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III. Größenordnung und Träger des Hasses

Es ist, was Größe und Wildheit des Hasses betrifft, eine weit verbreitete Meinung, daß Frankreich und Belgien hierin alle unsere übrigen Feinde bei weitem überböten, daß dann etwa Italien, dann Rußland, dann England unter unseren »Hauptfeinden« folge. Ich wage es nicht, hier eine endgültige Anordnung der Größenquanten des Hasses zu treffen. Aber ich möchte wenigstens einige Warnungen vor vorschnellen Urteilen über diese Frage ergehen lassen. Ganz gewiß ist, daß das, was die französische Presse, was Zeitschriftenliteratur in Druck und Bild hierin geboten hat, was die französischen Kulturträger, Akademien, Gelehrte, Künstler, Staatsmänner, Geistliche (und zwar ebenso protestantische wie katholische) sich an Urteilen über uns geleistet haben – ich habe es ziemlich genau verfolgt – weitaus das Tollste, Maßloseste darstellt, was geleistet wurde. Vielfach grenzt es an hysterisches Irresein. Beispiele seien mir erlassen Gute Beispiele gibt G. F. Steffen in seinem Buche: »Krieg und Kultur«, E. Diederichs 1914.. Nicht aber nur dem Grade nach am stärksten, auch am einheitlichsten und gleichzeitig am einförmigsten d. h. fast immer durch dasselbe Durchschnittsbild deutschen Wesens und durch dieselben Gründe gestützt, erscheint dieser französische Haß. Nirgends scheint es auch so wenig stärkere Gegenbewegungen gegen den Haß zu geben wie in Frankreich. Aber scheiden wir erstens Haß und Haßausdruck, zweitens den wirklichen Haßausdruck und denjenigen, der zu unserer Kenntnis gelangt, scheiden wir auch Stärke und Tiefe, sowie vermutliche Dauer des Hasses, so ergeben sich auch manche Einwendungen gegen dieses Urteil und dies besonders im Vergleich mit England. Während der Franzose seinen Haß stark, rasch und unmittelbar zu äußern pflegt, dazu ihn sofort literarisch und deklamatorisch zur Selbstschaustellung verwendet, ist es die Art des hierin vornehmeren und auf die Herrentugend der stolzen Selbstbeherrschung nicht grundlos Anspruch machenden Engländers, im allgemeinen immer ruhiger zu werden, je mehr er sich ärgert und je stärker der Affekt ist. Die Psychopathologen wissen, daß alle sogenannte »Hysterie« dadurch charakterisiert wird, daß der im Ausdruck symbolisch zur Schau gestellte Affekt immer weit stärker ist als der wirklich erlebte Affekt selbst. Eben noch in wilden Tränen schreiend, ißt der Patient – wenn der Zuschauer z. B. der Arzt weg ist, ruhig einen vorher verborgenen Apfel. Aber ein wenig »hysterisch« ist unser westlicher Nachbar überhaupt; dazu pflegen sich Massenaffekte schon als solche hysterischen Symptomen zu nähern. Jedenfalls gilt: Der Franzose tut im Ausdruck seines Hasses gerne etwas hinzu, wogegen der Engländer gerne etwas wegnimmt. Und damit hängt eng zusammen, daß der Franzose sich leicht aushaßt – wogegen der Engländer sich im Zeitverlaufe eher einhaßt. Dort eher wildes Augenblicksfeuer, hier stetes Wachstum einer sich immer tiefer in die Seele einsenkenden Kraft. Bei allen Kriegen (z. B. Burenkrieg) Englands war seine öffentliche Meinung zuerst gegen den Krieg, um dann immer stärker und eigensinniger für ihn zu werden. Nichts z. B. ist offensichtlicher, als daß bei uns in Deutschland der Haß gegen England seit Anfang des Krieges stark abgenommen hat, daß hingegen der englische Haß gegen uns, der anfangs nur gering schien, fortwährend und stetig gewachsen ist. Aber auch die Einheitlichkeit des französischen Hasses darf nicht ohne weiteres nach den uns zugänglichen Zeugnissen bemessen werden. Es geht nicht an, in genau analoger Weise, wie wir z. B. aus der englischen Presse auf Englands wirkliche öffentliche Meinung und auf ihre Zusammensetzung schließen dürfen, ebenso aus der französischen Presse auf die französische wirkliche öffentliche Meinung und ihre Zusammensetzung zu schließen. In Frankreich sind zur Zeit alle faktischen Gegenbewegungen gegen die Ächtung Deutschlands, teils durch die eminent scharfe Zensur, teils durch die Furcht vor Ächtung seitens der herrschenden Kreise fast vollständig unterdrückt. Der alte Zentralismus Frankreichs reicht bis ins Geistige hinein. In England, ja selbst in Rußland besteht hierin eine weit größere Freiheit. Es