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§. 26.

Als die niedrigste Stufe der Objektivation des Willens stellen sich die allgemeinsten Kräfte der Natur dar, welche theils in jeder Materie ohne Ausnahme erscheinen, wie Schwere, Undurchdringlichkeit, theils sich unter einander in die überhaupt vorhandene Materie getheilt haben, so daß einige über diese, andere über jene, eben dadurch specifisch verschiedene Materie herrschen, wie Starrheit, Flüssigkeit, Elasticität, Elektricität, Magnetismus, chemische Eigenschaften und Qualitäten jeder Art. Sie sind an sich unmittelbare Erscheinungen des Willens, so gut wie das Thun des Menschen, sind als solche grundlos, wie der Charakter des Menschen, nur ihre einzelnen Erscheinungen sind dem Satz vom Grund unterworfen, wie die Handlungen des Menschen, sie selbst hingegen können niemals weder Wirkung noch Ursache heißen, sondern sind die vorhergegangenen und vorausgesetzten Bedingungen aller Ursachen und Wirkungen, durch welche ihr eigenes Wesen sich entfaltet und offenbart. Es ist deshalb unverständig, nach einer Ursache der Schwere, der Elektricität zu fragen: dies sind ursprüngliche Kräfte, deren Aeußerungen zwar nach Ursach und Wirkung vor sich gehen, so daß jede einzelne Erscheinung derselben eine Ursache hat, die selbst wieder eben eine solche einzelne Erscheinung ist und die Bestimmung giebt, daß hier jene Kraft sich äußern, in Zeit und Raum hervortreten mußte; keineswegs aber ist die Kraft selbst Wirkung einer Ursache, noch auch Ursache einer Wirkung. – Daher ist es auch falsch zu sagen: »die Schwere ist Ursache, daß der Stein fällt«; vielmehr ist die Nähe der Erde hier die Ursache, indem diese den Stein zieht. Nehmt die Erde weg, und der Stein wird nicht fallen, obgleich die Schwere geblieben ist. Die Kraft selbst liegt ganz außerhalb der Kette der Ursachen und Wirkungen, welche die Zeit voraussetzt, indem sie nur in Bezug aus diese Bedeutung hat: jene aber liegt auch außerhalb der Zeit. Die einzelne Veränderung hat immer wieder eine ebenso einzelne Veränderung, nicht aber die Kraft, zur Ursache, deren Aeußerung sie ist. Denn Das eben, was einer Ursache, so unzählige Male sie eintreten mag, immer die Wirksamkeit verleiht, ist eine Naturkraft, ist als solche grundlos, d. h. liegt ganz außerhalb der Kette der Ursachen und überhaupt des Gebietes des Satzes vom Grunde, und wird philosophisch erkannt als unmittelbare Objektität des Willens, der das An-sich der gesammten Natur ist; in der Aetiologie, hier Physik, aber nachgewiesen, als ursprüngliche Kraft, d. i. qualitas occulta.

Aus den obern Stufen der Objektität des Willens sehen wir die Individualität bedeutend hervortreten, besonders beim Menschen, als die große Verschiedenheit individueller Charaktere, d. h. als vollständige Persönlichkeit, schon äußerlich ausgedrückt durch stark gezeichnete individuelle Physiognomie, welche die gesammte Korporisation mitbegreift. Diese Individualität hat bei weitem in solchem Grade kein Thier; sondern nur die obern Thiere haben einen Anstrich davon, über den jedoch der Gattungscharakter noch ganz und gar vorherrscht, eben deshalb auch nur wenig Individualphysiognomie. Je weiter abwärts, desto mehr verliert sich jede Spur von Individualcharakter in den allgemeinen der Species, deren Physiognomie auch allein übrig bleibt. Man kennt den physiologischen Charakter der Gattung, und weiß daraus genau, was vom Individuo zu erwarten steht; da hingegen in der Menschenspecies jedes Individuum für sich studirt und ergründet seyn will, was, um mit einiger Sicherheit sein Verfahren zum voraus zu bestimmen, wegen der erst mit der Vernunft eingetretenen Möglichkeit der Verstellung, von der größten Schwierigkeit ist. Wahrscheinlich hängt es mit diesem Unterschiede der Menschengattung von allen anderen zusammen, daß die Furchen und Windungen des Gehirns, welche bei den Vögeln noch ganz fehlen und bei den Nagethieren noch sehr schwach sind, selbst bei den obern Thieren weit symmetrischer an beiden Seiten und konstanter bei jedem Individuo die selben sind, als beim Menschen Wenzel, De structura cerebri hominis et brutorum 1812, Kap. 3. – Cuvier, Leçons d'anat. comp. leçon 