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VII. Abwendbare Mißverständnisse als Hassursachen

Erst jetzt komme ich zu denjenigen Mißverständnissen, die der Nurpolitiker, d. h. der die Macht des Menschen auf den Gang historischer Dinge gemeinhin maßlos überschätzende Menschentypus fast allein zu sehen pflegt: Zu solchen Mißverständnissen, die ihrer Natur nach praktisch abwendbar gewesen wären, oder die es doch in Zukunft sind. Die strenge Logik erforderte hier freilich, an allererster Stelle unsere auswärtige Politik vor dem Kriege einer Kritik zu unterziehen. Dies unterlasse ich hier ausdrücklich, da dazu die Stunde noch nicht gekommen ist. Ich bemerke nur, daß unter den haßbewirkenden Momenten unsere Polenpolitik Eine vorzügliche Charakteristik unserer Polen-Politik gibt in dieser Richtung Carl Jentsch in seinem Buche: »Der Weltkrieg und die Zukunft des deutschen Volkes.« Berlin, 1915. und unsere Politik in den elsässischen Reichslanden zuerst eine Revue passieren müßte. Dann bleiben unter anderen drei innerhalb dieser Ursachengattung wichtigste Haßursachen zu nennen: 1. Der Fehlschluß des Auslandes von einem bestimmten deutschen Menschentypus, den es am meisten zu sehen bekam, auf deutsches Wesen überhaupt. 2. Die das Bild deutscher Zustände mitgestaltende Wirkung der Kritik der Sozialdemokratie an diesen Zuständen vor dem Kriege. 3. Die analoge, wenn auch anders gerichtete bildgestaltende Wirkung des alldeutschen Schrifttums.

Ganz unvergleichlich wichtiger als die beiden letztgenannten Punkte ist der erste Punkt.

1.
Der deutsche Auslandskaufmann

Welch ein Typus deutscher Mensch hat nun aber im Auslande nicht nur den allgemeinen Haß vor allem erregt, sondern wurde auch – worauf es ankommt – durch ein Mißverständnis den Völkern für das deutsche Wesen überhaupt exemplarisch? Kein Zweifel: Der deutsche Kaufmann an erster Stelle, als Verkäufer und Käufer und als dauernder Gast innerhalb der fremden Völker, an zweiter Stelle in seiner Eigenschaft als Reisender, Agent, Unterhändler. Indem sie unserer Ware folgten, die sich in Ermangelung von Siedlungskolonien und einer geographisch geschlossenen Absatzzone, an allen möglichen verstreutesten Punkten geringster Resistenz des Weltmarktes in diesen Markt einbohren mußte, – wenn wir nicht mit riesigen Auswanderungsziffern rechnen sollten –, trat für das Ausland in diesem Typus das deutsche Wesen vor allem in die spürbarste Erscheinung. Es wäre nun natürlich absoluter Unsinn, die Individuen dieses Typus in ihren menschlichen und moralischen Eigenschaften irgendwie als geringwertiger zu beurteilen als die Individuen derselben Berufe bei anderen Völkern. Aber es gibt eine soziologische Regel, die kein Individuum zu durchbrechen vermag und die bei beliebig veränderlichen Individualcharakteren der Träger des Berufes gültig bliebe. Diese Regel lautet, daß die Berufsmoral und Standesmoral eines Berufes und Standes, dazu Selbständigkeit und Takt seiner Vertreter, ich möchte sagen auch das Maß von fühlbarer und anschaulicher Freiheit im Bilde seiner typischen Erscheinung – so definierte Schiller bekanntlich das »Schöne« – sich fast haarscharf dem Maße angleichen, in dem dieser Beruf und Stand im eigenen Lande mehr herrscht oder mehr dient, höher oder geringer geachtet ist, moralisch vorbildlich in allen Dingen der Ehre und des Verhaltens, oder nicht vorbildlich, sondern abbildlich fungiert. Japaner und Chinesen mögen uns als extreme Beispiele für dieses Gesetz dienen. Es ist allen Personen, die diese Länder bereist haben, bekannt, wie grundverschieden die Berufsmoral der chinesischen und japanischen Kaufleute ist. Während der chinesische Kaufmann (besonders der des Nordens) als so verläßlich, pünktlich, ehrlich gilt, daß man häufig ohne schriftlichen Vertrag und nur auf das Wort hin seine Geschäfte mit ihm abschließen kann, bei jeder vereinbarten Unterhandlung pünktlichst erscheint, die Ware in der Qualität der Abmachung liefert, in Maß und Gewicht wenig Kontrolle fordert usw., gilt vom japanischen Kaufmann ungefähr in allem das Gegenteil. Der soziologische Grund der Erscheinung ist hier so offensichtlich, daß man unser Gesetz besonders leicht daran finden kann. Es besteht darin, daß in Japan die Kriegerkaste der Samurai und ihr berühmtes Buschidoethos jahrhundertelang das vorbildliche gewesen ist, der Kaufmann hingegen schon als Beruf sozial gering geschätzt, wenn nicht verachtet war, wogegen in China der Kaufmann neben dem Gelehrten und Beamten (eine erbliche Feudalaristokratie fehlte hier im wesentlichen) hochgeachtet und für Verhalten und Benehmen, für Sinn und Lebensform geradezu vorbildliche Bedeutung besaß.