können daher starke Gegenbewegungen gegen den allgemeinen Deutschenhaß in Frankreich da sein, die nur zur Zeit gänzlich verborgen sind. Denken Sie eine politisch neu geartete Regierung in Frankreich – und das ganze Relief der öffentlichen Meinung könnte mit einem Schlage ein neues Gesicht zeigen. Ähnliches wäre in England als Folge eines Regierungswechsels z. B. völlig ausgeschlossen. Denken Sie sich etwa die Zersetzung des französischen Radikalismus, der sich in so vielen Zeichen jetzt offenbart, fortschreitend und eine royalistische Partei ans Ruder kommend, so würde bei der besonders großen Bedeutung, die in Frankreich politische Struktursympathien und Antipathien gegenüber den reinnationalen Interessen besitzen, es nicht ausgeschlossen sein, daß Friedens- oder nach dem Krieg Vereinbarungsneigungen mit uns in die Erscheinung träten. Ähnliches wäre in England ganz undenkbar, – womit ich nicht sagen will, daß nicht englische Berechnung gleichfalls zu Vereinbarungstendenzen führen könnte. England, der geborene »Herr der Völker«, kennt keine solchen politischen Struktursympathien als Faktoren der Gestaltung der äußeren Politik. Starr und fest im Wechsel seiner Kabinette standen immer die Dogmen seiner auswärtigen Politik. Auch von England freilich darf man nicht erwarten – was heute wie mir scheint zu viele Deutsche tun – daß die nüchterne Berechnung seiner Interessen ohne weiteres stärker sein Handeln bewegen wird wie sein Haß, daß es z. B. ernsten Friedenswillen zeigte, wenn seine Interessen ihm dies zu gebieten scheinen. Gewiß ist der Engländer auch im Kriege ein kluger Kaufmann, aber er ist auch eigensinnig zäh und konstant in seinem Haß und er handelt aus »Charakter« oft auch gegen sein Interesse. Auch sein Cant, mit dem er seine Interessen zuerst nur hinter moralischen Redefiguren versteckt, kann so groß und so sehr »zweite Natur« werden, daß er ihn gleichsam übertölpelt und sein politisches Handeln wahrhaft bewegt. Ja, könnte Herr Grey es allein entscheiden, so bin ich überzeugt, daß dieser nüchterne altenglische Staatsmann in seinen Entschlüssen die Interessen Englands allein zu Rate zöge. Aber auch Herr Grey kann nichts Endgültiges gegen die immer gewichtiger gewordene öffentliche Meinung Englands tun und der Haß der englischen Mittelstandsmasse ist im Laufe der Kriegszeit in stetem Wachstum gewesen. Eines freilich ist sicher: der englische Haß ist schon vermöge der gemischt nationalen Zusammensetzung des Inselstaates lange nicht so einheitlich, auch nicht so einförmig wie der französische Haß. Nicht nur bei den Iren, auch – was sehr merkwürdig ist – bei den Schotten ist er (nach Steffens gut belegtem Urteil) geringer als bei den Engländern im engeren Sinne. Der russische und italienische Haß gegen uns haben gegenüber dem englischen und französischen ein Moment gemeinsam: Daß die in diesen Ländern lebenden deutschen Elemente es sind, die besonders durch ihre wirtschaftliche Überflügelung und Verdrängung der Landeseinwohner das primäre Objekt des Hasses gebildet haben. Erst von ihnen aus wurde der Haß auf unser Volk und unseren Staat übertragen, – der Deutschenhaß zum Reichshaß. Bei dem italienischen Haß ist besonders merkwürdig die Tatsache, daß er vor dem Kriege – jeder Italienreisende konnte dies erfahren – weit stärker die Österreicher traf als die Reichsdeutschen, daß aber seit Beginn des Krieges und in seinem Verlaufe die Sprache der Äußerungen der italienischen Kulturträger gegen uns Reichsdeutsche eher noch schärfer geworden ist, als gegen die Österreicher. Mag dies damit zusammenhängen, daß man für den Verrat und den schändlichen Treubruch nachträglich eine ganz besondere Rechtfertigung suchen zu müssen meinte – niemand haßt man mehr als den, den man beleidigte und ungerecht behandelte – so ist das doch nicht der Hauptgrund dieser seltsamen Erscheinung. Es dürfte darin liegen, daß der Krieg einen aufmerksameren Vergleich des italienischen und reichsdeutschen Kulturtypus ausgelöst hat, und daß von diesem nichtstaatlichen Gesichtspunkte aus die Gegensätzlichkeit des reichsdeutschen Typus, besonders des preußischen zum italienischen in der Tat noch viel tiefergehend ist als die Gegensätzlichkeit des österreichischen zum italienischen.

