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Sechstes Kapitel.
Volkstädt und Rudolstadt.

Beim Cantor Unbehaun. – »Viel an der Kunkel.« – Im Hause Lengefeld. – Volkserinnerungen. – Schiller's Aristokratismus und Demokratismus. – In der Glockengießerswerkstatt. – Sommeridyll. – Wolken. – In Hellas. – Uebersetzungen aus dem Euripides. – Die Briefe über Don Carlos. – Die Geschichte des Abfalls der Niederlande. – Schiller als Historiker. – Die Künstler. – Der Dichterphilosoph. – Anregung zu einem epischen Gedicht. – Umzug nach Rudolstadt. – Zusammentreffen mit Göthe. – Herzliche Briefe. – Lotte. – Rückkehr nach Weimar. – Resultate des Volkstädt-Rudolstadter Sommers. – Karoline.


Am Abend des 18. Mai 1788 langte Schiller in Volkstädt an Das angegebene Datum wird durch Schiller's Brief an Körner vom 26. Mai festgestellt, weil er darin sagt, daß er »nun seit acht Tagen« in Volkstädt sei.. Das Dorf liegt am Ufer der Saale in einem anmuthigen Thale, von sanft ansteigenden Bergen umgeben. Auf der Seite nach Rudolstadt zu stand und steht noch am Eingange des Dorfes eine Porzellanfabrik. Wenige Schritte weiter erblickt man zur rechten Hand ein freundliches einstöckiges Haus, welches dem Cantor und Schulmeister Unbehaun gehörte und noch jetzt im Besitze von dessen Familie ist. Die südliche Ecke des ersten Stockwerks nimmt das »Schillerzimmer« mit daranstoßender Schlafkammer ein. Das einfache Pult, woran der Dichter schrieb, steht noch da. Aus den Fenstern der einen Seite erblickt man die gegenüberstehende Kirche. Hinter derselben ragt ein mit Laubgehölz bewachsener Hügel empor, welchen die Pietät »Schillerhöhe« getauft und 1840 mit einem bronzenen Abguß der Dannecker'schen Büste des Dichters geschmückt hat. Denn dort oben verweilte er oft und gern, in die heimeligen Thalgelände hinein und auf die waldbekrönten Bergkuppen hinüber blickend, zwischen welchen da und dort die Ruinen mittelalterlicher Burgen aufstiegen. Von dem Hügel herab hatte er auch eine reizende Aussicht auf die Stadt, die sich am Fuße eines Berges herumschlingt, von Weitem schon durch das auf die Spitze eines Felsens gepflanzte fürstliche Schloß sehr vortheilhaft angekündigt. Ein angenehmer Fußpfad führte ihn binnen einer halben Stunde längs des Flusses an Gärten und Kornfeldern vorüber vom Dorfe nach der Stadt.

siehe Bildunterschrift

22. Schiller's Wohnung in Bolkstädt.
Geschnitten von J. G. Flegel

Mit mannigfachen Arbeitsvorsätzen zog unser Dichter in sein sommerliches Tusculum ein, welches Wieland, indem er ihm ein herzliches » Quod felix faustumque sit!« zurief, »ein selbstgewähltes Pathmos« und ein »Elysium« oder »Quasi-Elysium« nannte Briefe Wieland's an Schiller vom 2. Juni und 15. September 1788.. Schiller hatte, wie er scherzend gegen Körner äußerte, viel »an der Kunkel«: die Fortsetzung des Geistersehers, der Geschichte des Abfalls der Niederlande und des Menschenfeindes, welchen er wieder aufzunehmen beabsichtigte. Daneben sollten Aufsätze für Wieland's Merkur geschrieben und sollte eine Rezension des soeben im 5. Theil der Sammlung von Göthe's Schriften erschienenen Egmont gemacht werden. Mit heiterem Behagen faßte Schiller alle diese Aufgaben ins Auge, denn er war bei seiner Ankunft in Volkstädt noch ganz in der fröhlichen Stimmung, welche die zuletzt in Weimar verlebten Tage in ihm angeregt hatten. Der alte gute »Vater« Gleim war von Halberstadt herübergekommen und seine Anwesenheit in Weimar hatte zu munteren literarischen Symposien Veranlassung gegeben, denen sogar Herder sich nicht entzog. Sämmtliche Weimarer Notabilitäten hatten sich um den alten Herrn gesammelt, dessen siebzig Jahre die Beweglichkeit seines Geistes und das Wohlwollen seines Herzens nicht beeinträchtigten, und als Gleim und sein Jugendfreund, der Geheimerath Schmidt, mitsammen in ihren Erinnerungen an die Tage der Klopstock'schen Kameradschaft sich ergingen, hatte Schiller mit Vergnügen zugehört, »wie diese alten Kerle von jenen Zeiten sich unterhielten und mit Wärme ihr burschikoses Leben sich zurückriefen« Briefw. zw. Sch. u. K. I, 296.. Etwas räthselhaft ist die Zurückhaltung, welche der Dichter in Betreff seiner Beziehungen zu der Familie Lengefeld seinem Herzensfreunde Körner gegenüber längere Zeit beobachtete. »Ich werde – schrieb er ihm am 26. Mai – eine sehr nahe Anhänglichkeit an dieses Haus und eine ausschließende an irgend eine einzelne Person aus demselben sehr ernstlich zu vermeiden suchen. Es hätte mir etwas der Art begegnen können, wenn ich mich mir selbst ganz hätte überlassen wollen. Aber jetzt wäre es gerade der schlimmste Zeitpunkt, wenn ich das Bißchen Ordnung, das ich mit Mühe in meinen Kopf, mein Herz und meine Geschäfte gebracht habe, durch eine solche Distraction wieder über den Haufen werfen wollte.« Wollte Schiller vielleicht dem Freunde, welcher die in dem Kopfe des Dichters durch Fräulein von Arnim in Dresden angerichtete »Distraction« mitangesehen hatte, die Beruhigung geben, daß er in Rudolstadt einer »solchen Distraction« nicht ausgesetzt sei? Oder wollte er erst die Consolidirung seiner Stellung zum Lengefeld'schen Hause abwarten, bevor er den Freund tiefer in dieses Verhältniß blicken ließ? Wie dem sei, seine Beziehungen zu der Familie Lengefeld hat er sofort in den ersten Tagen seiner Anwesenheit in Volkstädt wieder aufgenommen; denn schon am 27. Mai schrieb Karoline von Beulwitz an ihren Vetter Wilhelm von Wolzogen: »Schiller ist seit einigen Tagen hier, uns ist recht wohl mit ihm und gar nicht fremd, sein Umgang freut uns sehr, es ist wirklich ein vortrefflicher Mensch, der sehr fein, fest und edel ist und im gemeinen Leben durch die Ueberlegenheit seines Geistes Niemanden drückt« Karoline v. Wolzogen, Literar. Nachlaß, II, 157.. Körner seinerseits fiel dem Freunde nicht mit Fragen über seine geselligen Beziehungen beschwerlich, wohl aber kam er bei Gelegenheit der ihm mitgetheilten Arbeitspläne wieder einmal, wie oft schon, auf seine ganz richtige Ansicht zurück, daß Schiller nicht berufen sei, ein Gelehrter, sondern ein Künstler zu sein, worauf ihm der Freund das tröstliche Wort sagte, er fühle seinen dichterischen Genius wieder Briefw. zw. Sch. u. K. I, 304, 319..

