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Drittes Kapitel.
Der erste Schritt

Wenige Wochen später war in dem Vorgemache, welches zu dem Prunksaale des Residenzschlosses führte, eine zahlreiche und ungemein glänzende Gesellschaft versammelt. Reich gestickte Beamtenanzüge wechselten mit bunten, prächtigen Soldatenuniformen. Zwischen beiden wurde hier und da, gleichsam als dunkle Folie, der schwarze Frack des schlichten Bürgers oder der Talar des Geistlichen sichtbar. Der bloße Anblick ließ erkennen, daß eine solche Versammlung eine außerordentliche Veranlassung haben mußte. Das Gefühl hiervon lag auch auf den Anwesenden, alle waren in unverkennbarer Bewegung, wenn auch die Sitte des Orts die gegentheiligen Muthmaßungen, in denen sich die Erwartung Luft machte, zu halbem Geflüster herabdrückte.

Eine von den Gruppen, die theils Zufall, theils Standesgleichheit gebildet hatte, stand zunächst der Eingangsthür in den Thronsaal in einer tiefen Fensternische. Es war General Bauer mit Graf Schroffenstein und dessen Sohn.

»Nun, was sagen Sie zu diesem Allem, mein Werthester?« begann Schroffenstein. »Was erwarten Sie von diesen Vorbereitungen?«

»Ich meine, das ist nicht eben schwer zu errathen«, erwiderte der Gefragte kalt. »Es wird ein Hauptstreich beabsichtigt. Es soll irgend eine Kundmachung geben, irgend ein neues Gesetz soll bekannt gemacht werden.«

»Und dazu sollen auch die Bürger geladen sein?« entgegnete Schroffenstein. »Unmöglich kann ich das glauben! Was hätte die Roture mit den Gesetzen zu schaffen?«

»Was?« lachte Bauer. »Haben Sie in den paar Monaten, seitdem Sie das Portefeuille abgaben, alle Staatskunst verlernt? Wissen Sie nicht, daß es jetzt an der Tagesordnung, ehe man den Unterthanen ein Gesetz gibt, sie fein höflich zuvor zu fragen, ob ihnen das Gesetz auch gefalle, ob Sie die Güte haben wollen, ihm zu gehorchen? Die neue Politik kehrt das Unterste zu oberst, darum ist jetzt der Bürger die Hauptsache und wir Andern alle, Adel, Beamte, Soldaten, sind nur dazu da, dem neumodischen Abgott das Faulbett recht bequem zu machen. Darum sind die Bürger auch heute hier, das Stück könnte nicht gegeben werden ohne sie; wir sind blos die Decoration zu der Komödie!«

»Sie geben ein treffendes Bild der neuen Ideen über den Staat«, sagte Schroffenstein, gezwungen lächelnd, »und doch denke ich, daß Sie zu schwarz sehen. Ich glaube nicht, daß Seine Durchlaucht so sehr von dem Gifte dieser Neuerungen influirt sind, dem Volke so weitgehende grundsätzliche Zugeständnisse zu machen. Er wird einige Verordnungen geben, von denen man viel Lärm und Aufheben machen wird, dabei wird es sein Bewenden haben! Und dann, wie sollte ein Gesetz kommen, das nicht im Staatsrathe berathen worden wäre?«

»Aber, mein goldener Exminister«, entgegnete Bauer, »merken Sie denn nicht, wie sehr wir sammt dem Staatsrath überflüssig geworden sind? Der Herzog ist Herr, unumschränkter Herr, was soll ihn zwingen, die bisherigen Formen zu beachten? Sein neuer Minister ist ihm Staatsrath genug!«

»Leider«, fiel der jüngere Schroffenstein ein, »leider glaube ich, daß der Herr General Recht behalten werden. Bei alledem aber hat der gewaltige Einfluß, den ein so unbedeutender Mensch auf einmal gewonnen, etwas Räthselhaftes! Hat man doch nie zuvor von ihm gehört!«

»Ihr Vater muß ihn kennen«, bemerkte Bauer mit unverhehltem Spott, »der junge Mann gehörte doch in sein früheres Departement.«

»Wenn auch!« antwortete dieser. »Wer könnte einem Minister zumuthen, daß er die Legion von jungen Leuten kennen soll, die angestellt sein wollen! Er soll ein paar gute Abhandlungen geschrieben haben. Man hielt ihn deshalb für den Lehrstuhl geeignet, den er ebenfalls zur Zufriedenheit ausgefüllt haben soll. Das ist Alles, was ich von ihm weiß.«

»Doch soll er Seiner Durchlaucht schon in Göttingen nahe gestanden sein«, erinnerte der Sohn.

»Die Beziehungen müssen denn doch nicht so sehr nahe gewesen sein«, antwortete der Vater, »sonst würde ihn der Herzog wohl nicht so lange Zeit gänzlich aus dem Auge verloren haben!«

»Es ist am Ende sehr gleichgültig«, rief der General, »wie er zu seiner jetzigen Stellung und Macht gelangt ist. Die Thatsache steht fest, er hat sie, und wenn nicht aller Anschein trügt, hat er auch Willen und Muth, sie vollständig zu benutzen.«

»Aber was thun wir, General?« entgegnete rasch Schroffenstein der Vater. »Können wir allein so müßig zusehen?«

»Das möchte auch ich fragen«, fügte der Sohn hinzu.