9, art. 4 u. 5. – Vicq d'Azyr, Hist. de l'acad. d. sc. de Paris 1783, S. 470 u. 483.. Ferner ist es als ein Phänomen jenes den Menschen von allen Thieren unterscheidenden eigentlichen Individualcharakters anzusehen, daß bei den Thieren der Geschlechtstrieb seine Befriedigung ohne merkliche Auswahl sucht, während diese Auswahl beim Menschen, und zwar auf eine von aller Reflexion unabhängige, instinktmäßige Weise, so hoch getrieben wird, daß sie bis zur gewaltigen Leidenschaft steigt. Während nun also jeder Mensch als eine besonders bestimmte und charakterisirte Erscheinung des Willens, sogar gewissermaaßen als eine eigene Idee anzusehen ist, bei den Thieren aber dieser Individualcharakter im Ganzen fehlt, indem nur noch die Species eine eigenthümliche Bedeutung hat, und seine Spur immer mehr verschwindet, je weiter sie vom Menschen abstehen, die Pflanzen endlich gar keine andere Eigenthümlichkeiten des Individuums mehr haben, als solche, die sich aus äußern günstigen oder ungünstigen Einflüssen des Bodens und Klimas und anderen Zufälligkeiten vollkommen erklären lassen; so verschwindet endlich im unorganischen Reiche der Natur gänzlich alle Individualität. Bloß der Krystall ist noch gewissermaaßen als Individuum anzusehen: er ist eine Einheit des Strebens nach bestimmten Richtungen, von der Erstarrung ergriffen, die dessen Spur bleibend macht: er ist zugleich ein Aggregat aus seiner Kerngestalt, durch eine Idee zur Einheit verbunden, ganz so wie der Baum ein Aggregat ist aus der einzelnen treibenden Faser, die sich in jeder Rippe des Blattes, jedem Blatt, jedem Ast darstellt, wiederholt und gewissermaaßen jedes von diesen als ein eigenes Gewächs ansehen läßt, das sich parasitisch vom größern nährt, so daß der Baum, ähnlich dem Krystall, ein systematisches Aggregat von kleinen Pflanzen ist, wiewohl erst das Ganze die vollendete Darstellung einer untheilbaren Idee, d. i. dieser bestimmten Stufe der Objektivation des Willens ist. Die Individuen derselben Gattung von Krystallen können aber keinen andern Unterschied haben, als den äußere Zufälligkeiten herbeiführen: man kann sogar jede Gattung nach Belieben zu großen, oder kleinen Krystallen anschießen machen. Das Individuum aber als solches, d. h. mit Spuren eines individuellen Charakters, findet sich durchaus nicht mehr in der unorganischen Natur. Alle ihre Erscheinungen sind Aeußerungen allgemeiner Naturkräfte, d. h. solcher Stufen der Objektivation des Willens, welche sich durchaus nicht (wie in der organischen Natur) durch die Vermittlung der Verschiedenheit der Individualitäten, die das Ganze der Idee theilweise aussprechen, objektiviren; sondern sich allein in der Species und diese in jeder einzelnen Erscheinung ganz und ohne alle Abweichung darstellen. Da Zeit, Raum, Vielheit und Bedingtseyn durch Ursache nicht dem Willen, noch der Idee (der Stufe der Objektivation des Willens), sondern nur den einzelnen Erscheinungen dieser angehören; so muß in allen Millionen Erscheinungen einer solchen Naturkraft, z. B. der Schwere, oder der Elektricität, sie als solche sich ganz genau auf gleiche Weise darstellen, und bloß die äußern Umstände können die Erscheinung modificiren. Diese Einheit ihres Wesens in allen ihren Erscheinungen, diese unwandelbare Konstanz des Eintritts derselben, sobald, am Leitfaden der Kausalität, die Bedingungen dazu vorhanden sind, heißt ein Naturgesetz. Ist ein solches durch Erfahrung einmal bekannt, so läßt sich die Erscheinung der Naturkraft, deren Charakter in ihm ausgesprochen und niedergelegt ist, genau vorherbestimmen und berechnen. Diese Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen der untern Stufen der Objektivation des Willens ist es aber eben, die ihnen ein so verschiedenes Ansehen giebt von den Erscheinungen des selben Willens auf den höheren, d. i. deutlicheren Stufen seiner Objektivation, in Thieren, Menschen und deren Thun, wo das stärkere oder schwächere Hervortreten des individuellen Charakters und das Bewegtwerden durch Motive, welche, weil in der Erkenntniß liegend, dem Zuschauer oft verborgen bleiben, das Identische des innern Wesens beider Arten von Erscheinungen bisher gänzlich hat verkennen lassen.

