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Der liebevolle Feind.


Ulfeld starrte Eleonoren an, die mit gefalteten Händen vor ihm stand. Dann zog er sie hastig mit fort nach dem Boot. Doch zu spät. Der Weg ward ihnen vertreten.

In wessen Namen? Einen dänischen Edelmann! Einen schonischen Edelmann! sagte er dem Führer derselben trotzig. Ich bin Ulfeld.

Den wollen wir eben! – In des Königs Namen! In die Rosenburg! erhielt er zur Antwort.

Also eine Gewaltthat vor der Hand! sprach er, und führte sein Weib in das Schloß Rosenburg, nachdem er Jeden zu erstechen und zu erschießen gedroht, der ihm näher als zwanzig Schritte vom Leibe zu folgen wage.

Sie waren aber keine Stunde im Gefängniß, als Hannibal Sehested mit seiner Gemahlin Christiana, Eleonorens Schwester, zu ihnen eintrat. Er fiel Ulfeld um den Hals, und verkündigte ihm mit Freuden seine Freiheit – aber aus schwedischen Händen, weil ihn die Königin Hedwig Eleonore auf seine Fürbitte begnadigt. Er war außer sich, daß Ulfeld geflohen und nun Alles Schweden verlieren werde.

Dummheiten! – sprach Eleonore aus ihrem Traume zu ihm. Die dänische Freiheit, die bringe uns, Hannibal! Schwager! Mensch!

Hannibal hatte innerlich jene sonderbare Freude – die Freude der Kränkung an seiner schönen Geliebten, der hier es, durch ihn es mit Ulfeld so schlecht ging. Und, um selbst Eleonoren nur ein Mal zu sehen, hatte er es zugleich seinem Weibe Christiana verstattet, die dagegen, unter dem Wunsche, ihre Schwester Eleonore zu trösten, auch nur Ulfeld ein Mal aus alter, doch immer noch junger Neigung, den alten Geliebten zu sehen, zu sprechen, zu trösten gemeint. Denn ein, sogar heimlich liebendes, Weib, glaubt immer zu trösten und trösten zu können. Das that ihr wohl. Sie weinte leis' über Ulfeld's Geschick; das that Eleonoren nicht weh, denn sie hätte auch lieber geweint, aber Sehested schien oder war auch innig gerührt über ihr Unglück oder ihre Demüthigung; das stach ihr in's Herz, und sie sprach mit Heldenmuthe weiter: Der Kopf einer Frau soll nicht sein wie des Mondes Kahlkopf, dem keine Haube lange paßt – weil ihm der Kopf schwindet und zu Zeiten ganz weg ist. Und doch gleicht mancher Weiberkopf dem Mondskopf, worinnen der Schatten des ruhigen Mondmannes arbeitet – wenn der Kopf wieder sichtbar ist; sonst ist ihr Kopf und der Mann nicht da, und arbeitet nicht in ihm. In meiner Seele aber steht mein Mann fest, und sein Gesicht bewegt mir Herz und Gemüth, wie die Sonne im Brunnen sich regt und selber die Tiefe erleuchtet, und jedes Sandkorn klar und sichtbar macht.

Sie schämte sich ihrer bei diesen Worten; denn sie merkte, daß sie anfing, sich seiner zu schämen, weil sie sich in ihre weibliche Ehre flüchtete und flüchten mußte. Da überkam sie aber zum Glück das Gefühl, daß man ihm jetzt und ganz unschuldig – vor den äußern Augen ihres Bruders, des Königs, und aller Dänen ganz himmelschreiendes Unrecht that. – Man übt Gewalt an ihm! rief sie fast unanständig laut! Er ist das Opfer der Herrsucht der Königin! – Sie hatte schon Sperling's Papiere gelesen, und fuhr also fort: O, wir wissen Alles!

Sehested hatte heimlich einige Rosmarinzweige mitgebracht, deren Geruch Eleonoren an ihren ersten Geliebten, den an den Blattern gestorbenen, jungen Prinzen Moritz von Nassau erinnern und ihr den Ulfeld zum Schatten machen mußte. Die Wirkung dieses ihr unerträglichen, brustbeklemmenden Todtenkranzduftes blieb nicht aus; sie ward weichmüthig, verzagt, verstand aber ihr Herz nur so, als wenn sie die Ahnung alles künftigen Unglücks mit Macht überkomme – und weinte doch leise vor Zärtlichkeit. Sie mußte aber die Fenster öffnen, winkte ihrer Schwester und zeigte ihr, zu anderer Deutung ihrer Thränen, eine Zeile in Sperling's Nachrichten, wo er ihr auch meldete, daß ihr Bruder Waldemar in Böhmen gestorben sei. Er war auch Dein Bruder, sprach sie; und die Schwester weinte nun auch.