»Was wir thun, meine Herren?« fragte der General spottend entgegen. »Wir benutzen unsern Ruhestand, um Betrachtungen anzustellen über die Vergänglichkeit alles Irdischen, und nebenbei warten wir, ob nicht auch unsere Zeit wieder kommen wird.«

»Ah, sieh da, Herr Gerichtsrath Weber«, unterbrach der alte Schroffenstein das Gespräch und wendete sich dem Genannten zu, der mit unterwürfiger Verbeugung hinzugetreten war. »Wie gehen die Geschäfte? Eine solche Frage«, fügte er mit etwas hämisch verzogenem Munde hinzu, »müssen Sie wohl einem Manne zu gute halten, der so lange Ihr Chef war und sich an den Müßiggang noch nicht gewöhnt hat!«

»Eure Excellenz mögen überzeugt sein«, rief der Rath, »daß wir alle Dero Scheiden nicht ohne die tiefste Wehmuth sahen. Was den Dienst betrifft, so geht Alles in gleichem Gleise fort. Eure Excellenz wissen, daß der Geschäftsgang ein streng geregelter ist. Der Organismus greift so vielfach und fein in einander, daß es nicht möglich ist, so leichthin, wie vielleicht in andern Gebieten, einzugreifen. Es will allerdings verlauten, als habe der weiland Professor, dem die Gnade Seiner Durchlaucht nunmehr das Staatsruder anvertraut hat, auch hier allerlei neologische Ansichten und Reformen im Sinne.«

»In der That? Sie sagen mir da eine Neuigkeit. Und von welcher Art sollen diese Reformen sein?«

»Mein Gott«, replicirte der Gerichtsrath, immer in der Stellung tiefster Devotion verharrend, »Eure Excellenz kennen ja die Schlagworte, womit man die Einrichtungen des Auslandes nachahmen und die gute alte Themis von dem Sitze verdrängen will, den sie seit Jahrhunderten in Ehren behauptet hat. Mündlichkeit! Oeffentlichkeit! Schwurgerichte! Lauter Dinge, die man für neue Erfindungen ausgibt und die doch nichts sind als Ueberbleibsel aus dem alten jure germanico, durch die Praxis lange antiquirt und als unbrauchbar dargethan.«

»Was sehen Sie so betroffen und verlegen darein, Graf?« rief hier der General. »Nun werden Sie mir wohl bald Recht geben, daß nichts auf der alten Stelle bleiben soll? Wir können gehen, uns begraben zu lassen!«

»Allerdings!« sagte der Angeredete mit bedenklicher Miene. »Das wäre die tiefgehendste Veränderung! In dem Rechtsleben eines Volks laufen alle Wurzeln desselben zusammen. Und sind gewichtige Gründe da, welche solche Absichten vermuthen lassen?«

»Ich glaube dies bejahen zu müssen«, seufzte der Gerichtsrath. »Der Minister ist ein Theoretiker; solche verfallen gar zu gern der Lust, Versuche zu machen, über die der Praktiker lächelt. Die Praxis wird aber nicht dessen stärkste Seite sein. Ich kenne den Professor, den Minister will ich sagen, weil er einige Monate am Gerichtshof als Referendar arbeitete. Seine Vorträge hatten alle nicht den rechten juridischen Ton, den stilus curialis, sie ließen einen gewissen belletristischen Anflug nicht verkennen, der den echten Juristen anwidert.«

Der gewesene Minister lächelte. »Ich verstehe«, sagte er, »ich kenne das!«

Er wollte mehr sagen, wurde aber von seinem Sohne unterbrochen, der sich inzwischen abgewendet hatte und nun mit einem Fremden herzutrat. Es war ein sehr fein und modisch gekleideter Mann von mittlern Jahren, der das dunkle lange Haar gescheitelt trug und es rückwärts gekämmt in langen Locken den Nacken hinabfallen ließ.

»Entschuldigen Sie die Unterbrechung, mein Vater«, sagte der Hauptmann, den Fremden vorstellend. »Ich glaube, Ihnen Vergnügen zu machen, indem ich Ihnen eine interessante Bekanntschaft verschaffe: Herr Rigollet, Baukünstler aus Brüssel, von Seiner Durchlaucht mit dem Bau des neuen Lustschlosses beauftragt.«

Die Herren begrüßten sich. »Ich bin heute schon bestimmt, Neues zu erfahren, wie es scheint«, sagte Schroffenstein. »Seine Durchlaucht bauen ein neues Schloß?«

»So weit ist es noch nicht«, antwortete Rigollet mit etwas fremdländischem Accent. »Zur Zeit ist nur von dem Plane eines solchen Baues die Rede. Das Glück wollte, daß ich eben die Entwürfe zu einem in ähnlichem Sinne gedachten Prachtbau beendigt hatte und daß sie den Beifall Seiner Durchlaucht fanden.«

»Die Zeichnungen«, schaltete der Hauptmann ein, sollen an Pracht und Eleganz alles bisher Dagewesene überbieten.«

Der Künstler verneigte sich. »Sie schmeicheln«, sagte er; »es sind einige neue Ideen darin, das ist Alles!«

»Und wohin soll das Schloß zu stehen kommen? Wie soll es heißen?« fragte General Bauer.

