Maximilian Schmidt
Maria Pettenpeck
Maximilian Schmidt

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I.

Fünf Meilen östlich von München, im Operationsfelde der Schlacht von Hohenlinden, liegt auf einem das oberbayerische Hochplateau gegen die Innniederung abschließenden Hügel der freundliche Marktflecken Haag mit dem teils noch gut erhaltenen, teils verfallenen, einstmals wohlbefestigten, mit Wall und Graben umgebenen Schlosse. Ein gewaltiger, viereckiger ehemaliger Römerturm mit hohem Spitzdache, geziert mit kleinen Türmchen an den vier oberen Ecken und vorne bemalt mit einem roten, feurigen Rosse, dem Wappen der ersten Besitzer dieser Burg und Grafschaft, ragt weit hinaus in die Landschaft, welche dem Beschauer eine bunte Abwechslung von Wäldern und Wiesen, Ortschaften und Flüssen darbietet und am südöstlichen Horizonte von einem riesigen Kranze der Salzburger, Tiroler und bayerischen Alpen eingesäumt wird. Jetzt bewundert man diese Rundschau gewöhnlich vom früheren Schloßgarten aus, der im Sommer als 206 Schenkplatz der Brauerei verwendet wird, und wem die Gunst zu teil geworden, bei einem schönen Sonnenuntergang sich dort an den Wundern der Natur entzücken zu können, der wird die hehre Stimmung und den feierlichen Eindruck, die sich seiner Seele bemächtigen, nicht so leicht vergessen.

Und wer just in der Geschichte des bayerischen Fürstenhauses nicht ganz unerfahren, dem taucht vor seinem Geiste unwillkürlich jene herrliche Frauengestalt auf, welche eben von dieser Stelle wohl oftmals sehnsuchtsvoll hinausgeschaut in die sie umgebende Herrlichkeit, nämlich Maria Pettenpeck, die tugendhafte, mit allen Reizen einer jungfräulichen Schönheit reich ausgestattete Tochter des herzoglichen Schloßpflegers Georg Pettenpeck zu Haag, deren Lebensschicksal die nachfolgenden Blätter gewidmet sind.

Nachdem 1566 die Hauptlinie der früheren Grafen von Haag mit Ladislaus ausgestorben war, fand sich Herzog Albrecht V. von Bayern, dem an dem Besitze von Haag viel gelegen war, mit einigen auf die Herrschaft prätendierenden Grafen durch eine Summe Geldes ab, und brachte so Haag mit allen dazu gehörigen Gründen und Gerechtsamen samt der Herrschaft Hohen-Schöngau an sich. Ein Jahr später wurde der herzogliche Ratschreiber in München, Georg Pettenpeck, vom Herzog Albrecht zum Pfleger, Kastner und Landhauptmann von Haag ernannt; der Herzog hielt ihn wegen seiner Rechtlichkeit und Treue hoch in Ehren. Es waren das Eigenschaften, welche in jener Zeit zu den Seltenheiten gehörten. Pettenpeck war weder von einem adeligen, noch von einem Patriziergeschlecht, sondern bürgerlicher Abkunft und ist demnach seine Wahl nur auf dessen persönliche rühmliche 207 Eigenschaften zurückzuführen. Er entsprach durch treuen Diensteifer den Erwartungen seines Fürsten und genoß bald durch seinen redlichen und frommen Sinn auch die Achtung aller seiner Unterthanen. Dabei war er besonders mildthätig gegen die Armen und Kranken. Zu Ende der Sechziger Jahre gebar ihm seine Frau Felicitas eine Tochter, welche Mariam oder Maria getauft wurde. Dieser folgten im Zeitraume von sechs Jahren ein Sohn und nach zehn Jahren noch ein Mädchen.

Maria genoß eine sehr sorgfältige Erziehung, wie solche keinem Edelfräulein hätte besser zu teil werden können. Aber nicht nur in geistiger Beziehung machte sie große Fortschritte, auch ihr Gemüt ward mit den Jahren immer mehr empfänglich für alles Hohe, Schöne und Gute. Dazu gesellten sich die glücklichsten äußeren Vorzüge. Zur Jungfrau aufgeblüht, erfreute sie sich einer königlichen Gestalt und seltener Schönheit. In üppiger Fülle flossen ihre braunen Haare über den Nacken hinab, die von dunklen Lidern geschützten Augen leuchteten groß und dunkel, und blickten voll kindlicher Unschuld in die Welt hinein, die trotz all der Wirren und Gegensätze, welche damals die Reformation mit sich brachte, für Maria ein Paradies war, zu dem sie es sich in der Reinheit ihres Herzens selber schuf.

