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Der Webertod

Ein Leinenweber ist gewiss ein gar nützlicher und notwendiger Mensch auf Erden. Ohne ihn müsste die Menschheit wieder so um- und durcheinanderlaufen, wie sie es etwa vor vielen, vielen Jahrtausenden getan: halbnackt und nur mit Tierfellen bekleidet. Wo es aber deren zu viel gibt, kann dies auch zum Übel werden.

Wie im Hochgefild oben etwa …

Die Leute in den Vorbergen unten und im Flachlande draußen sagen, dort oben gedeihe sonst nichts mehr wie spannlanger Hafer, nussgroße Erdäpfel und zaundürre Weber. Es liegt viel bitterer Spott in solchen Neckereien, doch immerhin auch etwas noch bittrere Wahrheit.

Die ganze Gegend, die »im Hochgefilde« heißt, liegt hoch, sehr hoch. Hängt schier zwischen Himmel und Erde. Zur Zeit der Allerweltskirchweihe leuchtet sie schon häufig im blendenden Weiß des Neuschnees ins Flachland hinaus, und um die Osterzeit herum, wenn anderwärts schon Wiesen und Anger im saftigsten Grün und im Frühlingsblütenschmucke prangen, ist sie noch immer im selben Gewande zu schauen. Drei Vierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt.

Dunkle, windzerzauste Wälder decken die Kuppen und Rücken der Berge; aber diese gehören den großen Herrschaften, den Fürsten und Grafen in der Welt draußen. Was dem übrigen Volke gehört, ist gerodet und gereutet. Magere Wiesen um die kleinen, über Täler und Hänge zerstreuten Einödhäuschen herum, steinige, windschlächtige Feldchen und steinbesäte Ödheiden. Zwei, drei Dutzend Kleinbauern, die in mittelguten Jahren mit knapper Not den Lebensunterhalt für sich und die Ihrigen erbauen; alle anderen Häuselleute, Holzhauer, Weber oder Landfahrer: Maurer, Ziegelschläger und Bettelmusikanten.

Die Landfahrer sind kaum über ein Viertel des Jahres daheim zu treffen; Maurer und Ziegelschläger nur im Winter, Spielleute und Wanderkrämer nur im Sommer. Wer zu sehr mit der notgesegneten Heimat verwachsen ist oder dem zigeunerhaften Wandern in der Fremde keinen Geschmack abgewinnen kann, muss notgedrungen Holzhauer werden oder Weber. Holzhauer jedoch … Jeder Jäger kann jahraus, jahrein nur deren so und so viel Paare beschäftigen.

Wer überzählig ist oder ihm überhaupt nicht zu Gesichte steht, kommt daher nicht an.

Also … Weber.

So wuchs die Zahl der Weber im Hochgefild oben, aber so minderten sich auch Verdienstmöglichkeit und Verdienst. Hie und da wanderte wohl auch deswegen einer oder der andere ab und weiter talwärts und kam nicht wieder zurück.

Das war seit jeher so. Was aber noch nie vorgekommen war, dass einer der Fortgewanderten wieder zurückkam und im Hochgefild bleiben wollte. Der Simmerl-Nandl Einziger! Der Adam! Ein Mensch, den gar nichts mehr in die Heimat zurückziehen konnte. Die Mutter während seiner Wanderfahrt gestorben, keine Geschwister, sogar keine Verwandten mehr in der ganzen Gegend. Was also …?

Eines Sonntags tauchte er auf dem Kirchenplatze in Nussberg unten wieder auf und fragte geflissentlich herum, ob nicht etwa jemand einen Webergesellen brauchen könnte.

Einen Gesellen? Wo die wenigsten kaum Arbeit genug hatten für sich selber oder allenfalls für eines der erwachsenen Kinder!

»Um dich hätten wir geschickt, wenn du nicht selber gekommen wärst«, spöttelte der Hansenjörg in seinem Geschäftsärger. »Wo ohnehin ihrer zehn um einen Strähn Garn raufen.«

»Gesellen! Wäre manchmal schon recht«, schnitt der Schönweber geflissentlich auf. »So für besserer Waren, Gradel oder so Zeug, zu dem man selber nimmer genau genug sieht. Aber muss nicht weit her sein mit dir, weil du anderwärts keine Arbeit hast finden können.«

Jedweder hatte eine andere Ausrede, doch alle liefen sie auf dasselbe Ziel hinaus: Man brauchte keinen Gesellen und … man wollte auch keinen.

»Selber anfangen!« riet daraufhin der Wolfseinöder, ein kleines Bäuerlein im Gehänge des Rötelsteins hinten.

»Schon recht. Wenn ich nur einen Webstuhl und das notwendige Werkzeug hätte!«

Da fehlte es freilich am allerersten Vorbeding, und da half auch kein guter Rat.

Der Kernweber jedoch prustete in seinem Ärger dennoch einen solchen heraus:

»Das Beste ist es, du kehrst gleich wieder um und fragst in einer besseren Gegend. Eh so viel Weber in der ganzen Gegend, dass man die Säue damit füttern könnte. Und für diese die meiste Zeit über keine Arbeit. So viel Verstand könntest leicht selber haben. Und dass ich es dir glattweg sage: Wir lassen keinen mehr aufkommen in der Gegend, dich nicht und einen anderen auch nicht.«

Etliche Augenblicke riss und zuckte es in dem vor Scham, Verlegenheit und Ärger puterroten Gesichte des jungen Menschen wie der helle Krampf. Dann nickte er einige Male hölzern vor sich hin.

»Da … da lässt sich also nichts machen.«

»Nein, da lässt sich nichts machen. Wie ich gesagt habe.«

Als die Glocken zum Gottesdienste riefen, drängte jung und alt in das Kirchlein. Der Bursche aber, der Adam, der Simmerl-Nandl Einziger, wandte sich dorfauswärts. Nach kurzem Weglein jedoch riss es ihn wieder jäh herum und zurück. An drei Seiten umgab der Friedhof das kleine Kirchlein, und dorten musste irgendwo seine Mutter begraben liegen. Aber wo? … Die Leute im Hochgefild haben selten für die Lebendigen genug Geld; für die Toten reicht dieses gar nimmer. Zwei, drei Dutzend verwitterter und vermorschter Holzkreuze, etliche neuere, und alle anderen Gräber ohne Kreuz oder Inschrift. Wo also die Simmerl-Nandl finden?

In einem Gemische von todtraurigen Gedenken und prickelndem Ärger betete er vor dem großen Freithofkreuze ein verworrenes Vaterunser, und dann stapfte er wieder davon und den Berghöhen zu.

Lassen keinen mehr aufkommen, … lassen keinen mehr aufkommen … Wie wuchtige Schlägelhiebe sumste das immer und immer wieder durch sein verärgert und zerrüttet Sinnen und an das Gelass, darinnen der Trotz schlummerte. Bis der richtig wachgepoltert war und sich reckte und schwerfällig auf die Füße raffte … Wieder umkehren und abermals aus der Heimat und in die Fremde wandern? Könnte ihm einfallen. Nun justament nicht. Würde sich weisen müssen, ob keiner aufzukommen vermochte wider diese … Neidhammel. Musste sich weisen … Nein: justament nicht.

Bis er auf die Höhen hinaufkam, hatte ihn der Trutz völlig an Band und Leitseil.