»Der Ort ist sehr glücklich gewählt«, antwortete Rigollet. »Ohne Zweifel ist Ihnen die Anhöhe bekannt, welche kaum ein paar Stunden von der Stadt von den Ufern des Flusses aufsteigt und von dort terrassenförmig immer weiter gegen das Hochgebirge verläuft. Auf einem Hügelvorsprung ist eine Waldblöße weithin sichtbar, das ist die Baustelle. Dieselbe ist zur Anlegung eines Parks wie gemacht, und von dort aus wird sich nach der einen Seite eine reizende, kaum übersehbare Fernsicht über die Ebene bieten, während gegenüber waldige Berge den Horizont abgrenzen. Der Name ist meines Wissens noch nicht zur Sprache gekommen.«

»Natürlich«, fiel scherzend der Hauptmann ein, »der Name bleibt vorbehalten, bis irgend ein Anlaß, allenfalls die Vermählung Seiner Durchlaucht, zu der es doch bald kommen dürfte, ein Motiv gibt. Dann ergibt sich eine Sophienlust, eine Marienhöhe, eine Josephensruh wie von selbst!«

Man lachte. Das Gespräch wurde durch eine Bewegung im Saale unterbrochen, welche daher entstand daß der Oberkammerdiener Kündig eintrat und den Fourieren, welche die Thür des Thronsaals besetzt hielten, einen Befehl zuflüsterte.

Sofort öffneten diese die Flügelthüren, innerhalb deren der Ceremonienmeister erschien, mit seinem Stabe ein paarmal auf den Boden klopfte und dadurch das Zeichen zum Eintritt gab. Wie von selbst ordneten sich die Anwesenden ihrem Range und Stande gemäß in einen Zug, der unter feierlichem Schweigen die Schwelle des Saals überschritt.

»Lassen sich Eure Excellenz die Geduld nicht ausgehen«, flüsterte der alte Oberkammerdiener dem Grafen Schroffenstein im Vorbeigehen zu; »es kann noch eine gute Weile dauern, denn es geht Wichtiges vor.«

Während dieser Vorgänge schritt der neue Herzog in seinem Arbeitszimmer gedankenvoll auf und nieder. Das Gemach war reichlich mit Allem ausgestattet, womit moderne Lebenskunst den Menschen zu umgeben und das kleinste Bedürfniß zu einem angenehmen Genusse zu gestalten weiß. Der hohe luftige Raum erhielt durch zwei mächtige, fast von der Decke bis zum Boden reichende Krystallfenster solchen Ueberfluß an Licht, daß die breiten Gardinen von dunkelrother Seide, welche daran in schön geschlungenen Faltenwellen herniederfielen, eine sehr wohlthuende und angenehme Lichtbrechung hervorbrachten. Von den grünen, mit zierlichen Laubgewinden von gleicher dunklerer Farbe durchwirkten Tapeten der Wände hoben sich die im tiefsten Nußbraun polirten und mit schwerem dunkelrothen Damast bezogenen Möbel gefällig ab. Zu beiden Seiten des bequemen Arbeitstisches erhoben sich zierliche Schränke, mit einer Menge schön eingebundener Bände bestellt; über diesen hin standen, auf stattlichen Postamenten gereiht, Marmorbüsten berühmter Männer, den Eindruck des Ganzen zu einem ernstfreundlichen Charakter abrundend.

Inmitten des Zimmers stand ein großer runder Tisch, mit auseinander gerollten Bauplänen und Zeichnungen vollständig bedeckt.

Der Herzog selbst bot dem Beschauer ein Bild dar, welches zu der Schönheit und Eleganz der umgebenden Räume vollkommen paßte. Die prachtvolle militärische Uniform, die er trug, war vollkommen geeignet, das schöne Ebenmaß des ganzen Körpers aufs glänzendste hervorzuheben. Der Kopf mußte männlich schön genannt werden und hatte etwas Kriegerisches und Starkes, was an den verstorbenen Herzog, seinen Vater, erinnerte. Um den Mund schwebte jedoch ein Zug von fast mädchenhafter Weichheit, der den strengen Charakter des Ganzen milderte. Einen Menschenkenner möchte er wohl auf die Vermuthung gebracht haben, daß er ein Zeichen zu großer Lenksamkeit und zu leichter Empfänglichkeit für äußere Eindrücke sei. In dem Auf- und Abschreiten im Zimmer war eine gewisse unruhige Hast unverkennbar, doch war es weniger die Aufregung der Unentschlossenheit, welche sich kennzeichnete, als die ernstfreudige Spannung, mit der man an die endliche Ausführung eines lang gehegten, lieb gewordenen Gedankens geht.

Zuletzt blieb er vor den Plänen auf dem Tische stehen, und während seine Blicke den Linien der Entwürfe folgten, schien auch sein Geist nicht ungern auf die neue Gedankenreihe einzugehen.

So traf ihn Friedrich, welchen Kündig, als schon erwartet, unangemeldet eintreten ließ.