Pettenpecks Schwester, Muhme Paulana, lebte seit mehreren Jahren bei ihrem Bruder auf dem Schlosse zu Haag. Sie war ein sehr gesprächiges Fräulein, das durch die Erzählung seiner Erlebnisse der Nichte einen Blick in die damalige so romantische Zeit eröffnete und damit das Interesse und die Phantasie des jungen Mädchens erregte.

Oft saßen sie beisammen, mit Handarbeit beschäftigt, 208 unter der Linde im Schloßgarten, so auch jetzt an einem prächtigen Frühlingstage des Jahres 1583, und Maria lauschte aufmerksam den Mitteilungen der Muhme. Diese schwelgte gerne in Erinnerungen an ihre eigene Jugend, wo auch ihr das Attribut der Schönheit nicht versagt war, mit der sie einen angesehenen Ritter des Reiches in Fesseln geschlagen, dem sie aber ihrer bürgerlichen Herkunft wegen entsagen mußte, gleichwohl aber die Treue bis zum Grabe bewahren wollte.

Sie hatte soeben wieder von ihm gesprochen, und seinen Verlust neuerdings beklagt, als sich Maria mit der Frage an sie wandte: »So hatte also dein Ritter nicht den Mut, wie Erzherzog Ferdinand, alle Hindernisse hinwegzuräumen und dich heimzuführen, wie jener es mit der Philippine Welserin gethan?«

»Leider nein!« entgegnete die Muhme. »Es standen der Pettenpeckin ja auch nicht die Millionen des Goldes zur Verfügung, wie der Welserin, und Philippine mochte doch wohl auch um ein Bedeutendes schöner und bestrickender sein als ich, denn sie hat ja die ganze Männerwelt entzückt.«.

»Hast du die Welserin gesehen?« fragte die Nichte neugierig.

»Freilich hab' ich sie gesehen, noch als Mädchen, denn sie hat sich ja erst anno 57 in ihrem dreißigsten Lebensjahre vermählt. Ja, sie war schön; ihr goldenes Haar, die prächtigen Augen, der zarte Teint, die herrliche Gestalt, ich sehe sie noch im Geiste vor mir. Aber sie war nicht schöner wie –«

Sie vollendete nicht. Ihre Augen ruhten 209 wohlgefällig auf dem schönen Mädchen an ihrer Seite, das sie in diesem Augenblicke mit der Welserin verglich.

»Wie wer?« fragte Maria.

»Nicht so schön – wie manch andere,« sagte sie ausweichend, »die bei unsers Herrn Herzogs Wilhelm Hochzeit mit der lothringischen Herzogstochter Renata zugegen waren. Es war freilich gut zehn Jahre später, als ich sie bei dieser Gelegenheit zum zweiten Male sah; man schrieb schon das Jahr 1568. Damals kam Philippine mit ihrem hohen Gemahl von Innsbruck her. Mit siebenhundert Pferden kamen sie gezogen, die alle mit schwarzem und karmoisinfarbigem, reich mit Seide und Gold gesticktem Samt bedeckt waren. In schönster Ordnung zog die Reiterschar in München ein, die Hüte in den lothringischen Landesfarben, mit gelben, weißen und roten Federn geschmückt. Die Welserin, obwohl schon vierzig Jahre alt, war immer noch bezaubernd schön. Ein großes Gefolge von Reitern und Edelleuten begleitete das erzherzogliche Paar. Prinz Ferdinand, der Bruder unsers Herrn Herzog, war zur Begrüßung entgegen geschickt worden. Er war damals ein blutjunger Prinz, aber feurig und ritterlich, und wenn man Philippine für die schönste der Frauen erklärte, so war unser junger Prinz gewiß der schönste aller Männer. Doch das ist ja schon lange her,« unterbrach sie sich, und für dich haben Gegenwart und Zukunft mehr Interesse.«

