Friedrich von Schiller
Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache
Friedrich von Schiller

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Friedrich von Schiller

Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache

Der Marquis von A*** war ein junger Mann, der seinem Vergnügen lebte, liebenswürdig und angenehm, der aber übrigens so so von der weiblichen Tugend dachte. Dennoch fand sich eine Dame, die ihm ziemlich zu schaffen machte; sie nannte sich Frau von P***, eine reiche Witwe von Stande, voll Klugheit, Artigkeit und Welt, aber stolz und von hehrem Geist.

Der Marquis brach alle seine vorherigen Verbindungen ab, um nur allein für diese Dame zu leben. Ihr machte er den Hof mit der größten Geflissenheit, brachte ihr alle ersinnliche Opfer, sie von der Heftigkeit seiner Neigung zu überführen, und trug ihr endlich sogar seine Hand an. Aber die Marquisin, die es noch nicht vergessen konnte, wie unglücklich ihre erste Heirat gewesen, wollte sich lieber jedem andern Ungemach des Lebens als einer zweiten aussetzen.

Diese Frau lebte sehr eingezogen. Der Marquis war ein alter Bekannter ihres verstorbenen Mannes gewesen; sie hatte ihm damals den Zutritt gestattet und auch nachher verschloß sie ihm ihre Türe nicht.

Die weibliche Sprache der Galanterie konnte an einem Manne von Welt nicht mißfallen. Die Beharrlichkeit seiner Bewerbung, von seinen persönlichen Eigenschaften begleitet, seine Figur, seine Jugend, der Anschein der innigsten wahrhaftigsten Liebe und dann wiederum die einsame Lebensart dieser Dame, ein Temperament, zur zärtlichen Empfindung geschaffen, mit einem Wort alles, was ein weibliches Herz nur verführen kann, tat auch hier seine Wirkung. Frau von P*** ergab sich endlich nach einer monatlangen fruchtlosen Gegenwehr und dem hartnäckigsten Kampf mit sich selber. Unter den gehörigen Formalitäten eines heiligen Schwurs war der Marquis der Glückliche – er wäre es auch geblieben, hätte anders sein Herz den zärtlichen Gesinnungen, die es damals so feierlich angelobte und die ihm so zärtlich erwidert wurden, getreu bleiben zu wollen.

Einige Jahre waren so dahingeflossen, als es dem Marquis einfiel, die Lebensart der Dame etwas einförmig zu finden. Er schlug ihr vor, in Gesellschaft zu gehen, sie tat's – Besuche anzunehmen, sie willigte ein – Tafel zu geben, auch darin gab sie ihm nach. Endlich und endlich fing ein Tag, fingen mehrere Tage an, zu verstreichen, und kein A*** ließ sich sehen. Er fehlte bei der Mittagstafel – beim Abendessen. Geschäfte drängten ihn, wenn er bei ihr war; er fand für nötig, seinen Besuch diesmal abzukürzen. Wenn er kam, murmelte er eins, zwei Worte, streckte sich im Sofa, ergriff etwa diese oder jene Broschüre, warf sie weg, schäkerte mit seinem Hund oder schlief zuletzt gar ein. Es wurde Abend – seine schwächliche Gesundheit riet ihm, zeitlich nach Hause zu gehen, das hatte ihm Tronchin ausdrücklich befohlen, und Tronchin, das ist wahrhaftig und wahr, Tronchin ist ein unvergleichlicher Mann – und damit nahm er Stock und Hut und wischte fort, vergaß in seiner Zerstreuung auch wohl gar, Madame beim Abschied zu umarmen. Frau von P*** empfand, daß sie nicht mehr geliebt ward; aber sie mußte sich überzeugen, und das machte sie ohngefähr auf folgende Art:

Einmal, als sie eben abgespeist hatten, fing sie an:

»Warum so in Gedanken, Marquis?«

»Warum Sie, gnädige Frau?«

»Es ist auch wahr, und noch dazu in so traurigen.«

»Wie denn das?«

»Nichts.«

»Das ist nicht wahr, Madame! Frei heraus« – und dabei gähnte er – »gestehen Sie mir: was ist Ihnen? – das wird uns beide aufmuntern.«

»Hätten Sie das hier so nötig?«

»Nicht doch – Sie wissen ja – Man hat so gewisse Stunden –«

»Wo man verdrießlich sein muß?«

»Nein, Madame, nein, nein – Sie haben unrecht, bei meiner Ehre, Sie haben unrecht. Es ist nichts. Ganz und gar nichts. Es gibt manchmal so Augenblicke – Ich weiß selbst nicht, wie ich mich ausdrücken soll.«

