Friedrich von Schiller
Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache
Friedrich von Schiller

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»Ah! Sie hier, Marquis? Die Landluft, scheint es, hat Ihnen also nicht ganz bekommen wollen?«

»O Madame, mir ist nirgends wohl. Sehen Sie mich wieder angelangt, sehen Sie mich entschlossen, Madame, die ungeheuerste Torheit zu unternehmen, die ein Mann von meinen Umständen, meinem Rang, meiner Geburt, meinem Geld nur begehen kann. Aber eher alles, alles, als ewig auf dieser Folter sein. Ich heurate.«

»Marquis! Marquis! Der Schritt ist bedenklich und will Überlegung haben.«

»Überlegung? – Ich habe nur eine gemacht, aber sie ist die gründlichste von allen – ich kann nicht elender werden, als ich jetzt schon bin.«

»Das können Sie so gewiß noch nicht sagen.«

»Nun, Madame. Dies, denke ich, ist doch endlich ein Geschäft, das ich Ihnen mit Ehren übergeben kann. Gehen Sie nun hin. Besprechen Sie sich mit der Mutter, erforschen Sie das Herz der Tochter, und bringen Sie meinen Antrag vor.«

»Gemach, lieber Marquis. Zwar habe ich diese beiden Frauenzimmer hinreichend zu kennen geglaubt, um gerade so für sie zu handeln, wie ich bisher getan habe; nun es aber auf die Glückseligkeit meines Freundes hinaus will, so wird er mir wenigstens erlauben, die Sache etwas näher zu besehn. Ich werde mich zuvor in ihrer Provinz nach ihnen erkundigen und ihrer Aufführung Schritt vor Schritt durch die ganze Zeit ihres hiesigen Aufenthalts nachfolgen.«

»Eine Vorsicht, Madame, die mir ziemlich weit hergeholt scheint. Frauenzimmer, die mitten im Unglück so standhaft auf Ehre hielten und meiner Verführung so beherzt widerstunden, müssen notwendig Geschöpfe der seltensten Gattung sein – Mit meinen Geschenken hätt' ich es bei einer Herzogin durchsetzen müssen – Und überdem, sagten Sie mir nicht selbst – –«

»Ja doch, ja, ja, ich sagte alles, was Ihnen belieben mag; dem ohngeachtet werden Sie aber doch jetzt so gnädig sein und mir meinen Willen lassen.«

»Und warum heuraten Sie nicht auch, meine liebe Marquisin?«

»Wen allenfalls, wenn ich fragen darf?«

»Wen? – – Ihren kleinen Grafen. Er hat Kopf – Geld – und ist von der besten Familie.«

»Und wer steht mir für seine Treue? – Sie vermutlich?«

»Das wohl nicht, aber bei einem Ehmann pflegt man das nicht so genau mehr zu nehmen.«

»Meinen Sie? vielleicht aber wäre ich nun Närrin genug, dadurch beleidigt zu werden – und ich bin rachsüchtig, Marquis.«

»Nun ja doch, rächen sollen Sie sich immer. Das versteht sich am Rande. Wissen Sie was, Marquisin? Wir vier wollen dann gemeinschaftlich beieinander wohnen und den artigsten Klub von der Welt zusammen ausmachen.«

»Das alles läßt sich vortrefflich hören, aber ich heurate nie. Der einzige Mann, dem ich vielleicht meine Hand noch würde gegeben haben – –«

»Bin doch ich nicht, Madame?«

»Jetzt kann ich Ihnen ohne Gefahr dies Bekenntnis tun.«

»Jetzt? Warum jetzt erst? Warum sagten Sie mir das nicht eher?«

»Daran habe ich sehr wohlgetan, wie die Umstände mich jetzt überzeugen. Und überhaupt – diejenige, welche Sie nunmehr zur Frau nehmen, taugt in allem Betrachte besser für Sie als ich.«

Frau von P*** brachte ihre Nachforschungen mit größter Genauigkeit und Eile zustande. Sie legte dem Marquis aus der Provinz und der Hauptstadt die schmeichelhaftesten Zeugnisse von seiner künftigen Gattin vor, drang aber dennoch darauf, daß er sich zu ernstlicher Überlegung der Sache noch vierzehn Tage Zeit nehmen sollte. Diese vierzehn Tage deuchten ihm eine Ewigkeit zu sein, und Frau von P*** sah sich endlich gezwungen, seiner verliebten Ungeduld nachzugeben. Die nächste Zusammenkunft war bei den beiden Duquenoi, die Verlobung ging vor sich, das Aufgebot geschah, der Marquis beschenkte die Frau von P*** mit einem kostbaren Diamant, und die Hochzeit wurde vollzogen.

