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Zweites Kapitel.
Bauerbach.

Im Rhöngebirge. – Winterliche Einsamkeit. – Der Bibliothekar Reinwald. – Don Carlos. – Beginnende Läuterung. – Charlotte von Wolzogen und eine »thörichte« Hoffnung. – Störniß. – Werther'sche Stimmung. – Wiederanknüpfung mit Dalberg. – Halkyonische Tage. – Abreise von Bauerbach.


Unfern von Meiningen, in einer Thalsenkung des rauhen Rhöngebirges, liegt das Dorf Bauerbach. Ob demselben ragen auf einem vorspringenden Hügel die Ruinen der Burg Henneberg. Düstere Fichtenwälder umziehen die Thalmulde und hinter den bewaldeten Halden stehen höhere Berge. Tief verschneit, sah der Ort noch unwirthlicher aus denn sonst, als am Abend des 7. Dezembers 1782 unser Flüchtling in dieser winterlichen Einsamkeit anlangte, wo ihm mütterliche Freundschaft ein Asyl bereitet hatte. Frau von Wolzogen verweilte mitunter hier, sowie in dem drei Stunden entfernten Walldorf bei Meiningen, welches Stammgut ihrer Familie im Besitz ihres Bruders, des Freiherrn Marschalk von Ostheim, sich befand. In Bauerbach hatte die Freifrau, weil das alte Herrenhaus wenig geräumig, sehr unbequem und verfallen war, im Jahre 1775 ein Bauernhaus angekauft und dasselbe nothdürftig als Herrschaftswohnung einrichten lassen Brückner: »Schiller in Bauerbach«, S. 6..

siehe Bildunterschrift

18. Schiller's Asyl in Bauerbach.
Originalzeichnung von G. Hartmann. Geschnitten von J. G. Flegel

Bei sinkender Nacht im Dorfe angekommen, fragte der Dichter dem Gutsverwalter Vogt nach und legitimirte sich bei demselben als der »Doctor Ritter«, auf dessen Ankunft den Verwalter seine Gebieterin von Stuttgart aus vorbereitet hatte. Der durchfrorene Ankömmling wurde in das bezeichnete Haus geführt und konnte im wohlgeheizten Zimmer bei mit Hausmannskost gastlich besetztem Tische von den Strapazen seiner Winterreise sich erholen. Am folgenden Morgen nach einem langen erquickenden Schlafe neugestärkt erwacht, trat er an das Fenster der geräumigen Hinterstube, welche er bewohnte, und orientirte sich in der Gegend. Sein Blick schweifte über die schneebelasteten Wälder zu den weißglänzenden Bergen empor. Die Einsamkeit und Stille ringsher gab ihm das langentbehrte Gefühl der Ruhe und Sicherheit. In zufriedener Stimmung setzte er sich in den Lehnstuhl, welcher vor dem auf einem gewundenen Bein mit drei Auslaufsfüßen ruhenden Tische stand, und meldete dem treuen Andreas: »Endlich, liebster Freund, bin ich hier, glücklich und vergnügt, daß ich einmal am Ufer bin. Ich traf Alles noch über meine Wünsche; keine Bedürfnisse ängstigen mich mehr, kein Querstrich von außen soll meine dichterischen Träume, meine idealischen Täuschungen stören. Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung und alle diese Sachen werden von den Leuten des Dorfes auf das Willigste besorgt.« Aber im Fortgang des Briefes trübt sich diese Heiterkeit. Der Dichter beschäftigt sich mit den Zukunftsplänen des Freundes, dabei fällt ihm ein, wie seine eigenen schon so manchen derben Stoß erlitten hätten, und er läßt sich das bittere Wort entwischen: »Was Sie thun, lieber Freund, behalten Sie diese praktische Wahrheit vor Augen, die Ihren unerfahrenen Freund nur zu viel gekostet hat: – Wenn man die Menschen braucht, so muß man ein H…t werden oder sich ihnen unentbehrlich machen. Eines von Beiden oder man sinkt unter.« Man sieht, die Erfahrungen des Lebens hatten den Schmetterlingsflügelstaub von Schiller's Seele gewischt, d. h. sein naiver Glaube an die Menschen war dahin. Er schrieb an demselben Tage auch an Schwan und in diesem Briefe kam die merkwürdige Stelle vor: »Diesen Winter sehe ich mich genöthigt, ein Dichter zu sein, weil ich auf diesem Wege meine Umstände schneller zu arrangiren hoffe. Sobald ich aber von dieser Seite fertig bin, will ich ganz in mein Handwerk versinken.« Da unter dem Handwerk nur die Arzneiwissenschaft verstanden werden kann, so ist anzunehmen, daß Schiller, noch unter dem frischen Einfluß der mit dem Herrn Intendanten des Mannheimer Theaters gemachten Erfahrungen, sich mit dem Gedanken getragen habe, seiner Thätigkeit als Dramatiker zu entsagen und zu seiner Brotwissenschaft zurückzukehren. Wir werden aber bald sehen, daß es nur eines leisen Anstoßes bedurfte, um dieses vorübergehende Project zu beseitigen und den Dichter seiner wahren Bestimmung zurückzugeben.

