Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.
Lieber bayerisch sterben als kaiserlich verderben.

Trotz der nebligen, feuchtkalten Oktobernacht war es auf dem Brüsseler Rathausplatze zu später Stunde noch lebhaft und hell. Aus den hohen Spitzbogenfenstern des sogenannten Brothauses und den Eingangstoren desselben strömte das Licht schimmernder Girandolen in das Dunkel herab und warf dämmernde Streifen auf die den weiten Platz umfassenden Giebelhäuser und gegenüber auf den Rathausturm, dessen riesige Pyramide den Reichtum ihrer Zacken und Spitzen über dem Lichtscheine im Nebel verbarg. Von Zeit zu Zeit scholl aus den Fenstern das Schmettern von Trommeln und das Wirbeln von Heerpauken hernieder, vermischt mit Gläserklingen, Gelächter und Stimmengewirr; durch die hellen Scheiben sah man die schweren, purpurseidenen Gardinen glühen, und das Gold an den Fransen und Fängen wie in den Verzierungen und Feldern der Decke glänzen.

Einen schroffen Gegensatz zu dem freudigen Überflusse, der sich oben kund gab, bildete das Volk, das unten in dem Lärmen und Scheine durcheinander trieb, bald mit niederländischem Frohsinn plaudernd und lachend, bald schauend und horchend mit der behaglichen Ruhe des Flamänders, bald in sich grollend mit dem finsteren Ernste des Wallonen. Es waren meist Leute aus den niederen Ständen, die in den engen Straßen und Winkeln der Niederstadt und am Kanale wohnten und von Neugierde und Schaulust in die obere Stadt geführt worden waren: Kohlenträger und Spitzenklöppler, Fischhändler, Kanalschiffer und kleine Handwerksleute. In kurzen Jacken, Pluderhosen und breitkrempigen Hüten standen und drängten sie durcheinander – vielfach verschieden und doch alle gleich in den unverkennbaren Spuren der Verwilderung und Verarmung, die der mehrjährige Krieg ihnen aufgedrückt hatte.

»Was ist denn nur eigentlich für ein Fest, das sie da droben feiern?« fragte ein breitschultriger Mann, der einen starken Heringsgeruch verbreitete.

»Was für ein Anlaß zum Feste, meinst du wohl?« erwiderte ein anderer in einem breiten, wachstuchenen Regenhute und schmieriger Teerjacke, indem er ein Stück Kautabak in den Mund schob. »Braucht's dazu einen sondern Anlaß? Wenn mir wohl ist, und ich genug Dickgroschen in der Tasche habe, mach' ich mir aus jedem Tage ein Fest, trinke Genever und lasse mir aufgeigen! So machen's die Vornehmen und Reichen auch – sie haben's immer vollauf: es ist kein Wunder, wenn sie auch immer wohlauf sind!«

Ein hagerer, etwas abgehärmter Mann in fadenscheinigem Wams mischte sich nähertretend ins Gespräch. »Das Fest da droben hat doch eine besondere Veranlassung,« sagte er. »Der Statthalter ist aus dem Felde heimgekommen und hat die Winterquartiere bezogen.«

»Der Statthalter?« fragte der Matrose wieder. »Was ist das für ein Herr? Unsereiner ist das ganze Jahr über auf seinem Schiffe und hört und erfährt nichts, und wenn man etwas erfährt, kennt sich keine Christenseele darin aus, denn die ganze Welt liegt sich in den Haaren, daß alles drüber und drunter geht!«

»Wer sollt' es sonst sein,« erwiderte der Krämer, »als der Herzog von Brabant, der Kurfürst von Bayern, Max Emanuel!«

»Ein Deutscher also? Habe viel erzählen hören von einem solchen … ist's derselbe, der Belgrad gestürmt hat und vor dem die Türken laufen sollen wie die Windhunde, wenn sie nur hören, daß der blaue König, wie sie ihn heißen, in der Nähe ist?«

»Der ist's: er ist Statthalter in den Niederlanden und obendrein Generalissimus von Frankreich – ein gewaltiger Kriegsheld, der dem Prinzen Eugen und dem Marlborough schon manche harte Nuß zu knacken gegeben hat … sonst aber der leutseligste, der beste Herr von der Welt; es hat ihn vom ersten Augenblicke an alles gern gehabt in den Niederlanden …«

»Aber sein eigenes Land soll er doch verspielt haben!« sagte ein ernsthafter, stämmiger Wallone, welchen der lederbesetzte Rücken als Wasserträger kennzeichnete. »Er kann nicht haushalten und glaubt's nicht, daß man auch einen Brunnen ausschöpfen kann – sein Land hat er eingebrockt, nun kommt die niederländische Brühe dran!«

»Es ist so arg nicht, als Ihr's macht, Blaas,« entgegnete der Krämer. »Er täte wohl mehr, wenn der Krieg nicht wäre, aber die Engländer und die Holländer, die ihren Zahn haben auf uns Niederländer, die geben's nicht zu, daß es Friede wird. Der Statthalter denkt eben, leben und leben lassen – er schindet das Land nicht, und gibt, so lang er selber etwas hat!«

»Hab' just noch nichts gespürt davon,« sagte der Hagere, der Krämer aber rief: »Könnt's gleich spüren, Meister! Ruft ihm einmal ein ordentliches Lebehoch, wenn Ihr's aus Eurer dürren Kehle hervorbringt; strengt Euren schwindsüchtigen Atem an und laßt nicht nach – ich wette einen Taler gegen einen Deut, daß er ans Fenster kommt und Euch etwas schenkt!«

»Recht, Herr,« riefen einige umstehende Burschen, welche zugehört hatten. »Das sollt Ihr uns nicht zweimal sagen dürfen! Hoch! …« rief der eine davon mit bärenhafter Stimme, indem er den Hut emporwarf und wieder auffing, und die anderen im Chore nachbrüllten. »Ein Hoch Seiner Allerchristlichsten Majestät, dem König Philipp von Spanien! Es lebe der Statthalter der Niederlande! Hoch Max Emanuel von Bayern – hoch der Herzog von Brabant!«

Das Geschrei erregte die Aufmerksamkeit der Menge: bald fand es tausendstimmigen Widerhall über den menschengedrängten Platz hin und brach an der einen Ecke wieder los, wenn es an der anderen ermatten wollte. Es schien auch die gehoffte Wirkung nicht zu verfehlen, denn bald wurden an den Saalfenstern die lachenden Gesichter von Hofherren wahrnehmbar, welche sich nach der Ursache des Lärmens zu erkundigen schienen. Dadurch ermutigt, begann das Volk immer aufs neue und immer lauter zu schreien, bis man sich oben überzeugt haben mochte, daß es, um Ruhe zu bekommen, das kürzeste sein werde, ihm die Freude nicht zu verderben. Mit einem Male traten Lakaien an eines der Fenster, rissen geschäftig die Flügel auf, und zwischen den wehenden Gardinen erschien die stattliche Gestalt Max Emanuels, und sein wohlwollendes Antlitz nickte grüßend herunter, reichlich umgeben von den Ringeln der braunen Lockenperücke, welche über die Schultern herabfielen. Er winkte leicht grüßend mit dem federbesetzten Hute und reichte ihn mit einer bezeichnenden Gebärde dem hinter ihm stehenden Kämmerlinge. »Ich danke euch, meine braven Niederländer!« rief er dann mit starker Stimme, der man es anhörte, daß sie geübt war, im Schlachtendonner gehört zu werden. »Es freut mich, daß ihr euch an meine Wiederkehr erinnert habt … ich möchte euch gern geben, was euch das Liebste wäre – da ich's nicht kann, sollt ihr euch doch wenigstens eine frohe Stunde machen …«

Grüßend trat er beiseite und ließ den Kammerdiener vortreten, welcher den ihm übergebenen Hut, mit Gold- und Silberstücken hoch angefüllt, zum Fenster hinaus hielt und mit einer Schwenkung über dem Volke ausleerte, das schreiend und balgend nach den Münzen haschte und übereinander stürzte, während oben der Kurfürst dem lustigen Gewühle einen Augenblick lächelnd zusah und dann mit wiederholtem freundlichen Nicken und Winken zurücktrat.

Seitwärts, neben dem Einfahrtstore, stand ein Mann, an die Mauer gedrängt von dem Gewühle, dem er vergebens zu entkommen suchte; es schien ihm unbehaglich und ungewohnt zu sein, wie denn auch seine eigene Tracht etwas Fremdartiges gegenüber jener der Umgebung hatte. Als Max Emanuel sich entfernte, hatte der Mann, seinen sicheren Standpunkt verlassend, einen Blick zu ihm emporgerichtet, in welchem Freude mit Trauer zu ringen schien. Vergebens strebte er dann, seinen Platz wieder zu erreichen: einmal von der Volksflut erfaßt, wäre er von derselben mit fortgerissen worden, hätte nicht ein anderer Mann ihm zugerufen und den Arm entgegengestreckt, wie man einem sich abkämpfenden Schwimmer ein Tau vom Ufer aus zuwirft. »Hierher, hierher, Gevatter Jägerwirt!« rief der Mann. »Nicht wahr, das ist ein anderes Treiben als daheim in München – das ist über den Metzgersprung!«

