Friedrich von Schiller
Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache
Friedrich von Schiller

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Noch einige Gänge durch die Allee, und sie stiegen wieder in den Wagen. Eine Weile darauf fing Frau von P*** von neuem an:

»Wie einem das doch alt machen kann! Es denkt mir noch, wie das nicht viel höher war als ein Kohlhaupt, als es zum erstenmal nach Paris kam.«

»Sie meinen das junge Frauenzimmer, das uns vorhin mit ihrer Mutter begegnete?«

»Das nämliche. Sehen Sie, Marquis, das erinnert mich an einen Garten, wo frische Rosen immer die verwelkten ablösen. Haben Sie sie auch recht ins Aug' gefaßt?«

»Ich habe nicht ermangelt.«

»Nun – und was halten Sie von ihr?«

»So ist der Kopf einer Mutter Gottes von Raphael, auf den Leib seiner Galathee gestellt – Oh, und die unaussprechlich melodische Stimme –«

»Und die Bescheidenheit im Auge!«

»Und der Anstand, die Grazie in jeder Gebärde!«

»Und die Würde ihres Vortrags, die man doch sonst an keinem Mädchen ihresgleichen findet. Sehen Sie, was eine gute Erziehung tut!«

»Ja, wenn die Anlage schon so trefflich ist.«

Der Marquis brachte Frau von P*** nach Hause. Diese konnte es kaum erwarten, ihren beiden Kreaturen die Zufriedenheit zu bezeugen, welche sie über die glückliche Eröffnung des Possenspiels empfand.

Von dieser Zeit fing der Marquis an, die Besuche bei der Dame zu verdoppeln. Sie schien es nicht bemerken zu wollen. Niemals leitete sie das Gespräch auf die beiden Frauenzimmer, er mußte immer zuerst davon anfangen, und dieses tat er auch mit Ungeduld – doch zugleich mit einer künstlichen Gleichgültigkeit, welche ihm aber immer verunglückte.

»Sahen Sie heute Ihre zwei Freundinnen?«

»Nein.«

»Wissen Sie aber, daß Sie gar nicht artig sind, meine gnädige Frau? – Sie haben Vermögen, diese zwei Frauenzimmer leiden Mangel, und Sie sind nicht einmal so höflich, ihnen zuweilen Ihren Tisch anzubieten?«

»Ich hätte doch gemeint, der Marquis von A*** sollte sich mit meiner Denkungsart besser bekannt gemacht haben. Vor Zeiten wohl mochte die Liebe mir hie und da eine Tugend borgen, jetzt aber hilft mir die Freundschaft nur mit Schwachheiten aus. Wohl zehenmal habe ich sie indessen zu Tische bitten lassen, aber immer schlugen sie es aus. Sie haben ihre besondern Gründe mein Haus zu meiden, und wenn ich ihnen einen Besuch gebe, so tut es not, daß ich meinen Wagen am Ende der Gasse halten lasse und zuvor Schmuck und Schminke und jede Kostbarkeit von mir lege. Wundern Sie sich über diese grillenfängerische Behutsamkeit nicht. Eine zweideutige Auslegung könnte nur gar zu leicht den guten Willen ihrer Wohltäter abkühlen. Heutzutag, Marquis, gehört viel dazu, Gutes zu tun.«

»Bei den Frommen besonders.«

»Wo der geringste Vorwand davon lossprechen kann. Erführe man, daß ich mich hineinmischte, gleich würde es heißen: Frau von P*** ist ihre Gönnerin – sie brauchen keine Beisteuer mehr – und die Almosen hören auf.«

»Was? die Almosen?«

»Ja, mein Herr, die Almosen.«

»Diese Frauenzimmer sind Ihre Bekannten und leben von Almosen?«

»Dacht' ich's doch! – lieber Marquis, da seh' ich's ja deutlich, daß Sie aufgehört haben, mich zu lieben. Mit Ihrer Zärtlichkeit hab' ich ein gutes Teil Ihrer Achtung zugleich verloren. Wer sagt Ihnen denn, daß die Schuld mein sein muß, wenn diese Frauenzimmer vom Opfergeld leben?«

»Verzeihung, Madame. Ich war voreilig. Ich bitte tausendmal um Verzeihung. Aber was für Ursachen hätten sie denn, den Beistand einer guten Freundin auszuschlagen?«