Der Einförmigkeit dieser Existenz ungeachtet verliefen die ersten Wochen des Bauerbacher Aufenthaltes zur völligen Zufriedenheit Schiller's. Er wußte die Seinigen für den Augenblick über seine Lage beruhigt und ihm selbst that nach den vielen stürmischen und peinlichen Erlebnissen der letzten Monate die Einsamkeit wohl. Anfangs in strenger Zurückgezogenheit lebend, beschränkte er sich auf die Gesellschaft des Verwalters, mit dem er weite Spaziergänge durch die Berge und Wälder machte und an den langen Winterabenden Schach spielte. Seine Hauptbeschäftigung war »Kabale und Liebe« und im Februar 1783 wurde dieses Trauerspiel vollendet. Die zarte Fürsorge der Frau von Wolzogen, welche nicht nur die leiblichen, sondern auch die geistigen Bedürfnisse ihres Schützlings berücksichtigte, hatte ihn an den herzoglichen Bibliothekar in Meiningen, Wilhelm Reinwald, empfohlen, welcher in Kenntniß gesetzt worden war, wer der Doctor Ritter eigentlich sei. Der wackere Mann, welcher wenn nicht eine Ader, so doch ein Aederchen von einem Poeten in sich hatte, entsprach diesem Vertrauen vollständig. Er versah nicht nur Schiller mit Büchern, sondern ging ihm auch überall mit gutem Rath an die Hand. Das freundschaftliche Band zwischen dem jungen feurigen Dichter und dem ältlichen, zur Hypochondrie geneigten Gelehrten sollte später ein verwandtschaftliches werden. Ein Zufall verschaffte Reinwald Einblick in die verständigen Briefe, welche Schwester Christophine ihrem Bruder schrieb. Schon dadurch für das treffliche Mädchen eingenommen, suchte und machte der Bibliothekar im Sommer 1784 auf der Solitude Christophine's persönliche Bekanntschaft und zwei Jahre später folgte sie dem Freiwerber an den Altar. Schiller sah nicht ohne Bedenken den Abschluß des Ehebundes zwischen zwei an Alter und Temperament so verschiedenen Personen. Glücklicher Weise wurden die Besorgnisse des zärtlichen Bruders nicht gerechtfertigt. Christophine wußte mit linder Hand die Falten der hypochondrischen Wunderlichkeiten ihres im Grunde herzensguten Mannes zu glätten, und nachdem ihr denselben der Tod schon 1815 geraubt, schrieb die Achtundachtzigjährige im Jahre 1845 das Zeugniß nieder, daß Reinwald und sie neunundzwanzig Jahre lang zufrieden mit einander gelebt hätten Saupe: »Schiller und sein väterliches Haus«, S. 117..

