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Bibliographische Bemerkung

Des Verfassers im folgenden mehrfach angeführtes Don Juanspiel, dessen Held Don Manuel heißt, ist nicht vollendet worden; indes wurde der Schluß abgetrennt und ist als gesondertes »Vorspiel in 3 Szenen« unter dem Namen: »Don Juan und die Kurtisane« bei Georg Müller erschienen.

Die Komödie des Verfassers »Ein deutscher Don Juan« spielt in unserer Zeit. Der Held ist halb Don Juan, halb – Deutscher, ein kaum zu vereinender Gegensatz.

Casanova kein Don Juantypus

Vorrede

Sevilla, September 1905

Das Vergnügen, meinem Don Juanbuch aus Sevilla ein Geleitwort zu geben, kann ich mir nicht versagen; aus der Stadt, von der Calderon sagt, daß sie jede Nacht neue Geschichten gebäre, deren Gassen Cervantes abenteuerreicher nennt, als die irgend eines andern Orts, und die im Guzman de Alfarache »Mantel der Sünder« heißt. Was mir die Tage unter den Palmen der Plaza San Fernando und zwischen den bunten Azulejos und Hufeisenbögen des Alcázar und der Casa de Pilatos vor Augen rücken, was mir die ersten kühleren Nächte zuflüstern auf der Alameda de Hercules zwischen Flamengo und Fandango, in den engen Gassen, wo die Liebhaber an vergitterten Fenstern lispeln, bestätigt mir das, was der Leser auf den nächsten Blättern ausgeführt finden wird: den Rassenunterschied zwischen dem finster-gewaltigen Don Juan und dem liebenswürdig-verfeinerten Casanova. Hier ragt über einem chaotischen, sehr ursprünglichen Volksleben der eiserne Turm eines harten Bekenntnisses, das den Gedanken verbirgt: Unsere Triebe sind so wild, daß wir den Strom des Blutes mit hohen Uferdeichen und Wehren regeln müssen, falls wir nicht Einheit der Familie, Kinder und Frauen dem Zufall und damit der Verwilderung preisgeben wollen. Dämme in unwahrscheinlicher Höhe werden um diejenigen Frauen errichtet, von denen man die geregelte Fortpflanzung erwartet. Sie sind hier die Opfer der gesellschaftlichen Notwendigkeit, während die Klasse von Mädchen, die bei uns als Parias verachtet und neuerdings beklagt wird, mit ihrem drollig krähenden Gelächter die ganze Nacht hindurch die Plätze erfüllt, wo Tisch an Tisch bei trübem Licht das Volk und die Männer aller Stände sich so wahrhaftig zu vergnügen verstehen, wie ich es noch in keinem Land unseres gefirnißten Europa sah. Inzwischen liegen die Häuser still und öde. Die Frauen ruhen in den kühlen Patios aus, die Töchter sitzen am Gitterfenster, wo der Bräutigam, der das Haus nie betreten darf, mit ihnen flüstert. Die Familien besuchen sich nicht, abgesehen von der dünnen Oberschicht der Gesellschaft, die Pariser Formen mit mehr oder weniger Glück nachahmt. Das Mißtrauen ist zu groß; doch Mißtrauen ist ein falsches Wort, das noch eine gewisse Unsicherheit zugesteht. Hier aber erkennt man offen an: der Mann will nichts anderes von der Frau, als sie verführen, und die Frau möchte im Grund nichts anderes, als verführt werden. Man muß daher Feuer und Sprengstoff möglichst getrennt halten, es sei denn, man lade bewußt und regelrecht das schwere Geschütz der Ehe. Dieser Zustand ist vielleicht Barbarei, er schließt die gesellschaftliche Gesittung aus, den Einfluß der gebildeten Frau auf das Leben der Männer, welche die Nächte im Klub bei Gesprächen über Stierkämpfe oder mit den verschiedenen Carmencitas und Estrellitas tändelnd verbringen. Hier vermöchte der schöngeistige Casanova, der den persönlichen Duft der einzelnen unter sich ganz verschiedenen Frauen kosten will, nicht Fuß zu fassen, wohl aber blüht hier Don Juan, der mit zerstörerischem Arm die Gitterstäbe der Familienhäuser zerreißt und das zitternde Täubchen nachts auf einem in der Nebengasse harrenden Andalusierhengst entführt. Das einzige, was dieses grausame Leben mildert, ist die große Höflichkeit, und noch gestern beim Abendessen sagte Don Luis, der die schönste spanische Capa besitzt, die ich noch sah, mit seinem grimmigen Albalächeln: »Die Spanier gestatten den Frauen por cortesia todo, por derecho nada.« (Aus Höflichkeit alles, von Rechts wegen nichts.) Ich fälle hier keine Urteile, ich suche nur gewissen Verzweigungen des Lebens nachzugehen. Spanien, wenigstens Andalusien hat seine iberische Blutröte bis in diese verblaßte Zeit hinein gewahrt, und darum schwanken manche, ob sie es das letzte der gesitteten oder das erste der barbarischen Länder nennen sollen. Von den beiden fremden Gewächsen, die Europa aus dem Osten erhielt, katholisiertes Judentum und humanisierte Griechheit, hat sich in Spanien nur das erste eingewurzelt. Die Renaissance mit ihrem Begriff » culto« war hier stets nur ein aus Italien bezogener Überfluß und selbst dem erlauchten Kreis der Cervantes, Gongora, Herrera, der sich in dem Mudéjarpalast des Herzogs von Alcalà versammelt hat, fehlte die Hauptwürze, das Gespräch der Frau, wie es sich in den Büchern Boccaccios, Castigliones und so mancher anderer Italiener spiegelt. Die Männer sind zu wild geblieben, als daß die Frau frei und ohne den beengenden Schutz einer Dueña zwischen ihnen wandeln könnte. Das aber ist, wie wir sehen werden, die rechte Luft für Don Juan.

Motto:

Oui, Don Juan, le voilà ce nom que tout répète,
ce nom mysterieux que tout l'univers prend,
dont chacun vient parler, et que nul ne comprend;
si vaste et si puissant qui'il n'est pas de poëte,
qui ne l'ait soulevé dans son ceour et sa tête
et pour l'avoir tenté ne soit resté plus grand.

Alfred de Musset.

I.

Den erhabenen Namen Don Juan mißbrauchen die meisten, indem sie ihn auf alle diejenigen anwenden, die, statt durch Einehe hervorzuleuchten, mehreren Frauen ihre Liebe oder einen Ersatz dafür zuwenden. Wir indessen wollen es hier als eine persönliche Sache von geringer Wichtigkeit betrachten, welcher Lebensform sich der einzelne unterzieht, und müssen sogar dem Großtürken trotz der Vielfältigkeit seiner Neigungen jenen auszeichnenden Namen versagen: denn Don Juan ist nicht der Urheber des äußerlich abzugrenzenden Tatbestandes der Vielweiberei, sondern er ist ein Charakter, ein Temperament mit eigenen Gesetzen. Und wie es nach Machiavell Könige ohne Kronen gibt (als auch Kronenträger, die nicht Könige sind), so werden wir im Laufe unserer Betrachtungen sogar auf einen echten Don Juan stoßen, der Asket ist. Die groben Tatbestände sollten nie als Beweise dienen, sie sind zufällig und oft verwirrend.

Uns fesselt zunächst Don Juan, der Held der Weltliteratur, der Popanz der Väter und Gatten, der der Hölle selber trotzt und zuletzt von ihr verschlungen wird; aber nicht Don Juan als geschichtliches oder literarisches Bildnis wollen wir zeichnen, Das geschah oft und gut. Vergl. Johannes Fastenrath, Vorwort zu seiner Übersetzung des Don Juan Tenorio von Don José Zorilla. Dresden und Leipzig 1898. Karl Engel, die Don Juansage auf der Bühne. Dresden 1887. Kahlert, Don Juan in Scheibles Kloster. Bd. III. Stuttgart 1846. Castil-Blaze, Molière musicien, Vol. I Paris 1852. D. Felipe Picatoste, Estudios literarios, Madrid 1883. Arturo Farinelli, Don Giovanni, Torino 1896 u. a. m. sondern als seelische Erscheinung. Es ist daher nicht unsere Aufgabe, alle verliebten Bücher mit Don Juanhaften Helden zu prüfen. So übergehen wir auch den der Sage und dem Urbild gleich entfremdeten Don Juan Byrons. Zu unserer seelischen Klarlegung des Don Juan-Charakters können nur die aus der Volksüberlieferung selber schöpfenden altspanischen Werke dienen, sowie die das Urbild wirklich erhellenden Auffassungen der Dichter, deren Zeugnis wir an geeigneter Stelle herbeiziehen werden. Dabei gewahren wir, daß der Don Juan unserer Phantasie mit einem ganzen Eigenschaftskreis verflochten ist, der zu seinem Urbild nicht gehört, und indem wir diese Eigenschaften von ihm lösen, entsteht uns – getrennt von ihm – eine zweite, anmutigere, aber minder großartige Gestalt, mit der er stets verwechselt wird. Gemeinsam haben beide nur den Tatbestand der durchgeführten Vielweiberei, aber ebensowenig wie Mörder, Zweikämpfer, Scharfrichter, Soldaten und Ärzte seelisch zusammengeordnet werden wegen des äußerlichen Tatbestandes, daß sie zeitweise Menschen töten, ebensowenig gehören diese beiden Erscheinungen zusammen. Für den zweiten kenne ich keine Bezeichnung und will auch keine mühselig ersinnen. Ich werde ihn vielmehr mit dem Namen derjenigen geschichtlich beglaubigten Persönlichkeit auszeichnen, die ihn am treuesten verkörpert hat: Casanova.

Bei der Umreißung seelischer Erscheinungen darf nie vergessen werden, daß das Urbild, hierin manchen chemischen Stoffen gleich, sich zwar nach bestimmten uns bekannten Gesetzen verhält, aber fast niemals rein vorkommt. Wir müssen es in den Verbindungen selbst, meist aus seiner Verhaltungsweise erkennen. Es gibt weniger Don Juans als Don Juanartige Gestalten, und der sagenhafte Don Juan ist selbst – wie wir sehen werden – nur die geschlechtliche Abart einer metaphysisch bedingten, viel umfassenderen Urgestalt, des Satanisten. Zwischen Don Juan und Casanova gibt es zahlreiche Zwischenstufen, die meisten Liebeshelden mögen auf ihnen stehen.

II.

Don Juan ist im Gegensatz zu Casanova betrügerischer Verführer. So sahen ihn Tirso da Molina, Calderon, Molière, da Ponte und Mozart, E. T. A. Hoffmann, Grabbe, Kierkegaard, Armand Hayem, Armand Hayem ( Le Don Juanisme, Paris, Alphonse Lemerre 1886) ist der einzige Vorläufer, den wir unseres Wissens in der Betrachtung dieser Frage haben. Seine Schrift umzingelt das Gebiet mehr, als daß sie es erforscht. Wir werden öfters Gelegenheit haben, die manche Punkte scharf beleuchtende Arbeit, deren Übersetzung sich verlohnen würde, auszuführen. Zorilla. Don Manuel, der Held eines unvollendeten Don Juan-Dramas vom Verfasser dieser Schrift, weist den billigen Vorwurf »Verführer« mit den Worten zurück:

Manuel:
Verführung braucht Gewalt, List, Gold; Verführung
raubt, kauft und stiehlt –

Lope:
Was tat Don Manuel?

Manuel:
Er trinkt den Opferodem süßer Kelche,
der duftenden – ihm blüht die Welt –
ein milder Herr, der seines Reichtums froh.

Verführen ist die kühne und verschlagene Beseitigung oder Übersteigung derjenigen Wälle, Basteien und vorgeschobenen Schanzen, mit denen in der christlichen Welt Frauenherzen umgeben sind. Etwas anderes ist, eine Frau, mit offenen Karten spielend, zu gewinnen. Die Verführung setzt einen grundsätzlichen Gegenwillen der Dame und ihrer Umgebung voraus, und diesen durch Gewalt oder List zu täuschen, lockt Don Juan. Daß er die Schönen den Reizlosen vorzieht, geschieht nicht zum wenigsten, weil sie meist stolzer, bewachter, gewitzigter, umworbener sind. Die Herrin zeichnet er vor der Kammerjungfer nur dann aus, wenn sie schwerer zu erobern ist. Ihn reizt die Schwierigkeit der Besitzergreifung, die damit verbundene Gefahr, erst in zweiter Linie der Gegenstand. Seine Wollust ist das Wagen: »den Plan wechseln, seine Heere von einem Punkt zum andern werfen, plötzlich seine Hilfstruppen vorschieben, wie Massena in Zürich, und all' das mit einer unwiderstehlichen Bewegung: das sind die Bedingungen des Erfolgs.« (Hayem, S. 31, 32, 33.) Sein Erlebnis ist daher stets dasselbe: Bestechung der Dueña, Einsteigen durchs Kammerfenster, Kampf mit Brüdern, Nebenbuhlern, Gatten, eiliger Genuß, Flucht vor Tagesgrauen, und der Rest sind Tränen, Tränen, Weibertränen, über die er lacht, bis ihn der Teufel holt; dabei berückend, verführend durch glänzende Verwegenheit, auch jeden Mann bezaubernd, der kein Don Octavio ist.

Wird uns ein neuer Dichter diese Gestalt einmal zeigen? Nur mit großen Einschränkungen, wie wir nachher an dem Beispiel Herbert Eulenbergs sehen werden; denn unsere Zeit lockt in der Liebe das Erotische, und seltsamerweise – Don Juan ist im Grund nicht erotisch; falls er sich mit dem Erotiker in einer Seele verflicht, was häufig genug geschieht, so tritt dieser Widerspruch besonders scharf hervor, so wie der Jähzorn des sonst Gemäßigten, die Leidenschaft des Spiels in dem sonst gegen Gewinn Gleichgültigen.

Da, wo die Erotik beginnt, macht Don Juan Halt; der persönliche Reiz der einen reizt ihn kaum, sondern nur die mehr äußerlich bedingte kühne oder listige Art, wie er sie in die Lage bringt, in der sich für ihn alle gleichen. Er ist ein Feldherr, der ein Land nicht darum erobert, weil er es bewohnen will. Aristipp und Epikur waren nicht seine Lehrer. Dionysos ist nicht sein Gott. Ein Sohn des Mars oder Saturn und freilich auch der Venus, hat er mehr vom Vater als von der Mutter geerbt.

III.

Casanova aber – das verkörperte achtzehnte Jahrhundert – ist der Liebeskünstler schlechthin, dem übrigens auch, sobald es seinen Zwecken diente, das bezaubernde Feuerwerk des Don Juantums zu Gebote stand. Jupiter gleich, vermochte er stark zu sein wie der Stier der Europa, zärtlich wie der Schwan der Leda, verschwenderisch wie der Goldregen, der sich auf das Lager der Danaë ergoß. Ohne, wie Don Juan, die Schwierigkeiten zu suchen, scheut auch er, wenn es nottut, nicht List, nicht Mühe, nicht Gefahr, kein Pathos und keine Lüge, um sein Ziel zu erreichen, dann aber kostet er den süßen Saft der Stunden wie aus üppigen Früchten mit einer von höchster Lebensweisheit beherrschten Glut, die noch in den Sätzen glimmt, in denen er, alternd, sein erstaunliches Wissen um die Lust der Nachwelt vermachte. »Ich habe als Philosoph gelebt,« heißt es, sei sein vorletztes Wort gewesen, sein letztes werden wir nachher erfahren. Er ist »nichts«, oft genug nannte er sich selbst » un homme à rien;« ebensogut hätte er sagen können: » un homme à tout.« Er kaufte sich den Adelstitel »von Seingalt« und trug ihn mit dem Recht des Abeces. Auf die Bemerkung Joseph II.: »Ich hasse die, welche den Adel kaufen,« soll er geantwortet haben: »Und die, welche ihn verkaufen, Sire?« Er ist der große Dilettant in dem guten Sinne, wie die lateinischen Völker das Wort verstehen, viel mehr und viel weniger als der, welcher etwas ganz ist, nie Fachmann und doch überall zu Hause. »Nur in seinen Komödien,« erzählt ein Zeitgenosse, »war keine Komik, nur in seinen philosophischen Werken war keine Philosophie, sonst war alles bei ihm voll davon.« Unter seinen Ahnen hatte er eine entführte Nonne, einen Fahrtgenossen des Christoph Columbus, einen lüsternen Dichter im Geschmack des Martial, und sogar eine Art Bänkelsänger oder Tänzer vom Theater San Samuele in Venedig.