Beim Vorderecker hatte sich der älter Bub beim Blochholzfahren den Fuß gebrochen. Wenn ein Knechtel zu finden wäre! Hübsch kräftig zur Arbeit, aber mit geringerem Lohne zufrieden …

Die Bäuerin klagte ihm dieses und ihre Not, da er auf der Gredbank rastete und am Röhrbrunnen vor dieser seinen Durst löschte. Wenn etwa gar er …

Aber warum denn nicht? Ihm konnte es derweilen gleich sein, was und wo er arbeitete. Dabei ließe sich Zeit gewinnen und vielleicht dies oder jenes erlisten. Irgendein Anfang oder dies und jenes.

Also blieb er auf der Gredbank sitzen, bis der Vorderecker aus der Kirche heimkam, und also verdingte er sich noch vor dem Mittagessen diesen Leuten als Knecht.

»Bist weitaus besser daran, wenn du dich um die Bauernarbeit annimmst«, meinte der Vorderecker. »Viel gesünder wie das Stubenhocken, und wenn ‚dir grad' einmal das Glück wollte …«

Er, der Adam aber dachte: »Justament nicht. Muss sich schon weisen, wer den längeren Halm in die Hand kriegt.«

Denselben Nachmittag hockte er sich hinter den Stadel hinaus und ließ all' sein Sinnen arbeiten wie geschundene Zugochsen. Doch alle Gedanken und alle herbei genötigten Pläne trotteten und keuchten beständig im Ringe herum wie Göpeltiere. Immer wieder nach dem alten Gestapfe dahin und an kein Ziel und Ende. Erst nach Wochen gab es denen einmal einen jähen Ruck aus ihrer Ringelbahn und ein ander Geleise.

Zufällig wurde einmal erzählt, dass der Rumpelmüller verkaufen und in eine andere Gegend einwandern wollte, wo die Leute mehr Getreide und er mehr Arbeit hätte. Wenn …! Die Hütte war wohl ein völliger Moderhaufen, der einem einmal über dem Kopf zusammenfallen musste, aber wenn … Was hinter dieses Wenn gehörte, wusste er geraume Weile nicht. Das fand er erst nach und nach wieder zusammen. Wenn … einer das Geld hätte, den Moderhaufen zu erstehen, wenn er sich dann allmählich emporrackern könnte, und wenn … noch allerhand wäre, könnte sich etwas machen lassen.

Also zuerst das Geld! Er hatte keines, und des Lenharten Zilli, die ihm nebenbei so halb und halb im Sinnen lag, hatte wahrscheinlich auch keines. Wenigstens aber nicht so viel, als er brauchte. Daher taugte sie auch in keines oder zu keinem dieser vielen Wenn. So sann er an ihr vorbei und kam damit auf des Rieglersepperl Liesel. Dieser Rieglersepperl war auch ein Weber, in der Nachbargemeinde drüben, doch eine Ausnahme unter den Webern. Er hatte Geld. Die Leute redeten von viel Geld. Aber die Liesel hatte bislang doch noch keiner heimgeführt. Ihretwegen nun ging er etliche Male in die Nachbargemeinde hinüber. Die Sauberste war sie weitaus nicht, und viele sagten, sie hätte alle Anlagen zu einer richtigen Beißzange. Doch daran stieß er sich nicht. Von der Schönheit wird keine Schüssel voll, und eine richtige Hausfrau sollte eigentlich ein wenig knauserisch sein. Zudem verstand sie das Handwerk des Vaters wie ein richtiger Weberknecht.

Nach wieder einigen Wochen war es so weit, dass er den Gang zum Rieglersepperl wagte und gleich eine ernste Frage anbrachte. Nachdem er in der Fremde draußen da und dorten gearbeitet, in den und jenen Stücken zugelernt und sogar etliche Wochen in einer Webwarenfabrik als … Handlanger einer Maschine tätig gewesen, und nachdem zur Zeit die Rumpelmühle zu verkaufen wäre …

Der Sepperl kannte sich bald aus, was und wo hinaus, aber seit jeher war er ein in allen Stücken vorsichtiger Mensch. Wie nicht Schuster wie Schuster ist, so ist auch nicht Weber wie Weber. Mancher dieser Fretter kann sich oftmals kaum die Spulen für einen besseren Gradl oder gar für ein besseres Zeugmuster zusammenstellen. Aber wenn einer solche Pläne reißen wollte wie dieser Bursche da, dieser Adam, der musste schon etwas verstehen und können, sonst blieb er all' seiner Lebetage ein leidiger Narr. Ehevor der also nicht zur Genüge gezeigt und dargetan, was alles er verstand und konnte, hörte und verstand er nicht. Erst als das letzte Zweifelchen aus dem Wege geräumt war, gab er seinen Beiwillen.

Mit Fleiß und Sparsamkeit könnten sich diese zwei jungen Leute ja wohl über Wasser halten …

*

Im Hochgefilde lachte man, als es lautmärig wurde, dass der Simmerlbub, der Adam, die Rumpelmühle gekauft und dorten zu webern anfangen wollte. Manche rissen ihre Witze und Witzeleien darob, doch der Kernweber hämte nur überlegen.

»Dumm ist er nicht, der Bursch. Er braucht nicht einmal davonzurennen; er kann gleich im Mühlbächlein zu Tale schwimmen, wenn es dazu gerät.«

Nur der Bruckmüller jubelte. Einen gelegeneren Verkauf hätte der Rumpelmüller nicht machen können. Und von Rechts wegen wäre eigentlich er, der Bruckmüller, schuldig, einen Wallfahrtsgang zu machen, weil er auf so gelegene Weise einen lästigen Geschäftsnachbarn los geworden.

Um die Rumpelmühle herum aber wurde es still und ruhig. Die Brettsäge schnarchte und schnaubte nimmer, und das Klappern des Mühlwerkes war vom Kauftage weg verhallet. Dafür konnte man aus der wurmstichigen Moderhütte das Pusten eines Webstuhles vernehmen, wenn man des Weges vorbeikam. Manchmal sogar das Klopfen derer zwei.

»Werden auch wieder einschlafen«, wahrsagte der Kernweber wieder. »Wohin denn, wenn keine Arbeit ist?«

Nach etlichen Wochen jedoch schon ging ihm unverhofft einmal ein Gefühl an, als ob … irgendwo eine Laus im Pelze säße und zu krabbeln anhübe. Am Kaufmann Schindler draußen im Städtel hatte er schon Jahrzehnte her einen ständigen Auftraggeber und Abnehmer. Er holte Garn und Baumwolle packweise von dorten heim und trug die fertig gearbeitete Webe wieder fort. Der Weberlohn war nicht zu arg; aber es ließ sich damit auskommen und davon leben. Jählings aber einmal zwackte der Kaufmann an Garn und Baumwolle ab. Mehr könne er diesmal nicht in Arbeit geben.

Ja: wie und warum? Wo man doch gerade jetzt die meiste und gelegenste Zeit hätte, den ganzen Tag über am Webstuhle zu sitzen.

Mochte sein. Aber etwas schlechterer Geschäftsgang und … das Bedürfnis der immer mehr fortschreitenden Zeit … Das wäre eine Leinwand, mit der man sich sehen lasse könnte, und das wäre ein Stück Bettzeug, um das sich die Käuferinnen nur so rauften. Und er legte zwei Stück Weben auf den Verkaufstisch.

»Fabrikware«, machte der Kernweber verächtlich. »Kennt man schon. Aber Handarbeit bleibt Handarbeit.«

Wohl. Aber diese Stücke wären gute, echte Handarbeit. Dafür könnte er seinen Kopf und selbst sein ganzes Lager versetzen und verwetten.

Wer …?

