Johanna Schopenhauer
Jugendleben und Wanderbilder
Johanna Schopenhauer

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Dreissigstes Kapitel.

Hoch durch die Lüfte der Adler kreist,
Aber noch höher des Menschen Geist.
Anonym.

Komme ich mir doch selbst wie ein versteinerter Repräsentant versunkener Aeonen vor, indem ich dieses niederschreibe.

Doch auch weniger trübe Erinnerungen aus jener Zeit sind mir geblieben. Von jeher hat es in Danzig an Besuch von Reisenden nie gefehlt, die, festgehalten von der dem Norden eignen Gastfreiheit, oft mehr Wochen da verweilten, als sie bei ihrer Ankunft sich vorgenommen hatten Tage bei uns zuzubringen. Die Mehrzahl derselben brachte Empfehlungen an unser Haus mit, und war dieses auch nicht immer der Fall; ein einziges bedeutendes Rekommandationsschreiben war damals und ist auch heutigen Tages dort genug, um den Ueberbringer in die ersten Häuser der Stadt einzuführen. Zu lange hatte mein Mann selbst ein Fremder unter Fremden, gelebt, um nicht Gastfreundschaft gern zu üben; auch liebte er es, seine junge Frau die Honneurs seines Hauses machen zu sehen, was die Geläufigkeit, mit der ich englisch und französisch sprach, mir vor Vielen erleichterte.

Doch waren diese fremden Gäste größtentheils wegen merkantilischer Speculationen und Verbindungen nach Danzig gekommen, eigentlich nur in Geschäften, wie ich deren täglich verhandeln sah und hörte. Allerdings traf ich unter ihnen manche interessante Bekanntschaft, verbrachte manche heitere gefällige Stunde in ihrer Gesellschaft, aber innerlich ging all mein Wünschen doch nur darauf hin, auch Männer kennen zu lernen, deren berühmte Namen ich in Büchern und Zeitungen gelesen. Doch diese ließen in meiner abgelegenen, fast außer aller Berührung mit eigentlich wissenschaftlichen Zwecken sich damals befindenden Vaterstadt nur äußerst selten sich blicken; ein Besuch des ehemals berühmten Reisebeschreibers BernouilliJohann Bernouilli (geb. 1744 in Basel, gest. 1807 als Königl. Astronom in Berlin) ist für Danzig in kulturhistorischer Beziehung besonders interessant durch die Beschreibung seines Besuches daselbst in den Jahren 1777 und 1778. war in Danzig noch nach vielen Jahren in frischem Andenken und wurde als ein bedeutendes, wichtiges Ereigniß erwähnt. Berühmte Künstler, Schauspieler, Virtuosen pflegten wohl auf dem Wege nach Petersburg einige Tage bei uns auszuruhen, doch auch diese sogenannten Kunstreisen kamen damals weit seltener vor als eben in der jetzigen Zeit.

Wie groß und wie kindisch zugleich war daher mein zwischen Freude und Furcht schwebendes Erschrecken, als mein Mann, nicht lange nachdem wir verheiratet waren, mir in Oliva einen Besuch zuführte, dessen gefeierter Name damals auf allen Zungen schwebte – den Luftschiffer Blanchard!Jean-Pierre Blanchard (1753–1809). Seine Gattin. geb. 1778, starb 1819 bei einer Auffahrt in Paris. Ich traute weder meinen Augen noch Ohren, verlor Sprache und Athem über die seltene Erscheinung; doch muß ich nur redlich gestehen, daß eine schwer zu unterdrückende Neigung zum lauten Auflachen mich überfiel, als ich sie mir näher betrachtet, und auch in meinem Mann, als er dies gewahrte, schien sich etwas Aehnliches zu regen.

Wenn jemals die Natur ein Geschöpf für den künftigen Beruf desselben auf das vollkommenste ausstattete, so war es dieser berühmte Aeronaut! Ein Männchen, als wäre es aus Traganth geknetet, oder aus Elfenbein gedrechselt, so zierlich, so durchsichtig zart, so ganz wie zum Wegblasen leicht! Blanchard, oder sonst Keiner, war zum Luftschiffer geboren! er wog nur fünfundsiebzig Pfund, wie er bei Gelegenheit mit einer Art von Selbstzufriedenheit gestand. Gerade so viel als ein Paar wohlgemästete pommersche Gänse, dachte ich, und vergaß darüber, daß auch meine sehr kleine Person wohl nicht viel schwerer ins Gewicht fallen werde.