»Nicht doch, liebe Muhme. Wenn du mir von dem Bruder unsers Herzogs erzählst, ist's nicht die Gegenwart? Er lebt ja noch. Doch der schönste Mann zu sein, das zählt nach meiner Meinung nicht sehr hoch. Er wird wohl bessere Eigenschaften haben?«

210 »Da schau' mir einer die Jungfer an!« rief Paulana. »Der schönste Mann der gesamten Ritterschaft zu sein, ist das so wenig? Wie soll denn der Mann nach deiner Meinung beschaffen sein?«

»Vor allem muß er ein rechter Mann sein, ein fester Charakter, von edler Sinnesart, treu und tapfer.«

»Das ist er auch und hat es oft bewiesen: im Kampfe gegen die Türken und im Dienste des Königs von Spanien. Drei Jahre hat er dort Kriegsdienste geleistet, und König Philipp II. sagte selbst, daß er den tapfern Wittelsbacher ungern scheiden sah. Und sollt es geschehen, daß unser Heerbann aufgeboten wird, so wird ihn sicher kein anderer Feldherr als unsers Herzogs Bruder führen.«

»Wie kommt es denn, daß solch ein hoher und bevorzugter Herr noch unvermählt durchs Leben geht?« fragte Marie sinnend.

»Das hat seine eigene Ursache,« meinte Paulana. »Als Herzog Albrecht 1579 aus dem Leben schied, da übernahm Wilhelm, unser jetziger Herzog, allein die Regierung, und sein Bruder Ferdinand wurde mit einem jährlichen Jahrgeld abgefunden; doch ist die Summe nicht so groß, daß sie für einen standesgemäßen Haushalt reichen würde, zumal Ferdinand kein Hauser ist und herzlich wenig Wirtschaftstalent besitzt. So mußte er durch eine förmliche Verschreibung sich verpflichten, nur mit Einwilligung seiner Eltern und nun, da der Vater tot, nur mit Erlaubnis seiner Mutter, der Herzogin-Witwe Anna und seines Bruders, unseres Herzogs Wilhelm, sich zu verheiraten, es sei denn, daß er durch seine Braut zu Land und Leuten, oder sonst zu genügenden Einkünften kommen würde. Verkaufen aber will er sich nicht, und so ist er 211 unvermählt geblieben. Er ist nun 32 Jahre alt und wird allem Anscheine nach wohl auch allein durchs Leben wandeln müssen,« fügte sie seufzend hinzu.

»Ich möcht ihn gerne einmal sehen!« versetzte Maria. »Schon oft hat er in den Forsten der Umgebung gejagt, aber nach Haag ist er, seit ich's gedenke, niemals gekommen. Der regierende Herr ist doch schon oftmals bei uns eingekehrt.«

»Er hält sich selten in unserer Gegend auf,« berichtete die Muhme. »Sein Weg geht nach anderer Richtung; er führt ihn nach seinen eigenen Schlössern, namentlich nach Schongau, in dessen Umgebung er mit Leidenschaft dem Weidwerk obliegt. Jagt er aber wieder einmal in dieser Gegend, dann muß dein Vater sich die Gnade ausbitten, ihm auf Schloß Haag ein Jagdmahl anbieten zu dürfen und dann wollen wir uns schon seine Zufriedenheit zu erwerben suchen. Jetzt aber will ich sehen, ob ich der Mutter nicht zu Diensten sein kann. Der Vater wird von Wasserburg, wo er heute morgen Amtstag hielt, wohl bald zurück sein, und du weißt ja, da kommt er nicht in bester Stimmung, weil er stets zu strengen Maßnahmen gezwungen wird. Da darf das Mahl nicht lange auf sich warten lassen, und wenn du ihm den Becher füllst, ist er bald wieder zufrieden in seinem glücklichen Heim.«

»Dann muß ich mich beeilen, der armen, kranken Witwe da unten« – sie zeigte nach einem kleinen Häuschen im Thale – »die versprochene Stärkung zu bringen. Ist der Vater einmal da, dann kann ich nicht mehr fort.«

»Schicke doch lieber eine Magd hinunter!« meinte Paulana.