Doch der Kaufmann schupfte nur die Schultern: Geschäftsgeheimnis. Aber als Geschäftsmann müsste er damit rechnen. Wenn er, der Kernweber, auch dieselbe Arbeit zu liefern vermöchte …

Der besah und befühlte die so gelobte Ware um und um und musste sich selber gestehen, dass sie tatsächlich schöner und besser war wie die seine. Aber wie gearbeitet …? Daran sann und grübelte er den ganzen Heimweg über, und das verdarb ihm daheim Essen und Schlaf.

Wer … und wie?

Dieselbe Erfahrung machten nach und nach auch andere Weber und trieb sie ins selbe Sinnen und Raten. Aber keiner ließ ein Sterbenswörtlein davon verlauten. Jeder klagte nur über die immer schlechter werdenden Zeiten und zusehends magerer werdenden Verdienst, der ohnehin kaum rechtschaffen zum Leben reichen wollte.

Der Simmerl-Adam aber und seine Liesel saßen Tag für Tag von einem Dämmern bis zum anderen in ihren Webstühlen in der Kumpfmühle und traten und puchten darauf los, als gälte es, die Moderhütte so bald als nur möglich zum Einfallen zu bringen.

Man wollte keinen mehr aufkommen lassen, hatte der Kernweber dem in die Heimat Wiederkehrenden gesagt, und nun schaute es schon ganz anders aus. Man hatte Abnehmer und Arbeit, und das war für den Anfang genug. Man konnte sogar immer etwas zur Seite legen. Freilich: Es waren ihrer zwei zur Arbeit und auch nicht mehr zum Essen. Dieses aber …! Die zwei Kühe, die man im Stalle hatte und die den größten Teil der Verköstigung bestritten, schrien und brüllten, wenn sie nicht genug oder ihnen durchaus nicht zusagendes Futter bekamen; sie aber, die Leute … Manchmal nahm sich die Liesel wirklich nicht Zeit zum Kochen, geschweige denn zum Kochen eines richtigen Essens, und manchmal krabbelte selbst Adam über alle Heimzahl- und Streberpläne etwas wie gelinde Reue empor, dass er sich nicht eine geheiratet, die wenigstens ein richtiges Essen auf den Tisch gestellt hätte. Doch: der Anfang, und bis man einmal über diesen hinaus und auf halbwegs festen Füßen sein mochte! Dann würde sich ja alles von selber anders geben.

Von wegen des Essens gab es sich schon im nächsten Jahr. Die Arbeit wuchs. Die Vorteile und kleinen Handwerkskniffe, die er, der Adam, in der Fremde und in verschiedenen Arbeitsstätten aufgeschnappt und erlistet, kamen ihm reichlich zu Nutzen. Seine Arbeit stellte alle Abnehmer vollauf zufrieden. Mit der Arbeit und zunehmendem Verdienste aber wuchs auch das Sinnen und Trachten nach mehr. Man einigte sich, einen Gesellen einzustellen. Für die einfacheren Arbeiten. Möglichst einen ganz Wildfremden, der an die Geschäftsnachbarn nichts verraten konnte. Lohn und Kost verdiente sich bald einer, das Mehr aber häufte sich zum eigenen Verdienste.

Man fand gelegentlich auch einen. Doch der blieb nicht acht Tage im Hause. Allenthalben wäre es der Brauch, dass ein richtiger Arbeitsmensch auch eine richtige Kost erhielte, meinte er. Auch so viel, dass er dabei bestehen könnte … Daraufhin warf ihm die Liesel nach etlichem Herumwörteln die Suppenschüssel an den Leib, und er ging wieder.

Beim Bruckwirte drunten sang er noch ein Spottliedel:

 

»Ich wär' sonst recht gerne
im Hochgefild blieb'n,
doch das elende Fressen,
das hat mich vertrieb'n.«

 

Daraus wuchs der übliche Ortstratsch heraus, reichlich verbrämt mit rauborstigem Geschäftsneide, und die Liesel ärgerte und schämte sich. Sie ärgerte sich schließlich sogar über sich selbst. Sie hatte eingesehen, dass ein Geselle immerhin einen Nutzen brachte, selbst wenn er eine bessere Kost erhielt. Der Adam aber lachte heimlich dazu und ersehnte die Zeit, wo man wieder einen Gesellen kriegen mochte.

Dauerte aber geraume Weile. Man war in Verruf geraten, und nicht jeder wollte anbeißen. Ein wandernder Gesell versuchte es und … blieb. Bis der Sommer wieder ins Land zog und auf die Höhen des Hochgefildes kam, saß sogar noch ein zweiter am Tische.

Nun musste die Liesel aus ihrem Webstuhle und ihre ganze von der Hausarbeit freie Zeit über ans Spulrad. Drei Stühle brauchten Spulen, und man musste oftmals sogar noch die halbe Nacht hindurch spulen, wenn eine neue Kette im Anzuge stand.

»Der Kerl frisst uns auf«, entsetzte sich der Schönweber einmal. »Der hat Arbeit über Arbeit, und bei uns wird sie von Woche zu Woche weniger.«

»Auf diesem Wege geht es dem Verhungern entgegen«, fürchtete der Bärnwastel.

»Als wenn er sich die Abnehmer bannen könnte«, mutmaßte der Kernweber. »Mit diesem Kunden müssen wir anders anfangen.«

»Sagt man …«

»Entweder zieht er mit uns am selben Strick, oder wir ziehen alle wider ihn. Anders geht es nimmer.«

»Wie …?«

»Eine Genossenschaft, eine Webergenossenschaft. Anders geht es nimmer. Wir haben alle Abnehmer mitsammen, wir kaufen mitsammen ein und verkaufen mitsammen. Verstehst mich? Jeder kriegt seinen Teil Arbeit zugewiesen, nicht mehr. So, dass jeder drauskommen kann. Er auch. Nicht mehr. Nachher hört diese Raubwirtschaft von selber auf.«

»Wenn er es tut …«

»Man muss eben reden mit ihm …«

Und am nächsten Sonntag wollte er reden mit diesem … Grauslinge … So und so, und man hätte sich geeinigt, weil erwiesenermaßen und in allen Betrieben Genossenschaften und Vereinigungen weitaus mehr zu erzwecken vermöchten wie einzelne …

Aber der … Wildling lächelte nur überlegen dazu … Freilich wäre solches das Beste und Zeitgemäßeste, und man sollte … das Ross nur in der richtigen Weise aufzäumen und anschirren. Er aber hielte es auch fürder schon so, wie es alter Handwerksbrauch wäre: Jeder auf die eigene Hand.

Er wollte also nicht mitziehen. Gut. Sonach gezwungenermaßen alle Übrigen wider ihn!

Also: alle wider ihn! Nützte aber auch nichts. Man kam auch nicht weiter als man vorher war. Statt sich wider den gemeinsamen Geschäftsschmälerer zu einen, überwarf man sich gleich bei der ersten Beredung. Die liebe Wildheit eben! Die Arbeit konnte man vorerst nicht mehr machen, und von der vorhandenen wollte jeglicher das größte Stück. In erster Reihe der Kernweber, der die ganze Vereinigung lediglich als sein Geschäft ansah. Ohne Weiteres schwang er sich gleich zum Obermacher auf und wollte von allem das längere Stück. Die Webergenossenschaft kam sonach nicht zustande.

