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Andere Gestalten aus der großen Welt

Katharina II. von Rußland

Unsere Zeit hat die festen Maßstäbe und Wertungsmöglichkeiten, wie sie eine überlieferte und unangefochtene Ethik und Religion vermitteln, eingebüßt, dafür aber die Fähigkeit gewonnen, frei von allen Vorurteilen, dem Bedeutenden in allen Zeiten gerecht zu werden. Wir sind nicht mehr einseitig auf die Begriffe der christlichen Tugenden eingeschworen, lehnen diese aber auch nicht mehr einseitig ab vom Standpunkt einer hellenisierenden, oder gar utilitarischen Auffassung. Was wir so an moralischer Sicherheit eingebüßt haben, ist unserer allem gerecht werden wollenden Erkenntnis zugute gekommen. Kein Wunder, daß daher unsere Zeit aus dieser neue ethische Grundlagen zu bauen sucht. Aus allen Zeiten suchen wir heute Dokumente zusammen von denen, die groß, gut oder schön gelebt haben, und nichts fesselt uns mehr, als zu erfahren, was ihnen und warum es gerade ihnen erlaubt war. Wenn die Frage erörtert wird, ob ein Einzelner ehrgeizigen Plänen das Leben von vielen opfern darf, so wird man z. B. auf Friedrich den Großen zurückkommen und fragen: Unter welchen Umständen hat der es getan? Wann ist es erlaubt, eine Überzeugung einem großen Ziele zuliebe zu verleugnen? Heinrich IV. von Frankreich wird uns darüber Aufschluß geben. Indem wir so immer von dem persönlichen, typischen Falle ausgehen, vertiefen wir die Begriffe von Gut und Böse und erfahren immer mehr, daß sie nicht auf Handlungen an sich, losgelöst von Menschen angewendet werden können, sondern auf die Art, wie diese Handlungen jedesmal zustande kommen. Wir stehen heute nicht mehr auf dem Standpunkt jenes Philosophieprofessors, der behauptete, Faust hätte im zweiten Teil Gretchen heiraten und weiter seine Professur ausüben sollen, vielmehr wissen wir, daß Goethe Friederike verlassen mußte, um Goethe zu werden.

Auf keinem Gebiete sind heute unsere Wertungen unsicherer als der Frau gegenüber. Wir leben in einem wahren Chaos von Forderungen. Auf der einen Seite werden die ursprünglichen Tugenden des Weibes herabgesetzt: Häuslichkeit wird verachtet, Keuschheit bespöttelt. Auf der anderen Seite wieder werden sie so übermäßig hoch bewertet, daß man sie absolut setzen will. Die häusliche Tätigkeit der Frau soll nach den einen vom Manne in Bargeld gelohnt werden; von anderen wird die ihr anstehende Keuschheit auch bei dem Manne verlangt, bei dem sie lächerlich wäre. Auf der einen Seite hören wir das Kurtisanentum preisen, auf der anderen wird aus einem neuen Puritanismus verlangt, nur »wahre Liebe« dürfe die Triebfeder einer Hingabe oder Eheschließung sein. Hier wird Keuschheit bis zur Ehe verlangt, dort versucht man, die Ehe überhaupt durch wahllose Vermischung zu vernichten. Diese Verwirrung hängt zusammen mit der vollkommen unsicher gewordenen Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft. Immer mehr weibliche Wesen entfliehen dem Hause, teils durch die Not gezwungen, teils aus verderblicher Neugier. Das Wort von der weiblichen Persönlichkeit schwirrt einem bei jedem ernsteren Gespräch zwischen Mann und Weib um die Ohren. Naturgemäß wendet sich daher unsere Neigung ganz besonders den Dokumenten zu, welche von Frauen herrühren, die von der Geschichte als Persönlichkeiten anerkannt worden sind. Die größte unter ihnen ist zweifellos Katharina II. von Rußland gewesen, von der allgemein bekannt ist, daß sie eine große Herrscherin war und sehr viele Liebhaber gehabt hat. Der politische Flügel der Frauenbewegung sowie der sexuelle pflegen ihre Größe daher gern anzuführen. Hat hier nicht eine Frau bewiesen, daß sie eine große Politikerin war? Wieviel eher – heißt es – kann dann die Frau Abgeordnete, Richterin oder Leiterin eines privaten Betriebes werden! Sind ihre hohen Leistungen etwa durch ihr freies Liebesleben herabgesetzt worden? Keineswegs. Warum soll sich also eine junge Frau, die sich ihrer Persönlichkeit bewußt ist, weiter an die Vorurteile der Spießbürgerlichkeit halten? So schließt man scheinbar sehr überzeugend, aber bei den großen Herrscherinnen – es gab sechs oder acht – handelt es sich um einzelne Frauen, bei der Frauenbewegung um die Gesamtheit des Geschlechts, das seinem natürlichen Beruf entfremdet werden soll.