Wenige Tage nach der Ankunft in seinem »Pathmos« hatte der Dichter mit einem heftigen Katarrh zu kämpfen, welchen er sich durch eine Erkältung zugezogen und der ihn, wie er sagt, »schändlich zurichtete.« Da war es denn gut, daß er im Hause einer Familie wohnte, welche den Werth ihres Gastes zu schätzen wußte. Eine Tochter des Cantors Unbehaun hat nachmals in alten Tagen der rührenden Sorgfalt gedacht, welche ihre Eltern dem ihr als Kind räthselhaften Fremden angedeihen ließen. Jede störende Arbeit des Hauswesens oder der Landwirthschaft unterließen sie, wenn sie wußten, daß Schiller an seinem Pulte sei. Wir erfahren auch aus dieser Quelle, daß es bei Gewittern den Dichter nicht in der Enge des Hauses litt. Er ging dann die Hügel hinan, um sich von dort diese großartigen Naturerscheinungen anzusehen, welche seine Seele gewaltig aufregten. In solchen Fällen oder wenn er spät in der Nacht aus der Stadt zurückerwartet wurde, schickten ihm die sorglichen Wirthsleute Boten mit Laternen entgegen oder auch machte sich der brave Cantor selbst auf den Weg, um den Gast vor Schaden zu bewahren J. Eberwein, Schiller's Liebe und Verhältniß in Rudolstadt, S. 60.. Der Aufenthalt des Dichters in dem stillen Dorfe muß überhaupt für die Bewohner desselben epochemachend gewesen sein und sie bewahrten ihn treu im Gedächtniß. Schiller's Erscheinung und Wesen wirkte offenbar mächtig auf diese schlichten thüringischen Naturen. Im Jahre 1844 hat noch in Rudolstadt eine Häuslerwittwe aus Volkstädt gelebt, die sich gerne daran erinnerte, daß ihr, dem Erdbeeren suchenden Kinde, der Dichter eines Tages den Kopf gestreichelt habe, als sie auf der Anhöhe, die jetzt seinen Namen trägt, an ihm vorübergegangen. Die siebzigjährige Greisin erzählte auch: – »Es war der heilige Pfingsttag und von dem jungen gelehrten Manne war schon viel Redens im Dorfe, obgleich er nur erst kurze Zeit in seinem einsamen Hause wohnte. Damals war es noch Brauch, daß wir Kinder den Leuten, versteht sich nur den guten Leuten, Maienbäumchen vor die Thüren oder in die Stuben setzten und dazu ein geistliches Lied sangen. Und so kam es auch, daß ich und meine Schwester Hannel dem neuen Miethsherrn einen Maibaum in die Stube brachten, der so groß war, daß sich die Zweige oben an der Decke umbogen. Ich weiß das noch wie heute. Aber der Herr Schiller war noch auf seiner Höhe, und wie wir wieder aus dem Hause traten und uns freuten, den großen Baum so gut in die kleine Stube gebracht zu haben, sahen wir ihn vom Berge heruntersteigen. Nachher hat er lange noch am Fenster gestanden und hinausgesehen in den Thalgrund. Er hatte ein blasses, geisterhaftes Gesicht und seine Haare waren gelb und lang, nicht gepudert und zusammengedreht, wie es die Herren in der Stadt thaten Mittheilung von H. K – g (König?), Gartenlaube f. 1855, S. 354..

Die Persönlichkeit unseres Dichters hat in reiferen Jahren überall, bei Vornehmen und Geringen gleichermaßen, den Eindruck einer höheren, einer auserwählten Natur hervorgebracht. Der Volksinstinkt erhaschte auf der gesenkten Stirne des blassen, leidend aussehenden Mannes den Stral des Genius, wie derselbe Instinkt noch heutzutage aller Nörgelei einer blasirten Kritik zum Trotz aus den Erstlingsdramen Schiller's die Bedeutung dieser Sturm- und Drang-Genialität herausfühlt Indem ich diese Stelle des Textes wieder überblicke, kommt mir die Nr. 133 (Beilage) der Allgemeinen Zeitung für 1858 zur Hand, worin (S. 2135) eine Correspondenz aus Wien über eine Aufführung der Räuber und von Kabale und Liebe berichtet. Der Korrespondent fügt, nachdem er von den »unaufhaltsam losbrechenden Stürmen des Beifalls und Jubels« geredet, den Ausruf hinzu: »Welch eine ungeheure Wirkung diese beiden Stücke doch noch jeden Tag auf ein nicht ganz blasirtes Publicum hervorbringen!«. Unser Dichter war ein Aristokrat des Geistes, wie das Jeder ist, welcher an das Ideal glaubt; aber er war zugleich Demokrat. Natürlich darf hier weder dieses noch jenes Wort im gemeinen Clubbsinn genommen werden. Denn Schiller's Demokratismus bestand darin, daß er sein ganzes Genie daransetzte, die Menschen zu Denkenden, Wissenden, adlich Gesinnten emporzubilden, zu Aristoi im besten und höchsten Sinne. Diese hochherzige Mission des Dichters hat das Volk jeder Zeit, wenn nicht begriffen, so doch instinktmäßig geahnt und daraus erklärt sich die Ehrfurcht, welche Schiller's Begegnung schlichten Bürgers- und Bauersleuten einflößte, daraus erklärt es sich, daß z. B. der alte Gußmeister Meier in der Glockengießerei zu Rudolstadt stolz darauf war, erzählen zu können, Schiller habe ihm gar manchmal die Hand gedrückt, wenn er in seine Werkstatt gekommen Mittheilung von A. Schöll, Weimarer Sonntagsblatt für 1855, S. 165. Eberwein a. a. O. 77.. Dies geschah zur Zeit, von welcher wir handeln, häufig, und da eine unzweifelhaft authentische Ueberlieferung uns sagt, daß sich der Dichter bei diesen Besuchen in gründlichster Weise in der Technik des Glockengusses zu unterrichten gestrebt habe, so dürfen wir wohl annehmen, daß in der Rudolstädter Glockengießerei ihm die Idee zum unvergleichlichen Lied von der Glocke aufgegangen sei. Durch den Aufenthalt in Dresden und mehr noch durch den in Weimar hatte Schiller in Beziehung auf weltmännischen Takt offenbar viel gewonnen. Er war jetzt nicht mehr der zwischen dämischer Schüchternheit und kraftgenialischer Burschikosität schwankende Regimentsmedicus von 1782. Im Verkehr mit der Welt war es des eigenen Werthes sich bewußt geworden und hatte zugleich gelernt, welche Rücksichten der gebildete Mann den geselligen Formen schuldig ist. Daher die Leichtigkeit und Sicherheit, womit er während des Rudolstädter Sommers mit bäuerlichen und bürgerliche wie mit höfischen Kreisen verkehrte. Im Lengefeld'schen Hause traf er häufig mit dem jungen Erbprinzen zusammen, welcher sein Interesse für Schiller's Arbeiten dadurch zu bethätigen suchte, daß er die Zeichnung einer Szene aus dem Geisterseher entwarf. Auch der alte Fürst scheint an dem Dichter Gefallen gefunden zu haben, denn dieser wurde auf Veranlassung desselben Mitglied der dortigen Schützengilde. Zu diesen idyllisch-humanen Verhältnissen in Rudolstadt bildete es dann freilich einen starken Gegensatz, wenn Körner (am 20. Juli) aus Karlsbad, wo er den Brunnen trank, dem Freunde schrieb, daß die zahlreiche adelige Brunnengesellschaft gegenüber der bürgerlichen streng exclusiv sich verhielte. Man darf überhaupt nicht vergessen, daß die Aufklärung des Jahrhunderts vielerorten nur eine Phrase war und daß selbst in den neunziger Jahren noch in mancher deutschen Residenz das Leben im gothischen Kastenstyl sich bewegte Z. B. in Eutin. Vgl. Briefe von J. H. Voß, III, 20..

