Johanna Schopenhauer
Jugendleben und Wanderbilder
Johanna Schopenhauer

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Auch Jugendschmerzen sind ein schönes Gut,
Das Herz genießt sich selber in der Thräne,
Drum ruf' ich, denkend jenes tiefen Leids,
Das meiner frühen Tage Mark verzehrte,
In meine Saiten freudig doch zum Schluß:
O Jugend! Jugendlust und Jugendglück!
Immermann.

Die Influenza, die zu Anfang der achtziger Jahre zum ersten Mal von Rußland aus südlicheren Gegenden sich zuwandte, brachte uns einen langen, traurigen Winter, ohne Tanz, ohne Musik, fast ohne allen geselligen Verkehr, denn alle Welt war krank.

Beinahe kein Haus war von diesem zwar nicht lebensgefährlichen, aber doch sehr langwierigen und peinlichen Uebel ganz verschont geblieben, und oft gingen Monate darüber hin, ehe die Genesenden die Folgen desselben ganz überwinden konnten. Meine Mutter und ich wurden sehr heftig davon ergriffen und Beide mußten, wie es schien, für unsere ganze Hausgenossenschaft büßen, die befreit davon blieb, während wir noch viele Wochen mühsam hin vegetirten, ehe es uns gelang, nach überstandenem Leiden wieder zu Kräften zu kommen.

Von Danzig aus verbreitete sich die Influenza fast durch ganz Europa und gelangte endlich auch nach Paris. Die Pariser, nach ihrer gewohnten Art, ertheilten ihr lachend den Beinamen »la grippe«, als Anspielung auf ihr heimtückisches Wesen, wie Jeder leicht einsehen wird, der da weiß, was »prendre quelqu'un en grippe« im Französischen sagen will; und so ist denn auch wegen seiner Angemessenheit der neuere Spottname ihr geblieben, und der frühere wohlklingendere ist darüber vergessen.

Ein Ereigniß anderer Art, das Niemand sich erklären konnte, von dem man aber eine solche Wirkung nie hätte erwarten dürfen, verbreitete ein oder zwei Jahre später ein ungewohnt reges, ich möchte sagen, ein lustiges Leben in meiner Vaterstadt. Der große König ließ plötzlich in eine Art von Blokadezustand sie versetzen, ein bedeutendes Armeekorps schloß bis dicht an die letzten Außenwerke der Festung sie ein, um jede Zufuhr von Lebensmitteln ihr abzuschneiden.

Welche Gründe den größten Helden des achtzehnten Jahrhunderts zu diesem eigentlich zwecklosen Schritt bewegen konnten, ist und bleibt unbegreiflich; schon der gänzliche Mangel an jeder Art von Belagerungsgeschütz bewies, wie wenig es ihm damit ein Ernst war, oder sein konnte.

Der Bürgerschaft entging diese Bemerkung nicht, sie ahnte die mächtige Einwirkung der Kaiserin Katharine, in der sie noch immer nach alter Gewohnheit ihre Schutzgöttin verehrte, und ihr nie erstorbener, republikanischer Sinn erwachte mächtiger als je. Stolz auf den Schein von reichsstädtischer Freiheit, der ihr geblieben war, und den sie noch immer so gern für Wirklichkeit nahm, trotzte sie in spottendem Uebermuth dem tödtlich gehaßten, ihr jetzt so ohnmächtig scheinenden Feinde. Bei jedem heiteren Sonnenblicke waren, ganz gegen das sonst Uebliche, die Wälle mit geputzten Spaziergängern belebt, die auf das von unten zu ihnen aufschauende Militair stolz herabblickten; nie wurde in Danzig mehr getanzt, nie häufigere und splendidere Gastmahle gegeben, als gerade während dieser Zeit. Die Bürger, gleichviel ob vornehm und reich, oder arm und gering, suchten einander in Beweisen ihrer patriotischen Gesinnungen zu überbieten.