»O mein lieber Marquis. Wir Weltkinder verstehen uns auf die wunderliche Bedenklichkeiten der Heiligen nicht. Sie halten es nicht für schicklich, Wohltaten von fremder Hand ohne Unterschied anzunehmen.«

»Aber da berauben sie uns ja des einzigen Mittels, unsere unsinnigen Verschwendungen hie und da wieder gut zu machen.«

»Das seh' ich nicht ab. Gesetzt, daß der Marquis von A*** das Schicksal dieser zwei Geschöpfe zu Herzen nähme, könnte er seine Gaben nicht durch würdigere Hände an sie gelangen lassen?«

»Würdigere? – nicht wahr? und desto weniger sichere?«

»Das könnte wohl sein.«

»Was meinen Sie, Madame – wenn ich ihnen zum Beispiel ein zwanzig Louis schicken wollte – würde man mein Geschenk wohl zurückweisen?«

»Nichts gewisser – und Ihnen, mein lieber Marquis, würde ein solcher Eigensinn bei der Mutter eines so schönen Kindes ohne Zweifel übel angebracht scheinen?«

»Glauben Sie, daß ich in Versuchung war, hinzugehen?«

»O ja, sehr gerne – Marquis, Marquis! Seien Sie auf Ihrer Hut! – es regt sich ein Mitleid in Ihrem Herzen, das mir sehr unerwartet und verdächtig scheint.«

»Mags – aber sagen Sie mir, hätte man meinen Besuch angenommen?«

»Zuverlässig nicht. Schon der Glanz Ihrer Equipage, die Pracht Ihrer Kleider, das Aufsehen von Bedienten, der Anblick eines schönen jungen Mannes – mehr hätte es nicht gebraucht, um die ganze Nachbarschaft in Alarm zu bringen und die armen Unschuldigen zugrund zu richten.«

»Sie tun mir weh, Madame; denn auf meine Ehre, das waren meine Absichten nicht. Also muß ich mir das Vergnügen versagen, sie zu sehen und ihnen Gutes zu tun.«

»So scheint es.«

»Aber wenn ich meine Geschenke durch Ihre Hand gehen ließe?«

»Ich mag mich zu einer Wohltätigkeit nicht hergeben, die so zweideutig aussieht.«

»Das ist aber ja ganz abscheulich.«

»Abscheulich! Sie haben ganz recht.«

»Was für Einbildungen! Ich glaube, Sie wollen mich foppen, Madame? – Ein junges Mädchen, das ich in meinem Leben einmal gesehen habe –«

»Nehmen Sie sich in acht, sag' ich Ihnen. Sie sind auf dem Wege, sich unglücklich zu machen. Lassen Sie mich lieber jetzt Ihr Schutzengel als nachher Ihre Trösterin sein – Meinen Sie etwa, daß Sie es hier mit Kreaturen zu tun haben, wie Sie deren sonst kennenlernen? – Verwechseln Sie nichts, guter Marquis. Frauenzimmer wie diese versucht man nicht – überrumpelt man nicht – erobert man nicht. Sie verstehen den Wink nicht. Sie laufen nicht in die Falle.«

Auf einmal besann sich der Marquis, daß er noch etwas Drängendes zu verrichten habe. Er stand mit Ungestüm auf und ging mürrisch aus dem Zimmer.

Viele Wochen dauerte das fort. Der Marquis ließ keinen Tag verstreichen, ohne Frau von P*** zu sehen; aber er kam, warf sich in den Sofa, gab keinen Laut von sich; Frau von P*** führte das Wort allein, der Marquis blieb eine Viertelstunde und verschwand. Endlich blieb er einen ganzen Monat aus dem Hause. Nach Verfluß dessen zeigte er sich wieder, aber schwermutsvoll und zugerichtet wie eine Leiche. Frau von P*** erschrak bei seinem Anblick.