Manchen lieben langen Tag ist Schiller in den Bergzügen und Thalgebreiten bei Rudolstadt umhergestrichen. Einer seiner Lieblingsgänge war aus dem Thale der Saale hinüber in das der Schwarza, welches Bergwasser unter einsamen Fichtenschatten zwischen malerischen Felsengestaltungen tosend herabkommt. Dort stieg er zur Schwarzburg hinauf oder zu den byzantinischen Trümmern des Klosters Paulinzelle. Allein mehr noch, weit mehr als diese Reste der Vergangenheit zog unseren Dichter an, was drüben in der Stadt die Gegenwart Holdes und Gutes bot. Ging die Sonne zur Rüste, so verließ er das stille Cantorhaus und wandelte längs des Flusses gegen Rudolstadt hin. Etwa halbwegs ergießt sich ein Waldbach in die Saale. Da, bei dem Stege, der über den Bach führte, kamen ihm gewöhnlich die beiden lieben Schwestern entgegen. »Wenn wir ihn – erzählt Karoline – im Schimmer der Abendröthe auf uns zukommen sahen, dann erschloß sich ein heiteres ideales Leben unserm innern Sinne. Hoher Ernst und anmuthige geistreiche Leichtigkeit des offenen reinen Gemüths waren in Schiller's Umgang immer lebendig. Man wandelte in seinen Gesprächen wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen der Erde. Wie wir uns beglückte Geister denken, von denen die Bande der Erde abfallen und die sich in einem reinem leichtern Elemente der Freiheit eines vollkommeneren Einverständnisses erfreuen, so war uns zu Muthe« Karoline v. Wolzogen, Sch. L. I, 264.. Der Dichter begleitete dann die Schwestern nach der Stadt zurück, wo ein gleichgestimmter kleiner Kreis sie erwartete: Frau von Lengefeld, Herr von Beulwitz, Herr von Gleichen und dessen Braut Friederike von Holleben. Im Juli kam auch Wilhelm von Wolzogen, freilich nur, um bald wieder sich zu verabschieden, denn er war im Begriffe, im Auftrage des Herzogs von Würtemberg nach Paris zu gehen, wo ihn ganz andere Szenen erwarteten als er in dem heimeligen Saalethal hinter sich ließ. Denn während hier befreundete Menschen auf dem Wege »ruhiger Bildung« sich zusammenfanden und in idyllischem Behagen die großen und humanen Ideen des Jahrhunderts in sich aufnahmen und unter sich tauschten, während sie Musik machten, die Natur belauschten, mitsammen Dichter lasen und den Cultus einer idealen Freundschaft übten, verrieth dort drüben schon manch ein dumpfer unterirdischer Donnerton, daß der kochende revolutionäre Vulkan sich anschicke, seinen Krater aufzuthun. Unseren Freunden in Rudolstadt war es gegönnt, ohne eine Ahnung der ungeheuren Erschütterung, welche von Paris aus sobald Europa durchzittern sollte, ihres Sommers zu genießen. Schiller's Stimmung war in dieser Zeit eine so heitere, wie sie selten ihm geworden. »Ich habe mich hier – schrieb er unterm 27. Juli an Körner – noch immer ganz vortrefflich wohl. Wir sind einander hier nothwendig geworden und keine Freude wird mehr allein genossen. Die Trennung von dem Hause (Lengefeld) wird mir schwer sein und vielleicht desto schwerer, weil ich durch keine leidenschaftliche Heftigkeit, sondern durch eine ruhige Anhänglichkeit, die sich nach und nach so gemacht hat, daran gehalten werde. Mutter und Töchter sind mir gleich lieb und werth geworden und ich bin es ihnen auch. Beide Schwestern haben etwas Schwärmerei, doch ist sie bei beiden dem Verstande subordinirt und durch Geisteskultur gemildert. Die jüngere ist nicht ganz frei von einer gewissen coquetterie d'esprit, die aber durch Bescheidenheit und immer gleiche Lebhaftigkeit mehr Vergnügen gibt als drückt. Ich rede gern von ernsthaften Dingen, von Geisteswerken, von Empfindungen; hier kann ich es nach Herzenslust und ebenso leicht wieder auf Possen überspringen.« Wie aus diesen Zeilen, so athmet auch aus den zahlreichen kleinen Briefen und Billeten, welche zwischen dem Cantorhause in Volkstädt und dem Lengefeld'schen Hause hin- und hergingen, eine gleichmäßige Heiterkeit und in zahllosen gegenseitigen kleinen Aufmerksamkeiten spricht sich eine ruhige, aber innige Freundschaft aus. So macht es sich z. B. gar anmuthig, wenn Lottchen durch Uebersendung von Blumen dafür sorgt, daß Schiller der »angenehmen Wirkung«, welche er von Blumendüften empfängt, in seinem Zimmer nicht entbehre, und ihre Grüße mit in den Strauß bindet Schiller und Lotte, S. 54-55..

Auch an Wolken fehlte es diesem heiteren Sommerhimmel nicht. So eine vorüberziehende Wolke war die Erscheinung von Stolberg's schon erwähnter Anklage der »Götter Griechenlands«. Unser Dichter entsagte zur Freude der beiden Schwestern dem Vorhaben, in der ersten Aufwallung den Ankläger nach Gebühr abzufertigen. Dagegen war bei dieser Gelegenheit eine kleine Controverse mit Frau von Lengefeld, welche »den schönen Glauben ihres liebenden Herzens doch an strenge dogmatische Formeln und Vorstellungsarten band,« nicht zu vermeiden. Den dogmatischen Zwist artig beizulegen, sandte Schiller eine englische Bibelübersetzung an Lottchen und schrieb scherzend dazu: »Bitten Sie doch die Mama recht schön, daß sie mir erlaube, durch diese Holy Bible mein Andenken bei ihr zu stiften. Ich weiß, daß sie Lust hatte, sie englisch zu lesen, und schon längst hat der tägliche Verfall des wahren Christenthums im Lengefeld'schen Hause wie eine Centnerlast auf meinem christlichen Herzen gelegen. Ich stifte dieses zur Beförderung der wahren Gottseligkeit und – der englischen Sprache« Ebenda, S. 58. Vor das Titelblatt der Holy Bible schrieb der Dichter die Zeilen:
Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,
Auch nicht in des Pöbels Paradies,
Nicht in Himmeln, wie die Dichter reimen,
– Aber wir begegnen uns gewiß.
Volkstädt den 2. August 1788
von Friedrich Schiller zur Erinnerung.
. Einen tieferen und dauernderen Schatten warf in dieses Sommerleben der Hingang einer edlen Frau, einer treuen Freundin. Am 5. August starb unerwartet Henriette von Wolzogen. Sie hatte seit der Geburt ihres ältesten Sohnes an einem Brustübel gelitten und eine schmerzliche Operation, welcher sie sich kürzlich unterzogen, hatte nur ihren Tod beschleunigt. Ihre Ueberreste wurden in der Kirche von Bauerbach beigesetzt. Die Trauerpost bewegte den Dichter tief und in einem Brief vom 10. August an Wilhelm von Wolzogen ergoß er seine Trauer in den Worten: »Gewiß eine theure Freundin, eine vortreffliche Mutter haben Sie und ich in ihr verloren. Es war ein edles und gutes und äußerst wohlthätiges Geschöpf. Ich darf die vielen Augenblicke der Vergangenheit, wo ich ihre schöne liebevolle Seele habe kennen lernen, nicht lebendig in mir werden lassen, wenn ich die ruhige Fassung nicht verlieren will, in der ich Ihnen gerne schreiben möchte. Alle Liebe, die mein Herz ihr gewidmet hatte, will ich ihr in ihrem Sohne aufbewahren und es als eine Schuld ansehen, die ich ihr noch im Grabe abzutragen habe. Wir wollen einander wie Brüder angehören. Ach, sie war mir Alles, was nur eine Mutter mir hätte sein können!«

