Maximilian Schmidt
Maria Pettenpeck
Maximilian Schmidt

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V.

Ueber das Vorkommnis bildeten sich, wie das gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten der Fall, die verschiedensten Deutungen. Die entfernter Stehenden glaubten, das Mädchen sei durch den Anblick des vielen Volkes beklommen geworden, Näherstehende aber, welche des Herzogs in der Aufregung herausgestoßene Worte vernommen und gesehen, wie zärtlich er die Jungfrau angeblickt und an sich gedrückt, urteilten sofort in einer für die Pettenpeckin nicht günstigen Weise. Der Umstand, daß das Fräulein vom Lande in so auffallender Weise bevorzugt worden und zur Sprecherin erwählt war, noch mehr die allseitige Bewunderung ihrer Schönheit hatten ihr ohnedem schon viel Neid und Mißgunst zugezogen und Töchter wie Mütter eifersüchtig gemacht. Es war natürlich, daß nunmehr viele bereit waren, einen Stein auf sie zu werfen. Zu ihnen gesellten sich auch die abgewiesenen Freier und sonstige eifersüchtige Anbeter Mariens. Sie zuckten die Achseln und meinten in ihrer Selbstschätzung: »Ah so – ein Höherer ist uns zuvorgekommen! Wie man sich doch täuschen kann!«

Ferdinands stolze Mutter und Herzog Wilhelm waren jedoch geradezu empört über diesen Vorfall und mußten 245 alle Energie zusammennehmen, die Zeremonie würdig und ruhig vollenden zu können.

Niemand aber war froher als Herzog Ferdinand selbst, als er sich trennen und mit Ehreneskorte unter lustigen Fanfaren in seine Behausung am Rindermarkt zurück geleitet werden konnte, während sich Herzog Wilhelm mit seiner Gemahlin unter gleicher Ehrung zur Wilhelmsburg begab.

Maria hatte sich inzwischen, auf einem Ruhebette liegend, unter der sorgsamen Pflege des herzoglichen Leibarztes und ihrer Muhme wieder erholt. Als sie aus einer kleinen Ohnmacht erwacht, die Augen aufschlug, sah sie den Vater neben sich sitzen, der sie, die Hände gefaltet, besorgten Blickes betrachtete.

»Uebermorgen!« lispelte sie. »Ja, ja, übermorgen!« Und dann die Hände vors Gesicht schlagend, fragte sie. »Ach, Vater, du zürnest mir wohl?«

»Wie sollt ich dir zürnen, mein unschuldsvoller Engel?« sagte der Vater sanft. »Aber wenn ich ihn, ah, ihn treffen könnte,« fuhr er erregt fort, »Mann gegen Mann, Aug in Auge –«

»Ach, was wollen wir Armen gegen den Mächtigen?« sprach Paulana seufzend.

»Ah, was das betrifft,« rief der Pfleger, die Fäuste ballend, »Verzweiflung hat schon oft die Macht besiegt.«

»Verzweiflung bleibe ferne von uns,« sagte Maria; »sie lindert nichts und macht nichts gut; sie zieht Freund und Feind mit in den Abgrund.«

246 »Nur zu! Hinab mit ihm!« rief der Pfleger wütend aus.

»Mein guter Bruder,« bat Paulana, »sprich nicht so erzürnt und drohend!«

»Ich soll mich wohl noch gehorsamst bedanken, daß er mein Kind unglücklich gemacht? Daß er zum Zeitvertreib ein Herz gebrochen?« rief der Pfleger mit steigender Heftigkeit.

»Vater, lieber Vater, du siehst ja, ich bin ruhig. Nur die Macht des ersten Augenblicks schlug mich zu Boden. Laß uns nur nach Hause eilen – fort – nur fort von hier!«

»Fort von hier!« lachte der Pfleger wild auf. »Des Herzogs Befehl lautet: hier bleiben! Und ich muß gestehen, mich gelüstet es, diesem vielgepriesenen Heldenherzog zu begegnen, der sich verkappt in seiner Diener Häuser schleicht, um ihre Töchter zu bethören.«

»Bin ich der, den Ihr meint?« rief der unvermutet in das Gemach getretene Herzog, welchem die letzten Worte Pettenpecks nicht entgangen waren.