»Guten Morgen, lieber Führer«, redete ihn der Herzog an. »Sie werden verwundert sein, mich über solcher Beschäftigung zu treffen. Ich habe mich heute über jenen ernsthaften und großen Dingen recht müde gearbeitet.«

Er deutete dabei auf mehrere umfangreiche, mit großen Siegeln versehene Urkunden, welche auf dem Arbeitstische lagen. »Darüber«, fuhr er dann fort, »kam mir die Erholung gelegen. Wie finden Sie diese Entwürfe?«

Friedrich betrachtete selbe einen Augenblick. »Ich bin zu wenig Kenner«, sagte er dann, »um auf den ersten Blick hin eine gegründete Meinung abgeben zu können. Flüchtig angesehen scheint der Entwurf viel Eigentümliches zu haben.«

»Ganz meine Ansicht!« rief der Herzog. »Es ist einer der gelungensten Versuche, die Schönheiten der einzelnen Baustile in ein selbstständiges Ganzes zu vereinigen! Und doch ist es keine Musterkarte, doch ist Alles harmonisch verbunden und gegliedert!«

»Es scheint der Plan eines Schlosses zu sein?«

»So ist es. Die Entwürfe haben meinen vollsten Beifall und ich brenne vor Begierde, sie ausgeführt zu sehen.«

»Wie, Eure Durchlaucht wollten –«

»Ich bin entschlossen, das Schloß zu bauen, und zwar sogleich. Die gelinde Spätherbstwitterung ist den Vorbereitungen sehr günstig, der Baumeister ist da; wenn Alles nach Wunsche geht, muß der Bau in zwei Jahren vollendet sein.«

Der Fürst war wieder im Gemache auf und ab geschritten. Er schien eine Antwort zu erwarten. Als keine erfolgte, hielt er inne und betrachtete Friedrich, welcher nachdenkend und unverwandt auf die Zeichnungen blickte.

»Was denken Sie?« rief dann der Fürst. »Warum reden Sie nicht?«

»Ich denke«, erwiderte Friedrich, »daß es kaum möglich sein wird, einen solchen Prachtbau unter ein paar Millionen herzustellen.«

»Wohl möglich, doch haben Sie die Kosten mit dieser Summe ohne Zweifel zu hoch gegriffen. Es ist mir übrigens angenehm, daß wir darauf gekommen sind. Ich hatte mir vorgenommen, mit Ihnen darüber zu sprechen. Sie werden auf die Wege denken, den Bedarf auszumitteln und anzuweisen.«

Friedrich schwieg noch eine Sekunde. »Das kann ich nicht, Eure Durchlaucht«, sagte er dann fest. »Das ist unmöglich!«

Ueberrascht blieb der Herzog stehen und heftete den Blick fest auf den Kühnen, indeß die Röthe einer zornigen Aufwallung über seine Stirn ging. »Wie wäre das?« sagte er dann. »Unmöglich?«

Friedrich hielt ruhig den gespannten Blick des Fürsten aus. »So sagte ich«, erwiderte er, gleichfalls nicht ohne Bewegung. Er fühlte, daß er einem Zusammenstoße mit der Lieblingsneigung des jungen Herrschers entgegengehe. Während er jedoch zu sprechen fortfuhr, gewannen Stimme und Ton bald die gewohnte Sicherheit wieder.

»Eure Durchlaucht wissen«, sagte er, »daß ich es für das Nöthigste und Wichtigste hielt, beim Antritt des neuen Amts den Zustand der Finanzen des Landes gründlich und schonungslos zu untersuchen. Das ist einzig und allein der Boden, auf dem mit der Zuversicht auf Dauer gebaut werden kann. Ich habe Ihnen das Ergebniß dieser Untersuchung offen und ohne Rückhalt, wie ich sie vorgenommen hatte, mitgetheilt. Es war nicht erfreulich. Eine theils kurzsichtige, theils, ich sage es geradezu, unredliche Verwaltung hat die Einkünfte des Landes verringert, ja selbst die unversiegbaren Quellen auf lange Zeit hinaus belastet und verpfändet. Die Schuldenlast ist nahe bis zur Unerschwinglichkeit vermehrt und die Steuerkraft des Landes in einer Weise angespannt, die keinerlei Ansprüche mehr erträgt. Einen Beweis für diese traurige Wahrheit haben Durchlaucht selbst erlebt.«

Friedrich hielt inne. Der Herzog hatte sich in den Armstuhl vor dem Arbeitstisch geworfen und schwieg, die Hand vor die Stirn haltend.

»Die unabweislichste Forderung der Gegenwart«, fuhr ersterer nach kurzer Pause fort, »ist eine weise Sparsamkeit. Eure Durchlaucht haben das selbst eingesehen und gut geheißen, wie soll sich damit eine so große und, entschuldigen Sie meine Kühnheit, so ganz, überflüssige Ausgabe vereinigen lassen? Ich muß wiederholen, daß es eine Unmöglichkeit ist, aus den Staatseinkünften die verlangte Summe zu schaffen.«

Er schwieg. Auch der Herzog verharrte noch eine Weile wortlos in seiner vorigen Stellung. »In der That«, rief er dann sich unmuthig umwendend aus, »ich lerne das Leben eines Regenten von einer recht anmuthigen Seite kennen! Ein wahres Chaos von Arbeit und Mühe, um den lauten und stillen Ansprüchen nur halbwegs gerecht zu werden, eine wahre Hetzjagd von Sorgen, daß es allen und jedem nach Wunsche geht, der erste Wunsch aber, den ich aus Liebhaberei für mich selbst laut werden lasse, heißt eine Unmöglichkeit! Wenn ich für das Volk sorgen soll, darf ich nicht auch an mich denken? Kann ich es nicht?«

