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Caroline Michaelis

Aus den »Vorträgen und Aufsätzen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Österreich«.

I.

Caroline ist der Titel eines eben erschienenen, von Georg Waitz herausgegebenen Buches, Caroline. Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste, die Familie Gotter usw., nebst Briefen von A. W. und Fr. Schlegel. Herausgegeben von G. Waitz. Zwei Bände. Leipzig. S. Hirzel 1871. zu dessen Lektüre ich meine Leser durch die nachfolgenden Zeilen verlocken möchte. Wer irgend sich für die literarischen Zustände und Parteien Deutschlands am Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts interessiert, wird die reichste Belehrung daraus schöpfen und die Anschauung eines Frauenbildes gewinnen, das man sich nicht ohne Bewegung vergegenwärtigen kann.

Die Heldin des Buches – das keine Biographie, sondern nur in einer reichen Korrespondenz die Materialien dazu liefert – ist die 1809 im Alter von 46 Jahren verstorbene Caroline Schelling, geschiedene Schlegel, verwitwete Böhmer, geborene Michaelis.

Tochter des berühmten Göttinger Orientalisten, aufgewachsen in den Professorenkreisen der Universitätsstadt, dann verheiratet in einem Landstädtchen der Harzgegend an den Arzt Böhmer, den sie nach vierjähriger äußerlich ungetrübter, aber innerlich (wenigstens für sie) nicht eben sehr beglückter Ehe durch den Tod verliert – sucht die junge, geistvolle Witwe lange vergeblich nach einem festen Halt im Leben. Freundschaftliche Berührung mit August Wilhelm Schlegel, der ihr leidenschaftlich huldigt – Heiratsanträge eines würdigen Geistlichen – Liebeswirrnisse mit einem gewissen Tatter – Aufenthalt zu Mainz mitten in den Revolutionsstürmen, an denen man sie tätig beteiligt glaubte – Freundschaft mit Georg Forster – Staatsgefangenschaft auf der Festung Königstein: so ungefähr lassen sich die Lehr- und Wanderjahre der merkwürdigen Frau umschreiben, welche endlich durch die Vermählung mit Wilhelm Schlegel einen vorläufigen Abschluß finden, bis auch dieses Band sich unter beiderseitiger Übereinkunft löst und die Vielumhergeworfene in den Armen des zwölf Jahre jüngeren Schelling ein spätes, aber tief und dankbar genossenes Glück erlangt.

Das ist freilich kein alltäglicher Lebenslauf. Und Caroline konnte dem Schicksale nicht entgehen, auf das jede Frau gefaßt sein muß, die so weit von der Heerstraße der Gewöhnlichkeit abschweift. Und doch ist allzu bereitwillig der Stab über sie gebrochen worden. Man vergißt so leicht, daß es in moralischen Dingen kein Rekrutenmaß gibt, daß Temperament und Naturanlage, individuelle Dispositionen und Lebensverhältnisse und die sittlichen Anschauungen des Zeitalters notwendig in Rechnung gezogen werden müssen, um ein reines und gerechtes Urteil zu ermöglichen. Wer will überhaupt alle rätselvollen Irrwege des menschlichen Herzens zum voraus berechnen und ihm ein für allemal den Gang vorzeichnen, den es nehmen müsse? Das Leben ausgezeichneter Menschen bietet mehr als einen vielverschlungenen psychologischen Knoten, den wir nicht aufzulösen vermögen, den wir als ein undurchdringliches Geheimnis schweigend anzuerkennen haben. Aber dürfen wir vorschnell verdammen, weil wir nicht überall verstehen?

Vielleicht hätte man Carolinen ihre extraordinären Schicksale gern vergeben. Mindestens ihre Zeitgenossen waren darin nicht so streng. Aber sie war eine allerliebste Frau, sie hatte jene hinreißende Anmut und Weichheit, jene reizende Mischung von Geist, Lebhaftigkeit, Witz und Gefühl, jene Harmonie des ganzen Wesens, welche Liebe auszuatmen und Liebe zu verlangen scheint – nicht mit Absicht, nicht aus Berechnung, es ist ihre innerste Natur so, sie kann nicht anders; sie ist unbefangen, naiv, offen, wahrhaftig; sie hat etwas von jener »aus der Unschuld entspringenden Verwegenheit«, wie es Goethe einmal nennt, welche auf Männerherzen eine so unwiderstehliche Macht ausübt.