Die Männer ließen die Weiber, und Sehested sprach zu Ulfeld: Ich kenne Dich, Freund und Schwager. Deine größte Furcht ist, daß der König im ganzen Lande allein frei werden soll, und das ganze Land, das heißt alle Menschen, Männer, Weiber und Kinder, dafür zu Sklaven. Die Adlichen aber zumeist, die es am meisten empfinden, ja fast allein, als die Alleinklugen.

Die alten Götter und Helden rauften sich die Haare darüber aus! sprach Ulfeld; mein Vater, der alte Kanzler, wendete sich im Grabe um. Unsrer Völker Urstimmung ist Freiheit. Nur der Tapferste war im Kriege Herzog oder König, und im Frieden war Jeder, der Mann hieß, wie König; Jede, die Frau hieß, wie Königin! Die Urstimmung, der Urgebrauch eines Volkes wird nicht aus den Herzen desselben gerettet, so lange ein Bettelmann in Lumpen noch sein Wesen und seine Züge im Lichte der Sonne darstellt; zur Urstimmung, zu den Urgebräuchen drängt Alles geheim und laut, ja, sich unbewußt, zurück. Und giebt es in einem Menschenherzen auf Erden wohl schönere Stimmung und schönern Gebrauch, als das Urrecht und als das Urgefühl: Niemand ist besser als Ich, wenn ich gut bin? Nur darum sind jetzt so Viele denn böse und grimmig – und gerade die Besten, auch Ich, auch Du, auch Wir! Oder wir sind Hunde, auch Ich, Du, Er, Wir, Ihr, Sie ... der Athem verging ihm, er konnte nicht weiter.

Sei unbesorgt, edler Mann und Freund! tröstete ihn Sehested. Der König ist brav! Der König hat nicht den Muth, dem Volke, aus dem er geboren ist, dem und zu dem er gehört, wie die Eichel der Eiche, also seiner Väter Millionen Kindern und also seinen Millionen Brüdern ihre Rechte aus den Händen zu nehmen, zu empfangen, noch weniger sie ihnen zu entspielen. Die Sachen stehn so: Unser ganzes Vaterland liegt seit dem Frieden in den allererbarmungswürdigsten Umständen hart danieder. Es ist krank, sehr krank, todtkrank. Es hat noch alle Glieder und kann doch keins rühren. Wie ein großer, prachtvoller Münster ist es von einem Geiste angeblasen, zerfallen und nun will es kein Geist wieder zusammen blasen! Es ist geronnen, zerfahren wie Milch; aber Rahm schlägt auf, sie kann, was sie soll – noch Butter werden, und die herrsüchtige Königin will das Land zusammenbuttern, und das Butterfaß ist der jetzige Reichstag! Aber sobald als Butter wird, will sie es zerschlagen, und das Vaterland in ihren Stall als gute Nutzkuh führen. Der junge Schuhmacher, unsres Feindes, des Bischofs Brockmann, Zögling und junger Hannibal, hat ihr den Feldzugsplan entworfen, oder wenigstens das Ziel aufgesteckt. Weil die Königin sich an die Spitze dieser Verschwörung gegen Deine Königscapitulation gestellt – wodurch er sich freilich auf Gnade und Ungnade ergeben, so hängen sich heimlich Alle an ihren Rock, die vom Wohl des Vaterlandes Nichts haben, und Viel von Ihr sich verspre-

 

Seite 114 im Scan des Originals fehlt.

 

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Allen wohlzuthun auf seine Weise. Der Mensch ist eigentlich ein gutes Thier; und in dem Blut, der Wuth, den Begierden, den Thaten und Unthaten allen steckt ein goldner Kern, ein heiliges Verlangen ....