Der Adam aber werkte ruhig auf eigene Hand weiter. Er arbeitete für seine Abnehmer und für den Markt. Bis weit ins Flachland hinaus schleppte oder zog er oftmals ein volles Dutzend seiner Leinwandstücke und bot sie auf den Jahrmärkten feil, feine und grobe Hausleinwand, Zwilch, Bettzeuge und sonstige gemusterte Ware. Und er brachte davon nie etwas zurück und wieder heim. Nur Geld. Man kaufte die schöne Ware gern, und was etwa blieb, nahmen ihm die dortigen Kaufleute zu Händlerpreisen ab. Daheim hielt die Liesel alles zusammen und in Gang, Hauswesen und Geschäft. Sie war überall und bei allem. Nur für das Büblein in der Wiege fand sie kaum die notwendige Zeit. Das schrie und wimmerte oftmals stundenlang in einem Atem dahin, bis … es sich eben wieder in den Schlaf geschrien. Was übrigens das einfachste Mittel war, um für eine Weile Ruhe vor ihm zu bekommen. Nur Arbeit, Geschäft und Geld! Etwas anderes gab es nun beim Weber-Adam nicht mehr. Weder bei ihm noch bei ihr.

In dem Maße, als bei diesem die Arbeit wuchs und zunahm, verminderte sie sich bei allen anderen. Manche gaben sich schimpfend, zeternd und trutzend drein, manche nahmen sich vor, es notgedrungen auch mit dem Leben eines Landfahrers zu versuchen, um für die Angehörigen Brot zu schaffen, und einige versuchten es, bei diesem … Arbeitsräuber wegen Arbeit nachzufragen.

Es wäre ja eigentlich ganz gleich, ob er Gesellen hielte oder ihnen Arbeit zukommen ließe, nachdem er deren so viel hätte. Nur damit sie das leidige Leben fortzubringen vermöchten.

Nun ja: Wie es eben die Zeit mit sich brächte. Aber gleich bliebe sich das nicht. Die Gesellen hätte er in der Hand und könnte ihnen auf jeden Faden sehen, auswärtige Weber dagegen nehmen es oftmals nicht so genau, und das brächte das beste Geschäft bald wieder herunter.

Dem Schönweber gegenüber jedoch konnte er sich einer Heimzahlrede nicht erwehren.

»Nun ja: für gröberes Zeug. Besseres, wo man ein Aufsehen machen und das Geschäft erhalten muss …Weißt, muss nicht so weit her sein mit solchen Webern, die nicht einmal ihre alten Kundschaften erhalten können …«

*

Acht, zehn Jahre!

In gleichmäßigem Zuge streicht die Zeit durch das Weltall, durch die unendlichen Räume und am verschwindend kleinen Erdkügelchen vorüber. Im gleichmäßigen Zuge wandert sie wie ein kaum wahrnehmbares Schattenflecklein eines leichten Wölkchens über Erdteile und Länder, und wie im Fluge huscht sie über Gegenden und Menschen. Freilich: wer sonst nichts zu tun hat, als ihrem Kommen und Entfliehen zu achten, dem wird sie lang genug. Oftmals zu lange. Wer jedoch über Hals und Kopf in Arbeit und Schaffen steckt und sich durch das in fiebernder Hast dahin pulsende, harte Leben und Streben mit Einsatz aller Kräfte dahin und hindurcharbeiten muss, dem wird sie häufig sogar zu kurz. Gestern, heute und morgen jagen einander nur so, und wie im Wachträumen ist ein Jahr dahin, sind deren fünf und zehn vorüber.

Im Hochgefild zum Beispiel.

Immer dasselbe blutharte und kümmerliche Leben, immer das Gehen und Kommen der Landfahrer mit dem bisschen Freude, die sie brachten und der gewohnten Sorge, die sie beim Fortwandern daheim ließen. Nur die Brotstücklein der Weber waren noch kleiner geworden. Sonst alles wie vor und ehe.

Nein, doch nicht.

In der Rumpelmühle war dorten, wo ehedem die schnaubende und gemächlich dahin schnarchende Brettsäge gestanden, ein Neubau aufgeführt worden. Alles gemauert, mit großen Fenstern und knallrotem Ziegeldache. Und im Wasserlaufe ein stark aus der Erde heraus gemauertes Loch, beinahe ein Keller oder dergleichen.

»Dass es sich halt da auch mit der Arbeit spießen will«, verhoffte der Kernweber schüchtern und schadenfroh. »Und dass er bei Zeiten umsatteln und wieder eine Klappermühle einrichten will.«

»Glaube ich kaum«, zweifelte der Bruckwirt, als man einmal in seiner Gaststube so riet und redete. »Der reißt Pläne, zähl' ich. Wenn er überhaupt nicht sowieso bauen muss. Ware liegt die meiste Zeit über im Hause, die und jene, und wenn gerad' einmal etwas sein wollte: ein Brandunglück, oder dass die Moderhütte doch einmal aus dem Leim ginge …

Das war näherliegender und glaubwürdiger, wenn auch das Plänereißen keine Unmöglichkeit war.

Ungefähr dasselbe gestand er selbst einmal dem Haidbauern, als der von außen herum darauf zu fragen kam. Läge ein Wert auf Zeug und Waren, die unter Dache wären, und wenn das Unglück einmal wollte … In einem halben Stündlein könnte er als Bettelmann dastehen. In dem feuersicheren Neubaue dagegen wäre solches ausgeschlossen. Und die neuartige Radstube im Wasserlaufe? Konnte man wissen, wie sich die Zeiten einmal änderten und was etwa dem Hanserl, dem Buben, jählings oder notgedrungen einfallen mochte? So wär' es unter ein und demselben Bauen gegangen.

Der Haidbauer glaubte dies, und wer es von dem zu hören bekam, glaubte es auch, weil es sich sogar mit dem Plänereißen vereinbaren ließ. Der Bub! Für den Buben! Ob jedoch der einmal dazu kam, so eine neuartige Radstube auszunutzen? Einstweilen hatte es noch kein Hersehen.

So ein armseliges Menschlein gab es kaum in den ganzen Berggegenden. Dürrhagere, bleichgesichtige und unterernährte Kinder traf man dorten allenthalben auf Schritt und Tritt. Aber es steckte doch Leben in diesem Geniste. Dieser Hanserl aber … dass Gott erbarme! Das einzige Kind in so einem Hause, wo wahrhaftig mit dem Essen nicht geknausert zu werden brauchte und, seit Gesellen dort arbeiteten, dem Sagenhören nach auch nicht geknausert wurde.

»Krank geschunden«, behauptete die Ödschneiderin. »Junges Zeug will Sonne und Luft haben, sonst wird nichts daraus. Auch wenn die Kost etwas spärlicher ist …«

Luft und Sonne aber hatte der Hanserl recht wenig gehabt. Schon ehe er in die Schule ging, musste er tagaus, tagein vom Morgen bis zum Abende am Spulrad sitzen und die leeren Spulen auffüllen. Andere Kinder trieben sich lärmend und spielend auf Wegen und Angern herum; er durfte kaum einmal richtig zum Fenster hinausschauen und hinaussehnen. Die Arbeit müsse beizeiten gewohnt werden, hatte sie, die Mutter, immer gesagt und sonach den Buben immer bei der Arbeit gehalten. Das Schulgehen hatte wohl eine Änderung gebracht, doch nimmer viel gutzumachen vermocht.

Nun krankte und siechte das Bürschchen sichtlich. Sogar sie, die Mutter, musste dies zugeben und eingestehen. Einen Doktor fragen aber, wie der Adam einmal geraten? Warum nicht gar? So ein Räubermensch verlangte vielleicht für etliche Tropfen gleich ein paar Gulden, und zum Schlusse nützten diese doch nichts. Würde sich schon von selbst wieder geben.

