Johannes Scherr
Größenwahn
Johannes Scherr

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Zweiter Zwischensatz: Frohe Botschaft aus Emanzipazia

Die nachstehende, im Spätherbste von 1875 an mich gelangte

Epistel der Doktorin Pimpernella Rothborst, Chefredaktrice des »Amour libre« zu Schwindelfingen in Emanzipazien, an den Herausgeber von Jeremiä Sauerampfers Sommertagebuch –

glaube ich von wegen der Wissenschaft, item auch von wegen der sozialen Reform und noch um verschiedener anderer »von wegen« willen einem mehr oder weniger zu verehrenden Publikum nicht vorenthalten zu dürfen.

Schwindelfingen, Zuchtwahlmond neuen, September alten Stils, Jahr 30 nach Feist Lumps Geburt.

Aus der wolkenhohen Überlegenheit meiner Weltanschauung auf Sie, alter Philister, niederblickend, könnte es mein rotgefütterter Genius nicht der Mühe wert erachten, sich mit einem Reak Ihres Schlages zu befassen, falls es mich nicht so angenehm kitzelte, zu wissen, daß ich Ihnen mit meiner Mitteilung einen Possen spielen, mit meiner frohen Botschaft einen tüchtigen Ärger bereiten kann. Sie, der Sie sich erfrecht haben, uns Sansculotten die höchste wissenschaftliche und künstlerische Befähigung, die schöpferische Genialität abzusprechen – Sie, der Sie zu wiederholten Malen die antetertiärperiodische Behauptung, der rechte Wirkungskreis der Frau sei das Haus und die Familie, aufzustellen die Unverschämtheit hatten, – Sie, der Sie der Abgeschmacktheit sich unterwanden, bei jeder Gelegenheit nach Maßgabe Ihrer allerdings nur jämmerlichen Kräfte die »Menschwerdung« des Weibes zu bekämpfen, – Sie, der Sie überhaupt unter den Gegnern der hohen, höheren und höchsten Sansculotterie voranzustehen die zeit- und modewidrige Dummheit verübten, Sie sollen durch die Wucht der ungeheuren Neuigkeit, welche ich Ihnen mitzuteilen eile, zermalmt werden, zu Müll zerrieben werden.

Sie haben die Möglichkeit einer absoluten Gleichheit der Menschen und Menschinnen geleugnet, vordarwinischer Finsterling Sie! Mit der ganzen Dreistigkeit der Unwissenheit haben Sie behauptet, daß es allzeit schöne und häßliche, gescheite und dumme, fleißige und faule, ehrbare und liederliche Menschen geben werde, weil die Ungleichheit ein Naturgesetz sei. Daraus zogen Sie, der Sie ja so weit hinter der Zeit zurückgeblieben, daß Sie als Patriot, sowie auch als Tadler der erlauchten, erleuchteten und erleuchtenden Kommunemordbrenner sich zu bekennen unanständig genug sind, – ja, Sie zogen aus den erwähnten, auf Ihrer Unkenntnis der allermodernsten Biologie beruhenden Voraussetzungen den Schluß, das Problem einer unbedingten politischen und sozialen Gleichheit der Menschen und Menschinnen oder vielmehr, richtiger gesprochen, der Menschinnen und Menschen, sei schlechthin unlösbar. (In Parenthese: Daß ich vollständig berechtigt bin, uns Menschinnen euch Menschen voranzustellen, wird hoffentlich auch einem so beschränkten Gehirn, wie Sie eins besitzen, aus dem Nachstehenden klar werden.)

Nun aber vernehmen Sie, erbebend in Ihrer unlösbaren Problematik vernichtendem Gefühle: – das Problem ist gelöst, die absolute natürliche und folglich auch die absolute politische und soziale Gleichheit ist gefunden! Durch eine Menschin, durch das menschgewordene Weib gefunden!!!

Wie wird Ihnen? Recht miserabel, hoff' ich.

Also hören Sie!