»Eure Durchlaucht sind unumschränkter Gebieter dieses Landes! Sie können, was Sie wollen. Aber Sie werden das nicht wollen. Die Liebhabereien der Fürsten sind nicht selten das Unglück der Nationen. Eure Durchlaucht werden wegen einer Liebhaberei nicht ernste große Zwecke des Volkswohls beeinträchtigt wissen wollen und doch würde dies unvermeidlich sein!«

»So bin ich, statt der Herrscher meines Volks zu sein, dessen Sklave!«

»Kennte ich die Grundsätze und Ansichten Eurer Durchlaucht nicht, so würde ich darauf erwidern, Jedermann ist in einem gewissen Sinne der Sklave seines Besitzthums. Er muß dessen Erhaltung um seiner selbst willen wünschen und muß deshalb auch Beschränkung ertragen, wenn sie zur Erhaltung förderlich ist. Ein kluger Oekonom wird von seinem Grundstück nicht einen höchsten Ertrag fordern, der es aussaugt, er wird sich lieber mit geringerer Ernte begnügen, von der er aber Nachhaltigkeit und Steigerung erwarten darf. Die Herrschergewalt ist einem solchen Besitzthum ähnlich. So würde ich sagen, Eure Durchlaucht, wenn ich nicht wüßte, daß Ihre Ansichten über den Beruf des Fürsten auf höhern als solch materiellen Grundlagen ruhen!«

Der Herzog erhob sich. »So wird es denn«, sagte er, wie ausweichend, »die Kunst allein sein, welche unter der Nothwendigkeit zu leiden hat!«

»Ich bin kein solcher Barbar«, entgegnete Friedrich, »daß ich die Rechte der Künste schmälern und ihre Stellung im Leben beinträchtigen wollte, aber ich scheue mich nicht zu sagen, daß sie nur ein heiteres, selbstgefälliges Spiel der gesättigten Kräfte, daß sie so zu sagen Luxus sind. Darum gedeihen sie am besten in den Zeiten des Friedens und verkümmern, wenn die Kräfte anderweitig zur Erhaltung oder zum Kampfe in Anspruch genommen sind. Es ist im Staatshaushalt wie in dem der Familie. Ein vorsichtiger Hausvater wird nicht Dinge des Schmucks, des Vergnügens kaufen, wenn noch Unentbehrliches zu decken ist! Ich möchte nicht mißverstanden werden, Durchlaucht! Was ich jetzt sage, gilt nicht für immer; nur jetzt, für einige Jahre ist ein solcher Lustbau, eine solche Ausgabe – eine Unmöglichkeit. In diesem Zeitraum wird sich der Haushalt regeln, es wird sich ein Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben herstellen lassen; dann, mit erstarkten Kräften, wird es möglich sein, auch das Ueberflüssige zu thun. Eure Durchlaucht besitzen manches schöne Schloß, manches reizend gelegene Gut – begnügen Sie sich damit bis zu diesem Zeitpunkt. Dann ist es nicht nur Zeit, Ihrer Neigung für die schöne Kunst thatsächlich zu huldigen, dann ist es Ihre Pflicht, es zu thun und den reizenden Blüten des menschlichen Genius ein sicheres Asyl zu bereiten. Dann mögen Sie Ihrem Volke, wie jetzt im Entschlusse der Entbehrung, auch in Förderung des Schönen vorangehen!«

Der Herzog hatte Friedrichs Worten sinnend zugehört. Jetzt trat er auf ihn zu, faßte ihn bei der Hand und rief: »Sie haben Recht, mein Freund! Ich danke Ihnen. Sagen Sie mir immer die Wahrheit, wie diesmal. Von dem Bau soll nicht mehr die Rede, sein.«

»Ein Entschluß«, rief Friedrich gerührt, »des Fürsten würdig, der im Begriffe steht, seinem Volke mit der Freiheit seine Menschenwürde zurückzugeben!«

»Schweigen Sie«, antwortete der Herzog, nichts mehr davon! Man wird uns bereits erwarten – lassen Sie uns denn gehen und das Werk beginnen! Nehmen Sie die Papiere!«

Friedrich näherte sich dem Schreibtische, um die dort liegenden Urkunden in Empfang zu nehmen.

In diesem Augenblick öffnete Kündig die Thür. »Ihre Durchlaucht, die Frau Herzogin-Mutter«, meldete er, und die greise Fürstin schritt, von Primitiva geführt, in das Gemach.

Ueberrascht trat ihr der Herzog entgegen. »Meine gnädigste Großmutter bei mir?« fragte er.

»Ich muß wohl zu Dir kommen, mein Kind«, erwiderte die Herzogin, »da Du den Weg zu mir verlernt zu haben scheinst. Ich habe viel mit Dir zu sprechen. Sind wir allein?«

»Außer meinem Minister, Herrn Führer, ist Niemand zugegen«, antwortete jener.

