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Zweites Kapitel.
Aus der Jugendzeit

Auch in Friedrichs Hause war der Abend der allgemeinen Freude festlich begangen worden. Ein Familienereigniß, seine Vermählung mit Ulrike, hatte dazu noch den besondern Anlaß gegeben. Es waren einige Wochen seit Ulrikens Eintritt in das Haus vergangen, ehe die drückende Geschäftslast, mit welcher Friedrich in seiner neuen und ungewohnten Stellung überhäuft war, ihm gestattete, an die endliche Ordnung seines eigenen Hausstandes zu gehen. Endlich waren alle Vorbereitungen getroffen und der Augenblick war gekommen, wo der Segen des Priesters das Paar für immer verband. Nach der Trauung versammelte ein einfaches Mahl die Verwandten des Bräutigams, zu denen sich Manche gesellt hatten, welche ihm in dienstlicher Beziehung nunmehr näher gerückt waren. Alles war fröhlich gestimmt, und als gegen das Ende der Tafel der Champagner zu wirken begann, flogen Scherz und Gelächter wie elektrische Funken um den Tisch. Gleichwohl lag auf der ganzen Versammlung ein gewisser unheimlicher Druck, durch die Heiterkeit bebte etwas wie ein verstimmender Mißton. Selbst die Stimmung der Braut schien von diesen geheimen Einflüssen beengt. Sie war blasser als gewöhnlich und sah in dem weißen Gewande, den Schleier mit dem Kranze in den dunklen Haaren, ungemein reizend aus, nur ein leichtes, aber unverkennbares Wölkchen schwebte auf der Stirn. Auch die Mutter, die alte Frau Räthin, vermochte nicht aus der Beklommenheit loszukommen. Sie gedachte im Stillen des Tages, wo sie selber mit dem Manne ihrer Wahl so zusammensaß, der nun schon so lange in der Grube lag. Dann dachte sie, schwankend zwischen Hoffnung und Besorgniß, wieder an all das Glück und die Auszeichnung, die dem Sohne zu Theil geworden und noch zu Theil werden würde und die jener nicht mehr erlebt hatte, Und so schwamm ihr Herz von einem Strom der Rührung in den andern und vermochte nicht einen sichern Freudengrund festzuhalten.

Der Heiterste von allen war Friedrich. Seine Stirn lag faltenlos und frei und sein Auge ruhte, wenn es lächelnd den Saal durchflogen, auf Ulrike mit dem Ausdrucke der vollkommensten Befriedigung.

Er durfte das auch.

Wohl hatte das unvermuthete Zusammentreffen mit Primitiva ihn gewaltig erschüttert. Eine Reihe von Bildern war vor ihm aufgetaucht, die, obwohl lange in den Hintergrund seiner Erinnerungen gedrängt, nichts an Farbenpracht verloren, an Reizen eher gewonnen hatten. Das Ereigniß hatte ihn völlig unvorbereitet überrascht und er hatte so einen Blick in eine Gegend seines Herzens geworfen, die ihm bis dahin selbst völlig unbekannt gewesen war. Bei seinem klaren und ruhigen Wesen hatte es aber nur weniger Stunden bedurft, um sich aus der Traumwelt, die ihn umgeben, in die Wirklichkeit und zu deren Pflichten zurückzuleiten. Es lag ihm wie ein Vorwurf auf, der Seele, daß ein solches Wiederfinden ihn so ganz aus sich hinaus zu entrücken, daß es ihn Ulrikens wo nicht zu vergessen, so doch ihrer mit Widerstreben zu gedenken vermocht hatte. Sein innerer Kampf war kurz, und er hatte daher vollkommen recht geahnt, wenn er zu Ulrike, als ihr Primitiva's Bandschleife in die Hand gekommen war, sagte, er habe den Feind, der ihr beginnendes Glück bedrohen wollte, überwunden. Zu der innern Erhebung, von welcher dieser Entschluß begleitet war, gesellte sich zugleich mit der neuen Thätigkeit die Begeisterung für die Größe des ihm gewordenen Berufs; und so war das Licht, das aus seinen Augen zur Braut hinüberstrahlte, theils der Ausdruck des Muthes, mit dem er den bevorstehenden Schöpfungen und ihren Beschwerden entgegenging, theils sprach sich darin die Selbstzufriedenheit ob des ersten, mit sich selbst bestandenen Kampfes aus.