Wir haben hier in Emanzipazien Ihnen und Ihresgleichen zum Trotz und namentlich auch dem alten dummen Kerl, dem sogenannten gesunden Menschenverstand zum Tort den reinen Vernunftstaat, den regierungslosen, familienlosen, geschlechtslosen, kirchen-, konfessions- und religionslosen, kurz den staatlosen Staat hergestellt. Eingewindelt und eingewickelt in Ihre altmodischen Vorstellungen und Begriffe, d.h. Vorurteile, werden Sie höhnisch etwas von Logik murmeln und den vorstehenden Satz als eine sogenannte contradictio in adjecto qualifizieren. Als ob wir noch der Logik und ähnlichen alten Gerümpels bedürften, wir, deren Kredo und Losung ist: »Kosmetische Republik, Menschenbruderschaft und Petrolseife!« Wir Bürgerinnen und Bürger von Emanzipazien, wir Priesterinnen und Priester der freien Liebe – doch halt, da fällt mir ein, daß der sehr gemischte Senat unserer Universität Schwindelfingen nach reiflicher Erwägung den Beschluß gefaßt und proklamiert hat, das romantische Wort Liebe vertrage sich schlechterdings nicht mehr mit den zeitgemäßen Forderungen der Wissenschaft und sei dasselbe in öffentlichen und privatlichen Aktenstücken, in Grammatiken, Lexiken und Schulbüchern, sowie namentlich auch sogenannten Liebesbriefen durch das Wort Zuchtwahl zu ersetzen. Demzufolge hab' ich denn auch, unter uns gesagt, gestern geschwind etliche Zuchtwahlbriefe geschrieben ...

Sie, mein Unlieber, sind natürlich zu borniert, als daß Sie den Um-, Auf- und Durchriß unseres Staats- oder eigentlich Unstaatswesens, welchen ich entrollen könnte, zu verstehen und zu würdigen vermöchten. Ich will daher zur Hauptsache vorwärts eilen, d.h. Ihnen den großen Ärgerschuß ins Gesicht feuern, und nur zuvor noch gelegentlich bemerken, daß wir in unserem humanitär-kosmopolakisch-anarchischen Staatsunwesen neben Dutzenden von anderen Problemen auch das einer menschenwürdigen sogenannten Strafjustiz glücklich gelöst haben. Da selbstverständlich das lächerliche Vorurteil vom freien Willen und folglich auch das dito lächerliche von der Zurechnungsfähigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen bei uns zu Lande längst abgeschafft ist, so kennen wir kein Laster und kein Verbrechen, sondern nur zeitweilige individuelle Störungen der sozialen Harmonie. Was kann ein Komet dafür, daß er unregelmäßige Bahnen wandelt? Was kann ein Mensch dafür, daß seine Natur ihn antreibt, zu stehlen, zu rauben, zu sengen, zu brennen, zu schänden, zu morden? Nichts. Sein Wille ist unfrei, seine Zurechnungsfähigkeit nichtig, seine Verantwortlichkeit Null. »Der Bien' muß.« Wir haben daher gelernt, die sogenannten Verbrechen und Verbrecher nicht als solche, sondern vielmehr als schätzenswerte Ausnahmen von der Regel, als interessante Abnormitäten anzusehen, welchen das nicht gemeine Verdienst zuerkannt werden muß, unsere reinst-demokratische Gesellschaft vor Verflachung, Uniformität und Langeweile zu bewahren.

Das große Prinzip unserer Nichtstrafrechtspflege ist, daß jeder von seinesgleichen gerichtet werden müsse: – der Dieb von Dieben, der Mörder von Mördern, die Giftmischerin von Giftmischerinnen usw. Diesem Grundsatze gemäß findet die Besetzung der Geschworenenbank statt. Ist das nicht ein Triumph der Sozialwissenschaft? Wir haben es bereits dahin gebracht, daß es auch in Fällen, wo es sich um seltenere »Abnormitäten« handelt, nie an der hinlänglichen Zahl von kompetenten Geschwornen mangelt.

