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Das unterbrochene Lied

»Nun danket alle Gott!« anstimmt mit Herz und Munde
Um ihren goldnen Jubilar die Tafelrunde.
Bunt legt sich Kind und Kindeskinder Reigen
Um ihren alten Stamm mit grünen Zweigen;
Er prangt im Schmuck der Frucht- und Blütenkränze –
Ein Baum, zugleich im Sommer, Herbst und Lenze!

Da plötzlich fährt draußen, Blitz und Krach,
Ein Schuß durchs Lied – »Großvater hoch!« ihm nach,
Und »Hoch!« stimmt alles ein, die Gläser voll;
Verjubelt wird das Lied, des Höchsten Zoll.

Doch still fragt der Gefeierte sich derweil:
»Wo kommt das Pulver her, das nirgend feil?«
Verläßt den Saal, ruft nach dem Knecht umher.
»Hier, junger Herr!« lallt aus dem Keller der –

»Habt Ihr's? Ich leuchte hier mit der Laterne,
Da leuchten dürfen nicht einmal die Sterne.
Der schwarze Schatz hat seine Teufelsmucken,
Spürt Licht er, muß er Feu'r und Schwefel spucken;
Er ward uns anvertraut in Feindesnot;
›Verwahrt uns unser Pulver, Patriot!‹
Sprach Seine Exzellenz, der General,
›Uns treibt der Franz, wir treiben wieder mal.‹ –

›Ganz wohl, Exz'llenz: dem Feind nur unser Blei‹ –
Jedoch ein Patriot in Jubilei
Ist, mein' ich, auch mal sein Schuß Pulver wert.« –

»Ja, Kerl! –Und wenn er in die Luft auch fährt!« –
Fällt ein der Patriot. – »Wo hat Er 's Licht,
Weil Er vom Leuchten spricht?« – »Hier brennt es ja.« –
»Wo brennt es, Mensch? In Seinem Kopf etwa?
Was schimmert dort? Ich ahne die Geschicht'! –
Der Kerl hat die Latern', der Bub das Licht! –
Fort! Fort! eh' es zu spät–«

Es ist zu spät!

Da steht, als hätt's ein Kobold ausgeheckt,
Der Lichtstumpf in ein Pulverfaß gesteckt,
Die freie Flamme überm offnen Krater! –
Und übern Rücken rieselt's kalt dem Vater,
In Worten nicht, in Tropfen bricht's heraus:
»O Herr, der du gesegnet hast mein Haus
Mit Gut und Blut, auf Kindeskind zu erben,
Soll ich mit all dem Segen so verderben?

»Flackt's nieder mal – ein Atemzug – ein Funken –
Aufbricht das Grab, und alles ist – versunken!
Was ich gelebt, geliebt – tot – gräßlich tot! –

»Oh! Immernächster du der größten Not!
Allgegenwärtiger, erbarmungsvoller Gott,
Steh bei mir wider diesen Höllenspott!
Vergib mit deiner himmlischen Geduld –
Wächst deine Gnade doch mit unsrer Schuld –,

Daß ich gewacht nicht ohne Unterlaß,
An meinem Jubeltag den Herrn vergaß,
Dieweil die Frohen guten Glaubens sind!
Laß kommen über mich nicht Knecht und Kind!

»Geh' ich, geht mit die Luft – die Flamme weht,
Und eh' ich da, ist alles schon zu spät!
Und doch muß ich heran, daß ich's erhasche –
Ach, alles Leben hängt nur noch an Asche!«

Vorwärts! Getan den Schritt und nicht getan!
Antritt der Greis die schwerste Lebensbahn,
So leis sein Fuß, und doch so schwer sein Schritt!
Als ließ er 'n Boden weg, als nähm' er 'n mit.

Es weht – und Schritt und Atem bleiben stehn,
Als möcht' sein Dasein in sich selbst vergehn!

Und wieder steigt die Flamme himmelwärts,
Und wieder weiter gehen Schritt und Herz –
Und da ist er! – Jetzt nimm den Tod vom Grab!
Kein Staub steig' auf, kein' Asche fall' hinab!

Und überm Grab hinweg, wie Diebe leise,
Streckt, eine Zange, er die Hand ruckweise –
Vorstiert das Auge, alle seine Kraft
In einen Blick zusammen noch gerafft;
Zusammengefaßt die alte Brust noch mal,
Erstickt mit seiner Angst die Schwefelqual –

Die Asche steht und ruhig brennt das Licht –
»O Herr, mein Gott! Nein, du verläßt mich nicht!«
Die Hoffnung wächst, mit ihr die Seelenbange.
Laut pocht der Hammer, schneller ruckt die Zange,
Die Kniee schlottern, zitternd fliegt die Hand,
Zu Berge steigt das Haar, rings tanzt die Wand
Vorm wirren Aug' – ein schwirrer Schweif von Flammen!
»Herr Gott!« – Es bricht sein Lebensrest zusammen –

»Das knallte!« hüpft der kleine Schütz ans Grab,
Hebt ohne weiteres die Flamme ab –
Da sieht er den zusammengebrochen Mann:
»Großvater – ach, ich hab's aus Lieb' getan!«

Und anblickt er den Enkel mit dem Licht,
Als schaut' er in ein himmlisches Gesicht,
Und wieder droben singt's, das alte Lied zu enden:
»Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!«


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