Bisher war nur ein Teil der Denkwürdigkeiten Katharinas, von Hertzen veröffentlicht, bekannt. Wenige Jahre vor dem Weltkrieg hat die Kaiserlich Russische Akademie der Wissenschaften sämtliche zu den Denkwürdigkeiten gehörigen Handschriften herausgegeben, und Dr. Erich Boehme hat sie, ins Deutsche übersetzt, im Inselverlag in zwei stattlichen, mit schönen Bildnissen geschmückten Bänden herausgegeben und mit einer gut unterrichtenden Vorrede versehen. Wer erfahren will, worin die wirkliche Größe eines Weibes bestehen kann, daß sie nicht das mindeste zu tun hat mit jenem Persönlichkeitsstreben der heutigen Frauen, und unter welchen Formen dem Weibe wirklich vieles erlaubt ist, was in der bürgerlichen Welt unmöglich wäre, der lese diese Denkwürdigkeiten aufmerksam durch.

Katharina, die vor der orthodoxen Taufe Sophie von Anhalt-Zerbst hieß, war eine kleine deutsche Prinzessin, welche die durchschnittliche, enge, deutsche Erziehung mit einem bißchen französischen Firnisses erhalten hatte, wie sie damals in Norddeutschland in fürstlichen Familien üblich war.