Gespiegelt in der Liebe der Frauen, genoß er sich selbst, ein zweiter Narziß. Das ist ein Zug weiblich-weichen, eitlen, spielerischen Empfindens, der Frauen zu entzücken vermag. Die Frauen, die er nicht eroberte, sondern die ihm von selbst lächelnd die Schlüssel ihrer Festung reichten, waren nicht die Geringsten. Bei einzelnen harrt er lange aus, kehrt zu alten Flammen zurück und krankt zuzeiten an der Trennung von der Geliebten; oft genug will er sein wildes Feuer in den ehelichen Herd zwängen und glaubt dann, wie bei der Marseillaisin Rosalie, nicht mehr das Bedürfnis zu fühlen, von einer Schönen zur andern zu eilen. Aber Dank den Grazien und Eroten, es geschah nie. Freilich: die, welche ihn zu solchen Aufschwüngen der Treue versuchen, sind gerade die zur Ehe geschaffenen, und seine stets untrüglichen Triebe irren nicht, wenn er gerade sie in tieferes Erdreich versetzt, in die Ehe – doch mit einem andern. Alles dies sind Züge, die Don Juan fehlen, der nicht zu seufzen versteht, es sei denn zum Schein. »Ein Liebhaber,« sagt Hayem (S. 56) »liebt die Freundin in den ersten Stunden der Liebe; sechs Wochen später betet er sie an und verläßt sie nicht mehr. Don Juan kennt diese Steigerung bei einer Frau nicht. Er ist immer zum selben Erlebnis verurteilt im Wechsel der Gegenstände.« Als verfeinerter Geist lebt Casanova monatelang einsam, literarisch-wissenschaftlicher Arbeit hingegeben, denn er weiß, wie die Kenntnis um Vergangenes den seltsamen Reiz des Gegenwärtigen, als etwas durchaus nicht so Selbstverständlichen, erhöht. Er schreibt Schmähschriften, die ihn unmöglich machen, übersetzt alte Dichter in italienische ottave rime, die seinen Ruf wieder herstellen, verfügt hie und da über erstaunliches Wissen und sprüht von geistreichen Einfällen. Seine fast einzige Einnahme ist das Spiel, und er versteht es, dabei stets die große Gebärde zu wahren, welche die adlige Gesellschaft eroberte und die Abenteurer niederen Ranges abschreckte. »Die Weiber«, einer der härtesten Sammelnamen, den der urwüchsigere Don Juan und seine heutigen fadenscheinigen Nachahmer in Uniform und hinter dem Ladentisch stets im Munde führen, kommen für ihn nicht in Frage – es ist jedesmal eine andere, und so, wie er sie empfindet und schildert, sind sie alle Ausnahmsgeschöpfe an Herz und Empfindsamkeit; es wäre roh, sie ohne weiteres unter »die Weiber« zu zählen, jene Vergnügungswerkzeuge des sogenannten Lebemannes. Das ist der wahre Liebeskünstler, der bei der letzten schwärmt wie bei der ersten und den Frauen gegenüber immer Schönseher bleibt. Und wie weiß er von ihnen zu erzählen! So gut, daß man ihm fast nicht glauben möchte; denn wer wirklich etwas erlebt hat, schweigt gewöhnlich. Aber Casanova hat außerdem Geist, und wer Geist hat, kann nicht schweigen, er lebt in beständigem Kampf mit der Verschwiegenheit. Es gibt Sachen, die so reizvoll sind, daß man sie unter geistreichen Leuten schwer bei sich behalten kann. Inwieweit er sich hinreißen ließ, in seinen Denkwürdigkeiten zu seinen Gunsten die Begebenheiten auszuschmücken, deren einzige Blutzeuginnen die Erinnerung daran mit ins Grab genommen haben, ist gleichgültig. Die überzeugende Einheitlichkeit aller seiner Äußerungen, die auch Briefe und Worte von Zeitgenossen belegen, beweist, daß er keinen Zug seiner Natur verfälscht hat; dieser Mann hätte denn in seinen Schriften eine Gestalt erschaffen, wie sie außer den allergrößten Dichtern kaum einer schuf, ein Urbild, kraftvoller als Lazarillo de Tormes, Gil Blas, Schelmufsky und Figaro. Die Forschungen Bartholds (Die geschichtlichen Persönlichkeiten in Casanovas Werken, Berlin 1846), Baschet's (Le livre, Paris 1880-1890, A. d'Ancona's (Nuova Antologia 1882) haben übrigens die Zuverlässigkeit von Casanovas Denkwürdigkeiten in kleinsten Tatsachen sichergestellt. Alessandro d'Ancona soll sogar die Flucht aus den Bleidächern in umgekehrter Richtung wiederholt und alles den Angaben Casanovas entsprechend gefunden haben.

Don Juan hingegen kann, wenn er will, schweigen wie alle Feldherren, er hat nicht die geringste literarische Ader. Seine unerläßlichen Liebeslieder und Ständchen sind gewiß nicht besonders gut und oft von anderen, meist weniger glücklichen und darum dichtenden Liebhabern erkauft. So hat es sich stets für einen großen Herrn geziemt; schon der ritterliche Philipp von Makedonien, der selber die tönenden Würzen der Tafelfreude schätzte, fuhr einst beim Mahle den schöngeistigen Sohn an: »Schämst du dich nicht, so gut die Zither zu spielen?«

Casanova gibt sich fast ebensosehr als er Liebhaber ist, als Mann des Geistes und der Feder, und zwar ist er – selbst Mirabeau macht ihm den Rang nicht streitig – der größte erotische Schriftsteller, der sich seit Petron geäußert hat; denn im Gegensatz zu den meisten – etwa dem übrigens sehr vergnüglichen Brantôme – gibt er stets Gelebtes, nie Erlauschtes, und er sieht und hört Feinheiten, die Don Juan entgehen; so die entzückende Bemerkung jener Römerin, der er, sie in die Geheimnisse des Genusses einweihend, Austern vorsetzt: Das Mädchen, das zum erstenmal diese Speise kostet, eine lüsterne Mischung von Derbheit und Verfeinerung, erschrickt vor den verlockenden Geschmack- und Tastempfindungen, die ihr Zunge und Gaumen vermitteln, und meint: »Das ist so gut, das muß ja Sünde sein.« Wer solche kleine Züge genießt, ist aus weicherem Fleisch als der verwegene Wirt des steinernen Gastes; er besitzt Nerven, er ist kein großzügiger Bösewicht wie Don Juan und kennt die Grausamkeit nur, soweit sie den Reiz der Liebe erhöht; der Teufel wird ihn nicht holen, sondern er mag auf dem Totenbett von den schlanken Händen einer salbenduftenden Eminenz, mit Gott versöhnt, die Sterbesakramente empfangen. »Ich habe als Philosoph gelebt,« war sein vorletztes Wort, »Ich sterbe als Christ,« war sein letztes.

IV.

Von Don Juan aber kann man mit einem gewissen Dichter sagen:

»Er war von je ein Bösewicht,
Ihn traf des Himmels Strafgericht.«

Don Juan ist dämonisch, Casanova ist es nicht. Don Juans Verführte wird seine Feindin. Die Liebe zu Casanova geht immer gut aus, das ist das Eigentümliche an ihr. Seine Geliebten werden ihm hingebende Freundinnen, deren auch er mit Dankbarkeit und Gefühl, nie mit Hohn gedenkt, denen er oft genug mit viel Umsicht nützlich wird. Niemals hat er eine im Unglück verlassen. Es nimmt stets ein gutes Ende. Gerät ihm ein besitzloses Mädchen unter die Hände, dessen Triebe, allein auf die Ehe gerichtet, die Unschuld ängstlich hüten, so schont er sie gern, selbst wenn sie dem Unterliegen nahe ist; so die schöne Mlle. Roman in Grenoble, in die er doch recht verliebt war. Aber er ist kein Zerstörer, er haut den Baum nicht um, um eine Frucht zu pflücken, und er begnadigt die ihm Verfallene großmütig; denn er ist reich, er braucht sich nicht wie ein ausgehungertes Raubtier auf jede Beute zu stürzen. Einige Schritte weit harren drei Mädchen leichteren Gewichts, welche die entflammten Sinne kühlen, während seine Gefühle der schönen Roman gehören. Nie ist er roh und grausam wie jene sinnlosen Verführer, bei denen man fragt: »Warum mußte es diese sein? Hätte nicht eine andere ebensogut gedient, bei der das Unglück gering gewesen wäre?« Casanova hat ein unendlich feines Gefühl für das Menschliche, dessen sich das Geschlechtliche in ihm nie entledigt, auch bei jenen drei leichten Nothelferinnen nicht, deren Anmut und Wert er völlig erkennt. Er vergreift sich nicht, er unterscheidet sofort die groß oder tiefveranlagte Frau und vermag als Geliebter, wie bei Henriette, oder als Freund, wie bei der Roman, ganz für sie einzutreten, ohne darum die Leichte, bloß zum Vergnügen Geschaffene, zu verkennen. Andererseits nimmt er kleine, lüsterne Frauenzimmerchen nicht tragisch. Von jeder verlangt er gerade das, was sie geben kann, und darum fühlt sich jede bei ihm auf ihrer Höhe. Das Weib, das er geliebt, vergißt ihn nie mehr und wird spätere Liebeserlebnisse, an seiner Liebe gemessen, immer blaß finden. Kehrt er eines Tages zufällig zurück, so gehört sie ihm – wie durch alten Vertrag – stets wieder, obgleich sie vielleicht inzwischen einem erträglichen Gatten treu sein lernte, denn ihr großes Erlebnis ward ihr zuteil, sie vermag sich hinfort freundlich zu bescheiden. Der wiederkehrende Casanova aber ist für sie die einzige Ausnahme, er ist kein gewöhnlicher Mensch, neben ihm sind alle Männer Amphitryos oder Diadochen, die sich in das Reich des einzigen Alexander teilen. Eine Casanovas Liebe Geopferte wird niemals schicksallos verkommen. Vielleicht wird sie die Stille des Klosters suchen, aber nicht als Verzweifelte, sondern um im Schatten des höchsten, nun überschrittenen Gipfels abendlich auszuruhen.

Don Juan ist riesigeren Wuchses. Er stürzt die Frauen ins Verderben. Hinter ihnen stehend, wie Mephisto bei Gretchen, träufelt er ihnen giftige Worte ein, der Atem der Hölle umfaucht die Wangen derer, die ihr Ohr nicht verschließen. Sie sind gebannt, wie die Taube von der Schlange. Erwachen sie aus der Bezauberung, so sind sie vernichtet, geächtet. Ihr ehedem reiner Leib ist ihnen nun selber wie ein ekles Aas, das am Weg liegt. Mit Haß und Grauen denken sie des Verführers, selbst kaum begreifend, wie ihnen geschah. Mischen sich Verwandte in den Handel, so wird nach Don Juan gefahndet. Er soll die Geschändete durch Ehe retten. Sie selbst läßt alles mit sich geschehen. Von Casanova wird nie die Ehe verlangt, denn er hat nur mit der Geliebten selbst zu tun, die immer wußte, was sie tat, nie bereut und ihren Bund mit ihm gern als freien Bund der Herzen bezeichnet, die keines Segens oder Siegels bedürfen. Unbewußt erkennt sie sein Vorrecht auf alle Frauen an, gerade wegen dieses Glanzes liebt sie ihn ja. Hier ist alles übersichtlich und klar. Um Don Juan aber brauen die Nebel des Mittelalters: gekränkte Ehre – Sühne; und niemand in der erregten Familie bedenkt, wie denn eine Ehe ihres verführten Täubchens mit diesem Stück Hölle ausfallen würde.

V.

Wäre Don Juan durch körperliche Gebrechen verhindert, Don Juan zu sein, ich wette, wir würden ihn als schwarzen Magier oder Eiferer irgend eines Glaubens finden (Casanova vielleicht als einen Magister der schönen Künste), denn er ist ein Feind des Lebens, ein grausamer Vernichter, ein Sadist. Die Überlieferung macht Don Juan Tenorio zum Günstling und Genossen Peters des Grausamen von Kastilien, dessen Silberkämmerer er war. Er entstammte einem galizischen Hidalgogeschlecht, das einen Erzbischof, einen Dichter und einen hervorragenden Admiral hervorgebracht hatte. (Scheible, Das Kloster, 11. Zelle.) »Don Juan, der große Herr, war immer ein wenig, wie der berühmte Mönch Arnold von Brescia, der wie die Zeitberichte erzählen, von nichts als vom Blute der Seelen lebte. Damit ließ Don Juan den Champagner röten.« ( Barbey d'Auréville, Le plus bel amour de Don Juan). Darum jagt er gerade nach Jungfrauen, Casanova legt darauf keinen Wert. Was Casanova stets zu verhindern sucht, das Verderben, das reizt ihn besonders. Er ist Christ, und weil er als solcher sein Handeln als Frevel erkennt, befriedigt es ihn erst. Er ist Satanist. Er ist Empörer, aber nicht, weil er einem Unrecht der bestehenden Gesellschaft ein Ende machen will, kein verstandesmäßig aufgeklärter Empörer, sondern ein triebhafter Verneiner, der Teufel selbst, der Antichrist; er ist nicht heidnisch-dionysisch, sondern aus dem Schoß des Christentums geboren, dessen Sittengesetz seinem Zerstörerdrang erst Nahrung gibt, indem er gegen es frevelt, nicht, indem er es als Befreier zerbricht. Vielleicht ist sein altes Hidalgoblut nicht so rein wie die Sage will. Es ist, als habe in ihm jene wilde iberische Urrasse das unterdrückte Haupt erhoben, um hassend an den Säulen der christlich-ritterlichen Gesellschaft zu rütteln. E. T. A. Hoffmanns Meinung ist beachtenswert (»Don Juan, eine fabelhafte Begebenheit, die sich mit einem reisenden Enthusiasten zugetragen«), Don Juan zerstöre aus Schadenfreude und Haß fremdes Liebesglück, da ihn seine unlöschbare Glut nie zum Frieden mit einem Weibe kommen lasse. Auch Grabbes Don Juan ist ein Empörer, aber ihm ist viel von dem bekannten Romantikerhaß gegen die Bürgerlichkeit beigemischt, von jener Dichterverachtung gegen die bloße Tüchtigkeit. Den Don Octavio charakterisiert dieser Don Juan sehr hübsch:

… lebt mäßig, gibt nicht Anstoß, tanzt gut, reitet erträglich, spricht Französisch, kann mit Anstand im Kreise der Gesellschaft sich bewegen, und schreibt vielleicht sogar auch orthographisch. Dergleichen Schuften in den Weg zu treten ist mir die höchste Seligkeit.

Und später heißt es von ihm:

Schade, daß Maschinen fehlen, um im Ehebett Und in der Kirche, auf dem Ackerfeld Und in der Küche solches Volk ersetzen zu können …

Ganz anders ist das Fünkchen Umsturzlust, das in Casanova lebt, dessen Vernunft und Gerechtigkeit sich der Anerkennung der Menschenrechte nicht verschließen; das Gefühl für die Ordnung behält jedoch in ihm die Oberhand, und seine etwas flachen Betrachtungen über Sitte und Gesetze machen sich so lustig und liebenswürdig in seinem Mund wie der Argwohn seines Alters, der alle Enttäuschungen dem Jakobinergeist zuschreibt, von dem er seine Feinde besessen glaubte. Manche werden ihn gesinnungslos schelten, aber kann ein Mensch Gesinnungseiferer oder nur Parteigänger sein, der zu ehrlich ist, um nicht die Vorzüge des Gegners zu erkennen, zu künstlerisch, um nicht die Schönheit der Religion und der feudalen Ritterlichkeit zu lieben, zu kritisch, um nicht dennoch die Menschenrechte anzuerkennen, aber zu verfeinert, um nicht vor dem Gedanken an Pöbelherrschaft zu erbeben.

Don Juan verführt die Tochter des Komturs, denn das Ärgernis reizt ihn, das erste Haus der Stadt zu besudeln; auch Casanova wäre viel zu eitel, sich dieses Mädchen entgehen zu lassen, aber in aller Gemütsruhe, ohne Lärm, ohne Degenklirren. Nachher würde er bei Tisch mit dem Vater über die köstlichen Freuden der Literatur und einer guten Tafel plaudern, oder auch über den Wohlstand der Völker und den Nutzen leichter Sittenlockerung sprechen, welche die Gesetze mildere und rauhe Herzen erweiche. Eine leichte Lockerung ist in der Tat ein Gegengift für das Casanova besonders verhaßte Eifern, das aller Vernunft und aller Lebensweisheit Hohn spricht. »Das Einzige was die Philosophie dem Sterblichen niemals verzeihen soll, ist Tyrannei. Der schrecklichste Mensch ist der Unduldsame«, sagt Casanova. Ohne sich den ritterlichen Pflichten zu entziehen, vermeidet er gern die Waffengewalt. Er liebt das Blut nicht. Kommt es zum Zweikampf, so sind meist die Dummheiten der andern daran schuld, selten seine eigenen.

So erscheint Don Juan stets als der Rächer irgend einer Urwunde seines von allem Guten, Heiteren persönlich gekränkten Herzens, Casanova als der stets heitere Vereiner aller Gegensätze, unter dessen Zauberhand selbst Sünde und Ungesetzlichkeit zur guten Tat werden.

VI.

Don Juan ist ein Saturnier, Venus gibt seinem Handeln nur die Richtung. Wir sahen ihn verschlossen und verschwiegen, mehr als Strateg denn als Eroberer. Seine Haut ist dunkel, oft erdig, das Haar tief schwarz, die Wangen können hohl sein, er ist eher mager als fett, und starkknochig. Seine Brust ist sehr behaart, die Gelenkknoten der saturnischen Finger sind hervorstehend, er ist mißtrauisch und berechnend und gewiß rachsüchtig, jähzornig, unendlich zäh, verwegen und unverwüstlich, vor allem aber grausam. Über diese finsteren Gaben, zu denen in der Einsamkeit Melancholie, aber kein Gran Empfindsamkeit kommen mag, blies Venus ihren Anhauch der Bezauberung – lächelnde Lippen und schimmernde Augen, schlanke Gebärden und eine tiefe, sanfte Stimme – und Merkur gab Gewandtheit und leichtes Geschick. Daß auch Jupiter nicht fern blieb mit der Lust am Prunk und der feierlichen Geste, mit der Freude an breiter, lauter Gastlichkeit, das versteht sich. Die Eigenschaften des Mars nannten wir schon. Nur Sonne und Mond mieden ihn, von denen die eine das warme innere Leuchten gibt, der andere phantasievolle Empfindsamkeit.

Die Sonne aber schien über des wanderlustigen Glückskindes Casanova Wiege; dieser ist kein Saturnier. Was ihm die leichten Flüge hie und da beschweren mag – Empfindsamkeiten und Verzagtheiten – sind Einflüsse des Mondes, nicht Saturns: er ist etwas » lunatiqe«

VII.