Solange man dem Kinde keine Krankheit angemerkt, war der Adam selbst der Ansicht gewesen, dass der Mensch die Arbeit beizeiten gewöhnen müsse, um zeitlebens in solcher Gewohnheit zu bleiben. Nicht etwa, dass er, der Alte, das Geschäft vom leidigen Nichts bis … zur Leinenwarenfabrik empor rackerte, und der Junge brachte es durch Nichtstun oder gar noch Verschwenden dazu wieder bis auf Nichts herunter. In des Alten Gestapfe bleiben und immer weiter hinauf! Aber nun wandelte sich sein Sinn, und die Elternliebe drängte alles andere mit gespreitesten Ellbogen zur Seite. Wieder gesunden! Was wäre ein kränkelnder Mensch in so einem Geschäft? Und wenn er etwa gar frühzeitig stürbe: für wen eigentlich und wozu hätte er, der Alte, sich dann geschunden und abgerackert? Nun brach von seiner Seite her die Sonne durch, die das Kind so selten und spärlich zu sehen und zu spüren bekommen: die bangende Vaterliebe.

Aber es war ihm nur mehr etwas wie der Schein der Sonne, der den sinkenden Tag umflirrt und übergoldet. Das Kind wurde immer bleicher und matter und endlich völlig bettlägerig.

»Nächstes Jahr kriegen wir eine Webermaschine«, tröstete der Adam, wie man eben schon Kinder über etwas hinwegtröstet. Und etwas außerhalb seines gewohnten Sinnens Liegendes fiel ihm auch gar nicht ein. »Da wirst schauen! Ein eisernes Wasserrad, und das treibt dann das ganze Werkel! Das gehört dann dir …«

Der Arzt, den man endlich kommen ließ, schupfte die Schultern … »Ernst, recht ernst; aber hoffentlich gibt es sich bald wieder …«

Das war ein Trost und auch keiner. Wie man es eben nehmen wollte. Wo er, der Adam, Zeit hatte, saß er am Krankenbette des Buben und erzählte dem von dem und dem und jenem, von der weiten Welt draußen und von Erlebnissen auf seiner Wanderschaft. Sobald er, der Hanserl, wieder halbwegs gesund wäre, dürfte er einmal mit ihm reisen und sich das weite Flachland ansehen, alle die vielen Dörfer und Orte, die Stadt mit ihren vielen Häusern und Türmen und die unzähligen Geschäfte und Auslagen. Vielleicht auch eine Fabrik mit schnurrenden und surrenden Maschinen, die zehn- und zwanzigmal so viel schafften wie Menschenhände.

Einmal träumte ihm dann selber von allem dem, das er dem Buben erzählt und versprochen. Von der Stadt, von den Auslagen und Geschäften, an denen sich das Kind kaum genug sehen konnte, und von einer Fabrik mit vielen surrenden Maschinen mit hurtig kreisenden Rädern und treibenden Kolben und Stangen. Mit Augen und Mund schaute der Bub daran. Leute kamen und gingen, immer mehr und mehr; wahrscheinlich Arbeiter der Fabrik oder dergleichen. Dann wuchs eine eiserne Hebelstange sich zum Arme aus, tappte um sich und unter die Leute und riss einem ein Stück Brot aus der Hand und vom Munde. Einem anderen auch … hunderten … allen. Die Maschinen alle wuchsen im Handumdrehen schier zu scheusamen Ungetümen aus, zu Märchenungeheuern mit unförmigen Drachenköpfen, glühenden Augen, armlangen Stahlzähnen und keuchenden, giftdampfhauchenden Mäulern. Die fraßen Brotstück um Brotstück, die ihre stählernen Arme den Leuten vom Munde rissen und in die stadeltenngroßen Rachen warfen. Alle Brotstücke, bis niemand mehr ein Krümelchen in der Hand hatte. Dann griffen die unheimlichen Eisenarme nach den Leuten und zogen sie den Brotstücken nach in die unersättlichen Rachen der Ungetüme. Eines um das andere … Hunderte … Tausende … die ganze Menschheit. Und die Augen der Ungetüme glühten, der nebeldichte Giftdampf zog in dichten Schwaden über den leergefressenen Platz, über das verödete Land und über die ganze Welt …

Als so ein Eisenarm auch nach dem Buben greifen wollte, rissen ihn Schreck und Entsetzen aus Traum und Schlaf. Noch im Wachen gruselte ihm vor diesen Ungetümen und Maschinen. Und knapp neben diesem Gruseln schlich heimlich wie ein Dieb ein seltsamer Gedanke: »Willst selber Maschinen einstellen, die Brot und Leute fressen …!«

Nach Wochen einmal kam die Stunde, wo der Bub aus dieser elendiglichen Welt schied, die ihm über lauter eiskalten Schatten von hastender und fiebernder Arbeit wunderselten ein lichtes Sonnenflecklein geboten, an dem er sein junges wärme- und liebedurstiges Herzchen etliche Augenblicke erwärmen gekonnt, und es hinüberschlief in eine sonnigere Welt, in der Gottes Vaterliebe allenthalben und ewig strahlte.

Da wurde dem Adam für ein Weilchen, als könnte und müsste er sich selber und die Liesel anfallen und in Stücke reißen und die Rumpelmühle mit allem Um und Auf zu einem Häuflein Asche verbrennen. Wenn wenigstens sie, die Mutter …! Doch was wollte er dieser vorwerfen? Hatte nicht er selber sie in diese Arbeitswut hinein gehetzt? Zumindest aber daran nicht abgetragen?

In langem Zuge geleiteten die Schulkinder ihren heimgegangenen Gefährten zum Freithof und zu Grabe, zumeist dürrhagere, schmalgesichtige Geschöpfchen mit daumendicken Beinchen und Ärmchen, aber frisch und queck an Leib und Leben. Dem Adam stach es wie ein Messer durchs Herz, und unversehens perlte ein heller Tropfen aus seinen Augen und rollte die Wangen nieder. Armseliges Geniste, von dem keinem die Not und der Hunger weichen werden, bis es desselben Weges geführt wird. Und sein Bub, der … Erbe des überall angesehenen Geschäftes Adam Holzhacker …!

Schier jedes Haus hatte nach altem Brauch und Herkommen jemanden zum Leichenbegängnis geschickt, und so folgte ein stattlicher Zug dem kleinen Sarge.

Am offenen Grabe schlug das Wehleid noch einmal seine Krallen zutiefst in des Adam Herz und Sinnen, als müsste es herausreißen, was von Rechts wegen nicht hineingehörte. In dieser Stimmung schickte er den Auweberbuben zum Kirchenwirte: Für alle die Schulkinder, die seinem Buben zur Leich' gegangen, ein Töpflein Kaffeesuppe und Semmeln, so viel sie jedes essen. Alles auf seine Rechnung. Und vom Grabe weg gab er dem Schulmeister einen Fünfziger: »Für die Ärmsten; für Strümpfe, Schuhe und … was sie eben brauchen.«

Die Liesel gab ihm entsetzt einen Puff in die Seite.

»Adam! Bist denn … verrückt geworden?« Er aber reckte sich, wie aller Welt trutzend, auf.