Erkennen Sie hieran, wie ungeheuer weit wir euch vorgeschritten sind? Wird doch, wie ich unlängst hörte, bei euch erst verschämt die Frage ventiliert, ob den noch schnöderweise im Zuchthause logierten Herren Mördern und Kompagnie nicht alljährlich eine Bad- oder sonstige Bummelreise zu gestatten sei. Schickt eure Lämmerschwänzchen von sentimentalen Juristen zu uns, damit sie sehen, wie herrlich weit man es in der Humanisierung der Rechtspflege bringen kann. Freilich könnte ein Philister Ihres Schlages behaupten, unsere humanisierte Justiz müßte mitunter ungemütliche Folgen haben. Und es ist ja wahr, daß man hier bei uns zu Lande gar häufig gesund und munter zu Bette geht und tot, d.h. mit durchschnittenem Halse oder zerschmettertem Schädel, wieder aufsteht. Aber dieses und anderes Ungemütliche hat nicht viel zu bedeuten, zumal in unserem durchweg auf die exakten Wissenschaften basierten Gemeinwesen das Gemüt und die Gemütlichkeit als gänzlich vernutzte und überflüssige Möbel abgeschafft sind. Überhaupt, welches Vorurteil wäre bei uns in Emanzipazien nicht abgeschafft, welcher Standpunkt nicht überwunden! Wir sind bis zum innersten Kern der materialistischen Zwiebel vorgedrungen und haben dort die exakte Wahrheit gefunden, des Menschendaseins Sinn und Frommen sei der Genuß. Wir haben demnach das irdische »Jammertal« in einen Lustberg umgewandelt, in einen richtigen Venusberg, und wehe dem getreuen Eckart, welcher sich unterstehen wollte, davor Wache zu halten.

Gibt Ihnen das einen gehörigen Stoß? Desto besser. Aber ich will Ihnen sofort beweisen, daß unsere materialistische Fassung und Führung des Lebens den menschheitlichen Entwickelungsprozeß ganz anders vorwärts brachte und bringt als all der romantische Quark und Plunder, welchen man Idealismus zu nennen beliebt.

Also zur Sache.

Selbst einem Ignoranten, wie Sie einer sind, kann der Name meiner großen Freundin Zora Zitze nicht ganz unbekannt geblieben sein.

Bald wird dieser Name, im hellsten Brillantfeuer des Ruhmes strahlend, den Erdball um- und das Universum durchfliegen. Denn diese geniale, genialste Menschin hat nicht etwa nur ein neues Kapitel im Weltgeschichtebuch aufgeschlagen, sondern mit ihr hebt vielmehr die Weltgeschichte erst recht an.

Zora Zitze war schon in Backfischjahren von einem Forschungseifer erfüllt, welcher sie antrieb, das Leben bis zu dessen untersten Hefen hinunter aus eigener Anschauung und Erfahrung kennen zu lernen. Philister nannten das Leichtfertigkeit und Liederlichkeit, was doch in den Augen von uns Auserwählten nur edler Emanzipationsdrang war. Nachdem meine unsterbliche Freundin unter der Protektion von Donna Eugenia in Paris einen Kursus der höheren Hetärosophie durchgemacht hatte, erhielt sie den letzten Schliff bei den zwanglosen Symposien des Messias Feist Lump, der Gräfin Schmatzfeld und Konsorten. So, emanzipiert aus dem ff, kam sie hierher und habilitierte sich an unserer Schwindelfinger Hochschule in der Fakultät der »Belles lettres«, wie wir sie verstehen. Rasch zu Ruf und Anerkennung gelangt, hat sie dann etliche Jahre lang die Professur der vergleichenden Medisance mit höchsten Ehren innegehabt. Allein ihr großer Geist – Verzeihung für das dumme, aftergläubische Wort! ich wollte sagen: ihre große Gehirnabsonderung ... also Zoras kolossale Gedankensekretion überflutete weit das Gebiet ihrer amtlichen Tätigkeit und wie zu unserer Zeit alle bedeutenderen Gei– will sagen Gedankenabsonderungsorganbesitzer, wandte sich auch dieses entschieden Mensch gewordene Weib der Naturforschung zu. Der Tag, an welchem sie dieses tat, wird im Kalender der Zukunft scharlachrot als der Zora-Zitze-Tag prangen.