Mit Einbruch des Abends verließen die Gäste, der Reihe nach Glück wünschend, das stiller werdende Haus; nach dem letzten schloß Beppo, der alte Diener, vorsorglich wie sonst das Hofthor, und bald saß das Brautpaar, des herkömmlichen Prunkes entkleidet, in der traulichen Stille des Wohnzimmers mit der Mutter zusammen. Wer jetzt unvermuthet zu dem kleinen Kreise getreten wäre, hätte kaum errathen, welch wichtiges Fest so eben gefeiert worden.

»Nicht wahr, meine Tochter«, begann nach einer Weile die Räthin, »bei uns ist es beinahe wie in einem Kloster? Es muß Ihnen sehr ungewohnt vorkommen, einen Tag wie den heutigen so in der Einsamkeit zu beschließen.«

Die Wolke auf Ulrikens Stirn wurde merklicher. Friedrich, ohne dies zu beachten, überhob sie der Antwort.

»Ich gestehe Ihnen gern zu, liebe Mutter«, rief er, »daß die rauschenden Lustbarkeiten, mit denen man gewöhnlich diesen Tag umgibt, an sich bedeutungslos und keine besonders würdige Einleitung des beginnenden Hausstandes sind. Dennoch aber leugne ich nicht, daß auch ich unser Gebaren etwas zu alltäglich finde. Wäre es mir möglich gewesen, so hätte ich den Beginn unserer Ehe gern mit dem träumerischen Reiz umgeben, der in einer Hochzeitsreise liegt, in meiner jetzigen Gebundenheit muß ich mich nur glücklich schätzen, daß mein liebes Weibchen nicht nach solchen Dingen Verlangen trägt. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben!«

»Ja, mein Sohn«, entgegnete die Räthin. »Halte das, wie Du willst. Wenn es später geschieht, habe ich nichts dawider, aber so unmittelbar nach der Einsegnung in die weite Welt hinausfahren, wie es jetzt Brauch sein soll, das, das hättest Du mit meinem Willen gewiß nicht gethan. Das ist so eine leidige Mode der neuen Zeit, der es im Hause überall zu eng wird. Dafür hat sie es auch bald so weit gebracht, daß Alles, was in der Familie geschieht, außer dem Hause vorgeht und daß das Haus bald nichts mehr sein wird als ein gemeinsames Absteigequartier nach den immerwährenden Ausflügen. Nein, nein, bleibe man mir mit solchen Dingen vom Halse! Woher soll der Sinn und die Anhänglichkeit an Haus und Familie kommen? Ich dächte doch, der erste Tag des neuen Haushalts gehöre ins Haus und die Erinnerungen daran, die einen durchs ganze Leben begleiten, seien für die Landstraße oder ein Dorfwirthshaus zu heilig!«

Die würdige Frau hatte sich in Eifer geredet. Friedrich unterbrach sie lachend, während um Ulrikens Mund ein Lächeln spielte, das zwischen Beistimmung und Spott die Mitte hielt. »Erhitzen Sie sich nicht vergeblich, liebe Mutter«, rief der erstere. »Ihr Verweis trifft uns beide nicht und soll uns nie treffen können. An unserm einfachen Hausaltare wird das Glück weilen, und keins von uns wird es jemals anderswo suchen –«

Er wollte noch mehr sagen, aber Beppo's Eintritt unterbrach ihn. Derselbe kam, die Räthin abzurufen, denn es gab von der Unordnung des Tages noch Allerlei zu berichtigen.

»So sind wir endlich allein«, rief Friedrich, als sich die Räthin entfernt hatte, »zum ersten Mal, seit wir uns fürs Leben angehören, allein! O meine Ulrike, komm an mein Herz und fühle an seinem Pochen, wie diese Stunde mich beglückt.«

Er zog die neben ihm Sitzende zärtlich an sich. »Mein Friedrich«, hauchte sie und ihre Lippen schlossen sich zum innigsten Kusse an einander.

»Nun aber«, begann Friedrich nach einigen Augenblicken des seligsten Schweigens, »nun soll der erste Augenblick, wo nichts mehr zwischen uns steht, auch der letzte sein, der ein Geheimniß zwischen mir und Dir kennt. Ich bin Dir noch eine Erklärung schuldig.«

Ulrike sah ihn überrascht an und eine leichte Röthe flog über ihr Gesicht. »Ich weiß nicht, wovon Du sprichst«, sagte sie.