Die Bücher, welche Reinwald dem Dichter mittheilte, gaben Stoffe und Anregungen zu neuen tragischen Plänen. Schiller's schon früher erregtes Interesse für die Geschichte des Infanten Don Carlos wurde in Bauerbach erneut und erhöht durch die Lectüre der historischen Novelle, in welcher der Franzose Saint-Réal die Person und das Schicksal von Philipp's II. Sohn romantisirt hatte. Wäre freilich das Archiv von Simancas schon geöffnet, wären die Forschungen Prescott's und Anderer über den Infanten damals schon vorhanden gewesen, so dürfte dieses Thema dem Dichter mehr Widerwillen als Theilnahme eingeflößt haben. Dagegen mußte die weniger als halbgeschichtliche und mehr als halbmythische Beleuchtung, in welcher zu jener Zeit der Infant erschien, die Phantasie ungemein anziehen, und nachdem sich schon im 17. Jahrhundert der englische Tragöde Otway an diesem Stoffe versucht hatte, thaten es im achtzehnten so ziemlich zur gleichen Zeit der erste Tragiker Deutschlands und der erste Tragiker Italiens, Schiller und Alfieri. Aber welcher Unterschied in der Behandlung! Während der Deutsche die düsterste Episode der düsteren Geschichte Philipp's II. zur Basis eines Hohenliedes seiner eigenen Freiheitsbegeisterung machte und damit den erhebenden Eindruck hervorbrachte, daß das Gute und Schöne selbst in seinem Untergange den idealen Sieg über das Böse und Häßliche behaupte, formte der Italiker daraus eine trockne und finstere Staatsaction, welche auf die trostlose Ueberzeugung hinausläuft, das Edle und Liebenswürdige sei nur in der Welt, um der Bosheit zum Opfer zu fallen. Es währte jedoch einige Zeit, bis sich Schiller für den Don Carlos entschied. Denn in den ersten Wochen seines Aufenthalts in Bauerbach war ihm noch ein zweiter bedeutender und zu tragischer Behandlung einladender Gegenstand nahegetreten, die Geschichte der Maria Stuart. Erst am 27. März 1783 schrieb er an Reinwald, daß er nach langem Hin- und Herschwanken nunmehr fest und entschlossen den spanischen Infanten ins Auge gefaßt habe, weil ihm diese Geschichte zu starken Zeichnungen und erschütternden oder rührenden Situationen Gelegenheit gebe. Dann, mit dem beginnenden Frühling, als seine »Seele die Natur in einem entwölkten blankeren Spiegel auffing«, meldete er unterm 14. April dem Freunde: »Ich stelle mir vor, jede Dichtung ist nichts Anderes als eine enthusiastische Freundschaft oder platonische Liebe zu einem Geschöpf unseres Kopfes. Eine kleine Anwendung auf meinen Carlos. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich ihn gewissermaßen statt eines Mädchens habe. Ich trage ihn auf meinem Busen, ich schwärme mit ihm durch die Gegend. Wenn er einst fertig ist, so werden Sie mich und Leisewitz an Don Carlos und Julius abmessen, – nicht nach der Größe des Pinsels, sondern nach dem Feuer der Farben, nicht nach der Stärke auf dem Instrument, sondern nach dem Ton, in welchem wir spielen. Carlos hat, wenn ich mich des Maßes bedienen darf, von Shakspeare's Hamlet die Seele, Blut und Nerven von Leisewitz's Julius und den Puls von mir. Außerdem will ich es mir in diesem Schauspiel zur Pflicht machen, in der Darstellung der Inquisition die prostituirte Menschheit zu rächen. Ich will, und sollte mein Carlos dadurch auch für das Theater verloren gehen, einer Menschenart, welche der Dolch der Tragödie bis jetzt nur gestreift hat, auf die Seele stoßen.«