Nun meine Herren – darüber gibt es wohl keinen Zweifel, daß in unserem Lande der Kaufmann nichts weniger als die vorbildliche Rolle spielt – zum mindesten nicht im selben Sinne wie in England und Frankreich. Ja, mit vollem Rechte läßt sich seit lange schon überall innerhalb der deutschen Kaufmannschaft die Klage vernehmen, daß der deutsche Offizier, der Beamte, die freien geistigen Berufe häufig noch die oft sonderbarsten Hinterwäldlervorurteile gegen den Kaufmannsstand hegen und praktisch an den Tag legen – unvergleichbar irgendeinem anderen europäischen Lande. Dazu kommt: Nie wurde dieser Menschentypus – außerhalb einiger freien Städte – zu selbständiger politischer Verantwortung, nie wurde er in dieser herben Schule freier Männlichkeit zu freierem Geiste erzogen – so groß, so übergroß sogar, doch gleichzeitig in der neuesten deutschen Entwicklung nicht nur seine vitale Bedeutung für des deutschen Volkes Wohlfahrt, sondern auch indirekter, sein unverantwortlicher und darum ungemessener und öffentlich unkontrollierbarer Einfluß gerade auf die außerpolitischen Akte unseres Staates geworden war. Das besagt aber: Es bestand ein geradezu groteskes Mißverhältnis zwischen der immer größer, ja unheimlich rasch größer werdenden Rolle, die durch eine einseitig starke industrialistische Entwicklung Deutschlands dem Kaufmann für die Wohlfahrt des Ganzen zugewiesen wurde und der nachschleppenden, trägen Wucht sozialer und moralischer Urteilsformen über ihn, die einem Stande der Dinge angepaßt blieben, wo er auch für diese Wohlfahrt eine noch ziemlich untergeordnete Rolle gespielt hatte. Ist es ein Wunder, daß unserem Typus vor dem Kriege daher noch Eigenschaften zukamen, Eierschalen seiner Herkunft, seines historischen Werdens und seines tropenschnellen Aufwuchses in einem noch stark feudal-militärisch und obrigkeitlichen Staats- und Sozialgefüge anklebten – Eigenschaften, die besonders der englische und amerikanische Kaufmann, seit Jahrhunderten zum Herrengefühl erzogen, mit den ältesten Aristokratien der Länder verschwägert und verwandt und vorbildlicher Gentleman in seinem Lande selbst, längst überwand? Aber auch für den französischen und italienischen Kaufmann gilt in geringerem Maße Analoges. Ist es ein Wunder, daß der deutsche Kaufmann leicht kleinlich, schwerfällig, unfrei in seinem Benehmen, schlecht angezogen, schwankend zwischen oft servilem und zu rasch sich anbiederndem, oft indiskretem und der feineren seelischen Scham entbehrendem Verhalten und – wenn dann zurückgewiesen oder zurückgestoßen – wieder hochmütig, barsch, verschlossen auftrat und im Verhältnis zu Berufsgenossen anderer Länder erst recht so erscheinen mußte? Daß er überall als unritterlich gegen die Frauen galt und ermangelnd jener wichtigen Unterscheidungskraft zwischen den Arten der Frauen und dem, was man den verschiedenen Ständen, Arten und nationalen Typen, der Amerikanerin, Französin usw. bieten darf. Daß er selbst genau wie seine Ware keine so feste, geschlossene Eigenform darstellte als seine Berufsgenossen anderer Länder und deren Ware? Daß er diese nationale Warenform, die den Stempel des Geistes seiner Nation trug oder doch tragen sollte, zu leicht für die Massenbedürfnisse seiner Käufer wechselte und sich selbst dabei preiszugeben schien, und daß er auch in den Methoden des Anpreisens, der Reklame, des Unterbietens jenes Maß berufsethischer Solidarität häufig verleugnete, das auch über Nationen und Staaten hinwegreichen sollte und bei älteren Kaufmannsvölkern auch hinwegreicht! Ach nein, das alles ist kein Wunder, ist eine Entwicklungserscheinung, wie sie der rapide, plötzliche Aufschwung dieser Berufsklasse und des deutschen Handels zur Folge haben mußte. Feudales oder – noch kläglicher – professorales oder nur lächerliches ästhetenhaftes Gekeife gegen diesen Typus oder gar der Versuch, jene alten, traditionellen, deutschen Vorurteile gegen den Handelsstand gar noch zu steigern, d. h. Kräfte zu steigern, die ja gerade diesen Typ erst mitgeformt haben und ferner wirkend verewigen müßten, helfen hier nichts. Sie bewirken genau das Gegenteil dessen, was sie erstreben. Was helfen könnte, wäre das Gegenteil: Überwindung der Vorurteile zuerst innerhalb unseres Vaterlandes und gleichzeitig Steigerung des verantwortlichen, aber gleichzeitig haarscharf auf ihre wirkliche Bedeutung begrenzten politischen Einflusses dieser Schicht im Ganzen des Staatslebens. Hintertreppeneinfluß – erzieht nur zur Lüge und zu allen jenen Eigenschaften der Servilität, die das Ausland haßt – wenn er nicht gar in unklarem Da und Dort einzelnen Vertretern des Standes eine Bedeutung gibt, die weder ihnen noch dem ganzen Berufsstande zukommen.