Die Unfehlbarkeit der Naturgesetze hat, wenn man von der Erkenntniß des Einzelnen, nicht von der der Idee ausgeht, etwas Ueberraschendes, ja, bisweilen fast Schaudererregendes. Man könnte sich wundern, daß die Natur ihre Gesetze auch nicht ein einziges Mal vergißt: daß z. B. wenn es einmal einem Naturgesetz gemäß ist, daß beim Zusammentreffen gewisser Stoffe, unter bestimmten Bedingungen, eine chemische Verbindung, Gasentwickelung, Verbrennung Statt habe; nun auch, wenn die Bedingungen zusammentreffen, sei es durch unsere Veranstaltung, oder ganz und gar durch Zufall (wo die Pünktlichkeit durch das Unerwartete desto überraschender ist), heute so gut wie vor tausend Jahren, sofort und ohne Aufschub die bestimmte Erscheinung eintritt. Am lebhaftesten empfinden wir dieses Wunderbare bei seltenen, nur unter sehr kombinirten Umständen erfolgenden, unter diesen aber uns vorherverkündeten Erscheinungen: so z. B. daß, wenn gewisse Metalle, unter einander und mit einer gesäuerten Feuchtigkeit abwechselnd, sich berühren, Silberblättchen, zwischen die Extremitäten dieser Verkettung gebracht, plötzlich in grüne Flammen aufgehen müssen: oder daß unter gewissen Bedingungen der harte Diamant sich in Kohlensäure verwandelt. Es ist die geistermäßige Allgegenwart der Naturkräfte, die uns alsdann überrascht, und was uns bei den alltäglichen Erscheinungen nicht mehr einfällt, bemerken wir hier, nämlich wie zwischen Ursach und Wirkung der Zusammenhang eigentlich so geheimnisvoll ist, wie der, welchen man dichtet zwischen einer Zauberformel und dem Geist, der durch sie herbeigerufen nothwendig erscheint. Hingegen, wenn wir in die philosophische Erkenntniß eingedrungen sind, daß eine Naturkraft eine bestimmte Stufe der Objektivation des Willens ist, d. h. Desjenigen, was auch wir als unser innerstes Wesen erkennen, und daß dieser Wille an sich selbst und unterschieden von seiner Erscheinung und deren Formen, außer der Zeit und dem Raume liegt, und daher die durch diese bedingte Vielheit nicht ihm, noch unmittelbar der Stufe seiner Objektivation, d. i. der Idee, sondern erst den Erscheinungen dieser zukommt, das Gesetz der Kausalität aber nur in Beziehung auf Zeit und Raum Bedeutung hat, indem es nämlich in diesen den vervielfachten Erscheinungen der verschiedenen Ideen, in welchen der Wille sich manifestirt, ihre Stelle bestimmt, die Ordnung regelnd, in der sie eintreten müssen; – wenn uns, sage ich, in dieser Erkenntniß der innere Sinn der großen Lehre Kants aufgegangen ist, daß Raum, Zeit und Kausalität nicht dem Dinge an sich, sondern nur der Erscheinung zukommen, nur Formen unserer Erkenntniß, nicht Beschaffenheiten des Dinges an sich sind; dann werden wir einsehen, daß jenes Erstaunen über die Gesetzmäßigkeit und Pünktlichkeit des Wirkens einer Naturkraft, über die vollkommene Gleichheit aller ihrer Millionen Erscheinungen, über die Unfehlbarkeit des Eintritts derselben, in der That dem Erstaunen eines Kindes, oder eines Wilden zu vergleichen ist, der zum ersten Mal durch ein Glas mit vielen Facetten etwan eine Blume betrachtend, sich wundert über die vollkommene Gleichheit der unzähligen Blumen, die er sieht, und einzeln die Blätter einer jeden derselben zählt.