Der Angeredete folgte schweigend; es schienen allerlei und nicht eben freudige Gedanken ihm durch den Sinn zu gehen. »Das ist ein lustiges Leben,« begann der andere wieder, als sie aus dem Gedränge entkommen und sich dem Portale wieder genähert hatten; Jäger aber murmelte halblaut etwas vor sich hin, was beinahe wie »lustiges Elend« klang. Die Arkebusiere am Eingange schlugen an die Gewehre und kreuzten sie vor den Ankommenden; der Führer des Wirts aber rief ihnen in einer, diesem unverständlich klingenden Mundart die Bemerkung zu, daß er die wichtigste Person im Hause, nämlich der Mundkoch sei; da nahmen die Soldaten lachend ihre Gewehre wieder auf die Schulter, der Mundkoch schritt durch die Halle und setzte schon den Fuß auf den kostbaren Teppich, mit welchem die Stufen überbreitet waren. Dort erreichte ihn der Wirt, faßte ihn am Ärmel und hielt ihn zurück. »Höre, Gevatter Beckenstaller,« sagte er, »ich will doch lieber wieder fort und in meine Heimat gehen – ich danke dir für deinen guten Willen, aber es sieht mir nicht danach aus, als ob du dein Versprechen halten könntest – es wird mir jetzt und hier ebensowenig gelingen, zum Kurfürsten zu kommen, als gestern und vorgestern in der Antichambre …«

»Was fällt dir ein?« rief Beckenstaller. »Wirst doch den Vogel nicht auslassen, den du schon so gut wie in der Hand hast? … Alles ist aufs beste hergerichtet: es kann gar nicht fehlschlagen!«

»Aber wie willst du denn …«

»Frag mich nicht, oben erfährst du alles; wir haben keinen Augenblick zu verlieren, sie werden bald abgespeist haben …«

Der Wirt zögerte noch immer; er hielt den Arm des Freundes gefaßt und zerrte daran, und als dieser ihn fragend und verwundert ansah, winkte er ihm rasch mit den Augen nach einem stattlichen, hochgewachsenen Manne hin, der in goldstarrender Kleidung oben auf dem Treppenflur vorüberschritt und in abgemessener Haltung den Dienern einige befehlende Worte zuherrschte. »Der ist's!« flüsterte Jäger.

»Der dich nicht zum Kurfürsten gelassen hat?« flüsterte der andere entgegen. »Das wundert mich nicht! Das ist der Baron Albrecht – ein Kammerherr des Kurfürsten, aber einer, der auf beiden Achseln trägt und es auch mit dem Kaiser nicht ganz verderben möchte! Aber komm nur – auf dem Wege, den ich dich führe, hast du es mit niemand zu tun als mit Seiner Durchlaucht und mit mir!« –

Oben im Saale war soeben die Tafel beendigt worden, und der Kurfürst-Statthalter, hatte sich in ein anstoßendes Gemach zurückgezogen, vor dessen gewölbtem Eingange große Damastvorhänge an goldenen Quastenschnüren herabgelassen werden konnten, um es ganz von dem großen Bankettsaale abzuschließen. Der Kurfürst stand am Kamin, hinter dessen blankem Metallgitter ein lustiges Feuer spielte, und stützte den Arm nachlässig auf das Gesimse. Sein Antlitz war nicht eben schön zu nennen; die bitteren Erfahrungen der letzten Jahre und die Strapazen der immerwährenden Kriege hatten es gefurcht und ließen es älter erscheinen, als er, im Anfange der Vierziger stehend, der Zeit nach war. Bei näherer Betrachtung aber spielte um den Mund unter dem aufgedrehten Schnurrbärtchen ein gutmütiger Zug, und aus den Augen sprühte ungebrochen das alte lebenslustige Feuer. Er hatte etwas unwiderstehlich Gewinnendes an sich, wenn er, wie eben jetzt, mit leicht vorgeneigtem Haupte die Meldungen seiner Bediensteten empfing, oder denen aus der Gesellschaft, die ihm vorgestellt zu sein wünschten, freundliches Gehör erteilte.

Im Saale selbst hatte die Versammlung sich in regellose Reihen und bunte Gruppen aufgelöst, wie jede eben beendete Tafel sie zu bilden pflegt. Sie bestanden meist aus Männern, alle in reichen Samt- und Seidenkleidern, schimmernd von Stickereien, Besätzen, Bändern und Ordenssternen, zusammengewürfelt aus allen Völkerstämmen Europas und doch ineinandergefügt und ausgeglichen durch das gemeinsame Interesse, das sie in demselben Dienste zusammenführte und zu einem ansehnlichen Ganzen verband, über welches wie ein ebenmäßiger Hauch oder Guß das französische Element ging, das, vom Hofe des vierzehnten Ludwig ausströmend, die Welt erobert und dem allgemeinen äußeren Scheine den Sieg über die eigene und innere Bedeutsamkeit errungen hatte. In den Fensterbrüstungen und an den Wänden herum standen einige niederländische Herren, aufgeweckte Köpfe mit offenen Mienen, lebhaft in Wort und Gebärde: die Grafen von Brederode und Barlaam, der Oberstkämmerer Freiherr von Bessart und der unabhängige, aber aus freiem Entschlusse dem Kurfürsten umso mehr ergebene, wegen seiner Heiterkeit allbeliebte Edle von Kerkhoven. Auch jetzt hatte er wieder die ganze Umgebung in frohe Laune versetzt, nur Brederode stand ihm wie immer mit ernstumwölktem Gesicht gegenüber. »Ich kann leider diese überschwenglichen Hoffnungen nicht teilen,« sagte er. »Ein so gutes Ende wäre durch Umstände bedingt, durch so gewaltige Veränderungen …«

»Veränderungen,« rief Kerkhoven lachend, »welche kommen werden und kommen müssen – bisher ist mir nur eines vorgekommen, was unveränderlich blieb: das ist deine Ernsthaftigkeit, Brederode!«

»Und worauf fußt deine Zuversicht?« fragte dieser, ohne den Seitenhieb zu beachten.

»Worauf sonst als auf der allgemeinen Veränderlichkeit – auf den unglaublichen Veränderungen, die schon vorgegangen sind. Sieh um dich, Brederode! Betrachte einmal die schmale spitzbogige Pforte, welche dort in der Ecke in den Saal mündet! Es sind noch nicht anderthalb Jahrhunderte, als unsere wackeren Landsleute Egmont und Horn dort als Gefangene heraustraten zum Gange auf das Schafott. Damals ein Staatsgefängnis – jetzt ein Bankettsaal: wer weiß, was abermal hundertfünfzig Jahre daraus gemacht haben werden! Da hast du's im Bilde, wie die Welt geht! In abermals hundertfünfzig Jahren herrscht hier Friede und Wohlstand, und wer dann Geld zum Fenster hinauswirft, wird niemand finden, der es aufheben will!«

In das Lachen, das Kerkhovens muntere Rede begleitete, stimmten auch zwei Männer in Soldatentracht ein, welche die weiße Feldbinde mit den goldgestickten Linien als Franzosen bezeichnete; ein paar andere, in schwarzen Seidenmänteln und steifen Spitzenkragen, traten finster beiseite, um nicht weiter zuzuhören. Es waren General Monasterol und Graf Artagnan, der Kommandeur der spanischen Artillerie – trotz des langen Zeitraumes, der seit den erwähnten Ereignissen verflossen, war doch etwas in der Rede des leichtsinnigen Flamänders, was die altkastilische Grandezza verletzte. Die Franzosen waren der Gardekapitän Gauthier, ein schöner Mann in der Blüte des Alters, eine echt ritterliche Erscheinung von Gesicht und Gebärde, und der Chevalier von Millevois, eine fast gebrechliche Gestalt mit verschmitzten Zügen, auf welchen ein stehendes, widerlich freundliches Lächeln haftete. Er war ein Mann von Welt und Witz, wohlgelitten vom Kurfürsten, der ihm vieles Vertrauen schenkte und ihn manchmal mit den Geschäften eines Sekretärs beauftragte.

Andere hatten sich auf den Diwans vor den riesigen Wandspiegeln und in den Ecken niedergelassen, um ein vertrauteres Gespräch zu führen. Darunter war Klemens, des Kurfürsten Bruder und Genosse in Unglück und Verbannung, der gleichfalls vertriebene Kurfürst und Erzbischof von Köln. Er sprach mit einem anderen Herrn, dessen Gewand ebenfalls den hohen geistlichen Würdenträger verriet: es war der Erzbischof von Toledo, Kardinal Portocarrero, der vertraute Freund und Ratgeber des verstorbenen Königs von Spanien und der allmächtige Minister des neuen, der Erbfolge und Thron eigentlich nur seinem Einflüsse zu danken hatte.

Wieder andere vermochten noch nicht, sich von den Genüssen der Tafel zu trennen, und behaupteten zwischen verschobenen und umgelegten Stühlen ihre Plätze vor dem weißen Damastgedecke und den Kristallaufsätzen, aus welchen immer erneute Flaschenhälse hervorsahen. Das waren jüngere Leute, darunter auch polnische und ungarische Edelleute in ihren zierlich verschnürten pelzverbrämten Wämsern. Die Polen waren herbeigelockt, weil die Gemahlin Max Emanuels ihre Landsmännin, eine Tochter Sobieskis war; was die Ungarn herzugeführt hatte, war ein Hofgeheimnis, das offen ignoriert, insgeheim aber desto eifriger erörtert wurde. Da viel des edlen Weines floß, waren auch Schweizer und Deutsche nicht weit: so Junker von Diesbach aus Luzern, Fähnrich im kurfürstlichen Leibregiment, und einige bayerische Adlige, meist jüngere Männer, welche Anhänglichkeit und das Verlangen nach Krieg und Abenteuern auch in der Verbannung an den Hof geführt hatte, ein Graf Leyden und die Freiherren von Perfall und von Lerchenfeld.

