nur immer herauf auf die Bühne. Aber das muss vor allem vor Zeugen gesagt werden: Ich hafte für nichts … Also bitte!«

Der Gang überlegte. Sollte er oder sollte er nicht?

»Hosenpumperer!« hetzte der Jager weiter. »Fünf Hunderter! Und um einen Gulden rennst daheim halbe Nächt' herum. Pack' an!«

»H'!« Wahr war es ja: Fünf Hunderter! Und mehr als ein Mensch war der Maulwerker da oben auch nicht. Höchstens, dass er ihm an Kniffen etwas voraus hatte. Ganz wurscht war es. Dann begann er langsam zu nicken und hierauf Hut und Joppe abzulegen. Und ebenso langsam stellte er sich vor die Bühne des … Unbesiegbaren.

»So gehen wir es halt an, wenn … du gerade meinst.«

»Ich mache Sie nochmals aufmerksam«, suchte der einzuschüchtern. Doch der Gang zauderte nicht mehr.

Vorsichtig und auslistend gingen die zwei Kraftmenschen aneinander, jedem Zucken eines Muskels das Gleichgewicht haltend. Dann zogen sich einmal die Arme des Gang wie sich verbeißende Ketten zusammen und um den Leib des Gegners. Dann ein Ruck. Die Füße des Dicken hoben sich vom Boden und erreichten diesen nimmer. Nach einigem Zappeln und Strampeln plumpste er auf die Bretterbühne.

»Das galt nicht«, prustete und keuchte der Dicke schon während des Aufkrabbelns. »Das ist kein spielgerechtes Ringen. Das ist … gegen alle gültigen Regeln. Das ist …«

Gemächlich lächelnd stand der Gang, während die Zuschauer alle nur so wieherten und brüllten vor Gefallen und Beifall.

»Magst etwa nochmals? Sagst halt zuerst, wie du es haben willst.«

»Hat ohnehin nichts gefehlt«, behaupteten einige sportkundige Zuschauer. »Wie es eben sein soll: Kraft wider Kraft. Verspielt ist verspielt … Nur zahlen, Euer Gnaden.«

»So etwas muss nach den allgemein gültigen Sportregeln ausgetragen werden«, kniff der Kraftprotze aus. »Nicht wie stoßende Waldochsen. Morgen soll es sich entscheiden. Ich werde zwei Fachmänner als Schiedsrichter herbestellen …«

»Morgen kannst mir … auf den Kirschbaum steigen!« sagte der Gang völlig enttäuscht. Morgen sagen bekanntlich alle, die heute nicht wollen. Ein leichter Ärger schlich sich bei ihm an von wegen der fünf Hunderter, die eigentlich die Triebfeder gewesen sind, und ein nachdrängend kotzengrobes Geschimpfe verdrückte er schandenhalber.

Der eine Aufseher aber nickte bedeutsam vor sich hin: »Mit so einem Kunden wäre nicht alle Tage gut Kirschen essen. Wenn der gerad einmal unrecht verstände.«

»Als Gespenst ist er noch am ungefährlichsten«, zwickte der Jager den anderen Aufseher, dem der Gang damals so jäh zu Gesicht gekommen und auch wieder verschwunden sein soll. »Aber im Ernste meine ich, scheute einer mit solchen Kräften ein Halbdutzend Höllgeister nicht …«

*

Es war im Maien und der schönste Sonntag seit Langem. Da stopfte sich der Gang nach dem Mittagessen seine Sonntagspfeife und holte den Stecken aus der Ecke, um auf den Kuhhandel zu gehen. Dieser Tage hatte seine Mutter die Rotscheckige verkauft, die schon etwas ältlich und fett geworden. Nun brauchte man wieder eine andere Kuh, eine jüngere, die gut zur Milch war, im Zuge ging und billiger war.

Vom beinahe wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne wie wahrhaftig glühend hernieder auf die Erde, und selbst über den Berghängen und den Höhen rührte und regte sich kein Lüftchen. Er zog die Joppe aus, hängte sie über die Schultern und ging seiner Handelswege hin und wider. Da fragte er hier und dorten, doch überall war etwas, das ihm nicht gerade taugte. Und wenn schon das Vieh annehmbar gewesen wäre, taugte wieder der Preis nicht dazu. Über lauter Hin- und Herrennen wurde es Abend, und in der Weite draußen stieg kohlschwarzes Wettergewölk auf.

Da war es also an der Zeit, den Heimweg unter die Füße zu nehmen. Bis in die Rauhenöd hinauf zog sich noch ein gut Stück Weges, und daheim war daheim. Vielleicht hatte er mit dem Handel ein andermal mehr Glück.

