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Friedrich der Große

»… die halte ich für glücklich, die tun,
was schreibenswert, oder die schreiben,
was lesenswert ist; die glücklichsten aber
sind, denen beides gegeben ward.«

Plinius der Jüngere.

I.

Unter allen Büchern der Menschheit gehört der »Principe« des Macchiavelli zu den merkwürdigsten. Niemals hat wieder ein Mensch, der selbst kein Bösewicht, vielmehr von edlen Trieben erfüllt war, so sachlich und – wie man seit Nietzsche sagt – so »moralinfrei« über die Notwendigkeit des Bösen im Staatsleben gesprochen, wie dieser Renaissanceschriftsteller. Auch Jakob Burckhardt erkennt ja an, daß die Macht im Wesen böse ist; da aber ohne Machtausübung ein Staatswesen nicht geleitet werden kann, sind die Machthaber gezwungen, nicht nur das Böse zu erkennen in denen, welche sie beherrschen, sondern ihm auch bisweilen durch Handlungen zu begegnen, die in der Privatmoral als böse gelten würden. »Die Eroberungslust ist in der Tat eine sehr natürliche und gewöhnliche Sache,« sagt Macchiavelli, »und die Menschen, die das ausführen, was sie können, werden stets gelobt und nicht getadelt; wollen sie aber um jeden Preis etwas ausführen, was sie nicht können, so handeln sie verkehrt und verdienen Tadel.« Um etwas zu können, muß man es, abgesehen von der persönlichen Veranlagung, lernen. Macchiavelli aber gibt nichts anderes als eine Anleitung, Gewalt zu erlangen und auszuüben. Seine Schrift, die erst nach seinem Tode gedruckt wurde, hat in den folgenden Jahrhunderten in der politischen Welt Schule gemacht. In der Periode, als die großen europäischen Reiche sich ausgestalteten, hat mancher König und mancher Minister den Macchiavelli in der Schublade liegen gehabt. Nichts ist verlockender, als seine Wirkung zu verfolgen in dem größten deutschen Herrscher der neueren Zeit, der gleichzeitig ein philosophischer Kopf war und zwischen Machtstreben und sittlichen Forderungen vergeblich einen Ausgleich suchte, in Friedrich dem Großen. Es ist bekannt, daß er kurz vor seiner Thronbesteigung einen Anti-Macchiavelli schrieb, worin er den Florentiner Kapitel für Kapitel zu widerlegen suchte.

Es gibt eine schöne deutsche Ausgabe des Anti-Macchiavelli, die gleichzeitig auch den »Principe« selbst enthält, so daß man die beiden Texte Seite für Seite vergleichen kann. Sie ist bei Eugen Diederichs erschienen und von Friedrich von Oppeln-Bronikowski herausgegeben.

Liberale Leser pflegen Worte aus dem Anti-Macchiavelli anzuführen und so das Ansehen des großen Friedrich für sich in Anspruch zu nehmen. Dabei sucht man zu vergessen, daß das spätere Leben Friedrichs sowohl durch seine Handlungen, als durch seine Schriften den Anti-Macchiavelli widerlegt hat. In seinem politischen Testament von 1752 erklärt Friedrich unter der Überschrift »Politische Träumereien«: »Macchiavelli sagt, eine selbstlose Macht, die zwischen ehrgeizigen Mächten steht, müßte schließlich zugrunde gehen. Ich muß leider zugeben, daß Macchiavelli recht hat. Die Fürsten müssen notwendigerweise Ehrgeiz besitzen.«

Wer sich einen Begriff davon machen will, wie sich Friedrich während seines ganzen Lebens mit dem Macchiavellismus auseinandersetzte, wie er ihn als Jüngling ablehnte, als König durch die mehr als fragwürdige Eroberung Schlesiens zum Ausdruck brachte, um ihn dann als reifer philosophischer Geist ethisch zu läutern, der greife nach dem 7. Band der deutschen Übersetzung der Werke Friedrichs des Großen, die in dem Verlag von Reimar Hobbing in Berlin in 10 Bänden in prachtvoller Ausstattung erschienen sind, versehen mit Zeichnungen Adolf Menzels.

