Johanna Schopenhauer
Jugendleben und Wanderbilder
Johanna Schopenhauer

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Es singen die Priester: Wir tragen die Alten
Nach langem Ermatten und spätem Erkalten:
Wir tragen die Jugend, noch eh' sie's gedacht.
Goethe.

Gerade in der Zeit, in der auch mein Leben eine andre Gestaltung gewann, hatte mein ehemaliger Lehrer, Kandidat Kuschel, das Ziel seiner Wünsche auf die ihn ehrendste Weise endlich erreicht. Nie hatte er durch das Beispiel der Mehrzahl seiner Kollegen und den Rath seiner Freunde sich bewegen lassen, um eine Predigerstelle sich bittend zu bemühen; still ergeben baute er mit festem Gemüth auf Gottes Fügung und hoffte daneben, daß die gerechte Anerkennung seines stillen Verdienstes doch nicht ewig ausbleiben könne, war aber dabei unwiderruflich entschlossen, lieber zeitlebens in seiner gegenwärtigen Stellung zu verharren, als sich einen Schritt zu erlauben, den sein Gefühl als seiner unwürdig ihm darstellte.

Sein bescheidenes Hoffen ging endlich in Erfüllung, und ohne sein Zuthun wurde er zu einer der besten Landpredigerstellen, unfern der Stadt, ernannt.

Die kurze Thorheit, zu der seine Unbekanntschaft mit dem wirklichen Lebensgange der Welt ihn verleitet hatte, war längst vergessen, doch hatte ich zufällig während meines Brautstandes und selbst einige Zeit vorher ihn nicht gesehen und freute mich von Herzen, meine Teilnahme an seinem Glück endlich ihm aussprechen zu können, als ich einige Tage nach meiner Vermählung ihn unverhofft bei meinen Eltern antraf.

Freudig eilte ich auf ihn zu, er fuhr wie erschrocken zurück; er sah bleich, eingefallen, wie ein aus schwerer Krankheit Erstandener aus, auch sein Betragen gegen mich ängstigte mich; er war scheu, verlegen, demüthig sogar, demüthig gegen mich, seine Schülerin, die ihm so viel zu verdanken hatte! es that im Herzen mir weh, ich konnte es kaum ertragen. Nur als meine Mutter von den Seinigen und den guten Tagen, welche er diesen jetzt bereiten könne, sprach, schien ein Strahl von Freude in ihm aufzudämmern.

Er entfernte sich bald; es war ein Scheiden auf ewig, ohne daß wir Beide es ahnten.

Der nächste Sonntag war zu seiner Antrittsrede bestimmt. Den Freitag vorher führte er freudig seine geliebte Mutter in seine neue bequeme Wohnung ein, den Sonntag hielt er seine Antrittspredigt zur rührendsten und herzlichsten Zufriedenheit seiner Gemeine. Montag Morgens fand man ihn ruhig entschlummert in seinem Bette, entschlafen, um nie wieder zu erwachen!

Der Arme war des Kummers, der Sorge, der angestrengtesten Arbeit zu gewohnt geworden, sein durch Leiden mancherlei Art früh untergrabenes Leben erlag der Aussicht auf bessere Tage, auf eine ruhigere glücklichere Existenz. Er starb am freudigen Vorgefühl seines Glückes. Der Ausdruck seiner im Tode verklärten Züge, den man lebend nie so an ihm gekannt, verkündete diese tröstende Gewißheit.Siehe oben Seite 39.

Auch meine Sally Cramp ist zur nämlichen Zeit auf Nimmerwiedersehen von mir geschieden. Während meines Brautstandes und auch schon einige Wochen vorher hatte ich sie nicht gesehen; manches Seltsame mochte in jenem Hause vorgegangen sein, wonach zu fragen ein eigenes instinktartiges Gefühl mich hinderte; daß es nicht erfreulicher Art sei, deutete Jamesons absichtliches Vermeiden, es gegen mich zu erwähnen, genugsam mir an.

Miß Corderoy, so viel erfuhr ich indessen, hatte unter heißen Thränen von ihrem geliebten Zögling sich getrennt und war nach England gezogen, um sich von dort aus nach Jamaika einzuschiffen, wo theure Verwandte und Freunde schon seit manchem Jahr sie sehnsüchtig erwarteten. Der kleine, jetzt ungefähr vier- oder fünfjährige Sachy war nach Petersburg in ein Erziehungsinstitut gebracht worden. Frau von P . . . und ihre Schwester, von Gilard begleitet, hatten unweit der Stadt ein sehr hübsches Landhaus bezogen. Der ganze Haushalt war zerrüttet. Alles auseinander gegangen, nur der alte, mürrische Gebieter desselben hauste noch eulenartig in dem weitläufigen, verödeten Gebäude.

Mein Herz trieb mich; einmal, nur einmal noch mußte ich vor meinem Vermählungstage meine liebliche Sally sehen. Ich fand sie unverändert liebenswürdig und jugendfroh. Wenige Tage später nahm sie schriftlich Abschied von mir; auch sie wurde, ohne daß sie vorher darum gewußt hatte, plötzlich nach Petersburg geschickt, indem Frau von P . . . unter Gilard's Eskorte sich nach Paris begab, weil die sehr geschwächte Gesundheit derselben ein milderes Klima erheischte.

Sally gedachte auch in der Entfernung meiner, wie ich ihrer noch heute gedenke. Einige Monate, nachdem sie Danzig verlassen, erhielt ich von ihr ein kleines Medaillon mit einer Locke von ihrem Haar und ihrer Silhouette, zugleich schrieb sie mir, wie sie im Begriff stehe, von einem Ende Europas zum andern, von Petersburg nach Lissabon zu wandern, um sich zu verheirathen; was ich freilich bequemer zu Hause habe ausführen können.

Arme, arme Sally, lange vor Erreichung ihres dreißigsten Jahres ist sie als die Gattin eines der in Lissabon etablirten reichen Engländer, wahrscheinlich an dem zu gewaltsamen Wechsel des Klima's, in blühender Jugend gestorben. Doch wohl ihr, sie hat das vielgestaltete Unheil, das seit einer Reihe von Jahren das schöne und unglückliche Portugal verwüstet, nicht mehr gesehen, während ihre Schwester, wie ich aus guten Gründen fürchten muß, in Paris alle Gräuel der Revolution, sogar die Schreckenstage unter Robespierre, noch erlebt hat, vielleicht denselben zum Opfer gefallen ist.

Schöne holde Schwestern! beinahe fünfzig ereignißvolle Jahre sind jetzt über euren weit von einander entfernten Gräbern in Sturmeseile dahingeflogen, eure liebliche Erscheinung ist verschwunden, spurlos wie ein Morgentraum, und ich hier am bescheidenen Ufer der SaaleAlso in Jena 1838. Die Selbstbiographie ist in Bonn begonnen und in Jena, wohin die Verfasserin 6 Monate vor ihrem Tode zog, fortgesetzt worden. bin auf der großen weiten Erde vielleicht noch die Einzige, die eurer noch gedenkt!

Alexander von P . . ., vormals der kleine Sachy, stand, wie ich aus sicherer Hand vernommen, schon vor zwanzig Jahren als Obrist in russischen Diensten. Ist er seitdem nicht auf dem Bette der Ehren, wie so viele seines Gleichen gefallen, haben Krankheit, Pest, Cholera ihn verschont, so ruht er wahrscheinlich, ein fast sechzigjähriger General, auf seinen Lorbeeren, und keine Erinnerung an die kaum gekannte Mutter, deren Gedächtniß keine Freundesstimme jemals in ihm erweckte, ist ihm geblieben.


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