Diese Aeußerung zeigt, daß der Eifer, womit unser Dichter an die Vorarbeiten zum Don Carlos ging, noch wesentlich aus einem polemischen Motiv entsprang. Er ergriff diesen Stoff noch ganz mit dem rebellischen Feuer der Sturm- und Drangzeit. Und doch sollte, wie Jedermann weiß, die Arbeit an diesem Trauerspiel in ihrem Vorschritt für Schiller die Brücke werden, auf welcher er aus dem kraftgenialen Naturalismus zu bewußt künstlerischem Schaffen hinüber gelangte. Die Läuterung des großen Prinzips seines Lebens und Dichtens begann. Während die Freiheitsidee in seinen drei Erstlingsstücken in wilden Sturzwellen grundaufwühlend brandete, begann sie im Don Carlos als ein klarer Schönheitsstrom dahinzufließen. Mälig trat an die Stelle des ungebärdigen Titanismus mit seinen grotesken Auswüchsen die ruhige Macht des Humanitätsgedankens. Was später der eigentliche Inhalt von Schiller's ganzem Dasein wurde, die große Idee, daß des Dichters höchste Mission sei, vermittelst der Schönheit die Menschen zur Freiheit zu erziehen, – das verdrängte den unsicher tastenden Ungestüm aus seiner Seele und er begann einzusehen, daß die Entwicklung der Gesellschaft unendlich weit mehr durch die stille, aber unwiderstehliche Macht der Bildung ganzer Völker als durch den willkürlichen Weltverbesserungsdrang einzelner Individuen bedingt sei.

Aber es hieße der Zeit bedeutend vorgreifen, wollten wir sagen, daß der Dichter schon damals in Bauerbach klar erkannt habe, die gewaltigsten und tiefstwirkenden Kräfte seien auch die stillsten und der sanfte Sonnenschein bringe schweigend zu Stande, was der ganze Grimm des tobenden Sturmes umsonst versucht hat. Im Gegentheil war Schiller während jener Monate eine Beute schroff wechselnder Stimmungen. Auf die anfängliche Ruhe und Sammlung folgte tiefe Entmuthigung. Diese wurde von phantastischen Hoffnungen abgelöst, deren Scheitern wieder eine grillenhafte Verstimmung zuwegebrachte. Die Einsamkeit taugt nicht für einen Jüngling von dreiundzwanzig Jahren. Sie wirkte in die Länge mehr aufreizend als beruhigend auf den Dichter und in dieser Verfassung traf ihn Frau von Wolzogen, welche mit ihrer Tochter Charlotte in den ersten Tagen des Januars nach Bauerbach kam. Der Dichter begleitete die Damen nach Walldorf und schrieb, nach Bauerbach zurückgekehrt, am 4. Januar 1783 an seine Freundin einen Brief, welcher deutlich verrieth, wie es wieder in ihm gährte und stürmte. Er bildete sich ein, ein Menschenhasser geworden zu sein, und klagte: »Ich hatte die halbe Welt mit der glühendsten Empfindung umfaßt und am Ende fand ich, daß ich einen Eisklumpen in den Armen habe.« Und sechs Tage später: »Es ist schrecklich, ohne Menschen, ohne mitfühlende Seele zu leben; aber es ist auch ebenso schrecklich, sich an irgendein Herz zu hängen, wo man, weil doch auf der Welt Nichts Bestand hat, nothwendig sich einmal losreißen und verbluten muß.«