»Was: Adam! Unser Einziger. Und heut ist sein Ehrentag!«

In dieser Stimmung hätte es nur einiger Worte bedurft, eines ganz schwachen Tippens an das Zünglein der Waage, und die eine Schale wäre leer in die Höhe geschnellt. Wenn einer so oder so gesagt hätte, oder gar, wenn sein Bub das Mündchen noch einmal hätte öffnen können zu einer kurzen Rede …

»Wozu denn noch? Ich brauche nichts mehr und für euch langt es reichlich, was ihr habt. Lasset den anderen ihren Verdienst und ihr Brot, wie sie dies allweg gehabt haben!«

Geschehen wär's. Kein Wenn und Aber hätt' es dagegen gegeben. Etliche Stunden nachher aber … Wer weiß …? Vielleicht kaum mehr so glattweg.

Auf dem Heimwege rückte die Liesel mit ihrem Tadel heraus ob derartiger Verschwendung. So viel Kinder füttern und gleich einen Fünfziger auf die Straße hinauswerfen! Gleich einen Fünfziger! Nicht ganz das halbe Vermögen!

Etliche Augenblicke wurde ihm beinahe völlig schwindelig. Gerade als ob er bislang eines schmalen Weges dahingegangen wäre und nun plötzlich Halt und Sicherheit verlöre … Ihr Einziger, und etliche lumpiger Gulden wegen, deren Fehlen oder Vorhandensein das Geschäft schon längst nimmer spürt! Das Letzte, das man dem einzigen Kinde noch zu Liebe tun gekonnt!

Ein Abscheu wuchs ihn an wider dieses … herzlose Weib, wider sich und wider die ganze Welt, und er redete des ganzen Heimweges über kein Wort mehr.

Am nächsten Morgen schickte er zum Wolfsöder hinauf. Es wäre eine mittlere Fuhre fertiger Ware in die Stadt zu führen und als Gegenfracht Garn und Baumwolle mit heimzunehmen. Wenn er dazu Zeit hätte …

Der Wolfseinöder fuhr und kam mit der Gegenfracht wieder heim, er aber blieb schier eine ganze Woche aus …

*

»Nächstes Jahr kriegen wir eine Webermaschine«, hatte er, der Adam, den kranken Buben zu trösten versucht. Das hatte er auch im Willen und Vorhaben gehabt; aber diese Maschine kam noch dasselbe Jahr.

Die fiebernde Unrast, die ihn befallen, schob und drängte von allen Seiten an ihn und wider ihn. Es ging ihm wie jedem arbeitgewohnten Menschen, dem die arbeitsleere Öde eines Feiertages zur nagenden Pein wird, zum Straftage. Irgendetwas beginnen oder basteln, um sich über diese gähnende Leere hinüberzufoppen, selbst wenn dies nur eine Spielerei wäre! Rings um ihn her gähnten Öde und Leere. Er wusste nichts mehr, das ihn mit irgendjemandem oder gar mit der übrigen Welt verband. Er wusste nicht einmal mehr, wozu oder für wen er eigentlich noch arbeitete. Lediglich, weil er die Arbeit und das Dahinhasten gewohnt war und weil ihm die Arbeit Langeweile und Weltüberdruss vertrieb.

Daher dieses ungestüme, fiebernde Drängen nach Betätigung und nach Neuem.

Als die Fuhrwerke mählig Eisenstücke um Eisenstücke die Höhen hinaufrackerten und in die Rumpelmühle brachten, ging im Hochgefild neues Raten und Mutmaßen los.

»Was wird er denn da wieder planen? Was …?«

Man riet noch nicht einmal in halbwegs eine Nähe, als diese Stücke in die Kellergrube im Wasserlaufe eingebaut wurden … Vielleicht doch eine Mühle oder dergleichen. Erst als man im Neubaue die Webmaschine zusammen- und aufstellte, kam ein grausiges Ahnen über alle Weber der Gegend. Eine … Webermaschine! Jetzt war es mit diesem Handwerke gar und zu Ende. Jetzt mochte jedweder Webstuhl, Spulrad und Weberschiffchen in den Ofen stecken und verbrennen und dann als Landfahrer hinausziehen in die Welt und in die fremde Weite und zusehen, auf welche andere Weise er für die Seinen ein noch kleineres Brotkrümchen er … betteln konnte.

*

Kirchweih' im Lande, und Totherbst auf und über den Fluren des Hochgefildes. Fahl die Wiesenflecke und die Anger, und herbstbraun die Ödheiden. Schellengeklamper hier und dorten, und auf den kleinen Wiesenfleckchen einsam und einschichtig grasende Kühe, die gierig noch die letzten grünen Hälmchen zusammenrupften, die auf dem fahlen Gelände zu finden waren. Nur in der Nähe der kleinen Bauerngehöfte weidete das Vieh in kleinen Herdchen. Doch Kindergeschrei und Kinderjubel um und um wie zu den Zeiten, wo es noch Arbeit gab und Leben in diesen weltfernen Gegenden.

Im Kirchörtlein Nussberg aber bimmelte ein Glöckchen wehmütig über ein offen Grab. Ein paar Leutchen standen im Freithofe zerstreut umher, schier jedes am Grabe irgendeines seiner Angehörigen. Am offenen Grabe betete der Pfarrer noch ein Gebet und hinter ihm stand Adam Holzhacker, der Weberherr, und schaute drein wie ein Mordbrenner, der Land und Leute vernichten möchte.

Das Leichenbegängnis seines Weibes, und von diesen Notnigeln hatte es kaum eine Handvoll der Mühe wert gefunden, das letzte Geleite zu geben. Aber gut auch. Man wusste nur zur Genüge, wie die Leute waren und wie hinwiederum auch man fürderhin sein musste. Der leichte Morgenwind zauste in seinem schon bleichenden Haar und Barte, aus seinen stahlharten Augen sprühten Ärger und Trutz, und manchmal riss und zuckte es um seinen Mund wie Frostschauern.

Gut, dass man es wusste, wie die Leute sein konnten und waren.

Der Pfarrer und die Messbuben wandten sich vom Grabe und gingen in die Kirche, um sich zum Gottesdienste zu rüsten. Er, der Adam Holzhacker, blieb noch ein Zeitlein am Grabe stehen. Kam aber zu keinem Gebete für seine Toten, weder für die Liesel noch für den Buben, dessen Grabstein hartnahe zu Häupten des offenen Grabes ragte … Wenn er wenigstens den noch hätte! Wenn …!

Wenn … wenn …! Nichts als lauter Wenn, die sich wie die Fäden eines unlösbar verwirrten Garnsträhnes dutzendfach ineinander verschlangen und verketteten. Kein Anfang und kein Ende, und an jedes Wenn hingen sich zehn und zwanzig andere.

Erst als die Orgel in traurig düsteren Akkorden aus der Kirche hallte, ging er und suchte dort in einer der düstersten Ecken einen Platz. Aber er kam auch dorten zu keinem Gebete. Nur wirres Hin- und Her- und Durcheinandersinnen.

Nach dem letzten Amen war er der erste, der durch die Türe … flüchtete. Nur mit keinem Menschen zusammenkommen und mit keinem reden müssen! In dieser Verärgerung schon gar nicht. Als wenn er etwas verbrochen und zu fürchten hätte, hastete er über das Kirchenplätzlein, am Wirtshause und den übrigen Häuschen vorbei und den herbstöden Fluren zu … Heim? Was täte er auch daheim? Von einer Ecke in die andere starren und ins Leere hinein trübsalen? Der ganze Betrieb ruhte. Die paar Leutchen, die er zur Bedienung der vier Maschinenwebstühle benötigte, waren zum Leichenbegängnis gegangen. Beinahe die einzigen, die dem Sarge gefolgt. Und dann gehörte es sich an so einem Tage überhaupt, dass das ganze Werk stille stand. Was täte er also daheim?