Ganz oben, gegen das Ende des Saales, an der Quertafel, welche die beiden langen Tischreihen verband, und in der Nähe des kurfürstlichen Ehrenplatzes saßen auch einige Damen im höchsten Putze, in starren Seidenroben mit gelblichen Spitzenkrausen und hohen gepuderten Haargebäuden. Sie sprachen eifrig zusammen oder spielten mit den Fächern und waren zugleich die einzigen, die mitunter auf die welsche Kammermusik zu hören schienen, welche von der Estrade reizende Weisen herunterklingen ließ, die in dem Stimmengewirr unbeachtet verhallten. Es waren die Frauen und Töchter der ersten Kavaliere und Generale in Hof und Heer; den Mittelpunkt bildete diesmal die Fürstin Ursini, die Obersthofmeisterin der an König Philipp von Spanien vermählten savoyischen Prinzessin. Sie war mit Portocarrero vor wenig Tagen aus Madrid angekommen, angeblich, um ihrer Tochter Helene die Welt zu zeigen und sie auf einem Umwege an den Pariser Hof zu bringen; die Eingeweihteren wollten jedoch von einem hohen fürstlichen Bräutigam wissen, welchem das schöne Fräulein zur ersten Begegnung entgegenreise.

Die französischen Herren näherten sich jetzt der tafelnden Gruppe, welche soeben die Schaumweinkelche aneinanderklingen ließ. »Ist es erlaubt, Messires,« fragte Millevois, »nach dem Gegenstände zu fragen, welchen Sie feiern, und sich anzuschließen? Ohne Zweifel ist es etwas, wofür auch Frankreichs Chevalier jederzeit mit Becher und Degen bereit ist?«

»Allerdings, meine Herren!« rief ein junger Pole. »Wir stoßen an auf ein besseres Kriegsglück und auf die Viktorie des kommenden Jahres!«

»Wir trinken mit,« entgegnete Millevois artig, indem er nebst Gauthier an die Gläser der Gesellschaft anklingte. »Besserung ist in allen Dingen erwünscht – wenn mich auch bedünken will, daß wir nicht Ursache haben, über die vergangene Kampagne zu klagen!«

»Das meine und sagte ich soeben auch!« rief Baron Perfall. »Wir haben die Engländer mit ihrem Marlborough überall geworfen und zurückgedrängt, haben die Kampagne mit der Erstürmung von Diest glorreich beschlossen und können im Winterquartiere den letzten Schlag vorbereiten. Wie die Flüsse wieder auftauen, jagen wir die Engländer in ihre Insel heim, in Italien nimmt der Herzog von Savoyen den Prinzen Eugen auf sich, übern Rhein her wird Marschall Vendôme mit seiner Prachtarmee vordringen – so fassen wir den halsstarrigen Kaiser von allen Seiten und werden ihn wohl zum Nachgeben zwingen!«

»Das glauben wir auch,« sagte einer der Ungarn mit bedeutsamem Winken, – »Kaiser wird sein eingeschlossen von allen Ecken. Aber was ist Diest, wovon Pany gesprochen?«

»Diest ist eine kleine, aber feste Stadt in Brabant, die uns viel zu schaffen macht,« war die Antwort. »Der Fluß Dewer ist rundherum in breite und tiefe Gräben gezogen, und die Wälle sind mit Palisaden gespickt, daß es eine Art hat. Wie zum Sturme getrommelt ward, stutzten unsere Grenadiere – aber Max Emanuel war im nächsten Augenblicke an ihrer Spitze, den Degen in der Faust. Da flogen die Palisaden wie Strohhalme, unterm heftigsten Kartätschenfeuer stürzte sich alles in den Graben, und in der nächsten halben Stunde waren wir auf den Wällen, der Kurfürst unter den ersten.«

»Der tapfere Fürst liebt die Gefahr, und das Kühnste ist ihm das Liebste!« bemerkte Millevois. »Das ist wie bei Caramagnola – Sie waren ja dabei, Kapitän Gauthier, und müssen es wissen!«

»Ob ich es weiß!« rief dieser, der indes an der Tafel Platz genommen hatte. »Ich werde diesen Tag nie vergessen – ist er es doch, der mich auf immer in diese Kreise gezogen hat!«

»In der Tat?« rief einer der Edelleute. »Wenn es sich zur Erzählung eignet, verbinden Sie uns, wenn Sie uns erfahren lassen, welch ein Ereignis uns einen so wackeren Champion zugeführt hat.«

»Es war ein heißer Tag,« begann Gauthier, »wir waren beim ersten Sturmlaufen zu hitzig vorgegangen und litten furchtbar von dem feindlichen Feuer. Die Mannschaft hinter uns wich oder war gefallen – niemand war mehr übrig als Kurfürst Max Emanuel, ich selbst und ein kleiner kecker Tambour, der wie unsinnig immerfort zum Angriffe trommelte. Es half aber nichts, es kam kein Sukkurs nach, die Kaiserlichen drangen wie wütend vor – wir mußten zurück. Da stürzte der Tambour und kollerte mit seiner Trommel den Wall hinunter; ich rief dem Kurfürsten zu, sich zu salvieren – ich wollte ihm den Rücken decken – aber im Augenblick traf auch mich eine Kugel an den Kopf, betäubte und warf mich nieder … ob tödlich getroffen oder nicht, ich war verloren, denn in der allgemeinen Erbitterung ward weder Pardon genommen noch gegeben. Wie ich herauskam, weiß ich nicht – erst hinterher erfuhr ich – der Kurfürst hatte mich nicht zurücklassen wollen, er selbst hatte mich ausgerafft und aus der Bresche geschleppt … Seitdem habe ich ihm meinen Degen angetragen für immer … ihm selbst, ob Kurfürst oder Statthalter, oder keines von beiden – ich diene dem Manne und Helden, und was er mir aufträgt, das geschieht – so wahr ich mit Loirewasser getauft bin!«

Alle stießen erfreut und zustimmend am Glase des Erzählers an, als der diensttuende Kammerherr, der greise Freiherr von Malknecht, mit der Meldung herantrat, Seine Durchlaucht seien geneigt, die ungarischen Herren zu empfangen. Die Gruppe bildete sich um, während die Magyaren sich verabschiedeten, und Gauthier sich enger den Bleibenden anschloß. Millevois folgte, sich erhebend, dem Winke eines ältlichen Herrn in auffallend zierlicher Kleidung und mit einem feinen Lächeln in dem etwas verlebten Gesicht, das von demselben unzertrennbar schien. Es war der Marquis von Sassenage, Ludwigs des Vierzehnten Bevollmächtigter am Brüsseler Hofe.

»Ich reise, Chevalier,« sagte dieser zu ihm, »Frau von Maintenon erzeigt mir die staunenswerte Gnade, mich durch einen Expressen zu einer besonderen geheimen Berichterstattung zu sich zu rufen. Ich reise noch in dieser Stunde und gehe beruhigt, weil ich Ihnen vertrauen darf, und weil ich mit den glücklichsten Nachrichten vor Madame erscheinen kann! Die Konstellationen sind höchst günstig, und die Pläne unseres erhabenen Monarchen in vollster Blüte!«

»Aber die Nachrichten aus Spanien?« fragte Millevois. »Es wollte verlauten, der habsburgische Gegenkönig habe Barcelona genommen und schicke sich an, auf Madrid loszugehen!«

»Lächerliche Gerüchte! Dieser Karl der Dritte, wie er voreilig sich zu nennen beliebt, kann nicht durchdringen, und wenn wirklich ganz Katalonien sich für ihn erklärte, und so wird die Aussicht immer klarer, die Kronen von Frankreich und Spanien an einem glorreichen Tage auf einem bourbonischen Haupte vereinigt zu sehen! Habsburg wird uns nicht hindern – dafür ist gesorgt,« fügte er nach kurzem Innehalten mit einem Augenwinke hinzu, welcher den eben durch den Bogen vor den Statthalter tretenden Ungarn galt; »… es wird genug zu tun haben im eigenen Hause.«

»Und meine Aufträge während Ihrer Abwesenheit?«

»Bleiben dieselben. Es kommt vor allem darauf an,« flüsterte er noch leiser weiter, »diesen Kurfürsten von Bayern immer fester an uns zu binden und jede Annäherung mit dem Kaiser zu vereiteln. Sein Name hat einen heldenhaften Klang und gilt für eine halbe Armee – man muß die Wittelsbacher, diese eigentümlichen Feuerköpfe, immer im Auge haben … Was hat uns nicht dieser Max Emanuel schon genützt, und vollends jener Karl in Schweden, der uns den Gefallen tut, Rußland wegen Polen zu beschäftigen, damit es nicht etwa auf den Gedanken verfällt, Österreich helfen zu wollen! Sie wissen unsere alte Losung – es gibt keine bessere dem uneinigen deutschen Reiche gegenüber: ›Teilen und Herrschend‹«

»Die Instruktion ist einfach!« erwiderte Millevois höhnisch.