Am 9. Februar 1744 kam das 15jährige Fräulein mit seiner Mutter nach Moskau, um dort der Kaiserin Elisabeth und ihrem Neffen, dem künftigen Zaren Peter III., vorgestellt zu werden. Man beabsichtigte, die beiden zu vermählen. Ihre Ausstattung bestand aus 12 Hemden und 3 oder 4 Kleidern. Die Bettwäsche lieh sie sich von ihrer Mutter. Ihr künftiger Gatte, der ein oder zwei Jahre älter war als sie, machte ihr zuerst keinen üblen Eindruck, er war ein hübscher Junge und sehr kindlich. Erst später zeigte sich, daß diese Kindlichkeit krankhafter Infantilismus war. Die Qualen, die das schmale, viel an Kopfschmerz leidende junge Fräulein später als Großfürstin an dem Hofe auszustehen hatte, schienen unerträglich. Die drei Quellen, aus denen ihr am meisten Ärger und Kummer, Demütigungen und Gefahr entsprangen, waren die eigene Mutter, die bis zu ihrer Vermählung in Rußland blieb, ihr Gatte, der Großfürst Peter, und seine Tante, die regierende Kaiserin Elisabeth. Alle drei waren nicht ihre ausgesprochenen Gegner, sondern durch die Unberechenbarkeit ihrer Charaktere und die Unklarheit von Katharinas Stellung gefährlich. Die Mutter quälte sie, wie kleinliche, eifersüchtige Weiber überlegene Töchter allerorts zu quälen wissen. Einerseits stolz auf sie, andererseits begierig, von der Laufbahn der Tochter Nutzen zu ziehen, ist sie neidisch auf Geschenke, die man dem Kinde macht, und sucht sie auf alle Art zu verkleinern und zu demütigen, so daß ihr der schwedische Graf Gyllenburg die Augen über die Gaben der Tochter öffnen muß. Er bringt Ordnung in die planlose Lektüre der 15jährigen, und von ihm ermutigt, entwirft sie das »Selbstporträt der 15jährigen Philosophin,« das er mit ermutigenden Anmerkungen versieht. Der Großfürst Peter war seit seinem zehnten Jahre dem Trunk ergeben, dumm und jähzornig; er verbrachte noch als Erwachsener seine Tage damit, auf der Bettdecke mit Puppen und Bleisoldaten zu spielen, wobei ihm seine Frau oft helfen mußte, ferner seine Diener nach preußischer Regel (er war selbst Holsteiner) von früh bis spät in seinen Gemächern exerzieren zu lassen und die Damen der Großfürstin unter deren Augen zu seinen Geliebten zu machen. Die Kaiserin selbst war klug genug, um Katharinas Gaben und Peters Erbärmlichkeit zu erkennen, ja, sie hatte genug Herz, um bisweilen über deren Lage gerührt zu sein. Aber ihre Beeinflußbarkeit durch Zwischenträgereien, ihre Hartnäckigkeit und Eitelkeit machte sie zu der Ursache der meisten und bittersten Tränen, welche die Großfürstin in den 19 Jahren, bis sie den Thron bestieg, vergoß. Aber bei allen diesen Leiden hält sie eines aufrecht: Die Aussicht auf die Krone, die ihren glänzenden Gaben die Möglichkeit zu einer unerhörten Entfaltung bieten wird. Während ihr Gemahl alles Russische haßt, nur unwillig den orthodoxen Glauben annimmt, stets den Herzog von Holstein herauskehrt, was ihn nicht hindert, jenes Land verkommen zu lassen, und wo er nur kann, das russische Nationalempfinden beleidigt, studiert Katharina mit Eifer Geist und Sprache ihres künftigen Landes, erfüllt die Bräuche der Religion, ohne sich dabei ihre geistige Unabhängigkeit im Stile des 18. Jahrhunderts rauben zu lassen, und erträgt das furchtbare Mißtrauen der Kaiserin, die alle Menschen, die Katharina teuer werden, entfernt oder verbannt. Hier ist kein unbeherrschtes Aufbegehren, kein grundsätzliches Kämpfen um Rechte, sondern die zielbewußte Ausdauer einer wirklich selbstbewußten Persönlichkeit, die ebensosehr über die zähe, leidende Kraft des Duldens verfügt wie über die tätige des Handelns; wie nach einem Naturgesetz schafft sich diese Persönlichkeit Geltung.

Der schwedische Dragoner Romberg gibt dem Großfürst Lehren, wie man Frauen behandeln müsse, die seinige wage vor ihm kaum zu atmen, geschweige denn, sich in seine Angelegenheiten zu mischen. In Wahrheit gestaltete sich Peters Ehe so, daß er in all seinen großen und kleinen Nöten zu Katharina kam, die er Madame Ressource nannte. Er übergibt ihr aus Faulheit zunächst die Erledigung der schauderhaft vernachlässigten holsteinischen Staatsgeschäfte. Er versteht nicht, wie sie es mit den Leuten anfängt, er selbst schelte sie und könne sie nicht zum Gehorsam bringen, während seine Frau von ihnen alles mit einem Wort erlangt. Besonders gern unterhielt er sie mit der Erzählung seiner kindischen Liebesgeschichten: »So versuchte ich denn, meine eigene Liebe zu bezwingen und nicht auf einen solchen Mann eifersüchtig zu sein, aber dafür gab es nur ein Mittel; ihn nicht zu lieben.«

