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Die Menagerie

»Herein, Herrschaften, herein!
Zu sehen ist hie
Die seltne Tiermenagerie!
Heute große Fütterung
Mit Verwandelung!
Das Vergnügen zu erhöhn,
Wird ein verehrtes Publikum
Rundherum
Das Tier in seiner Heimat sehn.
Herein, Herrschaften, nur herein!
's ist just die beste Zeit!«

So schrie mit ewiger Heiserkeit
Der Mann der ewig besten Zeit,
Und alles strömt voll Schaulust ein.

Stumm hinter seinem Eisen auf und nieder
Maß das starke Tier der Wüste,
Unstet suchend, seinen Blick auf niemand,
Gleichwie ein Wandelnder im Traum
Seines Kerkers oft gemeßnen Raum,
Streckt sich gähnend nieder,
Fährt auf, geht wieder
Und wirft aufs neu'
Mit dumpfem Grimm
Die gewaltigen Glieder hin.

Vor dem Eisen auf und nieder
Zog der Mensch dem Wärter nach,
Der, gelangweilt wie sein Tier,
Leiernd die Naturgeschichte sprach,
Stachelnd dort und peitschend hier
Wieder auf das stumpfe Tier.
Der Schaulust zahlend den gewohnten Schoß,
Bringt er die kecken Künste dar,
Spielt mit dem Tiger, Panther, Kaguar,
Dem ungefügigen Rhinozeros
Und steigt dem Löwen in den Kerker nach
Und tut ihm an die hündische Schmach.
Versunken, willenlos,
Ertrug das Hündische er wie ein Hund;
Geschwunden in dem dumpfen Sklavenhaus
War längst die wilde Hoheit ihm,
Gebrochen längst an enger Kerkerwand
Das weite, stolze Wüstenherz.

Da schlug es rasselnd an den Käfig an,
Die große Füttrunggabel war's,
Und überall – elendig
Ward rings die Bestie für den Fraß lebendig.

Der Sklavenfraß am hingeworfnen Fleisch begann;
Und immer kecker ward der Mensch,
Und immer mehr des Ruhmes ihm dafür.
Man klatschte laut, man schwatzte viel
Vom Sieg des Menschen übers Tier,
Und jeder sprach vom Schöpfungskönige.

Jetzt schellend man ein Zeichen gab,
Und an den freien Wänden ringsherum
Rollt eine bunte Leinewand herab,
Und durch des Pinsels Trug urplötzlich
Sah Mensch und Tier gezaubert sich
Hin in der Trope Land.

Der Panther sieht's, der Elefant,
Es sieht's Giraffe und Rhinozeros,
Der ruhelosen Affen ganzer Troß;
Sie sehen es, die heißen Söhne alle,
Und stieren's an mit blödem Aug'
Und stieren stumm und regungslos,
Als senke Traum sich auf den Traum.

Der Löwe sieht's und sieht's,
Der alte Wüstenkönig,
Und immer dunkler wird der Blick,
Und aus dem trägen Hungerzahn
Fällt ihm der zugewogne Fraß.
Er sieht die alten Palmen wieder,
Sieht seiner alten Wüste heißen Sand;
Es schaut der alte Himmel auf ihn nieder,
Der dunkelblaue Himmel von Saharas Land.

Den alten Raub erkennt er wieder,
Er sieht die windesschnelle,
Flüchtig schwebende Gazelle,
Der Antilopen Heer vorüberfliehn
Und auf heißer, unbewegter Welle
Nach dem fernen grünen Rasen
Einsam schimmernder Oasen
Still die Wüstensegler, die Kamele, ziehn.
Der Wüste erster Sohn sieht seine Wüste wieder;
Und wie der Heimat ewig klaren Nächten
Das blutig glüh'nde Meteor entsteigt,
So plötzlich blitzt aus seiner tiefen Nacht
Die Seele blutig in das Auge ihm;
Und wie der Wüste Wind lotrechten Schwunges
Gedankenschnell von dem Zenit
Herniederfährt, als wollt' er seine Feuer
Flugs in der Erde Tiefen schlagen,
So schlägt es glühend durch die Adern ihm
In das erstorbne große Löwenherz.

Und alle Pulse wecken das entschlafne Leben,
Und zuckend richtet er sich auf.
Und dunkel knisternd über den gebognen Rücken,
Vom Schweif bis zu des Halses Widerriß
Sträubt sich das Haar;
Die Mähne schüttelnd,
Schlägt er mit des Schweifes Knauf
Die Sklavenerde.
Es zucket Nerv am Nerv,
Und jede Muskel spannt sich an,
Und jeder Tropfen Bluts in ihm wird Grimm.
Das Kreuz hinauf, den Kopf hinab
Dehnt er die schwer gepreßte Brust,
Und donnernd brüllet der verlorne Sohn
Es in die heiße Heimat aus,
Ihm hingemalt vom Menschenhohn, –
Und brüllt es aus,
Als wollte er mit einem einzigen Schrei
Hinaus sie schreien in der Heimat Land
Die lang ihm angetane ungeheure Schmach,
Als wollte er der Wüste weiten Raum
Ausfüllen mit seinem ungeheuren Schmerz.

Und vor dem Schrei erbleicht der Schöpfungskönig,
Und vor dem Schrei entflieht das Publikum,
Ein ganzes Heer von Schöpfungskönigen.


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