Das ist der goldne Schlüssel zu der Welt! sprach Eleonore und sah ihren Ulfeld zärtlich an. Er lächelte stolz, und Sehested fuhr fort ... Drum gerade möcht' ich weniger vom König halten! Denn höre nur den Spaß! Oder hat die Welt ein verdecktes Schlüsselloch, und manches Herz? Was der König versprochen, wollte und will noch heut' der Adel nicht halten: die Bürger, ja Bauern zum Genuß seiner adlichen Freiheiten lassen – nach überstandner Gefahr; Bürger und Bauern aber, die Reich und Adel und König vom Untergange gerettet, und das klar sehen und wissen, wollen nicht umsonst geblutet haben, und noch nicht umsonst hungern, alle Schulden bezahlen, alle Steuern und Gaben tragen; auch wissen sie, daß der Adel erbärmlich vom Könige denkt und dem Lande soll doch geholfen werden, wozu sie Dein Nachfolger in der Reichshofmeisterei, der Joachim von Gersdorf, der Ausländer, treibt, dem, als Fremdling, es einerlei ist, wer in Dänemark Herr ist und wie er regiert, wenn Er nur des Regierenden Herr ist. Da der Adel nun gar nichts thun und leisten will, um der Staatscarete aus dem Schlamme zu helfen, sondern auf seine Freiheitsbriefe und die Capitulation trotzt, höchstens, der Ehre wegen, auf seine Bauern den Viehzoll legen lassen will, wofür noch der Salzzoll gemäßigt und die vielen unnöthigen Zollbedienten abgeschafft werden sollen, wie der Handelsstand mit will, so will denn der geistliche Stand und der Bürgerstand die ganze Reichsverfassung gebessert wissen, das heißt freilich umgestoßen, und der Bürgermeister Hans Nansen, der freien Zutritt zum König hat und nur Hans heißt, hat dem Adel bewiesen, daß mit ihm nichts Rechtes bestehen, nichts Gutes einzuführen ist, worauf der Herr Adel in heftigen Zorn gerathen, freilich natürlich, und sein Sprecher, der Reichsrath Otto Krag, hat den Herren Bürgern und geistlichen Herren frei

 

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Seite 119 im Scan des Originals fehlt.

 

er entsetzte sich bloß und ward wüthend, und Otto Krag frug die Abgeordneten, die er auf der Schloßbrücke begegnete: ob sie den blauen Thurm – das Gefängniß der Staatsverbrecher – kennten und vor Augen sähen? Als nun diese ihn dagegen frugen, ob er den Marienthurm – worin die Sturmglocke hängt – kenne und vor Augen sähe, – erschrak auch der Adel durch ihn. Die untern oder niedern Stände marschirten darauf paarweise auf's Rathhaus, das sie das Unrathhaus nannten, weil der Adel da versammelt war, und verlangten ihre Urkunde, welche der Adel die bürgerliche Unkunde, Unwissenheit, ja Raserei nannte – zu unterschreiben und stracks mit ihnen paarweis' auf's Schloß zu zampern, wie in die sichere Arche Noäh. – Da schickte der Adel heimlich eine Taube aus auf das Schloß und ließ die erbliche Thronfolge für die männlichen Nachkommen anbieten, – aber der König ließ danken und dieß Mal die Königin noch mehr. Der Adel blieb also auf dem Unrathhause, und die niedern Stände, jeglicher einen unsichtbaren Strick um den Hals, kamen gezambert und baten fußfällig, ihnen das geistige Leben, die Freiheit, zu nehmen. Jetzt ward es dem König zu arg. Er war zornig, aber er ward bloß fein, ja spaßhaft. Meine Herren Geistlichen, frug er, stellen Sie ihren Stand vor? – Ja! zu Befehl! – Also Alle, also auch Jene stellen Sie vor, welche einmal unsre Einrichtung gemacht haben? – Diese stellen Sie wohl nicht vor, da Sie dann kalt und warm aus einem Munde hauchten, und Ja und Nein in einem Worte sagten! – Die Geistlichen sahen sich an. Und der König dankte ihnen für den guten Willen – ihrer unmaßgeblichen Person. Die Bürger aber frug er: Lieber Hans Nansen, bist Du der ewige Bürgermeister von Copenhagen? Sind Deine jetzigen Schuhmacher und Deine jetzigen Schneider die ewigen Schuhmacher und ewigen Schneider von Copenhagen oder unmaßgeblich nur pro tempore ihrer kurzen Function? – Pro tempore Consul, unterschreibe ich; erwiederte Nansen und ward roth. – Seid Ihr, meine jetzigen, lieben Bürger, alle zugleich auch schon jene vernünftigen Bürger aller Tage und Jahrhunderte, die Euch ein Mal für unklug, unvorsichtig und unfrei an Geist, wie Euch der Adel nennt, erklären können und werden? Diese stellet Ihr also nicht vor; denn Ihr scheint mir schon dadurch nicht recht weise und gut, daß Ihr Mir alle Last, alle Verantwortung – wenigstens vor Gott – auf den Hals bürden wollt. Ich danke Euch für diesen guten Willen Eurer sonst sehr respektabeln, ja notablen Personen!