»Wie sehen Sie aus, Marquis? Woher kommen Sie ? – haben Sie diese ganze Zeit über an Ketten gelegen?«

»Schier so, bei Gott! – Aus Verzweiflung stürzt' ich mich in das abscheulichste Schlaraffenleben.«

»Wie das? aus Verzweiflung?«

»Nicht anders, Madame – aus Verzweiflung.«

Mit den Worten lief er hastig durch das Zimmer, dahin, dorthin, trat er an ein Fenster, blickte nach den Wolken, kam zurück, blieb auf einmal vor ihr stehen, ging zur Türe, rief einen seiner Leute, hieß ihn wieder gehen, stellte sich aufs neue vor die Dame, wollte reden, aber konnte nicht – Frau von P*** saß mittlerweile still an ihrem Arbeitstisch, ohne ihn bemerken zu wollen; endlich hatte sie Erbarmen mit seinem Zustand und fing an:

»Was haben Sie denn, Marquis? Einen ganzen Monat lang sieht man Sie nicht, und nun kommen Sie und sehen aus wie einer, der dem Leichentuch entsprungen ist, und treiben sich herum wie eine Seele im Fegfeuer!«

»Ich halt' es nicht länger aus. Ich will – ich muß – Sie sollen alles hören. Jenes Mädchen, die Tochter Ihrer Freundin – o sie hat eine tiefe Wirkung auf mein Herz gemacht. Alles, alles hab' ich angewandt, sie zu vergessen, doch umsonst – Je mehr ich sie bekämpfte, desto tiefer grub sich die Erinnerung. Dieser Engel hat mich ganz dahin – Sie müssen mir einen großen Dienst erweisen.«

»Nun?«

»Es ist umsonst. Ich muß ich muß sie wieder sehen, und Ihnen, o nur Ihnen kann ich das zu danken haben. Ich habe meine Bedienten in fremde Kleider gesteckt – ich habe ihnen auflauern lassen. Ihr ganzer Aus- und Eingang ist in die Kirche und aus der Kirche, aus ihrem Hause und in ihr Haus zurück. Zehenmal hab' ich mich ihnen zu Fuß in den Weg gestellt, sie haben mich auch nicht einmal eines Blicks gewürdigt. Unter ihre Haustüre habe ich mich vergebens gepflanzt. Sie zu vergessen, bin ich auf eine Zeitlang der lüderlichste Bube geworden – ihnen zu gefallen, wieder fromm und heilig wie ein Märtyrer, und fünfzehn Tage hat mich keine Messe vermißt – O welche Gestalt, meine Freundin! Wie reizend! Wie unaussprechlich schön!«

Frau von P*** war von allem unterrichtet. – »Das heißt,« gab sie dem Marquis zur Antwort, »Sie haben alles angewandt, um gescheut zu werden, und nichts unterlassen, um ein Narr zu sein, und das letztere ist Ihnen gelungen.«

»O ganz recht, gelungen, und in einem fürchterlichen Grade. Werden Sie mich bedauern, Madame? Werden Sie mir die Seligkeit verschaffen, diesen Engel wieder zu sehen?«

»Die Sache will Überlegung – ich werde sie schlechterdings nicht übernehmen, Sie versprechen mir denn auf das heiligste, diese arme Unglückliche in Ruhe zu lassen und Ihre Verfolgungen aufzugeben. Auch will ich Ihnen nicht verhehlen, Marquis, daß man sich sehr empfindlich über Ihre Zudringlichkeit gegen mich schon geäußert hat – Wollen Sie diesen Brief ansehen?«

Der Brief, den man dem Marquis hier in die Hände spielte, war unter den drei Frauenzimmern verabredet. Es mußte das Ansehen haben, als hätte die jüngere Aisnon ihn auf ausdrücklichen Befehl ihrer Mutter geschrieben. Zugleich unterließ man nicht, so viel Edles und Zärtliches, so viel Geist und Geschmack einzuweben, als nötig war, dem Marquis den Kopf zu verrücken. Auch begleitete er jeden Gedanken mit einem Freudenruf, jedes Wort las er wieder, und Tränen der Verzückung flossen aus seinen Augen.