Diese Werther'sche Stimmung ist um so auffallender, als sich Schiller, wie wir früher bemerkten, zu der Zeit, wo der Wertherismus epidemisch gewesen war, von demselben frei erhalten hatte. Allein die Erklärung ist leicht: – der Dichter hatte sich aufs Heftigste in Charlotte von Wolzogen verliebt. Eine eben aufblühende Knospe, hatte das sechszehnjährige Mädchen das durch die winterliche Einsamkeit für einen solchen Eindruck doppelt empfänglich gewordene Herz des jungen Mannes in Flammen gesetzt und, nicht zum Heuchler gemacht, hat er schwerlich verstanden, sein Gefühl zu verbergen. Ich vermuthe, daß es auch den Blicken von Charlotte's Mutter schon damals nicht entgangen sei, und Frau von Wolzogen erfüllte nur ihre Mutterpflicht, indem sie ihre junge Tochter vor einem Verhältniß zu wahren suchte, welches, wie die Umstände waren, kein ersprießliches werden konnte. Hiezu kam noch, daß ihr von Stuttgart aus Bedenken erregt wurden über die Folgen des Schutzes, welchen sie dem entwichenen Regimentsmedicus angedeihen ließ. Ihre Söhne befanden sich in der Karlsschule und die Mutter erwartete von der Gunst des Herzogs von Würtemberg Versorgungen für dieselben. Daß diese Erwartung unerfüllt bliebe, wenn der Fürst erführe, unter wessen Dach der Flüchtling ein Asyl gefunden, war mit Bestimmtheit anzunehmen, und so kann man es der trefflichen Dame nicht verübeln, daß mütterliche Aengstlichkeit ihr den Wunsch eingab, den Dichter aus Bauerbach entfernt zu wissen.

Der gute Streicher erschrack nicht wenig, als er einen vom 14. Januar aus H. (Hochheim oder Hilters?) datirten Brief erhielt, worin ihm Schiller meldete, daß er nicht mehr in Bauerbach sei. Die Epistel ist verworren und gibt von einem gewaltsam aufgespannten Seelenzustand Zeugniß. »Trauen Sie Niemand mehr! – ruft der Dichter seinem Freunde zu. Die Freundschaft der Menschen ist das Ding, das sich des Suchens nicht verlohnt.« (Und doch hatte gerade der, an welchen dieser Zuruf gerichtet war, dem Dichter vollauf bewiesen, daß Freundschaft allerdings ein Ding sei, welches zu suchen sich der Mühe lohne.) Dann kommt eine Andeutung des Sachverhalts. »Die gnädige Frau versicherte mich zwar, wie sehr sie gewünscht hätte, ein Werkzeug in dem Plane meines künftigen Glückes zu sein; aber ich werde selbst so viel Einsicht haben, daß ihre Pflichten gegen ihre Kinder vorgingen, und diese müßten es unstreitig entgelten, wenn der Herzog von Würtemberg Wind bekäme. Das war mir genug.« Hierauf erzählt er, daß er durch Vermittlung Reinwald's die Bekanntschaft eines jungen Herrn von Wurmb gemacht und von demselben, der seine Räuber auswendig wisse, auf sein Gut eingeladen worden sei. Es wirkt fast komisch, wenn der Briefsteller, welcher einige Zeilen zuvor die Freundschaft ins Fabelbuch zu schreiben gewillt war, mit Ekstase ausruft: »Er – der Herr von Wurmb – war beim ersten Anblick mein Busenfreund. Seine Seele schmolz in die meinige. Endlich hat er eine Schwester! Ich soll mit meinem Wurmb auf sein Gut, ein Dorf im Thüringer Walde, dort ganz mir selbst und – der Freundschaft leben und, was das Beste, schießen lernen; denn mein Freund hat dort hohe Jagd. Ich hoffe, daß das eine glückliche Revolution in meinem Kopf und Herzen machen soll.« Ach, es sah, wie dieser Brief bezeugt, ohnehin im Kopf und Herzen des Dichters schon revolutionär, d. h. verworren genug aus. Diese Widersprüche und vollends diese urplötzliche Begeisterung für die noble Passion der Jagd! Allein der wunderliche Paroxismus war glücklicher Weise nicht von Dauer. Der Dichter ging nicht im Thüringerwald jagen. Noch vor dem 25. Januar finden wir ihn wieder in Bauerbach und es mußte also rasch eine Aussöhnung mit seiner mütterlichen Freundin erfolgt sein, welche die Mutterangst wohl nur für einen Augenblick ihre angeborene Großmuth hatte vergessen lassen. Ende Januars mit Charlotten wieder nach Stuttgart abreisend, verlangte sie nur, daß Schiller seinen Aufenthalt möglichst geheim halte und etwaige Nachforschungen nach demselben irreleite. Zu diesem Zwecke schrieb der Dichter zwei Briefe an Wilhelm von Wolzogen nach Stuttgart, datirte den einen aus Frankfurt, den andern aus Hannover, erzählte dem Karlsschüler allerlei Buntes über seine Pläne und wie er nach Holland, England, Amerika zu gehen beabsichtige. Wie herzlich das freundliche Verhältniß zwischen ihm und Frau von Wolzogen wieder hergestellt war, beweist die ununterbrochene Folge von Briefen, welche er von Bauerbach aus an die ferne Freundin abgehen ließ. In einem derselben (datirt vom 23. April) entwirft er eine komische Schilderung von einem Conflict, welcher zwischen der Gemeinde und dem Gutsverwalter wegen Benützung der Schafweide sich entsponnen hatte und wobei es bis zum Anziehen der Sturmglocke gekommen war.