»Es ist freundlich von Dir, daß Du das sagst und mich nicht mahnst. Meine innere Mahnung ist darum um so dringender. Erinnere Dich des ersten Abends nach Deiner Ankunft: Du fandest, als ich nach den blutigen Auftritten jener Nacht nach Hause kehrte und eben im Begriffe war, abzureisen, eine Bandschleife bei mir, die Du nach allen Umständen wohl für ein Liebespfand halten mochtest. Ich mußte Dir damals, so schwer es mir ankam, die Aufklärung schuldig bleiben, weil mich die Pflicht des fremden Geheimnisses band. Jetzt bin ich von dieser Verpflichtung frei, jetzt darf, jetzt muß ich Dir Alles sagen!«

»Wozu?« entgegnete Ulrike, durch Friedrichs herzlichen Ton gewonnen, gleichfalls mit Wärme. »Ich habe nie ernstlich an Dir gezweifelt.«

»Nimm meinen Dank dafür«, fuhr Friedrich fort, »aber höre auch. Nicht blos kein ernstlicher Zweifel darf zwischen uns bestehen, auch der Schatten eines Gedankens muß weichen!«

Ulrike sah ihn mit einem langen liebevollen Blicke an. Ihre Lippen öffneten sich halb, als hätte auch sie etwas auszusprechen. Ehe sie dazu kam, begann Friedrich zu erzählen.

»Ich muß«, sagte er, »um Dir Alles erklären zu können, etwas weit in meine Jugendjahre zurückgreifen. Du weißt vielleicht aus frühern Erzählungen, daß ich meine Kindheit in einem kleinen Marktflecken verlebte, wo mein Vater damals ein untergeordnetes Amt bekleidete. Der Flecken lag hübsch am Abhange eines sanft ansteigenden Hügels. Ein kleiner Fluß bespült dessen Fuß, die Höhe aber deckt ein kleines, sehr freundliches Schloß. Das Schloß war Eigenthum einer alten adligen Familie, deren letzter Abkömmling sich mit den Trümmern eines vergeudeten Vermögens dahin geflüchtet hatte und nun dort in etwas menschenscheuer Zurückgezogenheit der Erziehung seiner beiden Kinder, eines Knaben von meinem Alter und eines etwas jüngern Mädchens, lebte. Die geringe Auswahl unter den Spiel- und Altersgenossen brachte es bald als etwas ganz Natürliches mit sich, daß ich und Karl, so hieß der Knabe, unzertrennliche Freunde und Gefährten wurden. Wir streiften halbe Tage lang im Park und in dem damit zusammenhängenden Walde herum. Bald sammelten wir Blätter, Moosarten und Gräser, wozu uns mein Vater Antrieb und Anleitung gab, bald träumten wir in den Schauern des Waldes und seinen Felsschlünden von Gefahren und Abenteuern. Nach einigen Jahren war auch das Mädchen so weit herangewachsen, daß es hier und da an unsern Streifereien Theil nehmen konnte. Es war ein bleiches, hohlwangiges Kind, dem man kein langes Leben versprach, und so das gerade Widerspiel ihres Bruders, der ein hübscher, kräftiger Knabe mit lebhaften Augen und von Gesundheit strotzenden Wangen war. Wir waren bald unzertrennlich, und das Mädchen, aller Gespielinnen entbehrend, nahm an unsern knabenhaften Unternehmungen wie ein Knabe Theil. Die Zeit, in welcher die Studien beginnen mußten, machte der kindischen Freundschaft ein Ende. Ich bezog mit Karl die nämliche Schule, und wie früher unsere Spiele, waren es nun die Gegenstände des Unterrichts, die uns, ohne dem herzlichsten Einvernehmen Eintrag zu thun, zu gemeinsamem Streben und gegenseitigem Wetteifer entflammten. Das Mädchen war natürlich im Schlosse bei ihrem Vater zurückgeblieben, und wir sahen uns ein paar Jahre hindurch nur in den Ferienmonaten, wo uns die Heimkehr in die gemeinsame Heimat wieder zusammenführte. Da begann denn auch immer wieder das alte Spiel. Wir waren die sorglosen, glücklichen Kinder wie früher und der Wald unser liebster Aufenthalt. Natürlich konnte es nicht fehlen, daß das inzwischen Erlernte in unsern Unterhaltungen eine Stelle bekam. Vieles davon war dem Unterrichtskreise des Mädchens völlig fremd, Vieles, was gemeinsam betrieben worden, hatte für sie eine Gestaltung erhalten, die uns überraschte. So entstand ein eigenthümliches, aber für uns höchst interessantes und anregendes Wechselverhältniß, eine Art von kinderhaftem wissenschaftlichen Verkehr, der, gegenseitig mittheilend, bildete und förderte. Daß dadurch unsere freundschaftlichen Beziehungen immer enger wurden, daß diese Ferienmonate das ganze Schuljahr hindurch einen Lichtpunkt der Erinnerung und der Sehnsucht bildeten –«

»Ich sehe die Sache kommen«, schaltete Ulrike mit etwas gezwungenem Lächeln ein.