Das Wettergewölke stieg und stieg, und seine Schritte wurden allmählich auch immer länger. In den Berghängen oben hörte er einmal hinter sich etwas keuchen und schnaufen.

»Du! Du! Hörst: lasse mich auch mitkommen!«

Er blieb stehen und schaute um. Des Riegelkaspers Everl, das wahrscheinlich auch auf dem Heimwege sein mochte.

»Die Füße zu kurz oder der Atem?« scherzte er leichthin.

»Ein Wetter kommt«, schnaufte das Dirndl wieder.

»Mhm.«

»Und ich fürchte die Wetter so viel!«

»Und … wo hast dich denn verschwätzt?«

»Bei der Schwester drüben im Mooseck. Wie es schon geht. Derweilen steigt das Wetter auf. Zu Tode froh bin ich, dass ich doch einen Weggefährten erwischt habe. Weißt: mutterseelenallein in einem Gewitter … Und … wo gehst denn du hin, wenn man dich fragen darf?«

»Kuhhandel.«

»Etwas gefunden?«

»M … na …«, das war seine Verneinung. Das viele Reden wurde ihm schon mählig zuwider und lästig. Und wie es den Anschein hatte, ging nicht so bald ein Ende her. Wenn der Schwatzkasten da auf eigene Faust fortmaulwerken wollte, konnte es ihm ja so weit recht sein; er hätte ein wenig Unterhaltung dabei.

»Der Vater verkauft eine; eine gelbschimmelige. Weißt, so ein Trum Simmentaler.«

»Mhm.«

»Das dritte Kalb, gut zur Milch, zieht wie eine Schraube und ist sicher nicht aus dem Preise.«

»Wie viel?«

»Da musst schon selber fragen. Ich weiß nichts. Das kürzeste: Du gehst gleich mit. Weit ist nicht hin. Wäre die passende Kuh für dich.«

Eine Zeitlang sann und grübelte er stille vor sich hin. Sollte er, oder sollte er nicht? in einem Gange war es ja so weit, und wenn er schon eigens auf dem Handel herum strolchte … Vielleicht geriet ein Kauf.

»Nun ja«, besann er sich.

»Gehst also mit?«

»Mhm …«

Immer höher und höher stieg das schlehenfarbige Gewölke, immer kräftiger wurde das Donnerbrummen, und bald flunkerten und sprühten die Blitze durch das zunehmende Dunkel. Bei jedem Blitze zuckte das Dirndl erschreckt zusammen, und vor jedem Donnerschlage stieß es einen halb verdruckten Furchtschrei aus. Manchmal musste er hell auf lachen, ob solchen kleinkinderhaften Gehabens. Daheim musste sie schon die Stelle und Arbeit eines Knechtes versehen und hatte noch nicht mehr Verstand in solchen Stücken! So eine Närrin und Hasenherz müsste er schon heimliefern zu seinen Leuten und unter Dach und Diele, auch wenn kein Kuhhandel in Aussicht stünde.

*

Es war im Spätherbste. Über die sonnigen Hänge und Höhen flutete der goldige Herbstsonnenschein in seiner ganzen Fülle, Schönheit und Wärme. Die Spinnweben zogen in ganzen Streifen und faul und träge durch die wasserklaren Lüfte, und Baum und Strauch leuchteten und prangten in allen Schattierungen von Rot und Gelb wie riesige Blumensträuße.

Und so einen Tag musste einer verschleudern und verschlankeln!

Da hätte sich wohl der alte Winkelsimmerl auch eine andere Zeit aussuchen können zum Sterben und Begrabenwerden, eine Zeit, wo nichts oder nicht viel zu versäumen war. Jetzt, wo man noch alle Hände voll Arbeit hatte … Doch auf die Leich' musste eines gehen. Da galt keine Ausrede. Erstens war es Christenpflicht und uralter Brauch, zweitens ist alles auf Abzahlung eingerichtet, und drittens war man weitschichtig in der Verwandtschaft.

Die Everl meinte beim Fortgehen, bis zu Mittag könnte er, der Gang, wohl wieder daheim sein, auf dass nachmittags noch etliche Wagen voll dürrer Laubstreu in die Schupfe gebracht werden könnten, aber das zweifelte er schon von vorneweg an. Das ließe sich nicht ermachen. Mittag würde es fast, bis Begräbnis und Totengottesdienst vorüber waren, und bis in die Rauhenöd herauf zog sich noch ein gut Stück Weges. Aber … so früh wie möglich. Schon der Laubstreu wegen.

Die Everl war nämlich seit Jakobi sein Ehegemahl und … Haussegen!