General R . . ., der Commandeur dieser seltsamen Expedition, war in Ohra bei dem Vater eines der angesehensten Danziger Handelsherren einquartirt, welcher in diesem der Stadt sehr nahe gelegenen freundlichen Flecken in seinem ehemaligen Landhause von einem arbeitsvollen Leben in stiller Zurückgezogenheit ausruhte.Es war Andreas Schopenhauer, der nachmalige Schwiegervater der Verfasserin. Von dem Garten des erwähnten Landsitzes in Ohra sah man noch vor etwa 40 Jahren als Ueberreste die »Schopenhauersche Allee«, welche auf der Straße vor dem Leegenthor von dem sogenannten Kieperdamm aus den Weg nach Ohra angenehm abkürzte. Um seinen Dank für die zwar erzwungene, aber doch gastlich gefällige Aufnahme, die ihm geworden, zu bezeigen, ließ der General dem Sohne seines Hausherrn freie Einfuhr der für die Pferde desselben nöthigen Fourage anbieten; ein Artikel, an welchem die Stadt in der That anfing einigen Mangel zu befürchten.

»Ich danke dem preußischen General für seinen guten Willen, mein Stall ist für jetzt noch hinlänglich versehen, und wenn mein Vorrath verzehrt ist, lasse ich meine Pferde todtstechen,« war die kurze bündige Antwort, die ganz unumwunden auf dieses Anerbieten erfolgte.

Sie wurde bald bekannt und von seinen Mitbürgern um so höher ihm angerechnet, da die Vorliebe dieses Mannes für seine wirklich schönen Pferde fast sprichwörtlich geworden war. Niemand hatte größere Freude daran als ich, obgleich ich meinen echt republikanischen Landsmann nur vom Ansehen kannte. Sein Benehmen schien mir sogar eines meiner alten Römer nicht unwürdig zu sein, an denen ich noch immer mit stiller Verehrung hing. Wie weit war ich damals von der Ahnung entfernt, wie sehr nahe ich zu diesem, mir damals fast Unbekannten, mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt, in Kurzem stehen würde.

Uebrigens war bei uns an Hungersnoth sobald noch nicht zu denken; Speicher und Keller waren mit Vorräthen jeder Art reichlich angefüllt, und von der Wasserseite, welche der Feind nicht absperren konnte, wurden frisches Fleisch, Wild, Fische, Federvieh fast täglich zu Markte gebracht, so daß sogar keine bedeutende Vertheuerung der Lebensmittel sonderlich bemerkbar werden konnte.

Fast täglich kam irgend ein ergötzlicher Schwank auf Kosten des unsere Wälle müßig und verdrossen anstarrenden Feindes zur Ausführung. Deutlich erinnere ich mich noch, wie ein Bauer seine in Mäntel und Betten wohl verpackte kranke Mutter mitten durch die Armee angeblich zum Arzte fuhr.

Mit welchem lauten Jubel die gute in ein ungewöhnlich großes fettes Schwein jetzt verwandelte Frau auf dem Markte ihrer Hüllen entkleidet wurde, kann man sich leicht denken. Es fehlte nicht viel, so hätte der Erfinder dieses kecken Streiches sich sammt seiner Mama aus dem Stegreif wieder in sein eignes Fuhrwerk setzen und nach englischem Gebrauch von dem sich selbst vorspannenden Volke triumphirend durch die Straßen fahren lassen müssen.

Spurlos verschwand endlich die Blokade, wie sie gekommen war, und Alles kehrte, auch bei uns, ins alte Gleis zurück; die Zeit, die sich ohnehin aus demselben nie bringen läßt, war wie gewöhnlich auch mit mir fortgeschritten; sie führte im Jahre 1784 dem Anfange meines neunzehnten mich zu, ohne daß dadurch eine Veränderung in meinen äußeren Verhältnissen und Beschäftigungen entstanden wäre. In meinem Innern war es freilich anders geworden; die zu frühe mir entschwundene Ruhe des Gemüths war mir zwar wiedergekehrt, doch mit ihr zugleich eine Art an Lebensüberdruß grenzender Gleichgültigkeit gegen dasselbe, die mich mir selbst fast unkenntlich machte.


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