Jede allgemeine ursprüngliche Naturkraft ist also in ihrem innern Wesen nichts Anderes, als die Objektivation des Willens auf einer niedrigen Stufe: wir nennen eine jede solche Stufe eine ewige Idee, in Platons Sinn. Das Naturgesetz aber ist die Beziehung der Idee auf die Form ihrer Erscheinung. Diese Form ist Zeit, Raum und Kausalität, welche nothwendigen und unzertrennlichen Zusammenhang und Beziehung auf einander haben. Durch Zeit und Raum vervielfältigt sich die Idee in unzählige Erscheinungen: die Ordnung aber, nach welcher diese in jene Formen der Mannigfaltigkeit eintreten, ist fest bestimmt durch das Gesetz der Kausalität: dieses ist gleichsam die Norm der Gränzpunkte jener Erscheinungen verschiedener Ideen, nach welcher Raum, Zeit und Materie an sie vertheilt sind. Diese Norm bezieht sich daher nothwendig auf die Identität der gesammten vorhandenen Materie, welche das gemeinsame Substrat aller jener verschiedenen Erscheinungen ist. Wären diese nicht alle an jene gemeinsame Materie gewiesen, in deren Besitz sie sich zu theilen haben; so bedürfte es nicht eines solchen Gesetzes, ihre Ansprüche zu bestimmen: sie könnten alle zugleich und neben einander den unendlichen Raum, eine unendliche Zeit hindurch, füllen. Nur also weil alle jene Erscheinungen der ewigen Ideen an eine und die selbe Materie gewiesen sind, mußte eine Regel ihres Ein- und Austritts seyn: sonst würde keine der andern Platz machen. Diesergestalt ist das Gesetz der Kausalität wesentlich verbunden mit dem der Beharrlichkeit der Substanz: beide erhalten bloß von einander wechselseitig Bedeutung: ebenso aber auch wieder verhalten sich zu ihnen Raum und Zeit. Denn die bloße Möglichkeit entgegengesetzter Bestimmungen an der selben Materie ist die Zeit: die bloße Möglichkeit des Beharrens der selben Materie unter allen entgegengesetzten Bestimmungen ist der Raum. Darum erklärten wir im vorigen Buche die Materie als die Vereinigung von Zeit und Raum; welche Vereinigung sich zeigt als Wechsel der Accidenzien beim Beharren der Substanz, wovon die allgemeine Möglichkeit eben die Kausalität, oder das Werden ist. Wir sagten daher auch, die Materie sei durch und durch Kausalität. Wir erklärten den Verstand als das subjektive Korrelat der Kausalität, und sagten, die Materie (also die gesammte Welt als Vorstellung) sei nur für den Verstand da, er sei ihre Bedingung, ihr Träger, als ihr nothwendiges Korrelat. Dieses alles hier nur zur beiläufigen Erinnerung an Das, was im ersten Buche ausgeführt ist. Die Beachtung der innern Uebereinstimmung beider Bücher wird zu ihrem völligen Verständniß erfordert: da, was in der wirklichen Welt unzertrennlich vereint ist, als ihre zwei Seiten, Wille und Vorstellung, durch diese zwei Bücher aus einander gerissen worden, um jedes isolirt desto deutlicher zu erkennen.