Wenn Casanova auch als aufgeklärter Schüler Voltaires und Rousseaus hie und da mit der reizenden Weisheit seiner Zeit vernünftelt, daß nach natürlichem Recht die Triebe des Fleisches nicht sündhaft sind, so ist er doch viel zu sehr Emporkömmling in einer adeligen Gesellschaft, um etwa die katholische Kirche, den Hort der Vergangenheit, ernstlich anzutasten. Warum auch? Läßt sie die Leute nicht leben? Vernichtet nicht die Beichte die alte Sündenschuld und gibt sie nicht so viel neue unbeschriebene Bogen, als nur ein üppiges Leben auszufüllen vermag? Nur an den Lehrsätzen verbietet sie zu rütteln, und sie hat recht, denn lehrhafte Streitigkeiten sind ja langweilig. Aber aus anderen Gründen als Don Juan gehört Casanova in eine christliche Gesellschaft; gewiß nicht als Satanist: ihm wird die Lust nicht erst dadurch Lust, daß sie zum Frevel gestempelt ist, ein Dienst, den ein fanatisches Christentum Don Juan leistet. Casanova und seine Zeit sind harmloser, sie lieben das Leben und das Vergnügen unmittelbar. Spielen sie auch hie und da mit der Religion, so geschieht es nicht aus Satanismus, der Glauben voraussetzt, sondern mit einer Grundlage von Vernunft und Philosophie, die den Glauben aufgab; wobei die noch kaum verjährte Heiligkeit der verspotteten Sinnbilder freilich einen Kitzel gegeben haben mag. Casanova gehört darum in eine christ-katholische Gesellschaft, weil er als wahrer Genießender konservativ ist, den verfeinerten Müßiggang einer ahnenreichen, verzärtelten Gesellschaft mit vortrefflicher Küche und großen Annehmlichkeiten in der Liebe schätzt, die ja auch mit dem Heraufkommen des dritten und vierten Standes tatsächlich so lange verloren schienen, als die kümmerliche Sittlichkeit des Bürgertums in Europa das Betragen vorzuschreiben versuchte. »Verfechter aller Vorurteile der guten Gesellschaft« nennt sich Casanova selbst in der ersten später verworfenen Vorrede seiner Denkwürdigkeiten ( Octave Uzanne, Casanova inédit, Le Livre, Paris 1887). Das erinnert an Voltaires Wort: » Il n'est jemais de mal en bonne compagnie«. Casanovas Tragik war, daß er die Blüte der Bourbonischen Lilie überdauerte, verärgert durch einen pöbelhaften Unterbeamten namens Faulkircher, das Haupt der Dienerschaft im Schloß zu Dux. Von den Verurteilten der Revolution sagt er: »Opfer, unter denen ich immer irgend einen meiner Freunde finde, die man gerade darum hingerichtet hat, weil sie würdig waren zu leben.« Belustigend sind seine geschichtsphilosophischen Erwägungen: wäre die Salbe des Abbé de Brosses nicht gewesen, die das entstellte Gesicht der Prinzessin Conti von Pusteln befreite, so hätte ihr Gatte, der Herzog von Chartres, nicht plötzlich die Anwandlung verspürt, mit ihr den Philippe Egalité zu zeugen, ohne den die Revolution nie Tatsache geworden wäre. »Gott hatte der Herzogin von Chartres Pusteln geschickt, die der Herzog fürchterlich fand: die Hölle schickte die Salbe.« ( Casanova, Reflexions sur la révolution française.) Als echter Sohn des hochkonservativen Adelsfreistaats Venedig, wo man wie nirgends zu leben wußte, kann Casanova nie den Umsturz billigen; denn mit der Heraufkunft der unteren Stände stellt sich meist trübes Puritanertum ein. Als die Mörder eines neueren Königspaares, das freilich keine Tränen verdient, auf dem Nachttisch der Königin Stendhals Buch über die Liebe fanden, riefen sie: »Da sieht man, was die Schweine lesen.«

VIII.

Von Casanova, dem Emporkömmling und Aristokraten aus Wahl hat Hugo von Hofmannsthal manchen Zug seinem »Abenteurer« (Hugo von Hofmannsthal, Theater in Versen) gegeben:

… Atmen, wie ein Schwamm
die Welt einsaugen, über Berge hin!
Die Städte drunten, funkelnd wie die Augen!
Die Segel draußen, vollgebläht wie Brüste!
Die weißen Arme! Die vom Schluchzen dunklen,
verführten Kehlen! Dann die Herzoginnen
im Spitzenbette weinen lassen und
den dumpfen Weg zur Magd.
– – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – –
Europa wird Dein Haus, die Welt Dein Garten –
– – – – – – – – – – – – – –
Städte versinken hinter Dir, und neue
tauchen empor: weil Du der Fremde bist,
bist Du schon reizender, als alle andern.
– – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – –
die flatternde von vorne wild zu packen
an ihrem einzigen Büschel Haar, die Göttin
Gelegenheit! …
– – – – – – Augenblicke, die die Kraft
von Blitzen haben, Deinem Willen vor-
zuspannen, mehr in einem Blick zu schlürfen,
als Perlen, die drei Königreiche wert sind,
und eines Atemzuges Frist zu stehen
auf einem Rad, des Speichen Schicksal sind.
– – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – Es ist nichts als Spiel,
darin der stärkste Wille aus Medusen,
die ihn erwürgen, wenn er sie nicht bändigt,
tanzende Grazien machen kann. – – –

Der Lebenskünstler, der so spricht, reizt uns heute fast mehr als der großzügigere Don Juan, der neben Faust, seinem germanischen Bruder, stehend, das Lebensgeheimnis der lateinisch-katholischen Rassen entschleiert. Während wir Don Juan groß und dämonisch nannten, ist Casanova mit all seiner Gesittung, Empfindsamkeit und Nachdenklichkeit fast klein, durch seine Kultur wie wir alle verzwergt, aber darum vielleicht so außerordentlich reizvoll. Solche Bewußtheit schließt indessen die Einfalt nicht aus, die aus seinen Schriften spricht und die ihm der Prinz von Ligne etwas spöttisch nachsagt. Dieser große Herr mit dem Lebensstil aus der Zeit der Regentschaft sieht in Casanova vielleicht zu sehr den Emporkömmling, den derberen Italiäner unter den überzüchteten Französlein seiner Zeit und macht fast zuviel Aufhebens von seiner volkstümlichen Liebhaberei für Maccaroni und italiänischen Käse, von seinem unakademischen Stil, auf den er selbst so stolz war; » sentiebat patavinitatem«. Aber alle diese kleinen Ungeschliffenheiten machen ihn uns erst recht lieb. Er war freilich ganz unfranzösisch, und von Unfranzösischem verstehen Franzosen selten viel. Zu den Franzosen aber muß man seiner Bildung nach den Prinzen von Ligne zählen, ob er gleich Belgier war und lange in Wien lebte. Wenn die zu Dux gefundenen, an Casanova gerichteten begeisterten Briefe wirklich von ihm sind, wie Octave Uzanne meint, so hätte dieser König der Geistreichen unsern Helden freilich besser verstanden als irgend jemand seiner Zeit, und doch noch nicht völlig, denn während der Prinz von Ligne in seinen Briefen an ihn eine ausgesprochene Vorliebe für unflätige Worte hat, besitzt Casanova die Gabe des feinfühligen Ausdrucks, ohne dadurch an Deutlichkeit zu verlieren. Die Derbheiten des Belgiers unterstellen dem Angeredeten eine Geschmacksrichtung, die er kaum hatte.

IX.

Wir wollen nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit eines echt französischen Bruders Casanovas zu gedenken, des durch seine Liebschaften berühmten Marschalls von Richelieu, des Großneffen des großen Kardinals ( Vie privée du maréchal de Richelieu besonders III. Band, Paris 1791). Er ist nicht ganz so liebenswürdig und hat viel weniger Wärme als der Italiäner. Er ist trockener. Zwar versteht auch er seine Geliebten als Freundinnen zu bewahren, er glaubt an ihre Seelenunschuld. Meisterhaft schildert er selbst eine ungenannte Herzogin als eine Frau erlauchten Charakters, die ihre Liebe zu ihm bekämpft, da sie ihn als Freund dauernder zu fesseln hofft. »Es war ein tief überlegter Plan, um mich an sich zu ketten, und ihre Weigerungen waren so gemäßigt, so zärtlich, daß ich nicht länger auf meinen Forderungen bestand, aus Furcht, sie zu betrüben.«

Sie selbst schildert ihn in einem Vierzeiler:

» Cet homme semble né pour le tourment des coeurs,
il brûle à chaque instant d'une flamme nouvelle;
ou ne voit avec lui que l'éclair du bonheur,
mais on l'aime toujours, quoiqu'il soit infidèle.
«

Für ihn war sie die Frau schlechthin, zu der er stets mit neuer Glut zurückkam; seine Abwege lehrten ihn, sie um so mehr zu schätzen durch den Vergleich mit andern. Warum, wird Werther oder St. Preux fragen, verliert er sich dann immer wieder an minderwertige Frauen? »Man ist erstaunt, daß ein Mann häufig eine geringwertigere Frau seiner Gattin vorzieht. Nichts ist indessen natürlicher. Die wohltätige Natur will, daß alles, was uns umgibt, wechselt. Das schönste Einerlei wird eintönig und langweilig (III., S. 120).« Ebensowenig wie man alle Krankheiten von sich abwehren könne, vermöge man treu zu sein. Vielleicht gäbe es einige abgestumpfte Ausnahmen, Pagoden, denen man die Glieder wie man will mechanisch bewegen kann. »Aber der wohlgeratene Mensch ist geboren um zu begehren. Ohne dies ist er unglücklich.«

Richelieu ist viel weniger harmlos als Casanova, in dessen Nächten kein Gespenst schlich, wie das der unglücklichen Madame Michelin, die durch Richelieus spielerische Liebe vernichtet wurde. Freilich ihr Herz brach infolge von Gewissensbissen, die sie sich in ihrer engen Frömmigkeit machte. Casanova wäre es aber vielleicht gelungen, diese Torheit aus ihr zu entwurzeln. Die Geliebte wäre durch ihn freier geworden und hätte in glücklichem Erinnern an das Erlebnis mit ihm ihr Leben reicher gefühlt. Richelieu konnte unmenschlich sein. Sein Boden ist das eisige Versailles, wo Gefühle für unpassend oder mindestens lächerlich gelten.

X.

Während Casanova noch am Ende seines Lebens von den Frauen nicht enttäuscht ist, obgleich er sie kennt, und galant bleibt, verachtet Don Juan »die Weiber«; er ist stets ihr Feind, auch darin ganz im Rahmen einer eifernden Kirche bleibend. Sein Haß ist zu roh, als daß er »galant« sein könnte. In der ersten literarischen Bearbeitung des Stoffes, » El burlador de Sevilla« von Tirso de Molina, sagt der Held (Zweiter Aufzug, 9):

»und meine höchste Lust von jeher war's,
ein Weib verführen und entehrt verlassen.«

Das letzte macht ihm fast mehr Spaß als das erste. Man hat das unbedingte Gefühl, es komme ihm nur auf den Frevel an, die Schwachheit des Weibes biete nur besonders günstige Gelegenheiten mit besonders heftiger Nachwirkung, die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu erschüttern. Er wird in dem ganzen Stück von keiner Frau geliebt. Donna Isabellas und Donna Annas Niederlagen gelingen dadurch, daß diese Mädchen in der Dunkelheit ihn für ihre Liebhaber halten. Ein blatternarbiger Zwerg hätte solche Eroberungen ausführen können. Nur die Fischerin Tisbea – die als Zerline aus der Oper bekannt ist – gibt sich ihm selbst hin, da sie der Herr mit einem Eheversprechen und anderen lockenden Zusagen in ihrem Standesbewußtsein verwirrt. Alles dies sind keine Herzenssiege. Tirso soll auf einem Vorgänger fußen, dem Sevillaner Juan de la Cueva, dessen Drama » El infamador« den reinen Frevler darstellt, ohne sich auf Frauenverführung zu beschränken (Fastenrath, Vorrede zur Übersetzung des Zorillaschen Don Juan). Eine erotische Gestalt ist eher Calderons Don Juan in dem Stück » La nuña di Gomez Arias«. Wenigstens wird er von den beiden Frauen des Stückes mit jener nachhaltigen, alles verzeihenden Liebe ausgezeichnet, die dem gewöhnlichen Mann nicht zuteil wird. Auch die Untreue wird anfänglich aus seiner erotischen Art abgeleitet:

»Wenn sie mir nicht vertraut, ich betete
sie heut noch an …«

Ihn reizt bloß die Eroberung. Nachher wächst auch er sich zum unbedingten Scheusal aus, so daß nur der reine Frevler aus Haß übrig bleibt, dem Frauenverführung eine Möglichkeit von vielen ist, seinem Zerstörerhang zu fröhnen. In den übrigen französischen, italiänischen, portugiesischen, holländischen Bearbeitungen und in den drei deutschen Puppenspielen ist überall der Charakter des das Weib verachtenden Bösewichts gewahrt. Neue persönliche Züge finden wir nirgends, nicht einmal in Molières farblosem Werk. Nur in der Unerhörtheit der Schandtaten wetteifern die Dichter aller Völker. Am bemerkenswertesten in dieser Hinsicht ist vielleicht Shadwells » The Libertine«. Bei Goldoni kommt sogar ein Vergewaltigungsversuch mit gezücktem Dolch vor. Die deutsche Bearbeitung Neefes sei um ihres ungemeinen Titels willen der Vergessenheit entrissen: »Junker Hans von Schwänkereich, der bestrafte Wüstling, oder der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht«.

XI.

Warum verachtet Don Juan die Frauen? Weil sie sich von ihm verführen ließen. Das Weib ist ihm, dem Erzchristen, unrein, und es scheint, als ob er sich das durch seine Taten stets von neuem beweisen müsse. »Jedes Weib ist verführbar.« Für diesen Grundsatz lebt und stirbt er. Zurückhaltung, Widerstand bei der Frau scheinen ihm Finten: Nur darauf nicht hineinfallen! Das ist seine düstere Auffassung, die auf dem urchristlichen Grundsatz von der Verderbtheit und Verlogenheit des Weibes fußt. Seine Frauenpsychologie ist kurz und einfach: Schon verführt? Wie leicht zu verführen? Den Rest kennt er nicht. Er weiß also eigentlich nichts von der Frau, an der noch andere Seiten in Frage kommen.

Während er stets neue Arten der Verführung, der Vernichtung ersinnt, zeigt er einen so jähen Trotz, daß er vor dem Tod, seinem großen, einzigen Nebenbuhler in der Zerstörung, nicht zurückschreckt; durch die Einladung des Steinbildes zu den sinnlichen Freuden des Gastmahls glaubt sein Frevelmut – die Hybris der Griechen – über den Tod zu siegen. Aber man sehe darin nicht den roten Strahl allzu hochgeschnellten Lebensblutes; der tief Lebendige, der sich mit dem Dasein im Einklang weiß, trotzt dem Tod nicht als einem Feind, er gibt sich ihm vielleicht hin, von der Feierlichkeit des Schicksals ergriffen. Die Schalen seines Ichs zerbrechen, er tritt zurück in die ehrwürdige Heiligkeit des Allseins, mit dessen Gesetzen er sich eins weiß. Die Einheit von Werden und Vergehen ist ihm Leben. Dionysos besitzt eine heitere und eine finstere Seite. Erst das Christentum hat aus dem Tod eine so furchtbare Angelegenheit mit höllischen Schrecken gemacht. Trotz gegen das christliche, und eben deshalb von ihm anerkannte Jenseits ist Don Juans Haltung vor dem steinernen Gast: das ist umgekehrtes Christentum, Satanismus, nicht hochgesteigerte Daseinsbejahung. Darum stirbt der alte Don Juan nicht in den Armen der Lust, noch unter ihren unmittelbaren Folgen, etwa von der Klinge eines Nebenbuhlers oder Bruders, nein, die Hölle kommt selbst, Satan schickt seine besten Gesellen und läßt den ihm Verfallenen holen, der nun zur Hölle fährt, wie sein Gegenpart Christus ins himmlische Jerusalem einzieht. Dieses unerhörte, metaphysische Ende würde allein die Auffassung Don Juans als Satanisten belegen, geschähe dies nicht schon durch jede einzelne Tatsache seines Lebens.

XII.

Wie geht Don Juan in unserer alltäglichen Welt zugrunde, vorausgesetzt, daß er, von Zufälligkeiten unbehelligt, sein Schicksal erfüllt, d. h. wenn das Don Juantum selbst Ursache zum Untergang wird. Ein Don Juan de Maraña, der gleichwie Tenorio der Sage Züge lieferte, starb bekehrt. ( Prosper Mérimée, Les âmes du Purgatoire.) Welchen Grund kann Don Juan zur Bekehrung finden? Wir lassen hier die rein äußerlichen Gründe einer schlechten Verdauung oder unverhoffter Armut außer acht, ebenso die Warnungen durch erschreckliche Ereignisse, sowie den dem Bürger so teuren Trost, daß der Nachgeschmack der Lust schal und Überdruß ihre Folge sei. Don Juan muß, falls er als Don Juan am Don Juantum zugrunde gehen soll, durch das Weib überwunden werden, und zwar durch die erste, die stärker ist, als er, vor der seine Künste scheitern: durch die Heilige, das im christlichen Sinn vollkommene Weib. Die irdische Größe des Weibes – die Größe, die in der Hingebung läge – vermag er nicht zu verstehen. Nur christlich-jenseitige Werte kommen für ihn in Frage. Die Triebfedern einer Judith würden ihm verdächtig scheinen, die Penthesileasage wäre ihm eine Zote, aber vor der Heiligen muß Don Juan stillstehen und umkehren. Sie hält ihm den Spiegel vor, ohne alle Ausflüchte wird ihm klar: hier ist ein Weib nicht zu erobern. Das vernichtet ihn, ohne ihn vorher zu verwirren. Er begreift seine Vernichtung. Die Formel seines Daseins: alle Frauen sind verführbar, hat sich als Lüge erwiesen. Don Juan ist gescheitert. Im Gegensatz zu dem leicht getrösteten, flatterhafteren Casanova wird ihn nicht nach neuen Taten gelüsten. Ein inneres Feuer nach der Einen, Unbesieglichen muß ihn rasend machen, bis es sich vielleicht in enger Zelle zu der stilleren Glut der Muttergottesverehrung läutert. Die Eine, Unbesiegliche wüßte ihn zu halten; ihr, die er nie besaß, müßte er unbedingt treu sein. Don Juan treu! Das ist seine eigene Überwindung, nicht Umkehr, sondern strengste Folgerichtigkeit, denn Don Juan ist im Grund stets ein enttäuschter Ritter, der allzu früh seinen Glauben an die Eine verloren hat und seine Sehnsucht, diesen Glauben wieder zu gewinnen, zu betäuben sucht. Nur selten vermag eine irdische Gestalt ihn von solcher Tragik zu erlösen, denn zu tief hat sein Auge die Unreinheit allen Fleisches durchschaut. Darum kann es nicht verwundern, wenn man ihn zuletzt in härenem Kleid vor der Mutter Gottes findet.