Acht Tage nach dem Tode ihres Vaters läßt ihr die Kaiserin verbieten, ihn weiter zu betrauern, es schicke sich nicht für eine Großfürstin, länger um einen Vater zu weinen, der kein regierender König gewesen sei. Als das Haus, in welchem sie wohnt, einstürzte, »mißfiel« der Kaiserin ihr Schrecken, und sie wird deshalb gescholten. Ihr einziger Trost in dieser Zeit ist ihre ausgedehnte Lektüre und das Reiten, worin sie eine Meisterin wird. Rührend klingt zwischen der Beschreibung ihrer Leiden das jugendliche Bekenntnis: »Damals liebte ich den Tanz über alles und wechselte bei den öffentlichen Bällen gewöhnlich dreimal meine Toilette. Meine Kleidung war stets sehr gewählt, und wenn mein Maskenkostüm allgemeinen Beifall fand, so erschien ich gerade deshalb nie wieder darin, weil ich mir sagte, daß ein Anzug, wenn er einmal großen Effekt gemacht, zum zweiten Male nur einen geringen erzielen werde.« Einmal, als sie fürchten muß, die allgemeine Kostbarkeit der Toiletten nicht zu übertreffen, fällt es ihr ein, in anmutiger Koketterie durch Einfachheit zu siegen, in einem weißen Mieder und kurzem Reifrock, nur durch ihre »damals sehr schlanke Taille« und ihr offenes langes Haar zu wirken, das eine Rose und eine weiße Schleife schmückte.

»In meinem ganzen Leben erinnere ich mich nicht, mehr Schmeicheleien gehört zu haben … wenn ich indes die Wahrheit sagen soll, so habe ich mich selbst nie für schön gehalten; aber ich gefiel, und darin lag, glaube ich, meine Stärke.«

Nach Katharinas neunjähriger kinderloser Ehe konnte sich die Kaiserin der Einsicht nicht länger verschließen: nicht die Großfürstin, sondern der zeugungsunfähige Peter war die Ursache, daß die Dynastie sich nicht fortpflanzte. So wurde Katharinas Neigung zu Sergei Soltykow unterstützt. Eine sonderbare Botschaft der Kaiserin ermutigte sie, ihn zu erhören. Während dieser Beziehungen kam ihr Sohn Paul zur Welt, der nach ihrem Tod den Zarenthron bestieg. Das Kind wird ihr sofort genommen und in den Gemächern der Kaiserin aufs unsinnigste verweichlicht. Katharina, die dieses Kind ebenso selten wie das folgende zu sehen bekommt, wird nach den Entbindungen fast ohne Pflege in schlechten Räumen allein gelassen. Für die Lieferung des Thronfolgers läßt ihr die Kaiserin 100 000 Rubel zahlen, die sie aber dem Kaiserlichen Schatzmeister sofort wieder leihen muß, weil der Großfürst, neidisch auf diese Summe, ebenfalls eine Zahlung verlangt. Soltykow wird zu diplomatischen Botschaften verwandt, nachdem das, was man von ihm erwartet, eingetreten ist, und die Großfürstin ist wieder allein.