Es möchte vielleicht nicht überflüssig seyn, durch ein Beispiel noch deutlicher zu machen, wie das Gesetz der Kausalität nur in Beziehung auf Zeit und Raum und die, in der Vereinigung beider bestehende, Materie Bedeutung hat; indem es die Gränzen bestimmt, welchen gemäß die Erscheinungen der Naturkräfte sich in den Besitz jener theilen, während die ursprünglichen Naturkräfte selbst, als unmittelbare Objektivationen des Willens, der als Ding an sich dem Satz vom Grunde nicht unterworfen ist, außerhalb jener Formen liegen, innerhalb welcher allein jede ätiologische Erklärung Gültigkeit und Bedeutung hat und eben deshalb nie zum innern Wesen der Natur führen kann. – Denken wir uns, zu diesem Zweck, etwan eine nach Gesetzen der Mechanik konstruirte Maschine. Eiserne Gewichte geben durch ihre Schwere den Anfang der Bewegung; kupferne Räder widerstehen durch ihre Starrheit, stoßen und heben einander und die Hebel vermöge ihrer Undurchdringlichkeit u. s. f. Hier sind Schwere, Starrheit, Undurchdringlichkeit ursprüngliche, unerklärte Kräfte: bloß die Bedingungen, unter denen, und die Art und Weise, wie sie sich äußern, hervortreten, bestimmte Materie, Zeit und Ort beherrschen, giebt die Mechanik an. Es kann jetzt etwan ein starker Magnet auf das Eisen der Gewichte wirken, die Schwere überwältigen: die Bewegung der Maschine stockt und die Materie ist sofort der Schauplatz einer ganz andern Naturkraft, von der die ätiologische Erklärung ebenfalls nichts weiter, als die Bedingungen ihres Eintritts angiebt, des Magnetismus. Oder aber es werden nunmehr die kupfernen Scheiben jener Maschine auf Zinkplatten gelegt, gesäuerte Feuchtigkeit dazwischen geleitet: sogleich ist die selbe Materie der Maschine einer andern ursprünglichen Kraft, dem Galvanismus anheimgefallen, der nun nach seinen Gesetzen sie beherrscht, durch seine Erscheinungen an ihr sich offenbart, von welchen die Aetiologie auch nicht mehr, als die Umstände, unter denen, und die Gesetze, nach welchen sie sich zeigen, angeben kann. Jetzt lassen wir die Temperatur wachsen, reinen Sauerstoff hinzutreten: die ganze Maschine verbrennt: d. h. abermals hat eine gänzlich verschiedene Naturkraft, der Chemismus, zu dieser Zeit, an diesem Ort, unweigerlichen Anspruch an jene Materie, und offenbart sich an ihr als Idee, als bestimmte Stufe der Objektivation des Willens. – Der dadurch entstandene Metallkalk verbinde sich nun mit einer Säure: ein Salz entsteht, Krystalle schießen an: sie sind die Erscheinung einer andern Idee, die selbst wieder ganz unergründlich ist, während der Eintritt ihrer Erscheinung von jenen Bedingungen abhing, welche die Aetiologie anzugeben weiß. Die Krystalle verwittern, vermischen sich mit anderen Stoffen, eine Vegetation erhebt sich aus ihnen: eine neue Willenserscheinung: – und so ließe sich ins Unendliche die nämliche beharrende Materie verfolgen, und zusehen, wie bald diese, bald jene Naturkraft ein Recht auf sie gewinnt und es unausbleiblich ergreift, um hervorzutreten und ihr Wesen zu offenbaren. Die Bestimmung dieses Rechts, den Punkt in der Zeit und dem Raume, wo es gültig wird, giebt das Gesetz der Kausalität an; aber auch nur bis dahin geht die auf dasselbe gegründete Erklärung. Die Kraft selbst ist Erscheinung des Willens und als solche nicht den Gestaltungen des Satzes vom Grunde unterworfen, d. h. grundlos. Sie liegt außer aller Zeit, ist allgegenwärtig und scheint gleichsam beständig auf den Eintritt der Umstände zu harren, unter denen sie hervortreten und sich einer bestimmten Materie, mit Verdrängung der bis dahin diese beherrschenden Kräfte, bemächtigen kann. Alle Zeit ist nur für ihre Erscheinung da, ihr selbst ohne Bedeutung: Jahrtausende schlummern die chemischen Kräfte in einer Materie, bis die Berührung der Reagenzien sie frei macht: dann erscheinen sie: aber die Zeit ist nur für diese Erscheinung, nicht für die Kräfte selbst da. Jahrtausende schlummert