Die erste Nacht ging nach Wunsch vorüber. Den andern Morgen schrieb Frau von P*** dem Marquis ein Billet, worin sie ihn eines dringenden Geschäfts wegen auf einen Augenblick zu sich bat. Er ließ nicht lange auf sich warten. Man empfing ihn mit einem Gesicht, worauf Schadenfreude und Entrüstung mit schrecklichen Farben sich malten. Seine Verwunderung dauerte nicht lang'.

»Marquis,« sagte sie zu ihm, »es ist Zeit, daß Sie endlich erfahren, wer ich bin. Wenn andre meines Geschlechts sich selbst genug hochschätzen wollten, meine Rache zu billigen: Sie und Ihres Gelichters würden seltener sein. Eine edle Frau hat sich Ihnen ganz hingegeben – Sie haben sie nicht zu erhalten gewußt – ich bin diese Frau; aber sie hat vergolten, Verräter, und dich auf ewig mit einer verbunden, die deiner würdig ist. Geh von hier aus quer über die Straße nach dem Gasthof zur Stadt Hamburg – Dort wird man dir ausführlicher von dem schändlichen Gewerb zu erzählen wissen, das deine Frau Gemahlin und Schwiegermutter zehn Jahre lang unter dem Namen einer Madame und Mademoiselle Aisnon getrieben haben.«

Keine Beschreibung erreicht das Entsetzen, mit welchem hier der Marquis zu Boden sank. Seine Sinne verließen ihn – aber seine Unentschlossenheit dauerte nur so lang', als er brauchte, um von einem Ende der Stadt zum andern zu rennen. Er kam den ganzen Tag nicht nach Hause, er schweifte in den Straßen umher; seine Gemahlin und seine Schwiegermutter fingen an, zu argwöhnen, was etwa geschehen war. Auf den ersten Schlag, der an der Türe geschah, entsprang die letztere in ihr Zimmer und schob beide Riegel vor. Nur seine Frau erwartete ihn allein in dem ihrigen. Sein Gesicht verkündete die Wut seines Herzens, als er hereintrat; sie warf sich zu seinen Füßen, stieß mit dem Angesicht auf den Boden des Zimmers und gab keinen Laut von sich.

»Fort, Nichtswürdige,« rief er fürchterlich, »fort von mir!«

Sie versuchte, sich aufzurichten, aber ohnmächtig stürzte sie auf ihr Angesicht, beide Arme der Länge nach auf den Boden gespreitet.

»Gnädiger Herr,« sagte sie zu ihm, »stoßen Sie mich mit Füßen, zertreten Sie mich, ich hab' es verdient; machen Sie mit mir, was Sie wollen; aber Gnade, Gnade für meine Mutter!«

»Hinweg,« rief er abermal, »fort, Verfluchte, aus meinen Augen! – Ist es nicht genug, daß du mich mit Schande bedeckst, willst du mich auch noch zwingen, ein Verbrecher zu werden?«

Das arme Geschöpf beharrte unbeweglich und stumm in der vorigen Stellung – der Marquis lag in einem Sessel, den Kopf zwischen beide Arme geworfen und mit halbem Leib zu den Füßen seines Bettes hingesunken, und brach zuweilen, ohne sie anzusehen, in ein gebrochenes Heulen aus: »Hinweg von mir, sag' ich.« – Das Stillschweigen dieser Unglücklichen, die noch immer wie in toter Erstarrung lag, erschöpfte seine Geduld. »Entferne dich!« rief er lauter und schrecklicher, bückte sich zu ihr nieder und war im Begriff, ihr einen grausamen Schlag zu geben. – Doch indem fand er, daß sie ohne Bewußtsein und beinah ohne Leben lag. Er faßte sie um die Mitte des Leibes, legte sie auf ein Kanapee und betrachtete sie eine Zeitlang mit Augen, aus welchen wechselsweis Wut und Mitleiden hervorbrachen. Endlich zog er die Glocke. Seine Bedienten traten herein. Man rief ihre Weiber.