Auch während des Rudolstadter Sommers hat übrigens Schiller weder in Freude noch im Leide vergessen, daß er berufen sei, nicht ein müßig Genießender, sondern ein strebend Arbeitender zu sein. Selbst aus seinen Genüssen schöpfte er Anregung und Kraft zu neuen Arbeiten. So, wenn er gemeinsam mit den Schwestern Lengefeld die griechischen Dichter las. Das müssen schöne Stunden gewesen sein. Karoline erzählt: »Schiller las uns Abends die Odyssee vor und es war uns, als rieselte ein neuer Lebensquell um uns her.« Die geistvolle Frau hat mit diesen wenigen Worten ganz vortrefflich den Eindruck bezeichnet, welchen die Eröffnung der homerischen Dichtung auf die deutschen Gemüther machte. Da war Klarheit, ruhige Schönheit, da eine Welt, durch welche der tiefe Riß zwischen Geist und Natur, Göttlichem und Menschlichem noch nicht geschehen. Die Ahnung von der Verwandtschaft des hellenischen mit dem deutschen Geiste, welche dem Wolfgang Göthe in Italien im Angesichte der antiken Kunstgebilde so eben zur freudigen Gewißheit geworden, ging in dem stillen Saalethal auch unserem Schiller auf. »Ich lese jetzt fast Nichts als Homer – schrieb er unterm 20. August an Körner. Ich habe mir Voß's Uebersetzung kommen lassen, die in der That ganz vortrefflich ist Wir Epigonen, denen die Welt Homer's von den Schulbänken auf vertraut ist, können uns nur schwer eine Vorstellung von der außerordentlichen Wirkung machen, welche die Verdeutschung der homerischen Gesänge durch Voß hervorbrachte. Karoline v. Wolzogen (Sch. L. I, 270) sagt mit Recht: »Was jeder Deutsche Voßens Uebersetzung zu danken hat, ist unaussprechlich.« In der That, die Erscheinung des Voß'schen Homer war ein Ereignis, ein höchst bedeutsames Ereigniß in der deutschen Kulturgeschichte. Ueber einen Zwischenraum von mehreren Jahrtausenden hinweg schlug der Geist von Hellas eine Brücke nach Deutschland herüber, um hier, wiedergeboren aus germanischem Tiefsinn, abermals seine humanisirende Thätigkeit zu beginnen. Erst mit der Voß'schen Verdeutschung des Homer wurde ein modernes Griechenthum möglich, weil erst damit die antike Welt aufhörte, eine sterile Domaine der Stubengelehrsamkeit zu sein, und ein Eigenthum aller Gebildeten wurde.. In den nächsten zwei Jahren, habe ich mir vorgenommen, lese ich keine modernen Schriftsteller mehr. Keiner thut mir wohl; jeder führt mich von mir selbst ab, nur die Alten geben mir jetzt wahre Genüsse. Zugleich bedarf ich ihrer im höchsten Grade, um meinen eigenen Geschmack zu reinigen, der sich durch Spitzfindigkeit, Künstlichkeit und Witzelei sehr von der wahren Simplicität zu entfernen anfing. Du wirst finden, daß mir ein vertrauter Umgang mit den Alten äußerst wohlthun, vielleicht Classicität geben wird. Ich werde sie in guten Uebersetzungen studiren und dann, wenn ich sie fast auswendig weiß, die griechischen Originale lesen. Auf diese Art getraue ich mir spielend griechische Sprache zu studiren.« Reinigung also suchte unser Dichter in dem ewigen Jungbrunnen der Poesie von Hellas und er hat sie auch wirklich darin gefunden. Aber wenn er glaubte, auf dem angegebenen Wege die Kenntniß der griechischen Sprache spielend sich anzueignen, so war das freilich eine Täuschung. In seinen Schuljahren war er über die Rudimente des Griechischen nicht weit hinausgekommen und er empfand diesen Mangel seiner Bildung schmerzlich. Jetzt und später; denn noch zu Ausgang des Jahres 1795 kam er wieder auf seinen Vorsatz zurück, gründlich Griechisch zu lernen Er erbat sich damals in Betreff dieses Studiums den Rath seines Freundes Wilhelm von Humboldt und schrieb ihm dabei: »Auf das, was ich allenfalls noch von dieser Sprache weiß, dürfen Sie wenig Rücksicht nehmen; dies besteht mehr in Kenntniß von Wörtern als von Regeln, die ich ziemlich alle vergessen habe.« Briefw. Sch. mit W. v. H. 290., was jedoch bei seinen vielen anderweitigen Arbeiten nur ein frommer Wunsch sein konnte. So mußte er sich denn mit Uebersetzungen der Griechen behelfen und las mit den Schwestern Lengefeld im Sommer 1788 die griechischen Tragiker in den französischen Uebertragungen von Brumoy und Prevot. Das war freilich ein trauriger Nothbehelf. Die Freundinnen fühlten es wohl heraus, daß die durch und durch conventionelle französische Sprache den antiken Tragöden schlecht zu Gesichte stehe, und »um diese Reden, Gefühle und Bilder vermittelst unserer Sprache inniger in Herz und' Seele aufzunehmen« – wie Karoline sich ausdrückt – baten sie den Freund, ihnen ihre Lieblingsstücke zu verdeutschen. Schiller unternahm, hauptsächlich mit Hülfe einer jener wörtlichen lateinischen Uebersetzungen, wie sie in den älteren Ausgaben den griechischen Texten gegenübergedruckt sind, den Versuch und zwar am Euripides, dessen pathetische und sentenziöse Weise, zu dichten, seiner eigenen verwandt war. So kam die Uebersetzung der Iphigenia in Aulis zu Stande, welche in die Thalia eingerückt wurde, und etwas später die Verdeutschung einiger Szenen aus den Phönissen. Man darf den strengen Maßstab der deutschen Uebersetzungskunst von heute nicht an diese Versuche legen. Es sind nur poetische Stylübungen und »der antike Geist blickt nur wie ein Schatten durch das ihm geliehene Gewand« Worte Humboldt's in der Einleitung zu seinem Briefwechsel mit Schiller, S. 19.. Allein nicht zu übersehen ist, daß unser Dichter den warmen Hauch seiner Begeisterung auch in diese Uebungen hineintrug und daß er dadurch mit zu den Anregern jener poetischen Dolmetschungskunst sich gestellt hat, welche uns Deutschen, wie keinem anderen Volke, das Verständniß des Universalconcertes der Poesie erschloß.

Die Uebersetzungen aus dem Euripides stehen wie Erholungsstunden mitten unter den Originalarbeiten, welche unser Dichter in diesem Sommer förderte. Im Juliheft von Wieland's Merkur erschienen die »Briefe über Don Carlos«, eine Selbstkritik, wie sie so schön niemals wieder geschrieben wurde. Es mag in dieser Apologie der berühmten Dichtung manches Unzulängliche sein und man erkennt bei genauerem Zusehen wohl, daß Schiller hinsichtlich seiner ästhetischen Prinzipien sich selbst noch lange nicht klar genug war, um Anderen zu klaren Anschauungen zu verhelfen. Aber das Ganze fesselt unwiderstehlich durch den süßen Zauber einer Schwärmerei, welche, mit Ausschluß alles Gewaltsamen, in jener schönen Harmonie sich bewegt, die nur einem stillbefriedigten Seelenzustand entspringt. Wie man von Shakspeare's Juliatragödie gesagt hat, die Liebe habe sie dictirt, so kann man von den Briefen über Don Carlos sagen, daß die Freundschaft sie dem Dichter in die Feder geflüstert habe. Mir ist beim Lesen derselben immer gewesen, als blickten mich aus den beredten Zeilen die sanften Züge Lotte's und die enthusiastischen Augen Karoline's an. Körner schrieb am 11. August dem Freunde: »Eben bekomme ich deine Briefe über Don Carlos. Ich hielt das Unternehmen für gefährlich, aber meines Erachtens hast du dich gut aus der Sache gezogen. Der Ton gefällt mir sehr, weder affectirte Bescheidenheit noch Selbstlob. Du gibst dein Kunstwerk preis und willst nur deine Ideale retten. Auch der Styl ist geistvoll und ohne Prätension.« Im Juli beendigte Schiller den ersten Theil der Geschichte des Abfalls der Niederlande, welche dem Plane zufolge sechs Bände stark werden sollte Briefw. Sch. mit K. I, 319, 327.. Das Werk wurde bekanntlich nie vollendet, gewiß mehr aus dem inneren Grunde, daß Schiller's Beschäftigung mit der Historik überhaupt nur eine Entwicklungsphase seines dichterischen Genius war, als aus dem äußerlichen, welchen eine Rudolstadter Localsage angibt Eberwein erzählt a. a. O. diese Sage. Während der Dichter an seinem Geschichtswerk arbeitete, wurde er von einem hinderlichen Unwohlsein befallen. – (Es soll damit wohl das rheumatische Fieber gemeint sein, dessen Ueberstehung Schiller unterm 1. Oktober 1788 an Körner meldete.) – Der Arzt, Hofrath Conradi aus Rudolstadt, bemerkte, daß diese Behinderung dem Dichter sehr drückend war, und sagte scherzend: »Seien Sie ganz unbesorgt, der Tod wird Sie an der Fortsetzung des Werkes nicht hindern; aber Sie werden sterben, sobald Sie dasselbe zu Ende gebracht.« Schiller habe diese Worte sehr aufmerksam angehört und später nie sich überwinden können, der Aufforderung, das Buch fortzusetzen und zu vollenden, zu entsprechen.. Unser Dichter betrachtete das ganze Unternehmen als einen Versuch. »Es wird – schrieb er an Körner – Alles auf die Aufnahme dieses ersten Versuches ankommen, ob ich in dem Fache verharre. Wenn ich aber auch nicht Historiker werde, so ist dieses gewiß, daß die Historie das Magazin sein wird, woraus ich schöpfe oder welches mir die Gegenstände hergeben wird, an denen ich meine Feder und zuweilen auch meinen Geist übe.« Die Aufnahme der Arbeit im Publicum war ermunternd genug und der Beifall, welchen sie gewann, für Schiller auch insofern von Bedeutung, als sie ihm den Weg zu seiner Stellung in Jena bahnte. Freilich dürfte es nicht schwer sein, von der Höhe herab, welche die historische Forschung und Kunst der Deutschen seither gewonnen hat, an dem Buch eine scharfe Kritik zu üben. Wenn man aber den Hauptmangel desselben betont, die Abwesenheit urkundlichen Quellenstudiums, so darf nicht vergessen werden, daß dieses damals, wo z. B. diesseits der Pyrenäen vielleicht kein Mensch vom Vorhandensein des Archivs von Simancas wußte, für Schiller eine baare Unmöglichkeit war. Was er, soweit seine Hülfsmittel reichten, wollte, nämlich »das lesende Publicum von der Möglichkeit überführen, daß eine Geschichte historisch treu geschrieben sein kann, ohne darum eine Geduldprobe für den Leser zu sein,« das hat er vollständig erreicht. Man kann unbedenklich sagen, daß die Geschichte des Abfalls der Niederlande epochemachend wirkte, indem sie das erste im historischen Kunststyl in Deutschland geschriebene Geschichtswerk war. Wenn Schiller auch kein Historiker wäre, so hat er wenigstens den Historikern gezeigt, wie sie schreiben müßten, um gelesen zu werden. Erst mit ihm begann die geschichtliche Lectüre auch für weitere Kreise vorhanden zu sein. Er war es, welcher die historische Muse von der Pedantenperücke und dem exclusiven Reifrock erlöst hat. Aber das Verdienst seiner geschichtlichen Arbeiten liegt keineswegs bloß in der Form. Schiller war doch eigentlich der Erste in Deutschland, welcher die Geschichte mit philosophischem Geiste durchdrang und in ihr statt eines Personen- und Zahlenverzeichnisses, statt eines Quodlibet von Zufälligkeiten und Curiositäten die Actensammlung eines sittlichen Prozesses erkannte: – »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!« Dieser große Gedanke, an welchem man jetzt, wie an so vielen anderen großen Gedanken unseres Dichters, nichts Besonderes und Auffallendes mehr findet, weil er Einem so zu sagen von Kindesbeinen auf geläufig geworden ist, – dieser Gedanke hat die ganze historische Anschauung und Thätigkeit Schiller's bestimmt und befruchtet. Von diesem idealen Standpunkt hat er alle weltgeschichtlichen Probleme angesehen, und die Nichtigkeit desselben zu erweisen hat er nicht nur einzelne Emanzipationsgeschichten geschrieben, sondern er hat, wie als Dichter, so auch als Historiker überall »den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht« aufgezeigt, d. h. das unwandelbare Gesetz einer unhemmbar vorschreitenden Entwicklung.

