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Viertes Kapitel.
Glut in der Asche

Wieder waren einige Wochen hingegangen. Der Herbst hatte erst jetzt die letzten gebräunten Blätter auf den Weg gestreut, als sollte es eine Huldigung für den neuen Gebieter, den Winter sein, der darüberhin seinen Einzug zu halten begann. Gleichsam als wolle er den Uebergang minder fühlbar machen, hatte auch dieser ziemlich mild begonnen. Es lag nur eine leichte Schneedecke auf den Dächern und die Sonne schien in den Mittagsstunden, trotzdem daß Neujahrstag war, so freundlich, daß eine Menge Spaziergänger davon in die Straßen gelockt wurden. Hierzu kam noch, daß Viele auch die Neugierde wegen des großen Festes, das für den Abend vorbereitet wurde, herbeizog. Allenthalben in den Straßen war man beschäftigt, Zurüstungen zu der Illumination zu machen, die am Abend stattfinden sollte. Hier wurden Malereien befestigt, welche als sinnige Transparents zu wirken bestimmt waren; dort wurde ein Lattenwerk zusammengefügt, das, durch die daran angebrachten Lämpchen erleuchtet, eine prachtvolle Verzierung darstellte; dort wurden Pechpfannen in den breitern Straßen aufgereiht, während an den Eingängen der Hauptstraßen Triumphbogen emporstiegen, deren Verhältnisse eine imposante Wirkung verhießen. Alle Embleme, welche ausgestellt, alle Inschriften, welche angebracht wurden, hatten ähnliche Bedeutung, verwandten Sinn. Alle enthielten mehr oder minder gelungene Beziehungen auf die vom Regenten gewährten Freiheiten, denn die Illumination sollte der Ausdruck der allgemeinen Freude darüber sein. Allerdings war das Ereigniß beinahe überall gleich nach dem Bekanntwerden gefeiert worden, allein eine öffentliche und allgemeine Feier war durch die dazu nöthigen Vorbereitungen verzögert worden. Um diese nun so glänzend als möglich zu machen, hatte man eine ziemlich lange Frist gegeben und das Fest auf den Neujahrstag festgesetzt. Man wollte damit zugleich andeuten, daß mit diesem Tage auch für das bürgerliche Leben des ganzen Volks ein neues Jahr beginne. Den Tag über wurden in allen Gasthäusern und von allen Cirkeln große Gastmahle gegeben und während der abendlichen Stadtbeleuchtung sollte auf dem Stadthause ein allgemeiner Festball im großartigsten Maßstabe stattfinden.

Auch vor dem St.-Jakobsthore, an welches sich eine freundliche Vorstadt anschloß, herrschte die gleiche Thätigkeit. Hier war es, wo ein wohlhabender Theil der Bevölkerung sich in schönen, von baumreichen Gärten umgebenen und durch sie verbundenen Villen angesiedelt hatte. Unmittelbar zunächst dem Thore, welches ein Ueberbleibsel früherer Befestigungswerke war, und zum Theil an den Thorthurm angebaut stand ein kleines, unscheinbares Häuschen. Das Erdgeschoß, aus ungewöhnlich dicken Mauern bestehend, hatte nur kleine Fenster, kaum etwas breiter als Schießscharten. Um die Fenster herum aber, an den breiten Wandflächen hin, waren mit sichtbarer Liebe Spalierbäume gezogen, welche, jetzt sorgsam mit Stroh umwickelt, im belaubten Zustande dem Ganzen einen ungemein freundlichen Ausdruck gaben. Ueber das Erdgeschoß führte eine gedeckte Freitreppe in das obere Stockwerk, das, obwohl schlicht und einfach, schon von außen verrieth, daß drinnen nicht der Reichthum, wohl aber die Zufriedenheit heimisch war.

Der Reichthum hatte seinen Wohnsitz nebenan in einem prachtvollen Gebäude aufgeschlagen, das hinter einem kleinen Vorgärtchen über breiten, mit Statuen besetzten Steinstufen emporstieg. Hohe breite Krystallfenster überblickten die Straße weithin. Durch die Fenster sah man auf reiche seidene Gardinen, auf bunt bekleidete Wände und reizende Deckengemälde. Dennoch hatte das schöne, stattliche Haus nichts Einladendes, es war, als laure im Dunkel hinter allen diesen Schönheiten etwas Unheimliches auf den Eintretenden. So bildeten beide Wohnungen einen scharfen durchgehenden Gegensatz.

Dieser Gegensatz prägte sich auch heute in den in beiden Häusern getroffenen Vorbereitungen zur Illumination aus.

Vor der Thurmwohnung stand Meister Rempelmann, der Schuster, auf einem Leiterchen und war beschäftigt, sein Handwerksschild, auf welchem ein mächtiger Stiefel paradirte, mit Holzlatten zu umgeben. Da ihm der Nagelvorrath ausgegangen war, rief er mit kräftiger Stimme nach den Fenstern des ersten Stocks hinüber: »Heda! Frau! Grete! Bring' mir noch die Nägel heraus, die drinnen im Wandkästel liegen!«

Bald öffnete sich die Thür auf den Holzgang und eine kleine, muntere Frau trat heraus, ein Kind auf dem Arme, während ein größerer Knabe sich ihr vordrängte und die kleinen Arme nach Kräften streckte, um dem Vater das Verlangte hinzureichen.

»Aber, Mann«, sagte die Frau, nachdem sie einen Augenblick dessen Arbeit angesehen hatte, »ich glaube nicht, daß wir mit Deiner Beleuchtung Ehre entlegen. Du wirst sehen, wir werden ausgelacht!«

Der Schuster hämmerte ruhig weiter. »Ei, das wäre!« sagte er. »Ausgelacht! Und warum denn?«

»Weil sich der Stiefel mitten in dem Kranz von Lichtern gar zu lustig ausnehmen wird«, antwortete das Weib. »Sieh nur anderswo hin. Ueberall machen sie den Namenszug des Fürsten hin oder einen Reim, bei uns wird es aussehen, als wäre Dein Stiefel die Hauptsache bei der ganzen Illumination.«

Der Meister hatte sein Werk jetzt beendigt und überblickte dasselbe mit einer Art künstlerischen Stolzes. »Du hast ganz Recht, Grete«, sagte er dann, »der Stiefel ist für uns auch die Hauptsache! Wer über den Stiefel lacht, das ist gewiß ein dummer Müßiggänger, der den Teufel von einer Arbeit und einem Gewerbe versteht. Der Stiefel da stellt mein Gewerbe oder alle Gewerbe mit einander vor. Wenn es in einem Lande recht gut geht, kennt man's am besten daran, wie der Gewerbsmann florirt. Drum hab' ich den Stiefel recht wohlweislich in die Mitte hinein gebracht. Wenn alles das Gute, das uns die neue Zeit bringen soll, recht zu floriren anfängt, floriren auch die Gewerbe und das meinige mit. Wenn ich einen kennte, der's versteht, hätt' ich's mir wohl reimweis' drunter schreiben lassen, aber so soll sich's nur Jeder auseinanderklauben, und wer's nicht begreift, der mag lachen! So«, fuhr er dann, nachdem er herabgestiegen war und die Leiter beiseite gesetzt hatte, fort, »mit der Arbeit ist's heute doch ein- für allemal nichts; also will ich ein bischen in die Stadt und hören und sehen, was es drinnen Neues gibt. Wie's dunkel wird, komm' ich wieder und hole Dich mit dem Buben ab, damit Ihr die Beleuchtung auch seht. Die Kleine und das Haus mag derweil die alte Bas' hüten, ich hab' sie herüberbestellt. Zuerst aber muß ich sehen, was all das Gerüstwerk bedeutet und vorstellt, das sie beim Herrn Nachbar Sparberger schon seit dem frühen Morgen aufbauen. So, Adjes bei einander und macht Euch fertig, bis ich komm'.«

Er ging und schritt dem prächtigen Nachbarhause zu, vor welchem ein hoher Bau eine ziemliche Anzahl von Neugierigen versammelt hatte. Eine Menge Werkleute waren beschäftigt, denselben zu beenden, und zwischen dem Getöse der Hammer' und dem Zuruf der Arbeiter hörte man in kurzen Zwischenräumen eine quiekende Stimme Befehle ertheilen oder mit unmuthigen Worten einen Mangel rügen. Es war die des Hausherrn, des Speculanten Sparberger.