»Nehmt eure Frau zu euch,« sagte er diesen, »ihr ist etwas zugestoßen, führt sie auf ihr Zimmer und springt ihr bei.« – Bald darauf schickte er heimlich, nach ihrem Befinden zu fragen. Man bracht' ihm die Nachricht, daß zwar ihre erste Ohnmacht vorüber wäre, aber noch immer Schwächen auf Schwächen folgten, die so häufig kämen und so lange anhielten, daß man Ursache hätte, für ihr Leben zu zittern. Eine Stunde darauf schickte er, so heimlich wie das erstemal, wieder. Sie lag in schrecklichen Beängstigungen, zu welchen sich ein gichterischer Schlucken gesellte, der von der Gasse herauf gehört werden konnte. Als er das drittemal schickte, welches den folgenden Morgen war, kam die Antwort, daß sie sehr viel geweint habe und die übrigen Zufälle sich nach und nach zu legen anfingen.

Jetzt ließ er anspannen und verschwand vierzehn Tage lang, daß kein Mensch um seinen Aufenthalt wußte. Vor seiner Abreise hatte er Sorge getragen, daß Mutter und Tochter mit dem Notwendigsten versehen wurden, und seine Dienerschaft hatte Befehl, der Mutter wie ihm selbst zu gehorchen.

Während der ganzen Zeit, daß er abwesend war, wohnten die beiden, beinahe ohne sich zu sprechen, in der traurigsten Verstimmung nebeneinander. Die junge Frau zerfloß ohne Aufhören in Seufzer und Tränen oder fing plötzlich laut zu schreien an, rang die Hände, raufte sich die Haare aus, da selbst ihre Mutter es nicht wagen durfte, sich ihr zu nähern und ihr Trost zuzusprechen. Diese zeigte nichts als Verhärtung, jene war das traurigste Bild der Reue, des Schmerzens, der Verzweiflung.

Tausendmal rief sie: »Kommen Sie, Mama, lassen Sie uns fliehen, lassen Sie uns vor seiner Rache schützen!« – Tausendmal widersetzte sich die Alte und erwiderte: »Nicht doch, mein Kind. Laß uns bleiben. Laß uns abwarten, wie weit er es treiben wird. Umbringen kann uns dieser Mensch doch nicht.« – »O daß er's möchte,« rief jene wieder, »daß er's längst schon getan haben möchte!« – »Schweig,« sagte die Mutter, »und hör' einmal auf, wie eine Närrin zu plaudern.«

Der Marquis kam zurück und schloß sich in sein Kabinett ein, von wo aus er zwei Briefe, den einen an seine Frau, den andern an seine Schwiegermutter, schrieb. Die letztere reiste noch an eben dem Tag in ein Kloster ab, wo sie nicht lange darauf starb. Die Tochter kleidete sich an und wankte nach dem Zimmer ihres Gemahls, wohin er sie beschieden hatte. An der Schwelle sank sie auf die Knie. Er befahl ihr, aufzustehen. Sie stand nicht auf, sondern wälzte sich in dieser Stellung näher zu ihm. Alle ihre Glieder zitterten. Ihre Haare waren losgebunden. Ihr Leib hing zur Erde, ihr Kopf war emporgerichtet, und ihre Augen, die von Tränen flossen, begegneten den seinigen.

»Ich sehe, gnädiger Herr,« rief sie schluchzend aus, »ich seh' es, Ihre Wut ist besänftigt, so gerecht sie war; ich unterstehe mich, zu hoffen, daß ich endlich noch Barmherzigkeit erhalte. Aber nein! – Übereilen Sie sich nicht. – So viele tugendhafte Mädchen wurden lasterhafte Frauen; lassen Sie mich versuchen, ob ich ein Beispiel des Gegenteils werden kann. Noch bin ich es nicht würdig, die Ihrige zu sein; aber nur die Hoffnung entziehen Sie mir nicht. Lassen Sie mich ferne von Ihnen wohnen, seien Sie wachsam auf meinen Wandel, und richten Sie mich dann! – Glücklich, ja unaussprechlich glücklich werd' ich sein, wenn Sie sich's nur zuweilen gefallen lassen wollen, daß ich vor Ihnen erscheinen darf. Nennen Sie mir einen düstern Winkel in Ihrem Hause, den ich bewohnen soll, ohne Murren will ich dort gefangen sitzen. – Schwachheit, Verführung, Ansehen, Drohungen haben mich zu dieser schimpflichen Tat hingerissen, aber lasterhaft bin ich niemals gewesen. – Wär' ich das, wie hätt' ich es wagen können, mich Ihnen zu zeigen, mit Ihnen zu reden! – Könnten Sie in meiner Seele lesen, könnten Sie sich überzeugen, wie meine vorigen Verbrechen ferne von meinem Herzen sind, wie abscheulich mir die Sitten derer sind, die ich einst meinesgleichen nannte. – Die Verführung hat meinen Wandel befleckt, aber mein Herz hat sie nicht vergiftet. Ich kenne mich, mein Herr. Hätte man mir Freiheit gelassen, nur ein Wort hätt' es mich gekostet, und Sie hätten um den ganzen Betrug gewußt. Entscheiden Sie nach Gefallen über mich. Rufen Sie Ihre Bedienten. Lassen Sie mir diesen Schmuck, diese Kleider abreißen. Lassen Sie mich in nächtlicher Stunde auf die Straße werfen. Alles, alles will ich leiden. Welches Schicksal Sie mir auflegen wollen, ich unterwerfe mich. Die Einsamkeit auf dem Lande, die Stille eines Klosters werden mich Ihren Augen auf ewig entreißen. Befehlen Sie, und ich gehe. Ihre Glückseligkeit ist noch nicht ohne Rettung verloren. Sie können mich ja noch vergessen.«