Die wechselnde Stellung Friedrichs des Großen zum Macchiavellismus zeigt deutlich seine so eigentümliche Doppelnatur, die sich bereits in der Beziehung zum Vater ausdrückte. So sonderbar es im ersten Augenblick klingen mag: wenn man die verschiedenen privaten Dokumente heranzieht, muß man zu der Überzeugung kommen, daß Friedrich der Große, dessen schlechtes Verhältnis zu seinem Vater geradezu sprichwörtlich geworden ist und die äußerste Zuspitzung des ewigen Gegensatzes zwischen König und Kronprinz darstellt, dennoch seinen harten Vater Friedrich Wilhelm den Ersten nicht nur später bewundert, sondern von Anfang an zärtlich geliebt hat. Diese Liebe war freilich durch die unerhörte Schroffheit des Soldatenkönigs in das tiefste Unbewußte verdrängt worden. Der Vater wirft ihm seinen eigensinnig bösen Kopf vor, »der nicht seinen Vater liebet«, erklärt, daß er »keinen effeminierten Kerl leiden kann, der keine männliche Inklinationen hat«. Ein andermal schreibt der König, nachdem er alle Hoffnung aufgegeben hat, aus dem Sohn einen guten Soldaten zu machen: »Aber was gilt es, wenn ich Dir recht Dein Herz kitzelte, wenn ich aus Paris einen maître de flûte mit etlichen zwölf Pfeifen und Musiquebüchern, im gleichen eine ganze Bande Komödianten und ein großes Orchester kommen ließe, wenn ich lauter Franzosen und Französinnen, auch ein paar Dutzend Tanzmeister nebst einem Dutzend petits-maîtres verschriebe, und ein großes Theater bauen ließ, so würde Dir dieses gewiß besser gefallen, als eine Kompagnie Grenadiers; denn die Grenadiers sind doch nach Deiner Meinung nur Canailles, aber ein petit-maître, ein Französchen, ein bon-mot, ein Musiquechen und Komödiantchen, das scheinet was Nobleres, das ist was Königlicheres, das ist digne d'un prince.«

So war dieser König zu seinem Sohn, der ihm in allem so entgegengesetzt schien, und dessen Widerstand gegen den Vater sicher nur aus einer abgewiesenen Zärtlichkeit kam. Man lese den Brief des sächsischen Gesandten von Suhm an August den Starken vom 21. Oktober 1728, als der Kronprinz 16 Jahre alt war. Der Brief beschreibt das Souper nach der Hubertusjagd, bei dem Friedrich sich betrank. Der Wein nahm alle Hemmungen von ihm, und seine Trunkenheit äußerte sich in einem plötzlichen Zärtlichkeitsausbruch gegenüber dem Vater. »Der König lachte, als er sah, in welchem Zustande der Kronprinz war und reichte ihm die Hand über die Tafel herüber. Aber der Kronprinz wollte auch die andere haben, küßte dann beide abwechselnd, schwor, er liebe ihn von ganzem Herzen und brachte den König dazu, sich herüberzubiegen, damit er ihn umarmen konnte.«

Wenn der Kronprinz tatsächlich eine gewisse Weibischkeit zur Schau trug, so ist psychologisch die Ursache darin zu suchen, daß seine Bewunderung für den Vater, seine kindliche Verehrung und Liebe zu ihm, sowie dessen eiserne Strenge jede selbständige Regung erstickten, die Entwicklung der Männlichkeit in ihm verzögerten. Für diese geniale Natur ist das gewiß kein Unglück gewesen, denn dadurch kam er zu der Beschäftigung mit den schönen Künsten und zu einer sinnlichen Verfeinerung, wie sie vor und nach ihm kein preußischer Fürst gehabt hat.