Uebrigens führte Blanchard eine kleine weiße langöhrige Kreatur mit sich, die er Mademoiselle nannte, indem er sie mir vorstellte, und die eigentlich ein allerliebstes Bologneserhündchen war. Im Gasthofe aber hatte er noch eine andere Person bei sich, die Madame genannt wurde, wohl aber eigentlich nur Mademoiselle hätte heißen sollen. Diese aber stellte er aus guten Gründen keiner Dame vor. Die kühne Luftschifferin, die als Blanchard's Wittwe vor wenigen Jahren noch zu höheren Regionen sich aufschwang, kann diese Frau, die damals schon wenigstens einige zwanzig Jahre zählte, unmöglich gewesen sein.

Ein mächtiger, Tod und Gefahr verachtender, zum glühendsten Enthusiasmus sich erhebender Geist wohnte indessen in dieser anscheinend so zerbrechlichen Gestalt. Alles Lächerliche, das in den Pariser Salons ihm angeflogen war, und das aus Ungewohnheit uns noch lächerlicher erschien, fiel von dem kühnen Aeronauten ab, sobald er in Worten, die ihm nie genügen konnten, ausdrücken wollte, was er, hoch über den höchsten Gebirgen im Unermeßlichen schwebend, gesehen, gehört, gemacht und empfunden. Kein Improvisator in der Welt kann den hohen Grad poetischer Begeisterung erreichen, der dann in seinen Blicken, im Ton seiner Stimme, in der Wahl seiner Worte sich offenbarte, und Alle, die ihn hörten, zum unbedingten Glauben an die Wahrheit derselben fortriß.

Die höchste Freude meines Lebens wäre gewesen, auf einer seiner Himmelfahrten ihn zu begleiten, doch daran war nicht zu denken. Die erste Aeußerung dieser Art, die ich mir erlaubte, wurde von allen Seiten, und diesmal gewiß aus bessern Gründen als damals, auf eine Weise aufgenommen, die mich lebhaft an jene Zeit erinnerte, wo ich verlangt hatte, Chodowiecki's Schülerin zu werden.

Ich mußte mich darin ergeben, Blanchard's ungeheuren Ballen in aller seiner Aufgeblasenheit vor dem Publikum einige Tage auf festem Boden ausgestellt und dann tragikomisch zusammensinken zu sehen, um wohl verpackt seinen Herrn zur großen Kaiserin zu begleiten. Die Idee, in Danzig aufzusteigen, hatte Blanchard nach den ersten Tagen seines dortigen Aufenthalts fallen lassen. Ob er fürchtete, in der alten Kaufmannsstadt seine Rechnung in pecuniärer Hinsicht nicht befriedigend zu finden? ob die Nähe der Ostsee, der Weichsel, des frischen Haffs einige Bedenklichkeiten in ihm erregten, ich weiß es nicht.

Noch eine bedeutende Erscheinung jener Zeit drängte hier meiner Erinnerung sich auf. Abt Vogler,Georg Joseph Vogler (1749–1814) zählte Carl Maria v. Weber und Meyerbeer zu seinen Schülern. der weltberühmte Orgelspieler, der auf die Idee verfallen war, ganze Epopeen auf jenem, dem heiligsten Zwecke gewidmeten Instrumente ohne Worte verständlich vorzutragen. Ein großes, über jeden Begriff, den wenigstens ich von dem eigentlichen Wesen und Zweck der Tonkunst hatte, weit hinausgehendes Unternehmen.