Um solche Frauen sammelt sich regelmäßig ein Kreis ausgezeichneter Männer, die alle mehr oder weniger für sie zu schwärmen, alle mehr oder weniger von ihr bezaubert zu sein scheinen. Grund genug, daß sie von anderen Frauen gehaßt werden, die auf ebensoviel Geist und Liebenswürdigkeit Anspruch erheben zu dürfen glauben, ohne daß sie in gleichem Maße gefeiert wären. »Solche Anziehungskraft! dabei kann es nicht mit rechten Dingen zugehen, dabei müssen falsche, unerlaubte Künste im Spiele sein.« Auf diese Art bildet sich die öffentliche Meinung, und die Verleumdung hat ein weites Feld.

So ungefähr ist es auch Carolinen ergangen. Die Damen, denen sie Konkurrenz macht, wollen ihr nicht wohl, die betreffenden Männer und Verehrer müssen in dasselbe Horn stoßen, in Briefen wird das Urteil Fernerstehender nach der gleichen Richtung dirigiert. Solche Briefe kommen dann unter den Nachlebenden an das Licht der Öffentlichkeit, unsere detailsüchtige Literaturgeschichte macht sich zum Echo des alten Klatsches. Und so kommt es, daß das Bild Carolinens immer dunkler und dunkler dargestellt wird, je besser man sich unterrichtet zeigen kann. Aus der zierlichen kleinen Frau wird schließlich ein dämonisches Wesen, ein zwietrachtstiftender Kobold, eine »Dame Luzifer«, die alle Verhältnisse um sich her zerrüttet, eine Art böser Genius der romantischen Schule.

Mit dem vorliegenden Buche in der Hand fühlt man sich versucht, den neuesten Darstellungen der Romantik gegenüber zum Ritter der hart angefochtenen Dame zu werden und eine der jetzt so beliebten »Rettungen« zu schreiben. Aber ich glaube, das Buch selbst ist die beste Rettung. Schade, daß es nicht über alle Punkte des intimsten Lebens volle Klarheit verbreitet. »Ich könnte begreifen,« – schreibt Caroline einmal – »wie man die Dokumente eigener verworrener Begebenheiten seinen Kindern und auch der nach uns lebenden Welt als eine die Menschheit überhaupt interessierende Erfahrung hinterlassen kann. Erst wenn Namen und Personen nichts mehr zur Sache tun, tritt sie in ein wahres Licht.« In diesem Sinne läßt das Werk manches vermissen, die Begebenheiten sind nicht immer deutlich, aber der Charakter Carolinens wird vollkommen anschaulich: sie zeigt sich überall als eine groß und frei und edel angelegte Natur. Diesem Eindruck wird sich kein aufmerksamer Leser entziehen können, und die erwähnten Literarhistoriker werden gewiß selbst die Gelegenheit ergreifen, um der liebenswürdigen Frau die ungalanten Urteile abzubitten, die sie über sie gefällt haben.

Man heftet sich ohnedies viel zu sehr an biographische Details, die – an sich vielleicht höchst lehrreich und interessant – doch für die Hauptsache wenig austragen. Es könnte alles wahr sein, was man Carolinen nachgesagt hat, und der Kern ihrer Persönlichkeit bliebe davon ziemlich unberührt. Was einer ist und leistet, das scheint mir die Hauptsache. Das Andenken hervorragender Männer in der Geschichte wird nicht durch ihr Privatleben bestimmt, nicht dadurch, daß sie brave Familienvater, gute Ehegatten, friedfertige Kollegen waren, sondern durch das, was sie für den Staat, für das Vaterland, für Wissenschaft und Kunst, für die ganze Menschheit getan haben. Die Wirkungssphäre der Frauen ist meist viel eingeschränkter, ihr Andenken in der Geschichte lebt in der Regel nur durch das fort, was sie ausgezeichneten Männern gewesen sind. Unvergeßlich bleibt dem deutschen Volke Frau v. Stein, weil ihr Goethe so viel verdankte. Und die indiskrete Neugier, welche in die eigentliche Natur der Beziehungen zwischen dem Dichter und der angebeteten Freundin eindringen und womöglich die intimsten Moments ihres Zusammenseins belauschen möchte, hat sehr wenig mit einer gerechten historischen Würdigung zu tun. So kommt es auch bei Caroline vor allem auf das an, was Schlegel und Schelling ihr verdankten. Der Segen, den sie im Herzen ihrer Männer zurückgelassen, ist ein unvertilgbares Verdienst, das sie sich um sie und dadurch mittelbar um Deutschlands Geistesleben erworben hat. Und wer kann darüber besser urteilen als diese Männer selbst?