Er wollte gehn. Da sprach Nansen in Verzweiflung: Ist es nicht rathsam ... Majestät, so ist es doch rathsamer; ist es nicht klug, so ist es doch klüger, uns der Willkühr eines einzigen Königs freiwillig zu ergeben, als gezwungen den eigenmächtigen Befehlen vieler Herren zu gehorchen! Soll die unbedingte Gewalt der adlichen Herrscher durch ihre Geburt, nur im Namen des Königs herrschen, oder der König selbst durch vernünftige Gesetze, so wie er nur herrschen kann und überall sein. Aber die Adlichen, diese lebendigen, herumreitenden, tanzenden, trinkenden, essenden, buhlenden Höhner aller Gesetze, sind überall, überall nur geduldet durch den Mann, der ihnen vor Jahrhunderten ein Mal im Rücken gestanden hat, und noch aus dem Grabe das Bret hält, von welchem sie ihre Salti mortali im Leben machen! Die Rechte des geistlichen Standes sind kein geistliches Recht, die der Bürger kein bürgerliches, und die Rechte des Adels, selber des hohen Adels, sind kein adliches Recht. Also – – –

Also ist auch das Recht des höchsten Adels, des Königs, kein königliches Recht! sprach der edle, weise, gerechte König, seinen Hans Nansen fangend. Rechte sind alle bedungen. Und wir Alle sind schon bedungen und verbunden. Wir alle zusammen sind der Mensch im Staate, oder das Reich, das Königreich. Ich bin schon König; Ich werde als König Euch meine Pflicht erfüllen: Euch fragen, Euch hören, Euch rathen, Euch helfen ... mit Euern Geldbeuteln, auch Euern Schwertern, ja Euern Gebeinen. Lieben Gebeine, geht! – Die Königin fiel vor dem Anblick der langen Bischofsnase, und dem langen Bürgermeistergesicht in Ohnmacht!

Sehested schwieg gespannt, um vielleicht Ulfeld's gewiß sichersten Rath für den Adel zu erlauschen.

Die Stände sollen zu allen Thoren hinaus fahren! sprach Ulfeld. Abwesende hängt man nicht. Hier habe ich des Königs Capitulation, das Original, das ihm fürchterlich ist und ihn so weise macht. Ich will es der ehrlichsten Familie in Dänemark, der ... Urne ... aufzuheben geben; murmelte er unverständlich für Sehested. Mir verspricht Christina von oder aus Schweden ihren Beistand, da sie wieder gern Königin werden will, weil sie die Fleischtöpfe Israels nicht vergessen kann und kein Geld hat und Nichts zu befehlen. Das Warum ist klar! Hier ist ihr Brief. Sie nimmt mir mein Ländchen Barth in Pommern nur darum vor der Hand, damit es meine Feinde nicht nehmen können. Ich soll ihr helfen. Ich lebe nunmehr von meinem Credit! Sonst sah ich so aus, wie Damen die jungen Herren gern sehen und sich in sie verlieben; sonst hatte ich Macht – jetzt seh' ich mir selber nicht ähnlich, und bin gefangen, und doch habe ich Mühe, mir die schönsten jungen Damen abzuwehren und ... die Könige und die Königinnen. Wohl dem, wer mit dem Dunst seiner vergangenen Tage noch das Wetter macht; wer mit gethaner Arbeit nun müßig gar erst die beste Arbeit verrichtet, als wenn ein Schneider mit den vornehmen Herren, denen er in seiner Jugend Röcke gemacht, nun Staatskleider näht, als wären die Herren nun seine Hexennadeln! Der Credit ist der Profit des Lebens. Ich will davon profitiren! Selbst in der Rosenburg! Eher setze ich jetzt mit Hülfe des rasenden Adels den König ab, als Christina, die sich vom Pferd auf den Esel gesetzt, und katholisch geworden ist, wieder auf den schwedischen Löwen! Ueber acht Tage kommt sie hieher in die Stadt.

Sehested wußte genug und schied wie ein Satter vom Eßtisch, versprach ihm sein Fürwort zu seiner Befreiung; aber am Morgen schon suchten die Schergen bei Ulfeld nach seinen Papieren, fanden aber nicht einmal den Knäuel Bindfaden, an welchem der vorsichtige Mann sie seinem Sperling des Nachts hinab gelassen. Desto verdächtiger und verbindungsreicher erschien Ulfeld, denn am dritten Tage ward er – als gerade jetzt fürchterlichster Feind des königlichen Hauses, mit seiner Gemahlin hinweg nach der Insel Bornholm in's Schloß von Hammerhuus hinübergeführt, und unter die strenge Wache und Zucht des, ihm lange schon feindlichen Commandanten, des Obristen Fuchs, gesetzt, den aber Ulfeld als Obristen aller Füchse wohl kannte.