»Lieber Freund, schon eine Zeitlang drückt mich etwas auf dem Herzen, das ich Ihnen sagen wollte, aber immer war mir bange, es würde Sie beleidigen.«

»Mich beleidigen? Wie?«

»Vielleicht – aber Gott ist mein Zeuge, daß ich unschuldig bin. Ohne meinen Willen, ohne mein Wissen hat sich das nach und nach so gegeben. Es kann nicht anders – es muß en Fluch Gottes sein, der dem ganzen Menschengeschlecht gilt, weil auch ich – ich selbst so gar keine Ausnahme mache.«

»Ah Madame – Sie besorgen etwa – hm – und was ist es denn?«

»Was es ist? – O ich bin unglücklich – auch Sie werd' ich unglücklich machen. – Nein, Marquis, besser, ich schweige still.«

»Reden Sie frei, meine Liebe. Sollten Sie vor mir Geheimnisse haben? Sollten Sie nicht mehr wissen, daß es die erste Bedingnis unsrer Vertraulichkeit war, einander nichts zu verschweigen?«

»Das eben ist's, was mir Kummer macht. Was Sie mir jetzt vorwerfen, Marquis, hat noch vollends gefehlt, meine Strafbarkeit aufs höchste zu treiben. – Finden Sie nicht, daß meine vorige Munterkeit ganz dahin ist? – Ich habe keine Lust zum Essen und Trinken mehr. Auch sogar schlafen mag ich nicht mehr. Unser vertrauter Umgang fängt nachgerade an, mir zuwider zu werden. Oft um Mitternacht frage ich mich selbst: Ist er denn nicht mehr so liebenswürdig? – Er ist, wie er war. Hast du Ursache, dich über ihn zu beklagen? – Nicht die mindeste. Vielleicht besucht er verdächtige Häuser? – Nichts weniger. Oder findest du ihn vielleicht minder zärtlich als ehedem? – Ganz und gar nicht. Aber wenn dein Freund noch der alte ist, so müßtest du ja verwandelt sein? – Du bist's, o gestehe dir's, du bist's. Da ist kein Funke der Sehnsucht mehr, mit der du sonst ihn erwartetest, kein Schatten der Freude mehr, womit du ihn damals empfingest, keine Spur der süßen Beklemmung mehr, wenn er ausblieb, der süßeren Aufwallung, wenn er wiederkam, wenn du hörtest seiner Tritte Klang, wenn man ihn meldete, wenn er hereintrat – O das alles ist vorbei – es ist dahin, er ist dir fremder geworden.«

»Wie, Madame?«

Hier drückte die Dame beide Hände vor's Gesicht, ließ den Kopf herabsinken und schwieg eine Zeitlang still. Endlich sagte sie wieder:

»Ich weiß, was Sie mir antworten können. Ich bin darauf gefaßt, Sie erstaunt zu sehen – mir das Bitterste von Ihnen sagen zu lassen – aber schonen Sie, Marquis – doch nein, nein, schonen Sie nicht. Sagen Sie mir alles. Ich hab' es verdient. Ich muß mir's gefallen lassen. La, lieber Marquis, so ist es – es ist wahr – aber ist es nicht schrecklich genug, daß es so weit kommen mußte – sollte ich auch noch zu der Schande herabgesunken sein, Ihnen geheuchelt zu haben? – Sie sind, was Sie waren, aber ich bin die nämliche nicht mehr. Noch zwar verehr' ich Sie, verehre Sie so sehr und noch mehr als ehedem, aber – – aber eine Frau, wie Sie mich kennen, eine Frau, die gewohnt ist, die geheimsten Regungen ihres Herzens zu prüfen, sich nirgends zu täuschen, diese Frau kann sich nicht mehr verhehlen, daß die Liebe daraus geflohen ist. Dieses Bekenntnis – o ich fühl' es – es ist das entsetzlichste, aber dennoch nicht minder wahr. – Ich eine Wankelmütige, eine Lügnerin! – Wüten Sie aus, lieber Marquis. Verwünschen Sie mich. Verdammen Sie mich. Brandmarken Sie mich mit dem verhaßtesten Namen! Ich hab' es selbst schon getan! Alles, alles kann ich von Ihnen anhören, nur das einzige nicht, daß ich heuchle, denn das verdien' ich nicht.«

Der Marquis warf sich ihr zu Füßen.