Es ist fürwahr nichts Kleines gewesen, inmitten des trostlosen politischen Marasmus, welchem Deutschland verfallen war, diesen geschichtsphilosophischen Standpunkt zu gewinnen, und wir müssen eine günstige Schicksalsfügung darin erkennen, daß uns gerade zu einer Zeit, wo dem Deutschen eine pessimistische Weltanschauung nur allzu nahe gelegt war, in Schiller ein Prophet erstand, welcher, den Blick auf den Bildungsgang der Menschheit gerichtet, seinen Landsleuten die frohe Botschaft von der unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit unseres Geschlechtes verkündigte. Dieses Evangelium des Idealismus auszubreiten ist die Aufgabe der Historik und der Kunst. Die weltgeschichtliche Kulturmission der letztern zu feiern, schrieb Schiller sein berühmtes Gedicht »die Künstler«, mit welchem seine Laufbahn als Dichterphilosoph anhebt. Es wurde zu Rudolstadt im Herbst 1788 begonnen, reifte dann den Winter über unter vielfachen Umschmelzungen der Vollendung entgegen und lag im Februar 1789 fertig vor, worauf es in Wieland's Merkur erschien. In einem Schreiben an Körner (vom 9. Februar) gibt der Dichter als Grundidee des Gedichtes an: »die Verhüllung der Wahrheit und Sittlichkeit in die Schönheit« – und sagt, daß eine Allegorie durch das Ganze hindurchgehe. Das Schöne wird demnach von Schiller hier als das Symbol des Wahren und Guten gefaßt, die Offenbarung des Schönen, die Kunst, als das sinnliche Mittel zur Erreichung des übersinnlichen Zweckes, d. h. der Erhebung des Menschen über seine sinnliche, selbstsüchtige Natur. Die Erziehung des Menschen zur freien Sittlichkeit stellt der Dichter als das Endresultat der gesammten Entwicklung desselben hin. Das Göttliche, das Absolute, das Ideal, nenne man es nun Wahrheit, Erkenntniß oder Sittlichkeit, ist das Urbild; das Schöne, in der Kunst zur Erscheinung gebracht, ist das Sinnbild Nur durch das Morgenroth des Schönen
Drangst du in der Erkenntniß Land;
An höhern Glanz sich zu gewöhnen,
Uebt sich am Reize der Verstand.
. Der Mensch, behaftet mit allen Schwächen seiner Natur, ist unfähig, die Wahrheit in ihrer nackten Göttlichkeit anzuschauen. So muß sie denn in der Hülle der Schönheit zu ihm herabsteigen, damit er ihre Majestät ertrage Die, eine Glorie von Orionen
Ums Angesicht, in hehrer Majestät,
Nur angeschaut von reineren Dämonen
Verzehrend über Sternen geht,
Gefloh'n auf ihrem Stralenthrone,
Die furchtbar herrliche Urania –
Mit abgelegter Feuerkrone
Steht sie als Schönheit vor uns da.
Der Anmuth Gürtel umgewunden,
Wird sie zum Kind, daß Kinder sie versteh'n.
Was wir als Schönheit hier empfunden,
Wird einst als Wahrheit uns entgegengeh'n.
. Demzufolge sind es die Künstler, welche dem Menschen die Offenbarung des Göttlichen vermitteln; sie sind die Priester, welche vermittelst des Schönen die Gesellschaft zur Erkenntniß der Wahrheit, zur sittlichen Würde erziehen Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!
. So ist der Künstler der Normalmensch, welchen »der Dichtung Blumenleiter durch immer höh're Höh'n und immer schön're Schöne still hinaufführt«, damit er »am reifen Ziel der Zeiten in der Wahrheit Arme gleite«, – der Normalmensch, der Philosoph, welcher, nachdem er seine Mission vollzogen, mit der vollendeten Ruhe des Weisen das Unabwendbare über sich ergehen läßt Gelassen hingestützt auf Grazien und Musen,
Empfängt er das Geschoß, das ihn bedräut,
Mit freundlich dargebotnem Busen
Vom sanften Bogen der Nothwendigkeit.
W. v. Humboldt hat mit Recht auf die Schönheit dieser Zeilen aufmerksam gemacht. »Ich erwähne – sagt er (Briefw. mit Schiller, S. 22) – die Schilderung des Todes aus den Künstlern, den »sanften Bogen der Nothwendigkeit«, der so schön an die ἀγανὰ βέλεα(die sanften Geschosse) bei Homer erinnert, wo aber die Uebertragung des Beiworts vom Geschoß auf den Bogen selbst dem Gedanken einen zarteren und tieferen Sinn gibt.«
. Welcher Trost, welche versöhnende Kraft für Schiller in diesem Bewußtsein von dem Beruf des Künstlers lag, ist in den schönen Eingangszeilen des Gedichtes deutlich ausgesprochen. Hier wird nicht mehr, wie in den wilden Erstlingen des Dichters geschah, mit titanischer Verneinung und Empörung gegen das Jahrhundert angestürmt, sondern es werden die Vorschritte desselben mit freudiger Bejahung anerkannt; hier wird auch nicht mehr, wie in den Göttern Griechenlands, eine im Zeitenstrom versunkene Welt der Schönheit schmerzlich beklagt, sondern mit energischer Zuversicht der Aufbau einer neuen gefordert. »Die Künstler« bezeichnen also wieder einen bedeutsamen Aufschritt unseres Dichters zu der Höhe, auf welcher angelangt er den Deutschen, wie kein Zweiter, ihre Götter, d. h. ihre Ideale schuf. Alle späteren Ansichten und Ueberzeugungen des Dichterphilosophen enthält das Gedicht im Keime. Doch ist noch viel Schwankendes, Zwiespältiges in dieser beredten Verherrlichung der Kunst als der Erzieherin und Bildnerin der Menschheit. Der moralische Standpunkt des Dichters ist noch nicht zum ästhetischen hinaufgeläutert, die Kunst noch nicht als Selbstzweck, als höchste Blüthe des Daseins, als absolute Offenbarung des Göttlichen erfaßt. Diese Einsicht in das wahre Wesen des Schönen sollte Schiller nicht durch poetische Intuition, sondern vermittelst wissenschaftlichen Philosophirens gewinnen.