»Schiebele«, rief er jetzt einem Bedienten zu, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, »Schiebele, seh' Er nach, ob der Schlingel von Maler mit den transparenten Figuren noch nicht fertig ist! Sag' Er ihm, wenn er mich im Stiche ließe, hinge ich ihm einen Proceß an den Hals!«

Schiebele wollte sich eben auf den Weg machen, als ein Junge, mit den verlangten Malereien beladen, sich keuchend durch die Anwesenden drängte. »Einen schönen Empfehl vom Meister«, rapportirte er in aller Eile. »Da schickt er Ihnen die Figuren. Auf die Gerechtigkeit sollen Sie ein bischen Acht geben, die ist noch ganz naß.«

»Schon recht, schon recht«, quiekte Sparberger. »Das hat ihm ein guter Geist eingegeben, daß er mich nicht stecken ließ. Vorwärts, Schiebele; mache er jetzt, daß die Bilder hinaus in die Nischen kommen, sonst kommt uns die Dämmerung über den Hals. Die beiden Engel an die äußersten Seiten, dann kommt links die Gerechtigkeit, rechts die Weisheit, das ist die Frauensperson mit dem Spiegel.«

»Aber Sie machen sich ja ungeheure Kosten, Herr Agent«, unterbrach ihn im besten Flusse die derbe Stimme des Drehers Gerbet. »Ich gehe nun schon in der ganzen Stadt herum, um die Vorbereitungen zu besehen, aber die Ihrigen werden den Preis davontragen vor allen!«

»Bitte, bitte, allzu gütig«, erwiderte Sparberger geschmeichelt. »Nichts als Schuldigkeit! Ich kenne meine Bürgerpflicht!«

»Ein ganzer griechischer Tempel mit Säulen und Statuen dazwischen! Das muß brillant aussehen!« fuhr Gerbel fort. »Ich hätte Ihnen wirklich nicht zugetraut, daß Ihre Freude über unsere neuen Freiheiten so groß wäre!«

»O, warum nicht?« grinste Sparberger. »Auch ich bin für die Freiheit und freue mich –«

»Wie die beiden Engel da droben mit dem langen Zettel in der einen und der Posaune in der andern Hand!« sagte ruhig eine Stimme unter den Umstehenden hervor. »Der Maler hat ihnen Gesichter gemacht, daß man nicht recht weiß, ob ihnen das Lachen oder das Weinen näher ist!«

Es war Rempelmann, der das zu einem der neben ihm Stehenden so völlig unbefangen sagte, als habe es zu dem Vorausgegangenen gar keine Beziehung.

Sparberger wandte sich halb und schoß dem spottluftigen Schuster einen giftigen Blick zu, indem er etwas vor sich hinmurmelte.

Gerbel lachte. »Und die sinnreichen allegorischen Figuren!« fuhr er fort. »Das junge Mädchen da mit den Büchern, dem einer die Ketten abnimmt, stellt wohl die Preßfreiheit vor?«

»Allerdings«, erklärte Sparberger, »und die Frau gegenüber ist die Gewissensfreiheit.«

»Nachbar«, begann Rempelmann wieder wie zuvor, »könnt Ihr mir nicht sagen, was das eigentlich ist, die Gewissensfreiheit? Das ist wohl, wenn einer vom Gewissen frei ist, wenn er gar keins hat?«

Die Umstehenden lachten. Sparberger wechselte die Farbe und wollte etwas erwidern, als durch das Thor und über die daran stoßende Mauer herüber feierlicher Orgelton und Kirchengesang hörbar wurde. Man fragte um die Bedeutung.

»Was wird's sein?« sagte einer. »Die Freigemeindler halten ihre Abendandacht! Sie haben sich die alte Scheune im Zwinger zum Betsaal umgewandelt, von da hört man's herüber!«

»Das kommt mir eben gelegen«, rief Gerbel. »Da ich einmal in der Nähe bin, muß ich das Ding mit ansehen und hören, was dahinter ist. Man spricht so viel davon. Wie wär's, wenn Sie auch mitgingen, Herr Agent?«

»Bedaure, bedaure sehr«, erwiderte Sparberger mit widerlichem Grinsen, »dabei kann ich nicht sein. Da kann ein guter Christ nicht hingehen! Sollten's auch nicht thun, Herr Gerbel! Werden auch sehen, daß die Sache nicht gut thut und ein schlimmes Ende nimmt!«

Die meisten Umstehenden hatten sich zerstreut und gingen dem Thore zu, viele bogen in die enge Mauergasse ein, von woher die Orgel ertönte. Auch Meister Rempelmann war unter ihnen. »Ich habe in meinen Wanderjahren vieler Länder Sitte und Gottesdienst gesehen, will den auch kennen lernen«, sagte er halb für sich, halb zu einem der Begleiter. »Heißt es doch, man soll Alles prüfen und das Beste behalten!«

Gerbel war allein bei Sparberger zurückgeblieben.

»Ich kann auch gar nicht begreifen, wie die Regierung das zugibt, wie Seine Durchlaucht dulden kann, daß sich solche Leute zusammenthun. Ist ohnehin nur lauter verkommenes Gesindel.«

»Ei, ich höre doch, daß auch ganz wackere Männer bei der Gemeinde sind. Der Kaufmann Rund aus der Wallstraße soll der Urheber und Stifter der ganzen Sache sein!«

»Um so schlimmer wird das böse Beispiel«, rief Sparberger. »Wehe dem, durch den Aergerniß kommt! Sie treiben offene Gotteslästerung, aber ich erleb' es noch, daß des Himmels Strafgericht über sie kommt, weil die weltliche Gerechtigkeit zaudert!«

»Nun, nun«, meinte Gerbel, »so schlimm wird's nicht sein, sie dienen eben Gott auf ihre Weise. Warum beleuchten Sie dann und stellen die Gewissensfreiheit da hinauf, wenn Sie nicht zugeben wollen, daß Jeder glaubt, was er will?«

»Als ob ich das nicht wollte!« seufzte Sparberger. »Ich lasse gern einem Jeden seinen Glauben, wenn er nur einen Glauben hat! Diese Leute aber glauben gar nichts, und was soll denn aus Allem werden, wenn das Glauben aufhört?«

»Ja, da stimm' ich mit ein«, sagte Gerbel, »etwas muß der Mensch glauben! Aber Sie machen mich nur noch neugieriger, selbst zu sehen und zu hören.«

Unter diesem Gespräche waren beide unter dem Thore angekommen. Gerbel wendete sich dem Betsaale zu. »Sie gehen also nicht mit?« fragte er nochmals.

Sparberger entfloh mit einer Geberde des Abscheus.

Wenige Stunden später, als die Nacht angebrochen war, wogte ein unabsehbarer freudiger Menschenstrom durch die lichtstrahlenden Straßen. Leute aus allen Ständen, von jedem Alter und Geschlecht trieben sich lautredend und bewundernd durcheinander. Wie sich der Paletot des Elegants und die Sammtmantille der Dame mit der Jacke des Arbeiters und dem Mieder der Dienstmagd kreuzte, so wurde neben den Bonmots und dem Geplauder der Städter die breite Verwunderung des Landbewohners, das derbe Witzwort des Arbeiters hörbar. An allen größern Plätzen oder an den Kreuzungen, wo sich mehrere Straßen verbanden, waren Musikchöre aufgestellt und mancher rauschende Triumphmarsch übertönte das Gebrause der Menge. Dazwischen wetteiferten in den hell erleuchteten Gast- und Kaffeehäusern wie in den Schenken Gesang und Musik aller Art, ihre grellen Züge und Farben zu dem bunten Tongemälde beizutragen.