Totenstille über den herbstlichen Gefilden um und um. Nur das eintönige Klampern des Weideviehes, das gegen Mittag hin und mählich verstummte. Sogar das Vieh zog um diese Zeit den Ställen zu; er aber … Ein peinigendes Gefühl der Vereinsamung, der Leere und der anwidernden Öde schlich ihn an, und dazwischendurch schienen Spieße und Dornen zu wachsen. Wie im Schlafwandel zog es ihn dem Walde zu. Dort aber drückte die Totenstille der Totherbstzeit noch mehr.

Kein Vogelpiepsen, kein anderer Laut, nur das Knacken der dürren Reiser unter seinen Tritten.

Also wieder hinaus aus dieser noch öderen Öde!

Am Waldrande oben im Gehänge des Buchriegels stand ein einödig Hüttlein. Beim Waldhiesen hieß es da. Er, ein Holzhauer, der Tag für Tag und jahraus, jahrein in den herrschaftlichen Wälder arbeitete und schuftete, und sie … des Lenharten Zilli, die in diese Einöden herauf geheiratet. Durch die offenen Fensterchen hallte Reden und frohes Lachen, und auf dem Anger vor dem Hause reigten zwei kleine Dirnlein. Natürlich: Kirchweih' und Festeszeit. Natürlich: Kaum etwas zu beißen haben und zu so einer Zeit doch tun, als kenne man die Not nicht einmal dem Namen nach.

Auch das widerte ihn an, und die Fröhlichkeit dieser Notnigel schnitt ihm wie ein Sägeblatt durch seine Zerfahrenheit. Doch hörte er lange Zeit noch immer das Silberlachen aus den offenen Fenstern.

Mählig bimmelt wieder Schellenklang durch die Stille und über die goldsonnigen Gefilde. Das Vieh ging wieder zur Weide, und Kindergeschrei und Kinderjubel folgten ihm.

Dann trug einmal ein Luftzug ein aus einer mullweichen Weise gerissen Stück Musik aus dem Tale herauf.

Natürlich: Beim Bruckwirte mochte der Kirchweihtanz losgehen, und das Notgevölke um und um … Zum Leichengange hatte keines Zeit gefunden, dorten aber … Gut auch. Man wusste nun, wie man hüben und drüben daheim war.

Durch dieses zerfahrene Dahinärgern aber klangen immer und unaufhörlich das silberhelle Frohlachen aus den offenen Fenstern und das Stück der mullweichen Weise, das sich mählig selber nach vorn und rückwärts ergänzte und etwas wie seidenweiche Märchenstimmung um sein Sinnen spann. Verstohlen und diebesheimlich; doch unablässig und hartnäckig.

Eine alte Weise, eine uralte Weise vielleicht. Zwanzig, dreißig Jahre …Was wusste er, wie lange er sie schon nimmer gehört? Doch ehedem einmal …

Ehedem … Wie aus bösem Traum erwachend fiel es mählig wie Traumwahn um Traumwahn von ihm und in die grundlosen Tiefen, Zeit um Zeit, und zwanzig und dreißig Jahre.

Er wähnte sich wieder so jung und lebfrisch wie ehedem. Die ganze Welt voll Blüt' und Blumen, der Himmel voll Sonne und das Herz geschobert voll Freundseligkeit. Was: gestern oder morgen? Heute war heute, und heute klangen Fiedeln und Spielhörner und …

Herrgott, so eine Zeit! Alles Sonne und Sonnenglast um und um und kein Flecklein Wolkenschatten über Welt und Leben …

Auf den Höhen drüben juchzte einer, und aus dem Tale herauf zog wieder ein aberissen Stück einer Weise wie eine verirrte Spinnwebe über den Herbstfluren.

Er legte sich hinter einen Haselhag in den warmen Sonnenschein, horchte, sann und schwelgte in der Erinnerung an jene Zeiten neidlosen Glückes. Das fiel ihm ein und jenes drängte sich herfür, und die Gegenwart lag meilenweit von ihm.

Ehedem einmal …! Auch die Zilli …

Aus diesem Dahinsinnen und Dahinträumen rüttelten ihn erst zwei Hütkinder auf, die sich auf der anderen Seite des Hages niederließen. Zwei Dirnlein, etliche Fäuste groß; das eine – soweit er das junge Geniste kannte – des Rindlauers Jüngste, und das andere eines der Kinder des jungen Kernwebers.

»Ihr habt heute Krapfen?«

»Ist ja Kirchweih. Und da müssen die Leute Krapfen backen und essen.«

»Gib mir auch ein Stückel!« bettelte das Weberdirndel nach einem Weilchen.

»Deine Mutter hat etwa keine gebacken?«

»Nein. Wir haben kein Mehl. Und auch kein Geld. Der Webertod da unten hat uns schier das letzte Stücklein Brot genommen …«

Das Rindlauerdirndel reichte dem anderen den ganzen Krapfen hin, und gierig biss und schluckte dieses daran.

Des Adam Holzhacker Blicke aber zog es unwillkürlich zu Tale … Dort stand die ehemalige Rumpelmühle wie schier ein Herrenhaus, und daneben stachen die knallroten Dächer der Weberei und des Lagerhauses aus dem fahlen Braungrün des Talgrundes. Er wähnte das Schnurren und Rasseln der vier Webstühle, der Spulmaschinen und all der Räder und Getriebe zu hören, und zwischendurch die Anklage des Kindes: Der Webertod da unten hat uns schier das letzte Stücklein Brot genommen. Der Traum fiel ihm jählings ein, wo die vielen Maschinen zu grauslichen Ungeheuern herangewachsen und Brot und Leute gefressen … Auch seine Maschinen … Das Rindlauerdirndel gab dem anderen Kinde den ganzen Krapfen; seine Maschinen hatten diesen, und wer weiß wie vielen noch, schier das letzte Stücklein Brot genommen. Und er konnte nicht einmal aufschreien dawider: »Ist nicht wahr …«

Wieder wurde eine Vergangenheit lebendig in seinem Sinnen. Doch keine, die in Blüt' und Blumen prangte, wo Herz und Himmel voll Glück und Sonnenglast strotzten. Eine Zeit voll blutharter Werktage. Kein Sonnenflecklein am wolkenschweren Himmel und kein Blümlein auf dem steinigen Erdboden. Kaltfröstelnd die Luft und eiskalt der Schweiß, den viehmäßige Arbeit und Geschinde aus alle Poren getrieben. Vorwärts, nur vorwärts, ohne Rast und Ruhe und ohne Rücksicht, ob man dabei einem Nebenmenschen auf die Füße trat oder gar aufs Herz. Ja doch: ein Blümlein, ein einziges: Der Bub. Und das … versengte der Reif … Wenn er wenigstens damals stehen geblieben wäre, wo er gestanden! Diesen Neidhammeln hätte er es vollauf gezeigt gehabt, dass einer auch wider ihren Willen auf und in die Höhe kommen kann. Und mehr wäre wahrhaftig nicht notwendig gewesen. Es hätte gereicht, und sie hätten an diesem Beweise auch genug gehabt. Vielleicht wären dem so mühselig bearbeiteten Boden noch etliche Blümlein entsprossen, vielleicht ein notdürftig Grünen und Blühen noch, wie auf langsam herbstendem Heidengefilde. Er hätte genug und zu leben gehabt, und die anderen hätten auch leben können. Nur nicht die Maschinen, die … den Leuten das Brot vom Munde rissen und einen um den anderen … auffraßen!