Er hat, wie jeder Christ, die Wahl zwischen dem Teufel und Gott. Die Hölle in ihm ist besiegt, und gerade in der Möglichkeit so ursprünglicher Läuterung liegt seine, den stets vergnügten, niemals treuen Casanova überragende Größe. »Ich gebe zu, daß das Andenken meiner Freuden sie in meiner alten Seele erneut,« schreibt dieser Greis ( Le livre 1887). Es scheint, daß in der Liebe des unwiderstehlichen Chevalier de Gramont zu der unverführbaren Lady Hamilton etwas von jener endgültigen Don Juan-Treue lag. ( Antoine Hamilton, Mémoires du comte de Gramont.) Eine vermutlich glückliche Ehe war der friedliche Boden, auf dem sich später beide Kriegführende trafen: er nicht mehr Don Juan, sie nicht mehr unnahbare Amazone.

Auf keinen Fall kann Don Juan in gewöhnlicher Weise altern, er müßte denn auf den Galeeren sterben. Casanova hingegen ist auch als Greis noch erträglich. Er schreibt seine Denkwürdigkeiten und bekommt die Gicht, jene tüchtige und ehrenhafte Krankheit, mit der in kräftigen Geschlechtern alternde Kriegsleute und Frohnaturen dafür büßen müssen, daß sie voll allzu kecker Üppigkeit in ihren Frost und Gluten widerstehenden Gliedern sich die Giftstoffe anhäufen ließen, welche bei Empfindlicheren in tausend kränkelnden Übelkeiten und Kümmernissen jeden Augenblick Nottüren finden und die Lust der Stunde lähmen.

XIII.

Gesetzt, Don Juans Satz von der Verführbarkeit aller Frauen sei richtig, so wäre damit noch nicht alles über die Frauen gesagt. Casanova weiß, daß noch manches andere an ihnen locken kann, als das ihm oft lästige Hymen. Casanova gibt sich auch mit verderbten und käuflichen Frauen ab. Freilich verzeiht er ihnen nichts schwerer, als diejenige Abstufung der Dummheit, welche die Franzosen im Gegensatz zu » bête«, » sotte« nennen. So verscherzt sich die törichte Veronica in Genua seine sehr stürmische Liebe durch ihren albernen, das händlerische 19. Jahrhundert vorwegnehmenden Brief, in dem sie gegen eine Sicherstellung von 50 000 Franken einwilligt, seine Geliebte zu werden. Auf Don Juans Empfindungen wäre das ohne Einfluß, sein Handeln aber würde dadurch beschleunigt; die 50 000 Franken versprechend, käme er schnell zum Ziel, und morgen könnte Veronica ihn zwischen Nord- und Südpol suchen gehen. Ohne zu wollen, würde Don Juan so der Rächer des Casanovaschen feineren Sittengesetzes: »In der Liebe keine Sicherheiten als das Gefühl.« Die Hingabe macht eine Frau in Casanovas Augen nicht schlechter. Er ist kein Freund jener groben Sittlichkeiten nach Tatbeständen. Stets fragt er nach dem Wie, nicht nach dem Was. Ich könnte mir im Gegensatz zu ihm, der das Herz auf der Zunge trägt, Don Juan als großen Heuchler denken. Er wird es grundsätzlich und triebhaft mit der engsten Moral halten. Je strenger sie ist, desto größer sein Vergnügen, sie zu übertreten. Don Juan ist Moralist. Das hindert nicht, daß er unmoralisch handelt. Aber immer hütet er die Form, mit den Anschauungen der Gesellschaft einig aus Überzeugung.

XIV.

Woran liegt nun Don Juans Erfolg? Er ist ein Teufel, und das soll alles erklären. Seine Anziehungskraft ist die der gähnenden Abgründe unter schwindelndem Grat. Er ist der Teufel der unnatürlichen Verderbtheit, den Edgar Poë so scharf zergliedert hat. Man kann verstehen, daß die Frau, welche im Mann den kühnen Täter zu lieben vermag, durch dessen ins Grenzenlose gesteigertes Zerrbild, den Frevler, unheimlich angezogen werden kann; und in der Tat, nicht alle Siege Don Juans sind Siege der List und der Gewalt, bisweilen wird er mit übermenschlicher Glut geliebt, so schon bei Calderon, ja, die » maigre et chaste Elvire« ( Baudelaire) soll ihn geliebt haben. Die Inez des Zorilla erlöst ihn, ein spanisches Gretchen, aus der Hand des Teufels. Falls er nicht bereut, will sie mit ihm die Verdammnis teilen. Das ist mehr als Christentum, es ist die höchste überirdische Stufe der Besessenheit, die das Opfer gelassen, ja beseligt nicht nur das Verderben nach dem Fleische, sondern auch den ewigen Tod auf sich nehmen heißt; der Selbsterhaltungstrieb wird bis über die Grenzen des irdischen Seins hinaus verkehrt. Darum nennen wir Leidenschaften und Laster teuflisch. Darum sehen wir Frauen sich Männern hinopfern, deren Verworfenheit sie klar durchschauen, darum kann sich blühendes Leben an verwesendes Fleisch klammern. Hierher gehören Don Juans Erfolge, falls er wirklich geliebt wird.

Casanova dagegen ist nicht nur kein Frevler, er ist nicht einmal ein Täter. Den von Hause geistig ungewöhnlich, körperlich nicht übel Ausgestatteten, aber – wie die Zeitgenossen versichern – keineswegs das Maß des hübschen Kerls Überragenden haben einige frühe Glücksfälle in der Liebe befähigt, sein angeborenes Verstehen des Frauenherzens und das Bewußtsein seiner Unwiderstehlichkeit im Augenblick zu entwickeln – zwei Eigenschaften, ohne die Siege über Frauen unmöglich sind. Starke Sinnlichkeit und das Glück, durch Blut und Umgebung auffallend von moralistischen Hemmungen frei geblieben zu sein, verschafften ihm früh jene wohlbekannte gleichsam elektrische Ladung seiner Person durch Frauenliebe. Es scheint, daß die Liebe einer oder womöglich mehrerer Frauen zugleich den Mann mit einem Lebensstrom zu umgeben, seinen Blicken ein Leuchten mitzuteilen vermag, das ihn zuzeiten unwiderstehlich macht. Männer des Vergnügens wollen beobachtet haben, daß sie gerade nach den begünstigtesten Nächten, als sie ermattet den Schlaf suchen wollten, auf dem Heimweg besonders neugierige und versprechende Frauenblicke auf sich ruhen fühlten. Eine Geliebte zieht schnell die andere an; Vereinsamte aber können monatelang suchend und sehnend durch Straßen, Theater und Salons schleichen, bis sie wieder in die Wellen des großen Liebesstromes geraten, um dann wie von selbst mühelos, fast mit geschlossenen Augen weitergetrieben zu werden.

Außer dem Prinzen von Ligne erwähnen Casanova da Ponte, Mozarts Textdichter ( Memorie, cap. LII-LIV), Maximilian von Lamberg ( Mémorial d'un mondain) und die Marquise von Crequi ( Souvenirs). Die Erzählung des da Ponte, der Casanova in eine abscheuliche Betrügerei verwickelt, ist darum ganz zu verwerfen, weil sie sonst in allen nachprüfbaren Einzelheiten irrt. Er macht Casanova zum Neapolitaner, läßt ihn in Neapel gefangen sitzen, statt in Venedig, was um so mehr auffällt, als da Ponte selbst irgendwo im Venezianischen geboren war. Bemerkenswert ist bei da Ponte nur ein Traum, der wie viele Stellen in Casanovas Denkwürdigkeiten dessen geheimnisvolle Fähigkeiten der Fernwirkung, der Ahnung usw. belegt.

XV.

In der bereits erwähnten unvollendeten Dichtung des Verfassers sagt Don Manuel zu der eifersüchtigen Gattin:

Als ich von fremder Liebe dankbar strahlte,
gewann ich Dich; die Frau'n erkennen leicht
den Ungeliebten und vermeiden ihn.
Leg' ich den Kranz ab, Blüte duftender Stunden,
bin ich ein Werktagsmensch, den Du verschmähst,
wie Simson, als sein Eheweib ihn schor.

So ist auch Casanova selbst keine Sonne, sondern ein dunkler Wandelstern, der von fremdem Schein beleuchtet wird. Seine Gabe ist, daß ihn beständig Sonnen anziehen. In kranker Stunde bekennt Manuel es selbst und beichtet's der Geliebten, sehr wenig in Don Juans Sinn, an dessen Mark nie das Grübeln über sich selber frißt.

Don Manuel sieht sein Leben:

Wie eine dürre Landschaft, die, von fremden
Sonnen bestrahlt, an manchen Tagen glüht,
So drängt' ich, selber fahl, von Stern zu Stern;
Wenn einer blaßte, zagte scheue Angst,
bis mir ein neuer schien – Du warst der hellste.

Das ist die tote Stelle in diesem glänzenden Leben. Casanova ist im Grunde leer, unfruchtbar, ein großer Anempfinder des Lebens – » un homme à rien, un homme à tout«: ein Intellektueller, und damit ist seine tiefste Echtheit in Frage gestellt. Ich fürchte, man wird ihn sich als Gestalt, zu der der Verfasser »ja« sagt, auf der Bühne nicht gefallen lassen. Ihn mit dem Ausblick zu entlassen, daß er sich lustig weiter vergnügen soll, wird nicht nur der platten Moral der Hörer zuwiderlaufen. Don Juan dagegen überzeugt durch Echtheit, Rücksichtslosigkeit, Urwüchsigkeit der Triebe, alles Züge, die ihn im gewöhnlichen Leben sehr viel unbequemer und verderblicher machen als seinen gutmütigen Vetter Casanova. Aber darauf kommt's auf der Bühne nicht an. Don Juan hat großen Stil, das rettet ihn.

Im vierten Band seiner Denkwürdigkeiten (Kap. XVII/XVIII) erzählt Casanova ein Erlebnis, leicht und lustig wie jedes andere, bei dem einem Menschen auch von geringer Empfindsamkeit grauen kann. Die Tatsache ist gleichgültig, daß er seine erste Geliebte wiederfindet, die Schönheit und Glut für ihn bewahrt hat, sie an dem Anblick eines göttlich schön geratenen Sohnes nährend. Die Umstände, unter denen dies alles geschieht, sind das Ergreifende, und es war ein glücklicher Griff Hofmannsthals, gerade diese Abschnitte in sein Stück »Der Abenteurer und die Sängerin« zu verflechten. Nie sehen wir Casanova so glänzend, als Helden eines wundervollen Frauenlebens, nie so leer und fremd aller Menschlichkeit. Wir können uns auf der Bühne seine menschliche Begrenztheit nur im seelischen Spiegel der überlegenen, in ihrer großen Liebe heldischen Vittoria gefallen lassen, die ihn erst als Bühnengestalt möglich macht.

»Was gilt das Scheit, daran sie sich entzündet:
Die Flamme ist dem höchsten Gott verbündet.«

Casanova ist nur ein Scheit, Vittoria ist Flamme.

Sie, von seiner Liebe einst zu Leben und Kunst erweckt, die Ruhm, Reichtum und das Glück des Hauses erlangte, muß ihn traurig lächelnd ziehen lassen, denn:

»… den Magnetberg, dran sein morsches Schiff
einmal die Nägel läßt und elend scheitert,
birgt jedes Haus, aus dessen offnen Fenstern
geschminkte Lippen auf die Straße lächeln.«

Und Vittoria, die Thérèse der Denkwürdigkeiten, wäre fähig gewesen, um seinetwillen alles zu verlassen, doch er sagt, darin wiederum sich selber ehern treu:

»Wir müssen still vorüber aneinander,
still, wie die beiden Eimer in dem Brunnen,
der eine geht nach oben, der ist voll,
der leere geht nach unten in das Dunkel.«

Schon in seiner Jugend verlassen Casanova hie und da seine guten Geister, besonders, wenn ihm Frauenliebe fehlt. Mehrmals beschloß er, geistlich zu werden und ins Kloster zu gehen; einmal in der Schweiz steht er dicht davor. Und wie fahl war doch im Grund sein Alter, als die Sterne um ihn blichen, nachdem er alle die Häfen, in denen er sich hätte verankern können – es waren manche noch, außer Theresens Liebe – gleichgültig umschifft hatte. Groß ist er dann nur noch in seinem vollkommenen Mangel an Reue, und dieser erhabenen Verfassung danken wir den glühenden Schmelz seiner Lebensbeschreibung. Aber im Leben des Tages, das ihm freilich als vereinsamtem Greis an fremder Tafel schwer genug gemacht wurde, scheint er wenig Würde bewahrt zu haben. Als Herr Faulkircher, dessen Namen er stets anders, aber nie richtig schreibt, mit einem Stoff, den man in Gesellschaft nicht nennt, Casanovas Namenszug an diejenige Tür im Hause schrieb, welche jenen Stoff der Wahrnehmung verbirgt, hielt der Gekränkte es für angebracht, hohe und höchste Herrschaften vor dieses Wunder der Schönschrift zu führen. Nein, Casanova ist von mittlerem Wuchs, er glüht nicht; er ist nur hell, solange die Sonne scheint. Er überwintert nicht; aber der Jammer seines Alters zerreißt das Herz.

XVI.

Der erotische Mensch unserer Zeit gleicht mehr Casanova als Don Juan. Don Juan stirbt immer mehr aus, je tiefer die Tugend des Weibes im Preise sinkt. In einer Zeit, da die besten Frauen nicht nach den Regeln der Kriegskunst erobert werden, sondern sich dem Geliebten ihrer Wahl schenken wollen, hat der alte Don Juan ausgespielt, d. h. er muß in den Mittelklassen leben, in denen die Frau noch lediglich nach gewissen, wohlberechneten Unterlassungen bewertet wird. Aber der echte Don Juan gehört in eine adlige Gesellschaft. Er braucht den Rückhalt eines Hofes, der seine Mitglieder deckt und der Polizei entzieht, schlimmstenfalls in eine ehrenvolle Verbannung schickt. (Hayem, S. 22-23.) Versailles, der Hof der Stuarts nach ihrer Wiedereinsetzung, waren Treibhäuser für das Don Juantum. »Epater le bourgeois« ist eine Ergötzung, die Don Juan den Intellektuellen überläßt. Das Aufsehen und die Gefahr sind heute in einer Verführungsgeschichte nicht groß genug, um ihn anzuziehen: Er wird bestenfalls den Schlaganfall eines ehrenfesten Vaters sehen, meist nur eine Klage um Versorgung mit einem »Aus dem Leben des Adels« überschriebenen Absatz in der linksstehenden Presse.

Eine Persönlichkeit aus Don Juans Geschlecht war der Chevalier de Gramont, dessen Denkwürdigkeiten sein späterer Schwager, Lord Antony Hamilton, bearbeitet hat. Im sechsten Kapitel bezeichnet ihn eine Rede Saint-Evremonds, der gleich ihm am Hof Karls II. in einer glänzenden Verbannung lebte, als echten Sprossen der Rasse Don Juans. »Nicht wahr, sobald Ihnen eine Frau gefällt, ist doch Ihre erste Sorge zu erfahren, ob sie von einem anderen geliebt wird, und die zweite Sorge, sie in Raserei zu versetzen; denn von ihr wirklich geliebt zu werden, das ist die geringste Ihrer Sorgen … Zum Beispiel die Kurfürstin, die Sie auf der Landstraße entführten? Und der Zweck dieser Heldentat war doch nur der, sich für einige Augenblicke die einem andern bestimmte Zärtlichkeit anzueignen … Was für ein Schlachtplan, was für Hinterhalte und Verfolgungen gegen die Gräfin Fieschi? Sie, die Ihnen vielleicht treu gewesen wäre, wenn Sie sie nicht selbst gezwungen hätten, es nicht zu sein.«

Auch Lauzun, den Liebhaber und später heimlichen Gatten der großen Mademoiselle, möchte ich zu den echten Don Juans rechnen ( cf. Barbey d'Aurevilly, Un dandy d'avant les dandys, und Mlle. de Montpensier, Mémoires, Tome VI), und zwar wegen der eisigen Kunst, mit der er die fast 45jährige Schwester des Königs verführte, einen Ausbund starrsten Stolzes und herrischster Gebärde, zu dessen Werden sich die Häuser Habsburg und Bourbon kreuzen mußten, dazu mit vertrockneten Sinnen und zimperlich: die schwersten Wälle für den Höfling von nur niederem Adel, außer allem Betracht für den reinen Erotiker, das glänzendste Ziel für Don Juan. Man wird zugeben, daß diese Rasse heute aussterben mußte.