Unterdessen war es ihm in Bauerbach immer unbehaglicher geworden. Das Gefühl der Unsicherheit seiner Lage peinigte ihn und überdies ließ ihn die Einsamkeit seiner Neigung zu Charlotte von Wolzogen nur um so selbstquälerischer nachhängen. Er erfuhr die Wahrheit des alten Spruches, daß es dem Menschen nicht gut sei, allein zu sein. Schon unterm 21. Februar schrieb er an Reinwald: »Ich möchte oft meine tägliche Kost um eine menschliche Gesellschaft dahingeben. Gelegentlich muß ich bemerken, daß ich nunmehr der Meinung bin, daß das Genie, wo nicht unterdrückt werden, doch entsetzlich zurückwachsen, zusammenschrumpfen kann, wenn ihm der Stoß von außen fehlt. Man sagt sonst, es hälfe sich in allen Fällen selbst auf – ich glaub' es nimmer.« Der verständige Freund erkannte ganz die Gefahr, welche für den Genius des Dichters aus seiner dermaligen Lebensweise entspringen müßte, und äußerte sich gegen Christophine Schiller, er wünsche sehnlich, daß ihr Bruder »in einer großen Stadt, wo ein gutes deutsches Theater sei, z. B. in Berlin verweile, doch unter dem Schutze gelehrter und rechtschaffener Männer, die ihn vor der Ausgelassenheit bewahrten, welche an diesem Orte herrsche« Reinwald's Brief vom 27. Mai 1783 an Christophine Schiller.. Die in den letzten Worten liegende Anklage der damaligen Sittenzustände von Berlin war nur zu begründet Schon im J. 1772 bezeichnete der englische Gesandte Malmesbury Berlin als eine Stadt, »wo, wenn man fortis mit ehrlich übersetzen will, es weder vir fortis noch femina casta gab und eine totale Sittenverderbniß beide Geschlechter aller Classen beherrschte.« Im Jahre 1779 schrieb aus Berlin Georg Forster an Jacobi: »Ich habe mich in meinen mitgebrachten Begriffen von dieser großen Stadt sehr geirrt. Ich fand das Aeußerliche viel schöner, das Innerliche viel schwärzer, als ich's mir gedacht hatte. Berlin ist gewiß eine der schönsten Städte Europa's. Aber die Einwohner! Gastfreiheit und geschmackvoller Genuß des Lebens ausgeartet in Ueppigkeit, Prasserei, ich möchte fast sagen Gefräßigkeit, freie aufgeklärte Denkungsart in freche Ausgelassenheit und zügellose Freigeisterei. Die Frauen allgemein verderbt.«. Auch nach Weimar hinüber deutete Reinwald mit richtigem Takt und meinte, Schiller sollte dahin gehen und sich um die Bekanntschaft mit Göthe und Wieland bemühen, von welchen Männern er mancherlei Förderung erwarten dürfte. Es war jedoch für Schiller noch nicht Zeit, die Metropole der deutschen Classic zu betreten, und die Schritte des wandernden Dichters sollten sich zunächst rückwärts nach dem Orte lenken, von wo er in die Abgeschiedenheit der Rhönberge gekommen.