Sie haben von »weiblichem Dilettantismus« zu reden gelegentlich sich unterstanden, Sie Unglücklicher? Nun wohlan, hören Sie, um zu verstummen, zu verstarren, zu versteinern! Zora, die Schöpferin des Zitzeismus, hat sich in eine Abgrundtiefe der Wissenschaft hinabgewühlt, welche auch nur entfernt zu ahnen kein behoster Zweifüßer kühn genug gewesen wäre. Sie begann damit, den Beweis zu liefern, daß sie imstande sei, alle Spezialisten zu überspezialisieren, indem sie ihr epochemachendes Werk »Resultate einer fünfjährigen mikroskopisch-anatomischen Untersuchung des Fortpflanzungsapparates der Flöhe« – veröffentlichte. Selbst die wenigen Mußestunden, welche sie sich während dieser Riesenarbeit gönnte, wandte sie zum allgemeinen Besten an, indem sie zur Förderung des Nationalreichtums von verschiedenen Männern verschiedene Kinder hatte.

Dieses hierzulande ganz ordinären Phänomens erwähnte ich nur deshalb, weil ich sofort zu berichten haben werde, daß meine glorreiche Freundin auch den Standpunkt der Mütterlichkeit zu überwinden, d.h. das brutale Muttergefühl den Interessen der Zivilisation und der Sozialwissenschaft zu opfern wußte.

Nämlich, Schritt vor Schritt ihrer weltumwälzenden Entdeckung sich nähernd, sah sie sich genötigt, von dem Mittel der Vivisektion einen immer umfassenderen Gebrauch zu machen. Unser Unstaat stellte ihr in liberalster Weise zu ihren vivisektionellen Experimenten aller Arten von Tieren zur Verfügung, von der Wanze bis zum Elefanten. Sie brauchte nun aber im Vorschritt ihrer Forschungen und Findungen auch Menschen, lebende, um sie zu sezieren. Damit haperte es. Ja, traurig zu sagen, auch bei uns in Emanzipazien wollten sich keine Leute finden, welche sich, wie sie sich unwissenschaftlich ausdrückten, bei lebendigem Leibe schinden ließen. In dieser Not faßte Zora Zitze einen Entschluß, welcher zeigt, zu welcher Kolossalität ein geniales, ein wahrhaft menschgewordenes Weib emporwachsen kann. Zora wollte zur Medea im höchstvorstellbaren Sinne werden, wollte ihre eigenen Kinder auf dem Altar der Wissenschaft opfern, d.h. lebendig sezieren, und schon hatte sie mit der Linken eins derselben beim Kragen und schwang mit der Rechten das Skalpell, als die Intervention unserer obersten Nichtregierungsbehörde – ihr eigentlicher Titel ist »Anarchie-Unrat« – der Sache eine weniger tragische Wendung gab.

Das kam so. Wie ungeheuerlich immer die Menschheit en masse bei uns vorgeschritten ist, dennoch gibt es einzelne Querköpfe, welche zurückgeblieben sind, welche nicht nur zu glauben, sondern auch zu sagen sich erfrechen, unser ganzer Materialstaat sei eitel Schwindel und Schmach. Solchen Querköpfen zufolge wäre unsere reine Demokratie nur eine gemeine Ochlokratie, die schlimmste aller Tyranneien, und unser Kommunismus in Wahrheit nichts anderes als die Ausbeutung der Narren durch die Schelme, nichts anderes als das Schwelgen der nasführenden und genießenden Gauner auf Kosten der genasführten und arbeitenden Gimpel. Nun ist bei uns selbstverständlich die absoluteste Denk-, Rede- und Schreibfreiheit proklamiert; aber natürlich muß man denken, reden und schreiben, wie es uns beliebt. Ketzereien, wie die vorhin erwähnten, sind demnach zweifelsohne hochverräterisch, strafbar, todeswürdig. Aber ist die barbarische Todesstrafe nicht abgeschafft in Emanzipazien? Gewiß ist sie abgeschafft und bleibt es. Jedennoch etwas ganz anderes ist es mit der Vivisektion zu hochwissenschaftlichen Zwecken. Unser Anarchie-Unrat ließ daher eine gehörige Anzahl der oben signalisierten Ketzer und Hochverräter – item auch Ketzerinnen und Hochverräterinnen samt ihren Kindern greifen und an Händen und Füßen gebunden der großen Vivisektrix überliefern.