Körner, welcher, wie wir wissen, den Freund bei jeder Gelegenheit daran erinnerte, daß derselbe nicht zum Gelehrten, sondern zum Künstler gemacht sei, gab ihm um diese Zeit (im Oktober 1788) die Idee an die Hand, ein episches Gedicht zu schreiben, »versteht sich, ohne die conventionellen Schnörkel von Feerei und allegorischem Wesen.« Als Helden schlug Körner Friedrich den Großen vor und fragte den Freund: »Das Begeisternde aus der Geschichte eines solchen Mannes in einen kleinen Raum zusammengedrängt, mit möglichster Pracht der Diction und des Wohlklangs dargestellt, mit Schilderungen der Phantasie aus der verschönerten wirklichen Welt, sollte dies nicht ein interessantes Kunstwerk geben?« Schiller gab zur Antwort: »Deine Idee zu dem epischen Gedicht ist gar nicht zu verwerfen, nur kommt sie sechs bis acht Jahre für mich zu früh. Laß uns späterhin wieder darauf kommen.« Die Freunde kamen auch wirklich später auf die Sache zurück. Als der Dichter im November 1791 seine Uebertragungen aus Virgil's Aeneis in Stanzen Körnern zur Einsicht vorlegte, erneuerte der Freund den früheren Vorschlag, worauf ihm Schiller schrieb: »Dein Gedanke nach Durchlesung der Stanzen war ganz auch der meinige: daß ich ein episches Gedicht machen sollte. Von den Requisiten, die den epischen Dichter machen, glaube ich alle, eine einzige ausgenommen, zu besitzen: Darstellung, Schwung, Fülle, philosophischen Geist und Anordnung. Nur die Kenntnisse fehlen mir, die ein homerisirender Dichter nothwendig brauchte, ein lebendiges Ganze seiner Zeit zu umfassen und darzustellen.« Der Dichter setzt dann auseinander, daß er einem nationalen Gegenstande den Vorzug geben würde, denn »kein Schriftsteller, so sehr er auch an Gesinnung Weltbürger sein mag, wird in der Vorstellungsart seinem Vaterlande entfliehen.« Aber den Helden, welchen Körner vorgeschlagen, wies Schiller zurück. »Friedrich der Zweite – schrieb er am 28. November 1791 – ist kein Stoff für mich und zwar aus einem Grunde, den du vielleicht nicht für wichtig genug hältst. Ich kann diesen Charakter nicht liebgewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisirung an ihm vorzunehmen.« Er fügte hinzu, unter allen historischen Stoffen, bei deren epischer Bearbeitung er sich seiner Lieblingsideen am leichtesten entledigen konnte, stehe Gustav Adolf oben an. Man sieht, der dreißigjährige Krieg lud unseren Dichter nicht nur zu historischer, sondern auch zu epischer Behandlung ein, bevor das Problem im Wallenstein dramatische Gestalt gewann. Damit war zugleich für immer entschieden, daß Schiller nicht als Epiker, sondern als Dramatiker thätig sein sollte.

Wir wenden uns wieder nach Volkstädt zurück, aber nur, um unseren Dichter bei seinem Wegzug aus dem stillen Cantorhaus zu begleiten. Der Sommer von 1788 war regnerisch und dadurch wurde Schiller bewogen, im August eine Wohnung in Rudolstadt zu nehmen. Das üble Wetter und die kalten Abende hatten ihm, wie er unterm 1. September an Körner schrieb, das allabendliche Nachhausegehen von der Stadt in das Dorf zu beschwerlich gemacht. Zu Anfang Septembers war das Lengefeld'sche Haus freudig erregt. Ein theurer Gast wurde erwartet: Göthe, welcher durch Vermittlung Charlotte's von Stein schon in früherer Zeit zu der Familie Lengefeld in freundliche Beziehungen getreten war und dieselbe bei ihrer Schweizerreise im Jahre 1783 warm an Lavater empfohlen hatte. Am 18. Juni aus Italien nach Weimar zurückgekehrt, befand er sich jetzt bei Frau von Stein zu Kochberg auf Besuch. Von da sollte er nach dem nahegelegenen Rudolstadt kommen. Schon am 27. Juli hatte Schiller an Körner geschrieben: »Ich bin sehr neugierig auf Göthe; im Grunde bin ich ihm gut und es sind Wenige, deren Geist ich so verehre« – und am 20, August: »Göthe habe ich noch nicht gesehen; aber Grüße sind unter uns gewechselt worden. Ich bin ungeduldig, ihn zu sehen.« Karoline und Lotte sahen der Zusammenkunft der beiden Dichter mit höchster Spannung entgegen und wünschten sehnlichst eine Annäherung zwischen denselben. Sie liebten Göthe »wie einen guten Genius, von dem man nur Heil erwartet,« und sie erwarteten von seiner Freundschaft auch für Schiller Heil. Aber ihre frommen Wünsche blieben vorerst unerfüllt, als Göthe in Gesellschaft der Frau von Stein, der Frau Karoline Herder und der Frau von Schardt am ersten Sonntag im September im Lengefeld'schen Hause eintraf. Seine Begegnung mit Schiller hielt sich innerhalb der Schranken der geselligen Convenienz. »Wir hatten – klagt Karoline von Wolzogen – von Göthe bei seinem entschiedenen Ruhm und seiner äußeren Stellung mehr Entgegenkommen erwartet und von unserem Freunde (Schiller) auch mehr Wärme in seinen Aeußerungen.« Sie war jedoch geneigt, als Entschuldigung für Göthe's Kälte das ihn quälende Heimweh nach Italien gelten zu lassen, und zog eine Hoffnung für die Zukunft aus dem Umstand, daß er das zufällig auf dem Tische liegende Heft des Merkur, welches die Götter Griechenlands enthielt, nachdem er einige Minuten hineingesehen, einsteckte und bat, es mitnehmen zu dürfen Karoline v. Wolzogen, L. Sch. I, 280..

So hatten sich also die beiden Dichter persönlich begrüßt, ohne dadurch einander näher zu kommen. Im Gegentheil, Beide nahmen von dieser Zusammenkunft den Zweifel mit hinweg, daß sie sich jemals finden würden. »Endlich kann ich dir von Göthe erzählen, worauf du, wie ich weiß, sehr begierig wartest – schrieb Schiller am 12. September an Körner. Ich habe den vergangenen Sonntag beinahe ganz in seiner Gesellschaft zugebracht. Sein erster Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so; sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge ausdrucksvoll, lebhaft, und man hängt mit Vergnügen an seinem Blicke. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett und schien mir älter auszusehen, als er meiner Berechnung nach wirklich sein mag. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistvoll und belebt; man hört ihn mit überaus vielem Vergnügen, und wenn er bei gutem Humor ist, welches diesmal so ziemlich der Fall war, spricht er gern und mit Interesse. Unsere Bekanntschaft war bald gemacht und ohne den mindesten Zwang; freilich war die Gesellschaft zu groß und Alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte sein oder etwas Anderes als allgemeine Dinge mit ihm hätte sprechen können. Er spricht gern und mit leidenschaftlicher Erinnerung von Italien.« Bis dahin lautet Alles gut; nun aber kommt das Bedenken. »Im Ganzen genommen – fährt unser Dichter fort – ist meine in der That große Idee von Göthe nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir – an Jahren weniger als an Lebenserfahrungen und Selbstentwicklung – so weit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammenkommen werden; und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang her anders angelegt als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schließt sich's aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.« Hierauf erwiderte Körner: »Göthe's Zusammenkunft mit dir ist abgelaufen, wie ich mir dachte. Die Zeit wird lehren, ob ihr euch näher kommen werdet. Freundschaft erwarte ich nicht, aber gegenseitige Reibung und dadurch Interesse für einander.« Die Reibung blieb nicht aus, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden. Sonst aber brachte und lehrte die Zeit zunächst wenig Erfreuliches. Zwei Sterne waren einander begegnet, hatten sich aber gegenseitig eher abgestoßen als angezogen.