Der treue Streicher war in seiner Begeisterung für den dichterischen Freund nicht müde geworden, im Kreise der ihm befreundeten Mannheimer Schauspieler die Vorzüge der »Luise Müllerin« herauszustreichen, welches Trauerspiel er ja so zu sagen unter seinen Augen hatte entstehen sehen. Auch der im Drucke befindliche Fiesco – welcher dann im Frühjahr unter dem Titel: »Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, ein republikanisches Trauerspiel von Fr. Schiller,« erschien – machte viel von sich reden, und da beider Dichtungen wiederholt unter den Mitgliedern des Theaterausschusses gedacht wurde, begann der Freiherr von Dalberg zu meinen, es dürfte zum Glanze der von ihm geleiteten Anstalt beitragen, wenn er wieder mit Schiller anknüpfte. Freilich hatte die Excellenz den armen Flüchtling drei Monate zuvor schmählich fallen lassen, aber die Umstände waren jetzt verändert, d. h. der Freiherr hatte nicht mehr zu befürchten, daß er sich durch eine Verbindung mit dem Dichter compromittire. War es ja doch entschieden, daß der Herzog von Würtemberg klug oder großmüthig genug sei, Schiller's Flucht zu ignoriren und sich, vielleicht im Hinblick auf das mißliche Aufsehen, welches sein Verfahren gegen Schubart in ganz Deutschland erregt hatte, damit zu begnügen, daß er den entwichenen Regimentsmedicus einen Undankbaren nannte Nach dem Zeugnis; von Abel. Vgl. Hoffmeister und Viehoff, I, 192.. Der Herr Intendant schrieb also im März einen zuvorkommenden Brief an unseren Dichter, worin er sich nach dessen dramatischen Arbeiten erkundigte. Der ehrliche Andreas nennt diesen Brief eine »Sirenenstimme«, durch welche Schiller abermals nach Mannheim gelockt worden sei Streicher, S. 155.. Aber es war wohl ganz natürlich, daß ein dramatischer Dichter, unliebsamer Erfahrungen ungeachtet, jede ihm gebotene Gelegenheit ergriff, mit einer geachteten Bühne in Verbindung zu kommen. Indessen gab er diesem Wunsche doch nicht blindlings nach. Seine Antwort an Dalberg vom 3. April war kühl und gemessen. Er sagte darin, es freue ihn, zu vernehmen, daß die Excellenz einiges Zutrauen zu seiner dramatischen Feder habe, um sich jedoch »der Gefahr, die Erwartung des Herrn Intendanten zu hintergehen, nicht neuerdings auszusetzen,« legte er Plan und Handlung von Kabale und Liebe dar. Der Freiherr verschluckte die Pille und setzte, begierig, die neue Tragödie für die Mannheimer Bühne zu gewinnen, den Briefwechsel fort, in Folge dessen der Dichter sich entschloß, nach Mannheim zu gehen, zunächst nur für so lange Zeit, als die Inszenesetzung und Aufführung seiner zwei neuen Trauerspiele erfordern würde.