Im Heer mag Don Juan noch am häufigsten sein, aber er trägt dort meist die Merkmale der Gewöhnlichkeit, die unserer Zeit eigen sind. Herbert Eulenberg hat in seinem Trauerspiel »Leidenschaft« mit großem Gestaltungsvermögen ein Beispiel eines solchen Mannes auf die Bühne gebracht; aber er hatte den Takt, ihn nicht sehr gewinnend zu geben, während der verruchte alte Don Juan unbedingt bezaubert. Bei Eulenberg steht das Weib im Vordergrund, und das ist im Sinn einer Zeit gut, in der »die Weiber«, die zu Don Juan gehören, nicht mehr sehr viel gelten. Was wir heute haben, ist besser oder geringer. Irene, Eulenbergs Heldin, ist viel besser, sie hat sich nicht mit dem Verführer »vergangen«, sondern sie wußte, oder glaubte zu wissen, was sie tat. Ihr Unterliegen ist nicht ein » malheur«, sondern Schicksal; und bis zum Schluß hat sie den Mut, es zu tragen. Sie hat nichts zu bereuen, wie Donna Anna, wie Donna Elvira, denn sie kam keinen Augenblick mit ihrer Natur, mit ihrem Wollen in Streit. Solche Opfer sind für Don Juan zu schade, während der großherzige Casanova sie ehren würde. Sie sind dem Verführer überlegen und beweisen es, nicht indem sie ihm widerstehen oder gar ihn in angelsächsischem Stil durch ihre Tugend bessern wollen, sondern gerade durch ihre arglose Hingabe. Dieses große Ja versteht der teuflische Don Juan nicht, er kennt nur die Größe der Verneinung. Für Don Juan wird die Geliebte eine Gefallene, eine Hure. Darum empfinden wir seine heutigen Nachgeborenen oft als rohgesinnte Wichte, als Vandalen, die Marmortempel zerschlagen, um Wohnhäuser davon zu bauen, als ob zu dieser Notdurft nicht Backsteine genügten, die ja die Gesellschaft noch immer hinreichend hervorbringt. Auch für Eulenbergs Edgar sind die »Weiber« alle gleich, und es sind nur seine weinerlichen Jammerstunden – vorzüglich gesehene Kennzeichen dieses Zeitgenossen – in denen er ahnt, wer Irene ist. Der heutige Don Juan wirkt in dieser Gestalt grob und dumm, und mit ihm büßen wir einen Helden ein.

XVII.

Was erhalten wir dafür? Man sagt, daß in niedergehenden Zeiten herrische Frauengestalten aufzustehen pflegen, während der Ruhm der Männer verblaßt; das bourbonische Frankreich, das kaiserliche Rom, Sparta, mit seinen wenig bekannten, während des Todeskampfes des Staates die Männer lenkenden Frauen, Archidamia, Agesistrata, Chilonis, Agiatis, Kratesiklea, von denen Plutarch erzählt, und nicht zuletzt die tragikomischen Ehewirren eines Claudius oder Belisar scheinen es zu beweisen. Unsere in Vergeistigung und Wohlanstand niedergehende Zeit läßt die Frauen freilich weniger als Herrscherinnen oder Buhlerinnen hervorleuchten, gleich jener Helena, eines Paphlagonischen Bärenführers Tochter, die den Purpur von Byzanz trug, gleich einer Imperia oder Pompadour. Worin eigentlich die Kraft und Leistung der modern genannten Frau besteht, ist noch nicht genau zu ermessen. Gewiß nicht – wie die Rechtlerinnen meinen – in der Erfüllung von verstandesmäßigen Aufgaben, aber jedenfalls in der Verschiebung gewisser Werte des Lebens: Don Juan ist vor ihnen zusammengebrochen. Ihre Erziehung sorgt dafür, daß es für ihn bald »keine Weiber« mehr gibt.

XVIII.

Die weibliche Zügellosigkeit des niedergehenden Heidentums war der Gegenstand ältester christlicher Frauenkunde. Die semitische Sage von der verführenden Eva stützt die Erfahrung. Die Kirchenväter führten einen leidenschaftlichen Kampf gegen das sündige Weib – das unreine Gefäß. Die Idealgestalt der Muttergottes, die, wie die Kirche längst vor Pius IX. » implicite« lehrte, ohne Sünden empfangen wurde, ist den sündigen Evatöchtern als Ziel der Nachahmung entgegengestellt worden. Als das Christentum Weltreligion ward und die Gesellschaft aus Christen und Christinnen bestand, nahm man allmählich bestimmte sittliche Forderungen als durch die Taufe bereits bis zu einem gewissen Grad erfüllte Tatsachen. Der Christ soll, ganz abgesehen von seiner persönlichen Sittlichkeit, schon als Christ manche Tugenden besitzen und mancher Laster ledig sein, die ihn vor dem Nichtchristen, z. B. später vor dem Sarazenen, auszeichnen. Ein allzu klaffender Widerspruch zwischen geforderter Sitte und eingestandenem Handeln wäre bei einer tatsächlich herrschenden Religion bedenklich. Die Christin strebt also nicht nur nach Reinheit, sondern sie ist rein durch das Sakrament der Taufe. Freilich, der Teufel kann sie nachträglich umgarnen, aber das muß in jedem einzelnen Falle erst bewiesen werden. Der Beweis liegt dem Ankläger ob.

Durch zahlreiche Vorbeugungsmittel, ja durch ein ganzes Gefüge von Maßregeln wird die Gefahr der Umgarnung durch die Sünde von dem christlichen Weib ferngehalten: in das Innere des Hauses verwiesen, lebt sie als fromme Magd der Eltern, später des Gatten. Unleugbar wird so in den meisten Fällen zum mindesten die körperliche, gewiß auch sehr häufig die seelische Reinheit bis zum Altar gewahrt. Die Annahme entsteht, das christliche tugendhafte Weib begehre nicht, und in der Tat, wo die gute Erziehung gelingt, ist ihr natürliches Begehren so tief verdrängt, daß kein Funke hervorspringt, ehe sie von dem Feuerstein der Liebe getroffen wird. Bewußt begehrt sie in der Tat kaum. Sie wird begehrt von dem wilderen Mann, der selbst von solcher Schranken baren Frauen (verlorenen Evastöchtern) verführt worden ist.

Bewußtes Begehren der Frau kommt im Mittelalter bloß in den unbeirrten Liedern des Volkes vor, in der Literatur nur, wenn Dirnen und Ehebrecherinnen dargestellt werden, ja es ist ein Hauptzeichen für diese, in denen Junker Voland, die Weihe der Taufe zeitweise besiegend, die alte Evastochter wieder entfesselt hat. Auch die Renaissance ist der Frage des weiblichen Liebesbedürfnisses nie ernsthaft, nur in der schlüpfrigen Literatur, und da sehr unwissend und roh, zu Leib gegangen. Nur zögernd sahen wir die spanischen Dichter zugeben, daß Don Juans Mädchen und Frauen nicht nur überlistet oder vergewaltigt sind, sondern ihn selbst bisweilen begehren. Die Dichter scheinen zu fürchten, ihre Frauengestalten dadurch dirnenhaft erscheinen zu lassen, denn die Weihe der Begierde durch die Liebe kennt die frühere Zeit nicht. England, das aus besonderer Roheit in das starrste Puritanertum verfiel, wußte noch im 18. Jahrhundert nichts davon. Man denke an Richardson in seiner Clarissa. Ohne zu wollen, hat er eine Verteidigung des Don Juantums geschrieben; einer Clarissa Harlow gegenüber kann der Sanfteste zum grausamen Frevler werden. In diesem Mädchen lebt nichts als Hochmut und berechnete Ehrbarkeit. Der glänzende Mann, der täglich sein Leben für sie aufs Spiel setzt, um ihr aus gräßlichen Verhältnissen herauszuhelfen, vermag keine anderen Gefühle in ihr zu erwecken, als den Wunsch, ihn, den ehedem leichtfertigen Lovelace, durch die Macht ihrer Tugend zu bessern. Sie hält ihn zuzeiten für ein Scheusal, am meisten nimmt sie ihm jedoch übel, daß er die Heirat nicht so eilig betreibt, wie sie ihres Rufes wegen will. Welchem Liebhaber ist es einem solchen Mädchen gegenüber zu verargen, wenn er vor der Ehe tatsächlichere Beweise der Liebe fordert, als von einer sich arglos anvertrauenden Braut. Dieser überspannte Jungfrauenstolz beschwört den Krieg bis aufs Messer herauf, und Lovelace führt ihn mit einer freilich unheimlichen Feldherrnkunst; ja, daß er zuletzt zur Gewalt greift, wird, wenn überhaupt, gegenüber einer Clarissa Harlow verständlich. Beide gehen zugrunde, aber nur für Lovelace vermag ich Mitgefühl zu hegen, denn er hat mit ganzer Seele geliebt, Clarissa ist blaß spröde gewesen.

Noch in unserer Zeit wird der selbständige Liebestrieb der Frau von Gelehrten und Laien häufig in Frage gestellt und nur für einen Hilfstrieb des noch dunklen Mutterinstinktes erklärt. So will es auch ein großer Teil der sich befreienden heutigen Frauen angenommen haben.

Im Norden wird an die seelische Reinheit der Jungfrauen fester geglaubt, neben viel lockerer Hütung der körperlichen: Die südlichen Nationen halten um so zäher an der Forderung der körperlichen Reinheit fest, mit der sie sich meist begnügen, je skeptischer sie die seelische zu bewitzeln pflegen. Leicht kann das Auge der Frau in den Mittelmeerländern auf nackte Männer beim Baden oder bei schwerer Arbeit treffen; aber – mögen ihre Empfindungen dadurch verwirrt werden oder nicht – mit einem Netz von Vorsicht wird sie, solange sie Mädchen ist, vor der Angriffslust der Männer geschützt, ja die Prüderie wird weiter getrieben als im protestantischen Norden. In Griechenland ist es ausgeschlossen, daß beide Geschlechter gemeinsam in der See baden; die Männer unter sich baden ohne jegliche Umhüllung: begreiflich in einem Lande unreflektierter Kultur, in der die Jungfräulichkeit für das Mädchen alles ist, und wo der betrogene Gatte, den Liebhaber tötend, das Recht der Blutrache heraufbeschwört. Es ist das eigentlich doch keine Prüderie, ebensowenig wie es Prüderie ist, daß man Vorräte in den Rauchfang hängt. Es soll ein wertvolles materielles Gut – hier die Jungfräulichkeit – vor Unfall und Verderben gewahrt werden. Ist dieses Gut durch die Hochzeit ausgemünzt, so hört alle Vorsicht auf, dann erst beginnt die südländische Frau sich zu entfalten, unterstützt durch die Lächerlichkeit, welcher der Hahnrei erbarmungslos in der Öffentlichkeit verfällt.

Lovelace fischt noch mit dem Hauptköder Don Juans, dem Eheversprechen. So verlegt er die Frage vom Geschlechtlichen ins Gesellschaftliche, als sei das Weib nicht auch geschlechtlich zu gewinnen, womit Casanova stets beginnt. Auch er gibt zwar hie und da das verhängnisvolle Versprechen, aber erst trunken vom Besitz der Geliebten, in der Absicht, es zu erfüllen, nie als Mittel, sein Ziel zu erreichen. Er erinnert sich in solchen Fällen gern, daß er kein grausamer Barbar ist.

Wir verstehen nun, warum Don Juan vor der wertvollen Frau heute keine Gnade mehr findet. So wenig als dem Manne noch die körperliche Jungfräulichkeit allein etwas beweist, so wenig ist der entwickelten Frau die Ehe mit irgend einem bloß gewisse Standesanforderungen erfüllenden Manne an sich begehrenswert. Die tröstende Zusicherung: »Ich heirate dich auch,« selbst aus dem Munde des besten Mannes ist eine Beleidigung. »Aber ich dich nicht,« lautet oft die Antwort. Ein selbständiges Wesen liebend zu gewinnen ist Don Juan meist zu langweilig, zum mindesten legt er keinen Wert darauf.

Vor wissendem Lächeln unterliegt er. Aber Don Juan lächerlich? Das geht nicht. Eher stirbt er, und das hat er getan. Casanova kommt heute eher zum Ziel. Die Zeit des sittenstrengen Bürgertums scheint vorbei. Casanova kommt es zu gut, daß die Frauen ihr Triebleben in Erotik verästeln.

XIX.

Auch die Dichtung des 19. Jahrhunderts hat den Helden von Sevilla nicht aufgegeben. Aber der neuzeitliche Don Juan Lenaus ist zwar eine erlauchte dichterische Gestalt, doch er ist nicht Don Juan; er ist vielmehr Casanova verwandt, in eine weniger leichtfertige Umgebung als das Rokoko versetzt. Lenaus Don Juan ist nicht Empörer, nicht Frevler. Das Unglück, das seine Taten zeugen, ist ungewollte Begleiterscheinung. Er beklagt Clara gegenüber selbst seine unheilbringende schwankende Seele und sehnt sich in ihrem Arm danach, ihr treu bleiben zu können, und sie fühlt – unendlich vertieft –:

»Mein Herz wird die Erinnerung behalten,
bis über ihm sich starr die Hände falten.«

Später spricht er – ich glaube zum erstenmal in der Literatur aller Zeiten – die große Rechtfertigung des starken, wahrhaften Erotikers aus:

»Denn reich vergalt ich ihr in einer Stunde,
was ich zerschlug, wie Hagel das Getreide.
Sie ging nicht stumpf und unerquickt zugrunde.
Ich hatte sie entrückt dem schnöden Gleise,
worin sonst Frau'n verkommen sacht und leise;
sie träumen Liebe, lachen, weinen, beten
und haben, welkend mit den Werkeljahren,
die hohe See der Wonne nie befahren,
das Eiland ihrer Sehnsucht nie betreten.«

Später zu Maria:

Ich hatte mir die Liebe nicht gegeben und weiß auch nicht, wer sie von mir genommen, drum besser fort, als hier den Schmerz verschleiern und lächelnd täglich Totenfeste feiern.

Ferner:

Man mißt die Liebe nicht nach Tagen, Jahren,
Ein Augenblick hat ewigen Gehalt.

Maria erkennt die Kehrseite dieses unzweifelhaft wahren Wortes und sieht in allem Glanz Don Juans Ohnmacht zu lieben. Sie beginnt ihn darum zu hassen. Das ist ihm recht, denn nun tut er ihr nicht mehr weh:

So kann ich ohne Bangen dich verlassen –
– – – – – – – – – – – – –
Man grämt vielleicht, man haßt sich nicht zu tot.

Wie Casanova kann dieser Don Juan kein Feind des Lebens sein, liebend fühlt er die Natur, den Lenz, das Leben der Bäume, der Tiere, und in einer zauberischen Nacht im Wald ruft er aus:

Doch, daß es Welten gäbe, wo das Leben
so wonnig wie auf Erden, glaub' ich nicht.

In dieser Nacht will er dem Jäger die grausame Jagd auf den balzenden Auerhahn versalzen:

Ein solcher Schuß dünkt Frevel mir, verübt
am holden Lenz. –

Aber der Jäger ist Don Octavio.

»Es lebe die Wollust, laß den Hahn am Leben,«

ruft er ihm zu, und so sollte er sterben, ein Kämpfer für die Lust, die seinen Arm zittern und unterliegen machte in allzu süßer Lenznacht; doch Lenau läßt ihn lieber später durch eine Erkältung mit einem Ausblick in die Ewigkeit den Lebensmut verlieren. –

Und doch ist auch heute eine Lebensmöglichkeit für Don Juan geblieben, wenn er – gleich Mephisto das Gewand der Zeit anlegend – sich vergeistigt. Dies hat Kierkegaard in seinem Buch: »Entweder – Oder« dargestellt, einen heutigen Don Juan, d. h. eine Gestalt, die Wesentliches unserer Zeit mit den Merkmalen des frevelhaften teuflischen Verderbers vereint. Auch ihn reizt nur die Eroberung; hat er das Ziel erreicht, so lockt es ihn nicht mehr, er verläßt die Geliebte in derselben Nacht, in der er sie zuerst besitzt. Aber er ist geistig, man kann sagen unsinnlich geworden, so wie es der untersuchende Natur- oder Seelenforscher ist, unter dessen zerstörendem Messer das Leben verbluten mag. Doch er ist spielerischer, es ist noch mehr Schachspiel als Kampf, was er treibt. Er verlangt nur den Schlüssel zur Festung; hat er ihn sicher in der Hand, so wird er ihn verächtlich – man hört Mephistos Höllengelächter – über die Mauer werfen und umkehren. Man kann sich Kierkegaards Don Juan unschwer körperlich keusch denken, und tatsächlich wird dem Verfasser selber diese Eigenschaft nachgesagt. Was Kierkegaards Don Juan als echten Sohn des mittelalterlichen erkennen läßt, ist sein Satanismus. Aber dieser Satanismus ist rein geistig geworden. Nicht wie Eulenbergs militärischer Don Juan frevelt er aus dummer Roheit, sondern gerade weil er den Zauber, den körperlichen und seelischen Reichtum des Mädchens besser erkennt und kostet als irgend ein anderer, gerade darum reizt ihn der Kampf mit ihr, die Zerstörung, nicht der Genuß. Unedles Wild würde er verschmähen. Dabei bleibt er äußerlich im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft, die ihm zu gleichgültig ist, als daß er sie haßt. Während der alte Don Juan gesellschaftlich viel bedingtere Naturen vor sich hat, deren Hauptwerk, ihre äußere Stellung, er vernichtet, fühlt Kierkegaards Held genau, daß gesellschaftliche Bollwerke heute nur Schatten, seiner Bresche nicht mehr würdig sind. Der Wert des heutigen Menschen ist mehr persönlich bedingt; und auf die persönlichen Eigenschaften wendet dieser neue Don Juan sein Augenmerk. Keine seiner Handlungen, um die Geliebte zu umgarnen, sind an sich zerstörerisch, erst in ihrer persönlichen Bedeutung werden sie furchtbar: kein Gift, kein Blut, keine Bestechung, kaum eine richtige Lüge, und doch ein ungeheurer Betrug, aus den feinsten Netzen gesponnen: um ganz unverdächtig freies Spiel zu haben – denn der sich als Liebhaber Nahende ist immer verdächtig und bindet sich selbst die Hände – verlobt er einen Freund mit der zu Erobernden, er reizt sie durch gesuchte Alltäglichkeit, durch scheinbare Absichtslosigkeit, nur sparsam läßt er seine Überlegenheit aufblitzen, stückweise gibt er sie zu erkennen. Eines Tages löst das Mädchen von selbst die Verlobung mit dem Anderen. Nun weiß er, woran er ist. Alles ohne Lärm, laut- und tonlos, nur zuletzt der Sterbeseufzer eines gebrochenen Herzens.