Sein Konzert fand nicht ohne einen zuvor mit der Geistlichkeit zu bestehenden Kampf in der großen Pfarrkirche statt. Da saßen wir nun in der mit Zuhörern überfüllten Kathedrale und studirten das Programm, das man in Gestalt eines ganz profanen Konzert- oder Komödienzettels uns beim Eingange überreicht hatte. Uns war etwas ängstlich zu Muthe; anders als zu einem religiösen Zwecke in der Kirche versammelt zu sein, war doch etwas gar zu ungewohnt Fremdes; nicht wir, nicht unsere seit grauer Vorzeit hier unter unseren Füßen ruhenden Vorfahren hatten je etwas Aehnliches erlebt.

Plötzlich brauste unter des großen Meisters gewaltiger Hand ein Strom von Tönen auf uns ein, dem jeder andere Gedanke, jedes andere Gefühl weichen mußte. Die mächtigen Säulen schienen zu wanken, das hohe Gewölbe der Kirche aus den Fugen gerissen zu werden.

Laut dem Programm wurde die Belagerung von Gibraltar dargestellt, oder war es die einer andern Stadt? Eine Belagerung war es, darüber waren wir einig; eine wirkliche konnte kaum mehr lärmen und tosen, und die Bomben, die Kanonen, die Karthaunen pafften, donnerten und knallten so natürlich als möglich.

Soweit war Alles gut und schön, aber nun? Der uns noch in frischem Gedächtniß schwebende heldenmütige Opfertod des edlen Fürsten Leopold von Braunschweig sollte jetzt bis in die kleinsten Details folgen. Im Bestreben, eine ganze Familie bei einer gefährlichen Ueberschwemmung vom Untergange zu retten, war der Fürst selbst in der wildschäumenden Fluth versunken. Deutlich sollten wir vernehmen, wie er Alle, die ihn daran hindern wollen, zurückweist, wie er in den Kahn springt, wie er die Kette löst, die diesen an einen eisernen Ring befestigt. Alles war mäuschenstill, wir horchten mit angestrengtester Aufmerksamkeit, aber ach! keiner von uns unpoetischen Reichsstädtern hatte den Prinzen springen, den eisernen Ring klapfen, die Kette klirren gehört! wie das Programm es doch versprochen. Und hätte der Abt Vogler die Gefälligkeit haben wollen, das nämliche Stück noch zehnmal nach einander uns vorzutragen, keiner, der nicht vorher davon unterrichtet gewesen wäre, hätte daraus von der That des hochherzigen Helfen eine Silbe erfahren.

Glücklicher Weise brach zum Schluß des Konzerts das jüngste Gericht herein, ehe diese Bemerkungen lauter wurden, als es an diesem Orte passend gewesen wäre; und abermals groß, majestätisch, Alles überwältigend, zeigte Abt Vogler seine Macht im Reiche der Töne; leider aber erhob sich nun dicht neben mir zwischen zwei Damen ein Streit. Die eine behauptete, das verheißene Geheul der Verdammten, die andere den Jubel der Seligen zu hören. Daß keine von Beiden Recht hatte, merkte ich wohl, doch das war auch Alles.

Bei alledem ist Abt Vogler ein sehr ausgezeichneter, mit Recht berühmter Mann. Wenngleich ein solcher Neuling in den höheren Mysterien der Kunst, wie ich es bin, nicht fähig ist, ihn so zu verstehen, wie er verstanden sein will, bemühte ich mich, ganz bescheiden zu denken, und freute mich darauf, ihn von Angesicht zu Angesicht in der Nähe zu sehen, was in der Kirche mir nicht hatte gelingen wollen. Ein Diner, das einer unserer Verwandten in seinem Landhause gab, bot mir die erwünschte Gelegenheit dazu. Zwar fand ich auch hier nicht gerade, was ich erwartete, aber doch einen recht behaglichen, etwas untersetzten Mann in mittleren Jahren, der gern lachte, von der Aufnahme, die er an Höfen gefunden, viel erzählte, die Brillantringe, die er von hohen Händen erhalten, an den Fingern blitzen ließ, und eine schöne goldene Dose, ein Geschenk des Königs von Preußen, recht gemüthlich rings um die Tafel zum Bewundern herumschickte.