»Das sind die Instruktionen der echten Staatskunst immer,« entgegnete der Gesandte, in den Ton des Spottes eingehend, »mindestens ist es der Kern, der freilich hie und da, wie bei der Zwiebel, in neun Hüllen verborgen steckt!«

Der Hohn in Millevois' Augen wurde noch stärker. »Vortreffliches Gleichnis!« rief er. »Was kann die Zwiebel dafür, wenn dem, der sie aus ihren Hüllen schälen will, die Augen dabei übergehen? Reisen Sie immerhin, Marquis: Sie sollen mit mir zufrieden sein!«

Kurfürst Max Emanuel stand indessen noch immer an den Kamin gelehnt; an dem kleinen Tischchen aber, das nebenan zum Spiele bereit gemacht war, hatte Fürstin Ursini mit der schönen Helene Platz genommen, und sie harrten nun auf das Hinzutreten des Fürsten, um das Tarokko zu beginnen. Max zögerte noch, indem er eben freundlich einen Mann in mittleren Jahren verabschiedete, der in tiefster Unterwürfigkeit sich so sehr verbeugte, daß sein Angesicht nicht mehr zu erblicken war und die Degenspitze hoch über den Rücken des gestickten Samtrocks emporstand. Es war der Landschaftsmaler Beich, der schon die früheren Kriegstaten des Kurfürsten in Ungarn, Italien und am Rhein in großen Bildern dargestellt hatte und nun auch jene aus den Niederlanden hinzufügen sollte; er malte dabei die Landschaften, während die Figuren von Van der Meulen und Amigoni hineingemalt wurden. »Noch einmal, Meister,« sagte er, »leb Er wohl und laß Er bald von sich hören. Es ist Befehl gegeben, daß Ihm überall die Lokalitäten gezeigt werden und alle Details an die Hand kommen – ich bin fleißig gewesen, seit wir uns nicht mehr sahen … da ist Huy zu malen und die Einnahme von Lüttich, die Verteidigung von Löwen und zuletzt der Sturm auf Diest. Er wird Mühe haben, mich einzuholen, aber ich will nun einmal haben, daß die Schlachtengalerie in Schleißheim vollständig wird, und Er weiß, es gibt noch viele leere Wände dort!«

Der Maler schob sich rücklings und gebückt durch die Vorhänge hinaus, die Ungarn traten an seine Stelle – zwei schlank gewachsene Männer mit kühnen Gesichtern und schwarzen, lang herabhängenden Schnurrbärten, der dritte ein Greis mit ganz kahlem, glänzendem Haupte; alle in Schnürröcken, pelzverbrämten Überwürfen und zierlichen Wadenstiefeln, in den Händen die aufgekrempte Mütze mit dem weißen Reiherbüschel.

In lateinischer Sprache begann der Greis seine Anrede, indem er dem Kurfürsten eröffnete, wie sie nicht länger verweilen könnten. »Wir wollen dir noch einmal Valet sagen, Domine Elektor – für deine gnädige Aufnahme danken und noch einmal fragen, ob du uns wirklich mit einem abschlägigen Bescheide entlassen willst?«

»Es freut mich sehr,« erwiderte der Kurfürst geläufig in derselben Sprache, »daß mir Gelegenheit gegeben ist, in so würdigen Männern und Edelleuten die Abgeordneten einer hochherzigen Nation vor mir zu sehen, welcher ich von jeher geneigt war und diese Zuneigung immer bewiesen habe. Ich ergreife mit Vergnügen den Anlaß, Ihnen das noch einmal auszusprechen, wenn ich auch bei meinem Bescheide beharre!«

»Du tust nicht recht daran, Herr!« rief der Greis feurig entgegen. »Du tust nicht recht gegen uns und gegen dich selbst … gegen uns, weil du Hilfeflehende von dir weisest, welche von dir die Rettung ihrer Freiheit und ihrer alten Rechte verlangen – gegen dich selbst, denn du versäumst es, dein Haus zum ersten Fürstengeschlecht der Erde zu machen! – Laß das nicht dein letztes Wort sein, Domine! Dein Name bedeutet ›Gott mit uns!‹ – mach ihn wieder, wie bei Belgrad, und für immer zu unserem Feldgeschrei …«

Der Kurfürst machte eine leichte abwehrende Gebärde: er schien zerstreut; ein halber Seitenblick streifte nach Helena Ursini hinüber, welche ungeduldig mahnend die Spielmarken klingen ließ.

»Das Los Europas,« fuhr der Alte fort, »das Geschick der ganzen Christenheit ist in deiner Hand! Es wäre zum Heil und Wohle aller, wenn zwischen dem Reich und der Türkei ein mächtiges, selbständiges Reich bestände, das Slawen, Serben und Magyaren umfaßte und eine Scheidewand bildete zwischen beiden – ein guter Nachbar fürs Reich und ein noch besserer Wall … es steht bei dir, dies Reich zu begründen und als der erste König seinen Thron zu besteigen! Drum hat uns Rakoczy an dich gesandt – auch der Tökely und die Siebenbürger sind dafür … alle Parteien sind versöhnt und ausgelöscht, wenn du einwilligst! Ich sag' es dir, Domine Elektor, und aus dem Munde des alten Grafen von Tettenbach ist noch keine unwahre Silbe gekommen – Nadasdy, Zriny … bestätigt es ihm, daß alle Lande an der Donau mit offenen Armen des Retters warten, der die Freiheit stützt und das alte Recht!«

»Die Lande alle sind dein wie ein einziger Mann!« riefen die beiden. »Komm, sie zu führen!«

»Das alte Recht!« sagte Emanuel etwas zögernd. »Habt ihr es nicht selbst aufgegeben und auf dem Preßburger Reichstage auf eure Wahlfreiheit und die alten Privilegien verzichtet!«

»Nicht freiwillig!« rief der alte Tettenbach. »Auch sind wir nicht daran gebunden – der Kaiser hat zuerst den Vertrag nicht gehalten. Der Tag von Preßburg war ein trauriger Tag, sein Beschluß ein gezwungener … die Ohnmacht des langen Krieges – das Entsetzen vor dem furchtbaren Blutgericht im Lande hatte ihn eingegeben … Sie dachten, die Erinnerung an ein freies Ungarn im Blute zu ersticken … aber eben das vergossene Blut hat es uns nur noch teurer gemacht … Domine Elektor, ich hatte auch zwei Söhne, welche hingemetzelt wurden auf der Schlachtbank von Eperies … das macht kein Protokoll ungeschehen und kein Reichstagsschluß! Auf dir ruht alle Hoffnung in unserem Elend, du bist der Stern in unserer Erniedrigung. Nimm sie an,« fuhr er in steigender Begeisterung fort. »Weise nicht zurück, was dir so sichtbar Gottes eigene Hand aus den Wolken darreicht … Accipe Hungariae coronam!« Nimm Ungarns Krone an!

» Accipe! Accipe!« riefen die Ungarn nach, indem sie die Mützen schwenkten und mit den Säbeln klirrten.

Über Max Emanuels Züge floß eine starke Bewegung; er bemeisterte sie und sprach mit gelassener Würde: »Nein – ich verkenne nicht Auszeichnung und Vertrauen, die in diesem Antrage liegen – aber ich muß ihn zurückweisen! Noch ist die Aufgabe, die ich hier zu lösen übernommen habe, nicht erfüllt! – Auch kann ich mich von der Anschauung nicht trennen, daß Ungarn in gültiger Weise seiner alten Verfassung entsagt und sich für immer an Habsburg angeschlossen hat … Ich weiß wohl, daß dies die Gelegenheit wäre, meinem ergrimmtesten Feinde den Todesstoß zu versetzen … Ich will auch kämpfen mit ihm, Krieg führen bis zur Vernichtung – aber ich will ihn nicht, wie er mir getan, im eigenen Hause tückisch überfallen … und wenn ich unterliegen muß, will ich wenigstens gezeigt haben, daß ich mit Ehren zu fallen weiß …«

Stumm verbeugten sich die Magyaren und verließen mit finsteren Mienen den Saal.

Der Kurfürst fuhr sich wie beruhigend über die Stirne und wandte sich dem Spieltische zu. Ehe er dahin zu treten vermochte, wurde an der Saaltür verworrenes Stimmengeräusch hörbar, und die Gäste drängten sich rasch zusammen. Seiner Frage, was vorgefallen sei, kam Baron Albrecht herbeieilend mit der Meldung entgegen: »Ein befremdliches Ereignis, Ihre Durchlaucht!« rief er. »Ein fremder, völlig unbekannter Mann hat sich auf unbegreifliche Weise eine der kurfürstlichen Livreen zu verschaffen gewußt und mit einem anderen Hofbediensteten im Saale eingeschlichen …«

»Warum doch? Was hat der Mann vor?«

»Auch das ist unbekannt – aber es ist kaum zu bezweifeln, daß irgend eine verbrecherische Absicht … vielleicht auf das Leben Eurer Durchlaucht …«

Der Kurfürst lächelte fein und unterbrach ihn: »Ich will den gefährlichen Menschen sehen,« sagte er, »führen Sie mir die beiden Eindringlinge vor …«

Der Kammerherr gehorchte, und bald stand der Jägerwirt nebst dem Gevatter Beckenstaller vor dem Fürsten, beide in den hellblauen, silberbordierten Leibröcken der kurfürstlichen Hofdienerschaft, welche allerdings dem Münchner Bürger etwas ungewohnt saß und ihn fremdartig kleidete.