Der mißglückte Desertionsversuch und die darauf folgende Gefangenschaft hat sein Inneres vollkommen umgerüttelt; die Entfernung von dem Vater entrückte ihn den kleinlichen Quälereien, während dessen Wille für ihn ehernes Gesetz blieb. So vermochte sich in ihm nun alles das, was man in einem jungen Menschen Tüchtigkeit nennt, zu entwickeln. Das Streben nach Verfeinerung aber erhöhte und vergeistigte sich, aus dem Liebhaber von »Döschen, Etuichen, bernsteinernen und andern Bagatellen« wird ein Freund guter Bücher, der sich selbst bereits im Schreiben und Dichten versucht. Kurz vor dem Antritt seiner Regierung schrieb er, auch innerlich völlig mit dem Vater versöhnt, den Anti-Macchiavell, der noch ganz den Charakter seines Kronprinzentums und noch nichts von dem künftigen König verrät. Längst ist im Bewußtsein der Gegensatz zu dem selbstherrlichen Vater überwunden, den er vielmehr verehrt; aber seine Ansichten sind noch immer nichts anders als der sublimierte Niederschlag eines inneren Widerstands gegen alles, was Macht und Gewalt heißt. Noch immer war sein »Wille zur Macht« und zu ihren Mitteln, ihm selber unbekannt, in den Tiefen seines Unbewußten gefesselt. Noch immer war er der milde, friedliche Philosoph, mehr geistig als militärisch gerichtet, der dem Vater die Macht ließ, sich selbst aber in der Beschaulichkeit von Rheinsberg am wohlsten fühlte. Kaum war indessen Friedrich Wilhelm der Erste gestorben, kaum war Friedrich an seine Stelle gerückt, als plötzlich der Druck, den er unbewußt auch in den letzten Jahren noch getragen hatte, von ihm genommen war. Jetzt war in ihm die Äußerung eigener Machttriebe nicht mehr Gegensatz zum Vater, vielmehr handelte er, ihnen nachgebend, um so mehr in des Vaters Sinne, als er als König dessen Vermächtnis mehrte. Alles Passive in ihm ist vollkommen verschwunden, als ob sein eng an den Vater gebundener Geist bisher alles Männliche, als nur diesem zukommend, an ihn abgedankt, nun aber für sich in Anspruch genommen hätte. Erst jetzt, da Friedrich Wilhelm der Erste nicht mehr unter den Lebenden weilte, war für das Gefühl des Sohnes Machtausübung auch einem andern, vor allen ihm selbst erlaubt, und jetzt erst trat Friedrich der Große in die Rechte seiner Männlichkeit ein. Die bisher verborgene Seite seiner Natur war Friedrich Wilhelm dem Ersten viel ähnlicher, als dieser geglaubt hatte.

In seinen Denkwürdigkeiten aus dem Jahre 1742 gibt Friedrich der Große über die Triebfedern für den ersten Schlesischen Krieg folgendes an: »Der Ehrgeiz, mein Vorteil, der Wunsch, mir einen Namen zu machen, gaben den Ausschlag, und der Krieg ward beschlossen.« Hier erkennt man weder den zarten Knaben von einst, noch den Verfasser des Anti-Macchiavelli, aber auch keinen rohen Gewaltmenschen; es darf nie vergessen werden, daß die Eroberungen der früheren Zeit mit Berufsheeren stattfanden, die aus kriegerischen Menschen bestanden, nicht mit Zwangsheeren.

Diesem wunderbaren Schicksal verdankt Friedrich nächst seinen Anlagen, daß er die historische Größe erreicht hat, denn diese liegt niemals nur im kühnen Handeln, sondern jeder wirklich Große ist auch ein Erkenner gewesen. Das aber konnte Friedrich nur deshalb werden, weil die Gewalt des Vaters, zunächst jede Eigenmächtigkeit in ihm ausschließend, seine rege Natur notgedrungen nach dem Geistigen hindrängte. Dies ist ihm niemals verloren gegangen, und dadurch war er nicht nur ein großer Eroberer und Mehrer seines Reiches, sondern er ist gleichzeitig einer der wesentlichsten Vertreter der Geistigkeit seiner Zeit gewesen. Die bestand in einem (nicht im heutigen Parteisinn) wahrhaften Liberalismus, der geneigt war, mit allem erstarrt Mittelalterlichen aufzuräumen. In dieser neuen Geistigkeit lag eine gewisse Einfalt, wodurch sie heute leicht mißverstanden wird. So hat Friedrich der Große zeitlebens, in Erinnerung an die alte Geschichte, eine gewisse heimliche Neigung für republikanische Ideen gehabt, er behandelte sie wenigstens gerne, während Katharina die Zweite sogar in ihre Grabschrift den Satz aufnehmen ließ: »Sie war nachsichtig, leichtlebig, von heiterer Gemütsart, republikanischer Gesinnung und gutem Herzen.« Aber damit ist etwas ganz anderes gemeint, als das, was man heute unter Republikanismus versteht. Vor 1789 sah man in den kleinen Republiken des Altertums die Pflanzstätten hoher bürgerlicher Tugenden und verkannte, daß sie dies nur sein konnten in einer Welt, die in nächster Nähe keine größeren Staatensysteme kannte und im Inneren vollkommen übersichtlich war. Erst das Jahr 1789 hat gelehrt, wohin dieser platonische Republikanismus führt.