Paulana stieß einen Ruf der Ueberraschung aus; Maria verhüllte ihr Gesicht und weinte, aber der Alte erhob sich, faßte den Herzog scharf ins Auge und erwiderte ein kurzes: »Ja!«

»Wohlan,« entgegnete Ferdinand, »hier bin ich und will Euch hören, ehvor ich selber spreche. Was habt Ihr mir zu sagen?«

»Bruder, mäßige dich!« beschwor Paulana den Pfleger.

»Herr, es giebt kein Wort, um dieses Mädchens 247 Frömmigkeit und Tugend zu bezeichnen, keinen Ausdruck, um ihres Vaters Liebe Euch zu schildern, aber auch keinen, Euch die Größe Eurer Unthat darzustellen.«

»Pfleger, mäßiget Euch!« fiel Ferdinand ein.

»Herr, droht nicht! Es steht ein alter Mann vor Euch, der Mark und Blut noch in den Knochen hat, den jeglich Unrecht leicht in Zorn entflammt, ein alter Mann, der Vater ist von diesem Jammerbild, das Euer Uebermut in Staub getreten.«

»Wer darf das sagen?« rief der Herzog.

»Ob ich's sagen darf, drum werd ich mich nicht kümmern. Wer mir nach der Ehre greift, der greift mir nach dem Leben. Wer kann mir's wehren, wenn ich ihm nach dem seinen trachte?« Bei diesen Worten griff er wütend nach der Waffe in seiner Brusttasche, aber die beiden Frauen fielen ihm zugleich in den Arm.

»Um des Himmelswillen, Vater!« schrie Maria, sich an seine Brust stürzend.

»Ich bin unbewehrt!« sagte Ferdinand ruhig.

»Ich bin kein Bandit,« rief Pettenpeck, den Dolch von sich schleudernd. »Aber bei allen Heiligen, kommt mir nicht bewaffnet entgegen! Ich könnte leicht durch kühnen Vorwurf und verzweifelndes Schmähen Euch in Versuchung führen, der Ehre der Tochter des Vaters Leben nachzuwerfen!«

»Ihr irrt Euch sehr,« entgegnete der Herzog. »Nie werde ich vergessen, daß Ihr Marias Vater seid.«

»Danke!« versetzte der Pfleger knirschend.

»Nun vergönnt mir, mich vor Euch zu rechtfertigen, wackerer Pettenpeck, und vor dir, teure Maria, wenn mich 248 dein Herz nicht schon entschuldigt hat. Vergiß nicht, daß du mir unbedingt Vertrauen gelobt hast bis zum Tode!«

»Sollt ich, nachdem ich Euch nun kenne, noch an unserer Liebe Wahrheit glauben? Was könnte da noch geschehen!«

»Was geschehen soll, geschieht. Du bist gegen meine Bitte und gegen dein Versprechen nach München gekommen. Das Ereignis, worüber dein Vater sich beklagt, und das dich so tief betrübt, habe ich vorausgesehen; es wäre zu vermeiden gewesen. Morgen wäre ich als Herzog nach Haag gekommen. Du hast die Reife des Planes beschleunigt, den ich längst schon in mir genährt. Deine Ehre soll klar wie die Sonne leuchten vor aller Welt.« Und Marias Hand erfassend, fuhr er feierlich fort: »Ich habe es vor dem Bildnisse der heiligen Jungfrau Maria zu Tuntenhausen, ich habe es dir gelobt, daß du meine eheliche Hausfrau werden sollst. Den Schwur erhieltest du vom Jäger Ferdinand, doch ich komme, ihn als Herzog einzulösen. Maria, du wirst mein rechtmäßig Weib, so wahr Gott im Himmel lebt! Keine Macht der Welt soll das verhindern.«

»Mein Ferdinand, Vergebung!« rief Maria, alles vergessend, sich an die Brust des Geliebten stürzend.