»Ich gehe am liebsten selbst,« entgegnete Maria. »Es 212 ist so schön, das Unglück zu erleichtern, und die arme Frau ist so dankbar.«

»So folge dem Gebote der Nächstenliebe!« sagte die Muhme lächelnd, »ich werde indessen auf unsre eigene Mahlzeit bedacht sein, denn leben und leben lassen ist ja von jeher Grundsatz im Pettenpeckschen Hause gewesen.«

Als Maria dann, ein Körbchen am Arm, auf dem Rückwege von ihrem Samariterdienst begriffen, etwa die halbe Höhe des Schloßhügels zurückgelegt hatte, sah sie unter einer breitästigen Buche einen Mann im herzoglichen Jagdkleide sitzen, anscheinend die herrliche Landschaft bewundernd. Sobald er Maria erblickte, erhob er sich, sichtlich überrascht von der lieblichen Erscheinung des Mädchens, und verneigte sich, vornehm grüßend, vor diesem.

Maria erwiderte freundlich des Jägers Gruß. Ein flüchtiger Blick zeigte ihr, daß er zwar nicht mehr in der Blüte des Jünglingsalters, doch ein vollendet schöner Mann sei, dem das grüne Jagdkleid und die mit Reiherfedern geschmückte Mütze gut zu Gesichte standen. Die Armbrust lag neben ihm am Boden, während das Hifthorn an seinem Gürtel glänzte. Einige Augenblicke standen sich die beiden schweigend gegenüber; auch Maria blickte mit sichtbarem Wohlgefallen in das edle Antlitz des Fremden. Dann schickte sie sich an, ihren Weg fortzusetzen.

Dieser aber wendete sich mit Bescheidenheit an sie und sprach:

»Irre ich nicht, so erblicke ich in Euch, edle Jungfrau, die schöne Tochter des herzoglichen Pflegers Pettenpeck?«.

»Ich bin Maria, die Tochter des Pflegers,« erwiderte das Mädchen freundlich. »Bringt Ihr vielleicht 213 Botschaft von unserm Herzog an ihn? Der Vater kommt bald aus Wasserburg zurück. Wollt Ihr ihn im Schloß erwarten und einen Imbiß zu Euch nehmen?«

»Ihr seid sehr gütig, mir das anzubieten,« entgegnete der Jäger. »Ich muß gestehen, daß ich hungrig und durstig bin. Ich habe mich im Walde verirrt und das Gefolge meines Herrn, des Herzogs Ferdinand, verloren.«

»So kommt mit ins Schloß! Herzog Ferdinand ist Euer Herr? Von ihm hat mir die Muhme schon so viel erzählt. Erst heute sprach sie mit mir von ihm. Wie sie sich freuen wird, wenn sie Euch dienen kann; schätzt sie doch Euern Herrn gar hoch.«

»So kennt sie ihn?«

»Vor Jahren hat sie ihn gesehen. Es ist schon lange her, doch lebt er treu ihr nach in der Erinnerung. Sie ist stets seines Lobes voll – Ihr werdet es schon hören. Kommt nur mit mir ins Schloß!«

Der Fremde überlegte. War auch sein Auge auf das Mädchen wie gebannt, so zeigte er doch keine große Sehnsucht, der Muhme zu begegnen. Deshalb sagte er nach einer Pause:

»Ich muß für Eure Güte danken, holde Jungfrau, denn ich kann nicht lange hier verweilen. Ein Becher Wein, von Eurer Hand kredenzt, würde mir wohl munden. Doch muß ich des Rufes meiner Jagdgenossen gewärtig sein. Die Jagd kann nicht allzuweit entfernt sein. Hör ich das Hifthorn schallen, dann muß ich eiligst fort. Wollt Ihr dafür Sorge tragen, daß ich hier eine kleine Stärkung erhalte, so will ich Euch von Herzen dankbar sein. Ein wenig Wein und Brot genügt.«

214 »So will ich selbst Euch das Verlangte bringen. Ruht Euch nur einstweilen aus; gleich bin ich zurück.«

Eiligst entfernte sie sich. Entzückt sah ihr der Jäger nach, wie sie so leicht und einer Elfe gleich sich hinter dem Gebüsch verlor. Nach kurzer Zeit erschien sie wieder mit einem Becher Wein und kalten Speisen und stellte diese vor dem Fremden nieder. Mit edlem Anstande reichte sie ihm dann den Becher.