»Stehen Sie auf,« rief der Marquis mit sanfter Stimme, »ich vergebe Ihnen, stehen Sie auf. Mitten im gräßlichen Gefühl meiner erlittenen Schande vergaß ich es nicht, meine Gemahlin in Ihnen zu ehren. Kein Laut kam über meine Lippen, der Sie erniedrigt hätte, und wäre das, so bin ich bereit, es Ihnen abzubitten, und gebe Ihnen mein Wort, daß Sie keinen mehr hören sollen. Denken Sie stets daran, daß Sie Ihren Gemahl nicht unglücklich machen können, ohne es selbst zu werden. Seien Sie edel und gut – Seien Sie glücklich, und sorgen Sie dafür, daß auch ich es werde! Stehen Sie auf, ich bitte Sie – Sie sind nicht an Ihrer Stelle, Marquisin, stehen Sie auf! – – Steh auf, meine Gemahlin, und laß dich umarmen!«

Während das der Marquis sagte, lag sie noch immer, den Kopf auf seine Knie gebeugt, ihr Gesicht in seinen Händen verborgen; aber auf den Namen seiner Gemahlin sprang sie lebhaft auf, warf sich ihm um den Hals und drückte ihn mit wütender Entzückung in ihre Arme. Gleich darauf ließ sie von neuem ihn los, stürzte zur Erde und war willens, seine Füße zu küssen.

»Was sollen Sie,« unterbrach er sie sehr bewegt, »habe ich Ihnen nicht schon alles vergeben, warum glauben Sie mir denn nicht?«

»Lassen Sie, lassen Sie,« gab sie zur Antwort, »ich kann es nicht, ich darf es nicht glauben.«

»Bei Gott,« rief der Marquis, »ich fange an, zu mutmaßen, daß ich niemals bereuen werde. Diese Frau von P*** hat mir Verdruß und Leiden zugedacht, aber ich sehe ein, sie hat mir Seligkeit bereitet. Kommen Sie, meine Gemahlin. Kleiden Sie sich an, unterdessen daß ich Anstalten zu unsrer Abreise mache. Wir ziehen auf meine Güter, wo wir so lange bleiben wollen, bis die Zeit eine Rinde über das Vergangene gezogen hat.«

Drei ganze Jahre lebten sie ferne von Paris – das glücklichste Ehepaar ihrer Zeiten.

Leser oder Leserin – ich sehe dich bei dem Namen der Frau von P*** unwillig auffahren, ich höre dich ausrufen: Welche abscheuliche Frau! Welche Bübin und Heuchlerin! – Keine Aufwallung, lieber Leser, keine Parteilichkeit! – Laß die Wage der Gerechtigkeit entscheiden!