Eleonore hatte ihre Vaterstadt, ihr Vaterschloß wieder gesehen und war erweicht. In einer Hinsicht verdachte sie also ihrem Mann eine neue Flucht nicht – die Flucht hier von Bornholm weg. Ein Nebel war vor ihr künftiges Leben gefallen und nur eine blutige Sonne durchdrang ihn noch. Ihre Liebe hatte ihre geistige Kraft zum Erstaunen gebildet. Aber die Liebe, wenn sie auch die Einbildungskraft erweckt, hatte doch nur einen hellen Geisterglanz um ihres Mannes Haupt gewoben; schärft auch die Liebe den Verstand und macht fähig zu urtheilen, so hatte Eleonore doch nur gelernt, ihren Mann zu verstehen; sie war eine Gelehrte, aber der Gegenstand und Gehalt ihrer Weisheit war nur ihr Mann, und sie wagte nicht, ihre Erfahrung und ihr Urtheil über ihn auch auf andere Männer, auf den Mann überhaupt zu erstrecken, denn bei dem Versuche schon mußte sie seufzen. Das Gefühl ihres eigenen Elends verwandelte sich in ihrer Liebe oder in der geheimen Schlauheit des Herzens, besonders des weiblichen Herzens, in tiefes Mitleid mit ihrem Manne, und sie dachte nicht, daß der Mann nur des Weibes Spiegel ist; doch das machte ihr die Tage, die Wochen, die Monde erträglich. Auch Mitleid beschäftigt, belebt und stärkt, denn es ist Liebe auch, die reine, freiwillige, ganz uneigennützige Liebe, die Mutter der Aufopferung. Sie ging in so fern von ihrer Liebe ab, daß sie nicht ihr Wesen zu Seinem machte, wie die weibliche Liebe thut, sondern sein Wesen zu ihrem, und es als ihres empfand – wie das geschlechtlose Mitleid thut. Dieser Verwandlung konnte sie nicht widerstehen; und sie merkte sie nicht. Wie ihr Mann an der viel und stark bestürmten Brust litt, so litt sie an der Verzehrung ihrer viel und stark bestürmten Liebe, und so fing sie an, sich wohl zu befinden. Die beiden auf sich allein gewiesenen Eheleute, bedienten einander, und diese ihre Tage, wo sie so einsam, so traulich bei einander sein mußten, waren vielleicht die schönsten ihres Lebens; denn sie lebten wie außer der Welt und ihrer Unruh'. Ihr Höllenhund Fuchs konnte nur durch lange Sicherheit eingeschläfert werden; nach vielen Beweisen, daß sie nicht entfliehen wollten, erst, konnten sie fliehen. So spielten diese beiden Füchse neun Monate lang ein schlaues Spiel. Fuchs heuchelte sehr glaubliche Feindschaft gegen den König und sein jetziges Werk, sich allein im Lande frei zu machen. Mit Bitterkeiten versetzt, erzählte er Ulfeld alles, was während seiner Abwesenheit, und vielleicht bloß durch seine unschuldige Einkerkerung in der Hauptstadt vorgegangen – wie nur die braven Reichsräthe Gunde Rosenkranz, Otto Krag und Peter Reetz allein von dem Reichstag entflohen waren, daß der Reichsrath Christian Skeel vor Schreck und Gram über die Wendung der Dinge gestorben sei; daß sich der Adel mit dem Vorgeschmack und Vorgeruch eines kostbaren Leichenessens sich aufhalten lassen, um ihm in vollen Zügen die letzte Ehre anzuthun; daß die Stadtthore geschlossen worden wären, während sie im Trauerhause fröhlich geschwärmt, daß Jeder, dem der Nachbar die wahre Trauerpost heimlich in's Ohr gesagt habe, versteinert sei vor Entsetzen und der Furcht, daß Friedrich III. hier in Copenhagen unter ihnen ein solches Blutbad anrichten werde, wie Christian II. in Stockholm; daß also der feige Adel sich dem Willen der übrigen Stände nun unterworfen, und mit auf das Schloß gezambert sei, um die Souverainitäts-Urkunde dem König und der Königin zu Füßen zu legen, und der König habe eine Abschrift seiner Capitulation vor allen Ständen vernichtet, wobei die Königin engelgleich und ganz verklärt ausgesehen. Darauf sei an dem merkwürdigen 18. October das Majestätsfest gefeiert worden; König und Königin, Prinzlein und Prinzeßlein und Hofdamen paarweise über eine mit rothem Tuch bekleidete Brücke auf eine Bühne gezogen, die auf dem Schloßplatz erbaut gewesen, und alle Stände und Hände hätten erst einzeln, dann dutzendweise geschworen. Der König habe darauf den Bürgern – erlaubt, die Waffen abzulegen, den Bischoff und die Frau Bischoffin Svane, den Bürgermeister und Frau Bürgermeisterin Nansen, Gabel, Schack und vor allen Hannibal Sehested belohnt, die küßlustigen Copenhagner zum Handkuß gelassen, die Eßlustigen mit einem dankbaren Gastmal abgefüttert, dem Adel höhere Titel und wohlverdiente Ehrenbezeigungen verwilligt, auch daß sie ferner in der Beichte sitzen sollten, vielleicht damit Niemand wisse, ob die Geistlichkeit dem Adel, oder der Adel der Geistlichkeit die Sünden bekenne, und als Schlußstein des ganzen, neuen Gebäudes habe der König Freiheiten statt der Freiheit verschwenderisch ausgetheilt.