Etwa drei Monate nach ihrem Tode schreibt Schelling: »In je größere Ferne sie mir tritt, desto lebhafter fühle ich ihren Verlust. Sie war ein eigenes, einziges Wesen, man mußte sie ganz oder gar nicht lieben. Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkte zu treffen, behielt sie bis ans Ende. Wir waren durch die heiligsten Bande vereinigt, im höchsten Schmerz und im tiefsten Unglück einander treu geblieben – alle Wunden bluten neu, seit sie von meiner Seite gerissen ist. Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dieses Meisterstück der Geister nicht mehr ist, dieses seltene Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens vereinigt. O, etwas der Art kommt nie wieder!«

Caroline Schelling war eine rechte Gelehrtenfrau, nicht wie sie gewöhnlich sind, sondern wie sie sein sollten.

Wissenschaft als Lebensberuf ergriffen, führt immer die Gefahr einseitiger Verbissenheit, handwerksmäßiger Beschränkung und stumpfsinniger Abgeschlossenheit in einem engen Kreise mit sich. Da muß die Frau eine Art umgekehrter Circe sein, die das gelehrte Herdentier jedesmal wieder in den Menschen verwandelt. Hiervon besaß Caroline ein lebhaftes Bewußtsein. Wie sie selbst die größte Angst hatte, sich in eine philiströse Existenz versinken zu sehen, so wußte sie auch andere davor zu bewahren. »Was ist doch das ein elendes Leben, das ein Gelehrter führt,« – schreibt sie ihrem Bruder Philipp – »o suche ja bis ans Ende Deiner Tage Sinn für die weite, offene Welt zu behalten, das ist unser bestes Glück.« Die großen Jungbrunnen der Menschheit sind Natur und Kunst; wie die Sonne nach mythologischen Vorstellungen täglich in den Ozean, so sollen wir untertauchen in das Schöne, um daraus Kraft und Freiheit der Seele zu holen neben aller eingeschränkteren Tätigkeit.

»O mein Freund,« – schreibt Caroline an Wilhelm Schlegel – »wiederhole es Dir unaufhörlich, wie kurz das Leben ist und daß nichts so wahrhaftig existiert als ein Kunstwerk. – Kritik geht unter, leibliche Geschlechter erlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die letzten lebendigen Funken sein, die in das Haus Gottes gehen – dann erst kommt Finsternis.«

So sehr Caroline das lebendigste Gefühl der Unabhängigkeit in sich nährte, und so sehr sie denen, die sie liebte, zu geben vermochte, so groß war doch ihre Fähigkeit, zu empfangen, so wunderbar ihr Talent, sich anzuschmiegen. Sie besaß eine unglaubliche Elastizität des Geistes, mit der sie alles Bedeutende ergriff, was ihr nahe kam. »Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Teilnahme«, sagt Friedlich Schlegel. So durchlebte sie feurig bewegt die Mainzer politische Revolution, so die Revolution der Romantiker gegen das Ancien régime in der Literatur des vorigen Jahrhunderts. An Wilhelm Schlegels Shakespearearbeiten, an der Rezensionstätigkeit der verbundenen Freunde beteiligte sie sich, in die Ideen von Schellings Naturphilosophie warf sie sich mit Begier – sie hat auch dies und jenes für den Druck geschrieben, aber immer gedrängt von außen, auf bestimmte Veranlassung, um etwa Schlegel eine Freude zu machen, aber ganz ohne persönliche literarische Prätensionen. Sie besaß nach Wilhelm Schlegels Zeugnis alle Talente, um als Schriftstellerin zu glänzen, ihr Ehrgeiz war aber nicht darauf gerichtet. Sie fühlte sich nicht geschaffen, über die Grenze stiller Häuslichkeit hinwegzugehen. Es fehlte ihr in der Tat an eigentlich originaler Produktionskraft. Sie hat etwas von dem rezeptiven Genie, das in Wilhelm Schlegel, dem unvergleichlichen Übersetzer, Rezensenten, Literarhistoriker wohnte. Sie empfindet das aber als einen Mangel und bezeichnet es in einem Briefe an ihren Bruder als Familienfehler, »vieles aufzufassen, um es mit ein paar Ideen darüber wieder hinzuwerfen«.

Gerade dieses Talent jedoch – welches Glück für einen Mann, der wie Schelling mit den ernstesten, tiefsten Problemen rang, wenn die Gefährtin ihm in die fernsten Gedankenregionen zu folgen vermochte, wenn er sie einweihen durfte in die Mysterien der abstraktesten Spekulation, wenn ihm seine Ideen aus ihrem Munde mit neuer Klarheit entgegentönten, wenn er mit Zinsen zurückerhielt, was er ihr von seinen Geistesschätzen spendete.