An demselben Gewitterabend, da er sie heimgebracht, hatte er die gelbschimmelige Kuh noch nicht kaufen können, aber etliche Tage nachher war man handelseinig geworden. Die Gelbschimmelige war ihr Geld wert. Aber zu Jakobi hatte ein anderer Handel seinen Abschluss gefunden. Er, der Gang, hatte diesmal die Everl aus dem Rieglerhause fortgeführt, und der alte Kaspar hatte ihm als Draufgabe noch hübsch etwas ausgezahlt.

Um die Erntezeit herum war ihm die Einsicht aufgedämmert, dass die Gelbschimmelige eigentlich mehr wert gewesen wäre und er sonach einen guten Handel gemacht hatte, dass ihm aber mit der Everl trotz der Mitgift doch das kürzere Trum in der Hand geblieben war. Ehedem hatte er immer behaglich gelächelt und selbst hellauf gelacht, wenn jemand von einem … Haussegen oder einem Hauskreuz geredet, nun lächelte er nimmer dazu. Es kam ihm manchmal vor, als ob kleine Kreuze genau so schwer sein könnten wie große. Vor dem Wetter hatte sich der kleine … Drach' gefürchtet, selbst aber konnte es manchmal einer Kleinigkeit wegen eines machen, dass männiglich daran langte.

Doch: Auf die Leich' musste er gehen, und bis Mittag konnte er beim besten Willen noch nicht wieder daheim sein. Aber nachher so bald als möglich.

Mit dieser Voraussicht ging er fort. Aber was sind oft Voraussichten und Fürnehmen? Bis der Gottesdienst zu Ende war und man noch ein wenig herumgeschwatzt, war es Mittag. Der wollte auf eine Halbe ins Wirtshaus, ein anderer auch, und er selber hatte ebenfalls Hunger und Durst. Man ging also … auf eine Halbe ins Wirtshäusel. Da jedoch der Dunner in der Rauhenöd oben noch eines als Falle für die ehrsamen Rauhenöder aufgerichtet hatte, fiel der ganze Leichgängerflug auch noch da hinein. Weil es schon wurscht war. Der Tag war ja sowieso schon verschlendert und verschlankelt, und wenn man morgen trachtete, das also Versäumte wieder halbwegs hereinzubringen …

Die Stimmung hob sich. Späße und Neckereien wurden lebendig und wirbelten hin und wider, und hübsch ein Teil umschwirrte den Gang. Jungverheiratete sind immer eine gesuchte Zielscheibe für harmlose Neckereien, und der junge Lippel vermochte sich noch dagegen nur langsam und etwas schwerfällig zu wehren. Er lachte zumeist nur in seiner mit allem zufriedenen Weise vor sich hin oder schlug sich klatschend auf die Schenkel.

»Nicht schlecht … auch nicht übel …«

Zufällig streiften einmal des Schafhüblers Blicke zum Fenster hinaus und nach der stark dem Untergange neigenden Sonne. Gleich darauf stieß er den Gang mit dem Ellbogen an, und ein recht schadenfrohes Grinsen zuckte in seinem Gesichte.

»Du! Mir scheint, bei dir wird bald Polizeistunde«, zahnte er recht hämisch.

»Ich?«

»Deine junge Alte kommt.«

Dem Gang gab es schier einen Riss, als er durchs Fenster schaute … Wahrhaftig: die Everl! Mehr brauchte er nimmer zu wissen. Mit einem jähen Ruck fuhr er in die Tasche und warf das Geld für die Zeche auf den Tisch.

»Da! Der Gescheitere gibt nach. Könnte mit der Zeit eine Gewohnheit daraus werden. Soll umsonst hergegangen sein. Ich … bin schon vor einer guten Weile fort. Verstanden?«

Und dann hastete er unter dem Gelächter und Gewitzel der anderen zur Stubentür hinaus und durch den Stall nach der Rückseite des Hauses dem nahen Wäldchen zu.

»Wieder einmal einer, der im Garn hängt …«

»Helden!« grinste der Jager. »Geschwärzt und gewildert als wie! Den Herkules im Städtel unten hatte er zu Boden geworfen wie eine Spülhader, und hätte vielleicht einmal selbst den Leibhaftigen bei den Hörnern gepackt, so sich ihm dieser in den Weg gestellt hätte. Jetzt geht er schon vor einem Weiblein flüchtig, das er leicht in die Joppentasche stecken könnte. Jetzt wird es auch mit dem Wildern und Schwärzen ein Ende sein. Gottlob! Daheim bleiben, Mannl! … Ja, so sind sie, diese Kunden und Helden. Wie die Löwen, die jeden Elefanten anpacken, aber vor einer Maus davonrennen … diese Herkulesse …«


 


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