Wenn Friedrich der Große, was nicht zu verwundern ist, trotzdem eindringlich für die erbliche Monarchie eintritt, so tut er es nicht mehr mit verschwommenen Redensarten, sondern aus der Sachlichkeit eines erfahrenen Lebens heraus. In seiner Kritik des Systems der Natur von Holbach heißt es: »Seit Anbeginn der Welt haben die Völker es mit allen Formen der Regierung versucht; die Blätter der Geschichte sind voll davon, allein es gibt keine Regierungsart, die nicht Unzuträglichkeiten unterworfen wäre. Die meisten Völker jedoch haben die Erbfolge der regierenden Familien anerkannt, weil das bei der Wahl, die sie zu treffen hatten, die mindest nachteilige Entscheidung war. Das Übel, das auch diese Einrichtung mit sich bringt, besteht darin, daß unmöglich während einer langen Reihe von Jahren innerhalb einer Familie Talente und Verdienst ununterbrochen vom Vater auf den Sohn forterben können, und daß demnach zuweilen unwürdige Fürsten den Thron einnehmen werden. Dem aber steht die ungeheure Tatsache gegenüber, daß nicht Thronkandidaten und -prätendenten unaufhörlich das Volk gegen die Fürsten aufwiegeln, Unruhen und Empörung stiften, in der Hoffnung, auf solchem Weg emporzusteigen und zur Herrschaft zu gelangen.« Vielmehr ist durch die erbliche Dynastie gerade die für den hohen Ehrgeiz verlockendste Stellung allen Bestrebungen der Einzelnen von vornherein entzogen. Das aber begründet die Festigkeit eines Staatswesens.

Wenn man nun auch in dem Anti-Macchiavelli heute nicht viel mehr als ein Jünglingsbuch erblicken kann, so ist nichts sympathischer, als daß gerade derjenige, welcher Preußen zu einer Großmacht erhob, ehe er ein Eroberer wurde, ein solches Buch hatte schreiben können, worin es heißt: »Mut und Gewandtheit finden sich ebensowohl bei den Straßenräubern, wie bei den Helden. Der Unterschied zwischen beiden besteht nur darin, daß der Eroberer ein erlauchter Räuber, der gewöhnliche Straßendieb aber ein obskurer Spitzbube ist. Dem einen wird als Lohn für seine Gewalttat Weihrauch und ein Lorbeerkranz zuteil, dem andern der Strick.«

Je älter Friedrich wurde, desto mehr hat er sich damit begnügt, vor seinem eigenen Gewissen redlich zu erscheinen, mochten auch seine Absichten verkannt und seine Mittel verurteilt werden. Schon in dem Testament von 1752 sagt er, es sei notwendig für den Fürsten, »seinen Charakter zu verhüllen und nichts sehen zu lassen, als eine gemessene Entschlossenheit, durch Rechtsgefühl gemildert.« Die Freiheit hat längst aufgehört, für ihn ein Evangelium, ja nur ein Ideal zu sein, vielmehr ist sie eine der Möglichkeiten, wie Völker unter gewissen Umständen leben können; einmal ist sie gut, ein andres Mal ist sie schlecht. So erzählt er: »Ich habe den Städten in den alten Provinzen die Freiheit gelassen, ihren Magistrat zu wählen und mich in diese Wahlen nur dann eingemischt, wenn sie Mißbrauch damit trieben, und einzelne Familien zum Nachteil der andern alle Gewalt an sich rissen. In Schlesien habe ich ihnen das Wahlrecht genommen, damit sie die Schöffenstühle nicht mit Leuten besetzen, die dem Hause Österreich ergeben sind. Mit der Zeit und sobald die gegenwärtige Generation ausgestorben ist, kann man den Schlesiern ihr Wahlrecht unbesorgt wiedergeben.« Wieviel weise Politik liegt in diesen wenigen Worten! Gerade heute, wo man wieder das Wahlrecht nach sogenannten gerechten Prinzipien regeln will, sollten solche Aussprüche gelesen werden. Grundsätzlich ist weder für noch gegen ein Wahlrecht irgend etwas zu sagen; hier kann man durch Freiheit, dort nur mit Zwang herrschen, das hängt von den verschiedenen Umständen ab. Nicht welches von diesen Mitteln das »gerechtere«, sondern welches für die Ordnung der Gesellschaft das Wirksamere scheint, ist – im Sinne Friedrichs des Großen – die Frage der Politik. Bei all dieser Vorurteilslosigkeit wahrte sich Friedrich das Vorrecht aller Großen: mißtrauisch gegen das voraussetzungslos Neue zu sein. »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister«, und so beschränkte er sich in der Bildung auf den Klassizismus, im Wirtschaftsleben auf den Merkantilismus; in der Kriegskunst hielt er sich an Turenne und Condé und glaubte sich, wie Koser in der Vorrede zu seinem »Friedrich« betont, wegen seiner Neuerungen in der Kriegführung geradezu entschuldigen zu müssen.