Der weibliche, rasche Blick, der schlichte, gerade Verstand, das unbeirrbare, sichere Urteil war Caroline im höchsten Maße eigen. »Die Überlegenheit ihres Verstandes über den meinigen habe ich sehr frühe gefühlt«, erzählt ihr Schwager Friedrich Schlegel. Das klare Wesen einer ursprünglich heiteren, tätigen, bestimmten Natur prägt sich in ihren Jugendbriefen manchmal mit überraschender Schärfe aus. »Es ist ganz vergeblich, hier nachzudenken,« – mit diesen Worten reißt sie sich von gewissen religiösen Reflexionen los – »es ist ganz vergeblich, hier nachzudenken; es verwirrt unsere Begriffe, und verwirrte Begriffe machen mutlos.« Und ein andermal beschreibt sie, wie sie immer einen Plan haben müsse im großen oder kleinen: »Ich mag keine Nadel abstricken ohne den Eifer und die Aussicht, etwas fertig zu bekommen und hinterher zu denken, ich habe wirklich was getan. Bin ich zwecklos, so ist mir wie denen, die gewohnt sind, sich von Sonnenaufgang bis Untergang zu schnüren, und ungeschnürt nicht wissen, wo sie den Leib lassen sollen. Kommt nun noch der Pfahl im Fleisch dazu, daß ich etwas tun will, was ich nicht mag, und habe doch nicht die Macht, es zu forcieren, so bin ich ein elendes Geschöpf, das mit Gleichgültigkeit das Morgenlicht durch die Vorhänge schimmern sieht und ohne Satisfaktion sich niederlegt.«

Ihre hohe Verständigkeit aber äußert sich nie aufdringlich, steif, pedantisch, sie bleibt immer biegsam, zierlich, schön. Durch die ernsten literarischen Geschäfte der Männer schlingen sich ihre anmutigen Briefe wie leichte, graziöse Arabesken durch. Die schweren Gedankenakkorde Schellingscher Philosopheme umspielt sie wie mit den geistreichen Begleitungsfiguren einer süßschwärmenden Musik.

Sie war wie gemacht zur Geselligkeit, weniger zu der tauschenden Geselligkeit eines großen Zirkels, in welchem allzu viele langweilige und unbedeutende Menschen gleichmäßige Artigkeit und Aufmerksamkeit erfordern, als zu der bescheidenen Geselligkeit am traulichen Teetisch mit wenigen guten Freunden, vor denen sie sich ganz gehen lassen und alle ihre glänzenden Gaben des Gesprächs zwanglos entfalten konnte. Sie sprach wunderbar schön. Sie war wie die Jungfrau im Märchen, der bei jedem Wort, das sie spricht, eine Rose aus dem Munde fällt. »Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für alles, und alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süßredenden Lippen. Sie vernahm jede Andeutung, und sie erwiderte auf die Frage, die nicht gesagt war. Keine Sphäre belebter Unterhaltung war ihr fremd. Sie konnte in derselben Stunde irgendeine komische Albernheit mit dem Mutwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges.«

Und trotz diesen geselligen Talenten, trotz den Huldigungen, die ihr überreich zuteil wurden, wie ist sie so gar nicht verwöhnt, wie anspruchslos und bescheiden steht sie neben ihrem Mann, wie eifrig leistet sie ihm Sekretärsdienste, wie willig fügt sie sich in seine Abhaltungen, wie gutmütig tritt sie zurück, wo die Wissenschaft ihn nicht losläßt. So entschuldigt sie einmal Versäumnisse Schellings bei einem Freunde mit den Worten: »Ich habe ihn selber seit acht Tagen nicht gesehen, außer wenn er zum Essen herunterkam und dabei auch eiligst die Siegesnachrichten zu sich nahm, ich habe selber oft vor der verschlossenen Tür gestanden und allerlei Anliegen gehabt, allein Baal war taub, und ich habe mir bald gesagt: Baal dichtet. So lassen wir ihn denn dichten ...«

Habe ich nun nicht recht zu sagen: sie war das Ideal einer deutschen Gelehrtenfrau?

Denn ich muß hinzufügen, sie ist auch eine eifrige, praktische, exakte Hausfrau, die für das Leibliche trefflich zu sorgen weiß; sie ist eine sehr geschickte Ehefrau, welche die Launen des gestrengen Herrn in anmutigster Weise zu ertragen, zu ignorieren oder zurückzuweisen versteht; sie ist auch eine gute Tochter und Schwester, eine zuverlässige Freundin, eine ausgezeichnete Mutter. Mit welcher schwärmerischen Liebe hängt sie an Auguste Böhmer, ihrer einzigen Tochter. Und wie ist ihr die ganze Welt umgewandelt von dem Augenblicke an, wo sie diese Tochter verliert. Man fühlt sofort, eine Wunde ist ihr geschlagen, die nie völlig wieder vernarben kann. Der Gedanke an das liebliche tote Mädchen ist fortan der stille, traurige Hintergrund ihres ganzen Lebens.