Der schöne Abend lockte uns nach Tisch in den ringsum von einem ziemlich breiten Graben umgebenen Garten, dessen stehendes Wasser mit Wasserlinsen wie mit einem grünsammtenen Teppich bedeckt war, der weit besser aussah als er roch. In einer Anwandlung jugendlichen Uebermuths hatte Abt Vogler sich einem alten halbvermoderten Kahn anvertraut, um in diesem schlammigen Gewässer als kühner Schiffer sich zu zeigen. Waren es die zürnenden Manen Leopold's von Braunschweig, welche die gestrige Unbill an ihm rächen wollten? Genug, der Kahn war umgeschlagen, der große Mann über Kopf und Ohren in die grüne Fluth gesunken, hatte sich aber, da diese zum Glück nicht tief war, sehr behend wieder auf die Füße gebracht. Da stand er, als mich das von dort ertönende Angstgeschrei herbeilockte, das aber schnell in lautes Gelächter überging. Da stand er bis übers Knie im Gewässer, eine Krone jener Wasserblüthen ersetzte auf seinem Haupte die runde Abbé's-Perrücke, die den Graben hinunterschiffte. Doch mit ihr hatte er den Kopf nicht verloren; er zog die Tabatiere von Friedrich dem Großen hervor und nahm, in Erwartung der Rettungsanstalten, mit unnachahmlichem Gleichmuth eine tröstende Prise.

Irgend ein neckischer Kobold muß es sich zum Geschäfte gemacht haben, mir den ehrwürdigen Herrn immer in wunderbaren Situationen zu zeigen. Zehn bis fünfzehn Jahre später traf ich in Hamburg in nicht zahlreicher Gesellschaft ganz unerwartet wieder mit ihm zusammen. Er setzte sich an das Pianoforte, und abermals mußten wir die Kraft, die Fertigkeit, das ganz Originelle seines Spiels staunend bewundern. Ueber den seltenen Genuß, den er uns dadurch gewährte, war die Stunde des Abendessens schnell herbeigekommen; der größte Theil der Gesellschaft entfernte sich bald nach demselben, Abt Vogler aber setzte unaufgefordert sich nochmals an das Instrument und rasselte in sichtbar aufgeregter Stimmung mit gewohnter Meisterschaft donnernd durch die Saiten.

Schrillend schrie eine derselben nach der andern auf und zersprang unter seinem musikalischen Wüthen; er achtete ihr unheimliches Geklirre nicht, nahm zuletzt Ellbogen und Handgelenk zu Hülfe, um dem Einschlagen des Gewitters, das er uns vortrug, den gehörigen Nachdruck zu geben, und verfehlte auch mit diesen, zu unserem höchsten Erstaunen, nie den Ton, den er treffen wollte.

Der Zustand der Zuhörer, der Anblick des gemißhandelten, sehr vorzüglichen Pianoforte's, über den der musikalischen Eigenthümerin desselben Thränen in die Augen traten, fingen an höchst peinlich zu werden, doch jeder Versuch, durch Bitten und Zureden ihn zu bereden, blieb vergeblich. Der Unbarmherzige tobte rücksichtslos fort, bis es ihm selbst genug däuchte, dann stand er auf, verbeugte sich ohne ein Wort zu sprechen und entfernte sich.

Auch wir folgten ihm bald. Als wir hinunter in den sehr geräumigen Hausflur kamen, dessen hohe, fast durch zwei Stockwerke hindurchgehende Decke einige freistehende mit Stuck bekleidete starke Säulen unterstützten, fanden wir unsern Orpheus von der neugierigen weiblichen Dienerschaft des Hauses umgeben. Leise und unheimlich in sich hineinkichernd stand er da, konnte weder vorwärts noch rückwärts und hielt mit ausgespreizten Armen eine jener Säulen umklammert.

Hatte Schwindel ihn ergriffen? war sein Zustand die Wirkung der noch gewaltsamen Erhitzung plötzlich auf ihn eindringender Kühle? oder – des Champagners?

Mit Hülfe unseres Bedienten brachte mein Mann ihn in unsern eben vorfahrenden Wagen und ließ in seine Wohnung ihn bringen, wir aber gingen zu Fuße nach Hause, und ich habe den Abt Vogler nie wieder gesehen noch gehört.


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