II.

Daß der Stil, wie Buffon sagt, der Mensch selbst sei, wird niemals klarer, als wenn sehr große Menschen, die nicht von Beruf Schriftsteller sind, eines Tages aus einer inneren Notwendigkeit zur Feder greifen und ihr und ihrer Taten Verhältnis zur Umwelt darstellen. Dann gewinnen sie jene geniale Einfalt und Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die selbst große Schriftsteller erst nach langer Selbstzucht erreichen. Der gebildete europäische Mensch ist seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr naiv. Vernunft und Intellekt sind bei ihm so scharf ausgebildet, daß er allen Eindrücken mit einer gewissen Zweifelsucht gegenübersteht und sie selten so wiederzugeben wagt, wie sie sich ihm ohne diese Zweifel darstellen würden. Nur ein wuchtiger Wille oder ein die letzten Folgerungen dieser Intellektualität ziehender Geist können wieder zu jener genialen Unmittelbarkeit gelangen, die genau das zu sagen wagt, was sie fühlt, wie sie dem ursprünglichen Menschen selbstverständlich war. Aus diesem Grunde kommt man nur auf zwei Wegen zu dem großen Stil: entweder man ist von Haus aus so kühn, daß alle jene intellektuellen Voraussetzungen des Zweiflers hinfallen und wie vor dem Kinderauge eine ganz neue, selbstgeschaffene oder wenigstens selbstgeordnete Welt mit neuen Werten und daher auch neuer Sprache in einem entsteht, oder aber man denkt alle seine Zeit beherrschenden intellektuellen Vorurteile und Wertungen so frei durch, daß alles Abgegriffene und tausendmal Gesagte aus der Erinnerung verschwindet und jedes Wort wieder seine ursprüngliche, von dem Geschwätz der Zeit unbeeinträchtigte Bedeutung gewinnt. So kommt es, daß in dem Munde von kühnen oder freien Menschen Worte wieder sinnvoll und mächtig werden, die in dem alltäglichen Kauderwelsch der öffentlichen Meinung längst zur Phrase hinabgesunken sind. Wessen Sprache wieder jene geniale Einfalt gefunden hat, der darf Worte wie Tugend, Vaterland, Frömmigkeit und andere millionenmal gebrauchten Ausdrücke anwenden, ohne auch nur einen Augenblick hohl und alltäglich zu erscheinen.

Aus diesem Grund ist es nicht wunderbar, daß in Deutschland, wo das Problem des Stils, des literarischen Ausdrucks nicht annähernd so tief erörtert worden ist wie in anderen Ländern, wo es infolgedessen viele Dichter gibt, die keine reinen Verse machen, Schriftsteller, die nicht »schreiben« können, daß gerade bei uns die beiden größten Vertreter des handelnden Lebens der letzten Zeit zu unseren ersten Stilisten gehören. Weder Bismarck noch Moltke waren besonders musisch veranlagte Menschen, aber ihre Größe gab ihnen jene geniale Einfalt des Ausdrucks, die es erlaubt, ihre Prosa zu der besten zu zählen, welche die deutsche Literatur überhaupt aufzuweisen hat. Unter unseren gefeiertsten »Berufsschriftstellern« und »Berufsdichtern« wüßte ich keinen zu nennen, von dem ich Denkwürdigkeiten zu erwarten wagte, deren Stil auf der Höhe der »Gedanken und Erinnerungen« oder etwa der Moltkischen »Briefe aus der Türkei« stünde. Das allergrößte Beispiel aber für das Gesagte sind wohl die Kommentarien Caesars, die überall, wo eine literarische Geisteskultur herrschte, für den Inbegriff der klassischen, knappen und doch plastischen Darstellung von Vorfällen gegolten haben.