Auch Herzog Felix hatte sich unter das Gedränge gemischt. Der Wunsch, unbemerkt die Aeußerungen des Volks hören und seine Stimmung über die neuen Einrichtungen kennen zu lernen, hatte ihn dazu veranlaßt. Ein schlichter Anzug und dazu wohl der Umstand, daß im Gedränge Niemand viel auf seinen Nachbar achtete und wohl auch Niemand die Anwesenheit des Herzogs vermuthete, erleichterten ihm die Ausführung seines Vorhabens. So hatte er schon einen Theil der Stadt durchwandert und gelangte in vergnügt gehobener Stimmung auf einen Platz, wo die Ausschmückung eines öffentlichen Gebäudes einen gedrängtern Kreis von Bewunderern versammelt hatte. Ein kolossales F brannte in Brillantfeuer an dem Hause. Auch Felix blieb stehen, um so mehr, als das Gespräch mehrerer jungen Leute seine Aufmerksamkeit angezogen hatte.

»Was bedeutet nur das gewaltig große F?« fragte der eine.

»Das heißt ohne Zweifel Freiheit«, erwiderte ein zweiter.

»Warum nicht gar!« rief der dritte. »Es ist der Namenszug des Herzogs! Heißt er nicht Felix?«

»Richtig«, meinte der erste wieder, »aber warum es gerade der Name des Herzogs sein soll, seh' ich nicht ein. Es kann ebenso gut der Name des neuen Ministers Führer sein.«

»Wahr«, lachten die übrigen, während jener fortfuhr: »Wenn Jemand eine Ehre angethan werden soll, so verdient sie doch der Minister eher als der Herzog. Was wäre der Herzog ohne ihn! Der hat sich ihn schon zugerichtet, wie er ihn brauchen kann, als sie noch zusammen Studenten waren.«

»Möchte doch wissen, ob es wahr ist«, fragte der eine »daß er ihm schon damals aufs Wort versprechen mußte, ihn einmal zum Minister zu machen.«

»Das hat er thun müssen, darauf könnt Ihr Euch verlassen!« rief der andere wieder. »Und die ganze Zeit her ist er im geheimen Bündniß mit ihm gestanden und hat ihm immer vorgeschrieben –«

Das Gedränge riß die Sprechenden hinweg. Der Herzog hatte zuerst mit einer Art lachenden Staunens zugehört, doch konnte er nicht hindern, daß ihm unmittelbar eine sehr bittere Empfindung aufstieg. »Ist es möglich?« dachte er dann. »Das ist die Meinung, die man von mir hat? Habe ich bei meinen Unterthanen nicht mehr Verdienst als das, ein willfähriges Werkzeug zu sein?«

Hastig drängte er sich dem entgegengesetzten Ende des Platzes zu, wo sich wieder eine gesteigerte Lebhaftigkeit bemerkbar machte. »Ich will doch sehen, ob das die Ansicht Mehrerer ist«, flüsterte er für sich hin, indem er zu dem Volkshaufen trat. Ein sogenannter fliegender Buchhändler – eine der ersten Früchte der freien Presse – hatte mit glücklichem Speculationsgeist den Augenblick erfaßt und seine wandernde Bude zwischen ein paar flackernden Pechpfannen aufgeschlagen. Ein Flugblatt, die kurze Darstellung der neuesten Ereignisse enthaltend, bildete den Gegenstand allgemeiner Neugier und wurde reißend gekauft. Auch der Herzog kaufte und las. Es war eine ziemlich stillose, aber sehr faßliche Auseinandersetzung der Vortheile der neuen Einrichtungen und schloß mit einer pomphaften Lobrede auf den Mann, der Alles das hervorgerufen habe und von dem noch Größeres zu hoffen sei. Als dieser Mann war Friedrich Führer genannt. Er hieß der Sohn des Volks, der dem Volke wiedergebe, was ihm gehöre. Des Herzogs war zwar ehrenvoll, doch minder kräftig und gewissermaßen als einer unvermeidlichen Beigabe nebenher gedacht.

Der Unmuth des Herzogs stieg; fast unwillkürlich zerknitterte er das Blatt und warf es von sich. Beinahe war er der Wanderung müde und dachte daran, nach der Residenz zurückzukehren, als ihm aus der Thür eines Gasthauses, an der er eben vorüberging, lauter, lärmender Hochruf entgegenklang.

Rasch entschloß er sich einzutreten und nahm, von den übrigen Gästen entfernt, in einer etwas dunklern Ecke Platz, um jeder Erkennung vorzubeugen. Das Zimmer war ansehnlich gefüllt, nur im Vordergründe, in der Nähe des gewählten Platzes, waren einige Tische leer. An einem derselben saß Meister Rempelmann mit seinem Weibe und dem Knaben. Alle drei waren beschäftigt, sich nach der ermüdenden Wanderung durch das Festgewühl der Stadt an einem Stück Braten und einem Kruge Bier zu erlaben.

Jetzt rief eine Stimme aus der Menge: »Der edle Volksfreund, der Volksminister Führer, er lebe hoch!« Und wieder begann das Hochrufen, laut klangen die Gläser zusammen, laut schmetterten die Trompeten, den Toast begleitend.

»Er! Wieder nur er!« murmelte Felix vor sich hin und drückte den Hut tiefer ins Auge.

»Sonderbare Leute das!« sagte zugleich Rempelmann, indem er sich ein Stück Braten auf den Teller legte. »Da lassen sie nun in einem fort den Minister leben und denken nicht an den Herzog! Siehst Du, Grete, so geht's in der Welt! Der Herr Führer, ich kenn' ihn ja lang, da er noch Professor war, ist ein kreuzbraver, grundgescheidter Herr, aber der Herzog ist doch die Hauptperson, sollt' ich meinen. Hat er ihn nicht zu seinem Minister gemacht? Und wenn der Herzog nicht wollte, da möcht' ich doch einmal sehen, was er ausrichten könnte! Aber ich sag' es ja immer, Undank ist der Welt Lohn!«

Felix hatte die Worte des Schusters gehört; sie reizten ihn, sich in ein Gespräch mit ihm einzulassen.

»Sie scheinen ein Freund des Herzogs zu sein«, sagte er über den Tisch hinüber. »Kennen Sie ihn?«

»Hab' ihn nie gesehen, Herr«, erwiderte Rempelmann, den Hut leicht zum Gruße rückend, »habe aber immer nur Liebes und Gutes von ihm gehört. Er soll ein wackerer junger Herr sein, und drum bin ich ihm Freund, wie sich's für jeden guten Bürger schickt! Er soll leben!« sagte er dann und leerte sein Glas auf einen Zug.

»Es freut mich, das zu hören«, antwortete Felix. »Auch ich habe Ursache, dem Herzog gewogen zu sein, und würde gern mich zu Ihnen setzen, um weiter zu plaudern, wenn mich nicht das Gaslicht über Ihrem Tische belästigte – meine Augen sind etwas leidend.«

»Da kann man abhelfen«, sagte Rempelmann und drehte den Hahn der Gasröhre zu. »Kommen Sie immer her zu uns, weil Sie doch allein sind. In Gesellschaft ist's immer angenehmer.«

Felix setzte sich dem Meister gegenüber. »Sagten Sie vorhin nicht auch, daß Sie des Herzogs Minister kennen?«

»Ich kenn' ihn auch«, antwortete Rempelmann, »habe manch liebes Mal für ihn gearbeitet. Sehen Sie, der war schon als Student nicht so wie die meisten jungen Leute, so flatterig und leichtsinnig. Er hatte immer was Ernsthaftes an sich, so was Gesetztes; daß man wohl denken konnt', es werd' einmal was Großes aus ihm werden. So ist's denn auch gekommen, aber eben deswegen ärgern mich die Leute so mit ihrem dummen Geschrei! Da heben sie ihn immer über den Herzog, und wenn der das am Ende erführe – je nun, Sie wissen ja, wir sind Menschen, und der Hochmuth sitzt uns allen im Blut – wie leicht könnt' es da nicht geschehen, daß er sich zurückgesetzt glaubte und beleidigt fühlte, und es wär' mit der ganzen Freundschaft zu Ende!«

Felix war betroffen, denn es lag etwas in dem schlichten Wesen des Meisters, sowie in seiner treuherzigen Art, sich auszudrücken, was ihn anzog und angenehm auf ihn wirkte. »Das sollte ich doch kaum glauben«, bemerkte er.