Diese Ereignisse, welche Katharina zur Frau gemacht haben, bringen ihren Charakter zur Reife. Ihre Menschenkenntnis und Gewandtheit, ihre Kühnheit wachsen. Sie tritt nun aus der Rolle der stillen und duldenden Beobachterin heraus und verhehlt ihrer Umgebung nicht länger, daß sie ihre Schlechtigkeit und Dummheit durchschaut. Ihre kräftigste Waffe ist der sarkastische Witz. Man beginnt, ihr Stolz vorzuwerfen und ihren Geist zu beneiden. Der Großfürst fällt immer mehr den Einflüsterungen seiner niedrigen holsteinischen Ratgeber zum Opfer und verwickelt seinen armen, stumpfen Geist in ein Märchen von Katharinas angeblicher Herrschsucht und Schlechtigkeit, nachdem diese einmal verhindern wollte, in Holstein einen Unschuldigen ohne Ankläger zu verhaften. Während des Liebesverhältnisses mit Poniatowsky, den sie später zum König von Polen machte, drückte der Großfürst ein Auge zu, ja, er lud das Paar zuweilen in seine Gemächer ein, wo er mit ihnen und seiner Mätresse Elisabeth Woronzow speiste. Gegen das Ende von Elisabeths Regierung wird die Trennung zwischen den beiden Gatten vollkommen, der Großfürst hegte die Absicht, bei seinem Regierungsantritt Katharina ins Kloster zu schicken und die Woronzow zu heiraten. Katharina wird sich inzwischen über ihre Pläne und ihren Weg immer klarer und beschließt, nicht mit ihrem Gatten oder durch ihn zugrunde zu gehen, sondern ihre Interessen beim Volk zu wahren, »so daß man eintretendenfalls auf mich als die Retterin der öffentlichen Angelegenheiten blicken konnte.« Die Mißhandlungen vermehren sich in dieser Zeit so sehr, daß die Großfürstin, fast gebrochen, einen äußerst kühnen Entschluß faßt, indem sie halb aufrichtig, halb diplomatisch die Kaiserin um die Erlaubnis bittet, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen; nur nach Ruhe verlange sie, und sie sei es müde, länger die bedauernswerten Leute ihrer Umgebung ins Unglück zu stürzen, von denen so viele verbannt worden sind, einzig und allein, weil sie ihnen wohlwollte oder Gutes tat. An dieser Stelle erreichen die Denkwürdigkeiten ihren Höhepunkt in einer großartigen Generalbeichte und Selbstzergliederung: »Ich betrachte meine Rücksendung oder Nichtrücksendung mit sehr philosophischem Auge, denn in keiner Lage wäre ich ohne die Hilfsquellen gewesen, die Geist und Talent jedem nach seinen natürlichen Fähigkeiten gewähren. Ich fühlte den Mut in mir, zu steigen oder zu fallen, ohne daß mein Herz und meine Seele durch Erhebung in Prahlerei oder durch das Gegenteil in Erniedrigung und Demütigung gesunken sein würden. Ich wußte, daß ich ein Mensch war und deshalb ein beschränktes und der Vollkommenheit unfähiges Wesen, aber meine Absichten waren stets rein und aufrichtig.«

Nur ein halbes Jahr herrschte Peter III. Seine Mißwirtschaft und sein würdeloses, unkönigliches Verhalten gefährdeten Land und Thron. Da gab Katharina den Ratschlägen ihrer mächtigen Freunde Gehör und, auf einige Regimenter gestützt, setzte sie Peter in Oranienbaum ab und ließ sich selbst in der Kasanschen Kathedrale zur Selbstherrscherin ausrufen. Die Hauptwerkzeuge dieses Staatsstreiches waren die ihr völlig ergebenen Brüder Orloff, von denen einer – wie es scheint, ohne ihr Wissen – den in Ropschal gefangengesetzten Zar vergiften ließ.

Die Denkwürdigkeiten enthalten nichts über Katharinas für Rußland so segensreiche Regierung. Hierfür sind ihre Briefe vortreffliche Belege, von denen einige beigegeben sind. Persönlich am wertvollsten ist wohl ein Brief an Potemkin, der wohl ihre größte und aufrichtigste Liebe gewesen ist. Sie legt darin eine Generalbeichte ab über ihre Vergangenheit, und es ist reizend, zu sehen, wie die ursprünglich-echte Weiblichkeit dieser großen Frau sich hier mit einer gewissen Verschämtheit zu rechtfertigen sucht. »Nun, mein Held, kann ich nach dieser Beichte hoffen, Vergebung meiner Sünden zu erhalten? Du geruhst zu sehen, daß es nicht 15 sind, sondern nur der dritte Teil. Den ersten (Peter III.), der wider Willen, und den vierten, der aus Verzweiflung genommen ward, kann man ganz und gar nicht dem Leichtsinn auf Rechnung stellen. Über die drei anderen denke nur richtig. Gott sieht, daß ich sie nicht aus Liederlichkeit nahm, zu der ich gar keinen Hang habe. Wenn mir das Geschick in jungen Jahren einen Mann gegeben hätte, den ich hätte lieben können, so wäre ich ihm ewig treu geblieben. Das Schlimme ist, daß mein Herz auch nicht eine Stunde gern ohne Liebe sein möchte.«