Sein Ueberdruß an Bauerbach war nämlich wieder in ein lebhaftes Gefallen an diesem Ort umgeschlagen, denn Frau von Wolzogen war mit Lotte im Mai daselbst angelangt. Der Dichter hatte seiner Beschützerin einen feierlichen Einzug bereitet. Eine Ehrenpforte war errichtet, die Glocken waren geläutet, Böller waren losgebrannt worden, eine Musikbande hatte Tusch geblasen und der Pastor in einer Begrüßungsrede sein Bestes gethan Brief Schiller's vom 22. Mai 1783 an Reinwald.. Schiller verlebte im zwanglos ländlichen Umgange mit seiner mütterlichen Freundin und der geliebten Lotte halkyonische Frühlingstage. Zum ersten Mal, gestand er, in dieser Zeit erfahren zu haben, wie gar wenige Zurüstung es erfordere, ganz glücklich zu sein Brief Schiller's vom 25. Mai 1783 an Wilhelm von Wolzogen.. Aber war er wirklich »ganz glücklich?« In diesem Falle müßte seine wachsende Neigung zu Lotte von Wolzogen doch wohl mehr nur brüderliche Freundschaft als eigentliche Leidenschaft gewesen sein. Denn die junge Schöne, über welche der Dichter an ihren Bruder Wilhelm schrieb, sie sei »noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste, reichste, empfindsamste Seele, ohne einen Hauch des allgemeinen Verderbnisses am lauteren Spiegel ihres Gemüthes« – hegte für Schiller nur freundschaftliche Gefühle, da die ersten schüchternen Wünsche ihres erwachenden Herzens einem Karlsschüler geweiht waren, welchen sie in Stuttgart kennen gelernt hatte. Vielleicht bemerkte sie gar nicht, was in dem Dichter vorging, dessen Zartgefühl ihm natürlich jede deutlichere Annäherung verbot. Aber das Auge der Mutter war schärfer als das der Tochter und sie meinte es nur gut mit Schiller, wenn sie die Ansicht hegte, daß seine Entfernung für ihn wie für Lotte das Beste wäre. Sie äußerte daher auf einem Waldspaziergang wie zufällig und in so mütterlicher Weise, daß der Dichter dadurch nicht empfindlich berührt werden konnte, es wäre doch wohl rathsam, daß er nach Mannheim ginge, um zu sehen, ob er sich mit Dalberg verständigen könnte. Mitte Juli's wurde dieser Rath gegeben und wenige Tage darauf finden wir den Dichter schon auf der Reise.

Als er sein stilles Asyl im Rhöngebirge verließ, war die baldige Rückkehr seine bestimmte Hoffnung, welche aber nicht in Erfüllung gehen sollte. Später als diese Hoffnung erlosch in ihm die, Lotte von Wolzogen die Seinige zu nennen. Noch ein Jahr später, am 7. Juli 1784, schrieb er an ihre Mutter, mit welcher er bis zu ihrem Tode in traulichster Verbindung blieb: »Die stillen Freuden des häuslichen Lebens würden, müßten mir Heiterkeit in meinen Geschäften geben und meine Seele von tausend wilden Affecten reinigen, die mich ewig herumzerren. Fände ich ein Mädchen, das meinem Herzen theuer genug wäre oder könnte ich Ihr Sohn werden! Reich würde freilich Ihre Lotte nie, aber gewiß glücklich.« Er mußte freilich die Eitelkeit dieser Bewerbung schon erkannt haben, denn in einer Nachschrift zu dem Briefe, dessen Absendung sich einige Tage verzögert hatte, sagte er: »Ich erschrecke über meine thörichte Hoffnung – doch, meine Beste, so viele närrische Einfälle, als Sie schon von mir hören mußten, werden auch diesen entschuldigen.« Frau von Wolzogen hatte Takt genug, die Sache wirklich nur als einen »Einfall« zu nehmen und weiter nicht zu beachten. Lotte, deren erste Herzensneigung ebenfalls resultatlos blieb, wurde später die Frau des hildburghausen'schen Regierungsrathes August von Lilienstern, starb jedoch schon 1794 in ihrem ersten Wochenbett. Aber der Name Lotte blieb bedeutungsvoll für unseren Dichter, wie denn derselbe auch im Dasein Göthe's zweimal bedeutungsvoll vorkommt Lotte Buff und Lotte von Stein.. Im Leben Schiller's wird er uns bald wieder begegnen und dann noch einmal, um sich für immer mit dem seinigen zu verknüpfen.


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