Sehested? Hannibal Sehested auch? frug Eleonore, schämte sich, daß sie keine größere Macht über ihn übe, und schämte sich, als treues Weib, doch wieder dieser Scham. Corfitz aber stellte dem Anfall innerer Vernichtung seinen Grimm entgegen, so daß er nicht krank ward, ja seine Hoffnung befahl ihm, recht gesund zu sein. Und er gehorchte. Aber er stellte sich krank. Eleonore zerschnitt nun nach und nach alle ihre Betttücher. Finstere, stürmische Nacht fiel ein. Und wie sie oft auf der Rothgansjagd in Norwegen am Strande sogar Felsen hinab und hinan gestiegen war, so stieg sie zuerst jetzt auf der wehenden, wankenden Leiter hinab, schon aus gewöhntem Anstand, ob es gleich Nacht war. Drunten hielt sie mit all ihrer Kraft die Leiter fest, wie ein Gewicht, während ihr Mann herab kam, mit zwei Kästchen voll Documenten und Geld auf dem Rücken, und als sie ihn nur erreichen konnte, als er kaum drunten stand, fiel sie ihm wieder um den Hals, so wie sie ihm droben im Zimmer um den Hals gefallen und vor dem gefährlichen Gange an einer hohen Mauer hinab, von ihm Abschied auf Leben und Sterben genommen. Ja sie kniete einen Augenblick hin, um zu beten und zu danken, denn Corfitz sah sie kaum in der Finsterniß. Dann eilten sie rasch an den Strand. Ein Schiffer war bald aufgeweckt, jedoch nicht willig in dem Sturm. Ulfeld bot ihm hohes, zu hohes Fährgeld. Das machte ihn dem ehrlichen Manne verdächtig, und unter dem Vorwand, noch Einiges zur Fahrt zu besorgen, lief er auf das Schloß, ließ den Commandanten wecken. Fuchs ging im Schlafrock in Ulfeld's Zimmer. Er rief. Alles still und zu. Die Thüre ward eingeschlagen. Die Betten standen gemacht; das Fenster offen. Fuchs sah hinaus; schlug sich vor den Kopf, gab sich selber die schändlichsten Ehrentitel, eilte an den Strand – da war Ulfeld allein schon hinaus mit seinem Weibe. Aber er konnte nicht rudern. Sie konnte nicht rudern. Fuchs sprang in ein anderes Boot mit dem Schiffer. Er holte sie ein. Fuchs schoß ein Pistol in sie hinein. Eleonore schrie. Ulfeld sprang ihr bei. Da ward er ergriffen, zurück mit seinem unverwundeten Weibe nach dem Schlosse gebracht. Aber Ulfeld ward in den finstersten Kerker zu ebener Erde fast buchstäblich geworfen, und als es Eleonore mit angesehn, ward sie in die oberste Spitze des Thurmes gesteckt, wo Wind und Sturm sie umsauste und Donnerwolken zackige Blitze umher schleuderten. Da fiel sie wieder in ihren Schlaf, worin sie sich gleichsam selber abwarf. Hier wohnte sie ein halbes Jahr hoch droben, und er wohnte ein halbes Jahr tief drunten. Endlich gelang es ihr, ein Boot zu erblicken, woraus ihr Jemand Zeichen machte, der, näher gesehen, der getreue Sperling war. Er konnte aber nichts ausrichten, als ihr einen hinunter geworfenen Brief an ihren Bruder, den König, zu bestellen, was er redlich that. Ihr Bleiben hatte Sperlingen, sein Fortschiffen hatte ihr das Herz gespalten. Aber der König sandte jetzt, nachdem Ulfeld der Königin selbst nur ein ohnmächtiger Geist erschienen, den Grafen Ranzau nach Bornholm, um die Erbhuldigungsurkunde in jedem Kirchspiele unterschreiben zu lassen und um nebenbei Ulfeld's Kerker zu untersuchen. Er stieg auf den Thurm. Eleonoren war zu Muth, als wenn sie aus der Meereswüste plötzlich gelandet wäre, und einen Menschen auf einer tischgroßen Insel erblicke. Ihre Rührung, ihr Zustand, ihre Bitten rührten ihn. Er berichtete, indem er einen Brief Ulfeld's zugleich mit beilegte, worin der kranke, fast wahnsinnige, schuldlose Mann um Gnade bat – und erhielt. Er mußte den Huldigungseid schwören, und schwur ihn mit Riesenstimme, daß Eleonore erschrak, die, zuerst erlöst, zu ihm in seinen Kerker gestiegen, ihn besah, bewunderte, beweinte, sein blasses Haupt, seine magern Hände betastete, vor Wehmuth das Stroh seines Lagers aufschüttelte, weil es nöthig gewesen, als wenn es fortan noch nöthig wäre; dann sein Trinkwasser kostete, von seinem schwarzen Brote aß – so daß ihre Liebe vollkommen zu Mitleid ward, und sie das Wesen einer Liebenden mit einer Leidenden völlig vertauschte. Dann half sie ihm, menschliche Kleider anlegen, denn er sah aus, wie ein Wilder, sie wusch ihn, wie einen Gestorbenen, während er diese Zeichen ihrer Liebe gern anzunehmen schien, weil er sie so lange entbehrt. Und am meisten von Allem in der Welt hatte sein Weib ihm gefehlt, sein Spiegel, die im Abendroth noch emporragende Gestalt aus seinem schönen Lebenstage. Fuchs war verlegen und beschämt, daß der König seine Behandlung Ulfeld's nicht hatte mit der Missethäterbeerdigung enden lassen. Ulfeld verlor kein Wort gegen ihn beim Abschied. Aber als ihn Eleonore aus dem Kerker wanken sah, schwach und schwankend, wie einen Betrunkenen oder einen steinalten Greis, als sie ihn führen mußte, als er selber vom Arm weg ihr ein Mal hinfiel, weil ihm die Kniee sogar den Gang zur Freiheit versagten, aber gar erst, als ihr Mann vor Scham – als wenn ihm nichts geschehen, ihm nichts angethan worden sei, sich stark machte, und gerad und groß und steif in stolzer Haltung dahin ging und an den Wassertrog im Schloßhofe anlief, daß ihm das Schienbein und die schöne, hohe Stirn blutete, weil er ihn nicht gesehen – weil seine Augen in dem feuchten, lichtlosen Kerker fast blind geworden waren .... da sagte sie doch zu Fuchs das Wort: Herr Obrist der Teufel ... Sie haben mir sehr weh gethan! Sehr weh. Mag es Ihnen ein Engel vergelten. Gewiß nur Der! Denn schon meine Vergebung haben Sie.

