Johannes Schlaf
Papa Hamlet
Johannes Schlaf

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VI

Seit ihr zweiter, unliebenswürdiger Gatte ihr vor ungefähr fünf Jahren auf der »Dicken Selma« treulos nach Kanada ausgerückt war, hatte die liebe, gute, alte Frau Wachtel keinen solchen Ärger mehr auszustehn gehabt.

Nicht bloß, daß seine Stiefelabsätze noch überall auf dem Sofa deutlich zu sehn waren, nicht bloß, daß das Fensterkreuz von den dämlichen Leiterstücken, die jetzt natürlich zerbrochen unten auf dem Pappdach lagen, total ruiniert war, bewahre: auch die ganze Tapete war von oben bis unten mit Ölfarben bekleckst! Der vermaledeite knirpsige Schmierpeter schien sich die ganze Zeit dran seine schwein'schen Pinsel ausgequetscht zu haben. Pfui Deibel ja!

Aber, das war ihr ganz recht! Warum hatte sie das ganze Pack nicht schon längst an die Luft gesetzt! Wenn's wenigstens noch die verrückten Thienwiebels gewesen wären. Aber die holte ja der Satan nicht! Die hakten fest wie Kletten an ihr!

Die alte, liebe, gute Frau Wachtel war ganz außer sich. Aber sie hatte wirklich Pech mit ihren Mannsleuten. Der kleine Ole hatte sich in der Tat nicht entblödet, ihr mit Hinterlassung einiger alter »Schinken«, deren Darstellungsobjekte es unmöglich zuließen, daß man sie sich übers Sofa hing, auszukneifen.

»Solch eine Tat, die alle Huld der Sittsamkeit entstellt, die Tugend Heuchler schilt, die Rosen wegnimmt von unschuldvoller Liebe schöner Stirn und Beulen hinsetzt ... Ha!«

Aber der große Thienwiebel suchte sich jetzt vergeblich beliebt zu machen. Seine »Schmeichelsalb'« zog nicht mehr. Frau Rosine Wachtel verlangte jetzt energisch ihre Miete.

Heut war der Siebente: wenn ihr bis zum Vierzehnten nicht alles bezahlt war: – raus!!

Ja! ... Sterben – schlafen – nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf das Herzweh und die tausend Stöße endet, die unsres Fleisches Erbteil – 's ist ein Ziel, aufs innigste zu wünschen! ... Ja! dies war ehedem paradox! Paradox! ... Doch nun – bestätigte es die Zeit! Armer Yorick! ...

Der große Thienwiebel fühlte, daß es jetzt zu Ende war mit seiner Kraft. Er wollte nun arbeiten, Freund! Arbeiten! Er wollte seine ganze Kraft aufbieten. Er – er ... er wollte ihn »suchen« gehn! »Laßt mich! Er ist ermordet, Amalie! Er ist ermordet!« ...

Er hatte sich jetzt wieder seinen alten, olivengrünen Leibrock zurechtgeflickt und trieb sich nun ganze Tage lang im Hafenviertel umher. – »Ha! Tot?! Für 'nen Dukaten, tot?!« ... Er hatte wieder eine prachtvolle Ausrede. Ein Bubenstück! Er brauchte jetzt kaum mehr die Nächte nach Hause zu kommen. Er schnurrte sich herum, so gut es ging. Da gab es noch – e: Kollegen! Leute! Leute? Pah, Stümp'rr! Aber – e ... sie – e ... Nun ja! Sie sorgten für die Bewirtung der Schauspieler! Wetter! Es lag darin etwas Übernatürliches! Wenn die Philosophie es nur hätte ausfindig machen können! ...

Aber die Philosophie machte es nicht ausfindig. Der große Thienwiebel kam nie dahinter.

Er hatte sich jetzt nach und nach bis unten in die Hafenspelunken verirrt. Mehrere Sackträger waren bereits seine Duzbrüder geworden. Bevor nicht »der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen«, bereits mehrere Male nachdrücklich gekräht hatte, kam er jetzt selten mehr die Treppen in die Höhe gestolpert.

Amalie nähte noch immer die Trikottaillen. Der Stumpfsinn hatte sie nach und nach zur reinen Maschine gemacht. Die reizende Ophelia in ihr war jetzt endgültig begraben. Für alle Zeiten! ... Ihre Brust war noch schwächer geworden ...

Dem kleinen Fortinbras ging es noch jämmerlicher. Sein ganzes Gesichtchen war jetzt dicht mit roten Pusteln betupft. Ein Schächtelchen Zinksalbe, zu dem sich die Familie im Anfang denn doch noch aufgeschwungen hatte, lag jetzt zusammengequetscht, verstaubt hinterm Ofen. Es war nicht mehr erneuert worden.

Der große Thienwiebel hatte nicht so ganz unrecht: Die ganze Wirtschaft bei ihm zu Hause war der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters.


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