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Buchschmuck

Der Vogt von Tenneberg.

... ûf einer linden saz...

       Parzival, 248, 14

I.

Ich bin der Vogt von Tenneberg,
Den Minne nie befangen,
Im Lindenwipfel streck' ich mich
Und laß die Beine hangen.

Mit Heeresfolg' im Eisenkleid
Und blankem Ernst der Waffen,
Mit Burghut und mit Wildgejaid
Hab' ich vollauf zu schaffen.

Und lieg' ich still, so harret mein
Ein trauter Hausgeselle,
Der führt den Namen Bruder Wein,
Im Spitzglas blinkt er helle.

Sanft pflegt mir der den müden Leib
Und freudigt Herz und Sinne,
Das minnigste, sinnigste, süßeste Weib
Bleibt doch eine Valandinne.

Und käm' Britannias Königin
Mit allen Frau'n vom Hofe,
Ich rückt' vom Platz nicht, drauf ich bin,
Und spräch zur schönsten Zofe:

Ich bin der Vogt von Tenneberg,
Den Minne nie umfangen,
Im Lindenwipfel streck' ich mich
Und laß die Beine hangen.

H. Hollands Geschichte der altdeutschen Dichtkunst in Bayern, Seite 167, entnehme ich die hierher passende Anmerkung:

»Das Mittelalter liebte die Sitte, in den Gipfeln von großen Bäumen, insbesondere der Linden und Eichen, Gerüste mit Geländern zur Aussicht in die Weite und eine Art Sommerhäuschen zu bauen, auf denen man sich vergnügte, schmauste, trank und von denen herab häufig auch Prediger zum Volke sprachen, z. B. jener berühmte Prediger Berthold. Vergl. J. Grimm, Wiener Jahrb. d. Literatur 1825, B. 32, p. 203 ... die Sitte wurzelte wahrscheinlich im alten Götterkult, der ja am liebsten seine Bilder auch in die Bäume setzte.« – Eine also zu sommerlichem Sitz hergerichtete Linde, zu welcher eine Leiter emporführt, steht oder stand auf der Anhöhe über Waltershausen.

II.

Ich bin der Vogt von Tenneberg
Und auch von Waldrathausen
Und pfleg' im Lindenwipfelwerk
Als wilder Falk zu hausen.

Was ficht der Tuck der Welt mich an
Samt allen Teufelslisten,
Kann ich, ein frühlingsseliger Mann,
In reinen Höhen nisten!

O honigschweres Blütenhaus!
O wunderwürzige Räume!
Die Biene nur summt ein und aus,
Sie summt mich sanft in Träume.

Jüngst aber kam vor meinen Thron
Ein fremder Knab' geflogen,
Kupido, Frauen Venus Sohn,
Mit Köcher, Pfeil und Bogen.

Er rief: »Ich geh' dich kampflich an,
Hagstolzer Tennebergaere,
Dieweil du dich so hoch getan
Und weigerst mir die Ehre!«

Er schoß mit Pfeilen, schwirrt' und pfiff,
Als müss' ihm Sieg gelingen,
Da tat ich einen festen Griff
Und packt ihn an den Schwingen.

Zur Stund' zerging des Unholds Freud',
Ich hielt ihn am Gefieder,
Ich hab' ihn weidlich durchgebläut,
Er kommt mir nimmer wieder!

III.

Das war der Vogt von Tenneberg,
Den Minne nie umfangen.
Mit Weib und Kind selbsiebent kommt
Vergnügt er jetzt gegangen.
Das jüngste spielt ihm auf dem Arm
Mit Bart und Harnischkette,
Er schafft ihm Brei und hält es warm
Und legt es auch zu Bette:

        »Wigen wagen, gugen gagen,
        Ach mir tagen sanfte Plagen,
        Schreier, Schreier, kleiner Schreier, schweig, ich will ja gern dich wagen!«

Das war der Vogt von Tenneberg,
Den Minne nie umfangen.
Im Lindengrün zum Trocknen jetzt
Gewaschne Windeln hangen,
Und stille ward es, mäusleinstill
Im Wipfel und am Stamme,
Er singt nur, wenn der Dienst es will
Zur Ablösung der Amme:

        »Wigen wagen, gugen gagen,
        Ach mir tagen sanfte Plagen,
        Schreier, Schreier, kleiner Schreier, schweig, ich will ja gern dich wagen!«

Sol ich disen sumer lanc
bekümbert sin mit kinden
so waer ich lieber tot,
des ist mir min vröude kranc
reigen, o we dirre not!
wigen, wagen, gugen, gagen!
wenne wil ez tagen?
minne, minne, trute minne, swig, ich wil dich wagen.

amme, nimm daz kindelin
daz es niht enweine;
als lieb, als ich dis si.
Ringe mir die swaere min,
du maht mich aleine
miner sorgen machen vri.
wigen, wagen, gugen, gagen!
wenne wil ez tagen?
minne, minne, trute minne, swig, ich wil dich wagen.

Mit diesem ergötzlichen Wiegenlied beschloß einst der waldfröhliche Schwabe, Herr Gotfrit von Nifen, die farbenbunte Reihe seiner Minnegesänge.


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