Es thut recht wohl, den Blick von dieser kühlen und fruchtlosen Begegnung ab und auf die Beziehungen unseres Dichters zu den Schwestern Lengefeld hin zu wenden. Hier ist gegenseitiges Verständniß und edle Herzenswärme. Schiller's Ahnung, daß aus dem »kleinen Samenkorn der Freundschaft« eine Blume erwachsen würde, hatte ihn nicht getäuscht. Die Blume war in den Sommertagen von 1788 frisch, gesund und zukunftsvoll aufgeblüht. Die Neigung dieser drei guten Menschen zu einander war keine leidenschaftliche Flackerglut, sondern eine stätig und still brennende Flamme. Aber so mächtig wurde doch in ihnen das Gefühl des Zusammengehörens, daß, wie Karoline erzählt, ihre Pläne für die Zukunft schon jetzt auf ein vereintes Leben deuteten. Sie setzt hinzu, eine bestimmte Absicht auf ihre Schwester habe Schiller nicht auszusprechen gewagt, da noch keine feste Lebensaussicht für ihn vorhanden gewesen sei, und in ihrer discreten Weise deutet sie an, welche Hindernisse einer solchen »bestimmten Absicht« entgegenstanden, indem sie sagt: »Die Standesverhältnisse wurden in jener Zeit noch strenger genommen – (wir kommen hierauf seines Ortes zurück) – und die mütterliche Sorge um die Haltbarkeit der äußeren Existenz mußte dem Freunde selbst höchst einleuchtend erscheinen, um so mehr, da wir nicht so reich waren, daß Schiller von Lotte's Vermögen hätte unabhängig leben können Ebenda, I, 272.. Der Wink ist deutlich: man glaubt die gute Freifrau Luise Juliane von Lengefeld vor sich zu sehen, wie sie mütterlich besorgt den Kopf schüttelt, daß das hohe Toupet ins Schwanken geräth, bei dem Gedanken, ihr Lolochen könnte geneigt sein, statt einer Hofdame die Frau eines armen Schriftstellers zu werden. Wahrscheinlich hängt es mit diesem auf dem Standpunkte der Freifrau vollauf berechtigten Kopfschütteln zusammen, daß Lottchen im September für mehrere Wochen zur Frau von Stein nach Kochberg zu Besuche ging. Die Mutter mochte eine zeitweilige Entfernung des jungen Mädchens für passend erachten. Allein auch zwischen Rudolstadt und Kochberg ging eine der gepriesenen »Botenfrauen« hin und her, welche im brieflichen Verkehr jener Zeit eine so große Rolle spielten. Da wanderten denn häufig kleine Briefchen von der Freundin zum Freunde und umgekehrt. Es ist reizend, in diesen undatirten Epistelchen zu beobachten, wie der Ton zwischen den Beiden immer vertrauter und herzlicher wird. »Sie werden wohl jetzt am Tisch sitzen und sprechen und Nüsse essen, nicht wahr?« schreibt Lotte an Schiller. »Und ich muß Ihnen doch auch einen guten Abend wünschen, daß Sie sehen, daß ich Ihrer denke. (Doch das wissen Sie wohl so; Sie wären sonst nicht mein Freund.) Ich bin gestern nicht allein in den düstern Wäldern gewesen. Die lieblichen Götter Griechenlands waren mit mir. Ich las und freute mich der schönen Stellen und lernte sie. Ich wäre wohl hier stille und ruhig in der Einsamkeit, wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß Sie eben in Rudolstadt sind und daß ich manche schöne Stunde versäume.« In der Antwort des Dichters stehen die warmen Zeilen: »Könnte ich doch zur Verschönerung Ihres Lebens Etwas thun! Ich glaube, ich würde das meinige dann selbst mehr lieben. Was ist edler und was ist angenehmer, als einer schönen Seele den Genuß ihrer selbst zu geben, und was könnte ich mehr wünschen, als die lieblichen Gestalten Ihres Geistes anzuschauen und immer und immer um mich her zu fühlen! Sie sind nicht allein glücklich, wenn Sie es sind.« Ein andermal schrieb er: »Machen Sie doch, daß Sie bald zurückkommen, daß ich wenigstens noch Abschied von Ihnen nehmen kann. Ich weiß nicht, ich habe keinen großen Glauben an die Zukunft. Ist es Ahnung oder ist es nur eine schwarze Laune?« Worauf das »freundliche Lolochen«, wie Schiller in dieser Correspondenz die Freundin einmal vertraulich nennt, erwiderte: »Ach, es ist traurig, daß Sie vom Abschied reden! Oft schon, wenn wir froh zusammensaßen, kam mir der Gedanke und quälte mich. Gut ist es, daß hoffentlich die Trennung nicht unsere Freundschaft stören wird. Habe ich recht?«

Ende Oktobers kehrte Lotte heim und bald darauf mußte sich der Dichter von den Freundinnen trennen, denn drüben in Weimar »lag der arme Merkur in Todesnöthen« und Wieland erbat sich dringend den Beistand Schiller's, dessen ökonomische Existenz theilweise von der dieser Zeitschrift abhing. Er entsprach also am 13. November dem Mahnruf des Landsmanns, und während er sich anschickte, den Weg nach Weimar einzuschlagen, konnte er mit den Augen den Wagen verfolgen, welcher an demselben Tage die beiden Schwestern nach Erfurt brachte. Sie gingen dort den Präsidenten von Dachröden besuchen, dessen Tochter Karoline mit Karoline von Beulwitz-Lengefeld innig befreundet war. Diese Beziehung sollte später einen hellsten Faden in Schiller's Lebensgewebe schlagen. Denn Fräulein von Dachröden wurde die Braut Wilhelm's von Humboldt, dessen durch die Schwestern Lengefeld vermittelte Bekanntschaft mit unserem Dichter zu jener Freundschaft erwuchs, welche in die Entwicklung Schiller's so fördernd eingriff. Die Briefchen, welche in den letzten Tagen seines Aufenthalts in Rudolstadt zwischen ihm und den Schwestern gewechselt wurden, überzeugen uns, wie so ganz sich die Dreie schon in einander hineingelebt hatten. »Nein gewiß! Wir wollen uns diesen Sommer nicht reuen lassen – rief der Dichter den Freundinnen zu – ob er gleich vergangen ist. Er hat unsere Herzen mit schönen seligen Empfindungen bereichert, er hat unsere Existenz verschönert und das Eigenthum unserer Seele vermehrt. Mich machte er glücklicher als die mehrsten, die ihm vorhergegangen sind; er wird mir noch wohlthun in der Erinnerung und die liebe holde Nothwendigkeit, denke ich, soll ihn noch oft und immer schöner für mich wiederbringen. Dank Ihnen für so viele Freuden, die Ihr Geist und Herz und Ihre liebevolle Theilnahme an meinem Wesen mich hat genießen lassen. Lassen Sie der schönen Hoffnung uns freuen, daß wir Etwas für die Ewigkeit angelegt haben. Diese Vorstellung habe ich mir früher von unserer Freundschaft gebildet und jeder neue Tag hat ihr mehr Licht und Gewißheit bei mir gegeben.« Noch erregter spricht sein Gefühl in den Zeilen an Lotte: »Ihr Andenken ist mir theuer und theurer gewiß, als ich Ihnen mit Worten gestanden habe, weil ich über Empfindungen nicht viel Worte liebe. Werden Sie mir gerne von Ihnen Nachricht nach Weimar geben und mich dem Gang Ihrer Seele auch abwesend folgen lassen? Mit dem meinigen, hoffe ich, sollen Sie immer bekannt bleiben. Noch einmal Dank, tausend Dank für die vielen, vielen Freuden, die Ihre Freundschaft mir hier gewährt hat. Sie haben viel zu meiner Glückseligkeit gethan und immer werde ich das Schicksal segnen, das mich hieher geführt hat.« In Lotte's Antwort blickt, meine ich, hinter den Worten der Freundschaft schon deutlich ein noch innigeres Gefühl schüchtern hervor. »So sind wir denn wirklich getrennt! schrieb sie. Kaum ist's mir denkbar, daß der lang gefürchtete Moment nun vorbei ist. Mögen Sie immer gute und frohe Geister umschweben und die Welt in einem schönen Glanze Sie umhüllen, lieber Freund! Ich möchte Ihnen gern sagen, wie lieb mir Ihre Freundschaft ist und wie sie meine Freuden erhöht. Aber ich hoffe, Sie fühlen es ohne Worte. Gute Nacht! gute Nacht! Leben Sie so wohl als ich's wünsche. Denken Sie gern meiner und oft. Adieu! Adieu! … Noch einen schönen freundlichen guten Morgen von mir. Leben Sie noch einmal wohl und vergessen Sie uns nicht; nein, dies werden Sie nicht. Adieu! Adieu! Mir ist's heut früh, als sähen wir uns bald wieder!« Hat man in diesen Zeilen nicht das »freundliche Lolochen« leibhaftig vor Augen, wie es in stiller Nacht im Gedränge des Abschiedsleides herzliche Wünsche für den scheidenden Freund hastig auf's Papier wirft und wie es dann am Morgen das Billet noch einmal aufmacht, um ihn abermals und abermals zu grüßen und nicht fertig werden kann und doch das Süßeste, was es ihm gern sagen möchte, in die verschämte Mädchenbrust zurückdrängt und schließlich dennoch sich nicht überwinden kann, eine leise Zukunftshoffnung zu verschweigen? Vielleicht wurde dem guten Kind in jener Stunde zuerst klar, daß der Dichter ihr allmälig mehr als Freund geworden sei. Auch Schiller's Herz war stürmisch bewegt, als er unmittelbar vor seiner Abreise an die Schwestern noch die Worte schrieb: »Möchte ich Sie doch von meiner innigen Freundschaft so lebhaft überführt haben als sie ein Theil meines Wesens geworden ist. Ja, meine Lieben, Sie gehören zu meiner Seele und nie werde ich Sie verlieren, als wenn ich mir selbst fremd werde« Schiller und Lotte, S. 81, 84, 91, 93, 94, 100, 104, 105, 106, 107..