Interessanter und wichtiger als diese Frage nach der Größenordnung des Hasses bei den Völkern wäre die Frage, welche Volks elemente und Volks klassen es sind, die in den Völkern und Staaten die vorzüglichen Träger des Hasses gegen uns sind, resp. nach welchen soziologischen Einheitsbildungen (Rasse, Religion, Beruf, Stand, Klasse) der Haß vor allem wirksam ist. In extenso ist diese Frage noch nicht zu beantworten. Aber dies scheint mir bei allen unseren feindlichen Nationen ein gemeinsames Moment zu bilden, daß überall die großen Massen der bürgerlichen, gewerblichen und kaufmännischen Mittelklassen die Hauptträger des Hasses sind, also weder die Arbeiterklassen, die am Hasse ziemlich genau in dem Maße beteiligt sind, als ihr Lebensstand höher ist und als sie an der Erhaltung der vom Bürgertum getragenen Wirtschaftsorganismen ökonomisch interessiert und in den Haß mit hineingezogen sind (da sie es in Italien, Serbien und Rußland weniger sind als in England, Frankreich, Belgien, ist ihr Haß in diesen Ländern auch geringer) noch konservativer Adel, Großgrundbesitz, hohe Finanz. Was England betrifft, ist der »Mittelstandshaß« gegen Deutschland sprichwörtlich schon lange vor dem Kriege gewesen. Bei seinen Arbeiterführern und in den Kreisen des Oberhauses (aus dem weitaus die maßvollsten Reden über uns gehört wurden) ist der Haß noch relativ am geringsten. In Italien waren die linkssozialdemokratischen Elemente wie die streng monarchistischen und klerikalen Kreise die schärfsten Gegner des Hasses wie des Krieges. In Rußland sind die hochkonservativen Kreise, der Adelsklub z. B., wie die radikalen Träger der Revolution noch unsere vergleichsweise besten Freunde, die liberalen Handels- und Industriekreise aber unsere schärfsten Feinde. Und selbst für Frankreich, wo der Haß auch klassenmäßig gesehen der einheitlichste und am wenigsten zerteilteste ist, gilt, daß nicht nur die Sozialdemokratie (sowohl die Kreise um Jaurès als die Syndikalisten) sondern auch – was man weniger zu wissen pflegt – die streng royalistischen, kirchlichen und kulturnationalistischen Kreise sich am Deutschen haß relativ am wenigsten beteiligen. Es ist der republikanische, auf den Ideen von 1789 fußende Nationalismus, nicht der royalistische, der positivistische, nicht kulturell klassizistische Nationalgedanke, in dem sich die allgemeinfranzösische Revancheleidenschaft Siehe meine psychologische Analyse der Revancheidee im »Genius des Krieges«. mit dem politischen Hasse gegen unsere monarchisch-militärischen Institutionen, gegen unsere Organisation, gegen unsere organische Einheit von Staat und Kirche, zu einem Gesamtstrome stärkt und vereinigt, welche die primären Träger des französischen Hasses gegen uns sind. Der politisch fundierte Haß ist aber in diesem Kriege überhaupt mindestens ebenso stark, wie der national fundierte. Der Royalismus, der Klassizismus, der den französischen Machthabern stets feindliche sogenannte esprit nouveau der französischen Jugend sind vor dem Kriege schon darum nicht die Hauptträger des französischen Hasses gewesen, da sie vor dem Kriege sehr starke ethisch und politische Struktur sympathien zu Deutschland, besonders auch Sympathien zum deutschen Kaiser, zur Figur Bismarcks usw. besaßen, da sie zweitens auf Grund ihrer mehr oder weniger prinzipiellen Feindschaft gegen die gegenwärtige Republik diese für unfähig hielten, einen siegreichen Krieg gegen uns zu führen und da sie drittens bei schärfster Betonung, ja Wiederauffrischung der Revancheidee seit dem Marokkoabkommen gleichwohl diese Idee nicht als eine nach außen wirkende Kriegsursache, sondern nur als nach innen wirkende erzieherische Leitidee für die geistige Erweckung des jungen Frankreich zu gesinnungs-militärischen nationalen Lebensformen betrachteten. Die schärfste Kritik der gegenwärtigen Machthaber, meist unter Ausdruck starker Achtung, ja Sympathien für die Deutschen ist in Feldpostbriefen von diesen Kreisen auch während des Krieges ausgegangen, und ein Royalist war es z. B., der die zweite Rede Bergsons über die deutsche Organisation als eines »öden geistlosen Mechanismus« durch eine sehr treffende Kritik ad absurdum führte. An dem Barbarengeschrei beteiligten sich diese Kreise am wenigsten und konnten es auch konsequenterweise gar nicht, da sie seit Jahren die Ideen von 1789, besonders Rousseau und die demokratische Gefühlsromantik für die Wurzel aller Barbarei, auch in ihrem eigenen Lande, erklärt hatten.

So also ist es überall der mittlere Mensch, der kulturelle wie ökonomische Mittelstandstypus, z. B. in England nicht der ruhig vornehme Greytypus oder der Ramsaytypus, sondern der Lloyd Georgetypus, der am giftigsten gegen Deutschland keift.

Meine über die Hintergrundsursachen aufgestellte These wird also hierdurch nur bestätigt.

Gegen diese klassenmäßige Verwurzelung des Hasses tritt die rassenmäßige z. B. panslavistische – wie ich hier nicht zu beweisen brauche – stark, die religiöse fast vollständig zurück.

Doch wenden wir uns jetzt unserer Hauptfrage, der Frage nach den unmittelbaren Ursachen zu.


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