In ihrer Jugend steht Caroline als ein herrliches Bild der Kraft, des Selbstgefühls, der Frische und des Lebensmutes vor uns da: »nicht schön, nicht bescheiden, aber gut, stolz und natürlich«, wie sie selbst sich abschildert. Wie unbekümmert wandelt sie über die Erde, »die gottlose kleine Frau, die kokette junge Witwe«; solche Lesarten gibt's nämlich über sie, und sie meldet das ganz lustig ihren Freunden. Wie reizend scherzt sie über ihre Unbesonnenheiten: »Ich hoffe in meinem achtzigsten Jahre noch welche zu begehen, wenn ich nicht so glücklich bin, vor dem vierzigsten zu sterben.« Wie genußkräftig packt sie das Leben an: »Glückseligkeit besteht nur in Augenblicken; nichts verzeih' ich mir weniger, als nicht froh zu sein, auch kann der Augenblick niemals kommen, wo ich nicht die Freude, die sich mir darbietet, herzlich genießen sollte.« Und mit welcher Sicherheit muß ein Wesen in sich selbst gegründet gewesen sein, welches sagen konnte: »Ich fürchte, das Geschick und ich haben keinen Einfluß mehr aufeinander; seine gütigen Anerbietungen kann ich nicht brauchen, seine bösen Streiche will ich nicht achten. Auf Wunder rechnet man nicht, wenn man sich fähig fühlt, Wunder zu tun und ein widerstrebendes Schicksal durch ein glühendes, überfülltes, in Schmerz wie in Freude schwelgendes Herz zu bezwingen.«

Da klingt es denn freilich ganz anders, wenn sie in dem Todesjahre Augustens aus Jena, wohin sie eben erst wieder zurückgekehrt war, an Wilhelm Schlegel schreibt: »Ich bin nur froh, hier das erste überstanden zu haben, und verlasse mich für das Zukünftige ruhig auf Deine Freundschaft und die stille Gewalt meines eigenen guten Gemüts. Diese werden schon wieder etwas bilden, ein Hüttchen anbauen unter den Trümmern alter Herrlichkeit. O mein Freund, ich baute oft und riß oft ein. Dieses sind nun die letzten Zweige, Zweige der weinenden Weide, die ich über meinem Haupt zusammenflechte, um unter ihrem Schatten den Abend zu erwarten.«

Der Ton der Neckerei, des Spottes, der humoristischen Schilderung verschwindet nun beinahe gänzlich aus ihren Briefen. Sie ist sehr verändert. Aber der Grundzug der Wahrhaftigkeit, Charakterstärke und Herzensgüte ist geblieben.

So wie uns nun Caroline erschienen ist: wird noch jemand die Frage aufwerfen, ob sie imstande war, hübsche Briefe zu schreiben? Die reizendsten von der Welt! Der Herausgeber des gegenwärtigen Buches hat ganz recht, wenn er sagt: Carolinens Briefe dürfen als solche einen Platz in unserer Literatur in Anspruch nehmen. Sie sind nicht bloß wichtig als historische Quelle, sondern sie sind wahre Kleinode der Form, zierliche Muster des unbefangen plaudernden Briefstils, unmittelbare Abdrücke einer lebhaften, angeregten, bedeutenden Natur, »welche durchsichtig und seelenvoll hinschreibt, was sie als Gespräch gedacht hat«.

Schade, daß der Herausgeber »Unbedeutendes«, wie er sagt, hinwegließ. Ob sich darunter auch gewiß nichts anderes findet, als was jeder gern entbehren würde, wenn er es kennte? Der Geschmack des Herausgebers braucht nicht notwendig auch der seiner Leser zu sein. Diese Art Frauen hat es an sich, gerade über gänzlich Unbedeutendes so reizend zu schreiben, daß man sich für jeden Strumpf und jedes Kinderhäubchen interessiert. Wie es andere Menschen gibt, die nur »Lichtstrahlen« von sich geben sollten, in deren Briefen und sonstigen Produkten ganze Seiten nur dazustehen scheinen, um eine einzige schöne Stelle zu illustrieren, so kann man bei den echt harmonischen Wesen, wie Caroline eines war, eigentlich nichts herausreißen aus dem, was ihrer Feder entfließt; sogenannte schöne Stellen gibt's da im Grunde nicht, die Einzelheiten kommen kaum zum Bewußtsein, aber das Ganze ist bezaubernd.