Die Herzogin zog die Augen geringschätzig zusammen und sagte, nach der Richtung gewendet, in welcher eine Bewegung des Genannten sie dessen Standpunkt vermuthen ließ: »Der Herr Minister werden die Güte haben, mir meinen Enkel, den Herzog, auf einige Augenblicke zu überlassen. Fräulein Falkenhoff, geben Sie mir einen Stuhl und erwarten Sie mich im Vorzimmer.«

Primitiva vollzog den Befehl. »Gehen Sie, Führer«, sagte der Herzog, »sorgen Sie, daß die Verzögerung nicht auffällt.«

»Setze Dich zu mir, Felix«, sagte die Herzogin, als das Schließen der Thür ihr verkündet hatte, daß sie mit dem Herzog allein war. »So dringend wird, was Du vorhast, nicht sein, daß Du an mir die Minuten absparen müßtest. Schreibe es Dir selber zu, wenn ich Dich störe und aufhalte. Wenn Du Vertrauen zu mir hättest und ich für Dich noch auf der Welt wäre, würde ich wohl eher erfahren haben, was mich jetzt zwingt, im letzten Augenblicke zu Dir zu kommen!«

»Ich glaube nicht, daß ich es an der gebührenden Aufmerksamkeit –«

»Aufmerksamkeit? O nein! Der Enkel hat sich gegen mich nicht vergangen, aber dem Herzog bin ich nicht mehr als eine alte blinde Frau, die sich mit ihren Ansichten überlebt hat!«

»Ich weiß in der That nicht –«

»Wo das hinaus will? Ich will Dich an das erinnern, was Du nie hättest vergessen sollen, daß Du nirgends einen größern Schatz von Erfahrungen, nirgends einen bessern Willen, Dir zu rathen, finden kannst als bei der alten Frau, die seit ein paar Menschenaltern auf der schwindelnden Höhe stand, auf der nun Du stehst! Oder bist Du so weise, keines Rathes zu bedürfen? Nein, denn Du hast Dir Deinen Rathgeber, einen Führer gewählt, der Dir zum Verführer geworden ist!«

»Aber, meine theuerste Mama –«

»Schweige und höre mich erst. Ehre mein Alter, wenn Du meine Einsicht nicht achten willst. Kind, Felix, Herzog, was muß ich von Dir hören! Du hast Dir einen bürgerlichen Rathgeber gewählt – sind die Reihen der edlen Geschlechter, die Deinen Thron umgeben, so sehr gelichtet, daß Du keinen unter ihnen Deines Vertrauens würdig fandest? Was kann Dir der Sohn des Bürgers rathen, der in der Niedrigkeit ausgewachsen ist? Aber nicht genug, Du willst sogar Hand anlegen an das uralte Gebäude des Rechts, willst einen Theil Deiner Herrschermacht in die Hände des Volks geben –«

»Nicht doch, das will ich nicht. Die Rechte meiner Krone sollen ganz und ungeschmälert bestehen, aber was dem Volke als solchem gebührt, die Rechte des Menschen, die ihm eine despotische Zeit entrissen hat, will ich ihm wiedergeben! In meinem Lande sollen Wort und Gedanken, sollen die Gewissen frei sein! Alles soll gleich sein vor dem Gesetz! Ein festes, bindendes Grundgesetz soll für alle Zeiten das Verhältniß zwischen Fürst und Volk regeln.«

»Genug, genug! Verschone mein ungewohntes Ohr mit diesen Thorheiten, die ich wohl aus Deinem Munde zuletzt hören sollte! Bist Du so neu in der Geschichte der Völker, oder hast Du ihren Sinn so wenig verstanden, daß Du nicht weißt, daß die Freiheit des Gedankens die Flut ist, welche, immer höher steigend, die Throne von der Erde spült? Und Du willst selbst die Schleußen öffnen, willst die Dämme abgraben, die unser treuester Bundesgenosse, der tausendjährige Glaube der Menschen, zu seinem und unserm Schutze gebaut hat?«

»Sie billigen meine Handlungsweise wider Willen durch Ihre eigenen Worte. Eben weil ich weiß, daß der Gedanke unaufhaltsam ist wie die Luft, weil ich das Heranbrausen seiner Fluten nicht überhöre, bin ich darauf bedacht, den Anprall zu mildern, indem ich das Bett ebne und dem Strome einen geregelten Lauf gebe!«

»Thue das! Thu', was Du kannst, aber thu' es nicht auf Kosten dessen, was besteht. Was einst werden soll und kann, ist ungewiß, was bereits besteht, seit Jahrhunderten und mit vollem Recht besteht, das hat ein Recht zu sein, das suche zu schützen. Beseitige, unterdrücke, was sich dagegen auflehnt, so wirst Du die Gefahr besser beseitigen oder doch um neue Jahrhunderte verzögern!«

Der Herzog erwiderte nichts, obwohl die Greisin inne gehalten.

»Warum schweigst Du«, fuhr sie dann fort, »wenn Du meinen Gründen zu begegnen vermagst? Du fühlst wohl, daß Du es nicht kannst; Dein Gemüth ist bereitwilliger, es zu empfinden, als Dein Kopf, es einzugestehen. Muß ich Dich noch erinnern, was Du Deinem Hause, Deinen Vorfahren und Deinen Nachkommen schuldig bist? Unumschränkt hast Du die Krone ererbt, willst Du sie entzweibrechen? Willst Du ein Stück davon dem Volke zurückgeben und sagen: Ich trug sie bisher mit Unrecht! Nehmt und laßt mich künftig mindestens zur Hälfte Euer Herrscher sein? Das darfst Du nicht!«

»Ich dürfte nicht?« warf der Herzog ein, der nicht ohne Theilnahme zugehört.