»Du bist es, Beckenstaller?« rief Max, nachdem er beide einen Augenblick prüfend betrachtet hatte. »Was soll das heißen? Wie kommt der Mann in meine Liverei?«

»Ich weiß, daß ich gefehlt habe, Durchlaucht,« erwiderte der Koch, »und will meine Strafe gern hinnehmen dafür – aber zu bedeuten hat es nicht viel. Ich hab' nur diesem Manne da, der mein Gevatter ist, Gelegenheit geben wollen, vor Euer Durchlaucht zu kommen! … Wer er ist und was er will, wird er selber am besten sagen …«

»Gelegenheit, vor mich zu kommen?« fragte der Kurfürst erstaunt. »Bedarf es dazu solcher Mittel? Bin ich nicht bereit, jedermann Gehör zu geben?«

»… Es muß doch nicht ganz so sein,« sagte Jäger, seine beklommene Verlegenheit niederkämpfend, »… ich bin schon zwei Tage hier, Durchlaucht, und hab's nicht durchsetzen können in der Antichambre …«

»Allerdings …,« bemerkte Baron Albrecht, etwas verwirrt von dem strengen Blicke seines Herrn, der mit durchdringender Frage auf ihm ruhte. »Ich erinnere mich jetzt, daß dieser Mann um Audienz bei Euer Durchlaucht nachgesucht …«

»Und Sie haben ihn abgewiesen? Weshalb?«

»… Weil er die Absicht hatte, Durchlaucht einige Nachrichten zu bringen …,« stammelte der Hofmann in steigender Betroffenheit, – »Nachrichten, von denen ich besorgen mußte, daß Durchlaucht davon unangenehm berührt werden könnten …«

Auf der Stirne Max Emanuels hatte sich ein Gewitter des Unwillens gebildet. »Nachrichten aus Bayern, ohne Zweifel!« rief er zürnend. »Und Sie erdreisten sich, solche von mir abzuhalten? … Tret Er vor, mein Freund, sag Er mir unverhohlen Seine Nachrichten – ich will sie hören! … Wer ist Er? Was bringt Er?«

»Mit Verlaub, durchlauchtigster Herr Kurfürst,« erwiderte Jäger, der seine volle Haltung wiedergefunden hatte, mit leuchtenden Augen. »Ich heiße Georg Jäger, aus Tölz gebürtig, bin Bier- und Weinwirt im »Tal« zu München und bring' einen schönen Gruß vom ganzen bedruckten Bayerland und vor allem von der betrübten Münchner Stadt …«

»Dank, herzlichen Dank für den biederen Gruß!« rief der Kurfürst. »Ich darf nicht fragen, wie es meinen guten Bayern und Münchnern geht … sie sind in Feindeshand … aber sie müssen sich mit mir trösten! … Während ihr die feindliche Vergewaltigung erduldet, muß ich, fern von Land und Familie, flüchtig in der Verbannung leben … aber es werden wieder andere Zeiten kommen – wir müssen eben beide Geduld haben …«

»Nun,« sagte Jäger mit einem gutmütigen Spottlächeln und einem Seitenblicke auf die glänzende Umgebung, »so ein klein bissel – wie man sagt, so ums Kennen haben's Durchlaucht besser als wir daheim … drum ist uns auch der Geduldfaden gerissen – und Durchlaucht wissen, der bayerische Geduldfaden ist stark …«

»Was soll das heißen? Ich versteh' Ihn nicht!«

»Das soll heißen,« erwiderte der Wirt immer herzhafter, »daß das ganze Land, wenn Durchlaucht es doch noch nicht wissen, aufgestanden ist und die Kaiserlichen aus dem Lande jagen und bayerisch bleiben will …«

Der Kurfürst war in unverkennbarer Unruhe; sein Auge ruhte finster und vorwurfsvoll auf dem alten Freiherrn von Malknecht, der ebenfalls hinzugetreten war. »Und davon habe ich keine Nachricht?« sagte er halblaut zu ihm. »Auch Sie, mein alter, vertrauter Freund, sind mit im Komplotte, einen Wall um mich zu bauen, nur damit meine gute Laune nicht leide?«

»Durchlaucht mögen mir immerhin vergeben,« erwiderte Malknecht ebenfalls halblaut. »Während des Sommers war alle Verbindung abgeschnitten … es waren nur unvollständige, unzuverlässige Nachrichten in den holländischen Zeitungen, die ins Hauptquartier kamen … sie waren nicht angetan, das Herz Eurer Durchlaucht in einer Zeit zu erleichtern, in welcher Sie Ihrer ganzen Tätigkeit, Ihrer ganzen Geistesfrische bedurften …«

»Schon gut …« unterbrach ihn der Kurfürst abwinkend, indem er sich wieder zu dem Abgesandten der Münchener Bürgerschaft wandte. »Sag' Er mir alles, lieber Jägerwirt,« rief er, »ich sehe voraus, daß ich etwas Schreckliches zu hören habe … die Lage des Landes ist noch furchtbarer als zuvor … der Aufstand ist mißlungen!?«

»Das just nicht, Durchlaucht … im Gegenteil, bis jetzt haben die Kaiserlichen noch immer den kürzeren gezogen. Es ist so im August herum gewesen – da hat's zuerst in der Oberpfalz angefangen, dann ist im bayerischen Wald und im Unterlande das Feuer aufgegangen und zu gleicher Zeit auch an der Donau und am Inn … es ist eben gewesen, wie wenn Pulver aufbrennt, das überall herum verstreut worden ist. Jetzt sind die Gegenden auch fast überall frei, wir haben Wasserburg, Braunau, Schärding und Burghausen – auch Cham ist in den Händen der Landesverteidiger, und in diesen Tagen muß es auf Kelheim losgegangen sein …«

»Ich staune!« rief Max Emanuel und trat näher vor den Wirt. »Mit welchen Soldaten habt ihr das zu stande gebracht? Mit welchen Waffen?«

»Soldaten?« lachte Jäger. »Die meisten davon sind Bürger und Bauern – auch viele von der aufgelösten kurbayerischen Armee sind darunter … Waffen haben sie keine anderen, als was vor dem Feinde versteckt worden ist, und was halt jeder im Hause hat! Darauf kommt nichts an, durchlauchtigster Herr Kurfürst – wenn man weiß, wofür man dreinschlägt, richtet man mit Sense, Dreschflegel, Morgenstern noch mehr aus als mit Säbel und Muskete … Nur die Residenzstadt und das Rentamt München allein sind noch in der Gewalt der Kaiserlichen, drum soll's jetzt auf München losgehn von allen Seiten – das ist der Hauptschlag, und der muß jetzt ausgeführt werden, eh' der Feind Zeit hat, uns mit einer neuen Armee über den Hals zu kommen …«

Er schwieg; Max Emanuel schritt einen Augenblick sinnend in der lautlosen Versammlung hin und wider.

»Alles ist vorbereitet und ausgeteilt,« fuhr Jäger fort, »es braucht nur noch eines, und deswegen bin ich von den Münchnern nach Brüssel geschickt worden – das eine soll ich mir von Euer Durchlaucht erbitten …«

»Das ist?« fragte Emanuel, stehen bleibend, seine Züge und sein Blick verrieten heftige innere Bewegung.

»Ein Aufruf ans Volk, Durchlaucht – eine Proklamation, daß alles mit zusammenhalten soll, daß es Durchlaucht recht ist, was wir getan haben, daß Sie sich an die Spitze stellen und ins Land zurückkommen, wie's völlig erobert ist …«

Das Auge des Fürsten ruhte noch immer fest auf dem schlichten Manne; es begann in Tränen zu schimmern, und er vermochte kaum mehr die Rührung zurückzuhalten, die in seiner Miene zuckte. »Noch fass' ich, noch begreif' ich es nicht!« rief er bewegt. »Wie ist diesen regellosen Scharen das Unglaubliche möglich geworden? Und warum habt ihr das getan? Was war's, das euch dazu begeistert hat?«

»Mit Verlaub, Durchlaucht,« sagte Jäger, »das ist eine spaßige Frag'! – Warum? – Weil wir unser Bayerland gern haben und Bayern bleiben wollen, wie wir's gewesen sind von jeher … weil wir bei dem Fürstenhause bleiben wollen, das uns regiert hat in guter und böser Zeit … und weil wir Sie auch gern haben, Durchlaucht …«

Der Kurfürst hatte beide Hände des Bürgers gefaßt und sah ihm ins Gesicht, ein paar Tränen schöner Rührung lösten sich von seinen Wimpern … »Dank … Dank …,« sagte er, »das ist viel Liebe! So viel Liebe hab' ich nicht um euch verdient! Aber ich will, ich werde sie verdienen, wenn ich wieder zu euch zurückkehre! – Hätte ich manches vorausgewußt, – ich hätte mich nie verlocken lassen, unsere friedlichen Grenzen zu überschreiten! – Aber ich weiß es, ich glaube daran: ich werde zurückkehren und dann nur euch gehören und eurem Glücke!«

»Das wird geschehen, Durchlaucht«, sagte der Wirt, ebenfalls ergriffen. »Und bald wird's geschehen! Geben Sie uns die Proklamation, und in acht Tagen ist kein Kaiserlicher mehr im Lande!«

»Davon sprechen wir noch,« erwiderte der Kurfürst, »ein solcher Schritt will wohl überlegt sein. Er soll mir alles genauer erzählen, um ermessen zu können, ob wirklich Aussicht auf durchgreifenden, vollständigen Erfolg gegeben ist – ob nicht ein so großes Opfer, als ihr mir bringen wollt, vergeblich wäre und euch in noch ärgere Bedrängnis stürzen würde …«

Vom Spieltische her klapperten und klangen die Spielmarken lauter und ungeduldiger als zuvor.

Jäger sah den Kurfürsten ungewiß an. »Nein, Durchlaucht,« sagte er, »ärger kann es nicht mehr werden …«

»Komm Er morgen, mein Lieber,« begann Max Emanuel wieder, »dann soll Er meinen Entscheid haben … doch nein … morgen … Ist nicht auf morgen die große Kanalfahrt angesetzt, Baron Albrecht? – Ganz richtig! Also übermorgen – Er muß doch einige Tage in Brüssel bleiben und sich die Stadt besehen …«

»Durchlaucht …!« stieß Jäger hervor.

Die Augen des Kurfürsten flogen nach dem Spieltische hinüber; aus seinem schnell erregbaren Gemüte war die leichte Rührung ebenso rasch wieder verflogen – die Lockung einer reizenden Unterhaltung mit einer schönen Frau behielt darin die Oberhand. Baron Albrecht, der gewandte Hofmann, trat vor ihn und meldete in willkommener Wendung, die Frau Fürstin Ursini lasse fragen, ob Durchlaucht nicht eine Partie Tarokki gefällig sei. »Auf morgen also!« rief der Kurfürst, der Einladung folgend, im Vergessen seiner eigenen Worte.

Der Bürger verbeugte sich ernsthaft; es ging über seine Züge, wie ein Spätfrost über voreilig aufgelockte Blüten geht.

Schweigend verließ er den Saal.