»Treffliche Frau! Göttliche Frau! Frau, wie man keine mehr finden wird. Ihre Freimütigkeit, Ihre Rechtschaffenheit beschämen mich, rühren mich – ich möchte für Scham sterben. Wie groß stehen Sie in diesem Augenblick neben mir, wie klein steh' ich neben Ihnen! Sie haben den Anfang gemacht, zu bekennen – ich machte den Anfang, zu fehlen. Ihre Offenherzigkeit reißt mich hin – ein Ungeheuer müßt' ich sein, wenn ich einen Augenblick anstünde, sie zu erwidern. Ja, Madame, ich kann es nicht leugnen: die Geschichte Ihres Herzens ist Wort für Wort auch die Geschichte des meinigen. Alles, alles, was Sie sich gesagt haben, hab' ich auch mir gesagt. Doch ich duldete und schwieg – hätte vielleicht noch lange geschwiegen – hätte vielleicht nie den Mut gehabt, mich zu erklären.«

»Ist das wirklich wahr, Marquis?«

»Wahr, Madame – und wir können uns als beide Glück wünschen, daß wir zu gleicher Zeit über eine Leidenschaft Meister wurden, die so vergänglich wie die unsrige war.«

»In der Tat, Marquis, ich würde sehr zu beklagen sein, wenn meine Liebe später erloschen wäre als die Ihrige.«

»Sie können sich darauf verlassen, Madame – ich war der erste, bei dem sie aufhörte.«

»Wirklich, mein Herr! Ich fühle so etwas.«

»O meine beste Marquisin! Noch nie fand ich Sie so reizend, so liebenswürdig, so schön ist in dem jetzigen Augenblick. Machten mich meine bisherigen Erfahrungen nicht schüchtern, wer weiß, ob ich Sie nicht heftiger lieben würde als jemals.«

Er nahm, indem er dies sagte, ihre beiden Hände und küßte sie lebhaft. Frau von P*** unterdrückte den tödlichen Gram, der ihr Herz zerriß, und nahm das Wort:

»Aber was nun anfangen, Marquis? – Wir beide, dächte ich, hätten uns keinen Betrug vorzuwerfen. Sie haben noch die nämlichen Ansprüche auf meine Achtung wie ehedem – auch ich hoffe mein Recht auf die Ihrige nicht ganz vergeben zu haben. Wollen wir fortfahren, uns zu sehen? Wollen wir unsre Liebe in die zärtlichste Freundschaft verwandeln? – Das wird uns künftig alle die traurigen Auftritte ersparen, alle die kleinen Treulosigkeiten, alle die kindischen Neckereien, all den mutwilligen Humor, der eine flüchtige Leidenschaft zu begleiten pflegt. Wir werden das einzige Beispiel in unserer Gattung sein. Sie – haben Ihre vorige Freiheit wieder, mir – geben Sie die meinige zurück. So reisen wir zusammen durch die Welt. Sie machen mich bei jeder neuen Eroberung zu Ihrer Vertrauten. Ich werde Ihnen kein Geheimnis aus den meinigen machen – versteht sich, wenn ich welche erlebe, denn ich fürchte sehr, lieber Marquis, daß Sie mich in dem Punkt ein klein wenig scheu gemacht haben – Und so müßt' es denn ganz unvergleichlich gehen. Sie unterstützen mich zuweilen mit Ihrem Rat, ich Sie mit dem meinigen – Und am Ende, wer weiß, was geschehen kann?«

»Allerdings, Madame, und es ist dann so gut als schon ausgemacht, daß Sie bei jeder Vergleichung gewinnen – daß ich von Tag zu Tag wärmer und zärtlicher zu Ihnen zurückkehre, daß mich zuletzt alles, alles wird überwiesen haben, die Marquisin von P*** sei die einzige Frau, die mich glücklich machen kann. Und wenn ich dann wieder umkehre, so ist es auch heilig gewiß, daß Sie mich zeitlebens in Ihren Banden behalten.«

»Wie aber, wenn Sie bei Ihrer Wiederkehr mich nicht mehr fänden? – Denn Sie wissen ja, man ist oft wunderlich, Marquis – der Fall könnte kommen, daß mich Eigensinn – Laune – Leidenschaft für einen andern anwandelte, der nicht einmal so viel in Ihren Augen gälte.«

»Allerdings würde mich das kränken, Madame. Aber beklagen dürfte ich mich darum nie. Ich müßte mich einzig und allein an das Schicksal halten, das uns trennte, weil es wollte, und uns wieder zu vereinigen wissen wird, wenn das so sein soll.«

Auf dieses Gespräch folgte eine langweilige Predigt über den Unbestand des menschlichen Herzens, über die Nichtigkeit der Schwüre, über den Zwang der Ehen. Nach kurzen Umarmungen schieden beide voneinander.