In dieser Gestalt kann Don Juan noch in unserer Zeit leben, und ich glaube, daß ihm der priesterliche Stand die meisten Vorteile böte, während früher Don Juan meist Soldat war. Dagegen würde der Priesterstand, der zu Casanovas Zeiten manchen verliebten Abbé unter dem heiligen Gewand barg, heute keinen offenen Schwelger mehr dulden. Man denke sich in der heutigen Geistlichkeit François-Joachim de Bernis, Casanovas Partner bei seinen venezianischen Nonnenabenteuern zu vieren, den bekannten Günstling der Pompadour, der zweideutige Verse schrieb und doch den Kardinalshut erlangte. Die angeblich rückständige katholische Kirche hat stets mehr als irgend eine andere Einrichtung das Zeitbild gespiegelt: das Mittelalter hatte seinen Gregor, die Wiedergeburtszeit ihre Kunstpäpste und den arglistigen Borgia, das Rokoko den aufgeklärten, weltmännischen Ganganelli. In unserer Zeit zwang der vordringende Protestantengeist sogar die katholische Geistlichkeit zur Sittenstrenge: einen Bernis oder Casanova würde sie ausstoßen. Don Juan aber kann in neuer Wandlung den Priesterrock tragen, denn er ist, wie wir sahen, kein Schwelger, sondern Moralist aus Überzeugung, vor die er aus Verderbtheit selber ein Minuszeichen setzt.

XX.

In verwirrten und darum zur seelischen Zergliederung geneigten Zeiten sieht man die Kühnheit und den Frevel auf das geistige Gebiet flüchten; der Mann der Tat bekommt leicht einen Anstrich hirnloser Plumpheit oder unverständlicher Starrheit. Der alte Don Juan stirbt aus, der neue ist nicht Soldat oder Großsprecher, er wird bewußt, fast wissenschaftlich. Er liest sogar. Schon das 18. Jahrhundert, das mit lüsterner Neugier über die Zuckungen des inneren Lebens gebeugt war, hat dem Kierkegaardschen Typus nah verwandte geistige Seelenunterjocher hervorgebracht, deren stärkstes Beispiel der Vicomte de Valmont ist, der furchtbar anziehende Held des Romans: Les liaisons dangereuses von Choderlos de Laclos. (Paris, Garnier frères.) In derselben Gesellschaft lebend wie der Herzog von Gramont oder der Marschall von Richelieu, doch später, zur Zeit der Überreife, noch den ganzen, sich selbst jeden Augenblick aufs Spiel setzenden Wagemut einer glänzenden Adelskaste in sich tragend, aber ohne die Möglichkeit, diese Kraft auf kriegerische oder staatliche Ziele abzuleiten: so schafft Valmont, in die ehernen, wenn auch viel Raum zur Bewegung lassenden Formen einer unerschütterlich scheinenden Gesellschaft geschlossen, seinem Willen und Geist zur Weide ein ungeheuerliches Werk der Unterhöhlung. Unter den Grundlagen einer Gesellschaft, die er scheinbar und vielleicht auch aus innerem Erhaltungstrieb anerkennt, die sich unbedingt zur christlich-katholischen Sittlichkeit bekennt, die ungesetzliche Liebe der Frau grundsätzlich nicht erlaubt und die im Kloster oder auf ihren Gütern zur ewigen Einsamkeit zwingt, denen ein Fehltritt nachgesagt wird, unter einer solchen Gesellschaft höhlt Valmont mit seiner Helfershelferin, der Marquise von Merteuil, einen äußerst verzweigten, in seiner feinen Verästelung scharf berechneten Irrbau aus, der keinen andern Zweck hat, als denen, die am festesten zu stehen wähnen, plötzlich, wenn es das Vergnügen oder die Rache eingibt, den Boden zu entziehen und sie versinken zu lassen. Valmonts Genugtuung ist, unwiderstehlich zu sein und dadurch möglichst viele Frauen ins Unglück gestürzt zu haben (wie bei den 1003 Geliebten Don Juans, spielt hier die Zahl eine Rolle, wenn auch durchaus nicht auf Kosten des Wertes); die Merteuil dagegen frohlockt in einer Zeit, die der Frau die Wollust verbietet, den Männern aber eine Siegerkrone aufsetzt, welche die Frau zur Übertretung dieses Gebotes zu überreden wissen, sie frohlockt, weil es ihr gelingt, die Männer und mit ihnen das Sittengesetz zu überlisten; sie kostet erst die Süßigkeit des Verführers, springt ihm aber dann an den Hals und zeigt ihm das auf ihn gezückte Messer in Gestalt eines ihn bloßstellenden Geheimnisses, das sie künstlich selbst zu schmieden wußte; oder sie vernichtet ihn wirklich sofort, um ihn unschädlich zu machen, so wie die Lippen der jungen Studenten, die im Nesleturm in der Nacht die Königin Marguerite von Frankreich küssen durften, während der Frühdämmerung in den Fluten der Seine ewige Verschwiegenheit erlernten. In diesem Wirrsal von Geheimnis, Wollust, Ränken, Rache, das Feigheit, Gefühlsseligkeit, Eitelkeit und Dummheit der andern ausnutzt, hält Valmont eine Zeitlang eine ganze Gesellschaft wie die Personen einer Puppenbühne an seinen Fäden. Er kann vorschieben oder in die Versenkung fallen lassen, wie es ihm behagt, ein Don Juans würdiger Machtstreich. Wer den Katechismus Don Juans schreiben wollte, brauchte nur die Grundsätze in Valmonts Briefen zusammenzustellen: »Erobern ist unser Schicksal« (IV. Brief) wäre der Leitspruch. Er wählt sich die am schwersten zu Erobernde aus, die glücklich verheiratete, sittenstrenge und fromme Präsidentin von Tourvel. Wenn auch seine Hauptkraft, wie beim alten Don Juan, die spitzeste List bleibt, so hat er doch gleich der neueren Kriegskunst vollkommen andere Waffen; sie werden ihm von der Seelenkunde geliefert. Fern davon, die Vorurteile der Geliebten zu zerstören, weiß er sie zur Quelle seines Glückes zu machen. Die Frau soll an die Tugend glauben, um sie ihm zu opfern. Sie soll die Schrecken der Gewissensbisse empfinden, um sie in seinem Arm zu vergessen. »Es genügt mir nicht, sie zu besitzen, ich will, daß sie sich hingibt.« Er weiß scharf zu berechnen, was sich ein Mann Entsetzliches erlauben darf, ohne sich bloßzustellen. Und daß die Rechnung dank seinen übermenschlichen Gaben jedesmal stimmt, ist seine rauschhafte Wollust, die ihn immer wieder alles aufs Spiel zu setzen reizt. In dieser Gesellschaft scheinen ihm für die ungestrafte Ausübung seiner Grausamkeit die Frauen die geeignetsten Opfer. Stolz darauf, alles einem bewußten Willen zu verdanken, ist er empört über den gefühlvollen Danceny, der, ohne nachzudenken, allein seinem Sehnen folgend in seiner Treuherzigkeit ein Glück findet, das Valmont der Rechner nie erreichen kann. Es reizt ihn nicht nur, den albernen Vorteil zu gewinnen, eine Frau mehr besessen zu haben. Ihm kommt es im Gegensatz zu dem alten Don Juan bereits sehr auf die Persönlichkeit des Weibes und ihr innerstes Sehnen an. Er will den Kampf, den Widerstand; er ist kein dunkler Wilderer, der den Hirsch stiehlt, als echter Jäger will er sich mit ihm messen. (XXIII.) Eine gleichgültige, halb widerwillig begonnene Liebesgeschichte kann durch einen plötzlichen, unerwarteten Widerstand für ihn verlockend werden, ihn Müdigkeit und alles vergessen lassen, »kaum habe ich ein Hindernis entdeckt als ich schon brenne, es zu überschreiten.« (XCIX.) Die Lust am allmählichen Sieg läßt ihn seinen Zustand dem der ebenfalls abwartenden ersten Liebe vergleichen, wo das Herz, von einem unbekannten Gefühl erstaunt, bei jedem Schritt anhält, um das neue Entzücken zu genießen. Und dieses Entzücken ist so mächtig, daß es im Augenblick jeden Gedanken an das Ziel vergessen läßt. Gleich dem zum erstenmal Liebenden drängt der die Empfindung auskostende Lüstling nicht zum Genuß. (LVII.) Überraschend, Nietzsche vorausahnend, ist seine Einsicht in die Seele der nichts als Redlichen, Dancenys z. B., der seine Geliebte verführen, aber nicht täuschen will. Ein erbauliches Bedenken für einen, der verführen möchte! »Da sieht man, wie die Männer sind!« Alle sind gleich verbrecherisch in ihren Plänen; ihre Schwäche in der Ausführung nennen sie Redlichkeit. (LXVI.) Daß nicht der sinnliche Genuß, sondern verbrecherisches Handeln die Triebfeder der Don Juannatur ist, spricht die Marquise von Merteuil offen aus. Sie sagt, daß die Liebe, die man als die Quelle des Vergnügens preist, nur der Vorwand ist. (LXXXI.) Und wozu alles wird sie der Vorwand, vor allem zur Befriedigung der Eitelkeit, noch einer Haupttriebfeder Don Juans. Valmont freut sich an der Vollständigkeit seines Verzeichnisses und hat seine bestimmten Meinungen darüber, wie und unter welchem Licht er seine glänzendsten Siege bekannt werden läßt. Man halte das nicht für Geschwätzigkeit! Don Juan ist verschwiegen, und wenn er schwatzt, so kann man sicher sein, daß es einen gewollten Zweck hat. Falls er etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilt, so will er es gewiß ausgeplaudert haben. »Ich denke«, schreibt Valmont, »man wird mir die Sache mit der kleinen Volange auch nicht gering anschlagen. Es ist doch keine Kleinigkeit, ein unschuldiges Mädchen der guten Gesellschaft eines Abends seinem Geliebten zu entreißen, mit ihr wie über eigenes Gut zu schalten, Dinge zu erreichen, die man nicht jeder käuflichen Frau zumuten würde, sie dabei nicht ahnen zu lassen, was sie tut, und wenn man ihrer überdrüssig ist, sie dem ahnungslosen Geliebten, der sie noch nicht besaß, in den Arm zu legen.« Falls man aber den erhabenen Stil vorzieht, so wird er die Präsidentin zeigen, dieses von allen Tugendhaften angeführte Muster, das alle Verführer bisher verschonten; er wird sie zeigen, wie sie alles aufgibt, um ihm zu gefallen, für ihre Opfer hinreichend belohnt durch seinen Blick, den sie nicht einmal stets erhalten wird. Noch mehr, er wird sie verlassen, und er wird keinen Nachfolger haben, sie wird sogar auf die Rache verzichten! »Bewundert mein Werk und sucht ein zweites Beispiel in dem Jahrhundert.« (CXV.) Nichts ärgert ihn mehr, als wenn Frau von Merteuil ihn mit seiner Verliebtheit in die Präsidentin höhnt. Hat er bei ihr je Augenblicke so kleinmütiger Schwäche gehabt, so wußte er sie stets zu überwinden und zu seinen Grundsätzen zurückzukehren. (CXXV.) Aber wir vermögen diese Verteidigung nicht recht zu glauben. Schließlich liebt er sein Opfer mit aller Stärke seiner Natur. Ist Don Juan sich untreu geworden? Nein, dieser augenblicklichen Überwältigung durch das Gefühl wird er Herr, um sich in nackter, schrecklicher Echtheit zu zeigen. Er reißt mit grimmigem Gelächter die Wurzeln der Liebe aus seinem Herzen und vernichtet die Geliebte, um den ihm am meisten schmeichelnden, unsicher gewordenen Beifall seiner frohlockenden Freundin Merteuil zu gewinnen. Sie, die mit ihm stets um den Rang an verbrecherischer Macht wetteifert, soll sehen, daß er sich nicht von alltäglichen Gefühlen besiegen läßt. Und sie selbst wird der Preis für diese Tat sein. Er schickt der Präsidentin, die er noch liebt, einen höhnischen, sie nachäffenden Absagebrief, den die Marquise aufgesetzt hat. Und Frau von Tourvel stirbt daran. »Wenn eine Frau nach dem Herzen einer andern sticht, verfehlt sie selten die empfindliche Stelle, und die Wunde ist unheilbar.«

Es ist charakteristisch für das Buch, welches der Gesellschaft entstammt, die es schildert, daß Valmont zu den äußersten Grenzen seiner Natur durch ein Weib getrieben wird. Eva und die Schlange! Der verbrecherischste Mann hat noch unbefangene Augenblicke, so Valmonts zeitweise echte Liebe zur Präsidentin. Das Weib aber erscheint als Quelle des Verderbens, und diese in der Wurzel biblische Überzeugung ist Ursache und letzte Rechtfertigung Don Juans, des christlichen Verbrechers.

XXI.

Was Don Juan tut, gilt in allen Fällen als Verbrechen, Casanovas prickelnde Sünden lasten auf dem Gewissen manchen Bürgers und werden im Einzelfall lächelnd verziehen. Er unterscheidet sich dadurch von dem gewöhnlichen Liebhaber, der jeder einmal war, daß er es oft, ja unaufhörlich ist, daß die wechselnde Liebe Grundlage und Inhalt seines Lebens wird. Wenn er auch im Einzelerlebnis nicht gegen die tatsächliche Ordnung der bestehenden Gesellschaft handelt, sondern nur gegen das stets geforderte, aber nicht immer eingehaltene Keuschheitsgebot, so steht er als Gesamterscheinung doch im Gegensatz zu den Zielen der seßhaften Menschheit. Die wünscht den Liebestrieb wesentlich in den Dienst der Fortpflanzung gestellt zu sehen; die Lust als Selbstzweck ist auch denen, die das Christentum mit dem Verstand überwunden zu haben glauben, ja diesen oft ganz besonders, minderwertig und verwerflich. Unter Anerkennung gewisser Forderungen des Leibes, verwickelter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse, wird die Lust dennoch unter gewissen Einschränkungen als Ausnahme geduldet, solange die Hauptziele des Menschen und der Gesellschaft nicht aus dem Auge gelassen werden. Casanova lebt von diesen Ausnahmen. So wird er im Einzelfall zwar im Rahmen der Gesellschaft bleiben, als Gesamtgestalt aber ihr Feind sein, wie der, welcher, den halbgestatteten Zweikampf zu seiner täglichen Beschäftigung machend, nicht als Mörder vor den Richter kommt, obgleich er das Gegenteil will wie die ihn schützenden Gesetze. Wenn der Verbrecher als heftige aber rasch zu beseitigende Krankheit erscheint, so nennen viele Casanovas Gleichen einen Krebsschaden der Gesellschaft, dem man nicht beikommen kann. Er macht sich ihre wunden Stellen zu nutze, bei ihm wird das zum Grundsatz, was der Seßhafte nebenbei tut und schließlich in der Ehe vielleicht ganz unterläßt.

Diese Tatsache ist darum wichtig, weil sie die Stellung zur Frau bestimmt. Jeder wird die Genossin sündiger, niedriger oder wenigstens minderwertiger Taten wenig schätzen, er wird diejenige verachten, die sich dazu hergibt. Anders Casanova, dem diese Handlungen nicht niedrig oder sündig, sondern Hauptreiz des Lebens sind: Er findet Gelegenheit, Geist und Kühnheit derer zu bewundern, die mit ihm gemeinsame Sache gegen die Sitte der Seßhaften machen. Er verachtet nicht, wie der spätere Ehemann, die einstige Geliebte. Wer grollend den Weg zur Dirne schleicht, hält das, was er tut, für gemein und tut es dennoch. Das muß der entsetzlichste Seelenzustand sein, der den Begriff »der Hölle auf Erden« schafft, die allzuenge Sitte dadurch erreichte, daß sie das verbot, was getan werden muß. Es liegt nahe, daß Menschen in diesem Zustand ihre Gehilfen in der Sünde mit verantwortlich machen. Sie häufen Wortunflat auf die Versucherinnen, doch ihr Trieb verdammt sie, die also Besudelten und Entehrten wieder zu umarmen. Die Roheit, daß jemand ein Wesen, für welches er selbst nur Bezeichnungen aus dem Tierreich wählt, doch wieder küßt und an sich drückt ist eine – freilich ungewollte – Folge der Ächtung des Fleisches und kennzeichnet die Stellung der meisten unserer Zeit zur Erotik. Casanova küßt kein Weib, ohne es wenigstens im Augenblick zu lieben, und das macht bei ihm schön, ritterlich und liebenswürdig, was bei anderen leicht Zote wird. Das ist ein Hauptzug von ihm. Nicht daß er viele Geliebten hat, sondern die Art, wie er sie hat, unterscheidet ihn vom Bürger.

In dem bereits mehrfach angeführten unvollendeten Don Juanspiel des Verfassers, sagt Don Manuel, der zwischen Casanova und Don Juan steht:

Dort lacht die Welt, kaum daß die Pflanze sich
mit ihren Wurzeln in der Erde hält,
so zieht die mächt'ge Blume sie empor
ans Licht – und rings will nichts gefesselt sein,
und alles schmiegt sich lose nur zusammen,
flieht sich und trifft sich wieder – jauchzend.
Da kann ich nicht allein gebunden bleiben.
Hat einer erst in Fesseln eingewilligt,
dann blüht für ihn nicht mehr der Fliederstrauch,
verschweigt die Erde ihr Geheimnis ihm,
dann ist er alt –;
Leicht, daß ich nie nach ihren Früchten greife,
doch muß ich stets die volle, goldne Ernte
nah meinem Blick, nah meinen Händen haben.
– – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – –
Nun liebe mich, so wie ich einmal bin.