»Du darfst nicht! Aus keines Menschen Hand, frei, von Gottes Gnaden, wie das Leben selbst, hast Du die Krone. Darfst Du schmälern lassen, was Du Dir nicht gegeben hast? Darfst Du ein Juwel aus dem Dir unvertrauten Schatze verschenken? Darfst Du Deine einstigen Kinder um dieses Juwel verkürzen? Du darfst nicht – Du bist Gott und ihnen verantwortlich!«

»Ich denke, einst davor nicht beben zu müssen.«

»Bist Du so kühn? Und wenn Du schon hier unten zur Verantwortung gezogen würdest? Nach dem Aussterben unseres Hauses hat die Regentenfamilie unseres großen Nachbarstaats die nächste Anwartschaft auf den Thron dieses Landes. Glaubst Du, daß dies mächtige Geschlecht solche Veränderungen, wie Du sie beabsichtigst, ruhig mit ansehen, ihnen nicht entgegentreten werde? Du bereitest Dir Verwickelungen, die unabsehbar sind und unmöglich von gutem Ausgange sein können!«

Der Herzog sprang auf und schritt hastig hin und her. Obwohl sein Entschluß feststand, brachten die Worte der Herzogin dennoch eine unruhige Stimmung in ihm hervor, die er augenblicklich nicht zu bemeistern vermochte.

»Du bist bewegt, mein Kind«, fuhr die Herzogin nach einem Moment des Lauschens fort, »meine Rede hat also noch nicht alle Macht über Dich verloren! Laß Dir darum nur noch eins sagen! Wenn Du wirklich der Ansicht bist, dem Zeitgeiste etwas bewilligen und Deinem Regiment einen andern, mildern Charakter geben zu müssen, so thu' es, ich will Dich deshalb nicht tadeln, will sogar sagen, Du handelst vielleicht klug, aber thu' es nicht auf eine Weise, die Dich bindet! Thu' es nicht so, daß Du, was jetzt Dein freier Wille ist, dann gezwungen thun mußt. Wenn Du etwas gewähren willst, so laß es Deiner Gnade verdankt sein, nicht aus einem Rechte gefordert werden. Brauche Deine ganze Macht, um auszuführen, was Dir gut scheint, aber gib nicht die Macht selbst aus der Hand!«

»Sie bestürmen mich vergeblich, theure Mama«, rief endlich der Herzog. »Alles, was Sie mir sagen und sagen können, ist lange gesagt und überlegt worden, zudem ist es zu spät.«

»Nein, noch ist's nicht zu spät, noch hast Du das entscheidende Wort nicht ausgesprochen«, erwiderte hastig die Herzogin. »Sprich es nicht aus, ich bitte Dich, und Alles ist gut!«

»Ich kann nicht mehr zurück! Ich habe, wie Sie wissen werden, eine Versammlung von allen Ständen des Landes einberufen, um die Kundgebung meiner neuen Gesetze zu vernehmen. Sie warten bereits meiner, sie ahnen ohne Zweifel bereits, was vorgeht – können Sie fordern, daß ich jetzt noch zurücktreten und mich zum Gespötte machen soll?«

»Nimmermehr! Schlimm genug, daß es schon so weit gekommen! Thu' denn, was nicht mehr zu ändern ist, gib etwas, weil Du nicht mehr ganz zurücktreten kannst! Gib, wenn es denn sein muß, die Presse frei, bewillige, was Dir sonst gut dünkt, aber binde Dir die Hände nicht: behalte das Gesetz zurück, das Dein von Dir ausgesprochenes Wort über Dich setzen und Dich zum Unterthan Deiner Unterthanen machen würde – behalte Dir die gesetzgebende Gewalt.«

Sie schwieg. Nach einer Weile antwortete der Herzog: »Glauben Sie nicht, theuerste Mama, daß es Ihnen gelungen ist, meine Ueberzeugung auch nur im mindesten zu erschüttern. Wenn ich Ihnen gleichwohl nachgebe, soweit es mit meiner Ehre verträglich ist, so geschieht es lediglich, um Ihnen durch die That zu beweisen, wie hoch ich Sie schätze, wie sehr ich Ihre Einsicht verehre! Ich werde das Grundgesetz heute nicht bekannt geben, aber nicht um es für immer zurückzuziehen, sondern blos um es bei ruhiger Stimmung einer nochmaligen Berathung zu unterziehen. Sind Sie damit zufrieden?«

»Muß ich nicht?« entgegnete die Herzogin. »Ich habe mindestens Aufschub, Zeit gewonnen, und solange ich lebe und Du mich hören wirst, soll die Zeit gewiß nicht kommen, in der Du dies verhängnißvolle Gesetz bekannt machst. Ich danke Dir, mein Kind, und bin mit Dir zufrieden. Rufe meine Dame, nun wäre es Unrecht, wollte ich Dich länger aufhalten!«

Auf ein Zeichen des Herzogs erschien Primitiva, die Herzogin wegzugeleiten. Nach ihrem Abgänge trat Führer ein; unbemerkt von ihm und auch vom Fürsten nicht gesehen, folgte Kündig, in der halboffenen Thür stehen bleibend.

