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Buchschmuck

Altfranzösisch

La régine Avillouse.

Frühlingstanzreigen

La régine Avrillouse

1) Al entrade pel tens clar                eya!
pir joie recomençar                eya!
et pir jalous irritar                eya!
vol la Régine monstrar
k'ele est si amorouse.
        Alavi, alavi, jalous
        lassaz nos, lassaz nos
        ballar entre nos, entre nos!

2) Ele a fait par tout mandar
non sie, jusqu'à la mar
pucele ni bachelar
que tuit ne vengnent dançar
en la dance joiouse.
        Alavi etc. etc.

3) Le reis i vent d'autre part
pir la dance destorbar
que il est in cremetar
que on li vuelle amblar
la Régine Avrillouse.
        Alavi etc. etc.

4) Mais por neient li vol far
k'ele n'a soig de viellar
mais d'un légeir bachelar
ki ben sache solaçar
la donne savorouse.
        Alavi etc. etc.

5) Qi dont la véist dançar
et son gent cors deportar
ben puist dire de vertar
k'el mont non siè sa par
la Régine joiouse.
        Alavi etc. etc.

Mitgeteilt von Leroux de Lincy in P. Lacroix und F. Seré, le moyen âge et la renaissance, Paris 1851. tom II. Das graziöse Lied, den letzten Dezennien des XII. Jahrhunderts entstammt, in der Mundart von Poitou gedichtet, ist eine jener Tanzweisen (von dem sich Vorwärts- und Zurückbewegen der Gruppen latein. retroientia, provenzal. retroensa, französ. retrowange genannt und in Deutschland als Ridewanz volkstümlich geworden), welche das uralte Motiv germanischer Reigenlust, den mit Gesang und strophischem Tanz geordneter Scharen unter Vorantritt von Mummgestalten sich vollziehenden Kampf und Sieg des Frühlings über den Winter, darstellen; hier in der höfisch feineren Symbolik des Zwistes der jungen, lebensfreudigen Maikönigin mit dem alten grämlichen Gemahl. Die französische Frühlingszeitrechnung ist der deutschen um einen Monat voraus. Was diesseit des Rheines der Mai vorstellt: Blütezeit, kosendes Erwachen der Schönheit und strahlende Jugend, ist jenseitig schon der April.

1.

Genaht voll Glast und Sonne
Ist uns die klare Zeit,
Die Welt schwebt neu in Wonne,
Der Eifersucht zu leid;
Ein Hauch von Flöten und Geigen
Kommt durch die Luft geweht,
Die Königin will zeigen,
Daß sie zu scherzen versteht.
        Auf die Flucht, Eifersucht!
        Schleich beiseit, finstrer Neid!
        Wer will uns verwehren
        Ein Tänzlein in Ehren
        Und ganz unter uns?

2.

Sie hieß die Boten traben
Allum bis an das Meer:
»Jungfräulein, Ritterknaben,
Ihr alle müßt mir her!
Die Füße sind zum Springen,
Die Rosen sind zum Kranz,
Ihr sollt euch alle schwingen
Im heitern Ridewanz.
        Auf die Flucht, Eifersucht,
         Schleich beiseit, finstrer Neid!
        Wer will uns verwehren
        Ein Tänzlein in Ehren
        Und ganz unter uns?«

3.

Da von der andern Seiten
Tritt der Herr König ein,
Er will den Tanz nicht leiden
Und griesgramt: »Haltet ein!
Ihr Völklein sollt verspüren,
Daß ich ungnädig bin,
Und sollt mir nicht entführen
Meine Frau Königin!
        Auf die Flucht, Flattersucht,
        Tritt beiseit, Leichtsinnigkeit!
        Wer wagt hier solch Kosen,
        Solch Scherzen und Tosen?
        Der Lärm nehm' ein End!«

4.

Sie lacht: »Ihm wird sein Willen
Um keinen Preis getan,
Denn unsre Wünsche stillen
Kann kein steinalter Mann;
Das kann nur ein jungfeiner,
Ein Baccalaureus,
So zart wie der weiß keiner,
Wie man uns trösten muß.
        Auf die Flucht, Eifersucht,
        Schleich beiseit, finstrer Neid!
        Wer will uns verwehren
        Ein Tänzlein in Ehren
        Und ganz unter uns?«

5.