Der bei Lutz in Stuttgart erschienenen gekürzten Ausgabe der Denkwürdigkeiten folgen Aufzeichnungen der Fürstin Daschkow, die für sich das Verdienst beansprucht, neunzehnjährig, die Triebfeder des Staatsstreichs gewesen zu sein, der Peter entfernte und Katharina zur Alleinherrscherin machte. Das ist eine hinreißende Lektüre, aber leider straft der (auch übersetzte) Bericht Katharinas an Poniatowsky die Fürstin Lügen und bezeichnet sie mehr als lästige Mitwisserin. Peter III. starb Katharina zu gelegen, als daß sie ganz von dem Verdacht frei sein könnte, um seine Beseitigung gewußt zu haben, wenngleich von ihrer Umsicht zu vermuten gewesen wäre, daß sie damit noch etwas gewartet hätte. Gleichviel, sie ist nun frei, und wir haben bereits daran erinnert, zu welchen Leistungen sie ihre Freiheit benutzte.

Enge Moralisten werfen ihr Günstlingswirtschaft vor, aber dem unbefangenen Psychologen zeigt sich gerade in der Art, wie sie mit ihren Liebhabern verfuhr, die ihr Geschlecht überragende Größe dieser Frau. Ihre erotische Ökonomik – wenn man dies Wort zulassen will – ist die eines überlegenen Mannes, der, mitten in ungeheuren geistigen Aufgaben plötzlich die Beruhigung seiner Sinne verlangt und zu dem nächsten Gegenstand greift, der dazu tauglich erscheint. Daneben bestehen tiefe Neigungen der Leidenschaft und des Gefühls. So muß man unter Katharinas Liebhabern die »ausgehaltenen Dirnen,« wie einer sich selbst nannte, von denen unterscheiden, die ihr gegenüber Männer bleiben und ihren Willen bewahren. Zu diesen gehört der brutale Riese Orloff, der Leiter des Staatsstreichs; nur mit Gewalt vermag sie sich später seiner zu entledigen; alle aber überragt Potemkin, der Held des Türkenkriegs, der immer das Väterchen (Batuschka), das Täubchen (Goluptschik), der Goldfasan bleibt, auch als sie es für geeignet hält, ihn als Vizekaiser in den zu beruhigenden und zu besiedelnden Süden zu senden. Nachdem er dort wie ein orientalischer Alleinherrscher mit einem Harem von 200 Frauen und einem Hofstaat von Tänzern, deutschen Musikern und Zigeunern geherrscht hat, erscheint er 1790 nochmals und blendet die Kaiserin von neuem.

Plötzlich aber, als er durch seinen ungeheuren Prunk die Hauptstadt beunruhigt, verschwindet er wieder auf einen Wink der Zarin in sein südliches Reich, wo er im selben Jahre stirbt, von Katharina lange Zeit aufrichtig beweint.

Diese Kaiserin war eine Individualität, die nichts von Individualismus wußte, ein freier Geist, der nicht nach Emanzipation verlangte, ein glühendes Herz, das die Konventionen ertrug, ein aufrichtiger Charakter, der sich Unwürdigen und Feinden zu verschließen vermochte, ein Temperament, das die Sinne beherrschte, ohne sie darben zu lassen, kurz, ein Weib von Größe und Genialität.