»Gestehen Sie nun selbst, daß man nicht göttlicher schreiben kann. O Madame, ich verehre das Frauenzimmer, das so schreibt und empfindet.«

»Das ist auch ihre Pflicht.«

»Ich will Ihnen Wort halten, ich schwöre es Ihnen, aber ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, tun Sie ein Gleiches.«

»Wahrlich, Marquis. Ich komme mir bald als der größere Narr von uns beiden vor. Es ist nicht anders – Sie müssen eine unumschränkte Gewalt über mich haben, und das erschreckt mich.«

»Wann seh' ich sie also?«

»Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Vor allen Dingen muß man es so vorbereiten, daß kein Verdacht dabei aufsteigt. Die Frauenzimmer wissen um Ihre Leidenschaft – Überlegen Sie selbst, in welchem Lichte meine Freundschaft erscheinen würde, wenn sie nur entfernt auf den Argwohn kämen, daß ich mit Ihnen einverstanden sei. – Aber, offenherzig, lieber Marquis – wofür auch die ganze Verlegenheit? Was geht das mich an, ob Sie lieben oder nicht lieben? Ob Sie ein Tor sind oder ein Kluger? – Lösen Sie selbst Ihren Knoten auf. Die Rolle, die Sie mich wollen spielen lassen, ist wahrlich auch sehr sonderbar.«

»Ich bin verloren, meine Beste, wenn Sie mich im Stich lassen. Ich will mich selbst nicht in Anschlag bringen – ich weiß, daß es Sie nur beleidigen würde – aber bei diesen teuren, diesen guten, diesen himmlischen Geschöpfen will ich Sie beschwören – Sie kennen mich, Madame. Bewahren Sie sie für den Rasereien, die ich auszuhecken fähig bin. Ich werde zu ihnen gehen – ja, beim großen Gott, das werd' ich; ich habe Sie gewarnt – ich werde ihre Türe sprengen, mit Gewalt werde ich hineintreten, ich werde mich niedersetzen, ich werde sagen, ich werde – oh! weiß ich denn, was ich sagen will, was ich tun will? – aber in dieser Lage meines Herzens bin ich fürchterlich!«

Jedes dieser Worte war ein Dolchstoß in das Herz der Frau von P***. Sie erstickte von Unwillen und innerlicher Wut, und mit Stottern redete sie weiter:

»Ganz kann ich Ihre Heftigkeit nicht tadeln – Aber – Ja! wenn ich – ich mit dieser Leidenschaft geliebt worden wäre – Vielleicht – doch genug davon. Für Sie wollt' ich eigentlich ja auch nicht handeln, nur hoffe ich, daß mein Herr Marquis mir wenigstens Zeit lassen werde.«

»Die kürzeste, die nur möglich ist.«

»O ich leide,« rief die Dame, als er weg war, »ich leide schrecklich; aber ich leide nicht allein. Abscheulichster der Menschen, noch zwar ist es ungewiß, wie lang diese meine Qual noch dauert; aber ewig, ewig soll die deine währen.«

Einen ganzen Monat lang wußte sie den Marquis in der Erwartung der versprochenen Zusammenkunft hinzuhalten – während dieser Zeit hatte er volle Muße, sich abzuhärmen, zu berauschen und seine Leidenschaft in Unterredungen mit ihr noch mehr anzufeuern. Er erkundigte sich nach dem Vaterland, dem Herkommen, der Erziehung und den Schicksalen dieser Frauenzimmer, und erfuhr immer noch zu wenig, und frug immer wieder, und ließ sich immer von neuem unterrichten und dahinreißen. Die Marquisin war schelmisch genug, ihn jeden Fortschritt seiner Leidenschaft bemerken zu lassen, und unter dem Vorwand, ihn zurückzuschrecken, gewöhnte sie ihn unvermerkt an den verzweifelten Ausgang dieses Romans, den sie ihm bereitet hatte.

»Sehen Sie sich vor,« sprach sie, »das könnte Sie weiter führen, als Sie wünschen – es könnten Zeiten kommen, wo meine Freundschaft, die Sie jetzt so unerhört mißbrauchen, weder vor mir selbst noch vor der Welt mich entschuldigen dürfte. Freilich, wohl geht kein Tag vorüber, daß nicht irgendeine rasende Posse unter dem Monde zustande käme; aber ich fürchte, Marquis, ich fürchte fast, daß dieses Frauenzimmer niemals oder nur unter Bedingungen Ihre wird, die bis hieher wenigstens ganz und gar nicht nach Ihrem Geschmacke waren.«

Nachdem Frau von P*** den Marquis zu ihrem Vorhaben hinlänglich zubereitet fand, kartete sie es mit den beiden Aisnon, einen Mittag bei ihr zu speisen, und mit dem Marquis redete sie ab, sie in Reisekleidern da zu überfallen, welches auch zustande kam.


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