Ich würde mich freuen, wenn ich bei einer neuen Auflage noch einige Lücken ergänzt fände. Und vielleicht entschließt man sich dann auch, ein Faksimile von Carolinens Handschrift beizugeben, das ich wenigstens ungern vermisse.

Der erste Band ist durch ein Bild Auguste Böhmers geziert, es zeigt jene »zarte, in sich gekehrte Weiblichkeit«, welche die Mitlebenden über sie verbreitet fanden. Vor dem zweiten Bande entzückt uns der Anblick Carolinens selbst. Ein ganz wunderbares Gesicht; keine regelmäßige Schönheit; eine etwas unschöne, breite Nase und der Mund vielleicht zu groß. Aber welche Güte und welcher Verstand blitzt aus den Augen, welche Schalkhaftigkeit sitzt auf den Lippen, welche Klarheit thront auf der offenen Stirn: »Frank und frei« scheint als Wahlspruch über diesen Zügen zu schweben.

Die Farbe ihrer Augen war blau, wie man gelegentlich aus einem Briefe erfährt, worin sie sich selbst die blauäugige Caroline nennt und neben Wilhelm Schlegel wie die blauäugige Pallas Athene neben den homerischen Helden stehen möchte, um ihn als Redner zu begeistern. Daß ich nichts Genaueres über Gestalt und Gang weiß, ist mir ein wenig fatal. Aber wenn ich lese, wie Friedlich Schlegel ihr ins Gesicht über die »kleine, zierliche, zerbrechliche, leichtsinnige, kolossalisch verliebte Frau« scherzt, so kann ich mir doch nur eine feine, biegsame Natur mit leichtem, sicherem, elastischem Schritte denken ...

Ach, daß die süßredenden Lippen auf ewig verstummt sind! Es ist mir aber doch, indem ich mich in die Briefe versenke, als ob ich die Worte mit dem Klang einer weichen, melodischen Stimme vernähme – ja es ist, wie Friedrich Schlegel sagt: bei mancher Stelle glaubt man zu sehen, wie die Blicke wechseln, wie ihre Mienen leicht sich ändern. Der ganze unwiderstehliche Zauber ihrer reichen, schönen Natur wirkt durch das geschriebene Wort noch einmal; ich wenigstens muß bekennen, daß ich demselben vollständig unterlegen bin; es ergriff mich, wie wenn sie mir gestorben wäre, als ich die Schilderung ihres Todes bei Schelling las: »Ihre letzten Tage waren ruhig; sie hatte kein Gefühl von der Gewalt der Krankheit, noch der Annäherung des Todes. Sie ist gestorben, wie sie sich immer gewünscht hatte. Am letzten Abend fühlte sie sich leicht und froh; die ganze Schönheit ihrer liebevollen Seele tat sich noch einmal auf; die immer schönen Töne ihrer Sprache wurden zur Musik; der Geist schien gleichsam schon frei von dem Körper und schwebte nur noch über der Hülle, die er bald ganz verlassen sollte. Sie entschlief am Morgen des 7. September, sanft und ohne Kampf; auch im Tode verließ sie die Anmut nicht; als sie tot war, lag sie mit der lieblichsten Wendung des Hauptes, mit dem Ausdrucke der Heiterkeit und des herrlichsten Friedens auf dem Gesicht.«

15. Juni 1871.

II.

Als ich die vorstehenden Zeilen schrieb, wußte ich die arg kompromittierenden Dinge aus Carolinens Mainzer Epoche noch nicht, welche mir nachher Waitz mitteilte und welche Haym in seinem Artikel »Ein deutsches Frauenleben aus der Zeit unserer Literaturblüte« (Preußische Jahrbücher Bd. 28) allgemein bekanntgemacht hat. Ich war der Meinung gewesen, daß wir sie eines Augenblickes der Schwäche gegenüber einem geliebten Manne anzuklagen hätten, der sie dann treulos verließ und sich von ihr zurückzog. Ich wußte nicht, daß die herrliche Frau die Beute eines beliebigen Franzosen geworden war. Mein erstes Gefühl, als ich es hörte, war Zorn und Empörung, wie man sie empfindet, wenn ein edles Kunstwerk verstümmelt worden ist –»abscheulich! unverzeihlich!« ich hatte kein anderes Wort dafür.