2.
Sozialdemokratische Kritik und alldeutsche Literatur

Rechne ich dieses Mißverständnis mit realer Grundlage zu den wenigsten in Zukunft vermeidbaren Mißverständnissen deutschen Wesens, so gehören zu den auch in der Vergangenheit vermeidbar gewesenen Mißverständnissen die – vielleicht am häufigsten wie mir scheint gegenwärtig in ihrer Rolle aus leicht ersichtlichen politischen Kampfgründen weit überschätzten – Erscheinungen der links-sozialdemokratischen Kritik unserer deutschen Zustände in Presse, Literatur, Parlament vor dem Kriege und die sogenannte alldeutsche Literatur. Ihnen beiden oder gar nur einer von ihnen die wichtigste kausale Rolle in der Bildgestaltung deutschen Wesens für die Außenwelt und den Haß gegen dieses »Bild« zuzuschreiben, dies wären geradezu kindische, nur als völlig unreife politische Kampfthesen der Linken und Rechten in Deutschland begreifliche grundirrige Behauptungen, nichts weniger also als objektive, wissenschaftliche Einsichten. – Dazu sind es höchst gefährliche Behauptungen, da diese Thesen und Contrathesen nur aufs äußerste verletzend auf die jeweilige Gegenpartei und dazu auch neue Spaltungen in unser Volk tragend wirken müssen. Denn warum hätte denn das Ausland aus dem unermeßlich reichen, mannigfaltigen deutschen Schrifttum gerade diese beiden Dinge sich ausgesucht und warum wären sie für das Ausland so oft beide so süße Rosinen gewesen, wenn nicht schon die gegebene, also nicht durch die beiden Erscheinungen erst verursachte Haßeinstellung – die aus den vorhergenannten Ursachengruppen schon längst entstanden und nur Bestätigung heischend war – diese Auswahl bereits geleitet hätte? Nur als haßnährende, nicht als primär haß verursachende Faktoren können diese Erscheinungen überhaupt ernstlich in Frage kommen. Aber auch diese haßnährende Wirkung – in der Kausalfolgeordnung eine Wirkungsart etwa fünften Ranges – soll nicht ganz unterschätzt werden.