»Du dürftest Dich leicht irren«, fuhr Friedrich fort. »Vielleicht wunderst Du Dich, daß ich in der Schilderung dieses Kindertreibens so weitläufig geworden, aber ich mußte es, weil sonst das Folgende unerklärt bleiben würde, und dann sind diese Tage immer ein Juwel in den Erinnerungen meiner Kindheit.«

Ulrike sah vor sich hin und ihre Stirn wurde so düster, daß es Friedrich auffiel. »Verstimmt Dich meine Erzählung?« fragte er.

»O nein; ich habe Dich nur im Stillen beneidet und gedacht, was es Schönes und Erhebendes sein muß fürs ganze Leben, solche Jugendeindrücke in sich zu tragen. Ich war nicht so glücklich! Meine Kindheit –«

»Denke nicht mehr daran«, unterbrach sie Friedrich. »Denke jetzt nicht daran. Hat Dein früheres Leben die Blüten versäumt, so soll Dein künftiges Dir desto mehr und schönere ins Leben rufen. Werde ich es denn nie dahin bringen können, diese herben Erinnerungen durch meine Liebe zu verdrängen und zu ersetzen?«

In Ulrikens Auge glänzten schwere Thränen. Sie drückte Friedrichs Hand. »Und das Folgende?« fragte sie dann.

»Es wird kürzer sein als die Einleitung« erwiderte Friedrich. »Ich bin bei der Wendung angekommen. Die Beförderung meines Vaters verlegte unsern Wohnsitz in die Hauptstadt. Damit hörte der kleine Flecken mit seinem Schloß auf, das Ziel meiner Ferienreisen zu sein. Erst nach einigen Jahren, als ich bereits die Universität bezogen hatte und mich schon dem Ziel meiner Studien nahte, wurde es mit Karl, mit dem ich in ununterbrochener Freundschaft geblieben war, verabredet, nach einer gemeinschaftlichen Reise dort einzusprechen und einige Herbstwochen zu verbringen. Es geschah und die jungen Herzen hatten nach wenig Tagen des Wiedersehens den Zwischenraum der Jahre, in denen wir uns nicht gesehen, ausgefüllt. Das Verhältniß war das alte. Wie wir zu Jünglingen herangewachsen, war das Mädchen zur Jungfrau geworden und stand nun zwischen uns wie eine Schwester zwischen Brüdern. Sie war nicht schön geworden, die Kränklichkeit ihres Aussehens entstellte sie, aber die Züge waren ebenmäßig, in den dunklen Augen lag Seele und ihre Stimme war von einem seltenen unbeschreiblichen Wohllaut. Wir streiften nun wohl nicht mehr tagelang im Walde herum, aber der Umgang war an innerer geistiger Regsamkeit desto reicher geworden. Lebhafte Erörterungen über die ewigen Fragen der Erde an den Himmel, begeisterte Gespräche über die großen unzerstörbaren Heiligthumsgedanken der Menschheit wechselten mit Untersuchungen über die Künste und ihre Schöpfungen und mit dem Lesen unserer Dichter. Es waren Tage der schönsten, der reinsten Erhebung, die wir genossen. Am Abend vor der Abreise hatte uns eine ähnliche Unterhaltung über die Würde des Menschen in eine gehobene Stimmung versetzt. Es war Zeit geworden zu scheiden, denn am andern Morgen vor Tagesanbruch mußten wir fort. Da gaben wir uns, von dem Durchdachten begeistert und von der Wehmuth der Trennung erschüttert, die Hand zum gegenseitigen Gelöbniß, diesem Ideal der Menschheit treu bleiben und ihm unser ganzes Dasein widmen zu wollen, und so schieden wir. Wenige Wochen darauf erlag Karl dem Ansturm eines hitzigen Fiebers, das den jugendkräftigen Körper mit doppelter Wuth erfaßte. Das Fräulein sah ich nicht wieder.«

Er schwieg. Auch Ulrike erwiderte nichts, doch ruhte ihr Auge auf Friedrich, als fühle sie, daß dieser Abschluß nicht ernstlich gemeint sein könne.