Max Emanuel saß bald zur Seite der schönen Fürstin, gefangen im Banne ihrer glutströmenden Augen, gefesselt von dem anmutigen Klange der lieblichen Stimme, die ihn schmeichelnd ob seines langen Verweilens schalt.

Millevois hatte seitwärts stehend alles mit angesehen und gehört.

»Wie sagte der Marquis?« murmelte er in sich hinein, indem er sinnend in den Bankettsaal zurückkehrte. »Alles kommt darauf an, den Kurfürsten immer fester an uns zu binden … War es nicht so? Was ihn mit Österreich entzweit – muß es ihn nicht immer mehr in unsere Arme drängen? Gewiß! … Diese ungarische Schlinge war nicht fein genug für ihn gedreht … soll auch diese Gelegenheit unbenützt und erfolglos vorübergehen? … Ich kenne ihn … und wenn er sie heute bestimmt zugesagt hätte – morgen würde er Anstand nehmen, diese Proklamation zu geben …« Er sann tiefer nach; dann wurde das Lächeln um seinen Mund noch häßlicher. »Ein glänzender Einfall!« fuhr er fort … »Wenn er gelingt, und er muß gelingen, wenn ich ein passendes Werkzeug finde … Ach, sieh' da – dieser Schwärmer! Ich habe, was ich bedarf!«

Mit der unverfänglichsten Miene trat er zur Tafel, wo Gauthier sich mit einigen Kavalieren in ein Würfelspiel eingelassen hatte. Er winkte ihn mit artiger Entschuldigung zu sich.

»Ich habe vorhin doch recht gehört, Kapitän?« flüsterte er dem Erstaunten zu. »Sie sind dem Kurfürsten-Statthalter aus besonderen Gründen und persönlich zugetan?«

»Mit Leib und Leben!«

»Sie beteuerten, alles ausführen zu wollen, was er Ihnen auftrüge?«

»Alles.«

»Ich nehme Sie beim Worte – es gilt einen geheimen Auftrag Seiner Durchlaucht – der die strengste Verschwiegenheit, ja selbst Aufopferung erfordert, denn es könnten Kombinationen eintreten, welche es sogar nötig machen könnten, den Geber des Auftrags nicht zu kennen …«

»Und wenn es das Gefährlichste wäre, umso willkommener! Sagen Sie den Auftrag – und er ist erfüllt.«

»Echt chevaleresk – in der Tat! So machen Sie sich bereit, demnächst eine Reise anzutreten – vor dem Abgange erhalten Sie Ihre genauere Weisung …«

»Und ist mir gestattet, zu fragen, wohin die Reise geht?«

»In die Hauptstadt des Bayerlandes – nach München!«

.

– – – Wenige Wochen später wehte und wirbelte der Schnee aus eisiger Novemberluft auf die Dächer und Pflastersteine im »Tal« zu München nieder. Es war noch früh am Tage, kaum vier Uhr vorüber – dennoch war die Dunkelheit schon vollständig eingebrochen; aus den Fenstern begannen Lichter zu schimmern und auch auf der Straße wurden an einzelnen Häusern Lichter und Ampeln angezündet, wo ein Marienbild in einer Nische stand oder an die Wand gemalt war – sie brannten nach frommer Sitte jeden Samstag zur Vorfeier des Sonntags und zur Verehrung der Gottesmutter. Eine solche Lampe warf auch vom Jägerwirtshause ihren Schein durch rotes Glas flackernd und trübe auf den schmalen Fußweg; es war gerade hell genug, um den Wirt erkennen zu lassen, der im halbgeöffneten Torwege stand und die Straße gegen das Isartor hinabsah, als ob er jemand erwartete. Es war aber weit und breit kein anderer Laut zu vernehmen als das Heulen des Windes und dazwischen aus einiger Entfernung der schwere abgemessene Fußtritt einer Patrouille, an die eherne Faust mahnend, mit welcher die Stadt und jede Regung in ihr niedergehalten wurde.

Unmutig wandte Jäger sich ab und trat ins Haus zurück, aber auch dort empfingen ihn nicht freundlichere oder willkommenere Töne. Aus dem Hofe von den Ställen her schallte das Pfeifen der einquartierten Soldaten, welche ihre Pferde striegelten, und dazwischen erklang, immer näher kommend, der Gesang einer starken, nur etwas rauhen Männerstimme, welche, nicht ganz ohne Wohlklang, eine jener schwermütig wilden Weisen sang, wie sie in den Pußten und Steppen Ungarns heimisch sind. Jetzt war der Sänger ganz herangekommen und trat in den matt erleuchteten Torweg; es war ein schöner junger Mann in der kleidsamen Tracht der ungarischen Husaren, mit feingeschnittenem Antlitz, aus welchem kraftbewußte Augen funkelten. Dolman, Kalpak und Zismen waren zierlich und reich und die golddurchwirkte Säbelquaste zeigte, daß ihr Träger den Rang eines Kornetts bekleidete.

Der Wirt hatte sich den Anschein gegeben, als bemerke er den Ankommenden nicht, und schritt der Gaststube zu; der Ungar aber, dem diese Bewegung und ihre Absichtlichkeit nicht entgangen war, trat ihm in den Weg. »Bassam,« rief er, von Zornblässe überdeckt und in stark fremdklingendem Deutsch, »warum weicht der Herr mir aus und grüßt mich nicht?«

»Weil ich nicht will!« erwiderte Jäger, furchtlos den Erzürnten messend.

»Aber ist Order!« rief der Kornett. »Er muß mich grüßen – bin Sein Gast!«

»Aber ein ungebetener und unwillkommener dazu! Was ich dem Herrn reichen muß, das bekommt der Herr, – mehr kann er nicht verlangen – und mehr kann mir auch kein Mensch anbefehlen!«

»Der Kaiser hat befohlen – Sein Landesherr!«

»Mein Landesherr ist der Kurfürst von Bayern …«

»Der Kaiser ist's!« rief der Kornett grimmig. »Bassam … was ist das für ein widerspenstig Volk! Ich bin Ungar – das ganze große, schöne Ungarn hat sich müssen beugen vor Kaiser … diese Handvoll Menschen will sich nicht beugen? Bassam … sollen sich beugen, sollen noch lernen gern grüßen kaiserliche Uniform …«

Ungestüm, mit klirrendem Schritte, verließ er das Haus; gebückten Hauptes, mit einem halbunterdrückten Seufzer, näherte sich Jäger der Glastüre zum Vorgemach neben der Gaststube. Mit lautem Schritt kam er hinzu und trat weder unvermutet noch rasch ein – dennoch waren Begegnung und Anblick jenen vor einem halben Jahre nur zu ähnlich.

Zwar stand die Tochter nicht sich putzend am Spiegel, sondern saß auf der schwarzledernen Ruhebank hinter Kerzenlicht; dennoch schrak sie wieder zusammen, als der Vater eintrat, und vermochte auf dessen grüßendes: »Gelobt sei Jesus Christus!« nur undeutlich, wie aus gepreßter Kehle, das übliche »in Ewigkeit« hervorzubringen. Dem sicheren Blick des Vaters war nichts entgangen, doch trat er schweigend an das Wandschränkchen über dem Schreibkasten, wo er in allerlei Papieren und Schriften herumkramte. Dann zündete er sich eine Kerze an und setzte sich, wie wenn er schreiben wollte, an den Tisch; aber er schrieb nicht, lässig spielten die Finger mit dem langbärtigen Kiele und die Stirne sank gedankenschwer der stützenden Hand entgegen. Mit einem Male aber erhob er sich und vollendete in rasch entschlossenem Anlaufe; dann schloß er den Brief und ließ beim Siegeln das rote Wachs langsam darauf niederfallen – es war, als ob ein glühender Tropfen aus seinem beklommenen Herzen mit auf das Blatt fiele.

»Walpi …,« begann er dann, ohne sich nach ihr umzuwenden, in gedämpftem Tone. »Mein Bruder in Tölz hat mir wieder geschrieben … Die Schwägerin ist wieder kränker geworden – er muß jemand haben, der sie auswartet und ihm die Haushaltung führt … ich hab' ihm geschrieben, daß du zu ihm kommen wirst …«

Das Mädchen erwiderte nichts; ihre Bestürzung war zu groß; das Strickzeug, das sie in den Händen hielt, glitt ihr unwillkürlich zu Boden.

»Es ist alles schon beredet und hergerichtet,« fuhr der Vater wie zuvor fort, »der Bruder schickt heut abend noch das Fuhrwerk, das dich abholen soll … morgen früh kannst du beizeiten abreisen … Also,« schloß er, sich erhebend, da sie noch immer schwieg, »du weißt es jetzt – kannst dich danach richten und deine Sachen zusammenpacken …«

Er wollte gehen. Jetzt erhob sich Walpi und rief, all ihren Mut zusammenfassend, während ihr das Blut bald in die Wangen stieg, bald zum Herzen zurückstürzte: »Das geht nicht an, Vater … das geht so geschwind nicht! … Und ich will auch nicht fort in das langweilige Tölz … ich weiß es vom Prokurator dort, der erst vorgestern hier war – die Base ist gar nicht so krank …«

»Dann ist vielleicht jemand anderer desto kränker,« sagte der Vater, »die scharfe Bergluft hat schon manchem gut getan! Sperr' dich nit, Walpi – es nutzt nichts, wenn der Jägerwirt etwas sagt, dann ist's auch schon so gut, als wenn es geschehen wär' … Ich hab' gleich von Anfang Unglück gefürchtet,« fuhr er fort, indem er den Blick unverwandt und durchdringend auf ihr haften ließ, »ich bin drum nur ungern gereist und hab' gemeint, die Nachbarin wird eine richtige Frau machen …«

»Vater,« stammelte Walpi, »du wirst doch nicht glauben …«

»Noch nicht,« entgegnete er finster, »noch glaub' ich's nicht, daß ein ordentliches Mädchen so verblendet sein kann! daß eine, die den Kopf so hoch getragen hat, sich mit einem hergelaufenen, halbwilden Menschen sollt' einlassen können … Noch glaub' ich's nicht, Walpi – aber ich hab' meine offenen Augen und will die Tür zumachen, eh' die Kuh aus dem Stall ist …«

Er hatte Hut und Mantel vom Wandrahmen genommen und verließ Zimmer und Haus.