Was nun die sozialdemokratische Kritik betrifft – die schwerste unmittelbarste Wirkung kam ihr wohl im Falle Zabern zu – so mußte sie freilich das Relief des Bildes der deutschen Zustände in allen den schon vorher bestehenden negativen Blickstellungen des Auslandes auf den deutschen »Militarismus« und auf seine Verfassungs- und Regierungsform noch erheblich vertiefen. Verwunderlich und schuldhaften Ursprungs zwar, aber doch nicht ohne sehr begreifliche Anlässe dieses schuldhaften Verhaltens, ist hierbei die zweifellose Tatsache, daß die Schärfe, Lauge und Härte dieser Kritik dem Lebensstande der deutschen Arbeiterklassen und der sozial-politischen Sorge des Staates für sie im Vergleich mit dem Lebenszustand der Arbeiterklassen und der Sozialpolitik anderer Länder und deren Kritik an den inneren Zuständen nicht im entferntesten angemessen war. Begreiflich war dieses Verhalten gleich wohl durch die Gekränktheit und das macht- und aktionsscheue Ressentiment, das in einem Teile der sozialdemokratischen Arbeiterschichten und noch viel mehr in ihren Führern durch den nationalen Boykott notwendig entstehen mußte, den ihnen die falsche – zuweilen ja auch auf das katholische Zentrum mitbezogene – Scheidung sogenannter nationaler und internationaler Parteien indirekt angedeihen ließ. Das ewige Recht der Nationen besteht eben durchaus nicht im vorgegebenen Rechte, einen eigenen Staat zu bilden – Staat kontra Nationalismus ist ja gerade der kriegerische Gegensatz der Mittelmächte zu ihren Feinden; noch weniger aber besteht dieses Recht in der sogenannten »nationalen Arbeit«; es besteht ursprünglich ausschließlich in dem Rechte auf kulturelle Freiheit und Selbständigkeit in Sprache, Religion, Sitte usw. und erst sehr abgeleiteter Weise in den ökonomisch, je national lokalisierten Interessen. Es muß aber hervorgehoben werden, daß die Sozialdemokratie in ihren ernstesten Vertretern gerade dieses wahre »Recht« der Nationen schon lange vor dem Kriege wieder vor allem hervorkehrte und anerkannte. Schon darum allein durfte man der Sozialdemokratie nicht den nationalen Sinn absprechen – auch vor dem Kriege nicht. Jede Kritik einer Partei muß ja negativ werden, wenn die erste, selbstverständliche Voraussetzung eines parlamentarischen Führers ist: Du wirst doch nie Minister oder doch verantwortlicher Mitleiter des Staates – ja kannst es gar nicht werden! Nun – das alles hat sich schon jetzt geändert und wird sich nach dem Kriege noch weiter ändern.