Der Geschichtsforscher beklagt, daß die Aufzeichnungen in dem Augenblick abbrechen, wo ihre Schreiberin endlich aus ihrem ohnmächtigen Leiden heraustritt. Es wäre in der Tat äußerst wertvoll, die Enttäuschungen miterleben zu können, die dieser westländische, auf Beccaria und Montesquieu gestützte Geist, dieses von Gerechtigkeit und Menschlichkeit glühende Herz, dieses mit aller Anmut seines Jahrhunderts geschmückte, liebenswürdige Weib in dem Schoße des Mütterchens Altrußland erlebt; wie sie zu der Abfassung eines zeitgemäßen Gesetzbuches aus dem von ihr beherrschten, analphabetischen Völkergemisch ein schnell scheiterndes Parlament beruft; wie sie durch den Prozeß der Daria Soltykow einen Blick in die Tiefen tut, wo die Leibeigenen hungernd und mißhandelt verblöden und verfaulen; wie ihr die Pest in Moskau den fanatischen Aberglauben des Volkes enthüllt, das den Erzbischof Ambrosius niedermacht, weil er ein wundertätiges Muttergottesbild entfernt, das, von einer unsinnigen Menge umdrängt, ein Herd der Ansteckung wird; wie ihr der Kosakenaufstand unter dem Abenteurer Pugatschew die mangelnde politische Festigkeit ihres Reiches zeigt. Nur spärlich, zum Beispiel aus den Briefen an Voltaire, sind wir davon unterrichtet, wie diese harten Erfahrungen im Augenblick auf die Kaiserin wirkten; aber der Seelenforscher kann den Abbruch der Denkwürdigkeiten nicht so sehr bedauern wie der Geschichtsschreiber, denn für jenen ist der mitgeteilte Lebensabschnitt wichtiger als der geschichtlich bedeutsamere der Wirksamkeit Katharinas.

Die Freundin und Wohltäterin Diderots, die witzige Korrespondentin Voltaires, die eifrig mit allen Geistigen ihrer Zeit Beziehungen unterhielt, war selbst, ohne jeden Anspruch, eine fruchtbare Gelegenheitsschriftstellerin, ja Dramatikerin, wobei sie sich von ihrem großen Nebenbuhler in Sanssouci dadurch unterschied, daß sie die einheimischen Kräfte ermutigte. Mögen ihre Arbeiten auch nicht über den anmutigen Dilettantismus der Zeit emporragen, ein unvergängliches Werk bleiben die Denkwürdigkeiten. Dieses Buch ist ein Leuchtturm, nach dem sich die heute in ihrem Machtstreben so verwirrte weibliche Seele richten kann, denn es zeigt das leise Werden einer Frau, welche die höchsten Möglichkeiten ihres Geschlechtes erfüllt hat.

Nachdem ich den Leser für diese Entwickelung zu gewinnen gesucht, will ich ihn doch auch an das Ziel, die Leistung Katharinas, erinnern. Mit einer heiteren Unerschrockenheit errichtet sie ihre Pfahlbauten über dem Sumpf des alten heiligen Rußland: sie gibt ihm ein Gesetzbuch, eine Verwaltung, Bildungsanstalten (darunter eine russische Akademie nach Muster der französischen), eine öffentliche Gesundheitspflege. Sie säkularisiert die Kirchengüter und gewährt und verlangt Toleranz unter den verschiedenen Religionen. Sie kolonisiert den ungeheuren Süden durch Städtegründungen, die dortige Bevölkerung steigt von 200 000 Seelen auf 800 000. Sie schließt Handelsverträge mit Frankreich, England und knüpft kaufmännische Beziehungen mit Persien und China an. Ihre großen politischen Taten sind: die mit Friedrich dem Großen und Josef II. bewirkte Teilung Polens, das heißt die Beseitigung eines damals ebenso unmöglichen wie heute notwendigen Staates, der bei jedem Thronwechsel ganz Europa vor einem Erbfolgekrieg erzittern ließ. Ihr anderer Ruhm ist die Besiegung des Sultans Mustafa. Bewundernswert ist die Mäßigung, mit der sie den gefährlichen Traum hegte, am Bosporus das griechische Kaisertum zu erneuern, und wie sie nach der Eroberung des nördlichen Pontus, Georgiens, Rumäniens und Griechenlands nahe vorm Ziel stand, hätten nicht Preußen und Österreich, von solchen Erfolgen beunruhigt, sie um den größten Teil der Beute gebracht. Später bemächtigt sie sich trotz Frankreichs Gegenwillen der Krim, und der Gesandte Ludwigs XVI., Ségur, kehrt mit den Worten nach Hause zurück, die Führung Europas sei von Frankreich auf Katharina übergegangen.


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