Als Karoline von Wolzogen die Lebensgeschichte des geliebten Freundes und Schwagers schrieb, beschloß sie ihre nur zu bündige Schilderung des Zusammenseins mit demselben im Sommer 1788 mit den Worten: »Wie ein Blumen- und Fruchtgewinde war das Leben dieses ganzen Sommers mit seinen genußreichen und bildenden Tagen und Stunden für uns alle. Schiller wurde ruhiger, klarer, seine Erscheinung, wie sein Wesen, anmuthiger, sein Geist den phantastischen Ansichten des Lebens, die er bis dahin nicht ganz verbannen konnte, abgeneigter. Meiner Schwester ging neue Lebenshoffnung und Freude im Herzen auf – (ein gewiß unverwerfliches Zeugniß für die oben geäußerte Ansicht über die Natur von Lotte's Neigung zu dem Dichter) – und ich selbst wendete mich wieder mehr zum wahren Genuß des Lebens im Glück einer neubeseelenden Freundschaft. Alles, was uns umgab, genoß und theilte diesen freundlichen Zauber.« Schiller seinerseits zog am 14. November, am Tage nach seinem Wiedereintreffen in Weimar, in einem Briefe an Körner so die Summe seines Volkstädt-Rudolstadter Sommers: »Mein Abzug aus Rudolstadt ist mir in der That schwer geworden; ich habe dort viele schöne Tage gelebt und ein sehr werthes Band der Freundschaft gestiftet. Bei einem geistvollen Umgang, der nicht ganz frei ist von einer gewissen schwärmerischen Ansicht der Welt und des Lebens, so wie ich sie liebe, fand ich dort Herzlichkeit, Feinheit und Delicatesse, Freiheit von Vorurtheilen und sehr viel Sinn für das, was mir theuer ist. Dabei genoß ich einer unumschränkten inneren Freiheit meines Wesens und der höchsten Zwanglosigkeit im äußerlichen Umgange – und du weißt, wie wohl Einem bei Menschen wird, denen die Freiheit des Anderen heilig ist. Dazu kommt, daß ich wirklich fühle, gegeben und in gewissem Betrachte wohlthätig auf diese Menschen gewirkt zu haben. Mein Herz ist ganz frei, dir zum Troste. Ich habe es redlich gehalten, was ich mir zum Gesetz machte und dir angelobte; ich habe meine Empfindungen durch Vertheilung geschwächt und so ist denn das Verhältniß innerhalb der Gränzen einer herzlichen vernünftigen Freundschaft. Uebrigens ist dieser Sommer nicht unwichtig für mich. Ich bin von mancherlei Dingen zurückgekommen, die mich auf dieser Lebensreise oft schwer gedrückt haben, und hoffe, mich künftig mit mehr innerer Freiheit und Energie zu bewegen.«

Zu den »mancherlei Dingen«, welche den Dichter gedrückt hatten und von welchen er während dieses Sommers zurückgekommen, gehörte unzweifelhaft vor allen das Verhältniß zu Charlotte von Kalb, dessen Lockerung und Lösung wir im vorigen Kapitel mitansahen. Viel räthselhafter als diese Andeutung mußte dem Freunde in Dresden der Ausspruch Schiller's vorkommen, daß er seine »Empfindungen durch Vertheilung geschwächt« habe, um sein Herz gegen leidenschaftliche Regungen zu sichern. In der That, wir stehen hier vor einem psychologischen Räthsel, welches eben nur durch den hohen Sinn der dabei Betheiligten so gut und schön gelöst werden konnte, wie es gelöst wurde. Aber daß unseres Dichters Herz bei seiner Zurückkunft aus Rudolstadt nach Weimar »ganz frei« gewesen, das war eben nur dem Freunde »zum Troste« gesagt. Jeder Mensch trägt in seiner Seele eine geheime Falte, in welche er, ob sie Bestes oder Bösestes berge, kein fremdes Auge blicken lassen mag. Schiller verrieth seinem Körner das Vorhandensein so einer Falte, aber er ließ den Freund nicht hineinblicken. Nein, er hatte sein Herz nicht »ganz frei« aus Rudolstadt zurückgebracht; – im Gegentheil, es war ganz gefangen dort zurückgeblieben. Man lese nur, deß zum Beweise, den sehnsüchtigen Brief, welchen er am 14. November aus Weimar an die Schwestern Lengefeld schrieb, an beide gemeinsam Karoline v. Wolzogen, L. Sch. I, 310. Schiller und Lotte, S. 108.; denn, in Wahrheit, er hatte seine Empfindungen zwischen denselben getheilt, aber dadurch keineswegs »geschwächt«. Und die Theilung war – die vorhandenen Documente, d. h. der Briefwechsel Schiller's mit den Schwestern, wie er in Karoline's »Literarischem Nachlaß« und in dem unvergleichlich reizenden Briefbuch »Schiller und Lotte 1788-89« vorliegt, beweisen es unwiderleglich – ja, diese Theilung war Anfangs nicht einmal eine ganz gleiche. Wenn Lotte's sanftheiteres Wesen anfänglich dem Dichter nur freundschaftliche Gefühle erregte, so steigerte Karoline's genialischere, der seinigen verwandtere Natur seine Empfindung zur Liebe. Freilich mußte er sich – auch abgesehen davon, daß die ältere Schwester einem achtungswerthen und von seiner Gattin, wie von Schiller, auch wirklich hoch geachteten Manne verbunden war – bei seinen Ansichten über die Ehe sagen, daß ihm die jüngere Schwester als Frau größeres, weil beständigeres Glück gewähren würde; allein trotzdem hatte er es nur der Hochherzigkeit Karoline's zu danken, daß der Zwiespalt seiner Neigung eine glückliche Ausgleichung fand. Ich sage, der Hochherzigkeit Karoline's. Denn Alles zeugt dafür, daß diese edle Frau ein leidenschaftlicheres Gefühl als das der Freundschaft in ihrer Seele geheimster Falte für Schiller gehegt und daß sie dieses Gefühl zum Opfer gebracht habe, um den geliebten Freund und die geliebte Schwester glücklich zu machen. Sie war – wie sie in einem herrlichen Briefe sagt, worin sie das ungestüme Liebeswerben ihres Vetters Wolzogen zurückwies – »weder eine Weltfrau nach dem gewöhnlichen Schlage, die so thun könnte, als beleidigten sie zärtliche Empfindungen, noch eine Prüde, der alles Reine und Unschuldige verdächtig ist, weil sie sich selbst nicht rein fühlt,« sondern sie war vielmehr eine Frau, welche die Eingebungen der Phantasie und die Forderungen des Herzens mit angeborenem Takte den Vorschriften eines maßvollen Verstandes unterwarf und einem ungeliebten, aber ehrenwerthen und rücksichtsvollen Gatten treu blieb, weil sie in ihm sich selbst achtete. Ihre ganze Erscheinung muß gewesen sein wie die der Königin im Don Carlos In angebor'ner stiller Glorie,
Gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
Mit festem Heldenschritte wandelt sie
Die schmale Mittelbahn des Schicklichen.
. Aber glücklicher als diese, hatte sie wenigstens die Genugthuung, dem Geliebten die Schwester zu gesellen, welcher sie mit fast mehr mütterlicher als nur schwesterlicher Zärtlichkeit zugethan war. Als am 14. Januar 1847 auf dem neuen Friedhof zu Jena ein Marmorkreuz auf Karoline's Grab errichtet wurde, schrieb man, wie sie in ihrem letzten Willen verordnet hatte, auf dasselbe die Worte: »Sie irrte, litt, liebte.« Ja, sie litt und liebte, aber ihr Irrthum, wenn überhaupt einer, war der schönste, war nur dieser, zu glauben, dem Glücke geliebter Menschen selbstvergessen sich zu opfern sei das höchste Glück. Zum Heile der Gesellschaft sind solche Frauen, wie Karoline war, nicht so selten, wie oft geglaubt wird. Sie haben etwas Eigenthümliches im Auge, etwas wie verhaltene Zärtlichkeit, Schwärmerei, todwunde und doch stillgefaßte Resignation. Zuweilen blickt aus diesen Augen, während der Mund opferfreudig lächelt und ein Stral sanfter Begeisterung auf der Stirne spielt, eine rührende Klage. Aber ausgesprochen wird sie nicht, – ausgeweint vielleicht in der einsamen Stille schlummerloser Nächte.


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