»Ja, wer kann's wissen! An den großen Herrn lernt man nicht aus; es ist nicht gut mit ihnen Kirschen essen, sagt das Sprichwort. Aber wie ich sage, Herr, mir thät's leid, wenn etwas dazwischen käm'. Ich weiß, was der Herr Professor oder Herr Minister, wie man ihn jetzt tituliren muß, für große Stücke auf den Herzog hält und wie lieb er ihn hat!«

»Wirklich? Und woher wissen Sie das?« fragte der Herzog gespannt.

»Je nun, das kann ich Ihnen jetzt wohl sagen!« entgegnete Rempelmann. »Jetzt ist keine Gefahr mehr dabei, 's ist ja Alles vergeben und vergessen! Wissen Sie, in der Nacht, wie der alte Herzog starb, wie die Revolution war in der Stadt, da war ich halt auch mit auf der Straße. Die neue Steuer war schwer und es thut weh, wenn man sieht, daß man den Seinigen bald nicht mehr das liebe Brod wird geben können – da geht man eben auch mit, und – Nun also, in der Nacht, da kam ich in die Hahnengasse, wie's eben losgehen sollt' aufs Schloß. Da hab' ich zugehört, wie der Professor zum Guten redete und wie er den Erbprinzen bis in den Himmel hob und versprach, daß Alles gut gehen würde, wenn nur der in die Stadt käme.«

Der Herzog war seltsam ergriffen. Die einfache Erzählung des Bürgers rief ihm mit einem Male die Vorgänge der verhängnißvollen Nacht und besonders der bezeichneten Gruppe, deren Zeuge er selbst gewesen war, vor die Seele. Ebenso plötzlich, als diese Bilderreihe in ihm hervortrat, war auch der Unmuth, der sich in ihm eingeschlichen hatte und schon daran war, sich bis zum Mißtrauen zu steigern, verschwunden und wie weggelöscht. »Ich hörte davon erzählen«, sagte er, »und wünsche nur mit Euch, daß der Herzog und sein Minister immer die nämlichen Gesinnungen behalten mögen. Ich hätte nicht übel Lust, auf die Dauer ihrer Freundschaft eine Flasche Wein mit Ihnen zu leeren!«

»Wird sich nicht machen lassen«, entgegnete Rempelmann lachend; »ich bin ein geringer Handwerker, auf dessen Tisch der Wein ein spanisches Dorf ist! Wir haben heute schon ein Uebriges gethan und uns mit Braten regalirt, Alles dem Herzog, dem Minister und dem heutigen Tag zu Ehren!«

»So erlauben Sie mir, den Wein zu Ihrer Tafel hinzuzufügen«, rief Felix, und auf seinen Wink blinkte bald eine Flasche des besten Rebensaftes den neugierigen Augen der Rempelmann'schen Familie entgegen. Felix füllte die Gläser und stieß mit dem Meister an. »Auf das Wohl der Beiden, die wir meinen«, rief dieser, »und daß sie immer Freunde bleiben! – Herrliche Gottesgabe, solcher Wein!« setzte er dann hinzu. »Man spürt es ordentlich, wie er einem durch alle Adern geht. Trink, Grete, und merk' Dir den Tag, wer weiß, wann Du wieder solchen zu kosten bekommst!«

Die Schustersfrau trank etwas verlegen und reichte auch dem Knaben, der schon halb schläfrig sich auf ihren Schooß gelehnt hatte.

»Sie sind wohl recht zufrieden und glücklich?« fragte Felix, die Gruppe einen Augenblick betrachtend.

»Zufrieden, Herr«, sagte Rempelmann, sein Glas behaglich ausschlürfend, »ja, das sind wir, und also sind wir eigentlich auch glücklich. In einem Hausstand wie dem unserigen, wo Alles aufhört, wenn ein paar Hände feiern, geht's freilich etwas knapp zu, zumal wenn man auch die paar hundert Gulden nicht hat, die man brauchte, um sich wohlfeilen Vorrath kaufen zu können, aber weil nur die Steuer weg ist, ist das Arbeiten wieder eine Lust! Da schlägt man sich mit Ehren durch, und jetzt, unter den neuen Gesetzen, wird's wohl auch besser werden, denk' ich!«

»So sind Sie damit zufrieden«, fragte Felix, »und erwarten sich gute Zeiten davon?«

»Gewiß«, rief Rempelmann, bei dem der Wein rasch seine Wirkung zu äußern begann. »Wie sollt' ich nicht? Wenn's nicht zum Bessern wäre, würde man's wohl nicht thun und auch nicht so viel Wesens davon machen! Freilich«, fuhr' er zutraulich fort, »Alles kann ich nicht beurtheilen. Manches ist mir zu hoch. Da schreiben und drucken sie jetzt in den Tag hinein – meinetwegen, muß ich's doch nicht lesen, mir ist's auch zu hoch, warum all das Zeug gedruckt werden muß, und so ist's auch mit dem neuen Glauben, der aufkam, seit auch das freigegeben ist. Ich war heute dort, Herr, und habe die Predigt gehört, aber das ist nichts für unsereinen. Kann wohl sein, daß es Leute gibt, denen nichts dran liegt, ob da droben über uns ein Herrgott ist, der die Welt regiert, unsereinem thut's halt wohl, wenn man glauben kann, daß es eine Vorsehung gibt, zu der man beten kann, wenn's einem schwer ums Herz wird!«

»Halten Sie daran, Meister«, erwiderte Felix, »und denken Sie, daß, wie das Aeußere der Menschen verschieden ist, auch ihr Inneres verschiedene Gestalten hat. Doch meine Zeit ist um! Sagten Sie nicht«, fuhr er, sich erhebend fort, »daß Sie ein paar hundert Gulden bedürften, um sich durch Anschaffung von Vorräthen vorwärts zu bringen?«

Rempelmann bejahte staunend.

»So leben Sie wohl«, sagte der Herzog. »Nehmen Sie dies und gedenken Sie eines Mannes, dem Sie einen großen Dienst erwiesen haben.«

Ein leichter Gruß und er war verschwunden. Verblüfft sah ihm Rempelmann nach und mußte erst von seinem Weibe aufgefordert werden, doch das Papier anzusehen, das der sonderbare Herr beim Fortgehen auf den Tisch gelegt hatte. Seine Verwunderung erreichte den höchsten Grad, als er dies that und in dem auseinander gefalteten Papier die Summe von vollen zweihundert Gulden fand.

»Weib, Grete«, schrie er, wie außer sich, »hat mich der Wein benebelt, oder bin ich ein Narr? Sieh nur, Geld! Echte, wahrhaftige Banknoten!«

Die Frau konnte nur die Verwunderung ihres Mannes theilen. »Aber was soll das nur bedeuten?« rief sie.

»Das weiß ich nicht«, antwortete jubelnd der immer mehr angetrunkene Schuster, »aber das weiß ich, daß wir Geld haben auf einmal, daß wir reiche Leute sind, daß ich nun auch das Leder bezahlen kann wie andere, daß uns das Geld geschenkt ist, das weiß ich!«

Die Frau war bemüht, der Lustigkeit ihres Mannes Einhalt zu thun, weil dieselbe bereits die Aufmerksamkeit der Gäste zu erregen anfing. Das gelang ihr auch, denn mitten durch den Wein- und Freudennebel ward es Rempelmann klar, daß das Vorgefallene nicht nöthig habe, ausgebreitet zu werden.