»Mög es Euch munden!« sprach sie. »Der Wein stammt noch aus unsers gnädigsten Herrn Herzogs Albrecht Keller. Er ist nur für Gäste bestimmt.«

»Tausend Dank!« rief der Jäger mit frohem Mut. »Von solch schöner Hand kredenzt, würde auch ein schlechterer köstlich munden. Ich trink auf Euer Wohl!«

In langen Zügen trank er den Becher fast leer.

»Hei! Herzog Albrecht hatte guten Saft in seinem Keller. Das muß ich meinem Herzog sagen, damit er künftig hier in Haag sein Mahl bestellt, wenn er wieder hier in der Nähe jagen geht.«

»Das würden wir Euch danken,« sagte Maria, »die Muhme, der Vater und ganz besonders ich. Es wäre uns eine ganz besondere Ehre, Herzog Ferdinand als Gast bei uns zu sehen.«

»Und ihm sollte das wohl gefallen,« meinte der Jäger. »Doch wenn der Herzog kommt, dann bin auch ich dabei, und da wünschte ich, daß ich, der ich auch Ferdinand heiße, über dem Fürsten von Euch nicht ganz übersehen würde.«

»Das wird ganz gewiß nicht geschehen,« erwiderte errötend Maria, der des schönen Mannes Blick hineindrang in die Tiefe ihres Herzens.

215 »Wenn es nicht unbescheiden klingt, möcht' ich Euch fragen, woher Ihr vorhin kamt?« fragte der Jäger jetzt, während er sich den Imbiß trefflich schmecken ließ.

»Ich bringe täglich um die Mittagszeit einer armen kranken Witwe dort unten in dem Häuschen etwas Speise.«

»So möge ihr der Himmel die Gesundheit wieder geben, wenn sie schon hier von einem Engel bedient wird!« entgegnete der Jäger fröhlich.

»Euer Vergleich trifft nicht zu,« antwortete Maria lächelnd. »Laßt mich immerhin eine berechtigte Erdenwallerin sein. Ich finde das Leben hier so schön, daß ich dem lieben Herrgott dafür recht herzlich dankbar bin.«

Ein unbefangenes Gespräch war bald im Gange, das dem Fremden viel Freude zu machen schien, denn Maria sprach ihre Gedanken gegen ihn so offen und herzlich aus, als ob sie schon lange mit ihm bekannt gewesen wäre. Sie kannte in ihrer Unschuld und Herzensgüte kein Arg und keine Falschheit und gab sich eben, wie sie, das Kind der Natur, erzogen war. Und als sie der Fremde fragte, ob sie sich noch niemals gewünscht, das Leben in einer Stadt kennen zu lernen, versicherte sie, daß sie trotz der schönen Beschreibungen, die ihr Muhme Paulana davon schon gemacht, kein Verlangen darnach trage, und sich vollkommen glücklich fühle, in dieser schönen Gegend leben zu dürfen, wo sie die Werke des Schöpfers bewundern könne, gegen welche ja alle Genüsse der Stadt verschwinden müßten.

»Glückliches Mädchen!« sagte der Jäger lächelnd. »Wie seid Ihr reich in Eurer Zufriedenheit! Doch weiß ich Eure Gefühle zu schätzen, denn auch ich liebe das Landleben vor allem. Aber leider bin ich gezwungen, meine Zeit meist 216 in der Stadt und am Hofe zu verleben, nicht etwa meiner Familie wegen, denn ich bin unvermählt; aber ich muß stets dort weilen, wo Herzog Ferdinand ist. Dieser Umstand macht es mir auch zur Pflicht, sein Gefolge wieder aufzusuchen. Ich leere den Becher auf Euer Wohl! Und nun laßt mich Euch Lebewohl sagen, holde Jungfrau, und seid bedankt für diese herrliche Viertelstunde, die Ihr mir hier geschenkt! Bald hoffe ich Euch wieder zu sehen.«

»Es soll mich freuen,« erwiderte Maria in herzlichem Tone.

Er drückte ihr mit innigem Blicke die Hand, dann eilte er den Hang hinab, dem nahen Walde zu. Maria blickte ihm, in unbewußtes Sinnen verloren, so lange nach, bis er im Walde verschwand. Dann schritt sie langsam den Weg zum Schlosse hinan. 217


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