Eine halbe Stunde später saß Walpi in der Gaststube, welche zu dieser Stunde gar nicht und bei der bedrängten Lage der Bewohner überhaupt nur wenig besucht war. Ein einziger Gast hatte sich eingefunden und neben dem Mädchen im Winkel des Ofens Platz genommen, der bei der Dämmerung, die in der Stube waltete, auf denselben einen starken, vollständigen Schatten warf. Es war der Husarenkornett, der Walpis eine Hand in der seinigen hielt, den anderen Arm aber um die nur schwach Widerstrebende schlang. Sie selbst hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte bitterlich.

»Mußt nicht weinen, schönes Madel!« flüsterte tröstend der Husar. »Bassam, ich lass' nicht von dir … ich hab' dich gern und mach' dich zu meiner Frau – ich bleibe nicht immer Kornett – dauert der Krieg fort, kann ich in einem Jahre Rittmeister sein und du Rittmeisterin …«

»Das hilft mir alles nichts!« schluchzte Walpi, »deswegen muß ich doch fort in das langweilige Tölz … und fort von dir …«

»Du sollst nicht, – gleich morgen geh' ich zu meinem Oberst … ich heirat' dich auf der Stelle …«

»Ach, wenn du das wolltest, Istvan!« erwiderte halb getröstet das Mädchen, »dann wär' alles gut … ich vertrag's nicht, wenn ich fort soll! Ich kann nicht leben ohne dich! Ja, Istvan, geh zu deinem Oberst, mach' mich zu deiner Frau – ich geh' mit dir in deine Heimat und wohin du willst …«

»Fort von hier?« lachte der Kornett. »Bassam – wär' ich ein Narr! Ich will nit alles zurücklassen, was einmal dir gehört – wir wollen hier bleiben und in Freuden leben, mir gefällt's ganz gut in deinem Haus …«

»Nein, nein, Istvan – das gibt mein Vater in Ewigkeit nicht zu!«

»Pah! – Muß wohl zugeben! Was will er? Bin ich nicht ein Edelmann, so gut als einer in Ungarn? Wenn ich will, und Oberst will – möchte sehen, ob er sich untersteht, zu sagen … nein!«

»Das untersteht er sich allerdings!« rief eine starke, zornbebende Stimme dazwischen und eine nicht minder starke Faust hatte im Augenblicke Walpi emporgerissen und gegen die Stube geschleudert. Es war Jäger, der von den beiden unbeachtet und unerwartet durch die Küche eingetreten war. »Marsch, Ungeratene! Auf deine Stube, Soldatendirn – bis ich dich aus dem Hause bringe!«

Walpi drohte vor Schrecken umzusinken; fluchend war der Kornett ihr nachgesprungen, umfaßte sie und legte die Hand an den Säbelgriff.

»Laß dein Krautmesser stecken, Krawat!« rief ihm Jäger entgegen. »Die Hand von dem Mädel! Ist sie's auch nicht wert, die schlecht genug ist, sich wegzuwerfen an einen Landfeind, einen Landverderber – noch bin ich Vater und Herr im Hause und will's Euch zeigen!«

»Mein ist sie und bleibt sie!« rief der Husar und zog den Säbel, während Walpi halb bewußtlos auf eine Bank zusammentaumelte. Im Augenblicke aber hatte Jäger ihm den Arm unterlaufen und mit einem wilden Rucke den Säbel seinem Gelenke entwunden. Er setzte den Fuß auf die Klinge, zertrat sie und warf ihm die Trümmer vor die Füße. Wutbrüllend stürzte der Ungar auf den starken Mann, der ihn aber mit überlegener Kraft hob und dröhnend zu Boden warf. »Da muß schon ein anderer kommen,« rief er, »wenn er's mit einem Oberländer aufnehmen will!« Dabei stieß und drängte er seine Tochter in die Ofenecke, denn die Türe flog auf und eine starke Patrouille stürmte herein, herbeigerufen durch das Lärmen und Istvans nicht ruhendes Wutgeschrei. Es war natürlich, daß die Soldaten ohne vieles Fragen die Partei des Kameraden nahmen und sich anschickten, den Bürger, der sich an ihm vergriffen, zu verhaften und aus seinem Hause zu schleppen.

Jäger hatte in der Eile ein Küchenbeil erfaßt und hielt es hoch in der Rechten empor – ein blutiges Handgemenge drohte zu beginnen, als eine kräftige, rohe Stimme Halt gebot. Ehrerbietig traten die Soldaten beiseite und zwischen ihnen erschien ein kleiner Mann von untersetzter Gestalt, mit krummen Reiterbeinen: es war der Pandurenoberst Kriechbaum. Mit unheimlich blitzenden Augen musterte er die Anwesenden, während er Istvans heftigen Bericht und des Wirtes ruhige Erwiderung anhörte.

»Was fängt Er Händel an im Quartier?« herrschte er dann den überraschten Husaren an. »Keine Widerrede – beim Oberst Kriechbaum gibt's keine Widerrede! Er ist ausquartiert, Kornett, und zwar augenblicklich … versteht Er mich? Der Hausherr aber,« fuhr er gegen diesen gewendet fort, »hat auch unrecht und mir ist's, als hätt' ich Ihn schon nennen hören als einen von den ersten Rädelsführern und Aufhetzern … will aber ein Auge zudrücken bei Ihm – Seiner Tochter wegen! Schönes Mädel das! Viel zu gut für einen Kornett! Ich werde wohl öfter bei Ihm nachsehen müssen, Wirt, und mich um die Person annehmen!«

Er ging. Der Schritt der Soldaten verhallte und bald war von außen nichts mehr hörbar als die Stöße des Windes, die an den Fenstern rüttelten.

Einige Stunden später war es auch in dem verschlossenen Hause so ruhig geworden, als ob die stille Ordnung der häuslichen Gewohnheit durch nichts gestört worden wäre; nur in der Tiefe desselben, in einem dunklen Gewölbe, herrschte noch verborgenes, geheimnisvolles Leben. Der matte Schein einiger kleiner Lampen wankte an dem grauschwarzen, viel durchritzten Gemäuer hin und reichte nur eben aus, die Umrisse einer Reihe von Fässern erkennen zu lassen, wie sie in den Kellern gelagert werden. In einem nicht sehr großen, leeren Raume dahinter stand eine Schar von Männern zusammengedrängt und warf finstere, langgezogene Schatten an die Wölbung. Eine schmale, feuchte Steintreppe wand sich um einen starken Strebepfeiler empor; neben derselben war ein Lichteinfall angebracht, der nach der Straßenseite führte, jetzt aber mit Brettern verrammelt war, daß weder Laut noch Licht empordringen sollte.

Es war der einzige Ort, der den treuen Bürgern von München noch geblieben war, sich unerspäht und unbehorcht zusammenzufinden und in Gespräch und Beratung die schweren Herzen zu erleichtern.

Unter den Versammelten befanden sich Senser und Schwöger, Xaver, der wackere Tuchmacher, einige Hofdiener und einige ehemalige Offiziere, Hauptmann Mayer vom Regiment Kurprinz, die Leutnants Huy und Abel vom Regiment Lützelburg; auch eine kleine Anzahl treu gebliebener Beamten fehlte nicht, wie der Kriegskommissarius Fux, der frühere Stadtrichter Xaver von Bertel und der ernste, unerschütterliche Kammerrat Neusönner.

»Ich bleibe dabei,« sagte der Eisenkrämer Senser, »das ist der größte Fehler, daß man die Vornehmen und Adligen, die sich herbeigedrängt haben, wie sie sahen, daß die Sache gut gehe, ins Kommando zugelassen hat. Bürger und Bauern haben die Landesdefension angefangen und hätten sie auch sollen zu Ende führen. Der Plinganser und besonders der Meindl, das waren die richtigen Kommandanten. Seitdem dieser Baron Prielmayer und der Herr von d'Okfort mit in Burghausen sitzen, geht's nicht mehr recht vorwärts!«

»Sind sie zu stolz und dünken sich zu vornehm,« erwiderte Schwöger. »Ich habe mir erzählen lassen, der Herr von d'Okfort soll sich vor Braunau geweigert haben, anzugreifen, und soll gesagt haben, ›er habe Soldaten kommandieren gelernt, aber nicht Bauern!‹«

»Drum sollt' er lieber wegbleiben!« rief Senser wieder. »Wenn sie's auch nicht geradezu falsch meinen, so meinen sie's doch auch nicht ganz aufrichtig! Sie tragen auf beiden Achseln und möchten, wenn's doch schief ginge, es auch mit den Kaiserlichen nicht ganz verderben! Der Waffenstillstand, den sie im Anzinger Pakt geschlossen haben, ist der beste Beweis dafür!«

»Dieser Waffenstillstand,« sagte Leutnant Abel, »war allerdings ein unglücklicher Einfall und kann nur dem Feinde nützen, sich zu sammeln und zu verstärken, während wir in der Untätigkeit nicht kräftiger werden!«

»Drum bleib ich dabei!« rief Senser, »die Scharten müssen ausgewetzt werden, und eh' sie sich's erwarten, muß ein Hauptschlag geschehen oder alles geht nacheinander wieder verloren!«

Auf der Treppe wurden Männertritte hörbar; der Hofkoch Engelhard kam mit dem Spengler Eder herabgestiegen. »Wo ist der Jägerwirt?« fragte der erstere, um sich blickend.