Und Rosalba liebt ihn so:

Nicht um ein Haar breit anders sollst du sein.

XXII.

Don Juan erleidet einen tragischen Untergang, der dem ruhmlos alternden Casanova erspart blieb. Nicht jeder Mensch erfüllt sein Schicksal, das Leben zieht selten die letzten Folgerungen, und das ist vielleicht ganz gut, denn die Mittelmäßigkeit würde dann sagen: das kommt davon.

Freilich kommt es davon, aber aus anderen Gründen. Es ist falsch zu sagen: wäre Don Juan keusch gewesen, so hätte er kein so böses Ende genommen. Sondern: Würde Don Juan nicht so tragisch untergehen, so wäre er als Don Juan weniger vollkommen. Sein Tod ist unentrinnbar, wie sein Leben war, oder hat man etwa die Wahl, Don Juan oder Bürger zu sein?

Wir sahen, daß Don Juan folgerichtig nur an der unverführbaren Frau, der Heiligen, zugrunde gehen kann. Wie stürbe Casanova, gesetzt, ihn ereilte sein Schicksal? Das Nächstliegende wäre: zwanzig- oder dreißigmal kommt er mit blauem Auge davon, und schließlich erreicht ihn doch der Arm eines eifersüchtigen Gatten oder schützenden Bruders. Das wäre wirklich ein »Pech«, man könnte sagen: es kommt davon. Eine moralische Erzählung. Casanova käme um, wie es jedem Bauernjungen, dem der Frühling in die Glieder gefahren ist, beim Fensterln ergehen kann. Aber Casanova ist mehr als einer, der die Trine oder Mine oder meinetwegen eine Herzogin verführt. Auch er muß gleich Don Juan an einer Frau zugrunde gehen, freilich an einer anderen. Die Heilige, vor der Don Juans Kräfte zerschellen, würde Casanova nicht den Untergang bereiten, denn da er sich nie vergreift, stets von der Frau ihr Wesen fordert, könnte er die wahre Heilige nicht begehren (was ihn nicht an Nonnenliebschaften hindert), sondern er müßte sie hoch schätzen oder bespötteln, je nachdem, ob sie ihn überzeugt oder nicht. Die wahre Heilige könnte Casanovas feiner Geist begreifen. Er wird an der Frau sterben, die er nicht zu begreifen vermag, die ihn überragt, in der er sich zum erstenmal täuscht. Erst von ihm ahnungslos geweckt, wächst sie sich zur Heldin aus. Das Heldentum der Frau aber ist die Liebe, die vollkommene, alles andere aufsaugende Liebe: die Hingabe. Eine solche Frau ist größer als Casanova, der alles, nur nicht lieben kann. An ihr kommt er nicht vorüber, sie läßt ihn nicht vorbei. Sie schreit ihm, wenn er lau werden will, ihre Liebe entgegen und fordert die seine. Und seine Antwort sind Ausflüchte. Diese Frau aber läßt sich nicht täuschen. Sie muß eine Heldin sein, und darum wird sie nicht schweigend dulden, nicht verzichten. Casanovas Liebe ist ihr Lebensgrund, aber Casanovas Liebe gibt es nicht. Sie muß daher so notwendig sterben, wie der Mensch auf einem erloschenen Stern aus Luftmangel ersticken müßte. Aber sie kann auch ihn nicht leben lassen. Wer solcher Liebe gewürdigt wurde, darf nicht vergnüglich seine Stunden weiter verzetteln und von Arm zu Arm gleiten. Er muß von der Hand des stärkeren Weibes sterben in dem Augenblick, da seine Ohnmacht nicht mehr zu bezweifeln ist. Dies habe ich darzustellen versucht in einem Einakter »Don Juan und die Curtisane« (bei Georg Müller, München 1914), dessen Held wie Don Manuel zwischen Don Juan und Casanova steht.

XXIII.

Wir müssen bei Casanovas Rächerin ein tiefes Wissen um das Wesen der Liebe voraussetzen, denn nur damit erhebt sich ihre Tat über die Eifersucht eines gewöhnlichen Weibes. Dieses Wissen findet sich am ersten bei Casanovas weiblichem Gegenspiel, der Curtisane, so wie sie die Alten und die Renaissance verstanden, bei der Liebeskünstlerin, die durch Casanovas unbeschreiblichen Zauber zur großen Leidenschaftlichen wird und nun von ihm vergeblich eine gleiche Wandlung verlangt (vgl. »Don Juan und die Curtisane«). Aber wenn auch das Umherschweifen in der Liebe den Mann in seinem äußeren Leben weniger erschüttert als die Frau (die nur allzu schnell einer Frucht gleich wird, die lange im Laden lag): die Wurzeln wahrer Leidenschaftlichkeit reichen beim Weib tiefer und sind unverwüstlicher. Bei Casanova wurden sie längst durchschnitten.

Wir müssen um unserer beiden Helden willen bei der Gestalt der Curtisane einen Augenblick verweilen. Gleich dem Namen Don Juan wird die Bezeichnung Curtisane sinnlos mißbraucht. Wir wollen den Begriff der Dirne von ihm abtrennen. Die Worte: Palam, sine delectu, pecunia accepta (öffentlich, ohne Lust, für Geld), enthalten nach römischem Recht die Merkmale der Dirne. Das ist im Grund ähnlich unpsychologisch wie die Beurteilung Don Juans als Polygamist, weil sie sich an nur äußere Tatbestände hält. Dirnenhaft im Empfinden sind alle diejenigen Fräulein, die mit flackernden Sinnen aus ihrer geschlechtlichen Not eine Tugend machen oder denen ihre Tugend eine Not ist. Das Wesentliche der Dirne ist weder die Hingabe an mehrere – dann wäre Katharina II., dann wäre Karoline von Schlegel eine Dirne –, es ist auch nicht die Hingabe um des Nutzens willen – dann gehörten manche berechnende Ehefrauen hierher. Das Merkmal ist vielmehr das zerflatternde haltlose Begehren, das mit jedem oder wenigstens sehr vielen eine Art Liebe wünschen kann. Das ist die wesentliche und verächtlichste Eigenschaft der Dirnen oder Halbdirnen und fordert wie nichts sonst die Verachtung der jeweiligen Liebhaber und der öffentlichen Meinung heraus. In zweiter Linie erst kommt die Käuflichkeit, die unserer veramerikanerten Zeit gar nicht so sehr gegen den Strich geht; denn der seßhafte Kaufmann verachtet den herumziehenden Händler nicht, weil er handelt – das tut er selbst – sondern weil er's in kleinem Maßstab, sehr billig, mit minderwertiger Ware ohne Organisation und Standesbewußtsein tut. So ist die Dirne eine Liebeströdlerin im Vergleich zur erkauften Gattin, die, einmal seßhaft geworden, unter Umständen vortreffliche Eigenschaften entwickeln wird.

Ebensooft mag Abhängigkeit von der Familie wie die Sinne abstumpfende Dürftigkeit die in vielen Frauen schlummernde Anlage zur Dirne ersticken. Die ungebrochene, rassige Frau, die ihrer Natur nach, nicht aus Grundsatz, nur einem Mann auf einmal und nach diesem nicht allzu leicht noch anderen gehören mag, ist nicht die Regel. Trotzdem hat sie das Muster zur Einehe gegeben, sowie die Klassenziele einer Schule oft nur für die Begabten gesteckt sind, die anderen mögen sehen, wie sie fertig werden. Diese Frau ist das edelste Wild Don Juans, denn es gibt etwas zu zerstören. Es kommt vor, daß eine also Veranlagte vom Schicksal in eine schmähliche Ehe oder äußerlich in ein Dirnenleben gestoßen wird. Im Augenblick aber, da der eine kommt, der ihre tiefsten Triebe entfesselt, kann sie mit Miraflores sagen:

»Seit jener Nacht gehört ich keinem mehr
und meine Liebe ist so makellos
wie eines Mädchens, dessen herbe Brüste
zum erstenmal in neuen Wünschen zittern.«

(Aus »Don Juan und die Curtisane«.)

Dies ist ein Idealfall für Casanova, denn er kann der fast zertretenen Knospe zu nicht mehr erwarteter Blüte verhelfen; aber er vermag nicht, sein Werk zu Ende zu führen, bei der Blume als sorgsamer Gärtner auszuharren, und wohl ihm, daß nur wenige Frauen wie Miraflores sind und von ihm fordern, für sein Werk sich völlig einzusetzen, wohl ihm, daß die meisten nach seinem Kuß das Haupt sinken lassen und sich mit einem Witwenlos zufrieden geben. Er wird ihnen stets antworten können:

»Warum bliebst du nicht, die du warst, ich liebte dich gerade so

Damals war aber Miraflores eine Curtisane. Wie kommt nun Casanova, der Kenner, dazu, eine Curtisane zu lieben?

Es ist eine der erstaunlichsten Verwirrungen, daß auch in christlichen Zeitaltern, wo die Unberührtheit als der höchste Schatz der Frau gepriesen wird, Curtisanen immer wieder aufs stärkste die Männer entzündeten und die heftigsten Wirkungen auf das Schicksal Einzelner und ganzer Völker hervorbrachten. Freilich, unter den übrigens durchaus nicht immer unbedeutenden Männern, die, an den Siegeswagen der Curtisanen gefesselt, entzückt sind, den Staub der Räder einzuatmen, wenn sich ihm nur ein Hauch der Gewänder oder des Haares beimischt, unter diesen Männern befindet sich selten Don Juan, obgleich gerade hier für ihn die allerhöchsten Wälle zu überwinden wären. Denn was ist schwerer und zugleich schmeichelnder für die geschlechtliche Eitelkeit, als eine Laïs oder Imperia zu einer Liebe zu bewegen, an der ihre Seele teil hat. Denn Laïs und Imperia dürfen unter allen Männern wählen, sie durchschauen alle Künste, Listen und Eitelkeiten, ihre Nerven kennen alle Schauer. Wenn sie einen lieben, so wissen sie warum. Die Curtisane ist also von der Dirne so verschieden wie von der ehrbaren Bürgersfrau. Bei ihr ist alles schöne Gebärde, große Bewußtheit. Nichts ist irr und zerfahren. Sie weiß, was sie will und wen sie will, und daß sie die Gabe hat, dieses Wollen zu verwirklichen, macht sie zur Curtisane. Oft ist sie zum Verwechseln der großen Dame ähnlich, nur daß sie – ungebunden durch Standes- und sonstige Pflichten – freier und offener handeln kann. Und unbedingt gehört Überfluß zu ihr. Wie sie ihn sich verschafft, ist ihre Sache. Solange sie Herrin bleibt und nicht Sklavin derer wird, die ihn bezahlen, ist sie keine Dirne. Es gibt auch hier viele Übergangsgestalten. Alles dies erkennt Don Juan nicht, er hält sich an grobe Tatbestände. Herkömmlich, wie er nun einmal urteilt, verwirft er die Curtisane mit dem landläufigen Satz: die Curtisane gehört jedem. Aber gerade darum gehört sie keinem. Das ist der Antrieb für Casanova, zu versuchen, ob sie nicht einmal doch Einem gehören kann, der anders ist, als »die Männer«, von denen Curtisanennerven meist genug haben. Ich will damit nicht sagen, daß alle Sklaven hinter dem Karren der schweifenden Venus also dächten. Bei den meisten ist Eitelkeit, Eigensinn, Lust an der Selbstzerstörung und noch manches andere im Spiel. Auch der gröbliche Aretino, der nichts weiß, was nicht auch die Lanzknechte wüßten, und damit ein Kronzeuge wird für eine gewisse Roheit seiner Zeit gegenüber dem Mittelalter und dem 18. Jahrhundert, auch der schmutzfrohe Aretin ist der oberflächlichen Meinung: »es ist unmöglich, daß sie sich einem hingibt, oder ihn liebt« ( Ragionamenti I, 3). Casanova wird die Curtisane darum suchen, weil sie am wenigsten lügt. Was sie gibt und was sie verlangt, ist klar, im Gegensatz zur Ehe, deren Triebfedern meist verschleiert sind, im Gegensatz zu jenen hinkenden Verhältnissen, die zwischen Ehe und Preisgabe die Mitte bilden. Die Curtisane braucht nicht von Standes wegen zu lügen. Sie hat keine Standesehre, also auch keinen Standeshochmut. Jeder Stand heuchelt, wenn es sich um die Liebe dreht, die Curtisane nicht. Sie allein hat darüber ganz klare Meinungen, alle anderen Stände schwanken zwischen Sittengesetz und Brauch, wodurch die Heuchelei notwendig wird. Vom König bis zum Knecht verlangt jeder Stand, daß gewisse Meinungen, Handlungen, Tugenden usw. hochgehalten werden, die Anderen gleichgültig oder lächerlich sind. Mit derselben Blindheit wird Vieles abgelehnt ohne andere Begründung als das Standesgefühl. Die Curtisanen allein tragen keine dieser Brillen, sie vermögen daher – falls sie Verstand haben – die Bedingtheit aller Werte klar wie ein Denker zu durchschauen, und je nach ihrem Wesen zu bespötteln oder zu hassen. Vorausgesetzt, daß sie nicht durch allzu grausame Erfahrungen verbittert sind, wie sie ihnen die heutige Gesellschaft auferlegt, ist Aussicht vorhanden, unter ihnen Charaktere zu finden. Hören wir über die Curtisane noch den Chevalier de Faublas (in dem köstlichen Roman Louvets) eine der liebenswürdigsten Gestalten des 18. Jahrhunderts. »Ich hatte keine Bedenken«, so erzählt er, »Justine zu lieben, ohne sie zu bezahlen, und betrachtete meine kleinen Geschenke als die Wirkung freiwilliger Großmut, solange Justine Kammerjungfer war und sich in gefälliger Liebesglut jedem gab, der ihr gefiel.« Sobald er sie jedoch als ausgehaltenes Mädchen wiederfindet, das von seinen Reizen lebt, glaubt er sie nicht umsonst »belästigen« zu dürfen, ohne dadurch das Zartgefühl zu verletzen. »Alle jungen Leute von Stand mit einigen Grundsätzen«, sagt er, »werden ebenso denken« ( La fin des amours du chevalier de Faublas). Eine gewisse Opernnymphe, Coralie, erklärt ihm ihre Gewohnheiten, nach denen sie stets einen Mann in mittleren Jahren hat, der sie bezahlt, um von ihr geliebt zu werden, und einen hübschen jungen, der sie liebt, ohne zu zahlen. Manche ihrer Freundinnen, bemerkt sie, fügen noch einen herkulischen Lakaien hinzu, den sie bezahlen, damit er sie liebt. Als sie das Geschenk des Chevalier zurückweist, erwidert er hochmütig: »Ich wünsche allein zu sein und zu bezahlen.« Sie erwidert: »Das wäre ein schlechter Handel, du bist zu jung und noch nicht reich genug, du bist hübsch, du hast Geist. Im Augenblick, da du zahltest, liebte ich dich nicht mehr. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber so sind wir alle: eine Banknote ist für den, der es gibt, ein Pfand der Untreue.« ( Une année de la vie du chevalier de Faublas.) Und die Marquise von B. sagt zu Faublas, den sie erzieht: »Die Welt ist allgemein darüber einig, daß man einen reichen Lebemann, der sich die Liebe der Curtisanen erhandelt, weniger verachtet als den dunklen Gecken ( le freluquet obscur), der ihnen zu gefallen sucht.« ( La fin des amours.) Das ist von dem Standpunkt der großen Dame gesprochen, die zu allen Zeiten mißgünstig auf ihre Nebenbuhlerin, die große Curtisane geblickt hat.

XXIV.

Welche Leute heute gewöhnlich die Umgebung der Curtisanen bilden, zeigt Frank Wedekind in dem »Erdgeist« und der »Büchse der Pandora«. Seine Männer sind oft gewöhnlich, sie gehen ruhmlos zugrund, Opfer, ähnlich den Verführten Don Juans, Schachsteine für die zarten Finger der Frauen, die bei ihm allein das Spiel des Lebens leiten. Würde auch Casanova an Lulu (»Erdgeist«) zugrunde gehen? Oder würde er nur die erlesenen Genüsse kosten, die ihr Leib und ihre Seele zu schenken haben, und ihr im übrigen ein guter Freund sein? Er ist selbst nicht vom Weib besessen und darum wird für ihn das Weib nie zum Unhold, sondern immer zum guten Engel. Ich glaube, bewußt teuflische Frauen würde er entsetzlich finden und den etwaigen Kampf mit ihnen außerhalb der Liebesbeziehungen legen. Aber Lulu ist nicht bewußt teuflisch wie Lady Macbeth oder Adelheid von Weislingen, die es so sind, als stünde es in ihrem Willen, als könnten sie es auch nicht sein. Lulu ist bloß da, sie atmet, lebt, aber um sie herum fiebert ein Dunstkreis von Gift und Mord und entzündet die gräßlichsten Ereignisse. Ihre Liebe haucht gleich der Don Juans Verderben, aber sie ist gutmütiger als er und überhaupt nicht ganz sein Gegenstück. Sie gibt sich selbst nicht als Rätsel. Der Dichter sagt nicht etwa: die Frauen sind Geheimnisse, sondern er zieht den Schleier ohne Hokuspokus weg, Lulu steht nackt da und Mord und Totschlag beginnen. Der Schleier ist fort und alles bleibt so geheimnisvoll wie es war. Das ist das Unheimliche, das Unwägbare an dieser Gestalt, die sich nirgends einreihen läßt, zu der es kein männliches Gegenstück gibt. Lulu ist nicht Ränkespinnerin, nicht Zerstörerin wie Nana, die auch in mancher Hinsicht Don Juan verwandt ist, vielleicht noch am ersten eine in unsere wirre Verfallszeit versetzte Carmen. Sie ist auch nicht wie die harmloseren, sich vor sich selbst spiegelnden Liebeskünstlerinnen der Vergangenheit, die » petites maîtresses« des Rokoko, sondern ein altklug lächelndes Kind – der Rest läßt sich nicht in Worte fassen. Hier wäre Casanova blind, er würde sie vielleicht köstlich finden und wie jede andere nehmen. Seine Rokokoseele streckt ihre Fühler nicht bis zu solcher blassen Flamme und kalten Glut, wie sie heute in unseren nordischen Großstädten glimmt.