»Hast Recht, Alte«, brummte er, indem er sich erhob und zum Weggehen anschickte, »wir wollen's für uns behalten! Wer der Fremde nur sein mag? Aber wer's auch ist, sein Wein war gut und sein Geld ist noch besser – er soll leben!«

Ziemlich unsichern Schrittes und von seiner Grete geführt eilte der Beseligte fort und nach Hause.

Auch dem Herzog war wohl zu Muthe gewesen, als er die Straßen dahinschritt. Die Bitterkeit, die sich seiner auf kurze Zeit bemächtigt hatte, war einer ruhigen, vertrauensvollem Stimmung gewichen. Seine freundschaftliche Zuneigung zu Führer trat in ganzer Stärke hervor, er freute sich dessen, was schon gethan war, und seine Vorsätze, noch mehr zu thun, gewannen wieder an Schnellkraft und Lust. »Wie konnte ich mich doch von dem Gerede so verstimmen lassen«, dachte er im Dahineilen. »Ich hätte denken sollen, daß das Volk Märchen liebt, und daß der neue Most gähren muß, ehe er sich zu Wein veredelt.«

Im Saale des Stadthauses sah man indessen der Ankunft des Herzogs mit jeder Minute entgegen, um dann den Ball beginnen und die Festlichkeit eröffnen zu können. Der Saal war mit einem Reichthum und einem Geschmack verziert, daß für die kühnste Einbildungskraft, für das verwöhnteste Auge kaum etwas zu wünschen übrig blieb. Die architektonischen Verhältnisse desselben, der besten Zeit des gothischen Stils angehörend, waren mit Geschick benutzt und so ein echt mittelalterlicher Bankettsaal geschaffen worden. Hohes braunes Getäfel lief gleichmäßig an den Wänden herum; darüber stiegen zierliche halberhabene Säulenbündel empor, die sich schönen schlanken Bäumen gleich wie in eine Fülle feingegliederter Aeste verzweigten. Oben verschlangen sich die Zweige wieder und bildeten die Decke, von welcher wie durch ein riesenhaftes Laubdach goldene Sterne auf azurblauem Grunde heruntersahen. Zu beiden Seiten des Saales reihte sich Gemach an Gemach, jedes gleich anmuthig und jedes wieder in anderm Sinne und andern Farben geschmückt. Die Eingänge zu denselben bildeten hohe, spitzbogige Pforten, durch deren halb zurückgeschlagene Gardinen man das Innere wie eine Blume in reicher Blätterverhüllung wahrnahm. Wenn das Auge jedoch an diesen bunten Gestaltungen gesättigt vorübergeglitten war, blieb es immer mit erneutem Wohlgefallen an der Mittelwand des Saales haften, welche, dem Eingange und dem dahin führenden kolossalen Treppenhause gegenüber liegend, auch die Mitte und den Augenpunkt des ganzen Gemäldes bildete. Hier stieg eine Estrade empor, die aber sammt den hinaufführenden Stufen so kunstreich hinter grünem lebendigen Gesträuch verborgen war, daß sie das Ansehen eines allmälig ansteigenden, reizend bebuschten Hügels hatte. Auf der Estrade selbst war Alles in einen Garten voll Duft und Blüte umgewandelt, sodaß man sich wirklich ins Freie und in die mildere Luft einer wärmern Zone versetzt glauben mochte. Inmitten des Gartens war unter einer Art von Zelt der Platz für den Herzog und dessen Umgebung bereitet; vor demselben hob ein Springbrunnen von wohlriechendem Wasser seinen blitzenden Strahl, und über die Zelttücher ragten die saftigen Laubgruppen der Magnolie zwischen den breiten Schirmen von Fächerpalmen empor. Zu beiden Seiten des Zeltes wurde das Gebüsch, belebt durch Blüten von den reizendsten Färbungen, immer dichter und bildete so mehrere, ebenfalls zu Sitzen eingerichtete Bosquets. Gerade gegenüber, oberhalb des Eingangsthors, auf hoch schwebendem Altan befand sich das Orchester.

Eben jetzt rauschte ein prächtiger lockender Walzer herab und machte die Tanzlust des jüngern Theils der Anwesenden aufs neue rege, noch immer aber verzögerte sich die Ankunft des Herzogs und mit ihr der Beginn der ersehnten Lust. Die Damen bildeten eine glänzende Reihe um den ganzen Saal herum. Bunt durcheinander, wie eben der Zufall sie gesellt hatte, saß das schlichtere Bürgermädchen neben den Beamtens- und Offizierstöchtern und den Fräuleins aus den adligen Geschlechtern des Landes. Vor ihnen drängten sich die jüngern Männer, ihre Bekannten aufsuchend und bemüht, die gefundenen zu unterhalten, sich um irgend ein freundliches Wort oder um die Zusage eines der bevorstehenden Tänze bewerbend.

Die Mitte des Saales nahm eine große Gruppe älterer Männer ein, ebenfalls bunt gemischt, aber äußerlich ununterscheidbar, denn alle waren einfach schwarz gekleidet, einem bestimmten Wunsche des Herzogs gemäß, der hieran die Zusage seines Erscheinens geknüpft hatte.

In der linken Ecke des Saales saß Ulrike, prachtvoll in rosenrothe Seide gekleidet, im Gespräch mit einigen Frauen. So auffallend ihre ganze Erscheinung schon vermöge ihrer Schönheit war, so hatte doch auch der Brillantschmuck, den sie in den dunklen Haaren und um den Nacken trug, nicht wenig Theil daran, daß sich eine Menge theils neugieriger, theils neidischer Blicke auf sie richteten. Sie schien sich auch des sieghaften Eindrucks, den sie machte, bewußt zu sein, denn manchmal während des Gesprächs irrte ihr Blick über die Versammlung hin, als wollte sie sich überzeugen, daß sie bewundert werde, oder als suche sie etwas.

»Aber meine Liebe, Beste«, sagte die Kanzleidirector von Werding jetzt zu ihr, »das geht denn doch zu weit! Eine junge Frau von Ihrer Stellung und mit Ansprüchen wie Sie muß nicht leben wie eine Nonne. Sie müssen in der Welt leben, in der großen Welt! Ich kann mir wohl denken, daß Ihre Schwiegermutter, die Frau Räthin, Sie gern zu einem solchen Hausheimchen machen möchte, wie sie selber ist, aber die gute Dame gehört dem vorigen Jahrhundert an und ihre Ansichten vollends dem vorvorigen. Oder wäre der Herr Gemahl so sehr Egoist, daß es ihm nicht schmeichelte, seine schöne Frau bewundert zu wissen?«

»Sie thun mir Unrecht, Frau Director«, erwiderte Ulrike erröthend, »und meinem Manne nicht minder. Mir schmeicheln Sie und ihm treten Sie zu nahe. Friedrich würde es sehr gern sehen, wenn ich mehr an den Unterhaltungen der Gesellschaft Theil nähme, leider erlauben ihm aber seine vielen Geschäfte nicht –«

»Ei, was schadet das«, wendete die erstere ein. »Wofür hätten wir uns denn kennen gelernt? Kommen Sie nur fleißig zu mir, Sie wissen, ich mache ein kleines Haus, da lernen Sie Alles kennen, was zur feinen Welt gehört. Ihr einförmiges Leben soll dann bald mehr Abwechslung erhalten.«

»Sie sind außerordentlich gütig«, lächelte Ulrike, »ich weiß wirklich nicht –«

»O machen Sie nur keine Umstände! Es ist mir ein wahres Herzensvergnügen, Sie überall einzuführen. Ah, sehen Sie da die kleine dicke Dame im braunen Sammtkleid, die eben mit jenem alten Herrn auf uns zukommt? Das ist die Frau Generalin Helmhang, eine Dame, die unstreitig die eleganteste Gesellschaft bei sich sieht. Mit der will ich Sie doch gleich bekannt machen.«

Sie traten der bezeichneten Dame entgegen und das Gespräch ging in die allgemeinen Redensarten über, mit denen in der feinen Welt derlei neue Bekanntschaften angeknüpft zu werden pflegen.