Wie steht es als Haßursache mit der haßnährenden Wirkung des alldeutschen Schrifttums? Daß auch diese Wirkung zur Zeit maßlos und nur aus innerpolitischen Ursachen heraus begreiflich, bei uns überschätzt wird, sagte ich schon. Nun, wie dem auch sei, schuldhaft verursacht war auch diese haßnährende Wirkung. Die Gesamterscheinung des Alldeutschtums und seiner Psyche scheint mir selbst bei uns und noch mehr bei unseren Feinden noch selten richtig erfaßt worden zu sein. Hier nur ein paar Fingerzeige dazu: Aus etwa fünf Elementen finde ich seine Seele zusammengesetzt und unter dem Druck dieses Krieges schließlich zu einer seltsamen Einheit zusammengeschmolzen. 1. Aus einer altdeutschseinwollenden, wagnerhaften Helden-Romantik, besonders grotesk in die Erscheinung tretend in allen religiösen und kirchlichen Fragen, in religionsgeschichtlichen Konstruktionen, z. B. nach der Art Chamberlains, an den Tag tretend, z. B. auch im sogenannten »deutschen Gott«. 2. Aus der formenden Bild Wirkung, die Bismarcks Gestalt – freilich gewaltig verzerrt und vergröbert – auf viele Deutschen ausübte. 3. Aus wissenschaftlich ganz unreifen und unentscheidbaren Rassetheorien. 4. Aus starken Interessen des großen Industriekapitals, dem es nicht unangenehm sein konnte, eine so schöne romantische Ideologie zum Versteck und Aushängeschild seiner sehr realen, materiellen Interessen machen zu können. Sogar mit Nietzsche etwas Ähnliches zu machen, haben ja vor dem Kriege zuweilen Wortführer dieser Interessen versucht. 5. Aus einem unbewußt wirkenden Nachahmungstrieb des englischen Jingotuns, der sich mit schärfstem Englandhasse nicht nur verträgt, sondern nach dem Gesetze »wer verfolgt, der folgt« sogar diesen Haß noch erheblich speist und steigert. Schon dieses sonderbarste Konglomerat von Elementen zeigt, daß wir es im Alldeutschtum mit einer wesentlich modernen und zweitens sehr komplizierten Erscheinung zu tun haben. Von dem Geiste des altpreußischen Konservativismus hat das eigentliche Alldeutschtum nach meiner Meinung fast Nichts in sich – wie immer es auch in gewissen Dingen momentan mit ihm zusammengehen mag. Schon die starke Nervosität der ganzen Erscheinung, ihr überstarkes undeutsches, noch mehr unpreußisches Pathos, desgleichen ihre »teutsche« Religionsromantik, vor allem aber ihr Machtgerede steht zum nüchternen, schweigenden Machtwillen, steht zur pathoslosen Schlichtheit und Gesundheit, steht zur lutherischen Orthodoxie der Junker, die mit Recht nichts von »Nationalkirchen« und »Germanengöttern« hören wollen, in allerschärfstem Gegensatz. Nun, trotz dieser Überkompliziertheit hat das Alldeutschtum oder haben doch einige seiner besten politischen Vertreter – ich rede nur von der Zeit vor dem Kriege – besonders darin politisch nicht unrecht gehabt, daß es eine starkwillige und noch mehr eine einheitlichere Leitung unserer politischen Geschicke forderte; auch haben einige aus seiner Gruppe manches richtiger vorausgesehen als Vertreter anderer politischen Gruppen: z. B. daß England im Falle eines Krieges mit Rußland und Frankreich nicht neutral bleiben werde. Solche positiveren Merkmale, Tendenzen und Einsichten verdankt es dem besten seiner Elemente, dem Vorbilde Bismarcks, von dem es freilich durch alle anderen seiner Züge, am meisten aber durch seine innere Abhängigkeit von der Schwerindustrie, den weitesten Abstand hat. Was in unserer Frage, der des Hasses, nun aber zum gröbsten Mißverständnis des Auslandes über das Alldeutschtum führte, war vor allem zweierlei: 1. Daß das Ausland Bedeutung und Einfluß des Alldeutschtums in unserem Volke und Staate bis zur Absurdität überschätzte und daß es – was noch wichtiger ist – nicht sah, daß noch kein einziger machtwilliger und machtkräftiger Mann der Weltgeschichte, erst recht kein solches Volk, die eben genannten Eigenschaften dadurch vor allem dokumentiert haben, daß sie die Idee der Macht fortwährend vergegenständlicht und von Macht fortwährend geredet hätten. Man sehe nur auf England! Immer will es und handelt es »Macht«, und immer redet es von Recht. D. h. man sah nicht, daß die gerade literarisch wirksamsten Alldeutschen den Machtwillen ja nicht – gewollt haben, sondern daß sie diesen Willen nur im Bilde ideeierten, zum theoretischen oder ästhetischen Gegenstande und Bilde machten, ihn in diesem Bildrahmen verhimmelten, sei es in Personen und Institutionen – aber ihm eben dadurch nicht in, sondern außer politische Aktion setzten. Das sehr charakteristische Zusammentun des Auslandes der mehrpolitischen Alldeutschen (Bernhardi, Treitschke, Reventlow) mit Nietzsche und Harden, ist ja leider nicht so zu verstehen – wie es immer noch etwas richtiger wäre – daß die erstgenannte Gruppe ebenso als romantische und vorzüglich literarische Erscheinung aufgefaßt würde wie die letztere Gruppe; sondern so unendlich töricht ist es zu verstehen, daß das Ausland auch Nietzsche und Harden noch für echte Machtnaturen zu halten neigt, die als politische Kräfte, und nicht der eine als ernster Philosoph und Dichter, der andere als Literat, ernst zu nehmen seien. –

Auf die rein tatsächlichen und rein aufklärbaren Irrtümer als die letzte Gruppe der Haßursachen gehe ich nicht ein, da sie der Natur nach unzählige sind.


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