Alles Beschönigen und alles Entschuldigen hilft nun nicht. Gerne läßt man die von Haym angefühlten Milderungsgründe gelten. Gerne sagt man sich, daß wir alle näheren Umstände kennen müßten, um den Grad der Verschuldung zu ermessen. Aber die Verschuldung als solche bleibt unberührt, niemand kann sie leugnen, niemand kann sie hinwegschaffen. Die brutale Tatsache ist von unablöschlicher Häßlichkeit. Caroline selbst kann nur mit peinlichen Empfindungen an die wüste Mainzer Zeit zurückgedacht haben.

Wenn es den Menschen vergönnt wäre, über einen Trunk Lethe zu verfügen, um nach freier Wahl einen Teil ihrer Taten und Erlebnisse für immer der Vergessenheit zu überliefern – vielleicht würden sie unschlüssig stehen und nicht wissen, wovon sie sich schwerer trennten, von ihren vergangenen Leiden oder von ihren entflohenen Freuden. Nur eins gibt es, was jeder ohne Bedenken und hastig zugreifend gerne loswerden würde, die Erinnerung an solche Augenblicke, in denen er getan, was seiner nicht würdig war.

Solches Vergessen müßte sein wie Einschlafen oder Ertrinken. Die Wellen umwogen, umspielen uns, ziehen uns in die Tiefe, zuletzt ist alles ruhig.

Das Leben mancher Menschen ist nicht ein Kampf ums Dasein, sondern ein Kampf um den Schlaf, moralisch vielleicht ein Kampf ums Vergessen. Manchen aber gewährt die Natur beides willig. Es ist möglich, ja es ist sehr wahrscheinlich, daß Caroline jene Gedächtnisschwäche besaß, welche öfters bei sehr elastischen Frauennaturen gefunden wird, die wie Wassernixen aus der Tiefe des Sees emportauchen und alles Gras und Schilf und Schlamm und Röhricht von sich abstreifen und wieder wie jung und neugeboren die leuchtenden Glieder durch die klaren Wogen drängen. Caroline lebte in der Gegenwart, ging voll auf in ihr, und ihre Vergangenheit konnte sie vielleicht ansehen, als ob sie selbst es nicht gewesen wäre, wie Schicksale einer fremden Person. Aber ganz vergessen kann niemand solche Erfahrungen. Und in Augenblicken, in denen ihr das Gedächtnis völlig zurückkehrte, in denen all der böse Schlamm ihr noch einmal die Phantasie beengte, durch den sie hindurch gemußt, in den sie sich hinein begeben – ich bin überzeugt, daß tiefe Schamröte ihr in die Wangen stieg. Und wenn sie auch wohl nicht an den Nutzen der Reue glaubte und die Vergangenheit so leicht und licht als möglich zu nehmen suchte (auch das traue ich ihr zu) – sie hat gewiß alles getan, damit die arge Dissonanz so wenig als möglich in ihrer Seele nachtönte. Aber als Dissonanz muß sie in ihr erklungen sein, und widerwärtig muß ihr das Andenken gewesen sein.

Gleichwohl schäme ich mich nicht des ehrlichen Entzückens, das mir die Existenz dieser Frau einflößte, und ich beharre bei den enthusiastischen Worten, die man oben gelesen hat.

Es ist mit überlegener Miene darüber gespottet worden, daß Caroline mehr als sechzig Jahre nach ihrem Tode noch verschiedenen deutschen Professoren die Köpfe verdreht habe. Sehr viel Ehre für die deutschen Professoren! Man wirft ihnen gerne, und nicht ganz mit Unrecht, eine gewisse Engherzigkeit und Philisterhaftigkeit in moralischen Dingen vor. Sehr schön, wenn Caroline imstande war, solche Strenge zu mildern. Ich beneide niemanden um die robuste Tugendhaftigkeit, welche Schellings angebetete Gattin ohne weiteres in eine Linie mit einer beliebigen Straßendirne stellt. Ich streite aber auch gar nicht um die moralische Beurteilung dieser einzelnen Frau, obwohl ich von Natur mehr zum Verzeihen als zum Verdammen neige. Aber ich sage offen, daß es mir als Roheit erscheint, wenn man den Wert einer Frau wie diese nur nach dem sechsten Gebot bemißt, und wenn alles, was sie sonst war und tat, einfach ausgelöscht erscheint dadurch, daß sie einmal in ihrem Leben auf unverantwortliche Weise leichtsinnig gewesen ist und Schande auf sich geladen hat. Einigermaßen dürfen doch auch wir sie mit Schellings oder mit Luise Gotters Augen betrachten.