Die Lünette ins Auge geklemmt, hatte währenddessen auch der junge Graf Schroffenstein Ulrike zum Gegenstande seiner Beobachtungen gemacht und theilte diese einem jungen Manne mit, in dessen Arm er den seinen gelegt hatte.

»Das muß dem Parvenü übrigens der Neid zugestehen«, flüsterte er, er hat Geschmack! Das Weib ist in der That bezaubernd! Sieh nur, Adelhoven, diese Taille, diese Büste!«

»Je nun«, entgegnete der Angeredete etwas trocken, »sie ist nicht übel!«

»Was, nicht übel? O Du Idiot!« rief Clemens entgegen. »Es ist ein Weib wie eine Houri – und nicht übel! Doch ich weiß ja, Du bist in dem Punkte nicht zurechnungsfähig. Wenn es ein Rassepferd oder ein Jagdhund wäre!«

»Dann würde ich Dir ein sachverständiges Gutachten abgeben«, antwortete Adelhoven, »so aber kann ich Dir Weiber-Enthusiasten freilich nicht verhehlen, daß mir dieser Schmuck größerer Aufmerksamkeit würdig erscheint als seine Trägerin!«

»Immer schöner!« lachte Clemens. »Du bist und bleibst unverbesserlich!«

»In meiner Familie ist eben der praktische Sinn zu Hause, den ich habe, und so kann ich mich des Gedankens nicht enthalten, daß dieser Schmuck – sage, ist der neue Allmächtige reich, oder hat die Houri, wie Du sie nennst, ihm Vermögen zugebracht?«

»Ich weiß das nicht; nach dem, was ich hörte, ist keins von Beidem der Fall.«

»Woher dann ein so reicher Schmuck?« fuhr Adelhoven fort.

»Quäle Deinen Witz nicht mit Muthmaßungen« entgegnete Clemens. »Es ist ein Hochzeitsgeschenk des Herzogs; ich weiß es von dem Lakai, der ihn besorgen mußte.«

Um den Mund des jungen Adelhoven zuckte ein ungemein spöttisches Lächeln. »Ein Hochzeitsgeschenk? Für den Mann oder die Frau? Oder durch den Mann für die Frau? Hat Seine Durchlaucht etwa Deine Houri schon früher gekannt?«

»Keineswegs, sie kam ganz fremd hierher. Hältst Du mich für einen solchen Stümper im Combiniren, daß mir ich dann nicht Manches zu erklären wüßte?«

»Nun, nun«, fuhr der Andere fort, »was nicht ist, kann werden. Glück zu! Der Parvenü hat nicht nur den Geschmack, den Du rühmst, er hat auch Menschenverstand. Horch, was gibt's da unten?«

Clemens blickte flüchtig hin und bemerkte, daß Alles sich nach dem Eingange wandte und an demselben ein vermehrter Andrang entstand. »Ohne Zweifel ist der Herzog angekommen«, sagte er. »Gott Lob, daß er endlich da ist. Nun will ich nur machen, daß er mich sehen muß; wie die Sachen einmal stehen, möchte ich nicht, daß er mich für einen Gegner hielte. Dann aber will ich fort aus dieser Atmosphäre, die mir zu ordinär ist – brr – es riecht ordentlich bürgerlich hier.«

»Wo willst Du hin?« fragte Adelhoven.

»Komm' nur mit«, sagte Clemens, »ich stehe Dir dafür, daß Du dich amüsirst. Wir wollen uns für die Langeweile hier entschädigen. Willst Du mich, wenn wir im Gedränge getrennt werden sollten, in einer Viertelstunde dort unter dem Kronleuchter am Haupteingange treffen?«

»Meinetwegen«, erwiderte Adelhoven. »Ich muß wohl mit Dir gehen, damit ich doch weiß, weshalb ich mich bei der besten Jagdzeit von meinem Gute hereinlocken ließ.«

Sie trennten sich. Inzwischen war der Herzog, von den Behörden der Stadt am Fuße der Treppe empfangen, in den Saal getreten. Donnerähnliches Geschrei und Fanfarengeschmetter begrüßten ihn. An Friedrich's Seite, der ihm gleichfalls entgegengeeilt war und den er mit absichtlicher Auszeichnung aufs freundlichste begrüßt hatte, durchschritt er die glänzenden Reihen und nahte dem Aufgang zur Estrade. Als er die Stufen betreten wollte, erblickte er Ulrike und hielt den Schritt eine Sekunde an; dann wendete er sich mit gewinnendem Lächeln zu Führer. »Lassen Sie den Ball beginnen, mein Bester«, sagte er. »Ich will die allgemeine Freude nicht noch länger verzögern, und hier ist meine Tänzerin!«

Damit trat er vor Ulrike hin, die, kaum eines Wortes mächtig, mit hochglühenden Wangen ihm die erbetene Hand reichte. Sie bebte wie fieberisch und schritt, während eine feurige Polonaise von dem Altan herunter lockte, mit niedergeschlagenen Blicken an der Seite des Herzogs hin. Die Paare reihten sich an und der Zug durch den Saal begann.

Clemens und Adelhoven hatten die Aufforderung Ulrikens durch den Herzog mit angesehen. Beide wechselten ein paar bedeutungsvolle Blicke. »Was sagst Du nun?« flüsterte der Baron mit zurückgehaltenem Lachen.

Clemens zuckte die Achseln und beide traten seitwärts unter die Zuschauer.

Indessen hatte der Herzog nicht versäumt, mit Ulrike eine Unterredung zu beginnen, die er seit seinem ersten Zusammentreffen mit ihr in Führer's Hause gewünscht hatte.

»Ich muß meinem guten Stern danken«, sagte er, »der mir diesen Weg leerer Förmlichkeit durch eine so reizende Partnerin vergütet! Dürft' ich nur hoffen, daß meine Kühnheit Sie nicht unangenehm berührt hat.«

»Durchlaucht –« stammelte Ulrike.

»Ich sage das nicht ohne Absicht. Die Ereignisse haben Sie nun wohl schon lange aufgeklärt, daß, als ich jüngst zum ersten Mal das Haus meines Freundes betrat, ich nicht entfernt daran denken konnte, Sie dort zu finden; dennoch fühlen Sie gewiß mit mir, daß es zwischen uns noch einer Erklärung bedarf. Können Sie«, fuhr er fort, als Ulrike noch immer schweigend zur Erde blickte »können Sie mir verzeihen?«

Ulrike hatte sich endlich so weit gesammelt, um ihm antworten zu können. »Verzeihen?« sagte sie. »Ich wüßte nicht – «

»Sie schonen mich – ich danke Ihnen; aber ich weiß nur um so mehr, daß ich Sie um Verzeihung zu bitten habe. Mein Betragen in früherer Zeit gegen Sie mußte Sie beleidigen.«

»Eure Durchlaucht legen einer längst vergessenen Sache zu großen Werth bei«, antwortete Ulrike, schon gefaßter. »Eure Durchlaucht kannten mich nicht, wußten nicht –«

»Ja, das ist es. Sie sprechen es aus: ich wußte nicht, welche Perle ich gefunden und mir doch entreißen ließ. Hätte ich Sie gekannt wie jetzt, da ich Sie wiederfand, keine Macht der Erde hätte mich von Ihnen getrennt.«

»Nicht weiter, Eure Durchlaucht«, flüsterte Ulrike in neuer Verwirrung. »Was soll die Gattin Ihres Freundes darauf erwidern?«

»Gattin! Gattin! Daß ich Sie als solche wiederfinden mußte! Aber antworten Sie mir nichts, ich begehre es nicht, ich will es nicht; nur mich lassen Sie reden, lassen Sie sich sagen, wie sehr ich den Freund beneide!«

Ulrikens Befangenheit war aufs höchste gestiegen, dennoch sah sie klar genug, um zu erkennen, daß jetzt der Augenblick gekommen war, das Entgegenkommen des Herzogs auf eine Weise abzuwehren, die der Ehre ihres Gatten wie der eigenen Würde gebührte. Sie wollte es auch, dennoch fühlte sie sich von der Leidenschaft des Herzogs so sehr geschmeichelt, daß sie ihn nicht geradezu verletzend abweisen wollte, und in diesem Schwanken verstrich der rechte Augenblick. Sie schwieg; sie empfand, daß es ihr nicht geziemte, jetzt zu schweigen, aber sie schwieg.