Auch Friedrich der Große gehört zu jenen großen Handelnden, die das Bedürfnis hatten, ihre Taten aufzuzeichnen. Daß er als Schriftsteller trotzdem neben den eben Genannten bis jetzt nicht gewürdigt werden konnte, beruht auf der Tragik, daß er als Deutscher in französischer Sprache schreiben mußte. Nur ein in erster Linie literarisch veranlagter Mensch seiner Zeit wie Lessing konnte sich aus der damaligen deutschen Sprache ein Werkzeug schmieden, in dem hohe Gedanken zum Ausdruck zu bringen waren. Friedrich der Große, der in erster Linie ein Handelnder war, mußte dagegen diejenige Sprache benutzen, die sich ihm bot, und das war die französische. »Der Hauptfehler des Deutschen ist der Wortschwall«, sagt der König in der »Geschichte meiner Zeit« bei der Betrachtung der Künste in Europa. Wir wissen, wie sehr die deutsche Prosa sich auch heute noch vor diesem alten Erbübel in acht nehmen muß. Nun mag man eine fremde Sprache noch so gut beherrschen, sie ist niemals das natürliche Ausdrucksmittel wie die Muttersprache. Ein bedeutender Geist wird zwar auch in einer fremden Sprache besser schreiben als ein unbedeutender in der eigenen, so wie mancher mit einer schwächlichen, wenigstens zarten Gesundheit oder gar einem körperlichen Fehler ein großer Feldherr war, während nicht selten ein von Gesundheit strotzender Riese ein Hasenfuß ist. Nelson ging in die Schlacht bei Trafalgar mit nur einem Arm, und Friedrich der Große selbst hat die Strapazen des Siebenjährigen Krieges mit einem äußerst hinfälligen, gichtgequälten Körper überstanden. So hat er auch in der Geschichte seiner Zeit auf französisch Lesenswerteres gesagt als mancher Memoirenschreiber, dem das Französische Muttersprache war. Aber man darf trotz allem nicht vergessen, daß er das Französische keineswegs wie ein Franzose beherrschte. Er war sich selbst dessen immer bewußt. Aus seinem Briefwechsel mit Voltaire geht diese Selbsterkenntnis deutlich hervor; und wenn er auch der französischen Sprache weit mehr mächtig war als die meisten Fürsten seiner Zeit, als z. B. Maria Theresia, deren französische Briefe für einen Franzosen stellenweise kaum zu verstehen sind, wenn er auch Gelegenheit hatte, mit den größten Geistern der französischen Literatur in naher Verbindung zu sein und sich von ihnen oft genug seinen Stil feilen zu lassen, so dürfen wir seine französische Prosa niemals mit der Voltaires oder Montesquieus messen. Aus diesem Grunde hat sein Stil nicht jene unmittelbare Plastik, die wir in den Kommentarien Caesars bewundern, vielmehr ist der König zeitlebens ein Schüler Voltaires geblieben. Freilich, eine bessere Schule ist für einen Schriftsteller wohl kaum denkbar; nicht als ob Voltaire selbst der größte Stilist gewesen wäre, aber er ist der von aller Manier Freieste, sein Stil ist das Äußerste des sachlichen, klaren Ausdrucks dessen, was er sagen will; denn es gelingt ihm immer, für den einen Gedanken nur die eine mögliche Form zu finden und ungewollte Nebengeräusche, nichtssagende oder verwirrende Anklänge zu vermeiden, so daß jemand, der ihn sich zum Muster nimmt, niemals etwas Schlechtes von ihm lernen kann, während die Nachahmung selbst der Goethischen Prosa nur allzuoft eine lächerliche Manier erzeugt. Der Grund ist zweifellos die größere Eigenart Goethes, aber das eigenartigste Genie ist keineswegs immer der beste Lehrer. Man lese wieder einmal ein Kapitel aus Voltaires » Histoire de Charles XII.« Hier ist genau das gesagt, was man erfahren will, und nichts, was bloß pedantischer Gelehrtenkram ist. Weil sich der König eine solche Prosa zum Muster nahm, ist sein Französisch überall klar, gut lesbar und manchmal graziös, aber die Klaue des Löwen spürt man nur selten.