Ein Teil der tragischen Verwicklungen, die Lulu schafft, liegt in dem unverwüstlichen Trieb der sie umgebenden bürgerlichen Männer nach dem häuslichen Herd. Eine Lulu in das Prokrustesbett der Einehe zwängen wollen, heißt freilich Unheil heraufbeschwören, sei es für den Mann, sei es für die Frau, meist für beide. Lulu ist zu fessellos – ich sage nicht: zu groß – für die Ehe. Auch die umgekehrte Tragödie ist häufig und viel gewöhnlicher: für manche Frauen sind die Grenzen der Einehe mit völliger Gleichstellung viel zu weit gemessen. Reizend in einem Harem, von unnennbarer Süße, wenn sie nur mit einem Drittel oder einem Viertel des Mannes verbunden sind, der sein geistiges oder gesellschaftliches Leben ohne sie führt, sucht sich ihre verzwergte Natur in der Ehe zu blähen und zu recken, um das zu weite Gewand auszufüllen. Trotz, Eifersucht und sinnlose Ansprüche müssen aushelfen, was alles zusammen noch keinen Charakter ausmacht. Und vorher sind sie so reizend gewesen! Ein allzuoft vernommenes, alltäglich gewordenes Bedauern!

Diesen Enttäuschungen des gemeinen Lebens enthoben zu sein, ist noch ein wesentliches Merkmal Casanovas. Auch hier vergreift er sich nicht. Diejenigen, die er heiraten wollte, waren gerade die, welche in der Ehe noch mehr gewonnen hätten, denn seine Kunst ist, immer die liebenswerteste Seite der Frau herauszulocken, und das geschieht bekanntlich bei den wenigsten dadurch, daß man sie heiratet. Er wird auch alberne Dinger oft reizend finden, zum größten Staunen gebildeter und selbst weitherziger Frauen, aber er wird sie nicht heiraten.

XXV.

Casanova wird immer dann auf der Schanze stehen, wenn es sich darum handelt, die Blüte und den Stolz des Weibes vor barbarischen Eingriffen zu verteidigen, freilich in anderer Weise als dies die heutige Bewegung unter den Frauen versucht. Er wird sich nicht mit den kümmerlichen Resten weiblichen Empfindens begnügen wollen, wie es sich etwa in der Rose verrät, die ein Fräulein Doktor zwischen Gefäßen und Werkzeugen in einer Arzneiflasche bewahrt. Da zieht er noch fast die dummen Gänslein vor. Aber er verwirft auch die zu Nutz und Lust des Mannes abgerichtete Frau, so die sonst niedliche Annette in Genua, die, wie er sagt, keine Ahnung von den ihr zustehenden Rechten hatte und sich aus Unterwürfigkeit seinen Liebkosungen nicht widersetzte. »Das kann nur einem reichen wollüstigen Muselman gefallen« (IV, 16). Ihm fehlt nicht der großherzige Freimut – und gerade seine männlichen Triebe werden ihn darin stützen – genialen Frauen über die geheiligten Zäune enger Vorurteile hinwegzuhelfen. Er ist ein Verbündeter des Weibes gegen den geschwollenen Hahnenkamm manches »Herrn der Schöpfung«, aber er ist auch ein Verbündeter des Mannes gegen die hysterische Frauenzimmerlichkeit.

Casanova wird der Frau manche Eigenschaften gönnen, die man aus Unverstand »männlich« nennt, so wie ihm selbst gewisse weibliche Züge anhaften. Wer versucht, geschlechtlichen Fragen auf den Grund zu kommen, der bedenke, daß es ebensowenig ausschließliche Männer wie ausschließliche Frauen gibt. Ich meine, beobachtet zu haben, daß Männer von allzu ausgesprochener und betonter Männlichkeit nicht besonders anziehend auf Frauen wirken, sondern teils erschreckend, teils erheiternd. Die berühmte Ninon de Lenclos wies einmal einen solchen Liebhaber mit den Worten ab: »O mein Herr, ich bin überzeugt, daß Sie sehr tapfer sind, aber gehen Sie jetzt.« Umgekehrt hat Verstand und Tapferkeit alle großen Verführerinnen ausgezeichnet, manche sind wahre Amazonen gewesen. Der Efeu hingegen, der nichts anderes will, als sich an die Eiche anlehnen, ist eine Schmarotzerpflanze.

XXVI.

Wenn wir hier das Gebiet der Liebe mit Casanovas Augen überschauen, so geschieht es, weil wir ihn für den feinsten Kenner, den berufensten Richter halten, wozu ihn die Frauen seiner Zeit erwählten. Was wäre das Ziel seiner innersten Wünsche? Ich glaube: die sapphische Kultur der Frau. Mit ihrer Darstellung beschließen wir unsere Betrachtung und meinen es nicht würdiger tun zu können, als mit den Worten J. J. Bachofens (Das Mutterrecht, CVLII, Basel 1897): »Auf Erziehung ihres Geschlechts ist Sapphos Bestreben gerichtet, daraus entstehen alle Freuden und Leiden ihrer durch Eros zu stets neuem Wirken und Schaffen, Ringen und Jagen begeisterten Seele.

Οὐδένα γὰρ ἐνθουσιασμὸν ἄνευ τῆς ἐρωτικῆς Keine Begeisterung vermag ohne den erotischen Anhauch zu entstehen.

Ist es nicht die Stimme der sorglichen Mutter, sondern die Erregung der Leidenschaft, aus welcher ihre Feuerworte hervorgehen, so hat diese erotische das Sinnliche und Übersinnliche, Leibliche und Psychische mit gleichem Ungestüm erfassende Begeisterung ihre letzte und reichste Quelle doch nur in der Religion. Was sich ewig auszuschließen scheint, Liebe und Geschlechtsgleichheit, tritt jetzt in den innigsten Verein. Mit ruheloser bebender Seele wirbt Sappho um die Gegenliebe der Mädchen ihres Volkes: sie, die Größere, bemüht sich dienend um die Geringeren. Und nicht einer allein widmet sie ihre Sorge, zu allen treibt sie Eros; die Erhebung und Erziehung des ganzen Geschlechts ist ihre Aufgabe. Wo immer sie leibliche Schönheit findet, da treibt sie Eros, auch die geistige zu erzeugen. Seine Tat sind ihre Lieder, seine Wirkung der Wahnsinn ihres Herzens, der Größeres wirkt als menschlich-nüchterne Besonnenheit. Der religiösen Natur dieser Erregung entspricht das Ziel, auf welches die Dichterin immer und immer wieder hinweist, dem Ungeregelten, dem Anmutlosen, selbst in der Kleidung und äußeren Erscheinung, tritt sie entgegen; ihr ist die Schönheit nur eine, der Mittelpunkt ihrer ganzen Geisteswelt, der Ausgangspunkt jeder Veredelung …

So von den niedern zu den hohen Erscheinungen aufsteigend, das Körperliche vergeistigend und das sinnliche Leben selbst zur Grundlage des psychischen erhebend, führt sie das Mädchen über die Grenzen des leiblichen Daseins hinaus, eröffnet ihm den Blick in die Unsterblichkeit, die dem höheren Eros angehört – – – – und entflammt so in des Weibes Seele die Sehnsucht nach der Ewigkeit des Nachruhms, den ihr selbst die Musen, des Vaters goldenes Haus verlassend, durch das Geschenk ihrer Werke gesichert haben – – – – – – dort Eros Kraft in dem Weibe verwirklicht, der mächtige Flügelschlag einer durch religiöse sinnlich-übersinnliche Erregung beschwingten Seele; hier der Mann, durch des Weibes Reden wie mit fremden Strömen erfüllt, spekulativ erfassend, was in jenem unbewußt wirkt, und ohne Beschämung anerkennend, daß nüchterne Geistestätigkeit nie der mächtigen Erhebung einer in den Tiefen der weiblichen Gemütswelt wurzelnden Begeisterung zu folgen vermag. »Ich weiß, o Diotima, daß ich einen Lehrer gebrauche.«

Nachwort

Madrid, Oktober 1905.

Ich habe diese Untersuchung bis an die Grenze meines Bezirks geführt und möchte das Ende des Fadens hinüberwerfen zu denen, welche längere Erfahrung instand setzt, die Tiefen iberisch-spanischer Rassenkunde zu ergründen. Ihnen sei überlassen, folgende bei eiliger Durchquerung der Halbinsel gewonnene Meinungen zu bestätigen oder zu verwerfen.

Don Juan, so wie er in den vorhergehenden Blättern von dem gesitteteren Casanova unterschieden wird, erscheint als höchste Steigerung des Spaniers überhaupt, so wie man in »Faust« alle Fesseln und alle Kühnheit der deutschen Natur feierlich erkennt. Kein Land außer Spanien zeigt so viel sklavischen Zwang neben so viel selbstherrlicher Willkür. Niemand will hier gehorchen, und jeder beugt sich der engsten aller Gesellschaftssitten. Spanien erfand die dumpfste aller Religionen, das grauenhafteste aller Gerichte, die blutloseste aller romantischen Verirrungen, nirgends sind vielleicht so viel Güter sinnlos zerstampft oder wenigstens unfruchtbar aufgespeichert worden, nirgends wurde so viel Leben verhöhnt, so viel gelogen; und dennoch: dasselbe Volk hatte als erstes den Mut, die Wirklichkeit unverschroben zu sehen und im Wort, später auf der Fläche festzuhalten: der erste aller Maler im heutigen Sinn, der erste, der die Erscheinung ohne religiöse oder geistreiche Umschweife suchte und packte, Velasquez, ist ein spanischer Hofbeamter mittleren Ranges gewesen und fühlte sich höchlich belohnt, als ihm ein bläßlicher Schattenkönig das Kreuz von Santiago an die Brust heftete. Die unerbittliche Wahrhaftigkeit dieses Mannes, ferner die von Wirklichkeit genährte unbefangene Einbildungskraft Goyas und nicht zuletzt die erstaunliche moralfreie Darstellungsweise des Schelmenromans zwingen uns, die Wurzeln dessen, was wir heute als moderne Sehweise bezeichnen, im Lande der Grandezza und Inquisition zu suchen.

Spanien hat sich oft widerspenstig gezeigt gegen die höhere Gesittung. Die Tat, mit der es sich in die Geschichte einführt, durch die es reift, sich zusammenschließt und ausdehnt, ist die unbeschreiblich greuelvolle und unkluge Vernichtung des hochentwickelten Arabertums, von dem Strahlen bezaubernd bis in die äußersten Winkel des christlichen Mittelalters drangen. Mit der Vertreibung der letzten betriebsamen Moriscos hat Spanien sich selbst die Hände abgeschlagen, den goldenen Boden des Handwerks vernichtet und sich zum klassischen Land unheilbarer, dauernder wirtschaftlicher Nöte gemacht. Die Weltherrschaft hat den geistigen Gesichtskreis des Volkes kaum erweitert. Nur wenige Keime sind aus den beherrschten, damals in der Blüte der Wiedergeburtszeit stehenden östlichen Ländern herübergeweht, dagegen haben die Eroberer die alten Kulturen des Westens nach einmaliger kühner Besitzergreifung im Namen der Mutter Gottes vernichtet. Niederländische, deutsche und wälsche Handwerker und Künstler wurden berufen und haben die Halbinsel geschmückt, aber sie vermochten kein einheimisches, klassisches Zeitalter zu begründen. Und auch in unserer Zeit noch gelten die folgenden Worte, die ich aus Lazarillo de Tormes II, Cap. 7. Cuando los españoles alcanzamos un real etc. (1554) übersetze: »Wenn wir Spanier eines Geldstücks habhaft werden, sind wir Prinzen, und obgleich viel dazu fehlt, läßt es uns unser Dünkel glauben. Fragt irgend ein Herrchen, wer es ist, zum mindesten wird es antworten, es stamme von den Goten, nur sein enges Schicksal halte es im Winkel; es sei nun einmal so in der verrückten Welt, daß die Niederen erhöht, die Hohen erniedrigt werden. Aber, wie dem auch sei, es wird nicht den Arm krümmen, es wird sich nie für weniger als den Allervortrefflichsten halten und lieber Hungers sterben, als ein Amt annehmen; und wenn sich jemand wirklich herbeiläßt, etwas zu lernen, so geschieht es mit so viel Verachtung, und er arbeitet entweder gar nichts oder so schlecht, daß man in ganz Spanien wenig gute Beamte findet. Ich erinnere mich eines Flickschusters in Salamanca, der, wenn man ihm etwas zu flicken brachte, ein Selbstgespräch hielt, in dem er sich über sein Geschick beklagte, das ihn so niedrige Arbeit zu verrichten zwang, da er doch der Sprößling eines so hohen Hauses und so hoher Eltern sei, deren Wert in ganz Spanien anerkannt war. Eines Tages fragte ich einen seiner Nachbarn, wer denn die Eltern dieses Großsprechers waren, und man sagte mir, sein Vater sei Keltertreter und im Winter Schweinemetzger gewesen, seine Mutter aber habe Bäuche gewaschen, was so viel heißen will, als daß sie Magd bei einer Kaldaunenhändlerin war.«

Diese Untüchtigkeit verhindert nicht, ja, sie begünstigt vielleicht diejenigen Taten, die selbstherrliche Kraft und Verwegenheit, Sinn für Glanz und große Gebärde verlangen. Man mag die Stiergefechte beurteilen wie man will, niemand wird leugnen, daß zum Kampf in der Arena eine Gattung von körperlichem Mut gehört, die manchem tüchtigen Offizier in den Heeren des Nordens fehlen mag; und noch mehr gilt dies von dem grauenvollen Tancredi, der sich scheintot stellt und die Untersuchung des Stiers minutenlang ohne zu zucken erträgt, indem er die nur Lebendige angreifende Bestie täuscht. Die Sitte will, daß solchen Helden die Kosten für eine Beerdigung II. Klasse im voraus zugesichert werden. Ich sagte, daß diese Art des Mutes manchem tapferen Offizier bei uns fehlen dürfte, und ich füge hinzu, daß ein heutiges Heer sie gar nicht braucht. Seine Kraft beruht auf andern Eigenschaften, nicht zuletzt auf ausgeglichener Ordnung. In Spanien aber ist nichts ausgeglichen, nichts geordnet, sondern alles gewaltsam, alles Einzelantrieb, wie die Handlungen Don Juans. Und das ist wohl ein Kennzeichen ungesitteter Fühlweise. Der einheitlichste aller Baustile, die Gotik, ist hier zu einem vorweggenommenen Barock geworden, neben der gemessenen Förmlichkeit einer dünnen Oberschicht haben sich bis heute Tänze von so bacchantischer Wildheit erhalten, daß alle Maßstäbe irgend welcher Schönheitslehre in dem hingerissenen Beschauer verschwinden müssen. Ist die Spanierin schön? Ist sie elegant? Hat sie Geist, Geschmack, Verfeinerung? Ich weiß es nicht, aber ihre Gebärden und besonders ihre Flamencotänze reißen hin. Die italiänischen Volkslieder sind musikalischer, süßer, zärtlicher, ja vielleicht sogar leidenschaftlicher, aber die malagenischen und sevillanischen Saëtas, Soleares und Peteneras die stumm bleiben für den, der sie aus den Noten entziffern will, heben, von andalusischen, oft unschönen Lippen gehört, in ein wildes, aufrührerisches Jauchzen hinein, gegen dessen Zauber es keinen Widerstand gibt. Der gebildete heutige Spanier mag von diesen Dingen nichts wissen und begreift den Fremden nicht, der die rohen Vorführungen aufsucht. Sie befriedigen den spanischen durch die Ereignisse des letzten Jahrhunderts stark gedemütigten Nationalstolz nicht mehr. Man wünscht vielmehr anerkannt zu hören, daß Eisenbahnen und Post sich verbessern, daß ein Teil des Landes Fabriken besitzt, daß Madrid eine wahrhafte Großstadt mit Frauen nach Pariser Mode ist und was dergleichen Segnungen mehr sind. Schon Théophile Gautier fand in der Mitte des letzten Jahrhunderts wenig Verständnis in Spanien für seine romantischen Gesichtspunkte der Hernanizeit, und der heutige Spanier lehnt das Kunstwerk deutlich ab, das dem Norden als der Inbegriff andalusischer Glut erscheint: Carmen. Und damit hat er recht. Ich liebe Carmen als Novelle wie als Musik ungemein und begreife die von Wagner erlösten, frohlockenden Nerven Nietzsches, als er in Turin diese Oper wieder und immer wieder hörte. Bizet hat aber nicht Spanien auf die Bühne gebracht, er hat viel mehr getan: Er entdeckte ein ungemein beseligendes Phantasieland, in dessen Bann er uns zu fesseln vermag. Aber Carmen eine Spanierin? Unmöglich. Am ersten noch eine Südslawin. In dem Land der haremartigen Einschließung der Frau wählt und verläßt der Mann, nicht das Weib. Und die, welche sich wirklich über alles hinwegsetzte und selber wählte? Sie würde wie eine Dirne benutzt und dann höhnend als Närrin beiseite geworfen. Don Juan achtet nicht das eigene Begehren der Frau. Er begehrt die, welche ihn am allerwenigsten wählt. Sie gerade wird er erobern. Er will siegen, nichts geschenkt haben. Carmen aber schenkt, und, was fast noch mehr heißen will, sie nimmt wieder; das setzt eine Selbständigkeit der weiblichen Begierde voraus, die hierzuland an den Don Juanwertungen der Männer wohl immer scheitern wird, während in den gemäßigteren Breiten, wo Casanova gedeiht, das verfeinertere Begehren der Männer der seelischen Befreiung der Frau Vorschub leistet.


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