»Nicht wieder?« fragte sie dann.

»Ich sah sie nicht wieder während einer beträchtlichen Reihe von Jahren bis zu dem Abend, von dem wir sprachen.«

Friedrich erzählte nun einfach und wahr sein Zusammentreffen mit Primitiva. Er verschwieg die Aufregung nicht, in die er dadurch versetzt worden war, allein er glaubte auch mit Recht die Stimmung des Abends, sowie die völlige Ungewohntheit des ganzen Vorgangs hervorheben zu dürfen.

»Sieh, Ulrike«, schloß er dann, »dies ist es, was mein Herz mich Dir zu sagen drängte, weshalb ich Dir ein Blatt meiner Jugendgeschichte aufrollen mußte. Nur so konnte ich hoffen, nicht mißdeutet, sondern verstanden zu werden. Ich hätte das Fräulein kaum wiedererkannt. Die vormalige Kränklichkeit ist verschwunden und hat einer gefälligen Entwickelung Platz gemacht, aber der Ton ihrer Stimme war mir unvergessen geblieben. An diesem erkannte ich sie, dieser versetzte mich wie ein Zauber in die Zeit zurück, von der ich Dir erzählte. Ich sah uns wieder als Kinder, sah uns in der Nacht unseres begeisterten Gelöbnisses, und mit einem Male war mir klar, daß schon damals, unbegriffen und mir selbst unbewußt, eine kindische Neigung zu der Schwester meines Freundes in mir geschlummert haben mußte! Es war mir, als sei nun eine Decke weggezogen und die bis dahin erstickte Flamme lodere verzehrend über mir empor. Ich brauche Dir kaum zu sagen, daß es eine Täuschung war. Es bedurfte nur einiger Stunden der Ruhe, nur eines Blickes auf Dich, und die Untreue gegen Dich – wenn ich es mit dem bösen Wort nennen soll – war gesühnt. Das kindische Knabengefühl erbleichte vor der Wahl des Mannes – und Dein bin ich, Dein fürs ganze Leben, Dein mit jeder Regung, mit dem ersten und letzten Gedanken!«

Er umarmte Ulrike. Diese war von Friedrichs Mittheilung, noch mehr aber von der Art derselben, von dem Gepräge der Wahrheit, das sie unverkennbar trug, tief ergriffen. »Ich danke Dir«, sagte sie dann, »für Deine schöne Offenheit. Sie ist mir ein neuer Beweis Deines Werthes und ein Pfand des Glücks, das mich an Deiner Seite erwartet! Glaube, daß ich Dein Betragen vollkommen zu würdigen weiß, und laß mich Dein Vertrauen dadurch erwidern, daß ich Dir –«

Das bedeutende Wort, das zum zweiten Male auf Ulrikens Lippen zu schweben schien, blieb zum zweiten Male unausgesprochen. Der hastige Eintritt der Räthin unterbrach das Gespräch und schnitt jede weitere Erklärung ab. Ein Bedienter in der Livree des Herzogs folgte ihr.

»Denke Dir nur, mein Sohn!« rief die Räthin. »Welche Gnade! Seine Durchlaucht schicken Dir noch am späten Abend –«

Friedrich war aufgestanden und dem Lakai – es war Bornemann – entgegengetreten. Dieser verbeugte sich ehrfurchtsvoll und sprach, indem er ein leicht verpacktes Etui überreichte: »Seine Durchlaucht lassen wegen der späten Störung um Entschuldigung bitten. Das Weitere enthält das Allerhöchste Handschreiben.«

Er übergab selbes und entfernte sich, von der Räthin mit freundlichstem Eifer geleitet.

Friedrich öffnete indeß und las:

 

»Mein lieber Führer!

Glauben Sie nicht, daß ich erst jetzt des Festes gedenke, das Sie heute feiern. Ich wollte Ihnen zu demselben ein Geschenk reichen lassen, das meiner würdig und Ihnen ein bleibendes Zeichen sein sollte, – wie hoch ich Sie schätze. Ich bin damit aufgehalten worden, deshalb die Verzögerung. Nehmen Sie denn mit demselben meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Vermählung und die Versicherung meiner Gnade.

Der Ihnen besonders wohlgewogene

Felix.«

 

Staunend öffnete Friedrich das Etui, neugierig trat Ulrike hinzu und stieß einen leichten Ruf der Ueberraschung aus. Ein schöner, sehr werthvoller Brillantschmuck lag darin und spiegelte die Lichter des Zimmers hundertfältig wieder.