Schwärzere Taten, als diese waren, geschehen täglich unter dem Monde, nur mit weniger Absicht und Seele. Hassen und fürchten kannst du die Marquisin, doch verachten wirst du sie nie. Gräßlich und unerhört war ihre Rache, aber Eigennutz befleckte sie nicht. Hätte diese Dame eben das und noch mehr getan, ihrem rechtmäßigen Gemahl Belohnungen auszuwirken – hätte sie ihre Tugend einem Staatsminister oder auch nur seinem ersten Schreiber geopfert, ein Ordensband oder ein Regiment für ihn zu erwuchern – hätte sie sich einem Pfründenvergeber für eine reiche Präbende überlassen, das alles würdest du sehr natürlich finden, die Allgewalt der Gewohnheit spräche dafür. Aber jetzt – jetzt, da sie an einem Treulosen Rache nimmt, empören sich deine Gefühle. Nicht, weil dein Herz für diese Handlung zu weich ist – weil du es der Mühe nicht wert achtest, in die Tiefe ihres Kummers hinabzusteigen, weil du zu stolz bist, weibliche Tugend anzuerkennen, findest du ihre Ahnung abscheulich. Hast du dich auch wohl erinnert, welche Opfer sie ihrem Liebling gebracht hat? – Ich will nicht in Anschlag bringen, daß ihre Schatulle jederzeit die seinige war, daß er jahrelang ihre Tafel genoß, jahrelang in ihrem Hause wie in dem seinigen aus und ein ging – Vielleicht spottest du darüber – aber sie hatte sich zugleich nach allen seinen Launen geschmiegt, hatte seinem Geschmacke sklavisch gehuldigt; ihm gefällig zu sein, hatte sie den ganzen Plan ihres Lebens zerstört. – Ganz Paris sprach ehedem mit Ehrfurcht von ihrer Tugend – jetzt war sie, ihm zu Lieb', zu dem gemeinen Haufen heruntergestürzt. Jetzt murmelte die Verleumdung sich in die Ohren: Endlich ist diese P***, dieses Wunder der Welt, geworden wie unsereine! – Sie hatte dieses höhnische Lächeln mit ihren Augen gesehen, diese Schmähreden mit ihren Ohren gehört und oft genug mit Schamröte den Blick zur Erde geschlagen. Jede Bitterkeit hatte sie verschlungen, welche die Lästerung für eine Frau in Bereitschaft hat, deren fleckenfreie Tugend die benachbarten Laster um so sichtbarer machte – Sie hatte das laute Gelächter ertragen, womit sich der mutwillige Haufe an den lächerlichen Spröden rächt, die ihre Tugend marktschreierisch an alle Pfeiler schlagen. – Stolz und empfindlich, wie sie war, hätte sie lieber in toter Dunkelheit ihr Leben hinweggeseufzt, als noch einmal den Schauplatz einer Welt betreten, wo ihre verscherzte Ehre nur schadenfrohe Lacher, ihre verschmähte Liebe nur peinigende Tröster fand. Sie näherte sich einer Epoche, wo der Verlust eines Liebhabers nicht so schnell mehr ersetzt wird – ein Herz wie das ihrige konnte dieses Schicksal nur in gramvoller Einsamkeit ausbluten.

Wenn ein Mensch den andern eines zweideutigen Blicks wegen niederstößt, warum wollen wir es einer Frau von Ehre zum Frevel machen, daß sie den Verführer ihres Herzens, den Mörder ihrer Ehre, den Verräter ihrer Liebe – einer Buhldirne in die Arme wirft? Wahrlich, lieber Leser, du bist ebenso streng in deinem Tadel, als du oft in deinem Lobe flüchtig bist. Aber, wirfst du ein, nicht die Rache, nur die Wahl der Rache find' ich so verdammenswert. Mein Gefühl sträubt sich gegen ein so weitläuftiges Gewebe durchdachter Abscheulichkeit, gegen diese zusammenhängende Kette von Lügen, die beinahe schon ein Jahr dauerte. – Also der ersten augenblicklichen Aufwallung vergibst du alles, wie nun aber, wenn die erste Aufwallung einer Frau von P*** und einer Dame ihres Charakters ihr ganzes Lebenlang währte?

Ich sehe hier nichts als eine Verräterei, die nur weniger alltäglich ist; und willkommen sei mir das Gesetz, welches jeden gewissenlosen Buben, der eine ehrliche Frau zu Fall bringt und dann verläßt, zu einer Dirne verdammt – den gemeinen Mann zu gemeinen Weibern.

Diderots ganze Beredsamkeit wird dennoch schwerlich den Abscheu hinwegräsonieren, den diese unnatürliche Tat notwendig erwecken muß. Aber die kühne Neuheit dieser Intrige, die unverkennbare Wahrheit der Schilderung, die schmucklose Eleganz der Beschreibung haben mich in Versuchung geführt, eine Übersetzung davon zu wagen, welche freilich die Eigentümlichkeit des Originals nicht erreicht haben wird. Das Ganze ist aus einem (so viel ich weiß, in Deutschland noch unbekannten) Aufsatz des Herrn Diderot: »Jakob und sein Herr oder der Fatalismus« genannt. Der Freiherr von Dalberg zu Mannheim besitzt die Originalschrift, und seiner Gefälligkeit danke ich es auch, daß ich in dieser Thalia Gebrauch davon machen durfte.


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