»Wir wissen nicht, wo er so lange bleibt,« erwiderte Xaver, »wir fürchten fast, es hab' wieder was Außerordentliches gegeben …«

»So ist es auch,« sagte Engelhard, »das Herz möchte einem bluten dabei! – Ihr wißt,« fuhr er fort, indes alle sich näher an ihn drängten, »wie sie unsere Prinzen schlecht und fast wie Gefangene behandelt haben, trotzdem, daß es in der Kapitulation ausdrücklich bedungen und versprochen war, daß ihnen nichts zuleide geschehen und kein Versuch gemacht werden soll, sie von München wegzuführen? … Das erste haben sie von Anfang an nicht gehalten – die zweite Bedingung wollen sie jetzt auch brechen – sie wollen die Kinder voneinander trennen und fortbringen …«

»Nimmermehr! Das darf nicht sein!« riefen mehrere durcheinander.

»Es ist im Werke!« beteuerte Engelhard. »Gemunkelt hat es schon lange davon – ich hab's von einem vertrauten Manne, der ist im Ofenloche gesteckt und hat's mit angehört, wie der General Gronsfeld mit dem Bürgermeister verabredet hat, was sie tun wollten, wenn etwa darüber ein Aufruhr entstände …«

»Sie sollen nicht! Es darf nicht sein!« riefen die Männer in stürmischer Entrüstung. »Geh einer hinauf und suche den Jägerwirt,« fuhr Engelhard fort. »Gleich nach Neujahr, so haben sie's vor, soll's geschehen – die kleineren Kinder sollen wie abgehauste Waisenkinder irgendwo in die Kost gegeben werden – die Prinzessin wollen sie zu Klarissinnen tun und eine Klosterfrau aus ihr machen – der Kurprinz und Prinz Otto aber sollen fortgebracht werden, weit fort, auf eine Festung tief unten im Ungarischen …«

Kammerrat Neusönner benützte die Pause augenblicklicher Entrüstung, um noch ein letztes Friedenswort zu sprechen: sein maßvoll ängstliches Gemüt drängte ihn dazu. »Aber, meine Freunde,« sagte er, »es wäre immer doch am ratsamsten, vor diesem Hauptschlage die Botschaft abzuwarten, die uns von Brüssel aus zugesagt ist …«

»Abwarten? Nichts mehr von Abwarten!« rief Senser entgegen. »Wir haben auf Ihr Zureden eine Deputation nach Wien an den Kaiser und den Jägerwirt nach Brüssel zum Kurfürsten geschickt – was hat's geholfen? Zum Kaiser sind sie gar nicht gelassen worden – es hieß, er habe keine Zeit, daß man ihn mit unseren bayerischen Kleinigkeiten behelligen dürfte … was der Jägerwirt für einen Bescheid bekommen hat, wissen wir auch alle … der Kurfürst möchte sich gern offen für uns erklären, aber er ist so eingesponnen, daß er nicht darf und kann, was er will … Wozu also noch die Botschaft abwarten, die er versprochen hat?«

Unruhe und Gedränge, die an der Treppe entstanden, unterbrachen den Redenden. Gesichter erbleichten, Kniee wankten und der Ruf: »Verrat!« bebte von Munde zu Munde, denn auf der Stiege erschien ein stattlicher Offizier in den österreichischen Farben. Neben ihm, die Laterne in der Hand, stand der Jägerwirt. »Seid ruhig,« rief er, »und fürchtet nichts! Der Herr ist ein guter Freund, der in dieser Tracht nach München gekommen ist, um ja keinen Verdacht zu erregen … Herr Kapitän Gauthier, der mit einem Schreiben kurfürstlicher Durchlaucht aus Brüssel kommt …«

Freudige Bewegung ergriff die Versammelten. »Endlich!« rief es durcheinander. »Das kommt zur rechten Zeit! Wie lautet der Brief?«

In gebrochenem Deutsch erklärte der Kapitän, indem er ein ansehnliches Schreiben mit dem kurfürstlichen Siegel vorzeigte, daß er beauftragt sei, dasselbe in die Hände der Münchener Bürgerschaft zu legen – aber nicht sogleich, sondern erst in einem Zeitpunkte, welchen vorher bekannt zu machen ihm verboten sei. Er werde als Botschafter des Kurfürsten nicht mehr von ihnen weichen – sie sollten daher ihm und seiner Sendung vertrauen …

Die Bürger sahen einander an und beratschlagten. »Was haben wir uns viel zu besinnen?« sagte Senser. »Wir wollten doch losschlagen, weil wir nicht anders können … Mag in dem Briefe stehen, was will; daß der Kurfürst den Herrn da geschickt hat, ist die deutlichste Botschaft … Wir schlagen los! Was sagst du, Jägerwirt?«

»Daß wir es tun müssen,« erwiderte dieser, »wenn wir uns den Feind nicht über den Kopf wachsen lassen wollen! … Es ist die höchste Zeit – ich habe noch spät schreckliche Nachrichten aus Kelheim bekommen …«

»Aus Kelheim? War denn dort nicht alles im besten Gange? Hat nicht der Metzger Kraus die Stadt genommen?«

»Allerdings – aber von Ingolstadt kam ein weit überlegenes Korps gegen die Stadt gezogen … es waren Ansbacher Reichstruppen … Die Stadt ward genommen, geplündert und an allen vier Ecken angezündet … das Haus des Metzgers Kraus wurde niedergerissen und auf dem Schutte ein Galgen aufgerichtet … ihn selbst haben sie gefangen, geköpft und gevierteilt …«

Er hielt inne – kein Laut antwortete.

»… Ein neues kaiserliches Mandat ist ergangen … Jeder, der mit den Waffen ergriffen wird, wird ohne Pardon gehenkt … von bewaffneten Trupps, wenn sie sich ergeben, wird der zehnte Mann erschossen … Jeder, der eine unzufriedene Miene macht, kommt unter die Kroaten … An jedem Orte, auch wo lauter Gutgesinnte, wie sie sich heißen, wohnen, sollen einige ausgesucht und hingerichtet werden – zum besonderen abschreckenden Exempel!«

Er hielt wieder ein: Todesschweigen waltete in dem Keller.

»Wir können also nicht sagen,« begann Jäger wieder, »daß wir nicht wissen, was uns bevorsteht … aber wir sind doch entschlossen – nicht wahr, meine lieben Landsleute und Freunde?«

Ein einstimmiges, feierliches »Ja« ertönte.

Gauthier trat hinzu. »Laßt mich auch dabei sein!« sagte er ernst. »Das ist ein braves Volk – ich wollen fechten und fallen mit so braves Volk!«

»So soll alles bleiben, wie es schon beredet war!« redete Jäger weiter. »In der heiligen Christnacht soll auch unser Vaterland neu geboren werden … es ist die beste Zeit, weil sie da am wenigsten ein Losbrechen fürchten! Morgen soll mein Vetter Xaver hinaus nach Burghausen und soll's mit dem Plinganser bereden, daß er in der heiligen Nacht mit seinen Unterländern heranrückt – die Oberländer nehme ich auf mich. Schlag zwölf Uhr muß jedes Korps eine halbe Stunde vor der Stadt aufmarschiert sein. Wir aber in der Stadt halten uns alle ruhig, damit kein Verdacht entsteht … wie wir in die Metten gehen, nimmt jeder, was er an Gewehr hat, unterm Mantel mit … und jeder weiß wohl, was ihm weiter zugeteilt ist …«

»Ich bin am Kosttor, hinter meinem Bräuhaus,« sagte Schwöger; »wie auf dem Petersturme die Rakete aufsteigt, mach' ich das Törl auf und lasse die Landsverteidiger herein …«

»Wir Feuerarbeiter,« rief Senser, »die Schlosser und Schmiede haben das Zeughaus über uns genommen!«

»Ganz recht,« fuhr Jäger fort. »Die Studenten sammeln sich in der Neuhauser Gasse, die Hofbediensteten und die Leibguardia postieren sich vor der Residenz – die Maurer und Zimmerleute gehen auf die Hauptwache los, und ich mit den übrigen will das Isartor behaupten … Ist es allen so recht?«

Dasselbe feierlich einstimmige »Ja!« ertönte.

»So bleibt's beschlossen. Hüte jeder seinen Mund, flüstert einander kein Wort zu – winkt euch nicht einmal mit den Augen … Haltet die wenigen Tage noch in Geduld aus! Ist's auch mitunter recht hart, es geht vorbei – und wir werden als echte, redliche Bayern dastehen, unser Vaterland retten und unserem Landesherrn erhalten und ihm seine Kinder, die er uns anvertraut hat, wieder geben können! Ihr wißt, was die Bauern zu ihrer Losung genommen haben – sie soll auch die unserige sein, bis in den Tod! Wir sagen wie sie: ›Lieber bayerisch sterben als kaiserlich verderben!‹«

Er hob die Hand wie zum Schwure; alle reichten sich die Hand und wiederholten feierlich: »Lieber bayerisch sterben, als kaiserlich verderben!«

An der Rückseite des Hauses, gegen die Stadtmauer hin, öffnete sich dann vorsichtig ein kleines, kaum erkennbares Pförtchen. Einzelne dunkle Gestalten schlüpften nacheinander hinaus in die inzwischen sturmfreigewordene, aber sternenlose finstere Nacht. Unter Händeschütteln schieden sie voneinander und flüsterten: »Lieber bayerisch sterben, als kaiserlich verderben – auf Wiedersehen in der Christnacht!«

.


 << zurück weiter >>