Auch die Mutter war inzwischen zurückgekommen.

Ulrikens Blicke leuchteten, Friedrich schwieg, die Räthin fand zuerst einen Ausdruck für ihre Verwunderung.

»Du gütiger Gott«, rief sie, »das ist ja eine Pracht, daß einem die Augen übergehen! Das muß ja entsetzlich viel werth sein. Seht nur, diese Rosen von weißen Steinen und die goldenen Blätter dazwischen!«

»Sehr kostbar«, antwortete Friedrich, »beinahe zu kostbar! Ein einfaches Geschenk, dieses Billet allein wäre mir fast lieber gewesen.«

»Ei warum nicht gar!« rief die Räthin. »Wenn Seine Durchlaucht Dir ein Hochzeitsgeschenk geben will, so muß er Dir eben eins geben, das sich für einen Herzog schickt. Aber sonderbar ist's doch, daß er etwas für Deine Frau und nicht lieber etwas für Dich gewählt hat.«

»Es möchte ihm wohl schwer gefallen sein, etwas Passendes von gleichem Werth für mich zu finden«, entgegnete Friedrich.

Ulrike stand noch immer schweigend und blickte unbeweglich die blitzenden Steine an.

Die Räthin neigte sich zu Friedrich und flüsterte ihm etwas leise zu. Lächelnd verließ er mit ihr das Zimmer.

Ulrike schien das Weggehen beider kaum zu bemerken. Es war unverkennbar, daß in ihrem Innern ein Kampf vorging. Plötzlich raffte sie sich empor, klappte das Etui mit dem Schmuck zu und rief entschlossen: »Es muß sein! Er soll, muß es wissen.« In der nächsten Sekunde versank sie jedoch wieder in träumerisches Nachsinnen.

So traf sie Friedrich. »Nun«, scherzte er; »bist Du ganz stumm geworden über den glänzenden Steinen, oder hätte vielleicht mein Bekenntniß einen dunklem Stein auf Dein Herz gewälzt?«

Ulrike sah empor und lächelte. »Wer weiß!« sagte sie. »Dem Bekenntniß fehlt auch ein Haupterforderniß zur gänzlichen Verzeihung.«

»Und welches?«

»Die Vollständigkeit. Sachen und Personen kenne ich nun wohl, die Namen nicht.«

Ueberrascht blickte sie Friedrich an. »Der Name thut wohl hier nichts zur Sache«, sagte er dann, offenbar unangenehm berührt. »Wozu auch der Name? Du weißt, welchen Auftrag ich erhalten hatte, und wirst begreifen, daß der Name unter allen Umständen nicht mein Geheimniß ist.«

Die Weigerung verstimmte auch Ulrike. Es wehte daraus ein erkältender Hauch an ihr Herz, der all die warmen Wallungen der vorhergehenden Augenblicke versengte, wie ein Spätfrost, der unverwahrte Keime trifft.

Sie schwieg.

Unmittelbar hierauf trat die Räthin mit der Mahnung ein, es sei spät geworden und Schlafenszeit. »Folgt mir, Kinder«, sagte sie, »ich will Euch ins Brautgemach geleiten.«

Sie gingen. An der Thür hielt die Räthin an und griff in das Gefäß mit Weihwasser, das an der Thür hing. Sie besprengte Friedrich und Ulrike damit und beschrieb jedem das Kreuzzeichen auf die Stirn. »Ich weiß wohl«, sagte sie dann etwas erweichten Tones, »daß Ihr beide meines Glaubens nicht seid, aber kehrt Euch nicht daran, was ich thue, sondern denkt, in meinem Sinne ist es gewiß gut gemeint. Wohl Euch, daß Ihr beide einem Glauben angehört, das wird Euch viel Herzeleid ersparen, das ich kennen lernte; wäre es auch nur, was einer Mutter gewiß nicht leicht ankommt, wenn sie ihren Sohn nicht beten lehren kann und darf. Doch was red' ich da! Wir glauben doch alle an einen Gott – sein Segen sei mit Euch, daß kein böser Geist jene Schwelle mit Euch überschreite, sondern nur die Liebe, die ein Gefallen ist in seinen Augen!«

Gerührt küßte sie beide und verschwand.

Als auch in dem Schlafgemache der Neuvermählten das Licht erlosch, stieg aus den Gebüschen des Gartens eine weiche, zärtliche und doch tief klagende Melodie, von Saiteninstrumenten gespielt, empor, als sei es der Festgruß eines edlen entsagenden Herzens.


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