»Der Aufenthalt hat länger gewährt, als ich dachte«, redete der Herzog Friedrich an. »Lassen Sie uns nun eilen.« Damit trat er an seinen Schreibtisch, nahm die dort liegenden Urkunden zusammen und reichte sie Friedrich.

Friedrich überblickte dieselben. »Es sind nur drei Urkunden«, bemerkte er dann, »Eure Durchlaucht haben das Grundgesetz vergessen.«

»Nicht doch«, erwiderte der Herzog, indem er sich abwandte, seinen Federhut zu ergreifen. »Es haben sich mir einige Bedenken über die Fassung aufgedrängt, die ich erst noch mit Ihnen zu besprechen wünsche. Wir müssen uns für heute auf die Kundgebung der übrigen beschränken.«

»Ist es möglich, Durchlaucht? Jetzt noch Bedenken?« fragte Friedrich, indem sein Auge fest auf dem Herzog ruhte.

Dieser erwiderte den Blick, doch etwas unstät. »Suchen Sie nichts darin«, sagte er dann, »wir haben nur jetzt nicht Zeit, die Sache ins Reine zu bringen.«

»Die politischen Ansichten Ihrer Durchlaucht der Frau Herzogin-Mutter sind bekannt«, fuhr Friedrich bescheiden, aber fest fort. »Es kann Eurer Durchlaucht daher nicht auffallen, wenn es mich befremdet, daß diese Bedenken erst jetzt, unmittelbar nach einer Unterredung mit derselben, und so plötzlich hervortreten. Sollten Eure Durchlaucht –«

»Es ist nichts, sage ich Ihnen, mein Freund«, begann der Herzog. »Ich –« Er wollte fortfahren, als er den in der Thür stehenden Oberkammerdiener wahrnahm, über dessen Mienen, während er den Minister betrachtete, ein höhnisches, schadenfrohes Lächeln glitt.

»Was horchen Sie hier?« fuhr er den Erschrockenen an.

»Ich – ich wollte nur Eurer Durchlaucht melden«, stammelte dieser, »daß Eurer Durchlaucht Hofstaat im Vorsaal –«

Der Herzog sah ihn einen Moment durchdringend an. »Sie sind alt geworden, Kündig«, sagte er dann. »Sie haben meinem Vater lange treu gedient, dafür treten Sie von heute an in den so wohlverdienten Ruhestand.«

Stolz schritt der Herzog an dem Vernichteten vorüber. Diese Wendung, sowie das Herannahen schimmernder Hofuniformen, welche im Vorgemache durch die Thür sichtbar wurden, machten es Friedrich unmöglich, das vorige Gespräch fortzusetzen. Er folgte in ernster, sehr befangener Stimmung.

Im Saale angekommen, bestieg der Herzog, von der strahlenden Versammlung im Halbkreise empfangen, den Thron. Führer stellte sich ihm zur Linken auf die unterste Stufe desselben. Tiefes Schweigen der Erwartung herrschte rings, sodaß man fast jeden Athemzug zu belauschen vermochte.

Nach einer Pause, in welcher der Herzog seinen Blick mit befriedigtem Stolze über das glänzende Gedränge hinstreifen lassen, begann er:

»Meine Getreuen! Es ist das erste Mal, daß die Annalen unseres Vaterlandes eine Versammlung wie die gegenwärtige sehen. Ich habe Sie alle vor mich berufen, um Ihnen zu beweisen, wie gleich nahe Sie alle meinem Herzen sind, um Zeugen zu sein, wie sehr ich bestrebt bin, für das Wohl des Landes zu wirken. Ich bin in einer Zeit und unter Umständen auf diesen Thron berufen worden, wo es vor allem noth thut, daß mir mein Volk mit Vertrauen entgegenkommt! Damit es dies könne, will ich heute vor Ihnen die Grundsätze aussprechen, nach denen ich mit Gott zu regieren gedenke; ich will es dadurch, daß ich eine Reihe von Gesetzen verkünde, welche die Frucht dieser Grundsätze sind. Von heute an soll die Umgestaltung der Gerichte nach den Forderungen der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit beginnen, von heute an seien in meinen Landen die Gewissen, es sei die Presse frei!«

Lauter, schallender Zuruf unterbrach den Sprechenden, von Vielen aus wahrer, dankbarer Begeisterung, von den Uebrigen, um nicht aufzufallen und keine sichtbare Opposition zu bilden.

»Sehen Sie«, fuhr der Herzog fort, »hierin die Vorboten dessen, was ich noch mehr zu thun gedenke, und stehen Sie alle mit dem reinen Willen zu mir, mit dem ich jetzt diese Gesetzurkunden in die Archive des Landes niederlege!«

Friedrich überreichte dem Herzog die Urkunden, die dieser in Empfang nahm, einen Moment wie zur Bekräftigung an die Brust drückte und dann dem obersten Archivar übergab, der ehrerbietig vorgetreten.

In diesem Augenblick ertönte neuer stürmischer Zuruf. Zugleich donnerte auf ein gegebenes Zeichen eine Salve aus schwerem Geschütz von den Anhöhen der Stadt, und auf allen Thürmen begann festliches Glockengeläute, um die Kunde des Geschehenen in dröhnendem Klang in die Ferne zu tragen.


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