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§. 44.

Was für jene untersten Stufen der Objektität des Willens die zwei erwähnten Künste leisten, das leistet für die höhere Stufe der vegetabilischen Natur gewissermaaßen die schöne Gartenkunst. Die landschaftliche Schönheit eines Fleckes beruht großentheils auf der Mannigfaltigkeit der auf ihm sich beisammenfindenden natürlichen Gegenstände, und sodann darauf, daß diese sich rein aussondern, deutlich hervortreten und doch in passender Verbindung und Abwechselung sich darstellen. Diese beiden Bedingungen sind es, denen die schöne Gartenkunst nachhilft: jedoch ist sie ihres Stoffes lange nicht so sehr Meister, wie die Baukunst des ihrigen, und daher ihre Wirkung beschränkt. Das Schöne, was sie vorzeigt, gehört fast ganz der Natur: sie selbst hat wenig dazu gethan: und andererseits kann sie gegen die Ungunst der Natur sehr wenig ausrichten, und wo ihr diese nicht vor- sondern entgegenarbeitet, sind ihre Leistungen gering.

Sofern also die Pflanzenwelt, welche ohne Vermittlung der Kunst sich überall zum ästhetischen Genüsse anbietet, Objekt der Kunst ist, gehört sie hauptsächlich der Landschaftsmalerei an. Im Gebiete dieser liegt mit ihr auch die ganze übrige erkenntnißlose Natur. – Beim Stillleben und gemalter bloßer Architektur, Ruinen, Kirche von Innen u. dgl. ist die subjektive Seite des ästhetischen Genusses die überwiegende: d. h. unsere Freude daran liegt nicht hauptsächlich in der Auffassung der dargestellten Ideen unmittelbar, sondern mehr im subjektiven Korrelat dieser Auffassung, in dem reinen willenlosen Erkennen; da, indem der Maler uns die Dinge durch seine Augen sehen läßt, wir hier zugleich eine Mitempfindung und das Nachgefühl der tiefen Geistesruhe und des gänzlichen Schweigens des Willens erhalten, welche nöthig waren, um die Erkenntniß so ganz in jene leblosen Gegenstände zu versenken und sie mit solcher Liebe, d. h. hier mit solchem Grade der Objektivität, aufzufassen. – Die Wirkung der eigentlichen Landschaftsmalerei ist nun zwar im Ganzen auch noch von dieser Art: allein weil die dargestellten Ideen, als höhere Stufen der Objektität des Willens, schon bedeutsamer und vielsagender sind; so tritt die objektive Seite des ästhetischen Wohlgefallens schon mehr hervor und hält der subjektiven das Gleichgewicht. Das reine Erkennen als solches ist nicht mehr ganz die Hauptsache; sondern mit gleicher Macht wirkt die erkannte Idee, die Welt als Vorstellung auf einer bedeutenden Stufe der Objektivation des Willens.

Aber eine noch viel höhere Stufe offenbart die Thiermalerei und Thierbildhauerei, von welcher letzteren wir bedeutende antike Ueberreste haben, z. B. Pferde, in Venedig, auf Monte cavallo, auf den Elginschen Reliefs, auch zu Florenz, in Bronce und Marmor, ebendaselbst der antike Eber, die heulenden Wölfe, ferner die Löwen am Arsenal zu Venedig, auch im Vatikan ein ganzer Saal voll meist antiker Thiere u. s. w. Bei diesen Darstellungen erhält nun die objektive Seite des ästhetischen Wohlgefallens ein entschiedenes Uebergewicht über die subjektive. Die Ruhe des diese Ideen erkennenden Subjekts, das den eigenen Willen beschwichtigt hat, ist zwar, wie bei jeder ästhetischen Betrachtung, vorhanden: aber ihre Wirkung wird nicht empfunden: denn uns beschäftigt die Unruhe und Heftigkeit des dargestellten Willens. Es ist jenes Wollen, welches auch unser Wesen ausmacht, das uns hier vor Augen tritt, in Gestalten, in denen seine Erscheinung nicht, wie in uns, durch die Besonnenheit beherrscht und gemildert ist, sondern sich in stärkern Zügen und mit einer Deutlichkeit, die an das Grotteske und Monstrose streift, darstellt, dafür aber auch ohne Verstellung, naiv und offen, frei zu Tage liegend, worauf gerade unser Interesse an den Thieren beruht. Das Charakteristische der Gattungen trat schon bei der Darstellung der Pflanzen hervor, zeigte sich jedoch nur in den Formen: hier wird es viel bedeutender und spricht sich nicht nur in der Gestalt, sondern in Handlung, Stellung und Geberde aus, obwohl immer nur noch als Charakter der Art, nicht des Individuums. – Dieser Erkenntniß der Ideen höherer Stufen, welche wir in der Malerei durch fremde Vermittlung empfangen, können wir auch unmittelbar theilhaft werden, durch rein kontemplative Anschauung der Pflanzen und Beobachtung der Thiere, und zwar letzterer in ihrem freien, natürlichen und behaglichen Zustande. Die objektive Betrachtung ihrer mannigfaltigen, wundersamen Gestalten und ihres Thuns und Treibens ist eine lehrreiche Lektion aus dem großen Buche der Natur, ist eine Entzifferung der wahren Signatura rerum Jakob Böhm, in seinem Buche de Signatura rerum, Kap. 1, §. 15, 16, 17, sagt: »Und ist kein Ding in der Natur, es offenbart seine innere Gestalt auch äußerlich: denn das Innerliche arbeitet stets zur Offenbarung. – – – Ein jedes Ding hat seinen Mund zur Offenbarung. – – – Und das ist die Natursprache, darin jedes Ding aus seiner Eigenschaft redet und sich immer selber offenbart und darstellt. – – – Denn ein jedes Ding offenbart seine Mutter, die die Essenz und den Willen zur Gestaltniß also giebt.«: wir sehen in ihr die vielfachen Grade und Weisen der Manifestation des Willens, welcher, in allen Wesen der Eine und selbe, überall das Selbe will, was eben als Leben, als Daseyn, sich objektivirt, in so endloser Abwechselung, so verschiedenen Gestalten, die alle Akkommodationen zu den verschiedenen äußeren Bedingungen sind, vielen Variationen desselben Themas zu vergleichen. Sollten wir aber dem Betrachter den Ausschluß über ihr inneres Wesen auch für die Reflexion und in Einem Worte mittheilen; so würden wir am besten jene Sanskrit-Formel, die in den heiligen Büchern der Hindu so oft vorkommt und Mahavakya d. h. das große Wort, genannt wird, dazu gebrauchen können: » Tat twam asi«, das heißt: »dieses Lebende bist du.«


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