Wer sie nun sieht entschweben,
Wie sie den schlanken Leib
Zu wiegen weiß und heben,
Der spricht: »O selig Weib!
In aller Herren Reichen
Bis nach Arabia hin
Hat nimmer ihresgleichen
Die lustige Königin!
        Auf die Flucht, Eifersucht,
        Schleich beiseit, finstrer Neid!
        Wer will uns verwehren
        Ein Tänzlein in Ehren
        Und ganz unter uns?«

Chrestien von Troies.

»de iolif cuer chanterai
bone amor men prie..«

Crestien von Troies sei darum mit einem Liede aufgeführt, um an den großen Einfluß zu erinnern, den seine zahlreichen Schöpfungen auf zeitgenössische deutsche Meister ausübten; Wolfram von Eschenbach wie Hartmann von Aue haben ein gut Teil ihres epischen Ruhmes dem champanischen Trouvère zu verdanken. Vergl. W. L. Holland, Crestien von Troies, eine literaturgeschichtliche Untersuchung, Tübingen 1854 und li romanes dou chevalier au lyon, Hannover 1862. Den Text des vorstehenden Liedes gibt W. Wackernagel, Altfranzösische Lieder und Leiche, Basel 1846. nᵒ VIII li rois Richar (mitgeteilt von Wackernagel a. a. O. nᵒ XXII.) mag eine Anschauung geben, wie in einer Zeit, die keine gedruckten Parlamentsreden und keine telegraphierten diplomatischen Noten als Mittel der Politik kannte, die »chanson« ein mächtig Werkzeug im Munde der Herrscher sein konnte. Der Schmerzensruf des gefangenen Königs an seine Vasallen in England und auf dem Festland, warnend, ihm bei den Angriffen der seine Haft benützenden Krone Frankreich nicht treubrüchig zu werden, mahnend, das notwendige Lösegeld mit Anstrengung aufzubringen, konnte, durch ergebene Minstrels von Burg zu Burg versungen, aufstachelnder Wirkung nicht verfehlen. Die Schwester, an die der Schluß sich wendet, ist wohl Johanna, vermählt in zweiter Ehe mit Raimond V., Grafen von Toulouse, den König Richard der Lehenabhängigkeit von ihm und seinen Nachfolgern entbunden hatte und von dem er für diesen Dienst Gegendienst zu heischen berechtigt war. – Am 24. März 1193 war der auf der Heimkehr von Syrien in Oesterreich Gefangene auf die Reichsfeste Drivels eingebracht worden. Die Auftreibung der auf den gewaltigen Betrag von 100 000 Mark Silbers vor der Entlassung und 50 000 nach der Entlassung erhöhten Loskaufsumme verzögerte seine Befreiung. Am letzten Februar 1194 öffnete sich ihm das deutsche Burgtor für immer. Unter seinen Rittern, die als Geiseln für Erfüllung der Freilassungsbedingungen dem Kaiser Heinrich VI. sich stellten, war Hugo von Morville, der als Trost in Haft die französische Lanzelotdichtung mit sich führte, welche Ulrich von Zazinhoven verdeutscht hat

»Gedenke an den von Engellant
Wie tiure man den loste dur sin milten hant«

sang damals Walter von der Vogelweide. Im Stegreif Seite 22. Vergl. Iwein 527.

Adventiure? waz ist daz?
das wil ich dir bescheiden baz.
nû sieh wie ich gewâfent bin:
ich heize ein rîtr und han den sin
daz ich suochende rîte
einen man der mit mir strîte
der gewâfent si als ich.
daz prîset în, ersleht er mich:
gefige ick aber îm an
sô hat man mich für einen man
und wirde werder danne ich sî.