Endlich kam der glückliche Tag und schlug die große Stunde, allwo Zoras Gehirn den Zitzeismus absonderte.

Wissen Sie, was das ist?

Das ist die Lösung des Problems der absoluten Gleichheit.

Wie lange hatten wir Insassen von Emanzipazien und Bewohner von Nubikukulien auf anderen Wegen mit diesem Problem uns abgemüht! Namentlich hatten wir von unstaatswegen alle denkbaren und undenkbaren Variationen der Zuchtwahl durchprobiert, um den Normalmenschen hervorzubringen oder, richtiger gesprochen, die Menschheitschablone zu schaffen. Die Natur, als die infame Despotin, welche sie ist, vereitelte alle unsere Mühwaltungen. Nach wie vor wuchsen auch die mittels streng wissenschaftlich angeordneter und kontrollierter Zuchtwahl erzielten Kinder zu schönen oder häßlichen, begabten oder dummen usw. Menschinnen und Menschen auf. Unerträglich das! Solange diese schnöde Willkür der hochmütigen Aristokratin Natur nicht abgeschafft war, konnte von wirklicher und wahrhaftiger égalité und fraternité keine Rede sein. Aber sie wurde abgeschafft, diese schnöde Willkür: der hochgelobte Zitzeismus hat sie überwunden, indem er den Schablonemenschen herstellte.

Das punctum saliens in dem hierbei beobachteten Verfahren ist noch das Geheimnis der großen Forscherin und größten Finderin. Ich darf es Ihnen um so weniger verraten, als ich es selbst nicht weiß. Das Wahrnehmbare ist, daß Zora die Einzige, dahin gelangte, die menschliche Gehirntätigkeit egalisieren, radikal egalisieren zu können. Statt die Kinder zur Taufe oder Beschneidung in Kirchen oder Synagogen zu tragen, bringt man bei uns die sämtlichen je an einem und demselben Tage geborenen am Jahrestag ihrer Geburt in das mit höchster Pracht eingerichtete anatomisch-physiologisch-chemische Laboratorium der großen Zitze. Dort wird den Gleichheitspflänzlingen die Schädelhöhle geöffnet und die Gehirnmasse herausgenommen. Sämtliche Gehirne werden in eine ungeheure Retorte gebracht und einem chemischen Prozeß unterworfen, welcher offiziell die »Naturwillkürverdampfung« heißt. Der also präparierte Gehirngleichheitsbrei wird in minutiös abgewogenen, absolut gleichgroßen Portionen wieder in die Schädelhöhlen zurückgebracht, diese werden geschlossen und nach etlichen Tagen kriechen die egalisierten Bälger gesund und munter herum, so viele ihrer nämlich der großen Vivisektrix nicht unter den Händen gestorben sind. Auf solche Kleinigkeiten kann natürlich die Sozialwissenschaft und kann das Humanitätsduseldogma keine Rücksicht nehmen.