der Galvanismus im Kupfer und Zink, und sie liegen ruhig neben dem Silber, welches, sobald alle drei, unter den erforderten Bedingungen sich berühren, in Flammen aufgehen muß. Selbst im organischen Reiche sehen wir ein trockenes Saamenkorn, dreitausend Jahre lang die schlummernde Kraft bewahren, welche, beim endlichen Eintritt der günstigen Umstände, als Pflanze emporsteigt Am 16. Sept. 1840 zeigte, im litterarischen und wissenschaftlichen Institut der Londoner City, Herr Pettigrew, bei einer Vorlesung über Aegyptische Alterthümer, Weizenkörner vor, die Sir G. Wilkinson in einem Grabe bei Theben gefunden hatte, woselbst solche dreißig Jahrhunderte gelegen haben müssen. Sie wurden in einer hermetisch versiegelten Vase gefunden. Zwölf Körner hatte er gesäet, und daraus eine Pflanze erhalten, welche fünf Fuß hoch gewachsen und deren Saamen jetzt vollkommen reif war. Aus den Times v. 21. Sept. 1840. – Desgleichen producirte in der medicinisch-botanischen Gesellschaft zu London, im Jahr 1830, Herr Haulton eine knollige Wurzel, welche sich in der Hand einer Aegyptischen Mumie gefunden hatte, der sie aus einer religiösen Rücksicht mochte beigegeben seyn, und die mithin wenigstens 2000 Jahre alt war. Er hatte sie in einen Blumentopf gepflanzt, wo sie sogleich gewachsen war und grünte. Dieses wird aus dem Medical Journal von 1830 angeführt im Journal of the Royal Institution of Great-Britain, Oktober 1830, S. 196. – »Im Garten des Herrn Grimstone, vom Herbarium, Highgate, in London, steht jetzt eine Erbsenpflanze in voller Frucht, welche hervorgegangen ist aus einer Erbse, die Herr Pettigrew und die Beamten des Brittischen Museums einer Vase entnommen haben, welche sich in einem Aegyptischen Sarkophage vorgefunden hatte, woselbst sie 2844 Jahre gelegen haben muß.« – Aus den Times v. 16. Aug. 1844. – Ja, die in Kalkstein gefundenen, lebendigen Kröten führen zu der Annahme, daß selbst das thierische Leben einer solchen Suspension auf Jahrtausende fähig ist, wenn diese durch den Winterschlaf eingeleitet und durch besondere Umstände erhalten wird..

Ist uns nun durch diese Betrachtung der Unterschied deutlich geworden zwischen der Naturkraft und allen ihren Erscheinungen; haben wir eingesehen, daß jene der Wille selbst auf dieser bestimmten Stufe seiner Objektivation ist: den Erscheinungen allein aber, durch Zeit und Raum, Vielheit zukommt, und das Gesetz der Kausalität nichts Anderes, als die Bestimmung der Stelle in Jenen für die einzelnen Erscheinungen ist: dann werden wir auch die vollkommene Wahrheit und den tiefen Sinn der Lehre des Malebranche von den gelegentlichen Ursachen, causes occasionelles, erkennen. Es ist sehr der Mühe werth, diese seine Lehre, wie er sie in den Recherches de la vérité, zumal im dritten Kapitel des zweiten Theils des sechsten Buchs und in den hinten angehängten éclaircissements zu diesem Kapitel, vorträgt, mit meiner gegenwärtigen Darstellung zu vergleichen und die vollkommenste Uebereinstimmung beider Lehren, bei so großer Verschiedenheit des Gedankenganges, wahrzunehmen. Ja, ich muß es bewundern, wie Mallebranche, gänzlich befangen in den positiven Dogmen, welche ihm sein Zeitalter unwiderstehlich aufzwang, dennoch, in solchen Banden, unter solcher Last, so glücklich, so richtig die Wahrheit traf und sie mit eben jenen Dogmen, wenigstens mit der Sprache derselben, zu vereinigen wußte.

Denn die Gewalt der Wahrheit ist unglaublich groß und von unsäglicher Ausdauer. Wir finden ihre häufigen Spuren wieder in allen, selbst den bizarrsten, ja absurdesten Dogmen verschiedener Zeiten und Länder, zwar oft in sonderbarer Gesellschaft, in wunderlicher Vermischung, aber doch zu erkennen. Sie gleicht sodann einer Pflanze, welche unter einem Haufen großer Steine keimt, aber dennoch zum Lichte heranklimmt, sich durcharbeitend, mit vielen Umwegen und Krümmungen, verunstaltet, verblaßt, verkümmert; – aber dennoch zum Lichte.