So groß der Zwang gewesen, den sich die Dame in der Gegenwart ihres Liebhabers auferlegen mußte, so fürchterlich war der Ausbruch ihres Schmerzens, als er fortgegangen war. »Also ist es wahr,« schrie sie laut aus, »es ist mehr als zu wahr, er liebt mich nicht mehr!« – Nachdem ihre ersten Aufwallungen vorüber waren und sie in stiller Wut über dem erlittenen Schimpfe gebrütet hatte, beschloß sie eine Rache, die ohne Beispiel war, eine Rache zum Schrecken aller Männer, die sich gelüsten lassen, eine Frau von Ehre zu betrügen; und diese Rache führte sie aus.

Die Marquisin hatte ehemals mit einer gewissen Frau aus der Provinz in Bekanntschaft gestanden, die eines Prozesses wegen mit ihrer Tochter, einem Mädchen von großer Schönheit und guter Erziehung, nach Paris gezogen war. Jetzt hatte sie erfahren, daß diese Frau mit ihrem Prozeß ihr ganzes Vermögen verloren hatte und dahin gebracht worden war, ein Haus der Freude zu unterhalten. Man kam da zusammen, man spielte, man speiste zu Abend, und gemeiniglich blieb einer oder zwei von den Gästen die Nacht über dort, mit Mutter und Tochter, wie er nun Lust hatte, sich ein Vergnügen zu machen.

Die Marquisin ließ durch einige Bediente diesen Weibspersonen nachspüren; sie wurden ausfindig gemacht und zur Frau von P*** – ein Name, den sie sich kaum noch zurückrufen konnten – auf einen Besuch gebeten. Die Frauenzimmer, welche sich zu Paris für eine Madame und Mademoiselle Aisnon ausgaben, nahmen die Einladung mit Vergnügen an. Gleich den andern Morgen fand sich die Mutter bei der Marquisin ein, welche das Gespräch sogleich auf ihre jetzige Lebensart zu lenken wußte.

»Frei heraus, gnädige Frau,« antwortete die Alte, »wir leben von einem Handwerk, das leider sehr wenig einträgt, gefährlich und mißlich und obendrein noch eins von den schimpflichsten ist. Mit selbst ist es noch dazu in den Tod zuwider; aber Not bricht Eisen, wie das Sprichwort sagt. Ich war schon halbwegs entschlossen, meine Tochter bei der Opera anzubringen, aber ihre Stimme taugt höchstens für eine Kammersängerin, und außerdem tanzt sie schlecht. Auch habe ich sie, während meines Prozesses und auch nachher, bei den Vornehmen dieser Stadt, bei obrigkeitlichen Personen, bei den Pächtern und geistlichen Herren herumgeführt der Reihe nach; aber die Herren, wie das nun geht, akkordierten immer nur auf eine Zeitlang, und am Ende blieb sie mir denn so sitzen. Nicht etwa, meine gnädige Frau, als ob sie nicht schön wäre wie ein Engel – auch fehlt es ihr weder an Verstand noch Manieren, aber der eigentliche Pfiff für das Gewerbe mangelt ihr ganz und gar, und alle die kleinen Kunstgriffchen, die man anwenden muß, das Männervolk in Atem zu halten.«

»Sind Sie denn sehr bekannt hier?« frug die Marquisin.

»Leider Gottes, nur zu sehr!« sagte die Alte.

»Und, wie ich merke, scheinen Sie beide wenig Lust und Liebe zu Ihrem Gewerbe zu haben?«

»Ganz und gar nicht, und am wenigsten meine Tochter, die mir ohne Aufhören in den Ohren liegt, sie davon wegzunehmen oder lieber ums Leben zu bringen. Obendrein hat sie noch ihre melancholischen Stunden, wo sie vollends gar nicht zu gebrauchen ist.«

»Wenn ich mir also zum Beispiel in den Kopf setzen wollte, Ihr Schicksal auf eine glänzende Art zu verbessern, würden Sie mir wohl beide wenig Schwierigkeiten machen?«

»Das meint' ich auch.«

»Aber die Frage ist, ob Sie mir werden versprechen können, allen Vorschriften, die ich für gut finden könnte Ihnen zu geben, mit der strengsten Genauigkeit nachzuleben?«

»Darauf können Sie zählen, Madame. So hart sie auch sein mögen.«

»Und Ihr Gehorsam ist mir also gewiß, sooft es mir einfallen wird, zu befehlen?«

»Wir werden mit Ungeduld darauf warten.«

»Das ist gut. Jetzt, Madame, gehen Sie nach Hause, Sie sollen gleich meine fernern Verfügungen hören. Unterdessen schaffen Sie alles fort, was Sie an Hausgerät haben; auch Ihre Kleider schaffen Sie fort, die besonders, welche von frecher und schreiender Farbe sind. Das alles würde mit nur meinen Anschlag vereiteln.«


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