Nun sollten Sie, um sich geziemend zu ärgern, mit ansehen, wie die Gleichheitspflanzen heranwachsen. Ich sage Ihnen: alle wie aus einem Modell, alle nach der Schablone wie die Soldaten auf einem Bilderbogen, alle absolut gleich, gleich, gleich (»dumm und garstig,« blasphemieren die Ketzer und Hochverräter, welche leider in Emanzipazien noch nicht ganz ausgetilgt sind). Die Phantasie von den »ungarischen Nationalgesichtern« in Brentanos Novelle ist bei uns zur kulturgeschichtlichen Tatsache geworden und, kurzum, die Generationen unserer Jugend stellen äußerlich und innerlich die vollendete Gleichheit dar, so sehr, so ganz, daß man allerdings einige Mühe hat, die Leutchen voneinander zu unterscheiden, um so mehr, da in unserer Kommuneanarchie die strengste Kleiderordnung eingeführt, d.h. absolute Gleichheit des Anzugs in Stoff, Farbe und Schnitt vorgeschrieben ist, wie das ja der richtig verstandenen Freiheit entspricht. Man hat übrigens aus statistisch-volkswirtschaftlichen Gründen das Auskunftsmittel gefunden, die Leute zu numerieren. Den Menschinnen wird ihre Nummer auf das Kinn, den Menschen auf die Stirne gebrannt. Trotzdem fehlt es nicht an urkomischen Verwechselungen, welche den Komöden unter den von anarchiewegen zeitweilig dekretierten und gestempelten Poeten einen unerschöpflichen Stoff darbieten.

Also wäre denn der abscheuliche, alle Schnödigkeiten der Ungleichheit unter den Menschen verursachende oder wenigstens aufrechthaltende Individualismus überwunden und abgetan. Es wird in Zukunft keine Personen mehr geben, sondern nur noch eine Menge, keine Menschen mehr, sondern nur noch Massen. Die Persönlichkeit verschwindet in der Gemeinheit, das Normalmaß der existenzberechtigten Menschheit ist gefunden, und die Gleichheitsschablone beherrscht das Universum.

Heil dem Zitzeismus und ein Sonne, Mond und Sterne durchdonnernd Hoch der Zora Zitze! ...

Die mitgeteilte Auslassung einer rotborstigen Seele bedarf, denk' ich, keines Kommentars. Sie ist ja die Deutlichkeit selber. Ich habe daher nur beizufügen, daß der offene Brief Pimpernellas, die weder Fräulein noch Frau zu betiteln ich berechtigt bin, mich zu dem jambischen Versuche anregte, von den uns bevorstehenden Verschweinten Staaten von Europa dieses Bild zu entwerfen:

Sie nennen's vornehm jetzt den »Kampf ums Dasein«
Das eherne Gesetz, kraft dessen Hunger
Und Haß den Riesenkessel heizen, der
Erzeugt den treibenden Entwicklungsdampf.
Das braust und saust und rasselt und rumort
Und reißt unwiderstehlich vorwärts, vorwärts
Den Eilzug nach Schlaraffia, dessen Auen –
So sagen unsre neuesten Propheten,
Die alles wissen und noch etwas mehr –
Schon in der Ferne sichtbar, ja, so nah schon,
Daß deutlich die gebratnen Tauben man
'rumfliegen sieht und alles übrige
Schlaraffische sich reizend präsentiert, –
So reizend, wie nur je ein Lug- und Trug-
Eden sich in Saharaluft gespiegelt ...
Glück auf zu dem gelobten Land der Zukunft,
Allwo zur vollesten Verwirklichung
Gelangt sein wird des Aristoteles
Prophet'scher Satz: »Der Mensch ist von Natur
Ein Staatsvieh.« Folgerichtig also
Der Zukunftsstaat vielmehr ein Zukunftsstall,
Wo jedem seine Raufe, seine Krippe,
Sein täglich Quantum Heu und Hafer, item
Die gleiche Schütte Streu et ceterum
Von der »Gesellschaft« zugemessen wird.
Das liebe Aristotelessche »Zeta;Ζω̃ον
Πολιτικὸν
« muß sich behaglich finden
In solcher Stall-Egalité, wo jedes
Und alles uniform, so daß sogar
Die Hörnerlänge bis auf Zoll und Linie
Genau dieselbe sein muß und kein Bürger
Darf wen'ger Durst als wie der andre haben,
Auch keine Bürgerin Liebhaber mehr
Als ihre Nachbarin ... Jedoch die Menschen –
So fragt ihr – was wird aus den Menschen wohl
Im Zukunftsparadiesesstall? – Törichte Frage!
Denn Menschen gibt's darin ja keine mehr.


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