Allerdings hat Mallebranche Recht: jede natürliche Ursache ist nur Gelegenheitsursache, giebt nur Gelegenheit, Anlaß zur Erscheinung jenes einen und untheilbaren Willens, der das An-sich aller Dinge ist und dessen stufenweise Objektivirung diese ganze sichtbare Welt. Nur das Hervortreten, das Sichtbarwerden an diesem Ort, zu dieser Zeit, wird durch die Ursache herbeigeführt und ist insofern von ihr abhängig, nicht aber das Ganze der Erscheinung, nicht ihr inneres Wesen: dieses ist der Wille selbst, auf den der Satz vom Grunde keine Anwendung findet, der mithin grundlos ist. Kein Ding in der Welt hat eine Ursache seiner Existenz schlechthin und überhaupt; sondern nur eine Ursache, aus der es gerade hier und gerade jetzt da ist. Warum ein Stein jetzt Schwere, jetzt Starrheit, jetzt Elektricität, jetzt chemische Eigenschaften zeigt, das hängt von Ursachen, von äußern Einwirkungen ab und ist aus diesen zu erklären: jene Eigenschaften selbst aber, also sein ganzes Wesen, welches aus ihnen besteht, und folglich sich auf alle jene angegebenen Weisen äußert, daß er also überhaupt ein solcher ist, wie er ist, daß er überhaupt existirt, das hat keinen Grund, sondern ist die Sichtbarwerdung des grundlosen Willens. Also alle Ursache ist Gelegenheitsursache. So haben wir es gefunden in der erkenntnißlosen Natur: gerade so aber ist es auch da, wo nicht mehr Ursachen und Reize, sondern Motive es sind, die den Eintrittspunkt der Erscheinungen bestimmen, also im Handeln der Thiere und Menschen. Denn hier wie dort ist es ein und derselbe Wille, welcher erscheint, in den Graden seiner Manifestation höchst verschieden, in den Erscheinungen dieser vervielfacht und in Hinsicht auf diese dem Satz vom Grunde unterworfen, an sich frei von dem allen. Die Motive bestimmen nicht den Charakter des Menschen, sondern nur die Erscheinung dieses Charakters, also die Thaten; die äußere Gestalt seines Lebenslaufs, nicht dessen innere Bedeutung und Gehalt: diese gehen hervor aus dem Charakter, der die unmittelbare Erscheinung des Willens, also grundlos ist. Warum der Eine boshaft, der Andere gut ist, hängt nicht von Motiven und äußerer Einwirkung, etwan von Lehren und Predigten ab, und ist schlechthin in diesem Sinne unerklärlich. Aber ob ein Böser seine Bosheit zeigt in kleinlichen Ungerechtigkeiten, feigen Ränken, niedrigen Schurkereien, die er im engen Kreise seiner Umgebungen ausübt, oder ob er als ein Eroberer Völker unterdrückt, eine Welt in Jammer stürzt, das Blut von Millionen vergießt: dies ist die äußere Form seiner Erscheinung, das Unwesentliche derselben, und hängt ab von den Umständen, in die ihn das Schicksal setzte, von den Umgebungen, von den äußern Einflüssen, von den Motiven; aber nie ist seine Entscheidung auf diese Motive aus ihnen erklärlich: sie geht hervor aus dem Willen, dessen Erscheinung dieser Mensch ist. Davon im vierten Buch. Die Art und Weise, wie der Charakter seine Eigenschaften entfaltet, ist ganz der zu vergleichen, wie jeder Körper der erkenntnißlosen Natur die seinigen zeigt. Das Wasser bleibt Wasser, mit seinen ihm innewohnenden Eigenschaften; ob es aber als stiller See seine Ufer spiegelt, oder ob es schäumend über Felsen stürzt, oder, künstlich veranlaßt, als langer Strahl in die Höhe spritzt: das hängt von den äußern Ursachen ab: Eines ist ihm so natürlich wie das Andere: aber je nachdem die Umstände sind, wird es das Eine oder Andere zeigen, zu Allem gleich sehr bereit, in jedem Fall jedoch seinem Charakter getreu und immer nur diesen offenbarend. So wird sich auch jeder menschliche Charakter unter allen Umständen offenbaren: aber die Erscheinungen, die daraus hervorgehen, werden seyn, je nachdem die Umstände waren.


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