Auch der Herzog war in einem innern Zwiespalt zwischen der rasch aufwallenden Neigung und dem Gefühl seiner Pflichten dem Freunde gegenüber. Ein ernstes, entscheidendes Wort aus Ulrikens Munde hätte ihn vielleicht für immer abgehalten, mehr zu sagen, ihre stumme Verwirrung ermuthigte ihn.

»Ich hätte Sie nicht wiedersehen sollen«, fuhr er mit um so wärmerem Tone fort, als ihn die Oeffentlichkeit des von tausend Augen beobachteten Gesprächs nöthigte, äußerlich dessen Inhalt durch die gleichgültigste Haltung zu verbergen. »Ihre Nähe ist mir gefährlich, sie hat mir gezeigt, daß das, was ich einst gleich beim ersten Anblick für Sie empfand, nicht die rasch verfliegende Neigung des Augenblicks war; es war Liebe, Liebe, die nun um so heftiger in mir auflodert, je hoffnungsloser sie ist.«

Ulrikens Lippen bewegten sich, als versuchte sie zu sprechen, allein es wurde kein Laut hörbar.

»Der Tanz und mein Glück mit ihm geht zu Ende«, begann der Herzog wieder. »Zürnen Sie mir nicht, wenn auch meine Bitte um Verzeihung von einem neuen Frevel begleitet war. Vergessen Sie, was ich mich zu sagen erkühnte und was ich doch gesagt zu haben nimmermehr bereue.«

Damit rauschte die Polonaise zu Ende. Der Herzog hatte die letzten Worte mit so lächelnder Miene gesagt, als wären sie das argloseste Compliment; jetzt verbeugte er sich artig vor Ulrike und führte sie ihrem Gatten entgegen, der hinzutrat und mit dem er sogleich, ihn beiseite führend, ein munteres gleichgültiges Gespräch begann.

Der Ball ging nun seinen ungehinderten Gang. Auf den Schwingen des Walzers flogen bald die Paare durch den Saal. Ulrike fehlte nicht darunter; ihre Schönheit, ihre Stellung und die ihr vor allen gewordene Auszeichnung machten sie zur vielfach beneideten und nicht weniger bekrittelten Königin des Abends. In der Zerstreuung des Tanzes gelang es ihr nach einiger Zeit, ihre vollkommene Unbefangenheit wieder zu erhalten, dennoch hatten die Worte des Herzogs ein Echo in ihrer Brust geweckt, das nicht so bald verhallte.

Nachdem der Herzog mit den Stadtbehörden gesprochen, die schöne Verzierung des Saales gelobt und von der Estrade aus einige Zeit dem Tanze zugesehen hatte, verließ er, ohne Aufsehen zu erregen, den Ball. In erregter Stimmung kam er im Schlosse an, und es währte lange, bis es dem Schlafe gelang, die Bilder und Erlebnisse des Abends, besonders Ulrikens Bild, in seine Wellen unterzutauchen.

Friedrich, der nicht tanzte, war Ulrikens wegen genöthigt, noch zu verweilen. Er unterhielt sich eine Weile damit, die tanzenden Paare an sich vorübergleiten zu lassen, als sein Blick plötzlich von einer Gestalt gefesselt wurde, welche ihm bekannt schien. Er folgte ihr mit den Blicken, wie sie den Saal hinunterschwebte; jetzt wendete sie sich, jetzt kam sie an der andern Seite herauf, jetzt mußte ihr Gesicht sichtbar werden.

Friedrich hatte recht geahnt, es war Primitiva.

Ein schwarzes Sammtkleid umschloß die hohe Gestalt und ließ die anmuthigen Formen in der schönen ebenmäßigen Bewegung des Tanzes doppelt edel hervortreten. Das reiche lichtblonde Haar war malerisch um die feine, durchsichtige Stirn gewunden und am Nacken in einen Knoten geschlungen; eine Moosrose vor der Brust und das hinreißende Lächeln, das um den Mund spielte, waren der einzige Schmuck, den sie trug. Führer's Herz klopfte heftiger bei dem Anblick; es war, als ob sich das Blut plötzlich an seine Quelle zurückdränge, um die Nähe eines tief befreundeten Wesens anzukündigen. Einen Blick noch sandte Führer der schönen Erscheinung nach, dann wandte er sich wie unwillig ab, als wollte er mit dieser Wendung auch deren Einfluß von sich ablenken. »Was für ein schwaches, hinfälliges Gewebe ist des Menschen Herz!« sagte er zu sich selbst. »Sie ist mir fremd, ist mir nichts als eine liebe Erinnerung, und doch welcher Aufruhr in meinem Innern, wenn ich sie nur erblicke! War es nicht auch jüngst so, als sie in das Gemach des Herzogs trat? Habe ich nicht einmal so viel Macht über mich selbst, mich von einer solchen Thorheit nicht bewältigen zu lassen? Ich will sie nie, nie wiedersehen!«

Ein Begegnen mit einem ihm entgegentretenden Bekannten unterbrach das innere Selbstgespräch und zog ihn von diesen Gedanken ab.

Mittlerweile waren sich in dem Gedränge auch der alte Graf Schroffenstein und General Bauer begegnet. Ihre Unterhaltung drehte sich, soweit es die Umgebung zuließ, wie gewöhnlich, wenn sie sich trafen, um die neuen Veränderungen im Staate und deren einhellige Mißbilligung. Eben war der General im Begriffe, nach seiner Weise in Zug zu gerathen, als er sich selbst mit der Frage unterbrach: »Sagen Sie mir nur, Graf, wer ist jener große Mann dort mit der kahlen Stirn und dem weißen Haar? Er kommt eben auf uns zu; ich habe ihn schon öfter gesehen und getroffen, konnte aber nie erfahren –«

»Das ist ein reicher holländischer Kaufmann«, erwiderte der Graf. »Wenn ich nicht irre, ist er aus Batavia. Er hat sich von den Geschäften zurückgezogen und quält sich hier, seine Reichthümer anzubringen. Ich bin mit ihm bekannt und will Sie ihm vorstellen; es ist ein interessanter Mann, der sehr ausgebreitete Verbindungen hat, aber strenger Katholik; er heißt van Overbergen.«

Der Genannte trat zu den Beiden, wurde dem General vorgestellt und begann dann, zu Schroffenstein gewendet: »Es thut mir leid, Herr Graf, daß ich meine Zusage noch nicht zu erfüllen vermag. Ich habe erst heute mit dem Rathe gesprochen, dem die Untersuchung übertragen ist. Auch er ist leider noch nicht so glücklich gewesen, die mindeste Spur der verwegenen Diebe zu entdecken.«

»Wovon reden Sie?« fragte der General, während sich Schroffenstein achselzuckend zum Danke verneigte. »Von dem Diebstahle, der in Ihrem Palais verübt wurde, nicht wahr? Ich habe davon gehört. Die Kerle hatten ihre Zeit vortrefflich gewählt. Sie dachten wohl, daß in der allgemeinen Aufregung Niemand auf so etwas Acht haben werde. Es war ja in der bewußten Festnacht, als die öffentliche Ausspeisung stattfand, nicht wahr? Und sind Sie stark beschädigt worden?«