Eine Schaluppe nahm sie auf, und führte sie heim nach Copenhagen.

Wie um eine gefangene und gebändigte Seeschlange nebst ihrem Gatten liefen die Gassenjungen um sie her, während sie der Oberstatthalter Graf Ranzau und der Rentmeister Christoph Gabel an der Zollbude sehr höflich empfingen. Denn der Tag und die Stunde ihrer Ankunft schien auch von der Königin wohl combinirt. Denn der schönste Soldat in Dänemark, der Obrist Kay Lykke, hatte sich aus verborgenen Ursachen gerühmt, daß er jeden weiblichen Feind, selber die Königin, leicht überwinden würde, wenn sie nicht an Farbe und Art der schwarzen Margrethe gliche; und war für dieses neu in Schwung gebrachte Majestätsverbrechen, des Lebens, des Adels und aller seiner funfzehn großen Güter verlustig erklärt, Alles nach den neuen Gesetzen. Kay Lykke hatte aber seinen Apollokopf in Sicherheit gebracht, und heut', vor Ulfeld's Augen, ward die Strafe an seinem, einer Hasenscheuche ähnlichen, Bilde vollzogen, dem ohne Laut und Schmerz und Blutvergießen das Haupt und die Hand abgehauen ward.

Nicht viel besser wird es auch – Excellenz, sprach Graf Ranzau zu Ulfeld – dem ehrlichen Gunde Rosenkranz und dem schätzbaren George Löwenklau gehen, über welche sich Trolle und der Reichshofmeister Gersdorf zu Tode geärgert haben; des Königs Hofdamensohn Ulrich Friedrich Gyldenlöwe ist Statthalter von Norwegen geworden an Trolle's Statt. Die alten Menschen können die Kunst nicht, alte Dinge zu vergessen.