»Ja, ja,« erwiderte Ferdinand mit sanfter Wehmut, »Vergebung müßt Ihr freilich von mir erbitten, Ihr, die Ihr so hart den Unschuldigen verdammt.«

»Herr,« sagte Pettenpeck milder gestimmt, »ich seh es freilich, daß Ihr weniger schuldig, als ich gedacht, doch schuldlos seid Ihr nicht. Ihr habt das Mädchen öffentlich mit kosenden Namen an Euer Herz gedrückt. Was soll nun aus dem armen Kinde werden?«

249 »Ich sagt es Euch ja schon. Eine Herzogin von Bayern, denke ich,« rief Ferdinand.

»Mein Fürst, da denkt Ihr rechtlich, wie ein Bürgersmann. Doch seid Ihr Fürsten weit seltener Eurer Wünsche Herr, als der freie Bürger. Ihr mögt ja daran denken, Maria heimzuführen, als Euer ehelich Gemahl. Aber Euer Herr und Bruder, Herzog Wilhelm, denkt nicht so, und Eure gestrenge Frau Mutter, die Erzherzogin, am allerwenigsten aber der alte Pettenpeck und seine Tochter. Nur gleich und gleich gesellt sich gut.«

»Und wie sprichst du, Maria?« fragte der Herzog. »Könntest du der Liebe Schwur brechen?«

»Ich gelobte Liebe, ewige Liebe dem Jäger Ferdinand,« versetzte Maria.

»Täusche dich nicht!« erwiderte der Herzog. »Dem leeren Namen hast du nichts gelobt, nur der ihn trug, war deines Schwures Empfänger. Und die Heiligen dort oben riefst du zu Zeugen an.«

»Gott steh mir bei, was soll ich thun?« fragte Maria den Vater.

Der Herzog wandte sich zu Pettenpeck.

»Ich seh', Ihr zürnt nicht mehr. Marias Liebe mußt ich arm an Glück und an Verdienst gewinnen, um meinem Selbst sie zu verdanken. Ihre Hand aber konnt ich durch Thaten erringen. Sie sind gethan, und keinen andern Lohn als sie verlange ich von meinem Herrn und Bruder. Ernster Wille bahnt sich seinen Weg durch Felsen.«

»Doch Fürstenpflicht muß fester noch als Felsen stehen,« fiel Pettenpeck ein.

»Weg mit Worten, wo die That muß sprechen!« rief 250 der Herzog. »Eines einzigen Wortes nur bedarf es von dir, Maria. Willst du der Liebe Schwur noch halten?«

»Die arme Magd und Bayerns Herzog!« antwortete Maria. »Da mir nun wieder die Ueberzeugung Eures Wertes bleibt, wird mir das Herz nicht brechen, wenn ich auch meine Liebe opfern muß.«

»Das sollst du nicht! Schmücken will ich dein Leben mit allen Erdenfreuden, ich will lieber untergehen, als deinen heiteren Himmel trüben. Hier schwör' ich es zu deinen Füßen!«

Er hatte sich auf ein Knie niedergelassen, und blickte bittend zu Maria auf.

»Durchlauchtigster Herr – bedenkt «, sprach diese verwirrt.

»Daß jemand kommen könnte?« vollendete Ferdinand. »Das soll mich nicht erschrecken. In diesem Augenblick vernimmt mein Bruder Wilhelm die Geschichte unserer Liebe. Und morgen soll ganz Bayern sie erfahren,« setzte er aufstehend hinzu. »Willst du deinem Ferdinand deine Hand geben?«

Maria schaute den Vater fragend an:

»Darf ich?«

Paulana flehte mit bittendem Blick, daß er eine bejahende Antwort gebe. Endlich sagte er:

»Herr Gott, ich weiß nicht, ob ich recht thue, doch ich kann nicht anders. Gieb ihm die Hand in Gottesnamen!«

»Mein!« rief Ferdinand, indem er Marie an seine Brust zog.

»Dein auf ewig!« erwiderte das Mädchen jubelnd.

251 »Ich eile, dir mein Wort zu erfüllen!« Er reichte dem Pfleger und Paulana die Hand, dann stürzte er zur Thüre hinaus.

Nun herrschte wieder helle Freude bei den Frauen, doch der alte Pettenpeck schüttelte bedenklich den Kopf und sagte: »Mäßigt Eure Freude! Ein Heer von Bitterkeiten droht dieser Liebe. Gott geb die Kraft, sie recht zu überdauern!« 252


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