Jetzt … wo schier alles öde und totgefressen war …

Und was hatte nun er davon? Diese unersättlichen, rasselnden und surrenden Ungeheuer, und das Geld, das sie ihm verdienen. Das er weitaus nicht brauchte. Für wen denn? Keine Freude, kein Flecklein Sonnenschein auf der ganzen Welt und … lediglich den Fluch aller, der ihm bis über das Grab hinaus an den Fersen hängen mochte. Und lediglich darum all diese Arbeit und all dieses Geschinde eines ganzen Lebens?

Eiskaltes Schauern krallte sich mit tausend Pfoten in sein Herz und sein aufgerüttet Sinnen.

Das Rindlauerdirndel hatte dem anderen seinen Krapfen gegeben! Ein Kind, das … ein Herz und ein Mitgefühl hatte … Er? … Wenn er dachte, dass sein Bub einmal hätte … betteln müssen …

Nein. Noch war es nicht so weit, dass auch ihn die Maschinen diese … herzlosen Ungetüme, so in ihren Eisenkrallen hatten, dass es kein Loswinden mehr gab. Noch hatten sie ihm nicht auch schon das Herz aus dem Leibe gerissen. Er … Wen hatte es etwas angegangen, was er getan? Und wen ging es etwas an, was er nun tat …?

*

Am nächsten Tage schnurrten, rasselten und surrten dorten die Maschinen wie vor und ehe. Adam Holzhacker aber ging erst spät am Vormittag durch die Getöse strotzenden Räume und hatte, entgegen all seiner bisherigen Gewohnheit, nach jedem Fädchen zu sehen, kaum einen Blick für das ganze Getriebe.

Dem Vorarbeiter gab er lediglich den Auftrag, während seiner Abwesenheit keine neue Arbeit mehr anzufangen. Nach Mittag ging er fort … zur Bahn.

»Etwa spießt es sich zur Zeit mit der Arbeit«, mutmaßte der Vorarbeiter den anderen Arbeitern gegenüber. »Bis er wieder ein offen Loch und neuen Absatz erkundet …«

»Etwa spießt es sich mit der Arbeit …«, frohlockten zwei, drei Tage nachher schadenfroh die ehemaligen Weber im Hochgefild. »Alleweil scheint die Sonne nicht auf ein und dieselbe Dachseite.«

»Eh nicht. Aber was kümmert denn so einen mehr ein Weilchen Schattenzeit. Der muss ja doch schon ganze Säcke Geldes erwuchert haben …«

Als er nach nicht ganz zwei Wochen wieder heimkam, waren etliche fremde Herren mit ihm, die alles um und um beschauten und besichtigten.

Vielleicht verkaufte er gar? Eigentlich ohnehin das Nächstliegende. Wozu sollte er sich auch noch weiterhin plagen und abstrubeln, wo er doch so auch schon das schönste Leben müsste führen können?

Verkaufen oder nicht. Den Leuten im Hochgefild konnte das nun schon gleich sein. Mehr wie um Verdienst und Brot gebracht konnten die ehemaligen Weber auch nimmer werden, und das waren sie ohnehin schon. Also vermochte ein Verkauf nichts mehr zu ändern.

Wieder acht Tage nachher schwirrte das Verkaufsgerücht in ganz bestimmter Weise durch das Hochgefild und von Haus zu Haus. Der … Webertod hätte wirklich verkauft, und statt der Weberei käme nun eine Zellstofffabrik in die Gegend, die nur … Holz fraß.

Eine Zellstofffabrik! Gottlob! Die stiftete wenigstens keinen Schaden, wenngleich sie auch keinen Nutzen brachte. Doch die ehemaligen Weber waren zugrunde gerichtet und konnten sich kaum jemals wieder aufraffen.

Das sagte jeder, irrte aber auch damit wieder.

Knapp vor dem ersten Schnee des Jahres kamen etliche Fuhrwerke und schafften des Adam Holzhackers Hausrat fort. Der aber ließ alle ehemaligen Weber des Hochgefildes zum Bruckwirt zusammenrufen.

»Da sagen wir ihm noch das … Notwendigste«, nahm sich der alte Kernweber vor. »Dem … diesem Leutumbringer.«

»Etwa will er sich noch bedanken bei uns, dass wir uns so geduldig haben totmachen lassen«, witzelte der Hansenjörg in seiner Not. »Wenn man damals hätte ahnen können … Einen richtigen Dank wären wir schon schuldig.«

»Wird ihn auch zu hören bekommen …«

Kam aber keiner zur vorgenommenen … Danksagung.

Kurz und bündig und mit beinahe gefrierkalter Rede erklärte dorten der Adam, dass er verkauft hätte, und zwar an ein Zellstoffunternehmen. Eine Zellstofffabrik vermöchte niemanden das Brot wegzufressen …

»Das hast ohnehin schon du getan«, nahm der alte Schönweber einen Anlauf.

Ausreden lassen! … Das und jenes wäre ihm gesagt worden, als er arbeitssuchend die Heimat zurückgekehrt, und er hätte bewiesen, dass solch' … gute Fürnehmen manchmal nicht nach Willen gingen.

Das verschlug jede weitere … Dankrede.

Man hieße und lästerte ihn heute den Webertod, der jeglichem schier das letzte Stücklein Brot genommen. Gut. Was er etwa genommen, gäbe er jetzt wieder zurück. Da wäre ein Spareinlagenbüchel auf so und so viel. Und hier läge ein Verzeichnis seiner Abnehmer. Diese Kundschaft wieder zu erwerben und zu erhalten wäre ihre eigene Sache. Und nächsten Sonntag kriegten alle Weberkinder beim Bruckwirte ein gutes Mittagessen statt der verdorbenen Kirchweih.

Ehe noch einer zu einem Worte kam, war er davon.

Vor dem Freithofe neben dem Nussberger Kirchlein hielt der Wagen.

Am Grabe der Liesel betete er noch ein Vaterunser. Den Buben aber fragte er nur: »Langt es? … Und ein etwaiges Vergelts Gott … wenn vielleicht einer ein solches herfürbringt … ist euer Erbteil. Auf dass kein Fluch über euren Grabesrand kann. Eure Sache, euer Teil. Ich …? Ich brauche davon nichts. Für ein bescheiden Leben reiche ich, und … an meinem verdorbenen Leben bin ich selber schuld. Wie hätte das sein können, wenn … wenn …«

Ein Zittern und Reißen noch um seinen Mund. Dann wischte er mit dem Joppenärmel ein paar sickernde Tropfen aus seinen Augen und ging … aus dem Freithofe und aus der Heimat, die er und seine … Maschinen zum Fegefeuer gewandelt.

Mit einem geschoberten Herzen voll Jugendfreundseligkeit und Glücksträumen war er in die notgesegnete, aber eitel sonnenglastumflirrte Heimat zurückgekehrt, mit einer drückenden Last voll bitterer Enttäuschung und der Erkenntnis eines verfehlten Strebens und verdorbenen Lebens zog er wieder fort aus der nebeldüstern Gegend. Eine lange, lange und trostlose Zeit, freud- und segenlos verbracht im blinden Dahinhasten auf den ödesten Irrwegen, dazwischen, und lediglich im letzten Augenblicke noch ein winzig kleines Sonnenflecklein auf dem Wege; die mit eigenem Glück schwer erkaufte Erkenntnis, dass jedwedes Leut und Wesen auf Erden dasselbe Recht auf Leben und Fortkommen hat wie man selber. Auch ein Weber …



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