Ulfeld lachte über Sperling's Kukukssohn, und sprach: nun wird der Segen nicht fehlen und die Freude; es kann auch gar nicht fehlen, daß der moskowitische Zaar, das Dreierlicht seiner Finsterniß, und der Khan der krimmischen, wilden Horden, Mehemeth Geray, unserem Königspaare zur Emporbringung der Unfreiheit feierlich in prachtvoller Gesandtschaft Glück wünscht!

Und er hatte kaum das Wort gesprochen, als er wirklich vor seinen Augen den feierlichen Auszug der moskowitischen und krimmischen Gesandschaften sah, wie sie sich nach dem Schlosse begaben.

Ulfeld lachte wieder. Ranzau zuckte die Achseln. Ulfeld's waren noch nicht frei, denn Ranzau und Gabel begleiteten sie in der Carosse in Ulfeld's kleinen Hof, wo sie in die untern Hallen gewiesen wurden und schriftlich auf alle ihre Güter und Höfe in Seeland, auf die im Friedensschlusse ihnen besonders bedungene, große Entschädigungssumme, Eleonore auf ihr Wappen und ihre Titel, Ulfeld auf die Betretung von Seeland, auf Dienste und nachtheilige Unternehmungen im Ausland und vor Allem für sich und seine Kinder auf die Rache an dem Obristen Fuchs an Eidesstatt verzichten sollten.

Ulfeld trat zu seinem Weibe an's Fenster und frug sie: Soll ich unterschreiben? Und sie antwortete ihm, ohne die Augen aufzuschlagen: Fortius ille facit, qui miser esse potest.

Und er übersetzte ihr und sich das so: Der thut besser vor der Hand, wer ein Elender sein kann.

Ein Elender! sprach sie mit Vorwurf. Er lächelte, ging und unterschrieb; und sie unterschrieb – und sie waren frei. Die Kanonen aber, die jetzt den im Geiste anwesenden, fremden Selbstherrschern, dem Zaar und dem Khan, zu Ehren gelöst wurden, redeten mit ihren ehernen Rachen für Ulfeld jetzt eine ganz andre, verachtete Sprache. – Sklavenmäuler! sprach er leis'. Aber sie donnern; ich schreibe ... Alles eine Sklaverei, besonders unsere Freiheit, meine Eleonore!

Darauf wurden sie zur königlichen Tafel gebeten in den Gartensaal. Eleonore trank heut' wieder ihren Becher Wein, um diese Erniedrigung zu überstehen. Nicht, um groß oder stark zu thun, sondern um schön zu sein, da ihr die Schönheit doch nicht abgenommen werden konnte, schmückte sich Eleonore prachtvoll und reizend, denn so war sie vom Kopf bis zur Zehe ein Dolch, eine – Himmelsfurie für die Königin. So bescheiden war Eleonorens Rache. Auch Ulfeld war bei Tafel der maskirte, feinste Hofmann, geistreich, witzig, belebend, ja erheiternd; wie eine selber berstende und zerspringende Rakete hoch am Himmel schöne, bewunderte Sterne verstreut. Nur eine Anzüglichkeit konnte er nicht unterdrücken. Seine Dame – wie er Eleonoren seit langer Zeit nannte, womit er ihr immer heimlich das Compliment einer Königin machte – sprach nach der Tafel mit ihrem Bruder, dem König; an Ulfeld hatte sich die Königin gewagt, obgleich mit heimlichem Zittern und nicht einmal wissend, daß er sein Stilet bei sich führte. Ulfeld sah eine Spieluhr in Gestalt eines Morgenländers, von Kunstkasper, stehen, welche sein Vater, der Kanzler, zum Geschenk für den Zaar hatte machen lassen. Der Zaar aber hatte sie in seiner Weisheit und Religiosität für ein Hexenwerk gehalten, mit drei Kreuzen von Bocksblut bemalt und, zornig dankend, sie wieder gesandt. Die Königin wußte das wohl, drückte an der Feder, und der alte Kunstkasper spielte herrlich aus dem Werk. Ulfeld schwieg und verwandte kein Auge davon. Was sehen Excellenz so sonderbar auf das Werk ... oder den Mann. – Das ist mein Ebenbild! erwiederte Ulfeld. Es ist das Ebenbild des Volks, ja der Menschheit – wer sie spielen kann, der macht nicht drei Kreuze mit Bocksblut darauf. Dann beurlaubte er sich mit Eleonoren, und ungewiß, ob er je mit ihr diese gewohnten Räume, diese freundlichen Gemächer wieder sehen würde, wo jede Farbe, jedes Bild, jeder Kronleuchter wunderlich lieb zu ihm still und funkelnd sprach, und wie mit Thränenaugen von ihm auf ewig Abschied nahm – mußte das starke Herz seufzen, aber er sagte nur: da drinnen war es zu heiß!



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