Sind wir wirklich schon so weit heruntergekommen, daß uns die bloße Korrektheit als das höchste Gut erscheint? Haben wir vergessen, daß schöne Menschlichkeit die Blüte aller Sittlichkeit ist? Was helfen uns alle korrekten Frauen der Welt, wenn sie unsere Freude am Dasein nicht verstärken. Im Beichtstuhl und nach dem Katechismus ist es äußerst gleichgültig, ob eine Frau schön oder häßlich: ist es auch fürs Leben gleichgültig und für eine höhere Sittlichkeit, für die reiche, freie und schwungvolle Entfaltung aller edlen Menschlichkeit im Menschen? Möchten wir wohl ein einziges vollkommenes, vielleicht in schrankenloser Leidenschaft entstandenes Liebeslied dahingeben um den Preis, den Dichter zu einem vorwurfsfreien, korrekten Hagestolzen oder Ehemann zu machen?

Aber das sind nur nebenbei aufgeworfene Fragen. Ich fühle mich nicht zu Carolinens Advokaten berufen. Mein Enthusiasmus galt und gilt nicht dem Individuum, nicht dieser einzelnen, bestimmten Caroline, sondern der in ihr Fleisch gewordenen Idee.

Wenn der Venus von Milo in den Stürmen der Pariser Kommune die Nase abgeschlagen wäre, bliebe sie darum weniger die Venus von Milo? Würde der Künstler, der sie geschaffen, darum weniger auf den Dank und die Bewunderung der Nachwelt rechnen dürfen? Ich beklage die Schuld, durch welche Caroline selbst ihr Leben entstellt hat, ganz wie eine solche Verstümmelung. Aber das herrliche Menschenbild, das dadurch entstellt ist, bewundere ich nach wie vor, und dankbar bleibe ich der schaffenden Natur, daß sie ein solches Wunderwerk erzeugen wollen.

Die Sprache zwingt – oder verführt wenigstens – auch den heutigen Menschen manchmal zu einer Art Mythologie. Ich habe von der in Carolinen erschienenen Idee gesprochen. Ich meine nichts über die Tatsachen der Wirklichkeit Hinausgehendes und doch etwas Ähnliches wie die Platonische Idee. Es ist uns jetzt geläufiger, von Typen zu sprechen. Wir sammeln die zerstreuten Charakterformen, die sich zu wiederholen scheinen, deren jeder seine Einseitigkeit zeigt; wir können sie durcheinander ergänzen, berichtigen, erweitern und verengern und ein Idealbild des Typus gewinnen, das in seiner Vollkommenheit nirgends ganz erscheint, welchem sich aber die Gestalten der wirklichen Welt mehr oder weniger nähern. Das Leben entfernt das Individuum oft von der Reinheit des Typus. Das Kind verheißt mehr, als das entwickelte Wesen hält.

Caroline nun ist die vollkommenste Verwirklichung des Typus, zu dem sie gehört. Dieser Typus aber, diese wunderbare Mischung hinreißender und verführerischer Eigenschaften, scheint mit einer gewissen Schwäche fast unauflöslich verbunden.

Caroline war entschieden eine der Frauen, welche auf männliche Leitung, darauf, daß ein wirklicher, starker, überlegener Mann neben ihnen steht, angewiesen sind. Wenn ihnen der fehlt, wenn sie sich selbst überlassen sind, dann ist ihre Schwäche und phantastische Erregung zu allem, auch zu dem Verkehrtesten fähig. Frau Böhmer und Frau Schelling: was ist gegen diese einzuwenden? Die Witwe Böhmer und Frau Schlegel, die befanden sich in jener ungeleiteten, ungeschützten, beklagenswürdigen Lage.

Wenn also eine gewisse, nicht bloß physische Zerbrechlichkeit zu jenem Typus gehört, und wenn sie auch Carolinen anhaftet und in verhängnisvoller Weise ihr Leben verunstaltet hat: sollen wir darum die Idee, die in ihr erscheint, nicht bewundern? Sollen wir uns nicht die Freude zu erhalten suchen an all den Eigenschaften, die wir loslösen können von ihrer irdischen, zufälligen Persönlichkeit, um daran ein Stück vollkommener Weiblichkeit anzuschauen?

Und wenn wir uns ein Idealbild unseres Volkes gestalten, wenn wir überschauen wollen, welche reiche sittliche Produktivität es entfaltet, wie vielerlei Charaktertypen es hervorgebracht hat: so wird, dünkt mich, unter den Frauentypen an ästhetischer Vollkommenheit derjenige obenan stehen, den Caroline am vollkommensten repräsentiert.

13. Juni 1874.


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