Es gibt deshalb kaum einen unter den großen Schriftstellern – und zu diesen gehört Friedrich der Große trotz alledem – dessen Werke durch eine Übersetzung weniger beeinträchtigt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man sich etwa von den Denkwürdigkeiten des Kardinals von Retz oder den Briefen der Mme. de Sévigné in irgendeiner Übersetzung einen Begriff machen kann. Die Werke Friedrichs des Großen aber verlieren kaum in deutscher Übertragung. Deshalb ist die neue Ausgabe doppelt zu begrüßen. Sie ist nicht nur denen zu empfehlen, die des Französischen nicht hinreichend mächtig sind, denn das Deutsch zeigt die bewährte Sprachkunst des Herrn v. Oppeln-Bronikowski.

Es war ein ausgezeichneter Gedanke des Herausgebers der »Gedichte meiner Zeit« des Herrn G. B. Voltz, die drei Vorreden von 1742, 1746 und 1775 abzudrucken, die einen Längsschnitt durch die geistige Entwicklung des Königs geben. In ihnen ringt sich der Verfasser des »Anti-Machiavel«, der von einem Schöngeist und Philosophen inzwischen zu einem Helden geworden war, in der Frage der politischen Moral zur Klarheit durch. Es ist unbeschreiblich fesselnd, zu verfolgen, wie sich hier der deutsche Idealist, der Friedrich im Grunde seiner Seele war, mit dem Strategen und dem Staatsmann auseinandersetzt. Wir sehen wieder einmal, wie sehr dem deutschen Geiste eigentlich die Grundsätze dessen, was man die große europäische Politik nennt, widerstreben. Darum sind wir so lange nur das Volk der Dichter und Denker gewesen. Ist es doch auch heute wieder unsere geringe Fähigkeit, die besondere Moral und Sprache jener europäischen Politik uns zu eigen zu machen, die uns oft genug diplomatischen Schlappen aussetzt, deren Ärgerlichkeit uns dann nur zu leicht veranlaßt, uns in Fällen energischer Abwehr im Ton zu vergreifen. Aus diesem Grunde sollte man sich außer in den »Gedanken und Erinnerungen« auch immer wieder in den Werken Friedrichs des Großen Rat holen. Hier findet sich nicht die angeborene Verschlagenheit eines Mazarin oder Marlborough, sondern ein klarer Geist, der einfach die Notwendigkeit erkennen lernt, jene Grundsätze der europäischen Politik sich unbeschadet seiner persönlichen Ehrenhaftigkeit zu eigen zu machen, wenn er und sein Land des Lebensrechts nicht verlustig gehen wollen. »Ich hoffe,« sagte der junge König nach dem Ersten Schlesischen Krieg, »die Nachwelt, für die ich schreibe, wird bei mir den Philosophen vom Fürsten und den Ehrenmann vom Politiker zu scheiden wissen.« »Ich muß gestehen, wer in das Getriebe der großen europäischen Politik hineingerissen wird, für den ist es schwer, seinen Charakter lauter und ehrlich zu bewahren. Immerfort schwebt er in Gefahr, von seinen Verbündeten verraten, von seinen Freunden im Stich gelassen, von Neid und Eifersucht erdrückt zu werden, und so steht er schließlich vor der schrecklichen Wahl, entweder seine Völker zu opfern oder sein Wort zu brechen.«

So ist es diesem Genius gelungen, ein Philosoph und ein bis ins kleinste ehrenhafter Mensch zu bleiben, aber in einer Welt der Ränke zwischen Versailles, Hannover, Petersburg und Wien sitzend, jene scharfsichtige Klugheit in sich zu entwickeln, und eine Herzensgröße zu bewahren, ohne welche die höchste Tüchtigkeit der Einzelleistung ärmlich und wirkungslos bleiben muß.


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