Schroffenstein bejahte. »Der Schaden«, fuhr er fort, »wäre indessen zu verschmerzen. Ein paar Kleinodien, das ist Alles. Aber die Diebe haben mir auch Papiere genommen, die, obwohl für sie völlig werthlos, für mich von größter Bedeutung sind. Es sind höchst wichtige Familienpapiere, Urkunden über alte Gütererwerbungen. Niemand, selbst mein Sohn nicht, wußte davon, daß sie existirten, sonst könnte ich beinahe auf den Gedanken kommen, als sei es bei dem ganzen Einbruch blos auf die Papiere abgesehen gewesen!«

»Das ist wohl nicht denkbar«, erwiderte Overbergen, indem sein durchdringender Blick fest auf Schroffenstein haftete. »Wie Sie sagen, wußte Niemand außer Ihnen um deren Vorhandensein.«

»Dann bekommen Sie die Papiere auch ohne Zweifel wieder«, begütigte der General. »Die Diebe sind dumme Teufel gewesen und werden wunder gedacht haben, welchen Fang sie machen. Haben Sie aber erst gesehen, daß er ihnen nichts nützt, so werden sie suchen, sich den gefährlichen Besitz vom Halse zu schaffen.«

»Wohl möglich«, bemerkte Overbergen, und wieder ruhte sein Auge forschend auf dem Grafen. »Es ist dabei nur erwünscht, daß die Papiere, wie Sie sagen, nur für Sie Werth haben, daß also nicht zu besorgen ist, daß sie in unrechte Hände kommen.«

Der Graf zuckte zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten. »Freilich, freilich«, rief er dann mit verlegenem Lachen. »Ich bin auch überzeugt, daß die Gerichte die Sache herausbringen.«

»Auch ich glaube das«, erwiderte Overbergen mit Bedeutung. »Ich habe, wie Sie wissen, allerlei Connexionen und werde nicht ruhen, bis ich Ihnen sagen kann: Die Papiere sind gefunden.«

»Sie sind allzu gütig, mein Herr«, antwortete Schroffenstein. »Ich bin wirklich in Verlegenheit, wie ich für so viele Aufmerksamkeit mich dankbar erweisen soll.«

»O reden Sie nicht davon«, rief Overbergen verbindlich, »es macht mir Vergnügen, Ihnen dienen zu können. Wollten Sie mir vielleicht die Ehre erzeigen und übermorgen bei mir speisen? Bis dahin könnte ich vielleicht im Stande sein, Ihnen Mittheilungen zu machen. Vielleicht weisen auch der Herr General meine Einladung nicht zurück?« fuhr er, gegen diesen gewendet, fort. »Wir werden ganz unter uns sein. Ich schätze mich sehr glücklich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. In Zeiten, wie die jetzigen, gibt es ja der Dinge genug, die werth sind, im Vertrauen unter Männern besprochen zu werden.«

Die Beiden sagten zu und man trennte sich.

Inzwischen war Friedrich, allgemach von dem immer wiederkehrenden Einerlei ermüdet, in eins der Seitengemächer getreten. Während des Tanzes war es hier leer und still; er hoffte deshalb einen ruhigen Augenblick der Erholung zu finden. Eben wollte er sich auf ein Sopha neben der dicht verhüllten Fensternische niederlassen, als die Vorhänge zu rauschen begannen und sich theilten.

Er erhob sich wieder und stand vor Primitiva.

»Sie hier, mein Fräulein?« rief er überrascht. »Entschuldigen Sie mein Herzutreten. Ich wußte nicht –«

»Nichts davon«, erwiderte Primitiva und ihre schönen blauen Augen richteten sich mit wohlwollendem Ausdrucke auf Friedrich. Sein Herz erbebte vor dem Blicke und von dem Tone dieser süßen Stimme, der über ihn so viel Gewalt hatte.

»Wir haben beide die Einsamkeit gesucht, und dieser Zufall söhnt mich damit aus, daß ich mich bereden ließ, mit meiner Cousine, der Freiin von Ostenried, den Ball zu besuchen. Ich habe Sie vorhin wohl bemerkt, als ich der Tanzlust meines Neffen ein Opfer bringen mußte, und bin nun doppelt erfreut, Ihnen meinen Dank abstatten zu können.«

»Was sagen Sie!« entgegnete Friedrich. »Ich konnte ja nichts thun, es hat sich Alles anders gestaltet.«

»Ich danke Ihnen auch für den Willen«, fuhr Primitiva fort. »Ja, Sie haben Recht, es hat sich Alles anders gestaltet, als wir dachten, schöner, als wir hoffen konnten. Ich habe, seit wir uns zum ersten Male wiedergesehen, oft jenes Abschieds und des Gelöbnisses gedacht, das wir in der Begeisterung der ersten Jugend ausgesprochen. Sie haben rühmlich begonnen, Ihr Wort zu halten. Verzeihen, gönnen Sie mir den stolzen Gedanken, daß auch ich an dem, was Sie nun thun, einen Theil habe, daß Ihre jetzigen Handlungen die Frucht jener begeisterten Entschlüsse sind!«

In Friedrichs Seele ging Unbeschreibliches vor. Sein Auge begegnete dem Primitiva's und beide ruhten einen Moment in einander, als wollten sich die Seelen umarmen. Primitiva reichte ihm die Hand. »Fahren Sie fort, wie Sie begonnen haben«, begann sie. »Ermüden Sie, nicht! Es stehen Ihnen große, schwere Stürme bevor – aber horch, der Walzer ist zu Ende, wir müssen uns trennen. Leben Sie wohl, Friedrich! Scheuen Sie die Stürme nicht! Halten Sie aus und bleiben Sie sich selber treu.«

Sie verschwand.

Lange saß Friedrich, in tiefes Sinnen versenkt, einsam in dem Gemache. Eine Hand, die sich ihm auf die Schulter legte, brachte ihn aus seinem Brüten.

Ein Lakai in den Stadtfarben, wie sie zur Bedienung von den Behörden bestellt worden waren, stand vor ihm.

»Was wollen Sie?« rief Friedrich staunend.

»Erkennst Du mich nicht?« fragte der Bediente entgegen. »Hat mich's auch für Dich so sehr entstellt, daß ich mir den Bart schor und das Haar färbte?«

Friedrich traute seinen Augen kaum. »Du, Riedl, hier?« rief er endlich. »So bist Du nicht abgereist? Was soll die Mummerei?«

»Ich bin allerdings abgereist«, antwortete Riedl, »aber ich fand es für gut, insgeheim wieder umzukehren. Es geht hier zu Wichtiges vor, als daß ich wegbleiben könnte. Damit mich aber Niemand hier vermuthe, mußte ich mein Aeußeres etwas verändern. Diesen Abend habe, ich den Rock hier einem armen Teufel unter dem Vorwande abgekauft, als sei ich gar zu begierig, all die Herrlichkeiten hier zu sehen.«

»Welch unwürdiges Treiben!« rief Friedrich. »Was hast Du vor?«

»Das sollst Du erfahren, aber nicht jetzt, nicht hier. Noch ist nichts reif. In einiger Zeit werde ich einmal zu Dir in Deine Wohnung kommen und Dich zu sprechen verlangen. Verrathe dann nicht, daß Du mich kennst. Ich wollte Dich nur einstweilen begrüßen, da sich die Gelegenheit so günstig gab.«

Ehe Friedrich weiter in ihn zu dringen vermochte, war der Räthselhafte verschwunden.

Als Friedrich gegen Morgen mit Ulrike nach Hause fuhr, kamen sie auf die Unterredung des Herzogs mit ihr zu sprechen. Friedrich fragte arglos und gleichgültig nach dem Inhalt des Gesprächs. Ulrike, die diese Frage schon erwartet haben mochte, erwiderte, der Herzog habe sich mit ihr über ihre häusliche Stellung und über die schöne Ausschmückung des Saales unterhalten.

Schweigend, Jedes in seine Gedanken versunken, gelangten sie nach Hause.


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