Aus zartem Herzen sing' ich nun:
Was Minne heischt, gewähr' ich gern,
Und allzeit will ich zärtlich tun,
Grobdörperlicher Rauheit fern.
Von Minne stammt das beste Gut,
Drum leb' ich ohne falschen Mut
Und seh' mich ungern streng kasteit...
Ein feines Herz kann anders nicht,
Es liebt mit Zärtlichkeit.

Daß hoch in Freuden schwebt mein Sinn
Ist, süße Freundin, Eure Schuld,
Drum wißt, solang ich lebend bin,
Will ich als Lehmann Euch um Huld
Treu dienen; sonst ertos' ich wild...
Wo trägt die Welt Eu'r Ebenbild?
Ihr seid des Guten Ueberschwang
So ganz, daß ich ersterben muß,
Bleibt ungestillt mein Drang.

An Euch, o schöne Frau, gesetzt
Hab' ich mein Leben, Leib und Glück,
Solang ein Atemzug mich letzt,
Weich' ich kein' Fußbreit mehr zurück...
Nur ein Ersuchen trag' ich vor:
O schenkt, solang Ihr lebt, kein Ohr
Der Schwätzer und Verleumder Rat:
Ein frankes Herz bleibt kühl wie Eis
Bei züngelndem Verrat.

König Richard von England. In der Gefangenschaft auf der deutschen Reichsveste Drivels. Winter 1194.

»J'ai nuls hons pris ne dirait su raixon«

Nie trieb ich Menschenfang und derlei Dinge
Und nie ging anders als gradaus mein Gang,
Nun lieg' ich selbst verstrickt in fremder Schlinge
Und suche Trost und Stärkung im Gesang.
Viel' Freunde zählt' ich... keine Gabe fällt...
Schmach über sie! um schnödes Loskaufgeld
        Duld' ich zwei Winter schon des Kerkers Not.

Wohl wissen meine englischen Barone
Norman, Gaskon, Poitous Ritterschaft,
Daß ich mit Freuden meine Königskrone
Für sie verpfände, fielen sie in Haft.
Und fehlte nur der ärmste Schildgefährte,
Ich ruhte nicht, bis er mir wiederkehrte:
        Doch immer noch duld' ich des Kerkers Not!

Klar seh' ich nun: wer tot und wer gefangen,
Hat keinen Freund und keinen Vetter mehr,
Und kommt man, Gold und Silber zu verlangen,
Ist jeder arm und jede Truhe leer.
Mir tut's um mich, mehr um mein Volk noch leid.
Nach meinem Tod flucht man der Knickrigkeit,
        Die mich vergehn ließ in des Kerkers Not.

Staunt ihr, wenn Schmerzen mir das Herz durchbohren?
Der eigne Lehnsherr wüstet mir mein Land,
Uneingedenk des Schwures, den wir schworen.
Daß er und ich in einem Treuverband.
Doch läßt man rechts wie links von Eid und Pflicht,
Ich halte fest, und Frieden schließ' ich nicht,
        Solang ich dulde in des Kerkers Not.

Wohl wissen es in Anjou und Touraine
Die feinen Knappen, die verständ'gen Herrn,
Daß ich schon lang in fremden Banden gähne
Und daß der Löwe seinem Erbland fern,
Einst galt ich viel dort, jetzt kein Körnlein Sand:
Die schönsten Waffen rosten an der Wand,
        Und fort und fort duld' ich des Kerkers Not.

Und ihr, Zeltbrüder, die ich immer liebte,
Ihr von Kaheu und aus der Perschermark,
Spricht wahr das Lied, daß sich der Friede trübte,
Wo nie mein Herz gedacht an Falsch und Arg?
Bekriegt auch ihr mich? – Hei, selbst ein Vilân
Hätt' solchen Schimpf dem Herrn nicht angetan,
Derweil er duldet in des Kerkers Not.

Frau Gräfin Schwester, Euer Oberherr
Schickt aus der Haft Euch seinen Brudergruß ..
Weh dem, durch dessen Ränke und Gezerr
Sein starker Arm in Fesseln rasten muß.
Vermeldet ihm, – Ihr wißt, von wem wir sprechen,
Kein Räuber soll sich meines Rechts erfrechen,
        Der Mutter Erbe lass' ich nur im Tod!


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